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Zur Auslegung eines Schreibens, mit dem sich der Rundfunkteilnehmer gegen eine Zahlungserinnerung wendet und vorträgt, laufend auf Sozialleistungen angewiesen zu sein, als Befreiungsantrag.
Zur Zulässigkweit des Nachreichens des erforderlichen Nachweises.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin auf ihren Antrag vom 8. Juli 2011 für die Zeit von August bis einschließlich Oktober 2011 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien.
Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. November 2011 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 22. Dezember 2011 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwen¬den, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist seit Juli 2005 mit einem Radio und einem Fernsehgerät als Rundfunkteilnehmerin gemeldet (Teilnehmernummer 557101100).
3Sie war unter anderem für die Zeiträume von August 2010 bis einschließlich Januar 2011 sowie von Mai bis einschließlich Juli 2011 als Empfängerin von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II von der Rundfunkgebührenpflicht befreit.
4Unter dem 3. Juni 2011 übersandte die Gebühreneinzugszentrale für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (GEZ) der Klägerin einen Kontoauszug zu den offenen Rundfunkgebühren für die Zeit von Februar bis einschließlich April 2011.
5Unter Bezugnahme auf diesen Kontoauszug legte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. Juli 2011 den Bescheid des Jobcenters Kreis X vom 26. März 2011 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in der Zeit von Februar bis einschließlich Juli 2011 vor und wies darauf hin, dass sie in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe, auf die monatliche Grundsicherung angewiesen sei und deshalb schon seit Jahren von der Gebührenzahlung befreit sei.
6Hierauf teilte die GEZ der Klägerin unter dem 2. August 2011 mit, dass sich die Forderung auf Zeiträume beziehe, für die keine Befreiung vorliege; im übrigen habe die letzte Befreiung zum 31. Juli 2011 geendet, so dass mangels neuerlichen Befreiungsantrages ab dem 1. August 2011 wieder Gebühren zu zahlen seien.
7Sodann setzte der Beklagte mit Gebührenbescheiden vom 5. August und 4. November 2011 gegenüber der Klägerin Rundfunkgebühren für die Zeiträume von Februar bis einschließlich April 2011 sowie von August bis einschließlich Oktober 2011 in Höhe von jeweils 58,94 Euro einschließlich eines Säumniszuschlages von 5,00 Euro fest.
8Mit Schreiben vom 22. November 2011 erhob die Klägerin gegen den Gebührenbescheid vom 4. November 2011 Widerspruch und legte hierzu folgende Unterlagen des Jobcenters Kreis Wesel vor:
9Die Klägerin trug zu ihrem Widerspruch vor: Sie lebe in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen, sei auf die monatliche Grundsicherung angewiesen und daher schon seit Jahren von der Gebührenzahlung befreit.
11Daraufhin befreite der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 4. Januar 2012 für die Zeit von Dezember 2011 bis einschließlich Januar 2012 von der Rundfunkgebührenpflicht.
12Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2011 – dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Januar 2012 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt – wies der Beklagte dagegen den Widerspruch der Klägerin gegen den Gebührenbescheid vom 4. November 2011 als unbegründet zurück und führte hierzu aus: Nach Ablauf des letzten Befreiungszeitraums Ende Juli 2011 sei kein erneuter Antrag auf Rundfunkgebührenbefreiung gestellt worden. Ein solcher Antrag sei indes zwingende Voraussetzung für die Befreiung. Daher sei die Klägerin ab August 2011 wieder rundfunkgebührenpflichtig gewesen.
13Mit der am 6. Februar 2012 erhobenen Klage trägt die Klägerin ergänzend vor: Der Beklagte verweise zu Unrecht auf eine nicht fristgerechte Antragstellung. Dies sei unverhältnismäßig und willkürlich. Sie sei seit Jahren von Leistungen des Jobcenters abhängig. Aufgrund ihres Alters und Bildungsstandes werde keine wesentliche Veränderung der Einkünfte eintreten. Dementsprechend sei sie seit Jahren von der Rundfunkgebührenpflicht befreit worden, ohne dass immer ein formeller Antrag gestellt worden sei. Die jeweiligen Bescheide des Jobcenters seien von ihrer Tochter jeweils umgehend nach Erhalt beim Beklagten eingereicht worden.
14Die Klägerin beantragt,
15den Beklagten zu verpflichten, sie für die Zeit von August bis einschließlich Oktober 2011 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien und
16den Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Dezember 2011 aufzuheben.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er führt ergänzend aus: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rundfunkgebührenbefreiung für den Zeitraum von August bis einschließlich Oktober 2011. Sie habe versäumt, für den streitgegenständlichen Zeitraum rechtzeitig einen Befreiungsantrag zu stellen. Ein solcher liege vielmehr erst im Widerspruchsschreiben vom 22. November 2011, so dass eine Befreiung erst ab dem 1. Dezember 2011 möglich gewesen sei. Eine rückwirkende Befreiung komme nicht in Betracht.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die zulässige Klage ist begründet.
23Die Unterlassung der Befreiung der Klägerin von der Rundfunkgebührenpflicht im Zeitraum von August bis einschließlich Oktober 2011 und daran anknüpfend auch der den genannten Zeitraum betreffende Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. November 2011 sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 22. Dezember 2011 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 und Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
24Die Klägerin hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht im Zeitraum von August bis einschließlich Oktober 2011. Sie war in diesem Zeitraum ausweislich der betreffenden Bescheinigung über den Leistungsbezug sowie dem betreffenden Bewilligungsbescheid des Jobcenters Kreis Wesel vom 27. Juni 2011 Empfängerin von Sozialgeld bzw. Arbeitslosengeld II ohne Zuschläge nach § 24 SGB II und erfüllte damit den Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (RGebStV). Die Klägerin hat ihre (erneute) Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. Juli 2011 beim Beklagten beantragt (§ 6 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 RGebStV) und im Laufe des Verwaltungsverfahrens die genannten Nachweise in der erforderlichen Form (§ 6 Abs. 2 RGebStV) nachgereicht, so dass sie gemäß § 6 Abs. 5 1. Hs. RGebStV bereits ab August 2011 und nicht erst wie vom Beklagten später verfügt erst ab Dezember 2011 von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien ist.
25Mit dem Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. Juli 2011 hat die Klägerin konkludent (vorsorglich) ihre weitere Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht über den laufenden Monat hinaus beantragt. Ausdrücklich nimmt dieses Schreiben zwar Bezug auf die Zahlungserinnerung der GEZ vom 3. Juni 2011, die ihrerseits Rundfunkgebühren für den Zeitraum von Februar bis einschließlich April 2011 betrifft. In dem Schreiben wird jedoch allgemein ausgeführt, dass die Klägerin in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, auf die monatliche Grundsicherung angewiesen und deshalb schon seit Jahren von der Gebührenzahlung befreit ist und hierzu der damals noch aktuelle Bewilligungsbescheid des Jobcenters Kreis Wesel vorgelegt. Damit hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie zum damaligen Zeitpunkt und bis auf weiteres den Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 RGebStV erfüllt. Jedenfalls bei einem Rundfunkteilnehmer, der bereits in der Vergangenheit aus diesen Gründen von der Rundfunkgebühr befreit worden ist, ist ein solches Vorbringen aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers gleichzeitig als neuerlicher Befreiungsantrag für den Folgezeitraum auszulegen. Wenn bereits in der formlosen Übermittlung eines neuen Bewilligungsbescheides im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 RGebStV ein erneuter Antrag auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu sehen ist,
26vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2011 – 16 E 14/11 – und vom 1. April 2008 – 16 A 3571/06 -,
27so muss dies erst recht gelten, wenn der Rundfunkteilnehmer noch im Monat des Ablaufs seiner aktuellen Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, zu dem typischerweise noch nicht der Bescheid für den Folgezeitraum vorgelegt werden kann – auch im vorliegenden Fall ist der weitere Bewilligungsbescheid erst am 27. Juni 2011 und damit jedenfalls nach Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. Juni 2011 erlassen worden –, weiterhin geltend macht, auf entsprechende monatliche Grundsicherungsleistungen angewiesen zu sein. Dementsprechend hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 22. November 2011 gegen den streitbefangenen Gebührenbescheid, mit dem identisch vorgetragen worden ist, dass die Klägerin in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, auf die monatliche Grundsicherung angewiesen und deshalb schon seit Jahren von der Gebührenzahlung befreit ist, zugleich als neuerlichen Befreiungsantrag gewertet und die Klägerin ab dem Folgemonat wieder von der Gebührenpflicht befreit. Den beiden Schreiben einen unterschiedlichen Erklärungsinhalt allein deshalb zu geben, weil dem letztgenannten ein über den laufenden Monat hinaus gültiger Bewilligungsbescheid beigefügt war, lässt sich mit den auch im öffentlichen Recht anwendbaren Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht in Einklang bringen. Danach sind Willenserklärungen vom Empfängerhorizont zu verstehen, also danach, wie ein verständiger Empfänger sie unter Berücksichtigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände verstehen durfte und verstehen musste.
28Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – 19 E 1143/11 –, juris (Rn. 3).
29Bei Würdigung der Gesamtumstände war aus Sicht des Beklagten nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter mit dem im Vergleich zum Schreiben vom 8. Juli 2011 weitestgehend identischen Widerspruchsschreiben vom 22. November 2011 etwas rechtlich anderes in Bezug auf eine weitere Befreiung habe erklären wollen. Dies gilt erst recht angesichts des Umstandes, dass beiden Schreiben der im Zeitpunkt ihrer Abfassung aktuelle Bewilligungsbescheid beigefügt war. Das im letztgenannten Fall die Bewilligung noch über den laufenden Monat hinaus reichte, war reiner Zufall und kann für die Auslegung als Befreiungsantrag daher nicht maßgeblich sein.
30Dem steht nicht entgegen, dass – worauf der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat – nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ein Befreiungsantrag grundsätzlich im Hinblick auf die Regelung des § 6 Abs. 6 S. 1 RGebStV entsprechend der Gültigkeitsdauer des beigefügten Bewilligungsbescheides zeitlich beschränkt ist.
31Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 16 A 3571/06 – und vom 7. Dezember 2006 – 16 E 782/06 –.
32Daraus mag abzuleiten sein, dass in der kommentarlosen Übersendung eines Bewilligungsbescheides, dessen Gültigkeit im gleichen Monat abläuft, kein Befreiungsantrag für die Zukunft zu sehen ist. Anderes muss jedoch gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Rundfunkteilnehmer mit gesondertem Schreiben geltend macht, auch weiterhin von entsprechenden Sozialleistungen abhängig zu sein.
33Zu dem somit im Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 8. Juli 2011 liegenden weiteren Befreiungsantrags hat die Klägerin vor der – bis dato noch nicht erfolgten – Bescheidung dieses Antrags und damit noch während des Verwaltungsverfahrens mit dem Widerspruchsschreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 22. November 2011 die erforderlichen Nachweise gemäß § 6 Abs. 2 RGebStV beim Beklagten vorgelegt.
34Entsprechend der gerichtsbekannten Praxis des Beklagten, einem Antragsteller im Verwaltungsverfahren einschließlich des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit zum Nachreichen entsprechender Nachweise zu geben,
35so auch VG Köln, Urteil vom 5. Juli 2011 – 17 K 6230/10 –, S. 5 des Entscheidungsabdrucks,
36ist eine entsprechende Nachholung des Nachweises jedenfalls im noch laufenden Befreiungsverfahren zulässig.
37Vor diesem Hintergrund bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob ein solches Nachreichen des erforderlichen Nachweises auch noch nach Abschluss des betreffenden Verwaltungsverfahrens im Laufe eines Gerichtsverfahrens möglich ist. Im übrigen ist die Kammer mit dem Verwaltungsgericht Köln (Urteil vom 5. Juli 2011 – 17 K 6230/10) der Auffassung, dass weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des § 6 RGebStV einen dem Befreiungsantrag nachfolgendem Nachweis der Befreiungsvoraussetzungen ausschließt, so dass angesichts der jedenfalls in Bezug auf Verpflichtungsklagen grundsätzlichen Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung kein Grund ersichtlich ist, warum das Nachreichen eines einschlägigen Bescheides (erst) im gerichtlichen Verfahren nicht möglich sein soll.
38Ist die Klägerin somit für den Zeitraum von August bis einschließlich Oktober 2011 gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 RGebStV von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, dürfen gegen sie für diesen Zeitraum auch nicht – wie mit dem Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22. Dezember 2011 – Rundfunkgebühren festgesetzt werden. Denn die Pflicht zur Entrichtung der Rundfunkgebühr besteht nach § 2 Abs. 2 S. 1 RGebStV ausdrücklich nur vorbehaltlich der Regelungen des § 6 RGebStV.
39Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
40Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.