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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten streitig ist die Handhabung von Sanierungsgewinnen, die im Jahre 2003 durch einen Forderungsverzicht von Banken entstanden sind.
3Nach entsprechendem Vorauszahlungs-Messbescheid setzte die Beklagte für die Klägerin zunächst die Gewerbesteuervorauszahlungen für 2003 mit Bescheid vom 11. Juli 2003 auf 360.864,-- Euro fest. Mit Bescheid vom 15. August 2003 wurde der Betrag auf 78.180,‑‑ Euro geändert, mit Bescheid vom 29. August 2003 erneut auf 207.964,-- Euro. Bereits mit einem Stundungsantrag vom 21. August 2003 verwies die Klägerin auf Liquiditätsengpässe und eine beabsichtigte Sanierung. Mit Schreiben vom 25. März 2004 wurde die Herabsetzung der Vorauszahlungen für 2003 auf 0,-- Euro beantragt unter Hinweis darauf, dass aus dem Jahresüberschuss Sanierungsgewinne auszunehmen seien. Das Finanzamt L. teilte der Beklagte unter dem 25. Mai 2004 mit, dass dort ein Antrag auf Herabsetzung des Gewerbesteuermessbetrages für 2003 auf 0,-- Euro gestellt worden sei und dass das Finanzamt die Klägerin in die Zuständigkeit der Beklagten verwiesen habe.
4Unter dem 11. Januar 2005 beantragte die Klägerin beim Finanzamt L. die abweichende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages gemäß § 163 AO auf 0,-- Euro und verwies darauf, in dem Jahresabschluss seien Sanierungsgewinne aus dem Erlass von Bankschulden in Höhe von 5.462.906,-- Euro enthalten.
5Mit Bescheid vom 3. Juni 2005 setzte das Finanzamt L. den Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf 103.105,-- Euro fest. Mit Bescheid vom 3. Juni 2005 setzte daraufhin die Beklagte die Gewerbesteuer für 2003 auf 453.662,-- Euro zuzüglich Zinsen gemäß § 233 a AO in Höhe von 2.456,-- Euro fest.
6Das Finanzamt L. wies den Einspruch der Klägerin mit Bescheid vom 24. März 2006 zurück und führte aus, Sanierungsgewinne seien nach der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG nicht mehr steuerbefreit; eine abweichende Festsetzung nach § 163 AO komme nicht in Betracht.
7Mit Schreiben vom 20. März 2006 unterrichtete das Finanzamt L. die Beklagte davon, dass bei der Klägerin im Jahre 2003 ein Sanierungsgewinn in Höhe von 5.462.906,-- Euro vorliege; diese Mitteilung erfolge ohne rechtliche Bindung.
8Unter dem 23. Mai 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Erlass der Gewerbesteuer 2003 gemäß §§ 222, 227 AO, führte hierzu aus, dass dem Gewerbesteuermessbetrag ein Gewinn in Höhe von 1.621.448,-- Euro zugrunde liege und dass in diesem Gewinn Sanierungsgewinne aus dem Erlass von Bankschulden in Höhe von 5.462.906,‑‑ Euro enthalten seien. Die Vereinbarungen mit den Banken wurden vorgelegt. Die Voraussetzungen des Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 seien erfüllt.
9Nachdem zunächst eine Vorlage der Verwaltung der Beklagten vom 31. Oktober 2006 an den Unterausschuss für Steuerfragen, die Gewerbesteuerforderung für 2003 einschließlich Nachforderungszinsen zu erlassen, in der Ausschusssitzung vom 2. November 2006 von der Tagesordnung abgesetzt worden war, übersandte die Klägerin unter dem 2. März 2007 das aufgestellte Sanierungskonzept.
10Mit Bescheid vom 13. August 2007 lehnte die Beklagte den beantragten Erlass erstmals ab. Zur Begründung führte sie aus, nach dem Ergebnisbericht des Consulting-Unternehmens liege die defizitäre Lage des Unternehmens an überhöhten Vorräten und an gravierenden Schwachstellen in Organisation, Führung und Steuerung der Unternehmensgruppe; durch die alleinigen Entscheidungen des Geschäftsführers sei es zu den Zahlungsschwierigkeiten gekommen. Eine unbillige Härte i.S.d. § 227 AO sei nicht gegeben.
11Mit ihrem Widerspruch vom 28. August 2007 erläuterte die Klägerin die durchgeführte Sanierung und führte ihre Auffassung aus, die Erlassvoraussetzungen seien gegeben.
12Mit Bescheid vom 26. April 2010, zugestellt am 17. Mai 2010, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, es bestehe kein Handlungsspielraum für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen. Unbilligkeitsgründe seien bereits im Festsetzungsverfahren durch das Finanzamt zu prüfen und könnten nach § 227 AO nicht berücksichtigt werden. Ein Billigkeitserlass komme allenfalls in Betracht, wenn der Steuerbescheid krass fehlerhaft sei. Die Verwaltungsvorschrift des Bundesfinanzministeriums vom 27. März 2003 sei nach der Entscheidung des Finanzgerichts München vom 12. Dezember 2007 – 1 K 4487/06 – gesetzwidrig, weil sie die faktische Rechtsfolge des früheren § 3 Nr. 66 EStG wieder in Kraft setze, was dem Willen des Gesetzgebers widerspreche.
13Die Klägerin hat zunächst am 4. Juni 2010 Klage erhoben – 25 K 3591/10 – mit dem ursprünglich angekündigten Antrag,
14die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2010 zu verpflichten, die Gewerbesteuer für 2003 und die darauf entfallenden Nachzahlungszinsen insoweit zu erlassen, als in 2003 steuerfreie Sanierungsgewinne aus dem Erlass von Bankschulden in einer Gesamthöhe von 5.462.906,-- Euro entstanden sind.
15Zur Begründung hat sie erneut ihre Auffassung dargelegt, dass die aufgrund des Sanierungsgewinns entstandene Gewerbesteuerforderung aus Billigkeitsgründen zu erlassen sei; gegen das von der Beklagten zitierte Urteil des Finanzgerichts München sei eine Revision anhängig.
16Zwischenzeitlich hatte das Finanzamt L. aufgrund einer Außenprüfung den Gewerbesteuermessbetrag 2003 mit Bescheid vom 26. März 2010 auf 107.805,-- Euro festgesetzt. Dies führte zu einer Erhöhung der Gewerbesteuerfestsetzung 2003 durch die Beklagte mit Bescheid vom 26. März 2010 um 20.680,-- Euro auf insgesamt 474.342,-- Euro sowie zu einer Erhöhung der Nachzahlungszinsen 2003 um 6.091,-- Euro auf insgesamt 8.547,-- Euro.
17Das Finanzamt L. lehnte eine abweichende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages für 2003 gemäß § 163 AO unter dem 11. Juni 2010 erneut ab. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2010 wies es den Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 26. März 2010 zurück mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 163 AO seien nicht gegeben, die Gemeinde sei für den Erlass zuständig.
18Das Finanzgericht Düsseldorf verpflichtete mit Urteil vom 16. März 2011 – 7 K 3831/10 AO – unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 8. Oktober 2010 das Finanzamt L. , den mit Bescheid vom 26. März 2010 festgesetzten Gewerbesteuermessbetrag auf 0,-- Euro herabzusetzen. Das Finanzgericht führte aus, das Finanzamt sei zur abweichenden Festsetzung nach § 163 AO zuständig; das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 sei eine allgemeine Verwaltungsvorschrift i.S.d. § 184 Abs. 2 AO, aus der sich eine Zuständigkeit des Finanzamtes zur abweichenden Steuerfestsetzung nach § 163 Abs. 1 Satz 1 AO ergebe. Seine Zuständigkeit sei nicht auf die Gemeinde verlagert. Der Sanierungsgewinn von 5.462.906,-- Euro sei auf den Gewerbeertrag in Höhe von 1.710.595,-- Euro in voller Höhe anzurechnen. Das Ermessen des Finanzamtes sei durch den Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen auf Null reduziert.
19Im Anschluss an dieses Urteil hat die Kammer mit rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2011 – 25 K 3591/10 – den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 13. August 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2010 aufgehoben. Der Erlassantrag der Klägerin vom 23. Mai 2006 war damit unbeschieden.
20Mit Bescheid vom 4. April 2011, adressiert an die Steuerberater der Klägerin, teilte das Finanzamt L. mit, dass es gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf Revision eingelegt habe, und setzte den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2003 aufgrund des genannten Urteils nach § 163 AO abweichend zum Bescheid vom 26. März 2010 von 107.805,-- Euro auf 0,-- Euro herab.
21Die Beklagte teilte der Klägerin unter dem 20. Mai 2011 mit, aufgrund Änderung des Messbescheides und der dieser folgenden Herabsetzung der Gewerbesteuer für 2003 betrachte sie den Erlassantrag als erledigt. Mit Bescheid vom 9. Juni 2011 wurde die Gewerbesteuer für das Jahr 2003 auf 0,-- Euro – Verminderung um 474.342,-- Euro – festgesetzt; unter demselben Datum wurde der Zinsbescheid über 8.547,-- Euro aufgehoben; es ergaben sich Erstattungszinsen von 473,-- Euro.
22Mit Urteil vom 25. April 2012 – I R 24/11 – hob der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. März 2011 auf und wies die Klage der Klägerin gegen das Finanzamt L. auf abweichende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages 2003 gemäß § 163 AO ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Finanzamt sei zu der abweichenden Festsetzung nicht zuständig; der Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen sei weder eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten Landesfinanzbehörde i.S.d. § 184 Abs. 2 AO.
23Gemäß Vermerk vom 22. Mai 2012 wurde seitens der Steuerberater der Klägerin der Wunsch geäußert, das Verfahren hinsichtlich des Erlassantrages wieder aufzunehmen.
24Das Finanzamt L. teilte der Beklagten gemäß Vermerk vom 11. September 2012 mit, es werde kein neuer Messbescheid erlassen; der Messbetrag von 107.805,-- Euro sei entgegen der Ankündigung vom 4. April 2011 nicht auf 0,-- Euro herabgesetzt, sondern nur ausgesetzt worden. Unter dem 13. September 2012 bat die Beklagte das Finanzamt L. um Übersendung des maßgebenden Messbescheides für 2003 und um Angabe der Höhe des sanierungsgewinnbegründenden Messbetrages. Das Finanzamt L. teilte daraufhin unter dem 18. September 2012 mit, „zuletzt wurde der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf 107.805,-- Euro festgesetzt“; für 2003 sei ein „Sanierungsgewinn“ in Höhe von 5.462.906,-- Euro erklärt worden.
25Unter dem 5. April 2013 teilte das Finanzamt L. mit, zunächst sei (mit Schreiben vom 4. April 2011) mitgeteilt worden, dass der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf 0,-- Euro herabgesetzt worden sei; nach erfolgreicher Revision sei (mit Schreiben vom 18. September 2012) mitgeteilt worden, das aufgrund des Urteils des BFH der Gewerbesteuermessbetrag 2003 wieder auf 107.805,-- Euro erhöht werde. Zur Klarstellung werde mitgeteilt, dass das Rechtsbehelfsverfahren rechtskräftig beendet sei und der Gewerbesteuermessbetrag 2003 auf 107.805,-- Euro festgesetzt wurde.
26Hierauf setzte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2013 die Gewerbesteuer 2003 auf 474.342,-- Euro fest. Mit Bescheid vom selben Tag setzte sie Aussetzungszinsen für den Zeitraum 1. April 2005 bis 13. Mai 2013 in Höhe von 230.035,-- Euro fest. Gegen beide mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheide ist Klage nicht erhoben worden.
27Aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten ergeben sich aus den der Beklagten übersandten Gewerbesteuermessbescheiden für die Jahre ab 2004 folgende Gewinne der Klägerin aus Gewerbebetrieb:
282004 - 455.660,-- Euro
292005 - 2.130.785,-- Euro
302006 - 3.020.836,-- Euro
312007 - 4.556.131,-- Euro
322008 - 7.182.515,-- Euro
332009 - 5.792.096,-- Euro
342010 - 6.430.942,-- Euro
352011 - 4.851.797,-- Euro.
36Bereits vor Erlass der Bescheide vom 10. Mai 2013 hatte die Beklagte die Klägerin unter dem 25. April 2013 aufgefordert, zur Vorbereitung der Prüfung des Erlassantrages vom 23. Mai 2006 Unterlagen vorzulegen, nämlich Informationen und Belege über die Geltendmachung des Sanierungsgewinns, Betriebsunterlagen zur Belegung der Bedürftigkeitsmerkmale des § 227 AO, Darstellung eventueller Konsequenzen eines eventuell ablehnenden Bescheides, Darstellung des eingetretenen und beweisbaren Sanierungserfolges. Die Beklagte praktiziere keine vorbehaltlose Anwendung des Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Jahre 2003; sie verwies auf die Entscheidung des Hess. VGH 5 A 293/12.Z dazu, dass die Kommunen durch diesen Erlass nicht auf einen Erlass der Gewerbesteuer beschränkt seien.
37Unter dem 22. Mai 2013 beantwortete die Klägerin die Fragen unter Hinweis auf die schon früher vorgelegten Unterlagen und legte die Unterlagen erneut vor. Sie erläuterte die Krise im Jahr 2003 und den Forderungsverzicht der Banken, ferner das Restrukturierungskonzept aus dem Jahre 2003. Der Erlass werde aus sachlichen Billigkeitsgründen begehrt. Bei Streichung des § 3 Nr. 66 EStG sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass aufgrund der gesetzlichen Anerkennung des unbegrenzten Verlustvortrages ein Sanierungsgewinn nicht entstehen werde. In den Fällen, in denen trotz Ausschöpfung des Verlustvortrages ein Sanierungsgewinn verbleibe, sei durch die Streichung des § 3 Nr. 66 EStG eine ungewollte Regelungslücke entstanden, worauf die Finanzverwaltung mit dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 eine sachliche Billigkeitsregelung vorgenommen habe. In ihrem Fall beruhe die Steuerfestsetzung 2003 auf der Grundlage des letzten vorliegenden Gewerbesteuermessbescheides vom 20. März 2010 vollständig darauf, dass durch den Sanierungsgewinn von 5.462.906,-- Euro ein steuerpflichtiger Gewerbeertrag von 2.156.100,-- Euro entstanden sei, obwohl zuvor sämtliche Verlustverrechnungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Bei Beitreibung der Steuer im Jahre 2003 sei eine Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit nicht zu vermeiden gewesen; der Sanierungserfolg mit dem Erhalt einer leistungsfähigen Steuerzahlerin und von über 200 Arbeitsplätzen in L. wäre nicht möglich gewesen. Sie stellte die Jahresergebnisse wie folgt dar: 2003: -3.412.588,14 Euro (ohne Sanierungsgewinn); 2004: 1.223.965,17 Euro; 2005: 1.802.688,72 Euro; 2006: 2.367.197,47 Euro; 2007: 3.327.730,73 Euro; 2008: 4.558.291,64 Euro; 2009: 3.824.422,68 Euro; 2010: 4.642.268,86 Euro; 2011: 4.464.975,39 Euro; 2012: vorläufig 5.680.142,98 Euro. Sie verwies auf geleistete Gewerbesteuerzahlungen 2004 bis 2012 in Höhe von insgesamt 7.973.707,09 Euro und führte ferner aus, sie gehe von weiter steigenden Ergebnissen und Mitarbeiterzahlen aus. In jüngster Zeit seien erhebliche Investitionen zur Erweiterung und Modernisierung des Betriebes am Standort L. vorgenommen worden.
38Unter dem 24. Mai 2013 beantragte die Klägerin die Stundung der Gewerbesteuer 2003 sowie der Zinsen 2003 sowie hilfsweise Vollstreckungsaufschub.
39Unter dem 4. Juni 2013 wies die Beklagte darauf hin, dass sich der von der Klägerin zitierte Erlassantrag nur auf 453.662,-- Euro beziehe; für die restlichen Beträge von 250.715,-- Euro liege formell kein Antrag auf Erlass vor. Gemäß § 241 AO bat sie um Unterbreitung eines Angebotes über Sicherheitsleistung von 700.000,-- Euro.
40Die Klägerin beantragte daraufhin unter dem 1. Juli 2013 vorsorglich, auch die auf den aus Sanierungsgewinn entstandenen Gewerbesteuerbetrag entfallenden Nachforderungs-zinsen zu erlassen; sie bat ferner um Stundung ohne Sicherheitsleistung.
41Mit Bescheid vom 18. Juli 2013, zugestellt am 23. Juli 2013, lehnte die Beklagte den Erlass der Gewerbesteuer 2003 sowie der Nachforderungszinsen 2003 in Höhe von insgesamt 704.377,- Euro ab. Zur Begründung führte sie aus, der sog. Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 sei für die Kommunen nicht bindend; sie verwies hierzu auf die Entscheidung des Hess. VGH 5 A 293/12.Z. Die Besteuerung von Sanierungsgewinnen sei keine besondere Unbilligkeit im Einzelfall; § 227 AO stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Der Gesetzgeber habe mit der Streichung von § 3 Nr. 66 EStG die Besteuerung von Sanierungsgewinnen bewusst in Kauf genommen und angeordnet. Sinn und Zweck des Steuererlasses sei es, die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz eines Steuerpflichtigen zu vermeiden. Nach Angaben der Klägerin habe diese seit der Sanierung stetig steigende Ergebnisse zu verzeichnen. Während eines Zeitraums von 2004 bis 2012 habe die Klägerin insgesamt ca. 31 Mio. Euro erwirtschaften können. Diese außerordentlich gute Ertragslage habe es ermöglicht, in jüngster Zeit erhebliche Investitionen zur Erweiterung und Modernisierung des Betriebes vorzunehmen. Durch die Steuererhebung werde daher die wirtschaftliche oder persönliche Existenz der Klägerin nicht gefährdet. Insofern überwiege das öffentliche Interesse an der Erbringung der Steuerschuld, da die Klägerin erhebliche Erträge habe generieren können und somit die Belange des Gemeinwohls dem Erlass entgegenstünden. Die Forderungen stünden zudem seit ursprünglicher Bescheiderteilung vom 3. Juni 2005 in Rede; die Klägerin habe mehr als 7 Jahre Gelegenheit gehabt, Rücklagen zur Begleichung der Steuerforderung 2003 zu bilden. Daher könne die Begleichung der Steuerforderung 2003 zum jetzigen Zeitpunkt keine unbillige Härte darstellen. Weitere Anhaltspunkte für eine solche Härte seien nicht ersichtlich. Gründe für einen persönlichen Billigkeitserlass seien von der Klägerin selbst verneint worden und auch nicht ersichtlich. Nach Abwägung der Gesamtumstände überwiege das öffentliche Interesse an der Erbringung der Steuerschuld. – Auf die Gründe des Bescheides im einzelnen wird Bezug genommen.
42Zur Begründung der am 22. August 2013 erhobenen Klage führt die Klägerin aus, die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des Hess. VGH widerspreche dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 sowie Entscheidungen der Finanzgerichte Münster und Köln und des Bundesfinanzhofs. Die Streichung des § 3 Nr. 66 EStG im Jahre 1998 habe eine als systemwidrig angesehene Doppelbegünstigung (Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns und unbeschränkter Verlustabzug) beheben sollen. Im Jahre 2003 seien aber wieder Beschränkungen des Verlustabzugs eingeführt worden. Eine erneute Korrektur – Ausnahme der Sanierungsgewinne aus der Mindestbesteuerung – habe der Gesetzgeber nicht vorgenommen, da bereits das Bundesministerium der Finanzen mit dem Erlass vom 27. März 2003 eine entsprechende Regelung getroffen habe. Die Beurteilung der Billigkeitsgründe müsse sich auf den Zeitpunkt 2003 beziehen und dürfe sich nicht auf die in der Folgezeit steigenden positiven Ergebnisse stützen; im Jahre 2003 sei ihre Existenz gefährdet gewesen. Die Ablehnung des Erlasses verstoße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beklagte habe sich in ihrer Erlasspraxis dadurch selbst gebunden, dass sie im Fall des L1. V. ebenfalls Gewerbesteuer erlassen habe; nach der Homepage des L1. V. habe die Beklagte eine Gewerbesteuerforderung von 102.591,-- Euro erlassen, die aus einem Sanierungsgewinn im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens 2006 entstanden sei. Die Beklagte dürfe sich insoweit und auch bei anderen Fällen nicht auf das Steuergeheimnis berufen. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung auf ein Verschulden der Führung der Klägerin beim Entstehen der Zahlungsschwierigkeiten verweise, sei dies eine fehlerhafte Erwägung.
43Die Klägerin beantragt,
44die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 18. Juli 2013 zu verpflichten, die Gewerbesteuer 2003 sowie die darauf entfallenden Nachzahlungszinsen insoweit zu erlassen, als in 2003 steuerfreie Sanierungsgewinne aus dem Erlass von Bankschulden in einer Gesamthöhe von 5.462.906,-- Euro entstanden sind,
45hilfsweise (Schriftsatz vom 25. Februar 2014, S. 26), die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides zu verpflichten, über ihren Erlassantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
46Die Beklagte beantragt,
47die Klage abzuweisen.
48Sie vertieft ihre Auffassung, dass eine Bindung an den Erlass des Bundesministeriums der Finanzen nicht bestehe, ferner dass die gesetzgeberische Entscheidung der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG nicht im Billigkeitswege korrigiert werden könne. In der Situation der Planinsolvenz könne jede Gemeinde Steuerschulden stunden, um eine Anschlussinsolvenz zu verhindern; nach Sanierung könne die Steuer später entrichtet werden. Das Steuerrecht sei nicht dazu da, versteckte Wirtschaftspolitik zu machen. In ihrem Ermessen berücksichtige sie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, des Willkürverbots und des Übermaßverbots; wegen des von der Klägerin erzielten Gewinns wäre der begehrte Steuererlass mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem Übermaßverbot nicht vereinbar. Die seinerzeitige Sanierungsbedürftigkeit sei auch auf Organisations- und Führungsfehler der Klägerin zurückzuführen (Schriftsatz vom 27. März 2014), was allerdings nur gering gewichtet worden sei (Schriftsatz vom 3. Juni 2014). Aus dem Fall des L1. V. ergebe sich keine Bindung im Sinne eines Anspruchs der Klägerin; in diesem konkreten Einzelfall hätten auch persönliche Billigkeitserwägungen nicht außer Acht gelassen werden können (Schriftsatz vom 3. Juni 2014). Im übrigen sei sie durch das Steuergeheimnis gehindert, hierzu und auch zu anderen Fällen Angaben zu machen.
49Gemäß Mitteilung der Beklagten vom 25. April 2014 hat die Klägerin im Anschluss an eine Zahlungsaufforderung mit Vollstreckungsankündigung vom 21. März 2014 den Gesamtbetrag zuzüglich Säumniszuschlägen und Gebühren, insgesamt 756.625,73 Euro, gezahlt.
50Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
51Entscheidungsgründe:
52Die Klage hat keinen Erfolg.
53Die Klage ist fristgerecht erhoben worden und auch im übrigen zulässig; insbesondere hat die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse an dem begehrten Erlass. Dieses würde allerdings fehlen, wenn die Steuerforderung, deren Erlass begehrt wird, gar nicht entstanden ist. Dies ist allerdings nicht der Fall. Die Beklagte hatte zwar zunächst mit Bescheiden vom 9. Juni 2011 die Steuerforderung für das Jahr 2003 auf 0,-- Euro festgesetzt und die bis dahin entstandenen Nachforderungszinsen abgesetzt. Hiermit hatte die Beklagte den an die Steuerberater der Klägerin adressierten Bescheid des Finanzamtes L. vom 4. April 2011 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO umgesetzt, in welchem das Finanzamt aufgrund des Urteils des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16. März 2011 den Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 2003 „nach § 163 AO abweichend zum Bescheid vom 26. März 2010 von bisher 107.805,-- Euro auf nunmehr 0,-- Euro herab“ gesetzt hatte. Die spätere Mitteilung des Finanzamtes an die Beklagte (Vermerk vom 11. September 2012), der Messbescheid sei nur ausgesetzt worden, ist hiermit nicht vereinbar. Die Beklagte hat sich in der Folgezeit mehrfach an das Finanzamt gewandt, um Auskunft zu erhalten; das Finanzamt hat lediglich mitgeteilt, „zuletzt wurde der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 auf 107.805,-- Euro festgesetzt“ (Schreiben vom 18. September 2012), wobei der ursprüngliche Messbescheid beigefügt worden war, und sodann am 5. April 2013 mitgeteilt, aufgrund des Urteils des BFH vom 25. April 2012 sei der Gewerbesteuermessbetrag für 2003 „wieder auf den Betrag von 107.805,-- Euro erhöht“ worden. Einen neuen Gewerbesteuermessbescheid hat das Finanzamt nicht übersandt. Dies hat die Beklagte zum Anlass genommen, mit Bescheiden vom 10. Mai 2013 die Gewerbesteuer 2003 wieder auf 474.342,-- Euro festzusetzen sowie die Nachforderungszinsen – aufgrund des längeren Zeitraums in nunmehr größerer Höhe – auf 230.035,-- Euro festzusetzen. Gegen diese Bescheide ist keine Klage erhoben worden. Nach Aktenlage liegt zwar die Annahme nicht fern, dass es einen neuen, wirksamen, Gewerbesteuermessbescheid des Finanzamtes für das Jahr 2003 nicht gab; auch die Steuerberater der Klägerin erwähnen in ihrem Schreiben vom 22. Mai 2013 als letzten ihnen vorliegenden Gewerbesteuermessbescheid denjenigen vom 20. März 2010 (richtig 26. März 2010). Ein etwa ohne Grundlagenbescheid ergangener Gewerbesteuerbescheid einer Kommune ist allerdings nur rechtswidrig, aber nicht nichtig,
54vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2009 – 12 A 1985/07 –, mit welchem ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil der Kammer (25 K 2072/06), welches eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Gewerbesteuerbescheides abgewiesen hatte, abgelehnt worden ist.
55Mangels Klageerhebung in der nach ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung eröffneten Klagefrist sind die Bescheide vom 10. Mai 2013 mithin bestandskräftig geworden und ist die zu erlassende Steuerforderung und Zinsforderung – wieder – entstanden.
56Das Rechtsschutzinteresse entfällt ferner nicht deshalb, weil die Klägerin die Steuerforderung 2003 einschließlich der steuerlichen Nebenleistungen inzwischen gezahlt hat und der Anspruch der Beklagten aus dem Steuerschuldverhältnis damit erloschen ist, § 47 AO. Denn würde die Beklagte nachträglich zum Erlass der Steuerforderung und der Zinsforderung verpflichtet, entfiele nachträglich der Rechtsgrund dieser Zahlung und entstünde ein Erstattungsanspruch der Klägerin, § 37 Abs. 2 Satz 2 AO.
57Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Erlass bzw. auf die hilfsweise begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung und wird durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
58Nach § 227 AO - anwendbar über §§ 3 Abs. 2, 1. Abs. 2 Nr. 5 AO – können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung der Behörde nach dieser Norm darüber, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig ist, stellt eine Ermessensentscheidung dar, die von den Gerichten nur in den durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Der Maßstab der Billigkeit bestimmt dabei Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Unbilligkeit der Einziehung kann sich dabei aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen ergeben. Ist die Ablehnung des Billigkeitserlasses rechtswidrig, weil die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, darf das Gericht in der Regel bloß die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass bloß eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung der Behörde zum Erlass aussprechen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
59Grundlegend GmS-OGB, Beschluss vom 19. Oktober 1971 – Gms-OGB 3/70 –, NJW 1972 S. 1411.
60Die Ermessensentscheidung der Beklagten kann vom Gericht in den Grenzen des § 114 VwGO nur beschränkt überprüft werden, nämlich nur auf Ermessensfehler, nämlich ob die Behörde ihr Ermessen gesehen hat, ob sie von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (korrespondierend § 5 AO). In Anwendung dieser Kriterien erweist sich die ablehnende Entscheidung der Beklagten als ermessensfehlerfrei.
61Die Beklagte hat ausweislich der Begründung ihres ablehnenden Bescheides das ihr eingeräumte Ermessen gesehen; sie hat mehrfach ausgeführt, dass sie eine Abwägung zwischen dem Interesse der Klägerin und dem öffentlichen Interesse an der Zahlung der Steuerschuld vorgenommen hat.
62Die Beklagte ist auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dies gilt zunächst hinsichtlich des in dem Bescheid der Abwägung zugrundegelegten Gewinns in Höhe von ca. 31 Mio. Euro, den die Klägerin im Zeitraum von 2004 bis 2012 erzielt habe. Der in den Gewerbesteuermessbescheiden des Finanzamts L. für die Jahre 2004 bis 2011 jeweils ausgeworfene Gewinn aus Gewerbebetrieb stellt sich zusammen bereits auf 34.420.762,-- Euro. Die Beklagte ist der Aufstellung der Klägerin im Schreiben vom 22. Mai 2013 gefolgt, in welcher diese die Jahresergebnisse für die Jahre 2004 bis 2012 auf insgesamt 31.891.683,64 Euro beziffert. Dass die Beklagte ferner darauf abgestellt hat, die Klägerin habe in jüngster Zeit erhebliche Investitionen zur Erweiterung und Modernisierung des Betriebes getätigt, entspricht ebenfalls der eigenen Angabe der Klägerin in dem vorgenannten Schreiben vom 22. Mai 2013.
63Die Beklagte ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass sie die Sachlage – die Rechtslage hinsichtlich § 227 AO ist seit Jahrzehnten unverändert – des Jahres 2013 ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat; entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht auf die Sachlage im Jahre 2003 an.
64Maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Steuererlass aus Billigkeitsgründen ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Entscheidung über einen Billigkeitserlass eine Ermessensentscheidung ist und die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung nur von Tatsachen und Verhältnissen abhängen kann, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorgelegen haben,
65so OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2010 – 14 A 121/10 –; ebenso kürzlich VG Münster, Urteil vom 21. Mai 2014 – 9 K 1251/11 – (ebenfalls zum Sanierungserlass).
66Abgesehen vom maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung hat das OVG NRW damit zugleich ausgeführt, dass es auf die Tatsachen und Verhältnisse ankommt, so wie sie im Zeitpunkt der Behördenentscheidung (und nicht mehrere Jahre davor) gegeben waren. Dies entspricht allgemeinen Grundsätzen zur Verpflichtungsklage, bei der es darauf ankommt, ob im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung der geltend gemachte Anspruch besteht –
67vgl. z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 113 Rdn. 217,
68bzw. hier im maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung bestanden hat. Auf eine in der Vergangenheit liegende Sachlage – und ggf. Rechtslage – kommt es lediglich bei Zeitabschnittsgesetzen an (z.B. Bestehen eines Subventionsanspruchs in einem bestimmten Zeitraum während der Gültigkeit einer später aufgehobenen Subventionsnorm), wo auch später noch nach den Tatbestandsmerkmalen einer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr geltenden Norm entschieden werden kann,
69vgl. z.B. Kopp/Schenke a.a.O. Rdn. 221.
70Eine solche Sachlage ist hier nicht gegeben.
71Die Beklagte hat schließlich eine sachliche Unbilligkeit im Fall der Klägerin ermessensfehlerfrei verneint. Eine solche ist gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass dieser die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Da § 227 AO eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift nicht ersetzen kann, liegt keine sachliche Unbilligkeit vor, wenn dieser die Härten gesehen und bewusst in Kauf genommen hat.
72Vgl. etwa BFH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII R 2/08 -, juris, Rn. 8; BFH, Urteil vom 14. Juli 2010 - X R 34/08 -, juris, Rn. 28; BFH, Urteil vom 27. Mai 2004 - IV R 55/02 -juris, Rn. 16; BFH, Urteil vom 5. Juni 1996 - X R 234/93 -, juris, Rn. 13; Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 227 AO Rn. 40; VG Münster, Urteil vom 21. Mai 2014 a.a.O..
73Die Beklagte hat zunächst fehlerfrei darauf abgestellt, dass sie an den Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. März 2003 nicht gebunden ist. Dieser Erlass ist an die Finanzbehörden gerichtet, nicht an die Kommunen, wie in Nr. 15 des Erlasses ausdrücklich hervorgehoben wird mit Betonung der Zuständigkeit der Gemeinden für den Erlass von Gewerbesteuer. Dies entspricht der Entwicklung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung seit dem Urteil im vorangegangenen Verfahren vom 4. April 2011 – 25 K 3591/10 –, in welchem die Kammer noch darauf hingewiesen hatte, dass eine unternehmensbezogene Sanierung (im Unterschied zur unternehmerbezogenen Sanierung) vorgelegen haben dürfte. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verneint eine Bindung der Gemeinden an den Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen,
74vgl. z.B. Hess. VGH, Beschluss vom 18. Juli 2012 – 5 A 293/12.Z –; Sächs. OVG, Beschlüsse vom 12. April 2013 – 5 A 142/10 –, vom 2. September 2010 – 5 B 555/09 – und vom 21. April 2010 – 5 B 518/09 –; dem Sächs. OVG folgend: OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2011 – 9 ME 216/10 –; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 2. Mai 2013 – 5 K 5900/12 –; VG Münster, Urteil vom 21. Mai 2014 a.a.O.; der Sanierungserlass des Bundesministeriums der Finanzen wird hingegen herangezogen, allerdings nicht im Sinne einer Bindung, bei VG Halle, Urteil vom 22. Juni 2011 – 5 A 289/09 – und VG Greifswald, Urteil vom 19. März 2013 – 2 A 788/11 –.
75Die Beklagte hat im übrigen bereits in ihrer Aufforderung vom 25. April 2013 zur Vorlage von Unterlagen zum Erlassantrag zu erkennen gegeben, dass sie die Kriterien des Sanierungserlasses des Bundesministeriums der Finanzen (Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, Sanierungseignung des Schulderlasses und Sanierungsabsicht der Gläubiger) berücksichtigt; die Anwendung dieser Kriterien wird in der Klageerwiderung vom 22. August 2013 ausdrücklich bestätigt. Die Beklagte ist allerdings – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht auf die Anwendung dieser Kriterien beschränkt. Sie darf ermessensfehlerfrei weitere, gemäß § 5 AO vom Zweck des § 227 AO gedeckte, Erwägungen anstellen. So können die Gemeinden als weitere Faktoren z.B. heranziehen die regionalwirtschaftliche bzw. fiskalische Bedeutung eines Unternehmens, die Verhinderung städtebaulich unerwünschter Leerstände, die Rettung von Arbeitsplätzen,
76vgl. Gehm, Die gewerbesteuerrechtliche Behandlung von Sanierungsgewinnen, KStZ 2014 S. 6, 10 f..
77Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei weitere, über den Sanierungserlass hinausgehende Erwägungen angestellt. Die Beklagte hat zunächst ermessensfehlerfrei darauf abgestellt, dass die Besteuerung des Sanierungsgewinns vom Gesetzgeber durch die Streichung des § 3 Nr. 66 EStG bewusst in Kauf genommen und angeordnet worden ist;
78eine solche Erwägung bestätigen Hess. VGH, Beschluss vom 18. Juli 2012 a.a.O., und VG Münster, Urteil vom 21. Mai 2014 a.a.O.; im gleichen Sinne Sächs. FG, Urteil vom 4. April 2013 – 6 K 211/09 –.
79Die Beklagte hat ferner in ihrer Klageerwiderung dargelegt, dass sie bei ihrer Ermessensentscheidung bei Erlassentscheidungen verfassungsrechtliche Grundsätze beachtet, nämlich die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, das Willkürverbot und das Übermaßverbot. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat die Beklagte im ablehnenden Bescheid darauf abgestellt, dass Billigkeitsgründe bei einer Existenzgefährdung des Steuerpflichtigen gegeben seien, und hat dies im konkreten Fall der Klägerin abgelehnt, weil die wirtschaftliche Situation der Klägerin sich seit dem Jahr 2003 wesentlich verbessert hat und ein Erlass der Gewerbesteuer 2003 damit nicht mehr erforderlich zur Rettung des Unternehmens ist;
80vgl. auch Gehm a.a.O. S. 10, der betont, dass der Erlass der Steuer selbst zur Sanierung beitragen muss.
81Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei ihrer Interessenabwägung in dieser Lage dem öffentlichen Interesse an der Zahlung der Steuern den Vorrang eingeräumt hat.
82Ermessensfehlerfrei ist auch die weitere Erwägung im ablehnenden Bescheid, dass die Klägerin seit mehr als 7 Jahren Gelegenheit gehabt habe, Rücklagen zur Begleichung einer für das Jahr 2003 jedenfalls zu erwartenden Gewerbesteuerschuld zu bilden. Auch hierbei ist die Beklagte von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen. Eine erste Gewerbesteuerforderung für das Jahr 2003 war bereits in sechsstelliger Höhe im Jahr 2005 festgesetzt worden. Fehlerfrei ist auch die Erwägung, dass die Klägerin nicht darauf vertrauen durfte, einem Erlassantrag werde entsprochen werden. Auch war die Bildung von Rücklagen aus den in der Folgezeit erzielten Überschüssen tatsächlich möglich.
83Ob die im Schriftsatz der Beklagten vom 27. März 2014 angeführte weitere Erwägung, die Klägerin habe ihre Sanierungsbedürftigkeit durch Fehler der Unternehmensspitze selbst verschuldet – die Klägerin tritt dieser Erwägung mit Schriftsatz vom 6. Mai 2014 dezidiert entgegen, die Beklagte führt im Schriftsatz vom 3. Juni 2014 aus, dieser Aspekt sei nur „gering bewertet“ worden –, ermessensfehlerfrei ist, bedarf keiner weiteren Erörterung, da diese Erwägung in dem ablehnenden Bescheid selbst, der allein der gerichtlichen Prüfung unterliegt, nicht angestellt worden ist.
84Persönliche Billigkeitsgründe hat die Klägerin selbst in ihrem Schreiben vom 22. Mai 2013 schon verneint. Die Beklagte hat im ablehnenden Bescheid den Erlass unter dem Aspekt persönlicher Billigkeitsgründe gleichwohl geprüft und ermessensfehlerfrei abgelehnt, da auch nach Aktenlage persönliche Billigkeitsgründe nicht ersichtlich seien.
85Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch auf Erlass der Gewerbesteuer- und der Gewerbesteuerzinsforderung aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Der Gleichheitsgrundsatz ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird. Insoweit ist zunächst anzumerken, dass das Ermessen der Behörde bei Erlassanträgen nach § 227 AO kein „intendiertes Ermessen“ ist, wie es etwa den Bauaufsichtsbehörden von § 61 BauO NRW hinsichtlich des Einschreitens gegen baurechtswidrige Vorhaben eingeräumt ist; in diesem Bereich entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass die Bauaufsichtsbehörde – werden mehrere gleichgelagerte Verstöße festgestellt – gegen alle Verstöße einschreiten muss; schreitet sie nur gegen einen Störer ein, so ist dies regelmäßig ermessensfehlerhaft. Im Fall des § 227 AO handelt es sich nicht um ein – in Richtung Gewährung des Erlasses – intendiertes Ermessen.
86Die Klägerin stützt sich in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf, dass die Beklagte dem L1. V. im Jahre 2013 Erlass einer Gewerbesteuerforderung gewährt hat; dieser ist nach der eigenen Internet-Mitteilung des L1. V. in Höhe von 102.591,-- Euro bei einer Gewerbesteuerforderung gewährt worden, die durch Wegfall von Verbindlichkeiten im Rahmen eines Insolvenzverfahrens im Jahre 2006 entstanden war. Der hierauf zielende, in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag Nr. 1 (S. 4 des Schriftsatzes vom 25. Februar 2014) war abzulehnen, da die Gewährung des Erlasses an den L1. V. unstreitig ist; der Vertreter der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung den Erlass als solchen bestätigt. Hieraus ergibt sich indes nichts zugunsten der Klägerin. Zwar ist die Ausgangssituation bei den Fällen der Klägerin und des L1. V. gleich: In beiden Fällen sind Gewinne durch Forderungsverzicht entstanden, in beiden Fällen bestand Sanierungsbedürftigkeit. Allerdings ist die Entscheidung im Falle der Klägerin ausschließlich nach dem Maßstab der sachlichen Unbilligkeit getroffen worden; die Klägerin selbst hatte persönliche Unbilligkeitsgründe verneint. Hinsichtlich des L1. V. hat die Beklagte allerdings im Schriftsatz vom 3. Juni 2014 ausgeführt „Bei der Entscheidung zum Billigkeitserlass des L1. wurde nicht nur auf die sachliche Unbilligkeit abgestellt; in diesem konkreten Einzelfall konnten persönliche Billigkeitserwägungen nicht außer Acht gelassen werden“. Dies bedeutet, dass im Fall des L1. V. kein wesentlich gleicher Sachverhalt gegeben ist. Dies ist auch aus allgemein bekannten Tatsachen plausibel. Der L1. V. , vormals C. V. , spielt derzeit in der Fußball-Regionalliga. Er ist gegründet im Jahre 1905 und hat für L. -V. eine ähnliche Bedeutung wie T. für H. , dies aufgrund „ruhmreicher Vergangenheit“ von C. V. insbesondere aus den 1980er Jahren mit Zugehörigkeit zur 1. Fußball-Bundesliga, einmaligem Gewinn des DFB-Pokals und Auftritten im Europapokal der Pokalsieger. Wenn die Gemeinde bei einem derartigen, für Teile der Bevölkerung identitätsstiftenden Fußballverein zur Vermeidung der Insolvenz durch Erlass einer Gewerbesteuerforderung aufgrund von Erwägungen persönlicher Billigkeit beiträgt, ist dies nachvollziehbar.
87Die Klägerin stützt sich in der mündlichen Verhandlung ferner darauf, dass die Beklagte vor einigen Jahren auch dem L2. -Konzern durch Sanierungsgewinn entstandene Gewerbesteuer erlassen habe. Der hierauf zielende, in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag Nr. 2 war abzulehnen, da die Gewährung des Erlasses an den L2. -Konzern, der bereits in der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2011 im Verfahren 25 K 3591/10 erörtert worden war, unstreitig ist. Auch insoweit liegt kein gleich gelagerter Sachverhalt vor. Denn nach Mitteilung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2011 hat es sich im Fall L2. in L. nur um einen vergleichsweise unbedeutenden Betrag von ca. 3.000,-- Euro gehandelt; die gegen die Klägerin bestehende Forderung in der Größenordnung von ca. 700.000,-- Euro ist damit nicht vergleichbar. Im übrigen ist dem Gericht bekannt, dass im Fall der Sanierung des L2. -Konzerns die Besonderheit bestanden hat, dass wegen der Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrages auf alle Gemeinden, in denen Betriebsstätten bestanden hatten (§ 28 Abs. 1 GewStG), eine Vielzahl von Gemeinden sich mit dem Erlass von Gewerbesteuerforderungen gegen den L2. -Konzern befassen mussten und dass zwecks Sanierung des Unternehmens sämtliche Gemeinden dem Erlass zugestimmt haben. Auch aus diesem Grunde liegt mithin kein vergleichbarer Sachverhalt vor.
88Der weitere in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag Nr. 3, alle Unterlagen der Beklagten über den Gewerbesteuererlass in den Fällen des L1. V. und des L2. -Konzerns vorlegen zu lassen, war hiernach mangels rechtlicher Erheblichkeit ebenfalls abzulehnen.
89Schließlich waren die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge Nr. 4 „der Beklagten aufzugeben, eine Zusammenstellung ihrer Entscheidungen über Gewerbesteuererlasse aufgrund Sanierungsgewinns der letzten 20 Jahre zur Verfügung zu stellen und entsprechende Unterlagen vorzulegen“ (bzw. jedenfalls die Akten aus den letzten 10 Jahren vorzulegen) und Nr. 5 „die Akten der Beklagten über die genannten Fälle (L1. V. , L2. sowie die zuletzt genannten Fälle in der Aufstellung aus den letzten 20 Jahren) zum hiesigen Verfahren beizuziehen“ abzulehnen, da beide unzulässige Ausforschungsanträge darstellen.
90Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, zumindest die mit dem Zinsbescheid vom 10. Mai 2013 festgesetzten Nachforderungszinsen von 230.035,-- Euro zu erlassen. Insoweit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen, dass die Beklagte zunächst falsch entschieden habe; deshalb müssten die Zinsen erlassen werden. Hieraus ergibt sich kein möglicherweise zu einem Erlass führender sachlicher Billigkeitsgrund. Die Verzinsung gemäß § 233 a AO ist vom Gesetzgeber gewollt. Die überlange Dauer eines Verfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung kein Grund, der die Rechtswidrigkeit eines Zinsbescheides begründen könnte; ebenso kommt es nicht darauf an, ob die lange Bearbeitungsdauer auf einem Verschulden auf Behördenseite beruht,
91vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 31. Januar 2008 – VIII B 253/05 – m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 2. Februar 1994 – 22 A 321/99 –.
92Der Erlass gemäß § 227 AO ist kein Instrument, die vom Gesetzgeber gewollte Regelung im Ergebnis außer Kraft zu setzen. Auch Gründe persönlicher Billigkeit vermögen den Erlass der Zinsen nicht zu rechtfertigen, dies auch nicht unter dem Aspekt, dass im konkreten Fall der Klägerin die Grundsatzfrage, welche Behörde – Finanzamt oder Gemeinde – für die Billigkeitsmaßnahmen zuständig ist, in einem mehrere Jahre andauernden Verfahren entschieden worden ist. Die Klägerin hätte die Entstehung der Zinsen im wesentlichen schon dadurch vermeiden können, dass sie die mit Bescheid vom 3. Juni 2005 in Höhe von damals schon 453.662,-- Euro festgesetzte Gewerbesteuerforderung für 2003 bei Fälligkeit hätte bezahlen können. Die Gewinnsituation ab 2004 hätte dies ermöglicht; sie hätte unbeschadet dessen das Erlassbegehren weiter verfolgen können.
93Ergänzend sei angemerkt, dass auch die Höhe des Zinssatzes von jährlich 6 % jüngst vom OVG NRW als verfassungsmäßig bestätigt worden ist,
94OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 14 A 1196/13 –; hiermit ist der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein klageabweisendes Urteil der Kammer (25 K 6604/12) abgelehnt worden.
95Der Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Da der ablehnende Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Neubescheidung über ihren Erlassantrag.
96Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.