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1. Dienstliche Gründe sind nur solche, die in der Sphäre des Dienstherrn liegen und nicht solche, die der Sphäre des Mitarbeiters zuzurechnen sind. Eine Erkrankung stellt keinen zwingenden dienstlichen Grund in diesem Sinne dar.
2. Die betriebliche Übung ist ein für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse vom Bundesarbeitsgericht entwickeltes Rechtsinstitut, welches auf das öffentliche Dienstverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten keine Anwendung findet.
3. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass im Hinblick auf die von Art. 20 Abs 3 GG angeordnete Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht aus einem rechtswidrigen Verhalten gegenüber anderen in Verbindung mit dem Gleichheitssatz kein Anspruch des Bürgers auf ein ebenso rechtswidriges Verhalten der Behörde ihm gegenüber und damit auf eine „Gleichbehandlung im Unrecht“ folgt. Nichts anderes gilt im Sonderrechtsverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Be-klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 31.12.2010 als Justizvollzugsbeamter im Dienst des beklagten Landes, zuletzt im Amt eines Justizamtsinspektors.
2Mit Schreiben vom 06.12.2010 beantragte der Kläger die Auszahlung der von ihm geleisteten Mehrarbeitsstunden, die vor seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nicht durch Freizeitausgleich kompensiert worden waren.
3Mit Bescheid vom 23.12.2010 lehnte die Leiterin der Justizvollzugsanstalt X die Auszahlung der nicht durch Freizeit ausgeglichenen Mehrarbeitsstunden ab. Zur Begründung führte sie aus, Voraussetzung für die Vergütung sei u.a., dass die Mehrarbeit aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen werden könne. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. In der Dienstplanung sei festgelegt worden, dass der Kläger am 26.08.2010 seinen letzten Arbeitstag ableisten sollte. Anschließend sei bis 30.09.2010 der Resterholungsurlaub aus dem Jahr 2009, hieran anschließend bis 18.11.2010 der Freizeitausgleich für 258,08 Mehrarbeitsstunden und für die Zeit vom 19.11. bis 31.12.2010 Erholungsurlaub des Jahres 2010 geplant gewesen. Der mögliche und geplante Freizeitausgleich für Mehrarbeit sei jedoch wegen Erkrankung tatsächlich nicht erfolgt, weil der Kläger vom 29.09.10 bis zum 17.12.2010 dienstunfähig krank gewesen sei. Bei der Erkrankung handele es sich nicht um einen zwingenden dienstlichen Grund.
4Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Leiter der Justizvollzugsanstalt L durch Widerspruchsbescheid vom 24.02.2011 – den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 01.03.2011 - als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Gemäß § 61 Abs. 2 LBG NRW dürfe eine Mehrarbeitsvergütung nur gezahlt werden, wenn eine Dienstbefreiung im Sinne des § 61 Abs. 1 S. 2 LBG NRW aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich sei. Die Mehrarbeitsvergütung habe nicht den Sinn einer Besoldung oder eines Entgeltes für geleistete Arbeitsstunden, sondern gleiche lediglich den Verlust an Freizeit durch die aus zwingenden Gründen nicht mögliche Kompensation aus. Eine solche Situation sei hier nicht gegeben. Dem Kläger habe keine Dienstbefreiung gewährt werden können, weil er in Folge einer Dienstunfähigkeit bzw. der Versetzung in den Ruhestand nicht mehr zum Dienst verpflichtet gewesen sei. Somit hätten die Mehrarbeitsstunden allein aus persönlichen Gründen nicht ausgeglichen werden können, nicht hingegen hätten dienstliche Gründe einem Freizeitausgleich entgegen gestanden.
5Der Kläger hat am 01.04.2011 Klage erhoben.
6Er trägt vor: Es sei einzuräumen, dass keine dienstlichen Gründe der Dienstbefreiung entgegen gestanden hätten. Der Ausgleich von Mehrarbeit seitens der Beklagten sei in der Vergangenheit jedoch regelmäßig durch Auszahlung einer Mehrarbeitsvergütung erfolgt, und zwar ohne dass ein Ausgleich durch Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich gewesen wäre. Es habe sich eine betriebliche Übung herausgebildet, wonach Mehrarbeitsstunden völlig unabhängig von der Möglichkeit, diese durch Dienstbefreiung auszugleichen, vergütet würden. Dies könne durch andere Ruhestandsbeamten bestätigt werden. Das beklagte Land sei deshalb aufgrund der verwaltungsrechtlichen Selbstbindung verpflichtet, die Mehrarbeitsvergütung zu gewähren. Die Nichtgewährung von Mehrarbeitsvergütung in seinem Fall stelle eine grundrechtsrelevante Ungleichbehandlung dar. Für die 258,08 geleisteten Mehrarbeitsstunden sei nach § 4 Abs. 1 MVergV ein Ausgleich von 17,33 € je Stunde zu zahlen.
7Der Kläger beantragt,
8das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides der Leiterin der Justizvollzugsanstalt X vom 23.12.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Leiters der Justizvollzugsanstalt L vom 24.02.2011 zu verurteilen, ihm – dem Kläger – als Ausgleich für 258,08 Mehrarbeitsstunden eine Mehrarbeitsvergütung in Höhe von insgesamt 4.472,52 Euro zu zahlen.
9Das beklagte Land beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Es wiederholt zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
13Entscheidungsgründe:
14Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 113 Abs. 4 VwGO) ist zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
15Gemäß § 61 Abs. 2 LBG NRW darf eine Mehrarbeitsvergütung nur gezahlt werden, wenn eine Dienstbefreiung im Sinne des § 61 Abs. 1 S. 2 LBG NRW aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 MVergV besteht Anspruch auf die Zahlung einer Mehrarbeitsvergütung nur dann, wenn die Mehrarbeit aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht durch Dienstbefreiung innerhalb eines Jahres ausgeglichen werden kann. Dienstliche Gründe sind aber nur solche, die in der Sphäre des Dienstherrn liegen und nicht solche, die der Sphäre des Mitarbeiters zuzurechnen sind. Letztere sind persönliche Gründe. Eine Erkrankung stellt keinen zwingenden dienstlichen Grund in diesem Sinne dar.
16BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 1985 – 2 B 45/85 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 26; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6. September 2004 – 1 Q 52/04 – Juris; Urteile der Kammer vom 14. Februar 2012 – 26 K 9014/10 – (zur Veröffentlichung in Juris vorgesehen); vom 10. September 2010 –
1726 K 2055/09 – und vom 24. Mai 2005 – 26 K 5973/04 -; vgl. auch Verwaltungsgericht München, Urteil vom 1. Juli 2003 - M 5 K 02.1390 - Juris.
18Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf den Grundsatz betrieblicher Übung oder auf Art. 3 GG stützen.
19Die betriebliche Übung ist ein für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse vom Bundesarbeitsgericht,
20vgl. z.B. Urteil vom 1. November 2005 – 1 AZR 355/04 – Juris,
21entwickeltes Rechtsinstitut, welches auf öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse nur sehr eingeschränkt und auf das öffentliche Dienstverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten keine Anwendung findet. Denn wegen des im Besoldungsrecht geltenden strikten Gesetzesvorbehalts (vgl. § 2 Abs. 1 BBesG) kommt die Gewährung von Besoldungsansprüchen außerhalb einer gesetzlichen Grundlage nicht in Betracht. Nichts anderes gilt für die auf das Besoldungsrecht (§ 48 BBesG) fußende Mehrarbeitsvergütung, die den Verlust an Freizeit durch finanzielle Zuwendungen kompensieren soll.
22Wegen des Gesetzesvorbehalts lässt sich auch unmittelbar aus Art. 3 GG und dem darin enthaltenen Gleichbehandlungsgebot ein Zahlungsanspruch nicht herleiten.
23Soweit der Kläger geltend macht, das beklagte Land habe wiederholt die Mehrarbeitsstunden durch Geldzahlungen und nicht durch Freizeit ausgeglichen, weil ansonsten in Anbetracht der Vielzahl auszugleichender Mehrarbeitsstunden ein regulärer Dienstbetrieb nicht aufrecht zu erhalten gewesen wäre, ist dies von dem Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage zwar bestätigt worden. Jedoch ist festzuhalten, dass – die Richtigkeit dieser Angaben unterstellt – bei dieser Sachlage zwingende dienstliche Gründe dem Freizeitausgleich entgegen standen. Solche Gründe waren im Falle des Klägers nicht gegeben. Er hatte, wie er selbst eingeräumt hat, sich zunächst gegen die Auszahlung und für die Inanspruchnahme von Freizeitausgleich entschieden. Ein solcher Ausgleich war durch einen entsprechenden individuellen Dienstplan konkretisiert worden und daher möglich. Dass die Kompensation in dieser Form nicht gelang, ist auf die Erkrankung und den nachfolgenden Eintritt in den Ruhestand, mithin auf persönliche Gründe zurückzuführen. Art. 3 GG verbietet die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte, sofern hierfür kein sachlicher Grund besteht. Unterschiedliche Sachverhalte dürfen aber regelmäßig unterschiedlich behandelt werden.
24Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob anderen Beamten möglicherweise Mehrarbeitsvergütung ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gewährt worden ist. Es kann nämlich keine Gleichbehandlung im Unrecht geben. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass im Hinblick auf die von Art. 20 Abs. 3 GG angeordnete Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht aus einem rechtswidrigen Verhalten gegenüber anderen in Verbindung mit dem Gleichheitssatz kein Anspruch des Bürgers auf ein ebenso rechtswidriges Verhalten der Behörde ihm gegenüber und damit auf eine "Gleichbehandlung im Unrecht" folgt. So ist der Dienstherr im Hinblick auf die Gesetzesbindung der öffentlichen Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG beispielsweise gehindert, nachträglich einen Rechtsgrund für Aufwandsentschädigungen entgegen den gesetzlichen Vorgaben zu schaffen,
25Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. April 2009 – 1 L 39/09 – Juris.
26Die Richtigkeit dieser Auffassung folgt zunächst aus der Erwägung, dass die Anerkennung eines aus einer rechtswidrigen Verwaltungsübung hergeleiteten Anspruchs des Bürgers auf Gleichbehandlung im Ergebnis die Anerkennung einer das objektive Recht derogierenden Wirkung der Verwaltungspraxis bedeutete. Dem steht zum einen entgegen, dass der Verwaltungsübung - im Gegensatz zu Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung - die Qualität als objektives Recht fehlt; zum anderen würde der verfassungsrechtlich gesicherte Vorrang des Gesetzes, der die Vorrangigkeit des Gesetzes vor jeder staatlichen Willensäußerung niederen Ranges zum Inhalt hat, unzulässigerweise unterlaufen, wenn einer rechtswidrigen Verwaltungsübung im Wege ihrer ständigen Anwendung verbindliche Wirkung beigelegt würde,
27BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1969 - VIII C 104.69 - BVerwGE 34, 278; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. September 2011 – 2 S 1202/10 – Juris.
28Nichts anderes gilt im Sonderrechtsverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
30Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.