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1. Es besteht im Hinblick auf medizinische Fragen keine Bindung der Verwaltungsbehörde oder des Verwaltungsgerichts an die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts in einem Schadensersatzprozess, in dem es auf die gleichen oder ähnliche medizinische Fragen ankam. Die der Entscheidung des ordentlichen Gerichts zugrunde liegenden Tatsachen sind vom Verwaltungsgericht eigenständig zu würdigen.
2. Ein Bescheid über die Anerkennung eines Dienstunfalls einschließlich bestimmter Unfallfolgen hat keine Bindungswirkung hinsichtlich des Zusammenhanges von Dienstunfall und Dienstunfähigkeit. Auch amtsärztliche Gutachten oder Stellungnahmen haben keine Bindungswirkung, da sie keine Verwaltungsakte sind.
3. Für die Feststellung eines Schleudertrauma oder einer Wirbelsäulen-Distorsion (bzw. deren Verursachung durch einen Verkehrsunfall) bedarf es vorrangig eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens aus dem orthopädischen oder chirurgischen Fachgebiet. Unfallanalytische oder biomechanische Gutachten können hierbei in Bezug auf die biomechanische Belastung (und insbesondere die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung als maßgebende Größe) ergänzend beauftragt werden.
4. Der Sachverständige muss regelmäßig den Unfallmechanismus und die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung ermitteln und dies der individuellen Belastbarkeit des Unfallopfers unter Berücksichtigung verletzungsfördernder Faktoren gegenüberstellen.
5. Eine "Harmlosigkeitsgrenze" bei geringfügigen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen, die eine Verletzungsmöglichkeit ausschließt, gibt es nicht (Anschluss an Bundesgerichtshof).
6. Einzelfall, in dem ein bewilligtes Unfallruhegehalt nach einem langjährigen Kfz-Haftpflichtprozess vor einem Zivilgericht auf der Grundlage von der Beamtin nachteiligen Sachverständigengutachten etwa 10 Jahre nach dem ursprünglichen Verkehrsunfall und 8 Jahre nach der vorzeitigen Zurruhesetzung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde.
7. Hier kein die Beweislast des Dienstherrn für die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Bewilligung von Unfallruhegehalt zulasten umkehrender Verstoß der Beamtin gegen Treu und Glauben durch geringfügig unzutreffende Angaben zum Unfallhergang (keine bewussten Falschangaben, keine entscheidende Bedeutung dieser Angaben für die Bewilligung).
Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2007 in der Gestalt de-ren Widerspruchsbescheides vom 4. März 2009 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig voll¬streck-bar.
Tatbestand:
2Die am 0. Oktober 1957 geborene Klägerin stand seit 1976 im gehobenen Verwaltungs-dienst der Beklagten, seit 1984 als Beamtin auf Lebenszeit. Die Klägerin war in erster Ehe mit dem Ehenamen I verheiratet und hat einen aus dieser Ehe stammenden 1985 geborenen Sohn. Im März 1995 wurde sie zur Stadtamtfrau (Besoldungsgruppe A 11 Bundesbesoldungsordnung – BBesO) ernannt. Sie war im Amt 37 (Feuerwehr) der Be-klagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden als Sachgebietsleiterin der Stelle für Rettungsdienstgebühren tätig.
3Die Klägerin hatte bereits am 26. August 1986 in E einen Autounfall erlitten, bei dem sie mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. In Folge dessen war sie vom 26. August bis 7. September 1986 arbeitsunfähig.
4Am 1. Oktober 1997 ereignete sich der Verkehrsunfall, der im Zentrum dieses und anderer Klageverfahren steht bzw. stand, und welcher aus Sicht der Klägerin ihr Leben grundle¬gend veränderte. Die Klägerin befand sich als Beifahrerin im PKW ihres späteren Ehe¬mannes V, Opel Kadett E, amtl. Kennzeichen XX XX 677, auf dem Weg zu ihrer Dienststelle. Die Klägerin und ihr späterer Ehemann fuhren auf der Nstraße im Eer Süden stadteinwärts, als sich auf der Kreuzung mit der Straße B der Verkehrsunfall unter Beteiligung des weiteren PKW Honda Accord, amtl. Kennzeichen XX AA 23, in selber Fahrtrichtung wie sie fahrend, und dem von rechts kommenden, ein Rotlicht überfahrenden, PKW Opel Frontera, amtl. Kennzeichen X BB 299 (Geländewagen/Jeep) ereignete. Der Opel Kadett, in dem die Klägerin saß, erlitt hierbei einen wirtschaftlichen Totalschaden. Wegen der Einzelheiten des Unfallherganges wird auf Beiakte 2, Blatt 227 ff., verwiesen.
5Die Klägerin hat nach diesem Zeitpunkt ihren Dienst bei der Beklagten nicht mehr aufge-nommen. Sie meldete sich dienstunfähig und gab an, dass es sich um die Folgen eines Dienstunfalles handele. Noch am Unfalltag begab sie sich in Behandlung zum Orthopäden Dr. med. T, F, bei dem sie Schmerzen im Bereich des Nackens mit Aus¬strahlung in den linken Arm und ein Taubheitsgefühl in der linken Hand, sowie Schmerzen im Bereich der linken Schulter beklagte. Dr. med. T stellte nach seinem Befundbe¬richt vom 3. November 1997 (Beiakte 16, Blatt 12) eine klinisch erhebliche Einschränkung der Rotationsfähigkeit ihrer Halswirbelsäule (HWS) fest und fertigte Röntgenbilder dersel¬ben an. Diese ergaben nach dem Befundbericht keinen Nachweis einer knöchernen Ver-letzung, aber Zeichen einer extremen HWS-Distorsion. Dr. med. T begann eine kon-servative Behandlung mit Analgetika/Antiphlogistika sowie Krankengymnastik und Verord-nung einer Halskrause. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Befundbericht ver-wiesen.
6Die Klägerin erstattete unter dem 7. Oktober 1997 bei der Beklagten auf dortigem Formu-lar eine Dienstunfallanzeige, mit der sie den am 1. Oktober 1997 um 7.00 Uhr erlittenen Verkehrsunfall meldete und den Unfallhergang wie folgt schilderte: Auf dem Wege zum Dienst, im Kreuzungsbereich B/Ecke Nstraße, habe ein Geländewagen eine rote Ampel überfahren und somit das Fahrzeug, in dem sie als Beifahrerin zum Dienst fuhr, getroffen. Sie sei an Halswirbelsäule und Schulter in Form einer Zerrung und eines Schleudertrauma verletzt worden und deshalb zuerst in Behandlung des Dr. T aus F gewesen.
7Auf die Dienstunfallanzeige der Klägerin holte die Beklagte zunächst bei Dr. med. T den Unfallbericht vom 3. November 1997 ein. Wie dort von Dr. med. T erläutert dau¬erte die konservative Behandlung noch an, wobei mehrfach wöchentlich Krankengym¬nastik-Anwendungen durchgeführt und vom Orthopäden wöchentlich gegen die Schmerz-symptomatik mit Infusionen oder Spritzen vorgegangen wurde. Weil sich die Beschwerden nicht verbesserten, wurde eine Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) der HWS der Klä-gerin am 28. Oktober 1997 durchgeführt. Nach dem entsprechenden Bericht des Röntgen-Institut H Allee, E, vom selben Tage kam Privatdozent (PD) Dr. H. M. L zu der Beurteilung:
8"Mehrsegmentige Osteochondrose HWK 3 bis HWK 7 mit einem Befundmaximum in Höhe HWK 5/6 mit einer hier breitbasigen, partiell knöchern gedeckten Bandscheibenprotrusion sowie uncovertebralarthrotischen Veränderungen mit foraminaler Stenose, rechtsbetont, und möglicher Irritation der Radix C6 rechts. Relative spinale Stenose in dieser Höhe. Ferner links medio-lateral betonte Bandscheibenprotrusion, ohne eindeutigen radikulären Bezug. Keine cervicale Myelopathie."
9Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Berichts wird auf Beiakte 16, Blatt 14 f., verwie-sen.
10Auf der Grundlage dieses MRT wurde die Klägerin sodann in der Gemeinschaftspraxis für Neurologie und Psychiatrie (Dres. med. U u.a., E) neurologisch untersucht. Dr. med. G kam in seinem Bericht vom 31. Oktober 1997 zu der Diagnose: HWS-Schleudertrauma mit radikulärer Reizsymptomatik. In der Beurteilung legte er neben der Diagnose dar, dass sich irgendwelche Ausfälle nicht gefunden hätten und er konser¬vative Behandlung mit dem nächtlichen Tragen einer Halskrawatte sowie das Erlernen isometrischer Übungen empfehle. Von anderen physiotherapeutischen Maßnahmen solle zum jetzigen Zeitpunkt zunächst abgesehen werden. Zu diesem Bericht im Übrigen vgl. Beiakte 16, Blatt 16 f.
11Seit dem Unfalltag erstattete die Beklagte der Klägerin alle Behandlungskosten unter dem Vorbehalt der späteren Anerkennung als Dienstunfall. Nachdem der Beklagten die Be-richte des Dr. med. T, des PD Dr. med. L sowie des Dr. med. G vorla¬gen, beauftragte sie Mitte November 1997 ihr Gesundheitsamt mit dem Prüfverfahren zur Anerkennung eines Dienstunfalles.
12Nachdem die regelmäßige Physiotherapie sowie die im Oktober und November 1997 bei Dr. med. T (teilweise täglich) durchgeführte Infusionstherapie keine ausreichende Besserung herbeiführte, nahm die Klägerin im Dezember 1997 bei der Ärztin Dr. med. U. T, N1, auch eine Akupunktur-Behandlung auf, wobei die Ärztin mit Bescheini¬gung vom 12. Dezember 1997 deren Indikation bestätigte, da die Klägerin an einer post-traumatischen HWS-Distorsion, Schulterdistorsion und Protrusion C4/C5, C6/C7 leide, und die bislang durchgeführten Therapien – medikamentöse und physiotherapeutische Maß-nahmen sowie Infusionen – keine dauerhafte Schmerzlinderung bewirkt hätten (Bei-akte 16, Blatt 53). Die Beklagte trug die Kosten der Akupunktur-Behandlung.
13Auf Grund des Untersuchungsauftrages der Beklagten untersuchte der Arzt im Gesund-heitsamt der Beklagten S die Klägerin am 3. Dezember 1997. Dabei legte die Klägerin auch die von Dr. med. T am 1. Oktober 1997 angefertigten Röntgenbilder ihrer HWS vor, die von Prof. Dr. med. Th. T1 für das Gesundheitsamt befundet wurden. Auf der Grundlage der Untersuchung vom 3. Dezember 1997 sowie der Befundung der Röntgen-bilder erteilte das Gesundheitsamt unter dem 21. Januar 1998 (Arzt S, mitgezeichnet Arzt für Orthopädie Dr. med. H1) ein Unfallgutachten über die Klägerin. Neben der Dar¬stellung des Unfallereignisses auf der Grundlage der Angaben der Klägerin sowie ihrer sich daran anschließenden Behandlung und ihrer Beschwerden im Verlauf bis aktuell wa¬ren eingehend die Befunde zur Untersuchung am 3. Dezember 1997 dargestellt, sowie nachrichtlich die Röntgenbefunde zum MRT vom 28. Oktober 1997. Die Befundung der Röntgenbilder des Dr. T vom 1. Oktober 1997 durch Prof. Dr. med. T1 ergab:
14"Flache Kyphosierung (flacher Buckel) von C3 bis C7 (HWS-Fehlstellung) bei hochgradigem osteochon-drotischem Zwischenwirbelbandscheibenverschleiß C5/C6. Aufgrund der Osteochondrosis intervertebralis C5/C6 (Bandscheiben-/Bänderverschleiß C5/C6) mäßige degenerative Dorsaldislokation von C5 gegenüber C6 mit Vor-/Rückneigung, bewegungsblockiertem Segment C5/C6 und degenerativen Zwischenwirbeleinengungen C5/C6. Reaktive spondylosis deformans der 5. und 6. Halswirbelkörper. Intervertebralgelenksverschleiß C2/C3, C3/C4, C5/C6, C6/C7 (Gelenkspalterniedrigungen). Kein Nach¬weis stattgehabter Frakturen auf den vorgelegten Röntgenaufnahmen der HWS."
15Im Ergebnis benannte das Gesundheitsamt als dienstunfallabhängige Diagnose: Akutes Schleudertrauma (Grad 2) mit Brachiomyalgien und Cephalgien, begleitet von Kribbelpar-ästhesien beidseits.
16Es legte als dienstunfallunabhängige Diagnosen fest:
17- Zustand nach Schleudertrauma vor 11 Jahren (binnen weniger Tage vollkommen ausgeheilt),
18- ausgeprägte degenerative Veränderungen der HWS.
19Das Gesundheitsamt gelangte zu der Gesamtbeurteilung: Der Verkehrsunfall am 1. Oktober 1997 sei als Dienstunfall anzuerkennen. Der dabei verursachte Körperschaden betrage 20 v. H. Eine Vorschädigung im gleichen Diagnosebereich habe vorgelegen, da in den Röntgenbefunden ausgeprägte degenerative Veränderungen zu sehen seien, die auf jeden Fall vor dem Unfallereignis bestanden haben müssten, auch wenn die Patientin vor-her keine Beschwerden gehabt habe. Die drei Bandscheibenprotrusionen (C3/C4 und C4/C5 leicht, C5/C6 ausgeprägt) hätten nicht stattgefunden, wenn vorher keine degenera-tiven Veränderungen an den jeweiligen Stellen gewesen wären. Erwähnenswert und unty-pisch sei, dass die Bandscheibenprotrusionen im Rahmen eines seitlichen Auffahrunfalles aufgetreten seien, da die seitliche Halswirbelsäule besser geschützt sei als die hintere. Mit Folgeschäden sei mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen; eine Nachuntersu-chung sei in einem Jahr notwendig. Durch den Unfall sei es zu einer richtungweisenden Verschlechterung einer schon bestehenden Erkrankung gekommen. Die Kosten der Be-handlung seien für die ersten 12 Wochen nach dem Unfallereignis von der Dienstunfallfür-sorge zu übernehmen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit müssten die jetzigen Beschwerden in naher Zukunft operativ angegangen werden. Wegen der Einzelheiten dieses Unfallgut-achtens wird auf Beiakte 16, Blatt 67 ff. Bezug genommen.
20Wie vom Gesundheitsamt vermutet, kam es schon bald zu einer Bandscheiben-Operation. Die Klägerin befand sich vom 27. Januar bis 3. Februar 1998 im Städt. Klinikum T2, wo sie am 28. Januar 1998 an der HWS operiert wurde. Nach den Berichten des Chef¬arztes der dortigen Neurochirurgie, Prof. habil. Dr. med. T3, folgte die Operations¬notwendigkeit aus der Diagnose "Nervenwurzelkompression C6 links durch vielfach subligamentär sequestrierten Bandscheibenvorfall HW 5/6 links bei Spondylosis deformans." Durchgeführt wurde nach dem OP-Bericht eine Versteifung im Segment HW 5/6 mit einer sog. Palacos-Plombe ("Spondylodese mit 0,63 cm³ Palacos nach Diskektomie und Aufspreizen HW 5/6").
21Auf Anfrage des Hauptamtes der Beklagten teilte das Gesundheitsamt (Arzt S, mitgezeichnet Dr. med. H1) unter dem 26. Februar 1998 mit, dass der Bandscheiben-vorfall in Höhe C5/C6 mit großer Wahrscheinlichkeit durch das Unfallereignis vom 1. Oktober 1997 klinisch manifest geworden bzw. entstanden sei. Daher sei dieser Band-scheibenvorfall als dienstunfallabhängige Diagnose zu betrachten.
22Demzufolge erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 1998 in Bezug auf den Un-fall am 1. Oktober 1997 und die Dienstunfallanzeige vom 7. Oktober 1997 den eingetrete-nen Körperschaden "akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien sowie einen Bandscheibenvorfall in Höhe der C5/C6" als Dienstunfall an. Die notwendigen Heil-behandlungskosten würden von der Beamtenunfallfürsorge auf Grund von vorhandenen Vorschädigungen im gleichen Diagnosebereich (unter Verweis auf das der Klägerin vorlie-gende Gutachten vom 21. Januar 1998) nur für die ersten 12 Wochen nach dem Unfaller-eignis übernommen.
23Parallel zu diesem Verwaltungsverfahren machte die Klägerin selbst Ansprüche gegen den Fahrer und die Halterin des unfallgegnerischen Kraftfahrzeugs Opel Frontera X BB 299 sowie die entsprechende Kfz-Haftpflichtversicherung, die G1 Versi¬cherungs-AG (im Folgenden: G1), geltend. In diesem Zusammenhang gab der behandelnde Orthopäde der Klägerin, Dr. med. T, auf einem Unfallmeldeformular der G1 folgenden Befund am 1. Oktober 1997:
24"Massiver Hartspann der gesamten HWS-Muskulatur; Druckschmerz über der gesamten HWS und der oberen Brustwirbelsäule (BWS); Rotation HWS schmerzhaft eingeschränkt; Schmerzen auch im Bereich linke Schulter.
25Diagnose: schwerste HWS-Distorsion nach Verkehrsunfall mit nachfolgender radikulärer Reizsymptoma¬tik. Befund bei letzter Untersuchung am 10. November 1997: Langsame Besserung der Symptomatik, aber noch belastungsabhängige Ausstrahlung in den Arm hinein, auch noch Cephalgien bei Belastung." (Beiakte 20, Blatt 45 ff.)
26Im Zusammenhang mit diesem Schadensfall holte die G1 auch einen Bericht des Neurologen Dr. med. G in Bezug auf die Klägerin ein. Dieser führte unter dem 10. März 1998 aus (dort Ziffer 9.1): Nach dem vorliegenden kernspintomographischen Befund müsse sicher von einem degenerativen Leiden im Bereich der HWS ausgegangen werden. Es bestehe die schwierige Frage, ob es durch den Unfall zu einer Verschlimme-rung eines vorbestehenden Leidens gekommen sei und dies richtungweisend war. Dies sei eine extrem komplexe Fragestellung, die nur im Rahmen eines sehr ausführlichen, wissenschaftlich begründeten nervenärztlichen Zusatz-Gutachtens geklärt werden könne (Beiakte 20, Blatt 48 ff.).
27Im gleichen Zusammenhang nahm der Operateur der Klägerin im Städt. Klinikum T2 (Chefarzt neurochirurgische Klinik, Prof. Dr. med. habil. M. T3) unter dem 27. April 1998 gegenüber der G1 wie folgt Stellung: Bei der Klägerin hätten im Wesentlichen alterstypische Verschleißerscheinungen als Folge des aufrechten Ganges vorgelegen. Diagnose: vielfach subligamentär sequestrierter Bandscheibenvorfall bei HW 5/6 links bei gleichzeitiger Spondylosis deformans. Den Verschlei߬erscheinungen komme kein Krankheitswert zu. Die Angaben zum Unfallhergang seien glaubhaft und auch der Unfallmechanismus sei nachvollziehbar, in Form einer Überstreckung bzw. Schleuderung der HWS. Es bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen Unfall und Auftreten des Bandscheibenvorfalls. Allerdings sei es wahrscheinlich, dass die vorbeste¬henden, im weitesten Sinne altersentsprechenden Veränderungen der HWS (Anpas¬sungsvorgänge und Verschleißerscheinungen) die Entstehung des Bandscheibenvorfalls durch den Unfall begünstigt hätten. Trotzdem komme dem Unfallereignis als Ursache für den Bandscheibenvorfall ein Anteil von 80 % zu (Beiakte 20, Blatt 56 ff.).
28Parallel zu dieser Haftpflicht-Auseinandersetzung zwischen der Klägerin und der G1 machte die Beklagte seit März 1998 gegenüber der G1 im eigenen Namen auf sie gemäß § 99 Landesbeamtengesetz (LBG) a. F. übergegangene Ansprüche in Be¬zug auf Behandlungskosten der Klägerin und weiteren Schadensersatz geltend.
29In einer ersten Reaktion hierauf äußerte die G1 unter dem 26. März 1998: Die Kausalität sei noch ungeklärt. Nach Feststellungen ihres technischen Dienstes sei die Unfallkausalität der geltend gemachten Verletzungen so nicht nachvollziehbar. Ansto߬stärke und -richtung seien nicht geeignet, diese Verletzungen hervorzurufen. Der Bericht des Neurologen Dr. G vom 10. März 1998 weise auf Schwierigkeiten der Ab¬grenzung zwischen degenerativem Leiden und Folgen des Unfalls hin.
30Entsprechend der zeitlichen Einschränkungen der Übernahme von Behandlungskosten durch die Unfallfürsorge hatte die Beklagte die Behandlungskosten der Klägerin schon in Bezug auf Behandlungen seit dem 8. Januar 1998 über die Beihilfe berechnet und ihr dies im April 1998 auch schriftlich mitgeteilt.
31Im Regress-Verfahren der Beklagten gegen die G1 teilte diese der Beklagten un¬ter dem 2. Juli 1998 unter Bezugnahme auf den Bericht des Dr. med. G vom 10. März 1998 mit, dass die sie beratenden Ärzte darauf hingewiesen hätten, dass die neurologische Untersuchung vom 29. Oktober 1997 keine eindeutigen neurologischen Ausfälle ergeben habe. Von daher sei auch eine Zunahme der Symptomatik im Rahmen der unfallunabhängigen Bandscheibendegeneration denkbar. Auch habe die Röntgen-funktionsaufnahme vom 28. Januar 1998 eine ansonsten unauffällige Beweglichkeit der HWS gezeigt und im OP-Befund vom selben Tage werde ein intaktes hinteres Längsband beschrieben. Auch dies spreche, entgegen den Attesten des Dr. med. T, gegen eine erhebliche unfallbedingte Schädigung der HWS. Sie hätten der Klägerin deshalb vorge-schlagen, den Direktor der Neurochirurgischen Klinik der Universitätsklinik Köln, Prof. Dr. L1 mit der Zusammenhangsbegutachtung zu beauftragen.
32Wegen des vom Gesundheitsamt vorgeschlagenen Zeitraumes für eine Nachuntersu-chung und der andauernden Dienstunfähigkeit der Klägerin beauftragte das Hauptamt der Beklagten das Gesundheitsamt Anfang 1999 mit einer erneuten Untersuchung der Kläge-rin. Dabei sollte neben dem Aspekt der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit auch geprüft werden, ob die am 28. Januar 1998 durchgeführte Operation an der HWS auf Grund der unfallbedingten Verschlechterung im Diagnosebereich erfolgte, oder ob sie auch ohne das Unfallereignis auf Grund der Vorschädigung ohnehin notwendig gewesen wäre.
33Nach einer erneuten orthopädischen Untersuchung der Klägerin beim Gesundheitsamt kam Dr. med. H1 in seinem "Ärztlichen Gutachten im Rahmen von Zurruhesetzungsverfahren von Beamten und Beamtinnen wegen Dienstunfähigkeit" vom 1. Februar 1999 zu dem Gesamtergebnis, dass die medikophysikalische Therapie ausge-schöpft und die Klägerin deshalb dauernd unfähig sei, die Dienstpflichten einer Amtfrau auszufüllen. Dabei werde es für aussichtslos gehalten, dass innerhalb von 6 Monaten die volle Dienstfähigkeit wieder hergestellt werde. In dieser Stellungnahme wurde auf das Unfallnachgutachten des Gesundheitsamts vom 4. Februar 1999 Bezug genommen.
34Die Unfallnachbegutachtung des Gesundheitsamtes der Beklagten vom 4. Februar 1999 (Dr. med. H1, mitgezeichnet: Städt. Medizinaldirektor Dr. T4) erfolgte auf der Grundlage einer am 28. Januar 1999 von Dr. med. H1 durch¬geführten orthopädi¬schen Untersuchung der Klägerin, in der sie angegeben hatte: Sie sei sportlich immer ak¬tiv gewesen und habe vor dem Dienstunfall regelmäßig Sport betrieben, auch Wirbelsäu¬lengymnastik usw. Sie sei vor dem Dienstunfall niemals in or¬thopädischer Behandlung wegen der Wirbelsäule gewesen. Der Unfall habe sich ereignet, als sie mit ihrem Mann im Auto auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei. Sie habe auf dem Beifahrersitz gesessen und sich etwa um 40 verdreht mit ihrem Oberkörper zu ihrem fah¬renden Ehemann gewandt, als plötzlich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf ihrer Seite in den Vorderwagen gefah¬ren sei. Fast unmittelbar nach dem Aufprall habe sie Schmerzen im linken Unterarm und der linken Hand verspürt, zunehmend sei es zu einer Nackensteife gekommen und sie habe auch Schwindel gehabt. Derzeit spritze ihr der Orthopäde Dr. T einmal wö¬chentlich in die kleinen Wirbelgelenke; zudem erhalte sie zweimal wö¬chentlich Manual-Therapie und Krankengymnastik, auch eine Akupunktur trage zur Mus¬kelentspannung bei, helfe jedoch nur vorübergehend. Sie fühle sich weiterhin absolut nicht arbeitsfähig und habe ständige Beschwerden im linken Arm und Schulter-Nacken-Bereich sowie erhebliche Schwindelerscheinungen. Im Dunkeln habe sie eine extreme Fallnei¬gung; leichte Hausar-beiten könne sie verrichten, jedoch habe sie erhebliche Probleme beim Heben und Tra-gen, beim Arbeiten über Kopf und bei Haltevorgängen, z.B. beim Bü¬geln. Im linken Bein verspüre sie hin und wieder ein dumpfes Gefühl im Bereich der Fu߬sohle, der zuvor vor-handene Kraftverlust im linken Bein habe sich nach etwa 3-4 Monaten deutlich gebessert. Seh- und Hörstörungen habe sie nicht, jedoch nach wie vor Schwindel und Gleichge-wichtsstörungen, vor allem beim Drehen des Kopfes nach links. Liegen könne sie zurzeit nur auf einem HWS-Kissen, hin und wieder hätte sie auch Schluckstö¬rungen und sei hei-ser. Über das Versorgungsamt sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt worden.
35Unter Berücksichtigung der Röntgenbilder der HWS der Klägerin vom 1. Oktober 1997 sowie der Kernspintomographie der HWS vom 28. Oktober 1997 kamen die Amtsärzte zu der dienstunfallabhängigen Diagnose: Posttraumatisches Zervi¬kobrachialsyndrom links nach Beschleunigungsverletzung der HWS vom 01.10.1997, Zu¬stand nach Bandschei-benausräumung und Versteifung des Segmentes C5/C6 vom 28.01.1998.
36Dienstunfallunabhängige Diagnosen:
371. Degenerative Veränderungen der unteren HWS
382. Zustand nach Schleudertrauma vor 11 Jahren.
39Die Unfallnachbegutachtung gelangte im Wesentlichen zu der folgenden Gesamtbeurtei-lung: Der Dienstunfall am 1. Oktober 1997 habe vor allem auf Grund der neurologischen Störungen trotz durchgemachter Operation zu einer erheblichen Einschränkung der physi-schen und psychischen Leistungsfähigkeit der Klägerin geführt. Sie sei zur Zeit nicht in der Lage, als Amtfrau im Bereich der Feuerwehr an einem PC-Arbeitsplatz tätig zu sein. Die Voraussetzungen für eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand gemäß § 45 LBG seien eindeutig gegeben. Da sie auf Grund eines Dienstunfalles in den Ruhestand versetzt werde, seien die Voraussetzungen zur Gewährung von Unfallruhegeld gemäß § 36 Be-amtenversorgungsgesetz (BeamtVG) gegeben. Der bei dem Dienstunfall eingetretene Körperschaden (Minderung der Erwerbsfähigkeit) betrage zurzeit 40 v. H. Obwohl im glei-chen Diagnosebereich ein Vorschaden vorgelegen habe, sei das Unfallereignis der¬art gra-vierend gewesen, dass der Vorschaden gegenüber dem dienstunfallbedingten Schaden zurücktrete. Bandscheibenvorfälle träten überwiegend ohne adäquate Trauma auf, wobei sich die neurologischen Störungen meistens allmählich verstärkten. Das Ver¬hältnis zwi-schen Vorschaden zum Unfallereignis schätze er mit 40 zu 60 ein. Weil der Verlauf der Erkrankung sehr unterschiedlich sein könne, halte er eine Nachuntersuchung nach zwei Jahren für erforderlich. Dann sei auch eine neurologische Zusatzbegutachtung erforder-lich. Es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass sich der Zustand durch Einsteifung des Segmentes C5/C6 im Bereich der HWS verbessere, die Beschwerden geringer wür¬den und wieder Dienstfähigkeit eintrete. Andererseits könne es jedoch auch zu einer Zu¬nahme der neurologischen Störung kommen. Sämtliche Behandlungskosten seien ab dem 01.10.1997 bis zur Nachtuntersuchung drei Jahre nach dem Unfallereignis im Okto-ber 2000 von der Beamtenunfallfürsorge zu übernehmen.
40Dieses Unfallnachgutachten wurde der Klägerin gegenüber von der Beklagten, insbeson-dere von Personal- oder Hauptamt, zunächst nicht durch Bescheid bekannt gegeben oder in Be¬scheidform umgesetzt. Es erfolgte jedoch wieder die Übernahme von Be¬handlungs-kosten für Physiotherapie, orthopädische Behandlung mit Spritzen, Aku¬punktur u.ä. aus Mitteln der Unfallfürsorge, jedoch ohne Bescheide.
41Unter dem 14. April 1999 nahm der Amtsarzt Dr. med. H1 gegenüber dem Hauptamt der Beklagten auf dortiges Ersuchen erneut in Form eines Kurzgutachtens zur Dienstfä¬higkeit, der Verursachung der Dienstunfähigkeit durch den Dienstunfall am 1. Oktober 1997 und den Voraussetzun¬gen eines Unfallruhegehalts entsprechend der Unfallnachbegutachtung vom 4. Februar 1999 Stellung.
42Im April 1999 stellte das Versorgungsamt E bei der Klägerin einen Grad der Be¬hinderung (GdB) von 40 auf der Grundlage der folgenden Funktionsbeeinträchtigungen fest:
431. Posttraumatisches Zervikobrachialsyndrom links nach Beschleunigungsverlet¬zung der Halswirbelsäule, Bandscheibenoperation und Versteifung des Seg¬men¬tes C5/C6.
442. Ohrgeräusche.
453. Wiederholte Bronchitis.
46Mit Verfügung des Hauptamtes der Beklagten vom 9. Juli 1999 wurde die zu diesem Zeit-punkt immer noch dienstunfähige Klägerin, die gegen diese Maßnahme keine Einwendun-gen erhoben hatte, wegen dauerhafter Dienstunfähigkeit gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. § 50 Abs. 2 LBG a.F. mit Ablauf des Monats Juli 1999 in den Ruhestand versetzt.
47Mit Versorgungs-Festsetzungsbescheid vom 28. Juli 1999 gewährte die Beklagte der Klä-gerin ab dem Beginn des Ruhestandes Unfallruhegehalt aus der Besoldungsgruppe A 11 mit einem unter Anwendung von Übergangsrecht gemäß § 85 Abs. 1 BeamtVG ermittelten Ruhegehaltsatz von 67,44 %, ohne einen Versorgungsabschlag wegen vorzeitiger Zurru¬hesetzung. Wegen der im Jahre 1998 erfolgten Ehescheidung von ihrem früheren Ehe¬mann (sie war mittlerweile wieder verheiratet mit dem Ehenamen V1) erfolgte wegen Ver¬sor¬gungsausgleichs eine geringfügige Kürzung nach § 57 BeamtVG. Im Ergebnis erhielt die Klägerin ein Ruhegehalt von brutto monatlich DM 3.924,28. Wegen der weiteren Einzel¬heiten der Festsetzung des Unfallruhegehalts wird auf Beiakte 13, Blatt 32 ff. Bezug ge¬nommen.
48Nach der vorzeitigen Zurruhesetzung der Klägerin machte die Beklagte erneut gegenüber der Frankfurter Schadensersatz wegen des Verkehrsunfalls der Klägerin aus übergegan-genem Recht gemäß § 99 LBG a.F. geltend, wobei nunmehr insbesondere die während der Dienstunfähigkeit bis zur Zurruhesetzung weitergezahlten Dienstbezüge im Umfang von DM 84.045,96 gefordert wurden.
49Parallel hierzu hatte auch die Klägerin im eigenen Namen ihre Ansprüche gegen Fahrer und Halter sowie die G1 weiter verfolgt. Das von der G1 ins Auge gefasste Zusammenhangsgut¬achten war anscheinend nicht beauftragt worden. Statt dessen hatte die Klägerin schon im Juli 1998, vertreten durch Rechtsanwalt C aus E, beim Landgericht (LG) E gegen den Fahrer des Opel Frontera, die Halterin sowie die G1 die Klage 13 O 263/98 erhoben, mit der sie unter Anrechnung erfolgter Zahlungen Schmerzensgeld von über DM 30.000,00, die Feststellung der Ver¬pflichtung der Beklagten zur Tragung aller gegenwärtigen und künftigen Behand¬lungskosten sowie einen Haushaltsführungs-Schaden geltend machte.
50Im August 2000 erhob auf Grund der weiterhin in Bezug auf den Ursachenzusammenhang zweifelnden Haltung der gegnerischen Versicherung auch die Beklagte vor dem LG E aus übergegangenem Recht Klage gegen die Unfallgegner und die Versi¬cherung (13 O 389/00), mit der sie über DM 150.000,00 zuzüglich Zinsen sowie die Fest¬stellung der Verpflichtung zur Kostentragung für zukünftige Schäden begehrte. Das Zah¬lungsver-langen setzte sich aus ca. DM 12.000,00 für Behandlungskosten, etwa DM 84.000,00 Dienstbezüge sowie ca. DM 23.000,00 Versorgungsbezüge zusammen. Die Beklagte ließ sich dort anwaltlich vertreten. Ein koordiniertes Vorgehen auf Kläger¬seite fand in diesen Prozessen nicht statt. Insgesamt zeichneten sich diese zivilgerichtlichen Verfahren durch eine lange Laufzeit aus. Dabei spielte – neben häufigen Dezer¬natswechseln – eine Viel-zahl eingeholter Sachver¬ständigengutachten eine maßgebliche Rolle, bei denen längere Bearbeitungszeiten ent¬standen. Zeitweilig gingen auch die Gerichtsakten verlustig.
51Im Verfahren des LG E 13 O 263/98 ermittelte das Gericht den Sach¬verhalt durch Einholung eines interdisziplinären schriftlichen Sachverständigengutachtens, beste¬hend aus einem verkehrsunfallanalytischen und einem medizinischen Sachverstän¬digen-gutachten, zu den Fragen, welche Verletzungen die Klägerin in Folge des Verkehrs¬unfalls am 1. Oktober 1997 erlitten hatte, von wann bis wann die Klägerin in welchem Um¬fang in Folge des Unfalles arbeitsunfähig/erwerbsunfähig war, inwieweit sich etwaige Vorschäden auf die unfallbedingten Folgen ausgewirkt haben, und inwieweit die Klägerin in der Haus-haltsführung eingeschränkt war/ist (Hinweis- und Beweisbeschluss vom 16. Dezember 1998, Beiakte 17, Blatt 94 ff.). Da der medizinische Sachverständige (Univ.-Prof. Dr. med. R. L2 Direk¬tor der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der I1-Universität E) ein neurologisches Zusatzgutachten für notwendig hielt, wurde auch dies vom Landgericht E beauftragt.
52Als erstes Sachverständigengutachten erging im Verfahren LG E 13 O 263/98 das unfallanalytische Gutachten des Ingenieur-Büro Dr. Ing. Q (52 Seiten) vom 8. März 2000 über den Unfallhergang, die einwirkenden Kräfte und Ge¬schwindigkeiten bzw. Geschwindigkeitsänderungen einschließlich der biomechanischen Belastungen. Der Sachverständige gelangte im Wesentlichen zu dem Ergebnis:
53"Auf der Basis der dokumentierten Unfallfolgen ist ein schräg zur Fahrzeug¬längs¬achse gerichteter Anstoß gegen die rechte Frontecke des Fahrzeu¬ges 03 (Opel Kadett), in dem sich die Klägerin als Beifahrerin befand, mit einem deutlichen seitlichen Stoßanteil abzuleiten.
54Dieser Anstoß erfolgte durch das Fahrzeug 02 (Honda Accord), während es sich nach dem ersten Anstoß zwischen dem Fahrzeug 02 und dem Beklagtenfahrzeug (Opel Frontera) in ei¬ner Drehbewegung um die Hochachse befunden hatte.
55In Folge des schrägen Anstoßes war die ursprüngliche Bewegung des Fahr¬zeuges 03 geringfügig abge¬bremst und neben einer allenfalls sehr ge¬rin¬gen Richtungsänderung im Wesentlichen Wankbewegungen sowie De¬formati¬onen an wenig struktursteifen Karosserie- und Verkleidungsteilen versursacht worden.
56Die resultierenden Insassenbelastungen können, im Vergleich zu durchge¬führten Versuchen und ausge-werteten Realunfällen, als eindeutig unkritisch, mit Beschleunigungsspitzen zwischen 1 bis 1,5 g, ange-geben werden.
57Inwieweit auch solche geringen biomechanischen Belastungen geeignet gewe¬sen sein können, einen be¬reits bestehenden deutlichen Vorschaden im Be¬reich der Wirbelsäule derart zu beeinflussen, dass die geschilderten Be¬schwerden auftreten konnten, bedarf der medizinischen Beurteilung."
58Eine Kollision zwischen dem Geländewagen Opel Frontera und dem Opel Kadett, in dem die Klägerin saß, habe nicht vorgelegen. Die Geschwindigkeitsänderung durch die Kolli¬sion quer zur Fahrzeuglängsachse habe bei einer Stoßdauer von 0,1 Sekunde – zu Guns¬ten der Klägerin – nicht mehr als 5 km/h betragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverständigengutachtens wird auf Beiakte 17, Blatt 162 bis 214 verwiesen.
59Während der sich hieran anschließenden medizinischen Begutachtung im Zivilprozess, die einige Zeit in Anspruch nahm, trat bei der Beklagten die Frage auf, ob die intensive Be-handlung der Klägerin, die diese regelmäßig in Anspruch nahm, weiterhin erforderlich bzw. durch die Folgen des Dienstunfalles geboten war. Hierzu hatte die Klägerin ein fachortho-pädisches Attest ihres behandelnden Orthopäden Dr. med. T vom 17. August 2001 vorgelegt, im dem dieser im Wesentlichen attestierte: Als Folge des Unfalls im Jahre 1997 sei ein operationswürdiger Bandscheibenvorfall behandelt worden; postoperativ bestünden weiterhin Beschwerden im Sinne von Cephalgien, Cervicobrachialgien sowie rezidivieren-den Hypästhesien im Versorgungsgebiet C4/5/6. Die Therapie bestehe aus regelmäßiger Gabe von Analgetika/Antiphlogistika, regelmäßiger Schmerzakupunktur sowie der Verord-nung von physikalischer Therapie. Die Kombination dieser drei Maßnahmen sei notwen¬dig.
60Im Hinblick auf diese Fragestellung beauftragte das Hauptamt der Beklagten das Gesund-heitsamt mit einer entsprechenden gutachterlichen Stellungnahme. Nach orthopädischer Untersuchung der Klägerin im Gesundheitsamt am 6. September 2001 nahm Dr. med. H1 unter Mitzeichnung des Städt. Medizinaldirektors Dr. med. T4 unter dem 11. September 2001 im Wesentlichen wie folgt Stellung: Er halte zur Zeit in Bezug auf die Unfallfolgen noch einmal wöchentlich eine Schmerztherapie bei dem Orthopäden Dr. T für erforderlich, darüberhinaus zweimal wöchentlich Krankengymnastik bis ein¬schließlich März 2002. Damit der Körper auch auf die gesetzten Reize reagieren könne, sollte allmählich versucht werden, die umfangreiche Behandlung zu reduzieren, da im Körper auch Regenerationsvorgänge erfolgen würden. Ab April 2002 empfehle er deshalb nach Rücksprache mit der Klägerin vierteljährliche Behandlungsserien von etwa 10 Behandlungen mit anschließender Regenerationsphase.
61Dieses Ergebnis teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 27. September 2001 mit.
62Auf eine Anfrage der Klägerin aus dem Oktober 2002, mit der diese die Behandlungsfre-quenz wieder erhöhen wollte, weil es ihr auf Grund der abgesenkten Häufigkeit ab Ap-ril 2002 schlechter gegangen sei, nahm das Gesundheitsamt unter dem 22. November 2002 (Dr. med. H1/Dr. med. T4) dahingehend im Wesentli¬chen Stellung, die Physi¬otherapie solle in Bezug auf den Dienstunfall unverändert mit 10 Behandlungen pro Quar¬tal erfolgen. In Bezug auf die (dienstunfallunabhängige) Er¬krankung der linken Schulter seien zusätzliche krankengymnastische Übungsbehandlun¬gen sowie Akupunktur und wegen einer Verkalkung im Schultergelenksbereich auch eine dreimalige extrakorporale Sto߬wellentherapie erforderlich, wobei diese genannten Be¬handlungen von der Bei¬hilfe/privaten Krankenversicherung zu tragen seien.
63Das Hauptamt der Beklagten teilte der Klägerin dieses Ergebnis unter dem 8. Januar 2003 mit.
64Wenig zuvor war im Verfahren LG E 13 O 263/98 ein weiteres Gutachten erstat¬tet worden. Das neurologisch fachärztliche Zusatzgutachten des Prof. Dr. med. R. T5, Leitender Oberarzt der neurologischen Klinik der I1-Universität E (unter Mitwirkung der Ärztin A. D) vom 25. Oktober 2002 kam zu den Beweisfra¬gen zu den folgenden Ergebnissen:
651. Die Klägerin habe in Folge des Verkehrsunfalles vom 1. Oktober 1997 ein HWS Distorsionstrauma erlitten, wobei es zu einer richtungweisenden Ver¬schlechte-rung ih¬rer vorbestehenden degenerativen HWS-Veränderungen ge¬kommen sei. Dies sei Grund für die am 28. Januar 1998 durchgeführte Bandscheiben-OP bei HWK 5/6 gewesen.
662. Die Klägerin sei in Folge der neurologischen Störungen, die Folge des Un¬falles gewe-sen seien, bis zur OP und anschließender Rekonvaleszenz bis Mitte Ap¬ril 1998 zu 100 % arbeitsunfähig gewesen.
673. Die Vorschäden, die bereits an der HWS der Klägerin bestanden hätten, hät¬ten sich auf die unfallbedingten Folgen ausgewirkt.
684. Die Klägerin sei in den Monaten Oktober 1997 bis April 1998 in ihrer Haushalts¬füh¬rung vollständig eingeschränkt gewesen. Danach hätten sich auf neurologischem Fachge-biet keine Schädigungszeichen ergeben, die einer Haushaltsführung entge¬gen gestan-den hätten.
69In Bezug auf das Verhältnis von Vorschädigung und Unfall kam der Gutachter zu der Ein-schätzung, dass der Unfall für die Operation im Sinne einer richtungs¬weisenden Ver-schlechterung mitverantwortlich für die therapieresistenten Schmerzen und die Notwen-digkeit einer operativen Sanierung war.
70Das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. T5 gelangte über Rechtsamt und Hauptamt der Beklagten an das Gesundheitsamt zur Stellungnahme. Dieses äußerte sich unter dem 16. Januar 2003 durch Dr. med. H1 im Wesentlichen wie folgt: In Gesamt-würdigung der bisherigen Befunde sei davon auszugehen, dass das Verhältnis zwischen Vorschaden und unfallbedingtem Schaden (HWS-Schleudertrauma Grad II) im Laufe des Krankheitsprozesses eher mit 50 : 50 einzuschätzen sei, und nicht wie von Prof. T3 angegeben mit 20 : 80, bzw. von ihm selbst 1999 mit 40 : 60. Es lasse sich nicht mit hin-reichender Sicherheit sagen, ob der Bandscheibenvorfall vor dem Unfallereig¬nis schon bestanden habe und klinisch stumm war oder direkt durch das Unfallereignis ausgelöst worden sei, da keine exakten Befunde vorlägen.
71Mit größerer Wahrscheinlichkeit wäre ohne den Unfall keine Bandscheiben-Operation not-wendig gewesen, da degenerative Wirbelsäulenerkrankungen auch bei Vorliegen einer Protrusion überwiegend konservativ behandelt würden. Deshalb sei das Unfallereignis we-sentliche Ursache für die Notwendigkeit einer Operation. Die Dienstunfähigkeit hätte auch bei konservativer Behandlung und ohne Operation auf Grund einer Verschlechterung der HWS-Beschwerden auftreten können, allerdings zu einem weitaus späteren Zeitpunkt. Ohne den stattgehabten Unfall von 1997 wäre eine vorzeitige Versetzung in den Ruhe-stand eventuell nach einem Ablauf von etwa 10 bis 20 Jahren, also im Alter von 50 bis 60 Jahren möglich gewesen. Auf jeden Fall sei das Unfallereignis weiter als Dienstunfall zu bewerten, jedoch sei eine regelmäßige Nachuntersuchung zur Frage der Dienstunfä¬higkeit alle zwei Jahre sinnvoll.
72Das Verhältnis zwischen Vorschaden und dienstunfallbedingtem Schaden ändere sich im Laufe der dynamischen Krankheitsentwicklung. Zumindest im ersten Jahr nach dem Un-fall, also bis Oktober 1998, hätten die dienstunfallbedingten Störungen überwogen, even-tuell Verhältnis 40 : 60, und ab dem zweiten Jahr seien Vorschaden und unfallbedingter Schaden etwa als gleichwertig anzusehen gewesen. Selbst bei schweren Schleudertrau-men seien jedoch die Unfallfolgen nach ein bis zwei Jahren derart vermindert, dass sie gegenüber dem degenerativ bedingten Vorschaden in den Hintergrund träten. Möglicher-weise habe diese Feststellung auch Auswirkungen auf das Unfallruhegeld, denn die dau-ernde Dienstunfähigkeit beruhe dann überwiegend auf den degenerativ bedingten Vorer-krankungen. (Beiakte 25, Bl. 79 ff.)
73Nachfolgend erstattete im Verfahren LG E 13 O 263/98 auch der Sachverstän¬dige Univ.-Prof. Dr. med. R. L2 sein fachorthopädisches Gutachten vom 20. Oktober 2003 unter Mitwirkung des PD Dr. med. A. Y (Oberarzt der Orthopädi¬schen Klinik und Poliklinik der I1-Universität E). Der Sachverstän¬dige kam auf der Grundlage einer gutachterlichen Untersuchung der Klägerin vom 7. Februar 2001 und Befundung der bei ihm vorgelegten bildgebenden Unterlagen und der sonstigen medizinischen Befunde zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin zum Unter¬suchungszeitpunkt eine ausgeprägte, schmerzhafte Bewegungsein¬schränkung der HWS, eine deutliche schmerzhafte aktive Bewegungseinschränkung der linken Schulter bei pas¬siv freier Beweglichkeit unter Schmerzangabe, eine diffuse Kraft¬minderung im Bereich der linken oberen Extremität sowie nicht sicher segmental zuord¬nenbare Sensibilitätsstörung im Bereich der linken Hand sowie des linken vorderen Schienbeinabschnittes und der lin¬ken Ferse vorgelegen habe. Röntgenologisch habe sich nach Bandscheibenausräumung und Spondylodese C5/C6 mittels Palacosplombe eine beinahe vollständig aufgehobene Beweglichkeit im Bereich der Halswirbelsäule mit fixier¬ter Streckfehlhaltung und leichtem kyphotischem Knick im Segment C5/C6 gezeigt. Die Beweis¬fragen beantwortete der Sachverständige wie folgt:
741. Die Klägerin habe im Rahmen des Unfalls am 1. Oktober 1997 eine Beschleuni¬gungs-verletzung der HWS mit der Folge posttraumatischer Zervi¬cobra¬chialgien links erlitten. Dies wird im Wesentlichen auf die Trias "Trauma - sofort einsetzende typische Be-schwerden - Beschwerdefreiheit unmittelbar vor dem Er¬eignis" gestützt.
752. Aus orthopädischer Sicht sei die Arbeitsunfähigkeit in Folge des Unfalles wie folgt ab-zustufen: 100 % vom 1. Oktober 1997 bis 1. März 1998, 80 % vom 2. März 1998 bis 1. Mai 1998, 20 % vom 2. Mai 1998 bis 1. Oktober 1999; die Dauer-MdE in Folge des Unfalls ab dem 2. Oktober 1999 sei 10 %. Diese Ein¬schätzung orientiere sich an der entsprechenden Literatur und entspreche im Wesentlichen derjenigen des neurologi-schen Zusatzgutachtens. Es habe zu¬mindest eine richtungweisende Verschlimmerung eines vorbestehenden Lei¬dens durch den Unfall gegeben, wes¬halb die Dauer-MdE von 10 % auf den 2. Oktober 1999 gerechtfertigt sei.
763. Zum Unfallzeitpunkt hätten degenerative Veränderungen, insbesondere im Seg¬ment C6 vorgelegen, die allein radiologisch festgestellt werden konnten, da ein kli¬nisches Korrelat nach der glaubhaften Aussage der Klägerin vor dem Unfall nicht vorgelegen habe. Weil somit ein klinisch funktionell manifester Gesundheitsschaden im Sinne ei-nes Grundleidens nicht vorgelegen habe, sei auf Grund der Datenlage zumindest von einer richtungweisenden Ver¬schlimmerung eines vorbestehenden Schadens auszuge-hen, insbesondere unter Berücksichtigung der späteren Operati¬onsbedürf¬tig¬keit des Bandschei¬benschadens C5/C6. Die vorliegenden degenerati¬ven Veränderungen wür-den den klinischen Verlauf verzögern, weshalb der Mitwir¬kungsanteil der unfallun¬ab-hängigen, degenerativen Veränderungen im Verlauf zu¬nehme.
77Das Gesundheitsamt der Beklagten nahm zu diesem Gutachten gegenüber dem Haupt-amt durch Dr. med. H1 unter dem 1. Dezember 2003 im Wesentlichen wie folgt Stel¬lung: Prof. Dr. L2 und Prof. Dr. T5 hätten beide die vom Gesundheitsamt ge¬fer¬tigten Gutachten, insbesondere dasjenige des Herrn S vom 28. Januar 1998, nicht berücksichtigt, um den dynamischen Krankheitsverlauf und die Entwicklung zwischen dienstunfallbedingtem Schaden und Vorschaden besser beurteilen zu können. Herr S und er selbst hätten die Klägerin schnell nach dem Unfall untersucht und insbesondere er selbst sei der einzige Gutachter, der die Klägerin genau ein Jahr nach der Bandscheiben-operation in Höhe C5/C6 untersucht und begutachtet habe. Daher könne er den Zeitraum zwischen der operativen Versorgung und Januar 1999 wesentlich besser beurteilen als die Gutachter lange nach dem Unfallereignis.
78Auf weitere Anfrage des Amtes für Personalservice und Zentrale Dienste (Amt 11/27) am 14. Januar 2004 an das Gesundheitsamt, ob überhaupt noch dienstunfallbedingte Schädi-gungen vorlägen, die Therapien und Behandlungen erforderlich machen, deren Kosten zu übernehmen seien, nahm Dr. med. H1 unter Mitzeichnung des Facharztes für Innere Medizin und für Öffentliches Gesundheitswesen, Zusatzbezeichnung Sozialmedizin, Dr. med. T4, unter dem 13. Februar 2004 nach orthopädischer Untersuchung am 9. Februar 2004 zunächst nicht umfassend Stellung. Auf entsprechende erneute An¬frage des Personalamtes vom 3. September 2004 sah das Gesundheitsamt die Erforder¬lichkeit weiterer Zusatz-Untersuchungen und –befunde. In Bezug auf die Notwendigkeit einer Cervicalstütze aus Mitteln der Beamtenunfallfürsorge nahmen Dr. med. H1 und Dr. med. T4 unter dem 8. November 2004 im Wesentlichen wie folgt Stel¬lung: Bei der Klägerin lägen Erkrankungen im Bereich der HWS vor, die sowohl dienstun¬fallbe¬dingt als auch nicht dienstunfallbedingt identische Beschwerden verursachen würden und möglicherweise die Versorgung mit einer Cervicalstütze erforderlich machen würden. Sie¬ben Jahre nach dem Dienstunfall müsse jedoch davon ausgegangen werden, dass mitt¬lerweile die dienstunfallunabhängigen Erkrankungen für die jetzigen Beschwerden ver¬ant¬wortlich seien. Ausnahmsweise sei er bereit, nochmals eine Cervicalstütze aus Mitteln der Beamtenunfallfürsorge zu befürworten, da diese das Operationsergebnis möglicher¬weise stabilisiere. Sollten weitere medico-physikalische Maßnahmen an der Wirbelsäule wegen Beschwerden erfolgen, so seien diese jedoch nicht mehr von der Dienstunfallfür¬sorge zu übernehmen.
79Nach Einholung eines internistischen Zusatzgutachtens innerhalb des Gesundheitsamtes in Bezug auf einen Zusammenhang einer möglichen chronischen Gastritis der Klägerin mit dem Autounfall (Dr. T6) vom 17. Mai 2005 (Beiakte 25, Blatt 123) kam das Gesund-heitsamt unter dem 30. Mai 2005 (Dr. med. H1/Dr. med. T4) im Wesentli¬chen zu dem Ergebnis:
80Dienstunfallabhängige Diagnose: Zustand nach Beschleunigungsverletzung der HWS vom 1. Oktober 1997 mit Ausbildung eines posttraumatischen Zervikobrachialsyndroms links, Zustand nach Bandscheibenausräumung und Versteifung des Segments C5/C6 vom 28.01.1998.
81Dienstunfallunabhängige Diagnosen: 1. Degenerative Veränderungen der unteren HWS als Vorschaden; 2. Zustand nach Schleudertrauma vor 11 Jahren (anamnestisch); 3. Funktionelle Beschwerden bei Kalkschulter links.
82Nachdem in den Zivilverfahren LG E 13 O 263/98 und 13 O 389/00 die Beteilig¬ten erhebliche Einwände gegen die Verwertung der Sachverständigengutachten des Prof. Dr. T5 sowie des Prof. Dr. L2 erhoben hatten, erging im Verfahren 13 O 389/00 ein weiterer Beweisbeschluss, in dem ein weiteres interdisziplinäres Sach¬verständigen¬gutachten angeordnet wurde, bestehend aus einem verkehrsunfallanalyti¬schen und einem medizinischen Teil. Zu Sachverständigen ernannt wurden Prof. Dipl.-Ing. T7 (unfallanalytisch) und Prof. Dr. med. D1 (medizinisch-orthopädisch). Die Beweisfragen lauteten:
831. Hat die Klägerin durch die Kollision mit dem Fahrzeug X BB 299 am 1. Oktober 1997 ein akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien und einen Bandschei¬benvorfall in Höhe der C5/C6 erlitten?
842. Haben die unfallbedingten Verletzungen der Klägerin dazu geführt, dass sie ihren Dienst nicht mehr aufnehmen konnte und zum 1. August 1999 in den Ruhestand versetzt werden musste?
853. Inwieweit haben sich etwaige Vorschäden auf die unfallbedingten Folgen ausgewirkt?
86Im Parallelverfahren LG E 13 O 263/98 ordnete das Gericht mit Beweisbeschluss vom 21. Mai 2004 ergänzende Stellungnahmen der Sachverständigen Prof. Dr. T5 und Prof. Dr. L2 im Hinblick auf Rügen der Beteiligten an.
87In der Folgezeit gingen im Verfahren LG E 13 O 263/98 die Zusatz-Gutachten ein: Prof. Dr. T5 (unter Beteiligung von Assistenzarzt R. M) nahm unter dem 5. April 2005 ergänzend Stellung (zu den Einzelheiten siehe Beiakte 22, Bl. 515 ff.).
88Der Sachverständige Prof. Dr. med. L2 nahm ergänzend unter dem 8. September 2005 Stellung (siehe Beiakte 22, Bl. 538 ff.).
89Kurz zuvor hatten im Verfahren LG E 13 O 389/00 die Sachverständigen unter dem 16. Juni 2005 ihr interdisziplinäres Gutachten erstattet. Der technische Teil war von Prof. Dipl. Ing. K.-H. T7 im Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. H. T8 er¬stellt worden (13 Seiten + 33 Seiten Anlagen) und kam zu dem Gesamtergebnis, dass der Opel Kadett, in dem die Klägerin saß, nicht mit dem Opel Frontera zusammengestoßen sei, sondern der Honda Accord mit dem Opel Frontera zusammenstieß und dadurch in eine Drehbewegung versetzt wurde und so seinerseits mit dem Opel Kadett, in dem die Kläge¬rin saß, zusammenstieß. Dadurch sei der Opel Kadett schräg von vorne rechts be¬las¬tet worden. Auf der Grundlage von Versuchsergebnissen habe die kollisionsbedingte Geschwin-digkeitsänderung – bezogen auf die Sitzposition der Klägerin – zwischen 8,9 und 12,0 km/h eingegrenzt werden können. Durch den Anstoß habe die Klägerin eine Bewe-gung nach vorn rechts ausge¬führt. Es sei nicht auszuschließen, dass sie einen Kopfanstoß erlitten habe. Die abschlie¬ßende Beurteilung der Verletzungswahrscheinlichkeit bleibe dem medizinischen Experten vorbehalten. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Gut¬achtens wird auf Beiakte 2, Blatt 226 ff., ver¬wiesen.
90Im orthopädischen Teil des interdisziplinären Gutachtens kam der Sachverständige Prof. Dr. med. W. H. M. D in seinem Teilgutachten (54 Seiten) im Wesentlichen zu den fol-genden Ergebnissen:
91Aus orthopädischer Sicht ergäben sich unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie auch der persönlichen Begutachtung am 22. April 2005 keine sicheren Hinweise für verlet-zungsfördernde Faktoren im Bereich der HWS zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles am 1. Oktober 1997. Diese Einschätzung bezog sich auf die Auswirkungen der schon vor dem Unfall bestehenden degenerativen Veränderungen der HWS der Klägerin, den Überra-schungseffekt bei dem Unfall, ihre Rolle als Beifahrerin sowie ihre spezielle Sitzposition und Kopfhaltung im Moment des Zusammenstoßes ("out-of-Position").
92Sowohl für die isoliert gewertete biomechanische Belastung in Fahrzeuglängsrichtung als auch für die einwirkende biomechanische Belastung in Fahrzeugquerrichtung sowie die resultierend von schräg vorne rechts einwirkende biomechanische Belastung im Sinne ei-ner kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 8,9 bis 12,0 km/h kam der Sach-verständige, sogar ausge¬hend von der höchstmöglichen einwirkenden biomechanischen Belastung, zu dem Ergebnis, dass eine Verletzungsmöglichkeit für die HWS der Klägerin aus orthopädischer Sicht noch eher aus¬geschlossen werden könne. Das gelte dann in der Regel auch entsprechend für das Auf¬treten einer Verletzung, so dass Verletzungsfolgen nicht weiter diskutiert werden müssten. Nach Auseinandersetzung mit den Beschwerden, die nach den Angaben der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall bei ihr aufgetreten waren und die die erstbehandelnden Ärzte befundet haben, kommt der Sachverständige zu den Beweisfragen aus orthopädischer Sicht zu dem Ergebnis:
93"1. Frau V1 (früher Frau I) – Beifahrerin in dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX XX 677 – hat zumindest eher durch die Kollision mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen X BB 299 am 01.10.1997 kein akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien und einen Bandscheibenvorfall in Höhe C5/C6 erlitten.
942. Unter Berücksichtigung der Beantwortung der Frage 1 hat der Unfall am 01.10.1997 zumindest eher nicht dazu geführt, dass Frau V1 ihren Dienst nicht mehr aufnehmen konnte und zum 01.08.1999 in den Ruhestand versetzt werden musste.
953. Unter Berücksichtigung der Beantwortung der beiden o.g. Fragen kann festgehalten werden, dass die bei der Frau V1 bekannten verschleißbedingten Veränderungen der HWS vor dem Unfallereignis am 01.10.1997 nicht als sicherer Hinweis für einen verlet¬zungsfördernden Faktor zum Zeitpunkt des Unfalles am 01.10.1997 für den Bereich der HWS gewertet werden können."
96Nach Vorliegen des interdisziplinären Gutachtens T7/D befasste das Rechtsamt sowie das Hauptamt der Beklagten wiederum das Gesundheitsamt mit der Fragestellung. Dieses äußerte sich durch Dr. med. H1 (mitgezeichnet Prof. (BG) Dr. med. H. T9, Leiter des Gesundheitsamtes) unter dem 20. Juli 2005 ausführlich zum interdisziplinären Gutachten im Wesentlichen wie folgt: Insgesamt gesehen sei er nach wie vor der Meinung, dass bei der Klägerin eine deutliche Vorschädigung im HWS-Bereich vorgelegen und sie an diesem Morgen einen deutlich geringeren Muskeltonus aufgewie¬sen habe, als der Fahrzeugführer selbst. Auf Grund der Kombination von niedri¬gem Mus¬keltonus am Morgen als Beifahrerin und deutlicher Vorschädigung ohne Symp¬tomatik vor dem Unfall, sei es durch das Unfallereignis zu einer akuten Exazerbation eines vorher nicht behandlungsbedürftigen und offenbar auch nicht erkannten Leidens der HWS, also einer asymptomatischen Degeneration mit Gewebediskontinuität, gekommen. Dies sei eine richtungweisende Verschlechterung der Symptomatik, die in einer Bandscheiben¬ope¬ration geendet habe. Im Laufe der Jahre bestehe die Symptomatik bis heute weiter, wobei entsprechend dem dynamischen Krankheitsbild davon auszugehen sei, dass die heutigen Beschwerden überwiegend auf Grund der degenerativ bedingten Veränderungen der HWS und kaum mehr auf Grund des durchgemachten Unfalles vom 1. Oktober 1997 vor¬handen seien.
97Gegen das interdisziplinäre Gutachten sei einzuwenden, dass die entsprechenden radio-logischen Medien zum Zeitpunkt des Unfalles und danach nicht persönlich eingesehen worden seien und dass die zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen überwiegend nur für Fahrzeugführer anwendbar seien.
98Die Klägerin habe bei dem Unfall am 1. Oktober 1997 eindeutig eine akute Beschleuni-gungsverletzung der HWS erlitten. Der Gutachter habe zudem die Frage nicht beantwor-tet, ob es auch ohne das Unfallereignis zeitnah zu einer Bandscheiben-OP gekommen wäre. Der Unfall sei jedoch rechtlich wesentlich, denn nur durch sein Hinzutreten zu einer bereits bestehenden asymptomatischen Degeneration sei der Gesundheitsschaden mit großer Wahrscheinlichkeit einige Jahre früher eingetreten, als dies ohne Unfall zu erwar-ten gewesen sei. Zu einem nicht vorhersehbaren späteren Zeitpunkt wären auch ohne das Unfallereignis nahezu identische Beschwerden mit Behandlungsbedürftigkeit bis hin zur Bandscheiben-OP aufgetreten.
99Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Stellungnahme wird auf Beiakte 25, Blatt 144 ff., Bezug genommen. Die Stellungnahme des Gesundheitsamts fand in das Klageverfahren LG E 13 O 389/00 über den Rechtsanwalt der Beklagten inhaltlich Eingang und Berücksichtigung.
100Das Landgericht E führte am 19. Mai 2006 für beide Klageverfahren eine ge¬meinsame mündliche Verhandlung durch, in der der Orthopäde der Klägerin, Dr. med. A. T, der Neurologe Dr. med. H.-H. G, der Operateur Prof. Dr. med. M. T3 sowie der Amtsarzt Dr. med. H1 als sachverständige Zeugen ge¬hört wurden. Dabei waren die Sachverständigen Prof. Dr. L2 und Prof. Dr. D anwesend und konnten die Zeugen befragen (zu den Einzelheiten siehe Protokoll dieser mündlichen Ver¬handlung: Bei¬akte 23, Blatt 703 ff., bzw. Beiakte 2, Blatt 389 ff.).
101Aufgrund der Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung reichte die Klägerin die nun¬mehr wieder aufgetauchten radiologischen Befunde (Röntgenbilder und MRT-Aufnahmen) ein und die Sachverständigen Prof. Dr. L2 und Prof. Dr. D sollten un¬ter Berücksich¬tigung der bildgebenden Befunde eine gemeinsame abschließende Stellungnahme zu den Beweisfragen erstellen. Die Sachverständigen ga¬ben unter dem 31. Oktober 2006 ihre gemeinsame fachorthopädische gutachtliche Stellung¬nahme (12 Seiten) unter Auswertung der Bildgebung sowie unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2006 ab und kamen im Wesentlichen zu dem Ge¬samtergebnis: Aus fachorthopädischer Sicht habe die Klägerin als Beifahrerin in dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX XX 677 zumindest eher durch die Kollision mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen X BB 299 am 1. Oktober 1997 kein akutes HWS-Schleu-dertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien und einen Bandscheibenvorfall C5/C6 er-litten. Dies gelte auch, wenn man die höchstmögliche einwirkende resultierende biome-chanische Belastung zugrunde lege. Die von mehreren Ärzten dokumentierten Beschwer-den und Befunde nach dem Unfall würden nicht bestritten, könnten jedoch mit den ge-nannten Wahrscheinlichkeiten aus fachorthopädischer Sicht nicht als unfallkausal be-trachtet werden. Das Auftreten einer leichten HWS-Distorsion durch den Unfall vom 1. Oktober 1997 könne nicht ausgeschlossen, jedoch auch nicht mit an Sicherheit gren-zender Wahrscheinlichkeit bewiesen werden.
102Wenn man eine leichte HWS-Distorsion als Unfallfolge anerkenne, wäre die unfallbedingte MdE wie folgt einzustufen: Für die ersten zwei Wochen eine MdE von 100 %, für weitere zwei Wochen 50 % und für weitere zwei Wochen 20 % und anschließend 0 %.
103Die Einzelheiten dieser gemeinsamen gutachterlichen Stellungnahme ergeben sich aus Beiakte 23, Blatt 735 ff., bzw. Beiakte 2, Blatt 421 ff.
104Auf dieser Grundlage entschied das Landgericht E in beiden Klageverfahren, je¬weils durch Urteil vom 27. Juli 2007:
105Im Verfahren 13 O 263/98 verurteilte es den Fahrer des Opel Frontera sowie die G1 unter Abweisung im Übrigen zur Zahlung von 1.521,60 Euro nebst Zinsen. Als be¬gründet sah das Landgericht lediglich Schmerzensgeld von (bereits gezahl¬ten) DM 4.000,00 sowie einen Haushaltsführungsschaden von 1.521,60 Euro. Im Übrigen hielt es die Klage für unbegründet und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Das Ge¬richt sei überzeugt, dass es durch den Unfall zu einem HWS-Schleudertrauma und ei¬ner Irritation der linken Armnerven gekommen sei. Hingegen sei durch den Unfall keine schwerste HWS-Distorsion mit Gefahr einer Querschnittslähmung und kein HWS-Schleu¬dertrauma mit radikulärer Reizsymptomatik erlitten und auch kein Bandscheibenvorfall C5/C6 ausgelöst worden. Das Landgericht ging davon aus, dass es nach den Sachver¬ständigen Stellungnahmen wahrscheinlich sei, dass die Bandscheibenprotrusion zum Un¬fallzeitpunkt bereits vorlag, aber "klinisch stumm" gewesen sei. Es war auch überzeugt, dass der vorhandene Bandscheibenvorfall durch den Unfall zu der OP am 28. Januar 1997 geführt habe, worauf sich das Schmerzensgeld beziehe: Ein leichtes HWS-Schleuder¬trauma mit Irritation der linken Armnerven sowie die Bandscheibenopera¬tion am 28. Januar 1998. In Bezug auf die Operation ist das Gericht davon überzeugt, dass es zu dieser auch ohne den Unfall gekommen wäre, jedoch später. Dass die Klägerin zum 1. August 1999 in den Ruhestand versetzt worden sei, sei nicht auf den Unfall zurück zu führen. Für das Landgericht war es nicht erwiesen, dass der Unfall zu längeren Be¬schwer¬den als ca. 6 Wochen geführt habe. Der Anspruch auf Verdienstausfall bestehe nicht, weil nicht bewiesen sei, dass die Frühpensionierung durch den Dienstunfall verur¬sacht worden sei. Auch das Feststellungsbegehren sei unbegründet, weil nicht bewiesen sei, dass die Klägerin durch den Dienstunfall Dauerschäden erlitten habe, die weitere materielle Schäden verursachen könnten.
106Im Verfahren der Beklagten 13 O 389/00 verurteilte das Landgericht E den Un¬fallgegner und die G1 zur Zahlung von 16.907,38 Euro nebst Zinsen und wies die Klage im Übrigen ab. Die Stattgabe bezog sich auf die von der Beklagten er¬brachten Leistungen für Behandlungskosten bis März 1998 und die vom Un¬falltag bis Ende Ap¬ril 1998 gezahlten Dienstbezüge. Dies stützte das Landgericht im We¬sentlichen darauf, dass es wie zum Verfahren 13 O 263/98 dargelegt von der Verursa¬chung eines leichten HWS-Schleudertrauma durch den Unfall ausgeht, da das gemein¬same Gutachten D/L2 eine leichte HWS-Distorsion nicht ausschließen könne. Die deshalb kau¬sale HWS-Distorsion nebst einer Irritation der Armnerven werde als Un¬fallfolge angese¬hen, jedoch keine Nervenwurzelschädigung und auch kein Bandscheiben¬vorfall. Zugleich sei die Operation am 28. Januar 1998 zu diesem Zeitpunkt durch den Unfall verursacht worden, weil die ausgelösten Beschwerden hierzu geführt hätten. An¬sonsten sei eine Ope¬ration deutlich später erfolgt. Für Beschwerden und Behandlungs¬kosten oder Verdienst¬ausfall u.ä. nach April 1998 sah das Landgericht keine Anspruchs¬grundlage.
107Im Klageverfahren der Beklagten 13 O 389/00 legte diese auf Empfehlung des Amtsarztes Dr. med. H1 kein Rechtsmittel ein, weshalb das Urteil rechtskräftig wurde.
108Im Eigenprozess der Klägerin 13 O 263/98 erhob die Klägerin – verbunden mit einem Wechsel ihres Bevollmächtigten: nunmehr ihr gegenwärtiger Prozessbevollmächtigter – Berufung gegen das Urteil I. Instanz zum Oberlandesgericht (OLG) E 1 U 208/07 . Nachdem der 1. Zivilsenat des OLG E im Termin vom 2. Juni 2008 darauf hingewiesen hatte, dass erheblicher Bedarf an Erörterung mehrerer Probleme, eventuell auch an einer weiteren Aufklärung (insbesondere des Problems der Bindung an den Bescheid der Stadt E vom 9. Juli 1999, der Fragen der Ver¬jäh¬rung, der überholenden Kausalität sowie der Schadensminderungspflicht) bestehe, und den Parteien einen Abfindungsvergleich in der Größenordnung von 60.000 Euro vorge¬schlagen hatte, einigten sich die Streitparteien auf die Zahlung des genannten Betrages von 60.000,00 Euro zur Abgeltung der Klageforderung und aller Ansprüche der Klägerin aus Anlass des Ver-kehrsunfallgeschehens vom 1. Oktober 1997, gleich aus welchem Rechtsgrund, ob be-kannt oder unbekannt, aus der Vergangenheit herrührend, gegenwär¬tig oder zukünftig. Über die Kosten des Verfahrens entschied das OLG E mit Be¬schluss vom 4. August 2008, dass gemäß § 91 a ZPO die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs gegeneinander aufgehoben würden, weil ein annähernd gleichwertiges Nachgeben der Parteien bei dem Abfindungsbetrag von 60.000,00 Euro vorgelegen habe, der es recht¬fer¬tige, die Kosten für den Rechtsstreit und den Vergleich im Wesentlichen gleichmäßig auf die Beteiligten zu verteilen. Dabei berücksichtigte der Senat maßgeblich, dass die Beru¬fung der Klägerin in einem gewissen Maße (entsprechend der Erörterungen in dem Ver¬handlungstermin vom 2. Juni 2008: Grundsätzliche Bindung der Zivilgerichte an die Fest¬stellung der unfallbedingten Dienstunfähigkeit durch die zuständige Verwaltungs¬behörde) Erfolg versprechend war, andererseits der Sachverhalt weiter hätte aufgeklärt werden müssen, insbesondere hinsichtlich der Fragen, welche Beschwerden die Klägerin heute noch auf den Unfall zurückführen kann und in welcher Weise sie hierdurch beein¬trächtigt ist, ferner der Einwand der Beklagten zu einer überholenden Kausalität in Gestalt der Not¬wendigkeit der Operation auch ohne das Unfallereignis auf Grund einer Vorschädi¬gung.
109Unter dem 24. August 2007 teilte der Amtsarzt Dr. med. H1 dem Haupt¬amt der Beklag¬ten in Bezug auf die Klägerin mit, dass die Verhandlung vor dem Landge¬richt in Sachen Dienstunfall bei der Klägerin neue, ihm bisher nicht bekannte medizinische Tatbestände ergeben habe, auf Grund derer Unfallfolgen als Ursache für die dauernde Dienstunfähig-keit, die zur Versetzung in den Ruhestand führte, ausscheiden würden.
110Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2007 zu einer "Vorgesehenen Neuberechnung des Ruhegehaltes" an und führte darin im Wesentlichen aus: Der Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 sei seit mehreren Jahren Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens. Dabei seien insbesondere die dienstunfallbedingten Folgen und deren Zeitdauer erörtert worden. Die im Verlauf des Verfahrens erstellten medizinischen Gutachten kämen zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand zwar Dienstunfähigkeit vorlag, die Versetzung in den Ruhestand jedoch nicht in Folge ei¬ner dienstunfallbedingten Schädigung erfolgte. Die Beklagte beabsichtige deshalb, die Festsetzung des Ruhegehalts hinsichtlich der Gewährung als Unfallruhegehalt mit Wir-kung vom 1. November 2007 gemäß § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG) zurück zu nehmen. Dadurch werde sich das monatliche Brutto-Ruhegehalt auf 1.458,15 Euro verringern. Es bestehe Gelegenheit zur Äußerung binnen vier Wochen.
111Der Bevollmächtigte der Klägerin bestellte sich für sie und nahm im Anhörungsverfahren mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 Stellung, in dem er insbeson¬dere um genaue An-gabe bat, auf welches Gutachten die Beklagte sich zur Begründung ihrer Auffassung be-ziehen wolle; darüberhinaus vertrat er die Auffassung, dass die in den Zivilrechtsstreitig-keiten eingeholten gerichtlichen Gutachten mangels einer Streitverkün¬dung lediglich die Qualität qualifizierten Parteivortrages hätten. Weiter hätte das Landgericht E die gutachterlichen Stellungnahmen fehlerhaft gewürdigt und auch die entscheidungserhebli-che Frage einer richtungweisenden Verschlechterung einer Vor¬schädigung nicht geprüft. In Bezug auf die bei dem Unfall aufgetretene biomechanische Belastung sei unberück-sichtigt geblieben, dass die Klägerin nicht frontal zur Fahrtrichtung, sondern leicht seitlich versetzt gesessen habe, wodurch auch die geringe Aufprallenergie ausreichend gewesen sei, um die Unfallfolgen herbeizuführen.
112Mit Bescheid vom 22. Oktober 2007 hob die Beklagte die Festsetzung des Ruhegehaltes hinsichtlich der Berechnung als Unfallruhegehalt gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG mit Wirkung vom 1. November 2007 auf und setzte das Ruhegehalt entsprechend den dem Bescheid beigefügten Anlagen als normales Altersruhegehalt aus der Besoldungsgruppe A 11
113BBesO nach einem Ruhegehaltssatz von 49,64 % mit einer Kürzung wegen Versorgungs-ausgleich auf monatlich brutto 1.458,15 Euro fest. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Die Festsetzung des Ruhegehaltes vom 28. Juli 1999 sei in Bezug auf die Festsetzung als Unfallruhegehalt rechtswidrig. Die Entscheidung vom 28. Juli 1999, die von einer Versetzung in den Ruhestand auf Grund von dienstunfallbedingten Schädi¬gun-gen ausging, habe insbesondere auf einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 14. April 1999 beruht, die von Dienstunfähigkeit auf Grund eines durch den Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 verursachten Körperschadens ausgegangen sei. Diese Entschei-dung sei nicht mehr haltbar. Das Gesundheitsamt komme heute nach Auswertung aller Gut¬achten und Vorträge zu dem Ergebnis, dass die Dienstunfähigkeit, auf Grund der die Ver¬setzung in den Ruhestand erfolgte, nicht im Zusammenhang mit den Dienstunfallfolgen stehe. Der damaligen Bewilligung eines Unfallruhegehaltes fehlten damit die medizini¬schen Voraussetzungen. Auch auf Grund der übereinstimmenden Feststellungen mehre¬rer im Verfahren gehörter Gutachter hätten zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhe¬stand keine Dienstunfallfolgen mehr vorgelegen. Damit stehe die Versetzung in den Ruhe¬stand in keinem Zusammenhang mit dem Dienstunfall. Letztendlich sehe sie sich auch nicht in der Lage, sich der Entscheidung des Landgerichts E vom 27. Juli 2007 13 O 389/00 entgegen zu stellen, die ebenfalls zu diesem Ergebnis komme. Die im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Argumente würden die weitere Zahlung eines Un¬fallruhegehaltes nicht begründen. Deshalb sei das Ruhegehalt nach den Bestimmungen des BeamtVG auf der Basis einer dauernden dienstunfallunabhängigen Dienstunfähigkeit zu berechnen.
114Der rechtswidrige Verwaltungsakt könne deshalb gemäß § 48 VwVfG zurück genommen werden. Diese Regelung sei auch anzuwenden, wenn nachträglich festgestellt werde, dass beim Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes der Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unzureichend gewürdigt worden sei und die Behörde deswegen rechtswidrig entschieden habe. Ein besonderer Vertrauensschutz, der einer Aufhebung der Festsetzung entgegenstehen würde, sei auch nach intensiver Abwägung nicht zu er-ken¬nen. Allein durch das laufende Klageverfahren habe bekannt sein müssen, dass es strittig war, ob die Versetzung in den Ruhestand überhaupt auf Grund eines durch den Dienst¬unfall verursachten Körperschadens erfolgt sei. Auch seien nach weiterer Abwä-gung keine anderen Gründe erkennbar, die eine Weitergewährung des Ruhegehaltes in der bisheri¬gen Höhe rechtfertigen könnten.
115Unter dem 23. Oktober 2007 ordnete die Beklagte in Bezug auf den Bescheid vom 22. Oktober 2007 die sofortige Vollziehung an, soweit damit die Bezüge für die Zukunft herabgesetzt würden (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
116Die Klägerin erhob gegen die Neuberechnung ihres Ru¬hegehaltes durch den Bescheid vom 22. Oktober 2007 am 26. November 2007 Widerspruch, in dem sie neben der Anre-gung, die medizinischen Gutachten aus den Zivilverfahren im Einzelnen nochmals zu überprüfen, im Wesentlichen ausführte: Die Feststellung des Dienstunfalles sei durch den Amtsarzt er¬folgt. Alle nachträglich in den Zivilverfahren eingeholten Gutachten beruhten sämtlich auf einem unfallanalytischen Gutachten des Ingenieur-Büros Dr. Q vom 8. März 2000. In diesem Gutachten seien die Anstoßkräfte, die während des Unfalls ent-standen seien und die hierdurch entstandenen biomechanischen Belastungen nicht zu-treffend wiedergegeben worden. Es sei weder berücksichtigt worden, dass die Fahrbahn nass gewesen sei, noch dass die Seitenführungskräfte der Räder des Fahrzeugs der Klä-gerin vermindert waren, noch dass das Fahrzeug der Klägerin sehr weit auf die linke Fahr-spur versetzt worden sei. Alle medizinischen Gutachter hätten zudem ignoriert, dass die Klägerin nicht in gerader Richtung zur Fahrtrichtung gesessen habe, sondern seitlich schräg versetzt ihrem Ehemann zugewandt gesessen habe. Zudem seien die Gutachten, auf die die Beklagte sich berufe, im Verwaltungsverfahren nicht verbindlich. Die Beklagte habe zu beweisen, dass die Dienstunfähigkeit der Klägerin nicht auf den Dienstunfall zu-rück zu führen sei. Ob ein solcher Nachweis geführt werden könne, sei zweifelhaft.
117Nachdem die Beklagte eine Entscheidung über den Widerspruch auf Bitte der Klägerin im Hinblick auf weitergehende Begründung – wohl auch unter Berücksichtigung des offenen Berufungsverfahrens der Klägerin vor dem Landgericht E – zurückgestellt hatte, trug die Klägerin unter dem 20. November 2008 eingehend zur Begründung ihres Wider¬spruchs vor und führte in Ergänzung des Widerspruchs im Wesentlichen aus: In der Per¬sonalakte der Klägerin befinde sich keine abschließende Stellungnahme des Gesund¬heitsamts, die die Entscheidung der Beklagten trage. Die Beklagte werde deshalb erneut aufgefordert, mitzuteilen, auf welches Gutachten sie sich zur Begründung der Rücknahme beziehe. Man könne derzeit nur davon ausgehen, dass die Beklagte sich auf die Stellung¬nahme des Dr. H1 vom 16. Januar 2003 und auf das interdisziplinäre Gutachten des Prof. Dr. T7 mit Prof. Dr. med. D vom 16. Juni 2005 stütze. Der Inhalt des interdisziplinären Gutachtens D/T7 sei dem Rechtsamt der Stadt E jedoch spätestens seit der Sitzung des Landgerichts E im Rechtsstreit E ./. F1 vom 19. Mai 2006 bekannt. Damit sei aber spätestens im Mai 2006 alles bekannt gewesen, worauf nunmehr die Rücknahmeentschei-dung gestützt werde. Der Rücknahmebescheid vom 22. Oktober 2007 sei daher gemäß § 45 Abs. 4 VwVfG NW un¬zulässig.
118Unabhängig von dieser formellen Unrechtmäßigkeit des Rücknahmebescheides sei der Bescheid auch materiell rechtswidrig, da die ursprüngliche Gewährung von Unfallruhege-halt mit Bescheid vom 28. Juli 1999 rechtmäßig war und auch die in dem Zivilverfahren vor dem Landgericht E nachträglich eingeholten Gutachten eine andere Entschei¬dung nicht rechtfertigen könnten. Die der Gewährung des Unfallruhegehaltes zu Grunde liegende gutachterliche Stellung¬nahme des Dr. H1 vom 14. April 1999 entfalte Bin-dungswirkung. Danach stehe fest, dass die Klägerin in Folge des Dienstunfalles vom 1. Oktober 1997 ein Halswirbel-Schleu¬dertrauma und einen Bandscheibenvorfall erlitten habe, was nicht nach annähernd 10 Jahren in Frage gestellt werden könne. Unabhängig von der Bindungswirkung hätten auch alle behandelnden Ärzte, d.h. Dr. G sowie Dr. T3, trotz der bekann¬ten degenerativen Vorschädigungen der HWS der Klägerin festgestellt, dass die nach dem Unfall aufgetretenen und teilweise auch noch andauernden Beschwerden zu einem Anteil von bis zu 80 % auf das Unfallgeschehen zurück zu führen seien.
119Sodann sei im Klageverfahren vor dem LG E der Klägerin unter dem 8. März 2000 ein unzutreffendes unfallanalytisches Gutachten eingeholt worden, in dem die Beschleunigungsspitzen und die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung unzu-treffend zu niedrig festgestellt worden seien. Im gerichtlichen Gutachten des Prof. Dr. med. D vom 16. Juni 2005 sei auf Grund dieser angenommenen geringen kollisions¬be-dingten Geschwindigkeitsveränderung ausgeschlossen worden, dass die Klägerin durch den Verkehrsunfall ein akutes Halswirbel-Schleudertrauma und einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbel C5/C6 erlitten hätte. Hierauf könne sich die Beklagte aber schon wegen der Bindungswirkung des Bescheides vom 28. Juli 1999 nicht berufen. Zudem seien die Feststellungen des Dr. med. D im Gutachten vom 16. Juni 2005 aber feh¬lerhaft und auch nicht verwertbar, da sie auf den ihrerseits fehlerhaften Feststellungen des Unfallgutachters Dr. Q aus dem Gutachten vom 8. März 2000 beruhten. Die Feststellungen des Unfallgutachters Dr. Q zum Unfallhergang und vor allem zu den Unfallfolgen seien unzutreffend. Dieser habe weder die Unfallstelle vermessen, noch die Unfallfahrzeuge eingehend begutachten können. Er habe lediglich auf Grund der ihm vorgelegten Lichtbilder der beschädigten Fahrzeuge darauf geschlossen, dass die An-stoßintensität bei dem Verkehrsunfall nur gering gewesen sei. Er bemaß dies an den Be-schädigungen der Außenverblechungsteile, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob auch ggf. Querträger oder andere tragende Fahrzeugteile deformiert worden seien und daher von wesentlich größeren Aufprallkräften auszugehen sei. Tatsächlich sei auch der Querträger des Opel Kadett stark gestaucht worden.
120Die Feststellungen des Dr. med. D im Gutachten vom 16. Juni 2005 beruhten aber ausschließlich auf der fehlerhaften Feststellung des Dr. Q, dass die kollisions¬bedingte Geschwindigkeitsänderung des Fahrzeuges, in dem die Klägerin saß, maximal 12 km/h betragen habe, und bei einer so geringen Aufprallgeschwindigkeit ausgeschlos¬sen werden könne, dass sie ein Halswirbelschleudertrauma und eine Bandscheibenprotrusion erlitten hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Dr. med. D als Gutachter für HWS-Traumata entsprechende Studien für die Haftpflichtversicherer er¬stellt habe und daher bei der Begutachtung der Klägerin nicht unvoreingenommen gewe¬sen sein dürfte.
121Auch der gerichtliche Sachverständige Dr. T5 habe in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2002 selbst unter Berücksichtigung der fehlerhaften Ausführungen des Sach-verständigen Dr. Q festgestellt, dass der Unfall mitverantwortlich für die Be¬schwerden der Widerspruchsführerin im Sinne einer richtungweisenden Verschlechterung der bestehenden Vorschädigungen gewesen sein. Dies sei nach der Theorie der wesent¬lich mitwirkenden Teilursache ausreichend, da nicht erforderlich sei, dass der Dienstunfall als alleinige Ursache unter Ausschluss jeglicher sonstiger Faktoren heranzuziehen sei.
122Auch der im Berufungsverfahren der Klägerin gegen den Unfallverursacher und die Haft-pflichtversicherung vor dem OLG E geschlossene Vergleich über 60.000 Euro verdeutliche, dass die gutachterlichen Stellungnahmen, die vom Landgericht E zur Grundlage der klageabweisenden Entscheidung gemacht worden seien und von der Beklagten offensichtlich zur Begründung ihres Rücknahmebescheides herangezo¬gen wür-den, die Diagnosen der behandelnden Ärzte und des Amtsarztes nicht revidieren könnten.
123Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Be¬scheid vom 22. Oktober 2007 mit Wi-derspruchsbescheid vom 4. März 2009 zurück und führte zur Begründung im Wesentli-chen aus: Die Rücknahme sei innerhalb der gesetzli¬chen Frist erfolgt, da zu den wesentli-chen Tatsachen, die zur Rücknahme geführt hät¬ten, das Urteil des Landgerichts E vom 27. Juli 2007 13 O 389/00 gezählt habe. Auch nach erneuter Abwägung aller Umstände sei die Beklagte weiterhin der Auf¬fassung, dass zum Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand keine Dienstunfallfolgen mehr vorlagen und die Versetzung in den Ru¬hestand somit nicht im Zusammenhang mit dem Dienstunfall gestanden habe. Auch nach Abwägung seien keine Gründe erkennbar, die eine Weitergewährung des Unfallruhege-haltes rechtfertigen könnten, zumal dies die Entscheidung des LG E vom 27. Juli 2007 völlig ignorieren würde.
124Die Klägerin hat am 14. April 2009 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie sich weiter gegen die Aufhebung der Gewährung des Unfallruhegehaltes wendet. Zur Begründung bezieht sie sich auf die Widerspruchsbegründung vom 20. November 2008.
125Nachdem im vorbereitenden Verfahren weiter von der Klägerin nichts vorgetragen worden war, hat sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gegen das gesamte Vorgehen der Beklagten in Bezug auf die Rücknahme des Unfallruhegehalts gewandt. Dieses Ver-fahren sei nicht hinreichend transparent gestaltet worden und der Klägerin sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, zu allem Stellung zu nehmen. Dies sei schon deshalb nicht möglich gewesen, weil nicht einzelne Tatsachen benannt worden seien, an die angeknüpft werden solle. Zudem folge aus dem Umstand, dass im Bewilligungsverfahren ein amts-ärztliches Gutachten zu Grunde gelegt worden sei, dass auch im Rücknahmeverfahren ein amtsärztliches Gutachten heranzuziehen sei. Daran fehle es.
126Das unfallanalytische Gutachten des Prof. T7 sei – als Grundlage des or¬thopädischen Gutachtens des Prof. Dr. D – unzureichend, da es die unzutref¬fenden Daten aus dem Sachverständigengutachten Dr. Q übernommen habe, welches insbesondere die erheblich gravierenderen Schäden am Pkw, in dem die Klägerin saß, nicht berücksichtigt habe. Insbesondere sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass beim Opel Kadett der Motorblock durch den Unfall aus der Aushängung abgerissen sei und der Motor verkantet im Kühler gesessen habe.
127Die Klägerin beantragt,
128den Bescheid der Beklagten vom 22. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2009 aufzuheben.
129Die Beklagte beantragt,
130die Klage abzuweisen.
131Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Rechtswidrigkeit der Festsetzung des Unfallruhegehalts vom 28. Juli 1999 liege darin, dass die Beklagte von einem Sachverhalt ausgegangen sei, der in Wahrheit gar nicht vorgelegen habe. Die Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt E vom 14. April 1999 sei falsch gewesen, weil sie den Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 als überwiegende Ursache für die dauernde Dienst-unfähigkeit ansah. Diese Stellungnahme, die sich auf die Begutachtung der Klägerin am 28. Januar 1999 und dementsprechend auf das Gutachten vom 4. Februar 1999 beziehe, sei fehlerhaft. Die getroffene Diagnose "Posttraumatisches Zervikobrachialsyndrom links nach Beschleunigungsverletzung der HWS vom 1. Oktober 1997, Zustand nach Band-scheibenausräumung und Versteifung des Segmentes C5/C6 vom 28. Januar 1998" sei falsch, da das Gutachten ohne jede Begründung davon ausgehe, dass eine "Beschleuni-gungsverletzung" vorliege, obwohl zu diesem Zeitpunkt kein Gutachten zu der bei dem Verkehrsunfall aufgetretenen biomechanischen Belastung vorgelegen habe. Das Gutach-ten des Gesundheitsamtes stützte sich damit auf die Angaben der Klägerin, wonach "sie auf dem Beifahrersitz gesessen und sich etwa um 40° verdreht mit ihrem Oberkörper zu ihrem fahrenden Ehemann gewandt habe, als plötzlich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf ihrer Seite in den Vorderwagen gefahren sei". Nach dem Sachverständigengutachten des Dr. Q vom 8. März 2000 sei hingegen davon auszugehen, dass die aus dem Anstoß des Fahrzeuges resultierende Insassenbelastung als "eindeutig unkritisch mit Beschleunigungsspitzen zwischen 1 bis 1,5 g angegeben werden könnte". Auch das fach-orthopädische Sachverständigengutachten von Prof. D und Prof. L2 vom 31. Oktober 2006 stelle nicht allein auf die subjektive Schilderung durch die Klägerin ab, sondern berücksichtige die biomechanischen Belastungen, gestützt auf die Ausführungen von Prof. T7 im interdisziplinären Gutachten vom 16. Juni 2005. Dort werde von der höchstmöglichen einwirkenden biomechanischen resul¬tierenden Belastung im Sinne einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 12 km/h ausgegangen und eine Verletzungsmöglichkeit für die HWS der Klägerin noch eher ausgeschlossen.
132Die Kritik am Sachverständigengutachten von Dr. Q vom 8. März 2000 könne nicht nachvollzogen werden. Unabhängig davon beziehe sich das fachorthopädische Gut¬achten von Prof. D und Prof. L2 vom 31. Oktober 2006 auch nicht auf das Gut¬achten von Dr. Q. Das unfallanalytische Teilgutachten im interdisziplinä¬ren Gut¬achten vom 16. Juni 2005 gehe ausdrücklich von nasser Fahrbahn aus. Auch die unfall¬bedingten Schäden am Fahrzeug Honda Accord würden berücksichtigt. Damit sei der Unfall entgegen den Angaben der Klägerin nicht mit hoher Geschwindigkeit erfolgt und hätte auch keine hohen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen zur Folge ge¬habt. Dies sei aber der Ausgangspunkt des amtsärztlichen Gutachtens vom 4. Februar 1999 und habe zu einer unzutreffenden Diagnose geführt. Weiter sei im amts¬ärztlichen Gutachten vom 4. Februar 1999 unzutreffend von einem Ver¬ursachungsbeitrag des Unfallereignisses im Verhältnis zum Vorschaden von 60:40 ausge¬gangen. Auch dies beruhe auf der unzutreffenden Annahme, dass das gegnerische Fahr¬zeug (Opel Frontera) mit hoher Geschwindigkeit in das Fahrzeug der Klägerin gefah¬ren sei. Zudem habe Dr. H1 unter dem Eindruck des Arztbriefes des Prof. Dr. med. habil. M. T3 vom 27. April 1998 gestanden, der von einem Verhältnis von 80:20 zwi¬schen Unfall und Vor¬schädigung ausging. Weil Dr. H1 aber Zweifel an dieser Einschät¬zung gehegt habe, habe er diese Quotelung auf 60:40 zu Gunsten des Unfallereignisses modifiziert. Dr. H1 selbst sei durch die Stellungnahme vom 24. August 2007 von der in den Gutachten vom 4. Februar 1999 sowie vom 14. April 1999 vertretenen Auffassung abgerückt und gehe nunmehr davon aus, dass die dauernde Dienstunfähigkeit, die zur Versetzung in den Ru¬hestand führte, nicht auf Unfallfolgen zurückgehe.
133Der erfolgten Rücknahme ab 1. November 2007 stehe kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG entgegen. Das Vertrauen der Klägerin habe die Beklagte dadurch berücksichtigt, dass sie die Festsetzung des Unfallruhegehalts nur mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen habe. Dass in die Zukunft wirkende Vermö-gensdispositionen getroffen worden seien, sei nicht ersichtlich. Zudem sei der Klägerin bekannt gewesen, dass beim Landgericht E das Verfahren 13 O 389/00 sowie das von ihr selbst geführte Verfahren 13 O 263/98 anhängig und es im Rahmen dieser Gerichtsverfahren streitig war, welche Folgen der Unfall vom 1. Oktober 1997 hatte.
134Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG sei gewahrt, da diese erst zu laufen beginne, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkannt habe und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Diese vollständige Tatsachenkenntnis habe die Beklagte frühestens mit Eingang der von der Klägerin abgegebenen Stellungnahme vom 12. Oktober 2007 gehabt, weil auch die im Rahmen des Anhörungsverfahrens mitgeteilten Informationen für die Ermessenausübung von Bedeutung seien und erst nach Durchführung des Anhörungsverfahrens Entschei-dungsreife im Sinne des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG vorliege.
135Eine der Rücknahme entgegen stehende Bindungswirkung bestehe nicht, da die Bin-dungswirkung wirksamer Bescheide nur solange gelte, wie diese nicht wirksam zurückge-nommen seien. Genau dies sei hier aber erfolgt.
136In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte weitere Beweiserhebung durch Sachver-ständigengutachten geltend gemacht.
137Der Amtsarzt Dr. med. H1 ist in der mündlichen Verhandlung dazu befragt worden, wie es zu der Veränderung seines Standpunktes in Bezug auf den Unfallbezug der Dienstun-fähigkeit der Klägerin kam. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen.
138Der Einzelrichter hat die folgenden Akten beigezogen:
139Ø Personalakte der Beklagten (Beiakte 14);
140Ø Versorgungsakte der Beklagten (Beiakte 13);
141Ø Vorgang Unfallfürsorge der Beklagten bis August 1999 – Unterlagen aus dem zivilgerichtlichen Verfahren LG E 13 O 389/00 – Vorgang zur Einstellung der Unfallfürsorgeleistungen und des Unfallruhegehalts (Beiakte 16);
142Ø Vorgang Unfallfürsorge der Beklagten ab August 1999 (Beiakte 15);
143Ø Vorgang Gesundheitsamt (Beiakte 25);
144Ø Gerichtsakten LG E 13 O 263/98, Band I – IV, Ersatzband zu Band I, Sonder¬heft zu Befangenheitsantrag, Schadensgutachten Dipl. Ing. L3 (Beiakte 17 – 23)
145Ø Gutachten Dr. Ing. Q vom 8. März 2000, Sonderheft zu LG E 13 O 263/98 (Beiakte 12);
146Ø Gerichtsakten LG E 13 O 389/00, 2 Bände (Beiakte 1 und 2);
147Ø Gerichtsakte LG E 6 O 561/08 (Beiakte 24);
148Ø Gerichtsakte AG E – 31 C 20879/97 –, Ausdruck elektronische Akte, Teil 1 – 3 (Beiakten 26 - 28).
149Entscheidungsgründe:
150Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem der Rechtsstreit durch Be-schluss der Kammer vom 1. Februar 2012 gemäß § 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist.
151Die Klage ist zulässig und begründet.
152Sie ist als Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO), da die Klägerin mit einer Beseitigung des Bescheides vom 22. Oktober 2007 (und des zugehörigen Widerspruchs¬bescheides vom 4. März 2009) ihr Klageziel erreichen kann: Durch den Bescheid vom 22. Oktober 2007 nahm die Beklagte die Gewährung des Unfallruhegehalts der Klägerin durch den Bescheid vom 28. Juli 1999 ab dem 1. November 2007 zurück. Wird der Rücknahmebescheid auf Anfechtungsklage hin durch das Gericht aufgehoben, ist die Be¬willigung von Unfallruhegehalt wieder wirksam.
153Sie ist auch am 14. April 2009 fristgerecht erhoben worden. Zwar ging der Widerspruchs-bescheid am 11. März 2009 zu und die Klagefrist endete damit rechnerisch am 11. April 2009. Da es sich dabei jedoch um einen Samstag handelte, verschob sich das Fristende auf den nächsten Werktag, also den Dienstag nach Ostern, 14. April 2009.
154Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
155Mit dem Bescheid vom 22. Oktober 2007 nahm die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 1999 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge der Klägerin insoweit zu-rück, als darin die Versorgungsbezüge als Unfallruhegehalt gemäß § 36 Beamtenversor-gungsgesetz (BeamtVG) gewährt wurden; zugleich erfolgte die Neufestsetzung als nor-males Altersruhegeld. Diese Rücknahme der Bewilligung von Unfallruhegehalt war in zeit-licher Hinsicht beschränkt auf die Zukunft und bezog sich auf die Zeit ab dem 1. November 2007.
156Für diese Rücknahme der Bewilligung von Unfallruhegehalt, die die Beklagte selbst auf § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) NRW gestützt hat, kommt nur diese Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage in Betracht.
157Gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG NRW kann auch ein begünstigender Verwaltungsakt – unter den weiteren in Abs. 2 bis Abs. 4 der Vorschrift normierten Bedingungen – selbst nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise, mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenom¬men werden, wenn er rechtswidrig ist.
158Die Voraussetzungen einer Rücknahme der Bewilligung von Unfallruhegehalt durch den Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1999 für die Zeit ab dem 1. November 2007 liegen jedoch nicht vor.
159Dabei können die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zur Einhaltung der Frist für die Rücknahme gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG und die vom Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Rügen gegen das Rücknahmeverfahren – insbe-sondere die Ausgestaltung des Anhörungsverfahrens und ein fehlendes amtsärztliches Gutachten vor der Rücknahme – dahinstehen.
160Der Einzelrichter kann schon nicht feststellen, dass die Bewilligung von Unfallruhegehalt mit dem Bescheid vom 28. Juli 1999 rechtswidrig war.
161Ein Beamter erhält Unfallruhegehalt gemäß § 36 Abs. 1 BeamtVG, wenn er infolge eines Dienstunfalles dienstunfähig geworden und in den Ruhestand getreten ist. Erforderlich ist ein Ursachenzusammenhang in doppelter Hinsicht: Der Beamte muss durch den Dienst-unfall dienstunfähig geworden sein und aufgrund der dienstunfallbedingten Dienstunfähig-keit in den Ruhestand getreten, also vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit zur Ruhe gesetzt worden sein,
162vgl. Urteil des Gerichts vom 24. April 2003 – 23 K 7822/01 – (n.v.).
163Für die Feststellung des Ursachenzusammenhanges zwischen dem durch den Dienstun¬fall entstandenen Körperschaden (Unfallfolge) und der Dienstunfähigkeit bzw. zwischen der Dienstunfähigkeit und der Zurruhesetzung gelten die Grundsätze über den Ursachen-zusammenhang, wie die Rechtsprechung sie in Bezug auf den Ursachenzusammenhang zwischen Ereignis und Körperschaden für die Anerkennung eines Dienstunfalles entwi¬ckelt hat,
164Bauer, in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Kommentar, Hauptband I, § 36, Erl. 4.
165Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet der beam¬tenrechtlichen Dienstunfallversorgung sind nur solche für den eingetretenen Schaden ur¬sächlichen Bedingungen im naturwis-senschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungs¬weise an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Wesentliche Ursache im Dienstun¬fallrecht der Beamten kann hiernach auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebe¬dingtes Leiden auslöst oder (und) be-schleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des Ereignisses schon vorhan¬de¬ne Veranlagung gehört – eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Scha¬densfolge zukommt, dass diese ande-ren Bedingungen bei natürlicher Betrach¬tungs¬weise allein als maßgeblich anzusehen sind. Nicht Ursachen im Rechtssinne sind dem¬nach sog. Gelegenheitsursachen, d.h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetre¬tenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Be-ziehung besteht. Dies ist der Fall, wenn die krankhaf¬te Veranlagung oder das anlagebe-dingte Leiden so leicht ansprechbar wa¬ren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen in ihrer Eigenart uner¬setzlichen Ein¬wirkungen bedurfte, sondern auch ein alltäglich vorkommendes Ereig¬nis zum selben Er¬folg geführt hätte. Eine solche unter-geordnete Bedeutung ist insbeson¬dere auch dann an¬zunehmen, wenn das Ereignis gleichsam "der letzte Tropfen" war, "der das Maß zum Überlaufen brachte bei einer Krank¬heit, die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen wäre." Hinsichtlich der Beweislast gilt im Fall der Bewilligung von Unfallfürsorgeleistungen, dass der Beamte die materielle Be¬weis¬last für das Vorliegen der an¬spruchsbegründenden Tatsachen trägt. Da¬bei gelten im Dienstunfallrecht grundsätzlich die allgemeinen Beweisgrundsätze. Der Be¬amte hat daher auch hinsichtlich des Nachweises des Kausalzusammenhanges den vollen Beweis zu er¬bringen ("mit an Sicherheit grenzen¬der Wahrscheinlichkeit").
166Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 8. März 2004 – 2 B 54/03 –, Juris, Rn. 7, vom 20. Februar 1998 2 B 81.97 – und vom 24. Mai 1993 2 B 57.93 ; ständige Rechtsprechung der Kammer.
167Anders ist dies hingegen, wenn – wie hier – der Dienstherr eine zuvor erfolgte Anerken-nung eines Dienstunfalles oder eine Bewilligung von Unfallfürsorgeleistungen gemäß § 48 VwVfG zurücknimmt. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt nach der ständigen Recht-sprechung des Bundes¬verwaltungsgerichts,
168siehe z. B. Urteil vom 30. Januar 2003 – 2 C 12/02 –, ZBR 2003, 387 f. und Juris (Rn. 22), m. w. N.; ebenso OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 1994 – 8 A 3885/93 –, NVwZ 1996, 610 ff. und Juris Rn. 26,
169im Falle der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich die Be-hörde die sog. Feststellungslast dafür, dass der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtswidrig ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt dann, wenn die Unerweislichkeit auf einem gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßenden unlauteren Verhalten des Begünstigten beruht,
170vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2003, a. a. O., Juris Rn. 23 m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 1994, a. a. O., Juris Rn. 28, 36,
171oder wenn der Begünstigte den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes durch falsche Angaben oder in sonstiger Weise arglistig erwirkt oder anderweit unter Verstoß gegen Treu und Glauben herbeigeführt hat,
172vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 1994, a. a. O., Rn. 28; ebenso zur Unfallfürsorge Urteil des Einzel-richters vom 9. Januar 2012 – 23 K 3788/09 –, www.nrwe.de.
173Der Einzelrichter kann nach diesen Maßstäben nicht feststellen, dass im Fall der Klägerin die Voraussetzungen eines Unfallruhegehalts nicht vorgelegen haben. Es ist nicht mehr mit hinreichender Sicherheit aufklärbar, ob bei der Klägerin eine Dienstunfähigkeit durch einen dienstunfallbedingten Körperschaden verursacht und die Klägerin aufgrund dessen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist.
174Die Beklagte war ursprünglich davon ausgegangen – und hat dies mit dem Bescheid vom 5. März 1998 anerkannt –, dass bei der Klägerin durch den Verkehrsunfall am 1. Oktober 1997 ein "akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien sowie ein Bandscheibenvorfall in Höhe der C5/C6" verursacht worden ist. Nach dem Unfallnach-gutachten des Gesundheitsamtes (Dr. med. H1, mitgezeichnet Dr. med. T4) lag als dienstunfallabhängige Diagnose ein "posttraumatisches Zervikobrachialsyndrom links nach Beschleunigungsverletzung der HWS vom 01.10.1997 nach Bandscheibenausräumung und Versteifung des Segmentes C5/C6 vom 28.01.1998" vor. Das Gesundheitsamt – und in der Folge die Beklagte – ging dort davon aus, dass der Dienstunfall "vor allem aufgrund der neurologischen Störungen trotz durchgemachter Ope¬ration zu einer erheblichen Einschränkung der physischen und psychischen Leistungsfä¬higkeit geführt" habe, wodurch sie auf Dauer dienstunfähig wurde.
175Diese Einschätzung hat das Gesundheitsamt mit dem Schreiben des Dr. med. H1 an das Personalamt der Beklagten vom 24. August 2007 aufgegeben, was zu der Rück¬nahme der Bewilligung des Unfallruhegehalts ab dem 1. November 2007 mit dem Rücknahmebescheid vom 22. Oktober 2007 geführt hat.
176Die Dienstunfähigkeit der Klägerin selbst, über die die Beteiligten nicht streiten, ist durch die Bestandskraft des Bescheides vom 9. Juli 1999 über die Zurruhesetzung der Klägerin wegen Dienstunfähigkeit nach § 45 LBG a. F. wirksam festgestellt.
177Dies schließt es jedoch nicht aus, den Ursachenzusammenhang zwischen dem aner-kannten Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 und der Dienstunfähigkeit in Frage zu stellen. Insofern ist dem Vorbringen der Klägerin nicht zu folgen, die ihr Begehren auf Bindungs-wirkung zu stützen versucht. Der Bescheid über die Zurruhesetzung vom 9. Juli 1999 ent-hält keine Feststellungen über den Ursachenzusammenhang mit dem Dienstunfall. Eine solche Aussage findet sich zwar im Schreiben über die Anhörung zur beabsichtigten Zurruhesetzung vom 26. April 1999, die Zurruhesetzungs-Verfügung enthält solches je-doch nicht. Die Bewilligung des Unfallruhegehalts vom 28. Juli 1999 entfaltet zwar grund-sätzlich Bindungswirkung, diese kann jedoch gemäß § 48 VwVfG überwunden werden, was hier Streitgegenstand ist. Die amtsärztlichen Stellungnahmen, auf die die Klägerin sich beruft, in denen ein Ursachenzusammenhang von Dienstunfall und Dienstunfähigkeit gesehen wurde, stellen keine Regelungen mit Außenwirkung dar und sind der Bindungs-wirkung nicht fähig. Nur die in "Bescheidform" oder anderweitig als Verwaltungsakt gemäß § 35 Satz 1 VwVfG NRW umgesetzte amtsärztliche Feststellung kann Bindungswirkung entfalten. Insofern ist auch der Hinweis des OLG E im Protokoll zum Termin vom 2. Juni 2008 im Verfahren LG E 13 O 263/98 bzw. OLG E 1 U 208/07 auf eine "Bindung an den Bescheid der Stadt E vom 9. Juli 1999" bzw. die Aus¬führungen in der Kostenentscheidung des OLG E in jenem Verfahren vom 4. August 2008 über die "grundsätzliche Bindung der Zivilgerichte an die Feststellung der unfallbedingten Dienstunfähigkeit durch die zuständige Verwaltungsbehörde" hier nicht weiterführend, da die Beseitigung dieser Bindung gemäß § 48 VwVfG (unter Berücksichti¬gung von Vertrauensschutz gemäß Abs. 2 der Vorschrift und bei Ausübung pflichtgemä¬ßen Ermessens) vom Gesetz vorgesehen ist.
178Damit obliegt es der Würdigung des Sachverhalts durch den Einzelrichter, ob festgestellt werden kann, dass die Dienstunfähigkeit nicht auf dem Dienstunfall beruht. Eine solche Feststellung ist nicht mit der hinreichenden Sicherheit möglich. Dies erfordert zwar keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahr-scheinlichkeit, aber einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet,
179vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 28. Januar 2003 – VI ZR 139/02 –, NJW 2003, 1116; Urteil vom 3. Juni 2008 – VI ZR 235/07 –, NZV 2008, 502 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 108 Rn. 5 m. w. N.
180Mit diesem Grad an Gewissheit vermag der Einzelrichter aufgrund der vorliegenden Gut-achten und Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten einerseits, aller in den Gerichtsakten und den beigezogenen Akten vorhandenen ärztlichen Bescheinigungen und insbesondere allen in den Verfahren vor dem LG E (13 O 263/98 und 13 O 389/00) erstatteten Sachverständigengutachten nicht festzustellen, dass die Klägerin nicht durch den Dienstunfall dauerhaft dienstunfähig wurde. Der Einzelrichter verwertet alle Unterlagen aus dem Verwaltungsverfahren (amtsärztliche Unterlagen, insbesondere den rückverfilmten Vorgang des Gesundheitsamtes der Beklagten, Beiakte 25) sowie die Sachverständigengutachten aus den zivilgerichtlichen Verfahren im Wege des Urkunds-beweises gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit §§ 415 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
181Zunächst haben alle Ärzte, mit denen die Klägerin nach dem Verkehrsunfall am 1. Oktober 1997 zu tun hatte, ihr attestiert, dass sie ein HWS-Schleudertrauma bzw. eine HWS-Distorsion erlitten habe, und teilweise auch einen Zusammenhang mit dem Ver-kehrsunfall gesehen (wobei teils zugleich die degenerativen Veränderungen ihrer HWS und deren Einfluss auf ihre Beschwerden angesprochen wurden). Dies sagt aber schon nichts darüber aus, wie lange die Folgen einer solchen Beeinträchtigung anhalten und ob sie insbesondere zur Dienstunfähigkeit geführt haben.
182Die im Eigenprozess der Klägerin (LG E 13 O 263/98) eingeholten, ihr günstig scheinenden Sachverständigengutachten sprechen tendenziell für sie, ermöglichen aber keine klare Aussage zum Ursachenzusammenhang zwischen Dienstunfall und Dienstun-fähigkeit.
183Dies gilt zunächst für das neurologisch-fachärztliche Zusatzgutachten nach Aktenlage des Leitenden Oberarztes der Neurologischen Klinik der Heinrich-Heine-Universität E, Prof. Dr. med. R. T5, vom 25. Oktober 2002. Prof. Dr. T5 kommt zwar zu dem Ergebnis, dass die Klägerin in Folge des Verkehrsunfalls ein HWS-Distorsionstrauma er¬litten hat, welches in Gestalt einer richtungweisenden Verschlechterung der vorbestehen¬den degenerativen HWS-Veränderungen Grund für die am 28. Januar 1998 durchgeführte Bandscheiben-OP bei Halswirbelkörper (HWK) 5/6 war. Er ging jedoch nur von einer 100 %-igen Arbeitsunfähigkeit bis Ende April 1998 aus. Für die Zeit danach mindestens bis zum Zeitpunkt der amtsärztlichen Nachbegutachtung (durch Dr. med. H1) im Januar 1999 sah er keine neurologischen Störungen, die einer Haushaltsführung der Klägerin entgegengestanden hätten. Prof. Dr. T5 setzt sich mit Dienstunfähigkeit der Klägerin und deren Verursachung durch den Dienstunfall überhaupt nicht auseinander, weil der Beweisbeschluss des LG E im Verfahren 13 O 263/98 vom 16. Dezember 1998 (Beiakte 20, Bl. 145 ff.) die Frage der Dienstunfähigkeit der Klägerin und deren Verursa-chung nicht zum Inhalt hat. Auch die Folgebeschlüsse vom 18. März 1999 (Beiakte 20, Bl. 172) und vom 13. Juli 2001 (Beiakte 22, Bl. 316 f.) bzw. vom 20. November 2001 (Bei-akte 22, Bl. 323) machten diese Frage nicht zum Beweisthema.
184Soweit der Sachverständige Prof. Dr. T5 aufgrund des Beweisbeschlusses des LG E im Verfahren 13 O 263/98 vom 21. Mai 2004 (Beiakte 22, Bl. 481 ff.) sein Ergän¬zungs-Gutachten vom 5. April 2005 erstattet hat, sollte dies zum Schriftsatz des Bevoll-mächtigten der dortigen Beklagten (G1 usw.) vom 14. April 2003 Stellung nehmen. In diesem Schriftsatz stellte der Bevollmächtigte der Frankfurter unter Ziff. 12 die Frage, "ob auf neurologischem Fachgebiet die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ab Mai 1998 soweit vermindert war, dass eine Tätigkeit als Beamtin im Verwaltungsdienst in Teilzeit nicht aus-geübt werden kann" (Beiakte 22, Bl. 373). Hierzu äußert sich der Sachverständige im Er-gänzungs-Gutachten: "Nur aus dem Gebiet der Arbeitsmedizin zu beantworten." Dies führt nicht weiter.
185Das Gutachten des Direktors der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der I1-Universität E, Prof. Dr. med. R. L2, vom 20. Oktober 2003 behandelt die Kausalität für eine Dienstunfähigkeit entsprechend den Beweisfragen ebenfalls überhaupt nicht, enthält jedoch mit der Einschätzung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit (wohl gemeint: Minderung der Erwerbsfähigkeit?) einen Anhaltspunkt zu einer entsprechenden Einschätzung des Sachverständigen: 100 % bis 1. März 1998, 80 % bis 1. Mai 1998, 20 % bis 1. Oktober 1999 und auf Dauer 10 %. Danach sah er eine unfallkausale Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im Zeitraum, in den die Zurruhesetzung fiel, nur mit einem unwesentli¬chen Teil (wenn man zugleich vorliegende vollständige Arbeitsunfähigkeit mit 100 % zu¬grunde legt). Eine klare Aussage, die hier weiter führt, ist dies jedoch nicht. Wenn man diesem Sachverständigengutachten eine Aussage zugunsten der Klägerin entnehmen wollte, die für einen Ursachenzusammenhang von Dienstunfall und Dienstunfähigkeit spricht, weil Prof. Dr. L2 im Klageverfahren 13 O 263/98 ein für die Klägerin günsti¬ges Ergebnis zur Verursachung des Schleudertraumas durch den Verkehrsunfall fest¬stellte, so ist zu berücksichtigen, dass Prof. Dr. med. L2 von seinen hier getroffenen Feststellungen in der gemeinsamen fachorthopädischen Stellungnahme der Sachverstän¬digen Prof. Dr. med. L2 und Prof. Dr. med. D vom 31. Oktober 2006 von sei¬nem Standpunkt abgerückt ist (siehe unten).
186Das Ergänzungs-Gutachten des Prof. Dr. med. L2 vom 8. September 2005 sollte nach dem Beweisbeschluss des LG E vom 21. Mai 2004 (a. a. O.) zu den Schriftsätzen des Bevollmächtigten der Klägerin vom 7. November 2002 (gemeint wohl 2003) und des Bevollmächtigten der dortigen Beklagten vom 11. Dezember 2003 Stellung nehmen. In diesen sind zum Ursachenzusammenhang zwischen Dienstunfall und Dienst¬unfähigkeit keine Fragen aufgeworfen und dementsprechend im Ergänzungs-Gutachten des Prof. Dr. L2 vom 8. September 2005 hierzu nichts ausgesagt.
187Für die Auffassung der Beklagten, die Dienstunfähigkeit der Klägerin sei nicht durch den Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 und dessen Folgen verursacht worden, sprechen auf den ersten Blick das im Verfahren LG E 13 O 389/00 eingeholte interdisziplinäre Sachverständigengutachten Prof. Dipl. Ing. T7/ Prof. Dr. med. D vom 16. Juni 2005 (Beiakte 2, Bl. 226 ff., Beiakte 16, Bl. 243 ff.) und die in beiden Klageverfah¬ren vor dem LG E erstattete abschließende gemeinsame fachorthopädische Stellungnahme der Sachverständigen Prof. Dr. med. L2 und Prof. Dr. med. D vom 31. Oktober 2006 (Beiakte 23, Bl. 735 ff., Beiakte 2, Bl. 421 ff.). Hierauf hat das LG E in seinen Urteilen vom 27. Juli 2007 in den Verfahren 13 O 263/98 und 13 O 389/00 die Entscheidungen gestützt, soweit die Klagen abgewiesen worden sind. Auch für Dr. med. H1 waren diese sachverständigen Stellungnahmen wesentlich für seine Ein¬schätzung, ein Rechtsmittel gegen das der Beklagten nachteilige Urteil vom 27. Juli 2007 im Prozess der Beklagten 13 O 389/00 habe keinen Sinn, und die Voraussetzungen eines Unfallruhegehalts lägen nicht (mehr) vor.
188Auch auf der Grundlage des interdisziplinären Sachverständigengutachtens Prof. Dipl. Ing. T7/ Prof. Dr. med. D vom 16. Juni 2005 sowie der abschließenden gemeinsamen fachorthopädischen Stellungnahme der Sachverständigen Prof. Dr. med. L2 und Prof. Dr. med. D vom 31. Oktober 2006 und des Urteils des LG E vom 27. Juli 2007 im Verfahren 13 O 389/00 (ausweislich der Klageerwiderung vom 7. September 2009 die wesentlichen Grundlagen des Rücknahmebescheids der Beklagten vom 22. Oktober 2007) lässt sich jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die Dienstunfähigkeit der Klägerin nicht durch den Dienstunfall vom 1. Oktober 1997 und seine Folgen wesentlich verursacht worden ist.
189Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass dem Urteil des LG E vom 27. Juli kein eigenständiger Beweiswert zukommt. Dies stellt keine sachverständige Stellung¬nahme dar, sondern eine Rechtserkenntnis auf der Grundlage der dortigen Beweiswürdi¬gung in Ansehung aller dort vorliegenden tatsächlichen Erkenntnisse und insbesondere Sachverständigengutachten. Diese Tatsachengrundlage hat der Einzelrichter eigenständig zu würdigen. Ein einfacher "Anschluss" an die Würdigung der Tatsachen-Ermittlungen, die das LG E in den Verfahren 13 O 263/98 und 13 O 389/00 (durch Richterin am LG T10) ist nicht zulässig. Eine Bindung an die dortigen Feststellungen und deren Würdigung der Sachverständigengutachten besteht erst recht nicht, nicht zuletzt wegen struktureller Unterschiede von Zivil- und Verwaltungsprozess.
190Der fachorthopädische Teil des interdisziplinären Sachverständigengutachtens T7/D vom 16. Juni 2005 (durch Prof. Dr. med. D) kommt zur Frage der durch den Verkehrsunfall am 1. Oktober 1997 verursachten Körperschäden bzw. Gesund¬heitsbeeinträchtigungen zu dem Gesamtergebnis, dass die Klägerin durch den Unfall kein akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien sowie einen Bandscheiben¬vorfall C5/C6 erlitten habe. Im Hinblick darauf kommt Prof. Dr. med. D auch zu dem Ergebnis, der Unfall habe nicht dazu geführt, dass sie ihren Dienst nicht mehr aufnehmen konnte und zum 1. August 1999 in den Ruhestand versetzt werden musste.
191Dieses Ergebnis wird von Prof. Dr. med. L2 und Prof. Dr. med. D in deren ab¬schließender gemeinsamer fachorthopädischer Stellungnahme vom 31. Oktober 2006 be¬stätigt.
192Auch die genannten Gutachten und Stellungnahmen der Sachverständigen D und L2 führen beim Einzelrichter nicht mit einer für das praktische Leben ausreichenden Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, zu der Überzeugung, dass die Klägerin nicht durch Folgen des Dienstunfalles dienstunfähig wurde. Die scheinbare Klar-heit der Ergebnisse der Sachverständigen D und L2 in den aufgeführten Gut¬achten und Stellungnahmen ist bei genauer Betrachtung jedoch alles andere als eindeutig.
193Im orthopädischen Teil des interdisziplinären Sachverständigengutachtens T7/D vom 16. Juni 2005 kommt Prof. Dr. med. D zur Frage der unfallbedingten Schädigung zu dem Ergebnis (S. 45 des orthopädischen Teils):
194"Frau V1 (...) hat zumindest eher durch die Kollision mit dem Fahrzeug (...) am 01.10.1997 kein akutes Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien und einen Bandscheibenvorfall in Höhe C5/C6 er-litten."
195Auf dieser Grundlage beantwortet der Sachverständige auch die zweite Beweisfrage, ob die Unfallfolgen zur Dienstunfähigkeit geführt haben (S. 46):
196"Unter Berücksichtigung der Beantwortung der Frage 1 hat der Unfall am 01.10.1997 zumindest eher nicht dazu geführt, dass Frau V1 ihren Dienst nicht mehr aufnehmen konnte und zum 01.08.1999 in den Ruhestand versetzt werden musste."
197Auch in der unter Berücksichtigung der zuvor Prof. Dr. med. D nicht vorliegenden ra-diologischen Befunde vom Unfall bis zur Bandscheiben-OP erstellten gemeinsamen Stel-lungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 finden sich ähnliche bzw. gleiche For¬mulierungen (S. 10, 2. Absatz):
198"Nach wie vor wird aus unserer fachorthopädischen Sicht festgehalten, dass Frau V1 (...) zumindest eher durch die Kollision (...) am 01.10.1997 kein akutes HWS-Schleudertrauma mit Brachiomyalgien und Cephalgien und einen Bandscheibenvorfall C5/C6 erlitten hat."
199Wieso dann auf S. 11 die Aussage folgt, das Auftreten einer leichten HWS-Distorsion durch den Unfall vom 01.10.1997 könne "nicht ausgeschlossen werden", erschließt sich nach dem Vorangegangenen nicht.
200Schon die oben dargestellte Wortwahl zeigt, dass die Sachverständigen sich zwar redlich bemüht haben, zu einem gerichtlich verwertbaren Ergebnis (mit für das praktische Leben hinreichender Sicherheit, die Zweifeln Schweigen gebietet) zu kommen, letztlich aber eher zu einer "überwiegenden Wahrscheinlichkeit" für das gefundene Ergebnis gelangt sind. Bei mehr in die Tiefe gehender inhaltlicher Auswertung der Gutachten bestätigt sich dieser Befund: Im orthopädischen Teil des interdisziplinären Sachverständigengutachtens vom 16. Juni 2005 kommt Prof. Dr. med. D (S. 42 unten, 43 oben) zu der Einschätzung, es könne dann "eine Verletzungsmöglichkeit für die HWS (...) unter Berücksichtigung nunmehr der resultierend einwirkenden biomechanischen Belastung, sogar ausgehend von der höchstmöglichen einwirkenden biomechanischen Belastung im Sinne einer kollisi-onsbedingten Geschwindigkeitsänderung von 12,0 km/h noch eher ausgeschlossen werden". Das ist in gleicher Weise eine wenig sichere Aussage.
201Schon nach dem Wortlaut lassen diese Formulierungen, die sich jeweils an Stellen der Gutachten bzw. sachverständigen Stellungnahmen finden, die Ergebnisse bzw. Zwischen-ergebnisse sind, Zweifel zu. Sie verdeutlichen – in wissenschaftlicher Redlichkeit, die zur Offenlegung von Zweifeln verpflichtet –, dass die gefundenen Ergebnisse nicht eindeutig sind.
202Zugleich finden sich Gründe für die Einschränkung der Gewissheit der Ergebnisse der Sachverständigen L2 und D auch bei der inhaltlichen Auswertung, zunächst des orthopädischen Teils zum interdisziplinären Gutachten vom 16. Juni 2005: Bei der Diskussion, ob bei der Klägerin zum Unfallzeitpunkt verletzungsfördernde Faktoren vorla-gen, die die Verletzungsmöglichkeit der HWS der Klägerin bei einer bestimmten biome-chanischen Belastung erhöhten, kommt der Sachverständige Prof. Dr. med. D (S. 37 des Gutachtens) zu dem Ergebnis, dass sich "keine sicheren Hinweise dafür ergeben, als dass verletzungsfördernde Faktoren im Bereich der HWS zum Zeitpunkt des Verkehrsun¬falles am 01.10.1997 bestanden haben." Dies verdeutlicht, dass verletzungsfördernde Faktoren nicht ausgeschlossen werden können, wie auch die dem zitierten Satz voraus¬gehenden Ausführungen zeigen. Dort werden drei potentiell verletzungsfördernde Fakto¬ren diskutiert, die bei der Klägerin bzw. dem erlittenen Verkehrsunfall vorlagen, und im Er-gebnis von Prof. Dr. med. D sämtlich verneint: 1. Degenerative Veränderungen des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts, 2. Überraschung des Unfallopfers durch die Kollision, welches nicht – den Unfall voraussehend/erwartend – die Muskulatur anspannt, 3. von der regelrechten Sitzposition im Autositz abweichende Haltung ("out-of-position"). Zu jedem dieser drei Faktoren stellt der Sachverständige eine bestehende wissenschaftliche Kontro-verse dar, ob diesem Umstand ein verletzungsfördernder Charakter zukommt. Er kommt aus grundsätzlichen Erwägungen dazu, dass weder die vorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS der Klägerin, noch der Überraschungsmoment oder die mit dem Oberkörper, aber auch mit dem Kopf noch darüber hinaus zum Fahrer nach links ge-wandte Sitzposition und Kopfhaltung der Klägerin verletzungsfördernde Faktoren darstell-ten. Dies zeigt, dass der Sachverständige keine objektive Wahrheit bekundet, sondern dass es auf wissenschaftlich begründeten Einschätzungen und – letztlich – Auffassungen ankommt. Zu jedem dieser Faktoren hätte der Sachverständige eine andere Haltung ein-nehmen können, ohne dass man dies als "falsch" hätte bezeichnen können. Dann hätte der Sachverständige noch mit einem geringeren Grad an Sicherheit zu seinem Gesamter-gebnis kommen können.
203Die inhaltlichen Aspekte, die verdeutlichen, dass Prof. Dr. med. D weniger eindeutige Ergebnisse zu erzielen vermag, als Gerichte sich dies von Sachverständigen erhoffen, ge-hen noch weiter. Im Anschluss an die Raum für Zweifel lassende Formulierung des Zwi-schenergebnisses, auch bei einer kombinierten kollisionsbedingten Geschwindigkeitsän-derung von 12,0 km/h in der Anstoßrichtung von schräg vorne rechts, könne eine Verlet-zungsmöglichkeit auch eher ausgeschlossen werden (S. 43 des orthopädischen Teils), diskutiert Prof. Dr. med. D die von der Klägerin sofort nach dem Unfall geäußerten und von den erstbehandelnden Ärzten attestierten Beschwerden ("sofort Schmerzen in der linken Hand sowie ein komisches Gefühl und sofort Nackenschmerzen insbesondere links-seitig und Kopfschmerzen und Übelkeit und eine Bewegungseinschränkung im Bereich des Nackens"; "massiver Hartspann der gesamten HWS-Muskulatur, Druckschmerz über der gesamten HWS und der oberen BWS und Rotation der HWS schmerzhaft einge-schränkt und Schmerzen auch im Bereich der linken Schulter") und charakterisiert diese Beschwerden als "im Wesentlichen unspezifisch", d.h. sie könnten sowohl bei unfallab-hängigen als auch bei unfallunabhängigen Beschwerdebildern der HWS vorliegen. Er gibt an, dass diese in der orthopädischen Praxis häufig vorkämen und i. d. R. ohne Unfallzu-sammenhang berichtet würden. Dies dürfte zutreffen, bedeutet im Umkehrschluss jedoch, dass diese Beschwerden auch durch den Unfall verursacht sein können.
204In der abschließenden gemeinsamen Stellungnahme der Sachverständigen L2 und D vom 31. Oktober 2006 findet sich ähnliches: Nachdem schon in Bezug auf die fest¬gestellte "Steilstellung der HWS" der Klägerin geäußert wird, dies könne auch unabhängig vom Unfall vorliegen, und andere Befunde der Erstbehandler als subjektive, nicht "harte" Befunde eingeordnet werden, kommen die Sachverständigen zu der Einschätzung, aus fachorthopädischer Sicht handele es sich eher um einen unspezifischen Befund, der nicht zwangsläufig den Ursachenzusammenhang belege. Es schließt wiederum einen solchen Zusammenhang aber auch nicht aus.
205Insgesamt entnimmt der Einzelrichter dem orthopädischen Teil des interdisziplinären Sachverständigengutachtens vom 16. Mai 2006 und der gemeinsamen Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 eine nachvollziehbare überwiegende Wahrschein¬lichkeit, dass die von der Beklagten als Unfallfolgen anerkannten Schäden der Klägerin nicht durch den Unfall verursacht worden sind. Gewisse Zweifel, die schon aus den vor¬stehenden Ausführungen folgen und unten vertieft werden, verbleiben insofern jedoch. Diese schließen eine Feststellung durch den Einzelrichter, dass die Dienstunfähigkeit der Klägerin nicht durch den Dienstunfall verursacht worden ist, aus. Damit stellen das inter-disziplinäre Sachverständigengutachten T7/D vom 16. Mai 2006 und die gemeinsame Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 verwertbare Sachverständigengutachten dar, die dem Gericht die notwendige Sachkunde zur Fest¬stellung der Tatsachen vermitteln. Diese sachverständigen Gutachten und Stellungnah¬men kommen aber nicht zu einem positiven ("trifft zu") bzw. negativen ("trifft nicht zu") Er¬gebnis, sondern bei der oben getroffenen Würdigung kann das Gericht die Beweisfrage nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Das aufgrund der Sachverständigengut¬achten erzielte Beweisergebnis geht mithin dahin, dass der Sachverhalt nicht mit der not¬wendigen Sicherheit aufgeklärt werden kann.
206Die Sachverständigengutachten (das interdisziplinäre Sachverständigengutachten T7/D vom 16. Mai 2006 und die gemeinsame Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006) sind insgesamt überzeugend, vollständig, wider¬spruchsfrei und logisch nachvollziehbar.
207In Bezug auf die Feststellung von unfallbedingten Schädigungen der HWS, insbesondere für die Feststellung eines Schleudertrauma, und der Folgen solcher Primärverletzungen ist letztlich der Sachverhalt durch ein fachmedizinisches Gutachten zu ermitteln, regelmäßig aus dem orthopädischen oder chirurgischen Fachgebiet. Zur Ermittlung des Unfallher-gangs und der biomechanischen Belastungen, die auf das Unfallopfer eingewirkt haben, kann es sinnvoll (und gegebenenfalls geboten) sein, zusätzlich als Grundlage für die fach-orthopädische bzw. -chirurgische Begutachtung unfallanalytische und/oder biomechani-sche Gutachten einzuholen. Außerdem können Zusatz-Gutachten, u.a. aus dem neurolo-gischen Fachgebiet, eingeholt werden.
208Vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., 2010, S. 468, Ziff. 8.3.4.3.
209Insofern liegen hier mit dem unfallanalytischen Gutachten des Prof. Dipl. Ing. T7 (unfallanalytischer Teil des interdisziplinären Gutachtens vom 16. Mai 2006), wel¬ches auch die biomechanische Belastung für die Klägerin untersucht, und dem von Prof. Dr. med. D erstatteten orthopädischen Teil des interdisziplinären Gutachtens, bzw. der gemeinsamen Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 sachverständige Äußerungen aus den richtigen Fachgebieten vor, die dem Einzelrichter die notwendige Sachkunde vermitteln.
210Nach der Einschätzung des Gerichts sind diese von Sachkunde getragen, die Gutachten sind von der Argumentations- und Gedankenführung her nachvollziehbar, teilweise sind allgemeine Grundlagen oder auch spezielle Berechnungen und Überlegungen in den um-fangreichen Anlagen zu den Gutachten aus dem Gutachtentext ausgegliedert. Alle Gut-achter sind nach der Einschätzung des Gerichts ausgesprochen fachkundig. Insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. med. W.H.M. D ist ein ausgewiesener Experte für Verletzungen der HWS, insbesondere HWS-Schleudertraumata. Er forscht und veröffent-licht insofern intensiv, wie die Literatur-Hinweise in den hier berücksichtigten Sachverstän-digengutachten, der arbeitsmedizinischen Literatur, aber auch der einschlägigen Recht-sprechung zeigen.
211Siehe Becke/D/Hein/T7, "HWS-Schleudertrauma" 2000 - Standortbestimmung und Vorausblick, NZV 2000, 225 ff.; Becke/D, Das "HWS-Schleudertrauma" – einige kritische orthopädische/unfallanalytische Anmerkungen, ZfSch 2002, 365 ff.; D/Mazzotti/Becke, Wissens¬werte Informationen für eine interdisziplinäre Begutachtung beim "HWS-Schleudertrauma" – eine "Wunschliste" aus verkehrstechnischer und orthopädischer Sicht, NZV 2001, 112 ff.; D/Mazzotti, Stellenwert der verkehrstechnischen Analyse zur Ermittlung der kollisionsbedingten Geschwindig-keitsänderung beim "HWS-Schleudertrauma", NZV 2001, 449 ff.; Mazzotti/D, Bedarf es zur Be-urteilung des "HWS-Schleudertrauma" noch der Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständi-gen?, NZV 2002, 499 ff.; Mazzotti/Kandaouroff/D, "Überraschungseffekt" – ein verletzungsför¬dernder Faktor für die HWS bei der Heckkollision?, NZV 2004, 335 ff.; Mazzotti/Kandaouroff/D, "Out of position" – ein verletzungsfördernder Faktor für die HWS bei der Heckkollision? Gibt es neue Erkennt¬nisse?, NZV 2004, 561 ff.; D, Anm. zu Amtsgericht (AG) Saarbrücken vom 31. August 2006 – 5 C 152/06 –, Straßenverkehrsrecht 2007, 451; Mazzotti/D, Die Belastbarkeit des Fahr¬zeugführers, NZV 2008, 16 ff.; Mazzotti/D, Das "HWS-Schleudertrauma" aus orthopädischer Sicht – Stand 2008, NZV 2008, 113 ff.
212In den fachorthopädischen Gutachten ist sachgerecht vorgegangen worden, indem der Unfallmechanismus und die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung (durch den Unfallanalytiker Prof. T7 fachkundig und überzeugend ermittelt) der indivi¬duellen Belastbarkeit der Klägerin gegenübergestellt wird. Dabei werden bei ihr gegebe¬nenfalls vorliegende verletzungsfördernde Faktoren ermittelt und berücksichtigt.
213Vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Ziff. 8.3.4.3, S. 469.
214Die orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. med. L2 und Prof. Dr. med. D erliegen dabei nicht der Versuchung, aufgrund der vergleichsweise geringen kollisionsbe¬dingten Geschwindigkeitsänderung in der konkreten Anstoßrichtung (von schräg vorne rechts) von maximal 12 km/h unter Heranziehung des Arguments der "Harmlosigkeits¬grenze" zum Ergebnis zu kommen, dies könne die HWS der Klägerin nicht verletzt haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass eine solche "Harmlosigkeits-" oder "Bagatellgrenze" nicht besteht, sondern dass auch bei geringer kollisionsbedingter Ge-schwindigkeitsänderung anhand aller Umstände des Einzelfalls zu klären sei, ob trotz der indiziellen Wirkung dieses Umstands eine Verletzung der HWS und insbesondere ein Schleudertrauma verursacht worden sei.
215Vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2003 – VI ZR 139/02 –, NJW 2003, 1116 ff.; Urteil vom 3. Juni 2008 VI ZR 235/07 , NZV 2008, 502 ff.; Urteil vom 8. Juli 2008 – VI ZR 274/07 –, NJW 2008, 2845 f.
216Wohl deshalb kommt es zu den vergleichsweise unbestimmten Aussagen der Sachver-ständigen ("zumindest eher noch" usw.), da sie zu Recht den Vorwurf vermeiden mussten, eine unzulässige Harmlosigkeitsgrenze angewandt zu haben.
217Auch ansonsten sind bei den verwerteten Sachverständigengutachten alle Vorgaben, die – im Bereich des Haftpflichtrechts, wie auch im Unfallrecht – in Bezug auf die Zusammen-hangsbegutachtung von Schleudertraumata herausgearbeitet worden sind, berücksichtigt worden.
218Vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 468 ff., Ziff. 8.3.4.3 "Zusammenhangsbeurteilung"; BGH, Urteile vom 28. Januar 2003, vom 3. Juni 2008 und vom 8. Juli 2008, alle a. a. O.
219Die Sachverständigen L2 und D haben die Klägerin persönlich untersucht, ihre Untersuchungsergebnisse, die berücksichtigten Fremdbefunde und insbesondere die radi-ologischen Befunde vollständig und nachvollziehbar dargestellt und in ihre Beurteilung einbezogen. Durch die gemeinsame Stellungnahme der Sachverständigen L2 und D vom 31. Oktober 2006 ist insbesondere der Mangel aus dem orthopädischen Teil des interdisziplinären Gutachtens vom 16. Mai 2006 abgestellt worden, der darin lag, dass Prof. Dr. med. D die Röntgen- und MRT-Bilder der HWS der Klägerin zunächst nicht berücksichtigen konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht auffindbar waren. Diese Unter-lagen tauchten dann – bei einem der anderen Sachverständigen – wieder auf und das LG E gab den Sachverständigen L2 und D die gemeinsame Stellung¬nahme unter Berücksichtigung der radiologischen Befunde auf. Dementsprechend sind dort Röntgenaufnahmen vom 1. Oktober 1997 und vom 29. April 1998 sowie MRT-Auf¬nahmen vom 28. Oktober 1997, vom 22. Januar 1998, vom 30. Juni 1998 und vom 21. März 2000 ausgewertet worden.
220Für die gutachterliche Redlichkeit ohne tendenziöse Begutachtung in eine bestimmte Richtung spricht – wie bereits erwähnt –, dass insbesondere Prof. Dr. med. D in sei¬ner Wortwahl die verbleibende Unsicherheit verdeutlicht hat. Der Verlockung, etwas im Detail Unklares im Ergebnis als klar zu postulieren, hat er widerstanden. Zugleich hat er, auch gemeinsam mit Prof. Dr. med. L2, an den verschiedenen Stellen des Sachver-ständigengutachtens die wissenschaftlich kontroverse Diskussion und widerstreitende oder unklare Forschungsergebnisse und Studien (z. B. zum Einfluss degenerativer Verän-derungen, des Überraschungsmoments oder einer "out-of-position"-Sitzhaltung auf die Verletzungswahrscheinlichkeit) offen dargestellt.
221Die in den Sachverständigengutachten verbleibende Unsicherheit wird auch durch die fol-genden Erwägungen bestätigt: Wenn man zu Besonderheiten des Falles der Klägerin (Vorliegen degenerativer Veränderungen, Überraschungsmoment und besondere Sitzpo-sition) eine andere wissenschaftliche Haltung einnimmt,
222siehe z. B. zu Sitzposition und Kopfhaltung bzw. der Auswirkung degenerativer Veränderungen Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 469, Ziff. 8.3.4.3 m. w. N.,
223liegen in ihrem Einzelfall verletzungsfördernde Faktoren vor, die das deutliche Überwiegen der gegen einen Ursachenzusammenhang sprechenden Gesichtspunkte vermindern. Es scheint – wie in den Stellungnahmen des Gesundheitsamts seit dem Unfall bis zum Zeit-punkt der Klärung im Zivilprozess dargelegt – nicht ausgeschlossen, dass bei degenerativ vorgeschädigter HWS, Rolle als Beifahrer mit eventuell anderem Muskeltonus der HWS und der besonderen Sitzposition und Kopfhaltung der Klägerin bei ihr eine (mehr als leichte) HWS-Distorsion (z. B. Grad II) verursacht worden ist und ein – zu diesem Zeit-punkt wohl "klinisch stummer" – Bandscheibenvorfall im Wirbelsäulen-Segment C5/C6 derart beeinflusst worden ist, dass das Bandscheibengewebe nunmehr deutlicher als zu-vor in Richtung des Rückenmarkskanals und der dort befindlichen Nerven und Nerven-wurzeln drängte und dadurch die Notwendigkeit der am 28. Januar 1998 im Städt. Klini-kum Solingen durch Prof. Dr. med. T3 vorgenommenen Bandscheiben-OP mit Aus-räumung der Bandscheibe im Segment C5/C6 sowie Versteifung dieses Segments zu die-sem Zeitpunkt verursachte. Niemand hat widerlegen können, dass die Klägerin vor dem Unfall im Bereich des Rückens und insbesondere der HWS beschwerdefrei war. Die Sachverständigen hatten sämtlich insofern keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer An-gaben. Dies zugrunde gelegt liegt die für den Unfallgutachter bedeutsame Trias "Be-schwerdefreiheit vor dem Unfallereignis – Trauma – Eintritt von Beschwerden im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall" vor. Dass dies allein nicht reicht, um den Ursachenzu-sammenhang festzustellen, weil die Frage, ob der Unfall mit seiner geringen kollisionsbe-dingten Geschwindigkeitsänderung geeignet war, die HWS der Klägerin zu verletzen, nicht klar zu beantworten ist, ist zugleich auch richtig. Andererseits hat sich um die sog. Schleu-dertraumata und deren Verursachung bei Verkehrsunfällen mit geringer kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderung eine wissenschaftliche Kontroverse entzündet, in der die ver-schiedensten Standpunkte zu finden sind. Bei einem nicht geringen Teil von Unfallopfern von Kfz-Kollisionen treten nach Schleudertraumata der Wirbelsäule (bzw. medizinisch besser: Distorsionen), die eigentlich relativ schnell folgenlos ausheilen sollen, langfristige Beeinträchtigungen auf, die chronisch werden können und teils zur Berufsunfähigkeit füh-ren. Man spricht insofern von der chronischen Schleudertrauma-Krankheit bzw. der "whiplash associated disorder" (WAD).
224Vgl. Wikipedia, Artikel zu "Schleudertrauma", www.wikipedia.de; eingehend zum Begriff "Schleuder-trauma" in Bezug auf HWS-Distorsionen als Folge eines Beschleunigungsmechanismus Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 458, Ziff. 8.3.4.
225Danach ist nicht auszuschließen, dass bei der Klägerin ein sog. WAD vorliegt, das mit sei-nen verschiedenen Symptomen ursprünglich durch den Verkehrsunfall ausgelöst worden ist und später die Dienstunfähigkeit herbeigeführt hat. Dieses Krankheitsbild ist wissen-schaftlich ungeklärt und insbesondere in seiner Ätiologie offen. Insofern ist – allgemein und auch im Fall der Klägerin – keine Klarheit zu erzielen.
226Nach alledem legt der Einzelrichter seiner Überzeugungsbildung das interdisziplinäre Sachverständigengutachten T7/D vom 16. Juni 2005 und die gemein¬same sachverständige Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 zugrunde. Die Frage nach dem Ursachenzusammenhang zwischen Folgen des Dienstunfalles vom 1. Oktober 1997 und der Dienstunfähigkeit der Klägerin lässt sich damit in keiner Richtung mit hinreichender Sicherheit beantworten. Weitere fachmedizinische (ins¬besondere ortho-pädische) Sachverständigengutachten holt der Einzelrichter nicht ein, da keine weiterfüh-renden Beweisergebnisse zu erwarten sind, die die erforderliche Überzeugungsgewissheit herbeizuführen vermögen. In Bezug auf die Verursachung von Körperschäden bei der Klägerin durch den Unfall vom 1. Oktober 1997 kann jetzt – bald 15 Jahre nach dem Un-falltag – nichts Neues mehr festgestellt werden. Körperliche Untersuchungen der Klägerin können aktuell nur noch den gegenwärtigen Zustand ermitteln. Als Anknüpfungs- oder Befundtatsachen stehen vorrangig die radiologischen Befunde aus den Jahren 1997/1998 zur Verfügung, die die bisherigen Sachverständigen bereits berücksichtigt haben. Neues ist insofern nicht zu erwarten. Zuletzt geht der Einzelrichter davon aus, keine besseren, fachkundigeren oder wissenschaftlich innovativeren Gutachter auffinden zu können. Ne-ben Prof. Dr. med. L2, dem Direktor der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der I1-Universität E, in Bezug auf dessen ausreichende Gutachter-Kompetenz keine Zweifel bestehen, stellt Prof. Dr. med. D eine ausgesprochene Ko¬ryphäe in Bezug auf Wirbelsäulenverletzungen bei Verkehrsunfällen, insbesondere Schleudertraumata, dar, der wesentlich an der Forschung und Fortentwicklung der wis¬senschaftlichen Erkenntnis in diesem Bereich beteiligt ist. Wenn diese Sachverständigen gemeinsam zu keiner eindeutigeren Erkenntnis in der Lage sind, ist dies auch von ande¬ren – in wissenschaftlich redlicher Weise – nicht zu erwarten.
227In dieser – nach der Beweislast zum Nachteil der Beklagten gehenden – Beweissituation ist auch unter Berücksichtigung des Beweisantrages der Beklagten, zum (fehlenden) Ur-sachenzusammenhang zwischen Dienstunfall und Dienstunfähigkeit ein fachorthopädi-sches Zusammenhangsgutachten einzuholen, kein solches Sachverständigengutachten erforderlich. Das Gericht verfügt mit dem interdisziplinären Sachverständigengutachten T7/D vom 16. Juni 2005 und der gemeinsamen sachverständigen Stellungnahme L2/D vom 31. Oktober 2006 (beide aus LG E 13 O 389/00, a. a. O.) über Sachverständigengutachten, die zu dieser Frage– nach den obigen Ausführungen – ausreichend und zutreffend Stellung nehmen und dem Gericht die not¬wendige Sachkunde verschaffen. Das Verwaltungsgericht genügt dem Grundsatz der Amtsermittlung, wenn es statt selbst eingeholter Sachverständigengutachten auf in das Verfahren eingeführte Sachverständigengutachten aus anderen Verfahren – z. B. amts¬ärztliche Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren –,
228vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. September 2010 – 8 B 15/10 –, Juris Rn. 4,
229zurückgreift, soweit diese keine offen erkennbaren Mängel oder unauflösbare Widersprü-che aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Da solche Umstände, wie oben dargelegt wurde, nicht ersichtlich sind, war das Gericht befugt, seine Entscheidung auf die im Wege des Urkundsbeweises in das Verfahren ein-geführten Gutachten aus den Zivilprozessen vor dem LG E 13 O 263/98 und 13 O 389/00 zu stützen, die als Bestandteil der beigezogenen Prozessakten dieser Verfahren für die Beteiligten ersichtlich in dieses Verfahren einbezogen wurden. Die Beteiligten hat¬ten – die teilweise genutzte – Gelegenheit zur Akteneinsicht. Die Akten der Zivilprozesse sind ausdrücklich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden, der Einzelrichter hat unmissverständlich auf deren Auswertung und die Berücksichtigung der im Einzelnen in der mündlichen Verhandlung angesprochenen und erörterten Sachver-ständigengutachten hingewiesen. Auch bei im Wege des Urkundsbeweises eingeführten Gutachten aus anderen Verfahren ist das Gericht befugt, einen Beweisantrag deshalb ab-zulehnen, weil es bereits über ein ihm die erforderliche Fachkunde verschaffendes Gut-achten verfügt, das in den Beiakten des Verfahrens vorhanden ist,
230vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. September 2011 – 1 A 1871/09 –, www.nrwe.de, Rn. 10 ff.
231Zugleich sind diese Gutachten von der Beklagten im Verwaltungsverfahren berücksichtigt worden und waren der maßgebliche Anlass für den Rücknahmebescheid vom 22. Oktober 2007. Deshalb finden sie sich im Verwaltungsvorgang der Beklagten, insbe-sondere betreffend die Rücknahme der Bewilligung von Unfallruhegehalt ab dem 1. November 2007 (Beiakte 16, Bl. 231 – 349, Bl. 473 – 484).
232Die Beweislast zum Nachteil der Beklagten ist auch nicht wegen eines der Klägerin vor-zuwerfenden Verstoßes gegen Treu und Glauben, bzw. ein Erwirken der Bewilligung von Unfallruhegehalt durch bewusst falsche Angaben oder Täuschung ausgeschlossen.
233Der Klägerin kann insbesondere nicht vorgeworfen werden, sie hätte den Verkehrsunfall vom 26. August 1986 mit einem leichten Schleudertrauma, welches zu einer 2-wöchigen Dienstunfähigkeit führte, verschwiegen und somit durch falsche Angaben oder Täuschung eine falsche Vorstellung beim Gesundheitsamt hervorgerufen und mittelbar die Bewilligung von Unfallruhegehalt erwirkt. Denn im Unfallgutachten des Gesundheitsamts der Beklag-ten (Arzt S, Mitzeichnung Dr. med. H1) vom 21. Januar 1998 ist bei den dienstun-fallunabhängigen Diagnosen ein "Zustand nach Schleudertrauma vor 11 Jahren (binnen weniger Tage vollkommen ausgeheilt)" aufgenommen, was zeigt, dass die Klägerin dies sehr wohl angegeben haben muss.
234Ansonsten kommt allein die anfänglich fehlerhafte Angabe der Klägerin in Betracht, wo-nach das Fahrzeug, in dem sie saß, unmittelbar von dem von rechts kommenden, über Rotlicht fahrenden Geländewagen Opel Frontera mit hoher Geschwindigkeit getroffen worden war. Dies trifft objektiv nicht zu, wie der unfallanalytische Teil des interdisziplinären Sachverständigengutachtens vom 16. Juni 2005 des Prof. Dipl. Ing. T7 er¬geben hat. Danach (Ziff. 3 des Gutachtens, dort S. 4) wurde der Opel Frontera zunächst an der Fahrerseite durch den Honda Accord angestoßen, bewegte sich in seiner ur¬sprünglichen Bewegungsrichtung weiter, vollführte dabei eine Drehung entgegen dem Uhrzeigersinn um seine Hochachse und kam im Bereich einer Verkehrsinsel zum Stehen. Durch diesen Zusammenstoß wurde gleichzeitig der Honda Accord ebenfalls entgegen dem Uhrzeigersinn um seine Hochachse verdreht und geriet dadurch in die Fahrspur des Opel Kadett (in dem die Klägerin saß) und prallte mit diesem zusammen. Die Verlet¬zungsfolgen der Klägerin sind allein auf diesen Zusammenstoß zurückzuführen. Ein Kon¬takt zwischen dem Opel Frontera und dem Opel Kadett lässt sich anhand des zur Verfü¬gung stehenden Materials nicht erkennen. Zugleich betrug die kollisionsbedingte Ge-schwindigkeitsänderung des von schräg vorne rechts kommenden Stoßes auf den Opel Kadett nur zwischen 8,9 und 12 km/h (Deckblatt des interdisziplinären Sachverständigen-gutachtens T7/D vom 16. Juni 2005). Nach den Berechnungen des unfallanalytischen Gutachtens Prof. T7 hatte der Opel Frontera unmittelbar vor der Kollision mit dem Honda Accord eine Geschwindigkeit von ca. 40 km/h.
235Gemessen an diesen Tatsachen kann ein Verstoß der Klägerin gegen Treu und Glauben, der dazu führen würde, dass nicht die Beklagte sondern sie die Beweislast für die Rechts-widrigkeit der Bewilligung von Unfallruhegehalt trüge, nicht festgestellt werden. Der Um-stand, dass es nicht zu einer Berührung zwischen dem Opel Kadett, in dem sie saß, und dem Opel Frontera gekommen ist, dürfte der Klägerin so bis zu den unfallanalytischen
236Gut¬ach¬ten in den Zivilprozessen nicht bekannt gewesen sein. Für sie stellte sich der Unfall so dar, dass der Opel Frontera Rotlicht überfahrend von rechts in den Honda Accord und den Opel Kadett, in dem sie sich gerade mit ihrem späteren Ehemann über einen anste-henden Urlaub unterhielt, "hineinkrachte". Nach dem Unfallhergang, wie Prof. T7 ihn herausgearbeitet hat, ist ersichtlich, dass der Opel Frontera in seiner Drehung um die Hochachse entgegen dem Uhrzeigersinn knapp am Vorderwagen des Opel Kadett (und somit an der Klägerin) vorbeischleuderte, ohne diesen jedoch nach den sachverständigen Stellungnahmen zu berühren. Dass dies für die Klägerin in der Un¬fallsituation nicht erkennbar war, ist nachvollziehbar. Ebenso ist die Angabe der Klägerin, die sie ausweislich des Unfallnachgutachtens des Gesundheitsamts der Beklagten (Dr. med. H1, mitgezeichnet Dr. med. T4) vom 4. Februar 1999, welches für die Bewilligung von Unfallruhegehalt mitentscheidend war, anscheinend gegenüber Dr. med. H1 bei der Untersuchung am 28. Januar 1999 machte, das von rechts kom¬mende Fahrzeug sei "mit hoher Geschwindigkeit auf ihrer Seite in den Vorderwagen ge¬fahren" (Beiakte 25, Bl. 38), nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben zu werten. Dies ist schon deshalb so, weil zunächst nicht gesagt werden kann, ob dies eindeutig falsch ist, da die Bewertung einer Geschwindigkeit als "hoch" unbestimmt ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin die Geschwindigkeit des für sie – angesichts ihrer nach links gewandten Sitzposi¬tion und Kopfhaltung – völlig überraschend von rechts kommenden Opel Frontera vermut¬lich tatsächlich als hoch empfunden haben dürfte. Subjektiv hat sie deshalb wohl nichts falsches gesagt, weshalb es weder eine Täuschung, noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist.
237Dieses Ergebnis ist auch wertungsmäßig richtig, da der Sinn dieser Rechtsprechung darin liegt, dass die Person, die einen begünstigenden Verwaltungsakt durch bewusste Täu-schung oder anderen Verstoß gegen Treu und Glauben "ergaunert", nicht im Nachhinein durch die Nichterweislichkeit und die Beweislast der Behörde bei der Rücknahme das treuwidrig Erlangte behalten dürfen soll. Hier ist es hingegen so, dass die Klägerin die Be-willigung von Unfallruhegehalt nicht aufgrund eines ihr vorzuhaltenden Verstoßes gegen Treu und Glauben erhalten hat, sondern weil die Beklagte Zweifel, die sich schon aus dem Schriftverkehr mit der Frankfurter ergaben, ignoriert und auch ansonsten – im Gesund-heitsamt wie im Hauptamt – eine für die Klägerin eher entgegenkommende Haltung an den Tag gelegt hat.
238Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
239Die Regelung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.