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Zur Frage der gesundheitlichen Eignung bei der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe bei Fettleibigkeit/Adipositas 2. Gra-des im Grenzbereich zur Fettleibigkeit 3. Grades (BMI von 39,7 kg/qm).
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Voll-streckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Die am 0.0.1971 geborene Klägerin steht seit dem 1. Januar 2005 in einem Anstellungsverhältnis zu dem beklagten Land. Sie begehrt ihre Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe.
2Im Vorfeld ihrer Einstellung als Angestellte wurde die Klägerin im Gesundheitsamt der Stadt E untersucht. In dem daraufhin erstellten vertrauensärztlichen Zeugnis vom 29. November 2004 heißt es, es bestünden keine Bedenken gegen die Einstellung in ein befristetes Beschäftigungsverhältnis. Vor der Übernahme in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis sei eine Nachuntersuchung erforderlich. Es bestehe eine Adipositas Grad II. Angegeben wurde ein Körpergewicht von 109 kg.
3Unter dem 10. März 2010 beantragte die Klägerin die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Daraufhin teilte ihr das beklagte Land mit, dass vorbehaltlich u.a. der gesundheitlichen Eignung die Berufung in das Beamtenverhältnis beabsichtigt sei.
4Am 19. April 2010 wurde die Klägerin durch das Gesundheitsamt der Stadt E amtsärztlich untersucht. In dem daraufhin erstellten amtsärztlichen Gesundheitszeugnis vom 12. Mai 2010 heißt es, dass sich Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung ergeben hätten. Es bestehe eine Adipositas Grad III bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 43,5 kg/m2. Das Übergewicht sei in diesem Fall so ausgeprägt, dass es Krankheitswert habe. Deshalb bestünden Bedenken gegen eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe. Eine Nachuntersuchung sei erst sinnvoll nach Erreichen einer Adipositas Grad I.
5Nachdem der Klägerin dieses Gesundheitszeugnis übermittelt worden war, nahm sie hierzu unter dem 29. Juni 2010 Stellung. Sie verwies zunächst darauf, dass sich weder bei der Untersuchung im Jahr 2004 noch bei der jetzigen Untersuchung ein Hinweis auf Erkrankungen ergeben habe. Ferner legte die Klägerin eine Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin T vom 16. Juni 2010 vor. In dieser wird ihr Gewicht mit 119,5 kg bei einer Größe von 168 cm angegeben. Als Diagnose wird eine Adipositas bei einem BMI von 42,3 kg/m2 angeführt. In der Zusammenfassung heißt es, dass die durchgeführte körperliche sowie laborchemische Untersuchung wie auch schon die amtsärztliche Untersuchung keine Hinweise auf eine Erkrankung ergeben habe. Die langjährig bestehende Adipositas habe bislang nicht zu Krankheitsausfällen geführt. Aus Sicht des Arztes sei eine mögliche Verbeamtung nicht grundsätzlich auszuschließen. Weiter verhält sich die Stellungnahme zu der Frage der gesundheitlichen Eignung für die Berufung in ein Beamtenverhältnis. Ergänzend machte die Klägerin geltend, sie sei seit ihrer Einstellung nicht an einem Tag erkrankt gewesen. Die Einstellungsuntersuchung sei zur Abschätzung des Risikos einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit untauglich. Nach den Empfehlungen des Nationalen Ethikrates seien nur solche Krankheiten bzw. Krankheitsanlagen zu berücksichtigen, die sich mit mehr als 50%iger Wahrscheinlichkeit in den nächsten fünf Jahren nicht unerheblich auf die gesundheitliche Eignung des Bewerbers auswirkten. Bei Adipositas gebe es keine wissenschaftlichen Studien, die ein entsprechendes Risiko belegten.
6Diese Äußerung leitete das beklagte Land an das Gesundheitsamt E weiter. Unter dem 6. August 2010 nahm dieses hierzu Stellung und führte aus, nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO sei Fettleibigkeit ab dem ersten Grad als Krankheit anzusehen. Der Krankheitswert der hier vorliegenden Fettleibigkeit sei unbestritten. Statistisch korreliere das Ausmaß der Fettleibigkeit mit dem Risiko für Folgeerkrankungen (z.B. Stoffwechselstörungen, Herz-Erkrankungen etc.). Unter Berücksichtigung der eindeutig krankheitswertigen Fettleibigkeit mit dem im vorliegenden Fall erhöhten Risiko für Folgeerkrankungen könne nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der vorzeitige Eintritt der Dienstunfähigkeit ausgeschlossen werden. Derzeit werde in Nordrhein-Westfalen in der Regel bei Übergewicht und selbst bei Fettleibigkeit 1. Grades ohne bereits eingetretene Folgeerkrankungen der Betroffene in das Beamtenverhältnis übernommen. Dementsprechend sei der Hinweis auf eine Nachuntersuchung bei Erreichen einer Adipositas Grad I erfolgt.
7Mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag abzulehnen, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 20. Januar 2011 machte die Klägerin geltend, sie weise nunmehr einen BMI von 39,7 kg/m2 auf. Ihr Körpergewicht betrage 112 kg. Eine Adipositas Grad III liege deshalb nicht mehr vor. Werde der BMI als alleinige Entscheidungsgrundlage zu Grunde gelegt, sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Hinsichtlich der zu treffenden Prognoseentscheidung seien weitergehende Untersuchungen anzustellen. Dies sei nicht geschehen. Sie habe keine nennenswerten krankheitsbedingten Fehlzeiten zu verzeichnen und sei kerngesund. Der BMI könne kein alleiniger Indikator für die Nichtverbeamtung sein. Auch bei einem BMI von mehr als 30 kg/m2 könne das individuelle Risiko erheblich schwanken. Nach neuesten Forschungen wiesen 20% bis 30% der betroffenen Personen ein unauffälliges Risikofaktorenprofil auf. Auch das erkennende Gericht habe in seinem Urteil vom 4. September 2007, Az. 2 K 5357/06, ausgeführt, das ein BMI von über 30 kg/m2 allein nicht ausreichend sei. Vielmehr müssten stets zusätzliche Risikofaktoren hinzutreten. Dementsprechend seien weitere amtsärztliche Untersuchungen erforderlich.
8Mit Bescheid vom 24. Februar 2011 lehnte das beklagte Land den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ab. Zur Begründung verwies es darauf, dass die amtsärztliche Stellungnahme vom 12. Mai 2010 die Klägerin dem Bereich der Adipositas Grad III zuordne und eine Nachuntersuchung erst bei Erreichen einer Adipositas Grad I für sinnvoll erachte. Selbst bei dem jetzt von der Klägerin angegebenen BMI von 39,7 kg/m2 liege eine fortgeschrittene Adipositas Grad II vor. Auch die Gewichtsreduzierung auf 112 kg führe daher zu keiner geänderten Bewertungsgrundlage.
9Ein Kriterium für die Berufung in das Beamtenverhältnis sei die Eignung des Bewerbers und damit auch dessen gesundheitliche Eignung. Diese setze voraus, dass die Möglichkeit künftiger Erkrankungen und des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Die danach erforderliche Prognoseentscheidung ergebe im Falle der Klägerin nach Abwägung aller Gesichtspunkte und Interessen, dass bei ihr die gesundheitliche Eignung für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe nicht gegeben sei. Sie leide bereits seit Jahren unter erheblichem Übergewicht; schon im Gutachten vom 29. November 2004 sei eine Adipositas Grad II diagnostiziert worden. Im Mai 2010 habe der Amtsarzt eine Adipositas Grad III festgestellt. Der BMI der Klägerin sei damit seit Jahren konstant hoch und gegenüber der ersten Untersuchung im Jahr 2004 noch gestiegen. Selbst bei einem BMI von 39,7 kg/m2 sei das Risiko für Folgeerkrankungen nach den heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht nur als erhöht, sondern als hoch einzuordnen. Dies werde auch durch die vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen bestätigt. Der Verweis der Klägerin darauf, dass keine nennenswerten krankheitsbedingten Fehlzeiten aufgetreten seien, ändere daran nichts. Für die gesundheitliche Eignung komme es ausschlaggebend nicht auf die aktuelle Dienstfähigkeit an; entscheidend sei die Prognose hinsichtlich möglicher Erkrankungen in der Zukunft. Deshalb sei es unerheblich, ob bereits gegenwärtig auf Übergewicht zurückzuführende Erkrankungen oder Zustände mit Krankheitswert diagnostiziert werden könnten. Die Klägerin befinde sich seit Jahren im Bereich der Adipositas Grad II, nach den Feststellungen des Amtsarztes im Mai 2010 sogar im Bereich der Adipositas Grad III. Ein ernsthaftes Bemühen, ihr Übergewicht deutlich zu reduzieren, sei nicht erkennbar. Vielmehr sei in den vergangenen sieben Jahren eine erhebliche Gewichtszunahme zu verzeichnen gewesen. Dementsprechend sei das Risikoprofil der Klägerin hinsichtlich möglicher Folgeerkrankungen ungleich größer als dasjenige, das der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf in seinem von der Klägerin zitierten Urteil vom 4. September 2007 zu Grunde gelegen habe. Im Übrigen sei der BMI in der Rechtsprechung grundsätzlich als zulässiges Prognosekriterium anerkannt.
10Die Klägerin hat am 8. März 2011 Klage erhoben.
11Zur Begründung macht sie geltend, die Ablehnungsentscheidung verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und gegen Europarecht. Ihre Fettleibigkeit sei als Behinderung im Sinne des § 1 AGG einzustufen und könne ihrer Verbeamtung deshalb nicht entgegengehalten werden. Dementsprechend verstoße die ablehnende Entscheidung auch gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Ihre Fettleibigkeit sei auch als Behinderung im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Um der Benachteiligung behinderter Menschen entgegenzuwirken, seien die Eignungsanforderungen an diese zu modifizieren. Sie seien nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg gesundheitlich geeignet, wenn sich nach der prognostischen Einschätzung des Dienstherrn künftige Erkrankungen und eine dauernde vorzeitige Dienstunfähigkeit mit einem überwiegenden Grad an Wahrscheinlichkeit, also mit mehr als 50 von 100, ausschließen ließen.
12Darüber hinaus sei bei der Ablehnungsentscheidung ein Ermessensausfall zu verzeichnen. Dieser bestehe darin, dass die Behörde von einem allgemeinen Grundsatz ausgegangen sei, nach dem übergewichtige Bewerber nicht ernannt werden dürften. Andere Aspekte, wie zum Beispiel Blutwerte, orthopädische Untersuchungen etc., würden nicht erwähnt. Entsprechend habe auch der Amtsarzt in dem Untersuchungstermin am 19. April 2010 ihre Untersuchung nicht zu Ende geführt, nachdem er ihren BMI berechnet habe. Der BMI sei jedoch als alleiniges Kriterium zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung ungeeignet. Es gebe auch keine einheitliche Rechtsprechung, auf die sich das beklagte Land stützen könne.
13In jedem Fall liege in dem Abstellen auf den BMI aber ein Ermessensfehlgebrauch. Nach dem heutigen Stand der Forschung sei nicht eindeutig feststellbar, nach welchen Kriterien ein Mensch wegen Übergewichts als gesundheitsgefährdet einzustufen sei. Die bislang vorherrschende Heranziehung des BMI habe gravierende Nachteile und sei als alleiniges Kriterium zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung untauglich. Insoweit sei auf die Ausführungen von Hillebrecht, ZBR 2011, S. 84 ff., sowie Hauner, Ärzteblatt 2009, S. 106, und auf den Landesgesundheitsbericht NRW 2000, S. 93 ff., zu verweisen. Auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen habe in seinem Beschluss vom 16. Mai 2011 ausgeführt, dass die prognostische Entscheidung des Dienstherrn zur Möglichkeit künftiger Dienstunfähigkeit die Grenze des Beurteilungsspielraums überschreite, wenn sie auf einen Indikator gestützt werde, der sich nach wissenschaftlichen Forschungsergebnissen als ungeeignet für diese Prognose erweise. Bei dem BMI handele es sich grundsätzlich um einen solchen ungeeigneten Indikator. Dementsprechend sei eine weitere Begutachtung der körperlichen Voraussetzungen nötig. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass sie in einem sehr guten körperlichen Zustand sei, seit Jahren regelmäßig Sport treibe, Nichtraucherin sei und sich gesund ernähre. Außerdem habe sie nie unter ernsthaften Erkrankungen gelitten.
14Schließlich sei die Entscheidung auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil die Berücksichtigung der Fettleibigkeit eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu der Berücksichtigung von Risiken des Rauchens darstelle. Raucher würden als Beamte auf Probe nämlich ernannt. Hieraus werde deutlich, dass die Behörde keine umfassende Abwägung der gesundheitlichen Eignung der Bewerber vornehme, sondern manche Aspekte und Veranlagungen berücksichtige, andere jedoch trotz allgemein bekannter medizinischer Risiken außen vor lasse.
15Die Klägerin beantragt,
16das beklagte Land unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheides vom 24. Februar 2011 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
17Das beklagte Land beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung wiederholt und vertieft es die Ausführungen in seinem Ablehnungsbescheid. Ergänzend macht es geltend, es sei nicht zutreffend, dass der Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe nur mit der Begründung abgelehnt worden sei, dass die Klägerin allein aufgrund ihres BMI nicht gesundheitlich geeignet sei. Ein weiterer Grund für die Ablehnung sei gewesen, dass die Klägerin in den vergangenen sieben Jahren keinerlei ernsthafte Bemühungen gezeigt habe, ihr Übergewicht zu reduzieren.
20Die Fettleibigkeit der Klägerin sei auch keine Behinderung im Sinne von § 1 AGG. Eine Behinderung in diesem Sinne und im Sinne der zu Grunde liegenden europarechtlichen Regelungen liege nur dann vor, wenn die in Rede stehende Einschränkung wahrscheinlich von langer Dauer sei. Diese Dauerhaftigkeit sei hier nicht gegeben, wie schon die von der Klägerin begonnene Gewichtsreduzierung zeige. Zudem sei nicht dargelegt, dass bei ihr durch ihr Übergewicht aktuell ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben bestehe. Entsprechend liege auch keine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor.
21Der Ablehnungsbescheid sei auch im Übrigen rechtmäßig und leide insbesondere nicht an einem Ermessensausfall. Der Amtsarzt habe in seiner Beurteilung vom 12. Mai 2010 und in seinem Schreiben vom 6. August 2010 sowohl den Krankheitswert der bei der Klägerin vorliegenden Fettleibigkeit bestätigt als auch ausgeführt, dass im Falle der Klägerin der vorzeitige Eintritt der Dienstunfähigkeit nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Die Bezugnahme auf diese amtsärztlichen Gutachten im Ablehnungsbescheid sei legitim und bei medizinischen Fachfragen wie hier sogar geboten. Im Übrigen sei selbst bei einem unterstellten BMI von 39,7 kg/m2 das Risiko für Folgeerkrankungen nach den heute vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen nicht nur als erhöht, sondern als hoch einzuordnen. Dies ergebe sich auch aus den von der Klägerin in Bezug genommenen Untersuchungen von Hauner und Hillebrecht. Insoweit sei maßgeblich, dass bei einem BMI von über 35 kg/m2 das Mortalitätsrisiko messbar zunehme. Insbesondere bei einem BMI von über 40 kg/m2 steige das Gesamtrisiko für Folgeerkrankungen merklich an.
22Diese Einschätzung widerspreche auch nicht der Rechtsprechung. Zwar werde die Aussagekraft des BMI als Beurteilungskriterium für die gesundheitliche Eignung im Zusammenhang mit einer Verbeamtung durchaus kritisch hinterfragt. Diese Kritik betreffe jedoch nicht Fälle wie den vorliegenden mit einem BMI von über 40 kg/m2. In der Rechtsprechung sei zudem anerkannt, dass der Dienstherr auch den Umstand eines über einen längeren Zeitraum bestehenden Übergewichts und die damit verbundene Motivation des Mitarbeiters zur Gewichtsreduzierung würdigend in den Blick nehmen könne. Weitergehende medizinische Untersuchungen seien vor diesem Hintergrund nicht geboten gewesen.
23Schließlich sei der Ablehnungsbescheid auch nicht etwa deswegen ermessensfehlerhaft, weil eine unzulässige Ungleichbehandlung im Vergleich zu Rauchern bestehe. Eine Adipositas sei nicht mit dem Rauchen vergleichbar. Im Übrigen bestehe kein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes verwiesen.
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
27Der Bescheid des beklagten Landes vom 24. Februar 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]). Diese hat keinen Anspruch darauf, dass das beklagte Land über ihren Antrag auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe erneut entscheidet.
28Maßgeblich für die von der Klägerin begehrte Übernahme in das Probebeamtenverhältnis ist § 9 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG). Nach dieser Vorschrift sind Ernennungen - und damit auch die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe gemäß §§ 4 Abs. 3, 8 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG - nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen. § 9 BeamtStG konkretisiert demnach Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat.
29Zu dem Merkmal der Eignung gehört auch die gesundheitliche Eignung eines Beamtenbewerbers im Hinblick auf das von ihm angestrebte Amt. Die gesundheitliche Eignung setzt voraus, dass die Möglichkeit künftiger Erkrankungen und des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Diesbezüglich hat der Dienstherr eine Prognoseentscheidung zu treffen.
30Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 25. Februar 1993 – 2 C 27.90 –, BVerwGE 92, 147 (149), und vom 18. Juli 2001 – 2 A 5.00 –, ZBR 2002, 184; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 12. März 2008 - 6 A 4819/05 -, juris, Rdn. 4 ff., vom 9. Juni 2010 - 6 A 209/10 -, juris, Rdn. 5, und vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 14.
31Eine solche Risikoprognose kann sich dabei sowohl auf bei dem Bewerber bestehende oder vergangene Erkrankungen - insbesondere solche chronischer oder periodisch wiederkehrender Art - stützen als auch anhand von Risikofaktoren - z.B. Übergewicht oder erhöhten Blutfettwerten - getroffen werden.
32Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 16; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2011 - 4 S 187/10 -, juris, Rdn. 22.
33Eine solche Prognose muss dementsprechend an den individuellen Gesundheitszustand des Bewerbers anknüpfen; sie kann aber auch den Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte erfordern.
34Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. März 2008 - 6 A 4819/05 -, juris, Rdn. 6; Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Juni 2008 - 1 K 3143/06 -, juris, Rdn. 48; Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 13. Mai 2009 - 2 K 425/09 -, juris, Rdn. 24; Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 19.11.2009 - 13 A 6085/08 -, juris, Rdn. 29.
35Die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Bewerbers bemisst sich unabhängig davon, ob über die Begründung eines Probebeamtenverhältnisses oder eines Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit zu entscheiden ist. Denn bereits für die Auswahl der in das Probebeamtenverhältnis zu berufenden Bewerber sind dieselben Kriterien maßgeblich, denen für die Bewährung und Übernahme des Beamten auf Probe in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit maßgebliche Bedeutung zukommt.
36Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2011 - 4 S 187/10 -, juris, Rdn. 23.
37Die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung ist ein vom Dienstherrn vorzunehmender Akt wertender Erkenntnis. Dieser Erkenntnisvorgang ist vom Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen, ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Dem Dienstherrn steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Wertungen können weder durch die Wertungen eines Sachverständigen noch durch das Gericht ersetzt werden.
38Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 25. Februar 1993 – 2 C 27.90 –, BVerwGE 92, 147 (149), und vom 18. Juli 2001 – 2 A 5.00 –, ZBR 2002, 184; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 12; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2011 - 4 S 187/10 -, juris, Rdn. 24.
39Wegen dieses Beurteilungsspielraums des Dienstherrn kommt es bei Verpflichtungsklagen auf Einstellung in das Beamtenverhältnis und bei entsprechenden Bescheidungsklagen im Hinblick auf die Frage der Eignung des Bewerbers regelmäßig auf die im Zeitpunkt der angefochtenen behördlichen Entscheidung geltende Sach- und Rechtslage an. Maßgeblich für den zu beurteilenden Sachstand ist deshalb grundsätzlich das Erkenntnismaterial, das im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorliegt.
40Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juni 2004 - 2 C 45.03 -, BVerwGE 121, 140 (143).
41Dies gilt insbesondere auch für die Frage der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers.
42Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2011 - 4 S 187/10 -, juris, Rdn. 4.
43Nach diesen Maßstäben ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das beklagte Land die gesundheitliche Eignung der Klägerin unter Hinweis auf ihr Übergewicht im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Übernahmeantrag sowie auf den Zeitraum, in dem ein solches Übergewicht bereits bestanden hat, und weiter mit Blick auf die Entwicklung des Körpergewichts der Klägerin seit der vertrauensärztlichen Untersuchung im November 2004 verneint hat. Mit dieser Bewertung hat es die Grenze des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten.
44Bei der Ermittlung der der Bewertung zu Grunde liegenden Tatsachen sind - wie auch die Klägerin zugesteht - keine Fehler gemacht worden. Hiernach ist das beklagte Land zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin bei ihrer amtsärztlichen Untersuchung im April 2010 einen BMI von 43,5 kg/m2 aufwies, bei einer Körpergröße von 168 cm also etwa 122,7 kg wog. Weiter hat das beklagte Land richtig angenommen, dass die Klägerin bei ihrer amtsärztlichen Untersuchung im November 2004 ein Gewicht von 109 kg hatte, dass sie bei ihrer vermutlich im Juni 2010 durchgeführten Untersuchung durch den Facharzt für Innere Medizin T ein Gewicht von 119,5 kg hatte, und dass sie nach den Angaben ihrer Prozessbevollmächtigten im Januar 2011 noch 112 kg wog und damit einen BMI von 39,7 kg/m2 aufwies.
45Auch die hieraus abgeleitete Bewertung, die Klägerin sei wegen ihres Gewichts nicht gesundheitlich geeignet in dem o.g. Sinne weist keine Rechtsfehler auf.
46Dabei bedarf es hier keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob und ggfs. unter welchen Bedingungen generell ein bestimmter BMI, der als Verhältnis von Körpergewicht in Kilogramm zum Quadrat der Körpergröße in Metern definiert ist, eine hinreichende Grundlage für die Prognose der fehlenden gesundheitlichen Eignung darstellen kann.
47Insoweit ist zwar festzuhalten, dass nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft erhebliche Zweifel an der umfassenden Eignung des BMI als Maßstab für ein Übergewicht der Betroffenen und die daraus abzuleitende Beurteilung gesundheitlicher Risiken bestehen.
48Vgl. hierzu etwa Hillebrecht. Die gesundheitliche Eignung für ein öffentliches Amt bei Übergewicht und Adipositas, in: ZBR 2011, 84, insbes. S. 89; allgemein zurückhaltend im Hinblick auf die Folgen von Adipositas Landesgesundheitsbericht Nordrhein-Westfalen 2000, S. 93 f., veröffentlicht unter http://www.liga.nrw.de/_media/pdf/gesundheitberichtedaten/landesgesundheitsberichte/gesundheit_von_frauen_und_maennern.pdf?pi_t=true.
49Insbesondere im Falle eines Übergewichts ohne Fettleibigkeit (Adipositas), d.h. bei einem BMI zwischen 25 und 29,9 kg/m2,
50vgl. zu der Gliederung des Übergewichts nach den Einstufungskriterien der Weltgesundheitsorganisation (Präadipositas/Übergewicht bei einem BMI von 25 bis 29,9 kg/m2, Adipositas Grad I bei einem BMI von 30 bis 34,9 kg/m2; Adipositas Grad II bei einem BMI von 35 bis 39,9 kg/m2 und Adipositas Grad III bei einem BMI ab 40 kg/m2) Hillebrecht, a.a.O., S. 84, m.w.N., Landesgesundheitsbericht Nordrhein-Westfalen 2000, S. 94,
51wird ein allein hieraus resultierendes erhöhtes Gesundheitsrisiko kaum abzuleiten sein.
52Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 23; ähnlich Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil vom 13. Mai 2009 - 2 K 425/09 -, juris, Rdn. 39; Hillebrecht, a.a.O., S. 89.
53Weiter spricht auch im Fall der Fettleibigkeit 1. Grades, also im Fall eines BMI von 30 bis 34,9 kg/m2, manches dafür, ein erhöhtes Risiko von Folgeerkrankungen nicht allein auf das Körpergewicht stützen zu können, sondern dies nur im Fall weiterer gesundheitsgefährdender Umstände bejahen zu können.
54Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 4. September 2007 - 2 K 5357/06 -, juris, Rdn. 59 ff.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 19 ff.; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 31. Mai 2011 - 4 S 187/10 -, juris, Rdn. 31; anders noch Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteile vom 12. Dezember 2005 - 1 K 6123/01 -, juris, Rdn. 39, und vom 25. Juni 2008 – 1 K 3143/06 –, juris, Rdn. 41 ff.: Wegfall der gesundheitlichen Eignung bei einem BMI von über 30 kg/m2.
55Anders liegt der Fall jedoch im Fall der Fettleibigkeit 3. Grades, also bei einem BMI von mehr als 40 kg/m2. Insoweit ist wissenschaftlich anerkannt, dass hierdurch generell ein erhöhtes gesundheitliches Risiko bewirkt wird.
56Vgl. etwa Lenz/Richter/Mühlhauser, Morbidität und Mortalität bei Übergewicht und Adipositas im Erwachsenenalter. in: Deutsches Ärzteblatt 2009, 641 (647): "Körpermaßassoziierte Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken sind nicht linear. Bei hochgradiger Adipositas sind die Risiken meist deutlich erhöht. Adipositas ist für viele Erkrankungen ein Risikofaktor, für wenige identifizierte Krankheiten sind die Risiken vermindert"; Hauner, Übergewicht: Alles halb so schlimm?, in: Deutsches Ärzteblatt 2009, 639 f.: ".. verbleibt bei 70 bis 80% der Menschen bei einem BMI von 30 bis 39,9 kg/m2 ein erhöhtes Komorbiditätsrisiko und ab einem BMI von 40 kg/m2 steigt dieses Risiko noch weiter an"; Whitlock/Lewington u.a., Body-mass index and cause-specific mortality in 900.000 adults: collaborative analyses of 57 prospective studies, März 2009, Zusammenfassung veröffentlicht unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19299006, wonach der BMI ein starkes Anzeichen für eine erhöhte Mortalität sowohl oberhalb als auch unterhalb des augenscheinlichen Optimums von 22,5 bis 25 kg/m2 ist ("BMI is in itself a strong predictor of overall mortality both above and below the apparent optimum of about 22.5-25 kg/m(2)") und die erhöhte Mortalität oberhalb dieses Bereichs hauptsächlich durch vaskuläre Krankheiten bedingt und durch den BMI verursacht ist, wobei bei einem BMI von 30 bis 35 kg/m2 die mittlere Lebenserwartung um 2 bis 4 Jahre reduziert ist und bei einem BMI von 40 bis 45 kg/m2 um 8 bis 10 Jahre. ("The progressive excess mortality above this range is due mainly to vascular disease and is probably largely causal. At 30-35 kg/m(2), median survival is reduced by 2-4 years; at 40-45 kg/m(2), it is reduced by 8-10 years.”)
57Bezogen auf die Gesamtmortalität etwa ist anerkannt, dass diese ab einem BMI von 35 kg/m2 messbar zunimmt und die Risiko-Zunahme nicht linear erfolgt, sondern mit zunehmendem BMI exponentiell anwächst.
58Hillebrecht, a.a.O., S. 88; Lenz/Richter/Mühlhauser, a.a.O., S. 644; ebenso Bender/Trautner/Spraul/Berger, Assessment of Excess Mortality in Obesity, American Journal of Epidemiology, 147 (1997), S. 42 (45/46), veröffentlicht unter http://www.rbsd.de/PDF/doms1.pdf, wonach eine Fettleibigkeit mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 das Risiko eines vorzeitigen Todes substantiell erhöht ("morbid obesity [BMI ≥ 40 kg/m2] increased the risk of premature death substantially"); wenngleich insoweit zugleich festgestellt wird, dass das entsprechende Risiko bei einem BMI von 32 bis 40 kg/m2 deutlich geringer ausfalle als zuvor angenommen (s. S. 47 a.E.).
59So ist etwa bei einer Adipositas Grad II (BMI von 36 bis 40 kg/m2) in der Altersgruppe der 40 bis 49jährigen Frauen die Gesamtmortalität um 31% erhöht; bei einem BMI von mehr als 40 kg/m2 ergibt sich eine Risikoerhöhung sogar von über 180%.
60Hillebrecht, a.a.O., S. 88; ebenso Bender/Trautner/Spraul/Berger, a.a.O., S. 47: mehr als 2-fach erhöhtes Risiko für Frauen mit BMI ≥ 40 kg/m2 ("The excess mortalilty risk of morbid obesity (BMI ≥ 40 kg/m2) was quantified as 3-fold in men and more than 2-fold in women”).
61Diese Risikoerhöhung bezieht sich im Schwerpunkt auf das kardiovaskuläre Risiko: So ist die gesamtkardiovaskuläre Mortalität bei Adipositas um etwa 50% erhöht (bei Übergewicht dagegen nur um 10%) und bei Adipositas Grad III sogar um 200 bis 300%. Auch die Mortalität bei koronaren Herzkrankheiten ist bei Adipositas für Frauen um etwa 50% erhöht. Gleiches gilt für das Risiko einer solchen Krankheit.
62Lenz/Richter/Mühlhauser, a.a.O., S. 644; ähnlich Whitlock/Lewington u.a., a.a.O.: Erhöhung der vaskulären Mortalität um 40% je Steigerung des BMI um 5 kg/m2; ebenso Bender/Zeeb/Schwarz/Jöckel/Berger, Causes of death in obesity: Relevant increase in cardivascular but not in all-cancer mortality, in: Journal of Clinical Epidemiology 59 (2006), 1064 (1068 f.), veröffentlicht unter http://www.rbsd.de/PDF/DOMS_COD.pdf; auch die Studie von Schneider/Friedrich u.a., The Predictive Value of Different Measures of Obesity for Incident Cardiovascular Events and Mortality, in: Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 2010, 1777, veröffentlicht unter http://jcem.endojournals.org/content/95/4/1777, die sich sehr kritisch mit der Aussagekraft des BMI befasst, kommt in ihren Schlussfolgerungen in Bezug auf Fettleibigkeit 2. Grades und höher zu dem Ergebnis eines erhöhten Mortalitätsrisikos ("... and only persons with severe obesity, defined as BMI of at least 35 kg/m2, are at increased risk of early death").
63Auch das Risiko an einer Typ-2-Diabetes zu erkranken ist bei einem BMI von 27,2 kg/m2 bis 29,4 kg/m2 um etwa 100% erhöht und bei einem BMI ab 29,4 kg/m2 sogar um etwa 300%.
64Lenz/Richter/Mühlhauser, a.a.O., S. 644; ein erhöhtes Risiko bei steigendem BMI bejahen auch Feller/Boeing/Pischon, Body-mass-Index, Taillenumfang und Risiko für Diabetes mellitus Typ 2: Konsequenzen für den medizinischen Alltag, in: Deutsches Ärzteblatt 2010, 470, die ihr Augenmerk allerdings vornehmlich auf die Bedeutung des Taillenumfangs bei einem BMI von weniger als 25 kg/m2 legen, aber immerhin feststellen, dass "mit steigender BMI-Kategorie die Stärke der Assoziation zwischen Taillenumfang (in cm) und Diabetes-Risiko schwächer wird", also die Bedeutung des Taillenumfangs als Risikofaktor im Verhältnis zum BMI abnimmt.
65Risikoerhöhungen finden sich auch in Bezug auf Asthma und Nierenerkrankungen sowie für die gastroösophageale Refluxkrankheit,
66Lenz/Richter/Mühlhauser, a.a.O., S. 645,
67wohingegen das Risiko von Knochenfrakturen sinkt und bei Krebserkrankungen keine eindeutigen Auswirkungen auf das Erkrankungsrisiko festzustellen sind,
68Lenz/Richter/Mühlhauser, a.a.O., S. 645; zu Krebserkrankungen vgl. auch Bender/Zeeb/Schwarz/ Jöckel/Berger, a.a.O., S. 1068.
69In der Zusammenschau dieser Erkenntnisse ist ungeachtet der Bedenken gegen die Bedeutung des BMI bei Werten unterhalb von 35 kg/m2 festzuhalten, dass ein BMI über dieser Grenze und insbesondere ein BMI von mehr als 40 kg/m2 statistisch gesehen ein erhöhtes Risiko von verschiedenen Folgeerkrankungen mit sich bringt. Da zugleich ein steigender BMI nicht zu einer linearen, sondern - jedenfalls zumindest z.T. - zu einer exponentiellen Risikoerhöhung führt, wird zugleich deutlich, dass die Grenze von 40 kg/m2, die der Abgrenzung von Fettleibigkeit 2. und 3. Grades dient, keine qualitative Veränderung der Risikoerhöhung kennzeichnet. Eine gegenüber niedrigerem Gewicht - sowohl Normalgewicht als auch "einfachem" Übergewicht - merkliche Risikoerhöhung ist auch bei einer Fettleibigkeit 2. Grades zu verzeichnen und erst recht, wenn diese - wie hier - an der oberen Grenze zur Fettleibigkeit 3. Grades liegt.
70Vor diesem Hintergrund hat das beklagte Land mit der Heranziehung des BMI zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin, die nach den Feststellungen des Amtsarztes einen BMI von 43,5 kg/m2 aufwies und nach ihren eigenen Angaben im Januar 2011 immerhin noch einen BMI von 39,7 kg/m2, keinen ungeeigneten Maßstab angewandt. Jedenfalls im Grenzbereich einer Fettleibigkeit 2. Grades zur Fettleibigkeit 3. Grades liegen hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die den Schluss auf eine merkliche Erhöhung des gesundheitlichen Risikos für die Betroffenen zulassen.
71Das beklagte Land hat die Grenzen seines Beurteilungszeitraums auch nicht deshalb überschritten, weil es seiner Entscheidung einen ungerechtfertigten Automatismus zwischen BMI und (verneinter) gesundheitlicher Eignung zu Grunde gelegt hätte.
72Zum ersten hat das beklagte Land nicht allein den im Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen BMI der Klägerin als Entscheidungskriterium zu Grunde gelegt. Es hat vielmehr auch die Dauer der Fettleibigkeit der Klägerin - jedenfalls mehr als sechs Jahre - und die Gewichtszunahme seit November 2004 in den Blick genommen. Auch diese Kriterien sind rechtlich nicht zu beanstanden, da sowohl die bisherige Dauer der Fettleibigkeit als auch deren Entwicklung die zunächst nur statische, auf einen eng begrenzten Zeitraum bezogene Feststellung eines bestimmten BMI um eine auf einen längeren Zeitraum bezogene Komponente ergänzen. In diesem Zusammenhang dient die Betrachtung der Dauer und der Gewichtsentwicklung in der Vergangenheit dazu, aus diesen Umständen Schlüsse für den zu erwartenden Fortgang in der Zukunft zu ziehen. Auch wenn hieraus keine Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden können, führt diese Betrachtung doch dazu, etwaige besondere individuelle Gegebenheiten zu ermitteln und ggfs. die aus dem BMI abzuleitenden Bedenken zu gewichten. Dass das beklagte Land hieraus im vorliegenden Fall keine für die Klägerin günstigen Schlüsse gezogen hat, entspricht den jeweiligen tatsächlichen Feststellungen und führt jedenfalls nicht zu einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums.
73Ein Rechtsfehler bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin ergibt sich - etwa unter dem Aspekt unzureichender Sachverhaltsaufklärung - auch nicht daraus, dass das beklagte Land keine weitergehenden Untersuchungen des Gesundheitszustands der Klägerin veranlasst hat, wie z.B. die Untersuchung von Blutwerten, Blutdruck, orthopädischen Beschwerden o.ä. Eine solche Verpflichtung lässt sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass es sich bei der Annahme eines erhöhten Risikos von Folgeerkrankungen bei einem BMI in der hier in Rede stehenden Größenordnung um ein allein an statistischen Erwägungen ausgerichtetes Eignungsurteil handele, dass der individuellen Situation des jeweiligen Bewerbers nicht hinreichend Rechnung trage.
74So aber wohl Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 15. Dezember 2003 - 12 K 155/02 -, juris, Rdn. 27.
75Geht man nach dem oben Ausgeführten davon aus, dass der Dienstherr ausgehend von dem individuellen Gesundheitszustand des Bewerbers auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungswerte zurückgreifen kann, schließt dies die Möglichkeit ein, aufgrund statistischer Erwägungen eine hinreichende Risikoprognose vorzunehmen und die weitere individuelle Prüfung auf die Frage zu beschränken, ob das derart festgestellte Risiko gesundheitlicher Erkrankungen im Einzelfall ausnahmsweise günstiger zu bewerten sein könnte.
76Im Ergebnis ebenso Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 19.11.2009 - 13 A 6085/08 -, juris, Rdn. 29; ähnlich wohl auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 - 1 B 477/11 -, juris, Rdn. 27, wonach das generell erhöhte Risiko im Falle einer Fettleibigkeit 1. Grades durch Besonderheiten des Einzelfalles modifiziert sein kann.
77Da hier keine Umstände ersichtlich sind, die das oben beschriebene generelle Risiko im Einzelfall der Klägerin als nicht maßgeblich erscheinen lassen, und die Klägerin solche atypischen Umstände auch nicht vorgetragen hat, war das beklagte Land nicht veranlasst, weitere Untersuchungen in die Wege zu leiten.
78Der Bewertung, sie sei gesundheitlich nicht geeignet, kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass sie in der Vergangenheit keine nennenswerten krankheitsbedingten Fehlzeiten zu verzeichnen gehabt habe und kerngesund sei. Für die Frage der gesundheitlichen Eignung für ein Amt kommt es angesichts der erforderlichen Prognoseentscheidung auf die aktuelle Dienst(un)fähigkeit nicht entscheidend an.
79Zu letzterem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juni 2010 6 A 209/10 -, juris, Rdn. 5.
80Insbesondere kann aus einer seit mehreren Jahren andauernden, im Wesentlichen nicht unterbrochenen Dienstfähigkeit bei Personen im Alter der Klägerin nicht gefolgert werden, dass dieser Zustand auch bis zum Erreichen der Altersgrenze unverändert fortbestehen wird. Aus den angesprochenen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungswerten ergibt sich nicht, dass die mit einer Fettleibigkeit einhergehenden gesundheitlichen Risiken nicht oder in geringerem Umfang bestünden, wenn die Betroffenen bisher nicht erkrankt sind.
81Ein Rechtsfehler bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin ergibt sich auch nicht daraus, dass das beklagte Land bei der Bewertung der gesundheitlichen Risiken des Rauchens anderen Maßstäbe folgt, wie die Klägerin geltend macht. Zum ersten ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, welches Maß an Nikotinkonsum mit der hier in Rede stehenden Fettleibigkeit 2. Grades im Grenzbereich zur Fettleibigkeit 3. Grades vergleichbar sein könnte. Schon deshalb fehlt eine hinreichende Grundlage für die von der Klägerin behauptete Vergleichbarkeit. Zum zweiten ist nicht vorgetragen und auch nicht anderweitig ersichtlich, dass das beklagte Land bei Rauchern mit einem vergleichbaren Risikoprofil tatsächlich andere Maßstäbe bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung zu Grunde legt.
82Vgl. zu der Möglichkeit auch in derartigen Fällen ggfs. die gesundheitliche Eignung zu verneinen Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 13. November 1996 - 2 L 1764/93 -, juris, Rdn. 8.
83Der entsprechende Vortrag der Klägerin ist nicht substantiiert und wird durch keine konkreten Anhaltspunkte gestützt, die dem Gericht Veranlassung geben könnten, insoweit den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären.
84Schließlich verstößt die Einschätzung der fehlenden gesundheitlichen Eignung der Klägerin auch nicht gegen das Verbot der Benachteiligung Behinderter, wie es in Ausfüllung der Richtlinie 2000/78/EG in §§ 7, 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) normiert und zudem verfassungsrechtlich in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verankert ist. Die Klägerin ist nicht wegen ihres Körpergewichts behindert im Sinne dieser Vorschriften.
85Der Begriff der Behinderung in § 1 AGG entspricht nach der Gesetzesbegründung
86- Bundestags-Drucksache 16/1780 S. 31 -
87den sozialrechtlich entwickelten gesetzlichen Definitionen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und § 3 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
88Für diese Begriffsbestimmung auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. März 2011 - 5 C 16/10 -, juris, Rdn. 15; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 -, juris, Rdn. 25.
89Eine Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG ist eine Einschränkung, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet. Damit die Einschränkung unter den Begriff "Behinderung" fällt, muss wahrscheinlich sein, dass sie von langer Dauer ist.
90Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11. Juli 2006 - C-13/05 -, juris, Rdn. 43, 45.
91Eine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schließlich ist - anknüpfend an das bei der Einführung dieser Vorschrift herrschende, an § 3 Abs. 1 Satz 1 des damaligen Schwerbehindertengesetzes orientierte Begriffsverständnis - die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht.
92Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288 (301).
93Unabhängig von etwaigen Unterschieden im Übrigen kommt es danach bei allen Bestimmungen des Begriffs der Behinderung auf eine gewisse Dauerhaftigkeit der Einschränkung an.
94Unter Berücksichtigung dieses Kriteriums stellen Übergewicht und Fettleibigkeit keine Behinderung dar.
95Ebenso im Ergebnis Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteile vom 25. Juni 2008 - 1 K 3143/06 -, juris, Rdn. 32, und vom 12. März 2008 - 1 K 6980/03 -, juris, Rdn. 35; Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 19. November 2009 - 13 A 6085/08 -, juris, Rdn. 37.
96Übergewicht und Fettleibigkeit sind, soweit sie nicht ihrerseits Symptome anderweitiger Erkrankungen sind, grundsätzlich einer Reduzierung auf Grund einer entsprechenden Willensanstrengung der Betroffenen zugänglich. Hängt der Fortbestand einer Einschränkung aber von dem Willen der Betroffenen ab, ist sie für diese nicht unausweichlich und damit nach dem Sinn und Zweck der o.g. Regelungen nicht "von langer Dauer" bzw. nicht "nicht vorübergehend" oder "mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate" andauernd, wie dies für die Annahme einer Behinderung erforderlich wäre.
97Demgemäß ist auch die Fettleibigkeit der Klägerin keine Behinderung im Sinne der o.g. Vorschriften. Diese hat selbst vorgetragen, ihr Gewicht nach der amtsärztlichen Untersuchung im April 2010 reduziert zu haben. Dass eine weitere Gewichtsreduzierung prinzipiell nicht möglich wäre, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
98Sonstige mögliche Rechtsfehler bei der von dem beklagten Land vorgenommenen Beurteilung der gesundheitlichen Eignung der Klägerin sind weder von ihr vorgetragen noch sonst ersichtlich.
99Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
100Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 Zivilprozessordnung.
101Die Berufung war gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Frage der Heranziehung des BMI als Indikator für die gesundheitliche Eignung
102- vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2011 1 B 477/11 -, juris -
103grundsätzliche Bedeutung hat.