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Zu den Folgen einer Asylantragstellung (Passentzug und Strafbarkeit) und zu Ausreisebeschränkungen für Roma aus Mazedonien
Der Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 16. November 2012 wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichts-kosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Der am 22. November 2012 sinngemäß gestellte Antrag,
3den ablehnenden Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren 27 L 1983/12.A dahingehend abzuändern, dass die aufschiebende Wirkung der Klage 27 K 7626/12.A gegen die jeweilige Ziffer 4 der beiden Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Oktober 2012 angeordnet wird,
4ist zulässig, jedoch unbegründet.
5Es besteht weiterhin kein Grund, der Klage entgegen der gesetzlichen Grundentscheidung in § 75 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beiden angegriffenen Bescheide des Bundesamtes bestehen nicht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
6Solche Zweifel ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem erstmals mit Fax vom 19. November 2012 und damit nach Abfassung des Beschlusses vom 16. November 2012 erfolgten weiteren Vorbringen der Antragsteller.
7Soweit sie geltend machen, dass ihnen bei ihrer Rückkehr nach Mazedonien ein Entzug ihrer Pässe oder ein Vermerk in denselben drohe, infolgedessen ihnen ein Antrag auf Sozialleistungen und ein Zugang zu medizinischer Versorgung unmöglich werde, ergibt sich aus diesen Ausführungen keine andere Bewertung ihres Asylbegehrens bzw. der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Auskünften ist ein solcher Ausschluss von Sozialleistungen und medizinischer Versorgung nicht zu befürchten und auch ein Passentzug nicht wahrscheinlich.
8Einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. August 2012 an das Bundesamt,
9ebenso: Auskunft der Deutschen Botschaft in Skopie an das Bundesamt vom 27. Juni 2012,
10ist zwar zu entnehmen, dass gemäß Art. 37 Abs. 1 des mazedonischen Gesetzes über Reisedokumente zu den Hinderungsgründen für eine Passausstellung bzw. zu den Gründen für einen Passentzug auch der Umstand zählt, dass eine Person zwangsweise aus einem anderen Staat wegen Verstoßes gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen dieses Staates zurückgeführt oder deportiert wird. Ein auf diese Vorschrift gestützter einjähriger Passentzug betrifft aber nur zwangsweise rückgeführte Personen.
11So auch Thomas Hammarberg, "The right to leave one‘s country should be applied without discrimination”, 22. November 2011, abrufbar unter: http://commissioner.cws.coe.int/tiki-print_blog_post.php?postId=193; Chachipe, "Selective Freedom – The visa liberalisation and restrictions on the right to travel in the Balkans”, Juni 2012, S. 37, abrufbar unter: http://romarights.files.wordpress.com/2012/07/chachipe_visa_liberalisation_report_270612.pdf.
12Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes waren von dieser Maßnahme zwischen Oktober 2011 und April 2012 425 Personen, darunter nur 118 Personen, die im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten, betroffen. Freiwillig Zurückkehrende unterliegen demgegenüber weder Verhören noch sonstigen repressiven Maßnahmen.
13Vor diesem Hintergrund stellen die Verschärfungen der gesetzlichen Bestimmungen zur Passausstellung keinen asylrechtlich erheblichen Sachverhalt dar. Eine Benachteiligung ausschließlich der Volksgruppe der Roma ist damit nicht verbunden, weil sämtliche rückgeführte Personen den Kontrollen unterliegen. Die Antragsteller werden darüber hinaus nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von dieser Maßnahme betroffen sein, weil sie nach Abschluss des Asylverfahrens freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren können, hierzu auch nach deutschem Recht verpflichtet sind (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – AufenthG) und in diesem Fall weder Befragungen noch sonstige Maßnahmen zu gewärtigen haben.
14Dass sie nach ihrer Rückkehr wegen des im Ausland durchgeführten Asylverfahrens in Mazedonien keinen Zugang zu Sozialleistungen und zur öffentlichen Gesundheitsversorgung haben werden, ist ebenfalls nicht zu befürchten. Das Auswärtige Amt hat insoweit ausdrücklich festgestellt, dass es im Sozialhilfe- und Gesundheitsbereich nach dortigen Informationen keine diskriminierenden Sonderbestimmungen für rückkehrende Asylbewerber, selbst nicht für zwangsweise Rückgeführte gibt.
15Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 6. August 2012, S. 4.
16Es ist auch nicht ersichtlich, dass – wie mit dem vorliegenden Antrag weiter geltend gemacht – in Mazedonien bereits ein Gesetz existiert, welche die Asylantragstellung in einem anderen Land unter Strafe stellt.
17Insoweit missverständlich Thomas Hammarberg, a.a.O.: "(…) ‘the former Yugoslav Republic of Macedonia’ has decided to criminalise ‚abuse of the European Union visa-free regime and of the Schengen agreement”.
18Es trifft allerdings zu, dass das Parlament der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien im September 2011 ein Gesetz zur Ergänzung des Strafgesetzbuches verabschiedet hat, mit dem ein Art. 418e eingeführt worden ist, der ausweislich seiner Überschrift den "Missbrauch des visums-freien Regimes mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Schengen-Abkommens" betrifft. Er stellt jedoch nicht die Ausreise durch den betreffenden Bürger unter Strafe, sondern das Anwerben, die Anstiftung, die Organisation, den Schutz oder den Transport von Personen in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Schengen-Abkommens unter bestimmten weiteren Voraussetzungen,
19"Whosoever recruits, instigates, organizes, shelters or transports persons to a member state of the European Union or of the Schengen Agreement…”
20richtet sich daher unmittelbar lediglich gegen Reiseunternehmen und Reiseveranstalter
21vgl. Chachipe, a.a.O., S. 43; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. November 2012, S. 7,
22und dürfte daher Teil der Maßnahmen gegen Schlepperaktivitäten sein.
23Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 6. August 2012, S.4.
24Spezifische Sanktionen für missbräuchliche Asylantragstellung bzw. Missbrauch der Reisefreiheit, sei es in Form von Freiheits- oder Geldstrafen, sind nach vorliegenden Erkenntnissen nicht vorgesehen.
25Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt vom 6. August 2012, S.3.
26Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und des darin ausgesprochenen Offensichtlichkeitsurteils ergeben sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass der genannten Auskunft des Auswärtigen Amtes zufolge seit April 2011 mazedonischen Bürgern, die über Reisezweck und -ziel an mazedonischen Grenzkontrollposten keine klaren Angaben machen können, die Ausreise verweigert werden kann. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes ist seither in über 4.000 Fällen die Ausreise verweigert worden, wobei die Pässe der Betroffenen mit einem Stempel versehen wurden, der den nächsten Ausreiseversuch erschweren dürfte.
27So auch Chachipe, a.a.O., S. 35 ff.
28Auch diese Maßnahmen bieten keinen Anhalt für eine Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft der Antragsteller oder für das Vorliegen der in § 60 Abs. 2-7 AufenthG geregelten Tatbestände.
29Eine Anerkennung der Antragsteller als asylberechtigt im Sinne von Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) dürfte bereits aus Rechtsgründen ausscheiden, da sie soweit ersichtlich auf dem Landweg (legal mit biometrischem Reisepass ohne Vorlage eines Flugtickets) – und damit über einen sicheren Drittstaat – nach Deutschland eingereist sind. Deshalb ist eine Asylanerkennung gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a Abs. 1 und 2 i.V.m. Anlage I AsylVfG ausgeschlossen.
30Aus der Beschränkung der Ausreisemöglichkeiten folgt ferner keine Flüchtlingseigenschaft der Antragsteller i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG legt nunmehr fest, dass für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, die Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QualRL) ergänzend anzuwenden sind. Nach Art. 9 Abs. 1a) QualRL gelten als Verfolgung solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Dazu zählen das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit und das Verbot von Strafe ohne Gesetz (Art. 2-4 und Art. 7 EMRK). Zu diesen Rechten zählt die Reisefreiheit eindeutig nicht. Das Recht, das eigene Land zu verlassen, findet sich auch nicht in der von allen Vertragsparteien ratifizierten Fassung der Konvention. Art. 5 EMRK, der das Recht auf Freiheit und Sicherheit gewährleistet, betrifft nur die unmittelbare Bewegungsfreiheit, d.h. den Schutz vor Verhaftung, Inhaftierung und anderer Freiheitsentziehung. Das Recht jeder Person, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen, ist allerdings in Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK vom 16. September 1963 (BGBl. 2002 II S. 1074) gewährleistet, das jedoch nicht in allen Vertragsstaaten gilt.
31Vgl.http://www.conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?CL=GER&CM=&NT=046&DF=26/11/2012&VL=.
32Vor diesem Hintergrund ist bereits zweifelhaft, ob es sich bei dieser Grundfreiheit um ein grundlegendes Menschenrecht i.S.v. Art. 9 Abs. 1 a) QualRL handelt.
33Vgl. zur Bedeutung der Freizügigkeit: Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 11 LB 97/11 -, juris (Rn. 57).
34Jedenfalls handelt es sich bei den Einschränkungen, die den Antragstellern bei einer Rückkehr nach Mazedonien drohen, nicht um schwerwiegende Verletzungen der Freizügigkeit. Die Antragsteller können sich innerhalb Mazedoniens frei bewegen und soweit ersichtlich regelmäßig das Land auch verlassen, wenn sie den mazedonischen Grenzkontrollposten plausibel ein Reiseziel und einen Zweck ihrer Reise darlegen, der nicht in der Durchführung eines Asylverfahrens im Ausland besteht.
35Im Übrigen bestehen auch Bedenken, aus letztgenannter Einschränkung überhaupt bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine asyl- oder flüchtlingsrechtlich relevante Gefahr abzuleiten. Denn es erscheint zweifelhaft, eine entsprechende aktuelle Gefahr damit zu begründen, dass man nach einer Rückkehr in das Heimatland – und damit regelmäßig unterstellt, dass der jetzige Asylantrag erfolglos bleibt – zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft nicht mehr erneut ausreisen könnte, um im Ausland einen – ohne Änderung der Sachlage ebenfalls nicht erfolgversprechenden – weiteren Asylantrag zu stellen.
36Vor diesem Hintergrund erfüllen die geltend gemachten Einschränkungen der Reisefreiheit auch nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Da die Freizügigkeit lediglich in einem Zusatzprotokoll zur EMRK geschützt wird und § 60 Abs. 5 AufenthG eine Abschiebung verbietet, "soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist", ist schon fraglich, ob sich diese Verweisung überhaupt auf Grundfreiheiten bezieht, die nur in einem Zusatzprotokoll erfasst sind,
37Vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 11 LB 97/11 -, juris (Rn. 57).
38Darüber hinaus würde es bereits an der weiteren Voraussetzung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf einen Drittstaat fehlen, dass nämlich insoweit eine als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantie in ihrem Kern bedroht ist.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 – 9 C 34.99 –, juris (Rn. 11).
40Denn die Antragsteller werden sich nach ihrer Rückkehr nach Mazedonien dort frei bewegen und das Land auch verlassen können, solange sie dies nicht zum Zweck eine Asylantragstellung vorhaben.
41Außerdem gelten diese Grundsätze für die Annahme eines entsprechenden Abschiebungsverbotes nur eingeschränkt für die Abschiebung in einen anderen Unterzeichnerstaats der Konvention – wie etwa in die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.
42vgl.http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=005&CM=8&DF=26/11/2012&CL=GER
43Denn hier steht die eigene Verantwortung des Abschiebezielstaates als Vertragsstaat für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund (vgl. Art. 1 EMRK). Eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates, den menschenrechtlichen Mindeststandard im Zielstaat der Abschiebung zu wahren, besteht nur dann, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – 1 C 14.04 –, juris (Rn. 18).
45Hierfür ist im Fall der Antragsteller nichts ersichtlich.
46Nach alledem bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des Bundesamtes in seinem angefochtenen Bescheid keine vernünftigen Zweifel, so dass sich die Ablehnung des Asylbegehrens bezogen auf die Antragsteller geradezu aufdrängt.
47Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.
48Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).