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1. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit beurteilt sich da-nach, inwieweit die vor dem Dienstunfall bestehende Fähigkeit des Beamten, die mit 100 vH anzusetzen ist, auf dem allgemeinen Ar-beitsmarkt - und nicht im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit - einem wirtschaftlichen Erwerb nachzugehen, durch den Dienstunfall gemindert ist. Allein entscheidend sind die Auswirkungen der Min-derung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben.
2. Aufgestellten Bewertungskriterien oder Eckwerten für die Bewer-tung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer Posttraumatis-cehn Belastungsstörung kommt (noch) nicht die Qualität allgemeiner Erfahrungswerte zu, da sie noch keine wiederkehrende Anwendung, Anerkennung bzw. Akzeptanz sowohl von Sachverständigen, Gerichten und Unfallversicherungsträgern erfahren habe.
3. Die Bad Pyrmonter Klassifikation stellt mit ihren Bewertungs-kriterien eine mögliche Grundlage dar, die Minderung der Erwerbs-fähigkeit aufgrund einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu ermitteln.
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides des Poli-zeipräsidiums P vom 13. März 2009 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheid des Landesamt für Besoldung und Versorgung vom 8. Februar 2010 verpflichtet, dem Kläger einen Unfallausgleich aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH ab dem 15. November 2007 in Höhe von 624,00 Euro, ab dem 1. Juli 2008 in Höhe von 631,00 Euro, ab dem 1. Juli 2009 in Höhe von 646,00 Euro und ab dem 1. Juli 2011 in Höhe von derzeit 652,00 Euro zu gewähren und den Nachzahlungsbetrag ab dem 2. März 2010 mit 5 vH über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu zwei Drittel und das beklagte Land zu einem Drittel.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der je-weilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des anderen Teils durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht dieser vor der Vollstreckung Si-cherheit in gleicher Höhe leistet.
Der am 00.0.1963 geborene Kläger wurde am 1. Oktober 1979 als Polizeiwachtmeister unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf eingestellt.
2Er wurde mit Ablauf des Monats Mai 2009 aufgrund einer auf einem Dienstunfalls beruhenden Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt (§§ 34 Abs. 2 Satz 3 LBG, 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG).
3Der Kläger war bei einem dienstlichen Einsatz am 9. Februar 2006 von Widerstandshandlungen des Wohnungsinhabers, dessen Wohnung zu durchsuchen war, betroffen. Dabei wurde der Kläger von dem Wohnungsinhaber mit einer brennenden/brennbaren Flüssigkeit (Spiritus/Speisefettgemisch) überschüttet, die sich entzündete. Dabei gab der Kläger einen Schuss ab. Ein physischer Körperschaden trat nicht ein. Seit dem 15. November 2007 ist der Kläger dauerhaft dienstunfähig.
4Aufgrund einer Dienstunfallmeldung, die spätestens am 14. Januar 2008 vorlag, leitete das Polizeipräsidium P eine Begutachtung des Klägers ein. Die Untersuchung fand vom 4. bis 6. November 2008 in der Psychosomatischen Fachklinik C statt.
5Das Ergebnis der Begutachtung ergibt sich aus dem von N erstellten nervenärztlich-psychotherapeutisches Gutachten vom 2. Dezember 2008. Danach leidet der Kläger an einer mittelgradig depressiven Episode (ICD-10 F 32.1) sowie einer durch den Dienstunfall am 9. Februar 2006 hervorgerufenen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, ICD-10 F 43.1). Zur Begründung führt der Gutachter aus, testpsychologisch lägen hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vor; das notwendige traumaauslösende Ereignis liege mit dem Vorfall vom 9. Februar 2006 vor, auch wenn, die Schäden gering gewesen seien. Es lägen jedenfalls keine weiteren Risikofaktoren oder eine Persönlichkeitsstörung vor.
6In seinem Zusatzgutachten vom 29. Januar 2009 bewertet N die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bzw. den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) mit 30 vH. Nach dem Gutachten erfolgte die Bewertung nach den Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit, unter Berücksichtigung der "Bad Pyrmonter Klassifikation". Empfohlen wird eine erneute Begutachtung zum Ende des Jahres 2010.
7Mit Bescheid vom 13. März 2009, der keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, erkannte das Polizeipräsidium P das Unfallgeschehens vom 9. Februar 2006 als Dienstunfall an. Zugleich wurde ein Anspruch auf Unfallausgleich festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Ursachenzusammenhang sei geklärt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe ab dem 15. November 2007 in Höhe von 30 vH. Eine allgemeine Dienstfähigkeit im Rahmen einer Polizeibehörde sei nicht gegeben, die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit sei dauerhaft nicht zu erwarten.
8Gegen die Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat der Kläger am 30. Juni 2009 Widerspruch erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, faktisch liege zu 100 vH keine Möglichkeit vor, Erwerbseinkommen zu erzielen. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger mit E-Mail vom 22. Januar 2010 weiter vor, ein erteilter weiterer Gutachtenauftrag sei rückgängig zu machen. Eine weitere Untersuchung stelle eine gesundheitliche Belastung dar, die einer Körperverletzung gleichkomme. Das Landesamt für Besoldung und Versorgung (Landesamt) wurde zugleich aufgefordert, eine Entscheidung nunmehr unmittelbar zu treffen, ein neues Gutachten sei nicht erforderlich.
9Das bereits zuvor beauftragte Institut für Ärztliche Begutachtung, das die Schlüssigkeit des Ergebnisses der vorherigen Begutachtung überprüfen sollte, kommt unter dem 28. Januar 2010 zu dem Ergebnis, dass die Annahme der Minderung der Erwerbsfähigkeit den "versorgungsmedizinischen Grundsätzen" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entspreche, die bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischen 30 und 40 vH vorsähen. Das Vermeidungsverhalten beziehe sich allein auf den Polizeidienst. Zugleich wird jedoch empfohlen, einen weiteren (Fach-)Arzt für Neurologie/Psychiatrie und Psychotherapie einzuschalten, etwa den Arzt G, aus I.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2010 wies das Landesamt - sinngemäß - den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, eine Entscheidung ergehe nach Aktenlage, da der Kläger eine weitere Untersuchung verweigere. Es lägen jedoch zwei schlüssige ärztliche Bewertungen vor, die beide von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH ausgingen.
11Mit der am 2. März 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt im Wesentlichen vor: Maßstab sei die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben; die Grundlage hierfür bilde ein medizinisches Gutachten; die Gerichte seien verpflichtet, diese zu überprüfen; die Spanne der Minderung der Erwerbsfähigkeit liege bei seiner Erkrankung zwischen 30 und 100 vH; folglich könne sie bei ihm nicht lediglich mit 30 vH angenommen werden; bereits zu Beginn habe die Diagnose einer schweren depressiven Episode mit Posttraumatischen Belastungsstörung vorgelegen; die Einordnung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit für diesen Zeitraum passe so schon nicht mit der objektiven Diagnose zusammen; das Gutachten vom 2. Dezember 2008 schildere Extremwerte in den Bereichen Zwanghaftigkeit, Depression, Aggressivität und phobische Angst; auch sonst liege eine ausgeprägte depressive Symptomatik vor: überdurchschnittlich hoch seien psychische Belastbarkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit ausgeprägt, so dass die tatsächlichen Leistungen im unteren Durchschnittsbereich liegen; es lägen insbesondere vor: erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens, Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit, Schlafstörung und -verlust, Libidoverlust und gestörtes Sexualleben, Störung wesentlicher Lebensinhalte sowie Familie und Beruf, Beeinträchtigung von Lebensführung und perspektiven, Angst vor weiteren gesundheitlichen und organischen Entwicklungen, ständige Angst vor Angriffen, Hilflosigkeitsgefühl, das sich in Aggressionen entlädt, Zwang, sich Entspannung verschaffen zu müssen, Verlust sozialer, beruflicher und privater Kontakte; insgesamt sei trotz Behandlung keine wesentliche Verbesserung zu erkennen; das in Auftrag gegebene Gutachten führe nicht an, welche Tätigkeiten er noch ausführen könne; auch der Polizeiärztliche Dienst gehe davon aus, dass allein die Wiedererlangung einer Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sei; das impliziere, dass derzeit eine vollständige Erwerbsunfähigkeit vorliege.
12Der Kläger beantragt,
13das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Polizeipräsidiums P vom 13. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid des Landesamt für Besoldung und Versorgung vom 8. Februar 2010 zu verpflichten, dem Kläger einen Unfallausgleich aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH ab dem 15. November 2007 in Höhe von 624,00 Euro, ab dem 1. Juli 2008 in Höhe von 631,00 Euro, ab dem 1. Juli 2009 in Höhe von 646,00 Euro und ab dem 1. Juli 2011 in Höhe von derzeit 652,00 Euro zu gewähren und den Nachzahlungsbetrag ab dem 2. März 2010 mit 5 vH über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
14Das beklagte Land beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Es trägt ergänzend vor, der Gutachter habe eine Stabilisierung prognostiziert, ein weiteres Gutachten habe der Kläger jedoch verweigert. Tatsächlich sei eine Bandbreite von 30 bis 100 vH möglich, ärztlicherseits sei jedoch nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH angenommen worden. Das werde nachvollziehbar begründet, auf die möglicherwiese abweichende subjektive Wahrnehmung des Klägers komme es nicht an.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Landesamtes und des Polizeipräsidiums P Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 14. November 2011 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) übertragen worden ist.
20Die Klage ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
21Der Kläger hat nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) einen Anspruch auf einen Unfallausgleich, der gemäß § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seiner Höhe nach aufgrund einer vorliegenden Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH besteht. Insoweit ist der Bescheid des Polizeipräsidiums P vom 13. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesamtes vom 8. Februar 2010 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
22Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG wird neben dem Ruhegehalt ein Unfallausgleich gewährt, sofern der Beamte infolge des Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist. Das trifft auf den Kläger zu. Er ist aufgrund des anerkannten Dienstunfalls vom 9. Februar 2006 seit dem 15. November 2007 dauernd dienstunfähig und in seiner Erwerbsfähigkeit seit dem wesentlich beschränkt. Das steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Gutachten des N fest und wird auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen.
23Die Höhe des Unfallausgleichs regelt § 31 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG mit dem Verweis auf § 31 Abs.1 BVG. Danach wird der Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 bis 4 BVG gezahlt.
24Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente, die vom Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. nunmehr vom Grad der Schädigungsfolgen abhängt. Dabei ist die Begrifflichkeit aufgrund der Verweisung aus dem § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG in ihrem Bedeutungsinhalt identisch geblieben.
25Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit beurteilt sich danach, inwieweit die vor dem Dienstunfall bestehende Fähigkeit des Beamten, die mit 100 vH anzusetzen ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - und nicht im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit - einem wirtschaftlichen Erwerb nachzugehen, durch den Dienstunfall gemindert ist. Allein entscheidend sind die Auswirkungen der Minderung der Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben, wohingegen besondere Auswirkungen auf die Art der Dienstleistung des Beamten unberücksichtigt bleiben,
26VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Juli 2003 - 23 K 8777/00 -, unter: nrwe.de (Rn. 36, 38); VG Minden, Urteil vom 19. Oktober 2009 - 4 K 830/09 -, unter: nrwe.de (Rn. 22), mit weiterem Nachweis auf Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 27. September 2001 1 A 4565/99 -.
27Dabei bieten die bereits vorliegenden ärztlichen Gutachten eine tragfähige, sachliche Grundlage für die richterliche Überzeugungsbildung, dass beim Kläger bereits eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vH besteht, die darüber aber auch nicht hinausgeht.
28Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die über zwei Tage dauernde Untersuchung des Klägers bei N und sein abschließendes Gutachten vom 2. Dezember 2008 nach Durchführung zahlreicher und anerkannter testpsychologischer Verfahren zur Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommt, die auf das Unfallereignis vom 9. Februar 2006 zurückzuführen ist. Die Ausführungen des Gutachters genügen dabei dem anerkannten Stand der Wissenschaft zur Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowohl nach den Kriterien der ICD 10 als auch der im DSM IV genannten Merkmale. Das traumaauslösende Ereignis wird mit dem Unfallgeschehen vom 9. Februar 2006 entsprechend dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge beschrieben und als ausreichend erachtet. Die Diagnose und die Beschreibung des gesundheitlichen Zustandes de Klägers sind so nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei dargestellt. Das Gutachten wird auch inhaltlich von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen. Der Kläger selbst zitiert daraus zu seiner Klagebegründung; das beklagte Land hält nach einer Überprüfung durch das Institut für ärztliche Begutachtung auch daran fest.
29Diese Feststellungen lassen sich auf die Aussagen des Gutachters in seinem ergänzenden Gutachten vom 29. Januar 2009 zum Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit jedoch nicht treffen. Die äußerst knappe Begründung stellt maßgeblich auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit unter Berücksichtigung der "Bad Pyrmonter Klassifikation" ab, an der N selbst mitgearbeitet hat.
30Dabei greift schon der erste Ansatz zu kurz. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) - 2008, Seite 48,
31abzurufen unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/anhaltspunkte-gutachter.pdf;jsessionid=FDDF749FCC7BD80D7C25B692AF635A8F?__blob=publicationFile,
32sehen für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und die Folgen psychischer Traumen den Ansatz einer Minderung der Erwerbsfähigkeit zwischen 0 und 100 vH vor. Nach dieser vom Gutachter in den Blick genommenen Einschätzungshilfe kommt grundsätzlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vH in Betracht. Allerdings erscheint es bereits hierbei kaum sachgerecht, dass nicht von einem Rahmen zwischen 50 und 70 vH ausgegangen wird, da der Gutachter auch mittelgradige soziale Anpassungsstörungen festgestellt hat.
33Jedoch steht der Annahme des Gutachters entgegen, dass dieser generelle Einschätzungsrahmen mittlerweile überholt ist. Nachfolgend zu den Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit geht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales davon aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung mindestens bei 30 vH liegt,
34BMAS, Ärztlicher Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Tagung vom 6. bis 7. November 2008, Beschluss zu posttraumatischer Belastungsstörung - Klink und Begutachtung, Punkt 1.1 der Sitzung der Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA am 12./13. November 1997 - Az.: 65-50122-2/38, Seite 3, abzurufen unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/rs-ptbs-2008-12-02-65-50122-238.pdf?__blob=publicationFile
35An der Richtigkeit dieser sachverständigen Einschätzung hat das Gericht keine Zweifel. Da nach den gutachterlichen Feststellungen vom 2. Dezember 2008 nur ein geringes traumaaulösendes Ereignis vorliegt, die unfallbedingten Folgen jedoch nicht als gering beschrieben werden und sogar mit einer Polizeidienstuntauglichkeit angenommen werden, verbietet sich eine Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf der untersten Stufe von 30 vH bereits vom Ansatz her. Entsprechend sind die Schlussfolgerungen in dem ergänzenden Gutachten vom 29. Januar 2009 nicht brauchbar.
36Gleichwohl war eine Neubegutachtung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gerichtlicherseits nicht in Auftrag gegeben werden, da nach dem Ergebnis der vorliegenden Begutachtung vom 2. Dezember 2008 die Minderung der Erwerbsfähigkeit vom Gericht selbst festgesetzt werden kann. Grundlage hierfür bietet die von N selbst in Betracht genommene Cer Klassifizierung,
37Meermann/Okon/Thiel/Tödt/Heuft, Empfehlungen zur Diagnostik und sozialmedizischen Bewertung von dienstlich verursachten Psychotraumata bei Polizeibeamten, in: Der Medizinische Sachverständige, 2008, 224 f.,
38die dieser mit anderen erfahrenen Gutachtern gerade im Hinblick auf die Traumatisierung von Polizeibeamten erstellt hat. Die dort aufgestellten Bewertungskriterien finden Anerkennung,
39Maercker, Posttraumatische Belastungsstörungen, 3. Auflage, Seite 128 ff.,
40auch wenn Eckwerten für die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht die Qualität allgemeiner Erfahrungswerte zukommt, da sie noch keine wiederkehrende Anwendung, Anerkennung bzw. Akzeptanz sowohl von Sachverständigen, Gerichten und Unfallversicherungsträgern erfahren,
41Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 156; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, Satz 258.
42Nach der Bad Pyrmonter Klassifikation und deren Kurzkommentierung liegt ein Grad der Schädigungsfolgen im Allgemeinen zwischen 50 und 70 vH vor, wenn die Verwendungsfähigkeit für den allgemeinen Polizeivollzugsdienst nicht mehr gegeben ist.
43Die Richtigkeit der Einstufung in den Rahmen von 50 bis 70 vH findet ihre Entsprechung in der Beschreibung der Symptome, wie sie beim Kläger in dem Gutachten vom 2. Dezember 2008 festgestellt worden sind.
44In der Bad Pyrmonter Klassifikation heißt es zu einem Grad der Schädigungsfolgen zwischen 50 und 70 vH: Es kommt zu häufigen quälenden Erinnerungen an das Trauma bei äußeren Anlässen oder auch bei Gedanken hieran, häufigen Flashbacks sowie häufigen Albträumen mit andauernden Schlafstörungen; es findet sich fortgesetztes Grübeln über das Erlebte, u.U. auch mit quälenden Schuldgefühlen und/oder dem Erleben, versagt zu haben; zusätzlich finden sich depressive Symptome und/oder eine Angststörung; es besteht ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten von Orten und Situationen, die mit dem Trauma zu tun haben; die Partnerschaft wird durch die Traumafolgen sehr belastet, Trennungsabsichten stehen im Raum; es besteht ein reduziertes Freizeitverhalten mit sozialem Rückzug; teilweise werden beispielsweise aggressive Sportarten und/oder ausgedehnte sportliche Aktivitäten statt der sozialen Kontakte gesucht; es ist/war eine stationäre Psychotherapie indiziert.
45Der Gutachter N stellte hierzu fest: Glaubhaft berichtet der Kläger über häufige Erinnerungen, die beim Impact-of-Event-Scale (IES-R) abgefragt werden. Gegenstand dieses Tests, bei dem der Kläger einen Gesamtwert von 2,21 erreichte (Seite 30 des Gutachtens), ist die Häufigkeit posttraumatischer Symptome, zu denen Flashbacks gehören. Dazu schätzen die Testpersonen auf einer Rating-Skala (0 = nie bis 5 = oft) ein, wie häufig die vorgegebenen Symptome während der letzten Woche jeweils bei ihnen aufgetreten sind. Mindestens ein Flashback wurde festgestellt (Seite 38). Der Kläger leidet auch unter Schlafstörungen und Alpträumen (Seiten 30, 39), wobei die Skala der Schlafstörungen beim Beck-Depressions-Inventar-Test (BDI) - im Gegensatz zum PTSS-10 (Seite 30) - nicht besonders hoch eingeschätzt wurde (Seite 31). Beim Kläger liegt zudem eine mittelgradige depressive Episode vor (Seite 39), so dass die angesprochenen depressiven Symptome vorliegen. Es kam ferner zu einem sozialen Rückzug mit einer vermehrten körperlichen Ausbelastung, also zu sportlichen Aktivitäten bis zur Erschöpfung (Seite 39). Diese wurden zur Kompensation ausgeübt (Seite 39). Auch ein Rückzugsverhalten aus dem Freundes- und Bekanntenkreis (Seites 38) sowie ein Vermeidungsverhalten liegen vor (Seiten 38, 39). Selbst in der stationären Begutachtungssituation mied der Kläger Kontakt zu anderen (Seite 36). Eine stationäre Psychotherapie ist indiziert (Seite 40), wobei diese aufgrund bestehender Vorbehalte seinerzeit noch nicht angezeigt war (Seite 42).
46Gemessen hieran liegen die festgestellten Symptome des Klägers im mittleren Bereich des zwischen 50 und 70 vH eröffneten Rahmens, so dass die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 60 vH anzunehmen ist.
47Unter Zugrundelegung der aufgezeigten Symptome ist eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht anzunehmen. Zwar ist in der Kurzkommentierung der Cer Klassifizierung regelmäßig ein Grad der Schädigungsfolgen von 80 bis 100 anzunehmen, wenn - wie hier auch eine Dienstfähigkeit im allgemeinen Verwaltungsdienst nicht gegeben ist. Jedoch findet diese Regelannahme keine Bestätigung in der Beschreibung der Symptome, die beim Kläger festgestellt worden sind. Insbesondere fehlt es an einer latenten Suizidalität und an wiederholten stationären Psychotherapien, die gerade zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung durchgeführt wurden.
48Der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Prozesszinsen, die wie beantragt ab Rechtshängigkeit seit dem 2. März 2010 zu gewähren sind, folgt aus § 291 Satz 1 BGB analog.
49Im Rahmen der Verpflichtungsklage kann der im Verwaltungsprozess obsiegende Kläger einen sich aus § 291 Satz 1 BGB analog ergebenden Anspruch auf Prozesszinsen haben. Dem steht zunächst § 49 Abs. 5 BeamtVG nicht entgegen, der einen Anspruch auf Verzugszinsen für Versorgungsbezüge, die nach dem Tag der Fälligkeit nur zum Teil gezahlt werden, ausschließt. Damit beinhaltet das Fachgesetz aufgrund der ausdrücklichen Anknüpfung an den Begriff der Verzugszinsen keinen Ausschluss vom Prozesszinsen, die nach dem Wortlaut des § 291 Satz 1 BGB gerade auch geschuldet sind, wenn kein Verzug besteht.
50Dem Zinsanspruch steht ebenfalls nicht entgegen, dass der Kläger im Rahmen der Verpflichtungsklage keine echte Geldschuld im Sinne des § 291 Satz 1 BGB geltend macht. Der Geldschuld stehen nämlich bezifferte Verpflichtungsansprüche oder solche gleich, aufgrund derer sich eine Geldschuld rechnerisch unzweifelhaft ermitteln lässt,
51BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998 - 2 C 28.07 -, in: juris (Rn. 13).
52Das ist erfüllt. Der geltend gemachte Unfallausgleich lässt sich seiner Höhe nach unmittelbar aus § 31 Bundesversorgungsgesetz entnehmen, so dass keinerlei Zweifel mehr über die weitere Rechtsanwendung bestehen,
53zu diesem Ansatz: BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998 - 2 C 28.07 -, in: juris (Rn. 14).
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und entspricht dem jeweiligen Anteil am Obsiegen bzw. Unterliegen.
55Der Kläger hat im Zeitpunkt der Klageerhebung den Differenzbetrag des Unfallausgleichs von 646,00 Euro zu 123,00 Euro (= 523,00 Euro) geltend gemacht. Zuerkannt wurde ihm lediglich ein Differenzbetrag in Höhe von 163,00 Euro (286,00 Euro ./. 123,00 Euro). Das entspricht einer Quote von rund zwei Drittel.
56Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).