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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks M.--------straße 2 in E. , das sie im Dezember 1993 erworben haben. Das Grundstück ist etwa 30 Meter von der Eisenbahnstrecke P. -B. (Kursbuchstrecke 420) entfernt. Die 1856 in Betrieb genommene zweigleisige Strecke ist Teil des transeuropäischen Netzes von Güterverkehrsstrecken gem. Art. 170 AEUV und verbindet den Ballungsraum Rhein/Ruhr mit den Niederlanden. Dort wird sie durch die Strecke nach Arnhem weitergeführt, von der bei Zevenaar die sog. Betuwelinie abzweigt, die bis zum Hafen Rotterdam führt. Insoweit bildet die Verbindung P. – F. einen Teil der überregionalen Strecke Rotterdam-Genua. Die Beigeladene plant einen Ausbau in mehreren Stufen, bei dem insbesondere ein drittes Gleis gebaut werden soll. Hierzu sind Planfeststellungsverfahren eingeleitet.
3Die Kläger beanstanden Lärmimmissionen durch die Strecke. Insbesondere nachdem am 2. Oktober 1992 die niederländische und die deutsche Regierung den Vertrag von Warnemünde geschlossen hätten, sei es zu einer Steigerung des Güterverkehrs ‑ von 813 Waggons pro Tag im Jahre 1994 über 1.818 Waggons im Jahre 2003 auf 3.170 Waggons im Jahre 2009 – gekommen. Die Kläger nehmen insoweit Bezug auf Zählungen einer Bürgerinitiative. Die Richtwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) von 59/49 dB (A) seien ebenso überschritten wie die Schwellenwerte eines Grundrechtseingriffes (70/60 dB (A)). Aktuelle Messungen in einem Abstand von 25 Meter zur Gleisachse zeigten, dass es zu einem Dauerschallpegel von 76 dB (A) komme. Selbst unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen unzulässigen sog. „Schienenbonus“ nach der Anlage 2 zur 16. BImSchV seien sowohl tags als auch nachts die Grenzen überschritten, die die Schwelle eines enteignungsgleichen Eingriffs und eines Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit markierten. So bewirke der Betrieb der Bahnstrecke am nächstgelegenen Wohnraumfenster ihres Hauses einen nächtlichen Mittelungspegel von mehr als 60 dB(A), im Schlafraum auch bei geschlossenem Fenstern Pegelspitzen von über 40 dB(A). Da sie, die Kläger, aufgrund medizinischer Indikation seit vielen Jahren bei geöffnetem Fenster schliefen, würden sie durch den Verkehrslärm in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Der Bahnbetrieb bewirke, dass sie nachts nicht schlafen könnten und morgens übernächtigt aufwachten. Es sei anerkannt, dass nächtlicher Verkehrslärm über 50 dB(A) auf Dauer Gesundheitsschäden hervorrufe. Die Klägerin habe bereits insoweit Schäden davongetragen, als sie unter zu hohem Blutdruck leide. Die Beigeladene erkenne einen Anspruch auf Lärmminderung nicht an, obwohl sie zahlreiche zumutbare Abhilfemöglichkeiten habe wie Reduzierung der Zuggeschwindigkeiten, Ausschließen bestimmter Güterwagen von der Beförderung zumindest zur Nachtzeit, regelmäßiges Schleifen der Schienen im Rahmen des „besonders überwachten Gleises“, Einbau elastischer Schienenlager und Bau einer Lärmschutzwand. Die Erschütterungen durch den Zugverkehr verursachten Risse an einem Haus in der Nachbarschaft. Es fehle zwar an einer Ermächtigungsgrundlage für das Eisenbahn-Bundesamt, die Beigeladene zu Lärmschutzmaßnahmen zu verpflichten, indessen könnten sie, die Kläger, ihren Anspruch unmittelbar auf die Grundrechte nach Artikel 1, 2, 14 GG und die Menschenrechte nach der Europäischen Menschenrechtskonvention stützen. Die Beklagte verletze diese Rechte durch Untätigkeit unter Missachtung ihrer Schutzpflicht. So habe sie Maßnahmen gegen die Beigeladene mit Bescheid vom 21. Juni 2012 abgelehnt. Zwar seien konkrete Vorgaben, wie die staatliche Schutzpflicht im Einzelnen umzusetzen sei, der Verfassung nicht zu entnehmen, jedoch sei die Tätigkeit staatlicher Organe hier evident unzureichend. Zudem sei die Beigeladene als Staatsunternehmen auch unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Die Kläger stellen ihre Behauptungen zur Verkehrsfrequenz, den hervorgerufenen Lärmwerten und den damit verbundenen Folgen unter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
4Die Kläger beantragen,
5die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Juni 2012 zu verpflichten, zu ihrem Schutz der Beigeladenen eine Minderung der Immissionen durch Bahnlärm bis zu einem Wert von nachts 50 dB(A), hilfsweise 55 dB(A), weiter hilfsweise 60 dB(A) am nächstgelegenen teilgeöffneten Schlafraumfenster (ermittelt nach der TA-Lärm, hilfsweise nach der 16. Bundes-Immissionsschutzverordnung für einen achtstündigen Nachtzeitraum ohne Berücksichtigung des Schienenbonus) durch Maßnahmen des aktiven Schallschutzes aufzugeben und sie weiter zu verpflichten, die sofortige Vollziehbarkeit ihrer Verfügung anzuordnen,
6hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Juni 2012 zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte und die Beigeladene führen aus, das Gebäude der Kläger liege an dem sechs km langen Streckenabschnitt PFA 1.3 (E. ), für den das Planfeststellungsverfahren zum Ausbau der Strecke im April 2012 eingeleitet worden sei. Infolge der wesentlichen Änderung der Strecke werde der gesetzliche Anspruch auf Lärmvorsorge nach §§ 41 f BImSchG in Verbindung mit der 16. BImSchV zum Tragen kommen. Die aktuelle Lärmbetroffenheit der Kläger werde zwar nicht in Abrede gestellt, es sei jedoch unwahrscheinlich, dass an ihrem Wohnhaus tags und nachts Schallimmissionen mit einem Dauerschallpegel von 76 dB (A) festzustellen seien. Die vorgelegten Messungen wiesen für die Tagstunden selbst ohne Berücksichtigung des Schienenbonus Werte aus, die praktisch durchgehend unterhalb der Grenze von 70 dB (A) lägen. Nähere Angaben zu den während der Nachtzeit im Rauminneren auftretenden Werten fehlten. Auch werde nicht dargelegt, zu welcher Seite die Schlafräume der Kläger gelegen seien und welche Möglichkeiten einer architektonischen Selbsthilfe sie hätten. Es fehle im Hinblick auf den Lärm durch die vorhandene Strecke an einer einfachgesetzlichen Grundlage, die ihr, der Beklagten, ein Einschreiten gegen die Beigeladene ermöglichen könnte. Erst bei der geplanten wesentlichen Änderung des Schienenweges könne auf Einhaltung der Grenzwerte der 16. BImSchV gedrungen werden. Damit könne aber in absehbarer Zeit gerechnet werden. Ansprüche bestünden auch nicht nach § 75 Abs. 2 VwVfG im Hinblick auf nicht voraussehbare Wirkungen eines früheren Planfeststellungsbeschlusses. Diese Vorschrift komme hier nicht zur Anwendung, weil sie keine Entscheidungen erfasse, die vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes unanfechtbar geworden seien. Im Hinblick auf etwaige zivilrechtliche Ansprüche auf Lärmschutz hilfsweise Geldausgleich schwebe zwischen Klägern und Beigeladener ein Verfahren vor dem Landgericht Duisburg. Unmittelbare grundrechtsgestützte Ansprüche bestünden nicht, weil Schutzpflichten erst dann verletzt würden, wenn Maßnahmen entweder überhaupt nicht getroffen würden oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, das Schutzziel zu erreichen. Davon könne schon deshalb keine Rede sein, weil in §§ 41 f BImSchG und den Vorschriften zur Lärmminderungsplanung nach § 47a BImSchG Regelungen zum Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm getroffen worden seien. Die Herausnahme des Bereichs der Lärmsanierung und die Durchführung freiwilliger nach der jeweiligen Betroffenheit priorisierter Programme nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel sei eine vertretbare Entscheidung, die einen Verstoß gegen das Untermaßverbot nicht erkennen lasse. Der Gesetzgeber habe mit der Herausnahme der Lärmsanierung ohne Verstoß gegen das Verfassungsrecht zum Ausdruck gebracht, dass Dritten bei einer Steigerung der Lärmbelastung aufgrund allgemein zunehmenden Verkehrsaufkommens oder aufgrund einzelner verkehrserhöhender Ereignisse, keine öffentlich-rechtlichen Schutzansprüche zustünden. Soweit im Übrigen unzumutbarer Lärm von mehr als 60 bis 65 dB (A) zur Nacht geltend gemacht werde, bleibe zu berücksichtigen, dass das Grundstück durch die seit langer Zeit bestehende Bahnlinie vorgeprägt sei. Ein Anspruch auf Schlafen bei gekipptem oder gänzlich geöffnetem Fenster stehe den Klägern nach der Rechtsprechung nicht zu. Gegebenenfalls müssten technische Belüftungseinrichtungen installiert werden, um eine ausreichende Frischluftzufuhr zu gewährleisten.
10Entscheidungsgründe:
11Die Klage ist unbegründet.
12Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, die näher bezeichneten Richtwerte zur Nachtzeit gegenüber der Beigeladenen anzuordnen oder ihren Antrag erneut zu bescheiden.
13Dem steht allerdings nicht schon entgegen, dass es an einer Anordnungsbefugnis des Eisenbahnbundesamtes fehlt, soweit Rechtsverstöße durch die Beigeladene gegen Lärmschutzbestimmungen gerügt werden.
14Gegen eine Befugnis, in einem solchen Fall einzuschreiten, dürfte nicht mit Erfolg eingewandt werden können, dass § 5a AEG lediglich Maßnahmen zur Bekämpfung eisenbahnspezifischer Gefahren ermöglicht, zu denen Lärmgefahren nicht gehörten (vgl. in diesem Sinne etwa VG Hannover, Urteil vom 26. Januar 2010 – 4 A 888/09 –, juris; VG Würzburg, Urteil vom 9. Juni 2010 – B 6 K 09.341 –, juris). Der Gesetzgeber wollte mit § 5a AEG eine allgemeine Befugnisnorm der Eisenbahnaufsichtsbehörden schaffen (vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2010 – 13 A 29/10 –). Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass das Gesetz nicht so ausgelegt werden dürfe, dass das widersinnige Ergebnis eintrete, dass das Eisenbahnbundesamt seinen Aufgaben mangels Befugnisnorm nicht gerecht werden könne, während die allgemeinen Gefahrenabwehrbehörden mangels Zuständigkeit am Tätigwerden gehindert wären (BVerwG, NVwZ 1995, 379). Dass Lärmimmissionen von einer Eisenbahnanlage nicht als „nicht eisenbahnspezifische“ Gefahren von vornherein aus dem Zuständigkeitsbereich der Eisenbahnbehörden herausgenommen werden können, zeigt sich gerade an dem Umstand, dass im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens die Immissionen einer Verkehrsanlage zentrale Bedeutung haben (vgl. offenlassend OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2013 – 16 A 434/11 –, S. 6 ff).
15Anweisungen können grundsätzlich sämtliche negativen Abweichungen vom gesetzlichen Sollzustand zum Gegenstand haben (vgl. OVG NRW, a.a.O., Beschluss vom 28. Mai 2013, S. 7). Die Rechtslage hat sich nach der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts insofern geändert, als nunmehr aus § 5a AEG eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage entnommen werden kann. Diese verweist auf die in § 5 Abs. 1 genannten Vorschriften. Hier wird lediglich auf die Regelungen des AEG und der darauf beruhenden Rechtsverordnungen sowie das Recht der Europäischen Union, soweit es Gegenstände des Gesetzes oder der Verordnung EG NR. 1371/2007 betrifft, sowie auf zwischenstaatliche Vereinbarungen Bezug genommen, soweit sie Gegenstände dieses Gesetzes betreffen. Gleichwohl dürfte eine Interpretation des § 5a AEG weiter möglich sein, die auch die Einhaltung gesetzlicher Lärmschutzvorgaben ermöglicht. Denn die genannten Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts für eine umfassende Anordnungsbefugnis des Eisenbahnbundesamtes verlangen nach wie vor Beachtung. Dies bedarf jedoch hier keiner Vertiefung, weil eine Verpflichtung des Eisenbahnbundesamtes jedenfalls im Hinblick darauf ausscheidet, dass es an einer Verletzung des Rechts zu Lasten der Kläger aufgrund des Betriebs der Eisenbahnlinie durch die Beklagte fehlt. Dabei kommt es aus Rechtsgründen nicht auf die Richtigkeit der von den Klägern unter Beweis gestellten Behauptungen an.
16Eine Verpflichtung zur Beachtung der im Klageantrag genannten Grenzwerte ergibt sich nicht aus § 41 BImSchG. Nach § 41 Abs. 1 BImSchG ist beim Bau und der wesentlichen Änderung von Eisenbahnen sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Ungeachtet der Frage, ob § 1 Abs. 2 der 16. BImSchV mit der baulichen Erweiterung eines Schienenweges um ein oder mehrere durchgehende Gleise den Begriff der wesentlichen Änderung abschließend erfasst, erfordert § 41 BImSchG jedenfalls einen Eingriff in die Substanz des Verkehrsweges (vgl. Jarass, BImSchG, Kommentar, 9. Auflage 2012, § 41 BImSchG Rn. 20). Aus der Norm ergibt sich dagegen keine Dauerverpflichtung des jeweiligen Baulastträgers, durch Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes Überschreitungen der Grenzwerte der 16. BImSchV entgegenzutreten (vgl. Jarass, a.a.O., § 41 BImSchG Rn. 4). Der Bundesgesetzgeber wollte die „schleichende“, nicht durch Maßnahmen des Baulastträgers veranlasste oder ausgelöste Veränderung der Verkehrsfunktion und damit die Steigerung des Verkehrslärms nur als eine Frage künftiger Lärmsanierung erfasst sehen (vgl. BVerwG, NVwZ 1995, 907 (908)).
17Auch aus § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG können die Kläger keinen Anspruch auf Einschreiten herleiten. Nach dieser Vorschrift können dem Betroffenen Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen auferlegt werden, die zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind, wenn nicht voraussehbare Wirkungen eines Planfeststellungsbeschlusses auftreten. Hier fehlt es an einem Planfeststellungsbeschluss, der nach dem Inkrafttreten des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG bzw. seiner Vorgängerregelung § 17 Abs. 6 S. 2 FStrG am 7. Juli 1974 erlassen wurde. Für frühere Beschlüsse gilt die Regelung nicht (vgl. BVerwG, NVwZ 2007, 827). Allerdings kommt ein Anspruch auf Erlass von Schutzanordnungen auch dann in Betracht, wenn der Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses unterbleibt. Denn ein Betroffener kann dann, wenn ein Planfeststellungsverfahren rechtswidrig nicht durchgeführt wird, einen Auflagenanspruch auch außerhalb des Planfeststellungsverfahrens durchsetzen, wenn bei gebotener Durchführung des Planfeststellungsverfahrens ein Anspruch auf Anordnung einer Schutzauflage hätte geltend gemacht werden können (vgl. BVerwG, NJW 1981, 239). Indessen fehlt es bislang an Baumaßnahmen, die die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens gebieten würden.
18Die Verkehrssteigerung auf der hier betroffenen Linie P. – F. kann ferner nicht als unmittelbare Folge einer Baumaßnahme auf niederländischem Gebiet angesehen werden, die deshalb die Maßstäbe des § 41 BImSchG auch auf dem Gebiet der Beklagten auslöst. Wie sich aus den umfangreichen Planungen der Beigeladenen für die 70 km lange Strecke zwischen der deutsch-niederländischen Grenze und P. ergibt, handelt es sich bei den auf deutscher Seite durchzuführenden Baumaßnahmen um eigenständige Maßnahmen im Sinne des § 41 BImSchG, die allerdings erst bei ihrer Durchführung entsprechende Lärmschutzverpflichtungen der Beigeladenen auslösen können (vgl. etwa zu einer fehlenden Zurechnung von Baumaßnahmen in einem anderen Abschnitt VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25. April 2012 – 5 S 927/10 –, juris). Die Betuwelinie stellt keinen anderen Abschnitt einer einheitlichen Strecke P. – Rotterdam dar. Das zeigt schon der Umstand, dass die Strecke P. – F. nach der Grenze nach Arnhem weiterführt und die Betuwelinie von dieser vorhandenen Strecke abzweigt. Selbst wenn bereits der Ausbau der Betuwelinie als Baumaßnahme angesehen werden könnte, die auf der Strecke P. – F. nachteilige Folgen für die Anlieger auslöste, hätte dies allenfalls jenem Ausbau entgegengehalten werden können.
19Aus der fehlenden Existenz von Verbotsnormen lässt sich auch kein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Schutzpflichten aus Artikel 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG herleiten. Ein solcher Verstoß würde erstens voraussetzen, dass kein ausreichender Schutz durch die gegenwärtig vorhandenen staatlichen Maßnahmen besteht, und zweitens, dass nur die von den Klägern gewünschte Maßnahme Gegenstand des zu erlassenden Gesetzes sein dürfte oder jedenfalls – falls das Gesetz zumindest zum Einschreiten nach Ausübung des behördlichen Ermessens verpflichten müsste – allein das gewünschte Handeln rechtmäßiger Ermessensausübung entspräche.
20Bereits die erste Voraussetzung ist nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings nicht nur ein subjektives Abwehrrecht, vielmehr begründet die Norm auch verfassungsrechtliche Schutzpflichten (vgl. BVerfGE 77, 170; BVerfGE 79, 174; BVerfGE 56, 54). Dabei ist zu beachten, dass bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht dem Gesetzgeber wie der vollziehenden Gewalt ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zukommt, der auch Raum lässt, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG a.a.O., E 79, 174). Die Entscheidung über die Reichweite des Schutzes, die häufig Kompromisse erfordert, gehört nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip in die Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers und kann von der Rechtsprechung in der Regel nur begrenzt nachgeprüft werden (vgl. BVerfGE 56, 54, Rn. 66). Eine Verletzung von Schutzpflichten kann erst dann festgestellt werden, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 79, 174, Rn. 82 und BVerfGE 77, 170, Rn. 101). Nur unter ganz besonderen Umständen kann sich die Gestaltungsfreiheit in der Weise verengen, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan werden kann (BVerfG a.a.O., E 77, 170, Rn. 101). Es kann nicht festgestellt werden, dass der Freiraum des Gesetzgebers hier überschritten wäre, weil Schutzmaßnahmen zugunsten lärmbetroffener Anlieger von Eisenbahnstrecken unzureichend ausgestaltet wären. Nach den gesetzlichen Regelungen ist von Lärmeinwirkungen der Betroffene gerade nicht schutzlos gestellt. Der Gesetzgeber ordnet im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens neuer Bauvorhaben eine umfangreiche Abwägung der betroffenen Interessen an. In diesem Zusammenhang gibt er auch bestimmte Grenzwerte in der 16. BImSchV auf der Basis des § 41 BImSchG verbindlich vor. Darüber hinaus sieht das Gesetz die Möglichkeit der Ergänzung planerischer Entscheidungen vor, wenn sich die planerische Prognose als nicht zutreffend erweisen sollte (vgl. § 75 Abs. 2 VwVfG). Dass das Gesetz keine dauerhafte Kontrolle sämtlicher bestehenden Schienenwege vorsieht, ist demgegenüber nicht offensichtlich fehlerhaft. Neben die Überwachung der Anlagen im Rahmen der Zulassung neuer Schienenwege treten Normen des Zivilrechts, aus denen sich in bestimmten Fällen Entschädigungsansprüche ergeben. Die Schutzpflichten des Art. 2 und des Art. 14 GG sind nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von der Verwaltung und der Judikative zu erfüllen (vgl. Gerhard, Michael, Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2007, S. 28). Können Verwaltung und Rechtsprechung auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsnormen die staatlichen Schutzpflichten in ausreichendem Maße erfüllen, kann ein auf staatliches Tun gerichteter Anspruch gegen den Gesetzgeber nicht bestehen (vgl. Gerhard, a.a.O.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dem Betroffenen ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Entschädigung zu, wenn Verkehrsimmissionen von hoher Hand erfolgen, ihre Zuführung nicht untersagt werden kann, sie sich als unmittelbarer Eingriff in nachbarliches Eigentum darstellen und sie die Grenze dessen überschreiten, was ein Nachbar nach § 906 BGB entschädigungslos hinnehmen muss (vgl. BGHZ 97, 114; NJW 88, 900; BGHZ 122, 76). Diese Enteignungsschwelle wird sowohl von der Rechtsprechung der Zivilgerichte als auch vom Bundesverwaltungsgericht bei 70 bis 75 dB (A) tags und 60 bis 65 dB (A) nachts angesetzt (vgl. BGH, NJW 1986, 1980; NJW 1993, 1700; BVerwG NVwZ 2007, 827; NVwZ 2007, 225 und NVwZ 2009, 29). Für den Bereich der Gesundheitsgefährdung sind dagegen die Innenraumpegel entscheidend. Der Dauerschallpegel, dem eine schlafende Person ausgesetzt ist, soll den Bereich zwischen 30 und 35 dB (A), Pegelspitzen eine Größenordnung von 40 dB (A) nicht überschreiten (vgl. BVerwG a.a.O., NVwZ 2007, 828, Rn. 29). Wenn diese Werte im Fall der Kläger überschritten sind, kann ihnen mithin gegebenenfalls vom Landgericht E1. eine Entschädigung zugesprochen werden. Eine solche Entschädigung ist nicht deshalb unzureichend, weil sie die Kläger nicht in die Lage versetzt, wie gewünscht bei offenem Fenster zu schlafen. Dieser Wunsch gehört nicht zum Kernbereich des grundrechtlich Gewährleisteten. Die Kläger müssen sich vielmehr entgegenhalten lassen, dass die Möglichkeit besteht, durch Belüftungsmaßnahmen einerseits und passive Schallschutzmaßnahmen andererseits Gesundheitsgefahren beim Schlafen zu vermeiden. (Vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 24. Juli 2008 ‑ 22 ZB 07.1938 –, juris; BVerwG, NVwZ 2004, 618). Der zivilrechtliche Anspruch aus enteignendem Eingriff stellt sich insoweit als Ergänzung des Schutzes durch § 41 BImSchG dar, als er gerade voraussetzt, dass es an einer Abwehrmöglichkeit fehlt. Die gesetzgeberische Entscheidung, im Fall einer schleichenden Verschlechterung der Immissionssituation, die auch nicht durch § 75 Abs. 2 VwVfG in Form der Ergänzung eines Planfeststellungsbeschlusses zum Gegenstand nachträglicher Anordnungen gemacht werden kann, allein einen Entschädigungsanspruch vorzusehen, ist nicht offensichtlich fehlerhaft. Der Gesetzgeber konnte bei dieser Entscheidung berücksichtigen, dass in zahlreichen solcher Fälle bereits eine latente Vorbelastung allein aufgrund der Lage der belasteten Grundstücke in der Nähe einer Verkehrsanlage bestand, die es als unverhältnismäßig erscheinen lässt, den Betreiber der Verkehrsanlage gleichwohl denselben starren Grenzwerten zu unterwerfen, wie dies bei der Neuerrichtung einer Anlage der Fall ist.
21Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Haushaltsgesetzgebung regelmäßig Mittel zur Lärmsanierung zur Verfügung stellt und so ebenfalls eine öffentliche Verantwortung jenseits der Anwendungsfälle des § 41 BImSchG und des § 75 Abs. 2 VwVfG wahrnimmt.
22Dass allein die Anordnung der beantragten Richtwerte – und damit von Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes – sachgerecht wäre, kann aus einem weiteren Grund nicht festgestellt werden. Dies würde nämlich bedeuten, dass die Kläger besser stünden, als viele vom Bau einer Verkehrsanlage Betroffene im Rahmen des § 41 BImSchG. Denn selbst bei der Neuerrichtung oder wesentlichen Änderung einer Anlage besteht der Unterlassungsanspruch des § 41 Abs. 1 BImSchG nicht, wenn die Kosten der Schutzmaßnahme außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen würden, vgl. § 41 Abs. 2 BImSchG. In einer solchen Situation hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. NVwZ 2012, 1120) einen Schutzanspruch als nicht spruchreif angesehen, wenn zuvor zu entscheiden ist, ob nicht wegen Unverhältnismäßigkeit des Aufwandes für aktiven Lärmschutz lediglich passiver Lärmschutz geleistet werden muss. Dass hier im Fall einer bestehenden Anlage jede andere Entscheidung als die Gewährung aktiven Lärmschutzes evident unzureichend wäre, kann angesichts dieser Einschränkungen selbst beim Bau neuer Anlagen nicht festgestellt werden. Im Fall der Kläger kommt hinzu, dass ihr Grundstück isoliert zwischen Eisenbahnlinie und gewerblich genutzten Grundstücken liegt. Andere zu Wohnzwecken genutzte Grundstücke würden von Maßnahmen des aktiven Schallschutzes nicht profitieren.
23Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es besteht kein Anlass, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese sich nicht durch das Stellen eines Sachantrages dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
24Gründe für eine Zulassung der Berufung nach §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO liegen nicht vor.
25Beschluss:
26Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
27Gründe:
28Die Entscheidung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Streitwertkatalog 2013, 2.2.2.2 und 19.2).