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Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass Personen, die die tunesi-schen Behörden in qualifizierter Weise in Zusammenhang mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten bringen, bei ihrer Rückkehr nach Tunesien verhört und dabei zur Erzwingung von Geständnissen oder Gewinnung weitergehenderer Erkenntnisse gefoltert oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden.
Zu grundsätzlichen Bedenken gegen diplomatische Zusicherungen in diesem Bereich.
Die mündliche Versicherung eines Mitglieds der tunesischen Regierung, dass die in Tunesien geltenden Menschenrechte auch in einem solchen Fall beachtet würden, vermag die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung nicht erheblich zu reduzieren.
Hinsichtlich der Zuerkennung der Asylberechtigung und der Flücht-lingseigenschaft wird das Verfahren eingestellt. Des weiteren wird die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Nr. 3 des Bescheides des Bundes¬amtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 27. September 2007 verpflichtet festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Auslän¬dern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) vorliegen. Die Nr. 4 des genannten Bescheides wird inso-weit aufgehoben, als darin Tunesien als Zielstaat der Abschiebung genannt wird.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Der am 00.0.1976 in H/Tunesien geborene Kläger ist tunesischer Staatsangehörigkeit, arabischer Volkszugehörigkeit und reiste im September 1997 in das Bundesgebiet ein. Auf seinen Antrag hin wurden ihm in der Folgezeit zum Zwecke des Studiums Aufenthaltsbewilligungen nach dem früheren Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz – AuslG) erteilt. Dementsprechend ist der Kläger seit dem Wintersemester 1997/98 als Student an der (Fach-)Hochschule O in L eingeschrieben.
2Im "Al-Tawhid"-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Az.: III – VI 13/03), in dem es unter anderem um die Planungen einer Zelle dieser islamistischen Gruppierung zu Sprengstoffanschlägen in E und C ging, sagte der Kläger als Zeuge aus. Gegenstand der Vernehmung war unter anderem eine mehrmonatige Reise, die den Kläger zusammen mit vier anderen Anhängern der islamischen Bewegung U ("Gemeinschaft zur Verkündigung" – U) Mitte Dezember 1999 zunächst nach Saudi-Arabien und dann weiter nach L1/Pakistan führte. Im inzwischen rechtskräftigen Urteil vom 26. Oktober 2005, mit dem insbesondere der Anführer dieser Zelle namens E1 unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden ist, stellte das Oberlandesgericht fest, dass der Kläger – entgegen seinen Angaben und entsprechend den Angaben des in derselben Angelegenheit bereits zuvor verurteilten Kronzeugen B (vgl. hierzu schon deren Angaben vor dem Bundeskriminalamt, Bl. 335 ff. Beiakte Heft 8 und Bl. 26 ff. Teil II Beiakte Heft 7) – nicht in L1 und Umgebung geblieben sei, sondern gemeinsam mit B, dem befreundeten Reisegefährten U und einem weiteren Mitglied der Reisegruppe namens B1 über R im Westen Pakistans nach L2 im Süden Afghanistans gereist sei und dort in einem von Bin Laden betriebenen Lager der Al-Qaida einen militärischen Grundlehrgang aufgenommen habe; nach Angaben des Zeugen B habe der Kläger später sogar eine Funktion in der Leibgarde Bin Ladens wahrgenommen und sei bereits bei der Ankunft in L2 von C1, gegen den wegen der Beteiligung an der Planung und Organisation der Anschläge vom 11. September 2001 ermittelt wird, besonders herzlich begrüßt worden, woraus er geschlossen habe, dass beide miteinander bekannt gewesen seien.
3Veranlasst durch eine entsprechende Mitteilung des Generalbundesanwaltes wies die Oberbürgermeisterin der Stadt C2 den Kläger mit für sofort vollziehbar erklärter Ordnungsverfügung vom 10. März 2006 unter anderem wegen Unterstützung einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, und Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß § 54 Nr. 5 und 5a AufenthG für dauernd aus dem Bundesgebiet aus und lehnte eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab. In den Gründen des Bescheides wird dargelegt, dass es als erwiesen anzusehen sei, dass der Kläger eine militärische Ausbildung in einem Lager der Al-Qaida absolviert habe und enge persönliche Kontakte zu führenden Persönlichkeiten dieser Terrorgruppe wie auch ins sonstige militante islamistische Milieu gepflegt habe bzw. pflege – insbesondere zu H, der der Beteiligung an dem Anschlag auf die Synagoge in E2/Tunesien verdächtigt werde; außerdem stehe die Mitgliedschaft des Klägers in der U fest, die im Verdacht stehe, durch ihre netzwerkartigen Strukturen den internationalen Terrorismus zumindest mittelbar zu fördern und durch die strengreligiöse Anleitung der Mitglieder den geistigen Nährboden für die Rekrutierung von Jihad-Kämpfern zu bereiten. Der gegen diese Ordnungsverfügung gerichtete Widerspruch ist noch anhängig. Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit rechtskräftigem Beschluss vom 10. April 2006 (Az.: 8 L 409/06) ab.
4Bereits Ende März 2006 hatte der Generalbundesanwalt unter anderem gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung eingeleitet (GBA 2 BJs 13/06-4), weil Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er sich als Teil einer zunächst im Raum L bestehenden Personengruppe aus Anhängern und Mitgliedern der U radikalisiert habe und seit seinem Aufenthalt in afghanischen Ausbildungslagern der Al-Qaida dieser ausländischen terroristischen Vereinigung zuzurechnen sei.
5Am 10. April 2006 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung trug er schriftlich sowie im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt vom 10. April 2006 vor: Die Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2005, die sich auf ihn bezögen, seien teils über-, teils falsch bewertet worden. Der Kronzeuge B sei psychisch krank, drogen- und alkoholabhängig. Er wisse nicht, warum er seinen Namen dort eingeführt habe, obwohl er mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun habe. Er sei zu keinem Zeitpunkt in Afghanistan gewesen und habe auch nicht an einem Ausbildungslager der Al-Qaida teilgenommen. Auf der im Dezember 1999 angetretenen Pilgerreise sei er in L1/Pakistan geblieben. Sie seien dort in verschiedene Gruppen aufgeteilt worden, so dass er seine Begleiter aus den Augen verloren habe. Er habe im weiteren Verlauf der Reise täglich an den Treffen und Lehrgängen der Glaubensbrüder teilgenommen. Auch die ihm vorgehaltenen Kontakte ins islamistische Milieu bestünden tatsächlich nicht. Er sei gegen den Terrorismus und es mache ihn ganz panisch, dass ihn die deutschen Behörden entsprechend verdächtigen würden. Er sei lediglich einmal während des Ramadan als Vorbeter in einer Moschee tätig geworden, die zur U gehöre. Es sei aber noch nicht entschieden, dass diese Vereinigung terroristisch sei. Er könne nicht in seine Heimat zurückkehren. Wenn er mit der Maßgabe abgeschoben würde, dass er hier eine terroristische Vereinigung unterstütze oder unterstützt habe, bestehe die konkrete Gefahr, dass er nach seiner Ankunft unmittelbar inhaftiert würde. Die gelte sowohl im Falle einer Abschiebung, bei der man immer nach den Gründen dieser Maßnahme befragt würde und bei der in seinem Fall aus dem Pass ersichtlich wäre, dass er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren dürfte, als auch bei einer freiwilligen Rückkehr, da die Geheimdienste ihre Erkenntnisse inzwischen international austauschten. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Tatsache, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung laufe, den tunesischen Behörden bekannt geworden sei. In Tunesien seien Folter und Misshandlungen von Gefangenen an der Tagesordnung. Die Haftbedingungen seien unzumutbar. Es komme zu ungeklärten Todesfällen in den Haftanstalten. Die Gerichtsprozesse blieben weit hinter dem internationalen Standard für einen fairen Prozess zurück. Verfolgt würden insbesondere Personen, die im Verdacht stünden, islamistischen Organisationen anzugehören. So sei es in mehreren namentlich bekannten Fällen nach der Rückkehr nach Tunesien unter dem Vorwurf der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation zu Inhaftierungen und Folterungen gekommen. In Anwendung des 2003 eingeführten, umstrittenen Antiterrorgesetzes seien angeblich bereits ca. 400 Tunesier festgehalten worden. Die Gefahr sei bei ihm dadurch erhöht, dass die deutschen Behörden ihn auch noch in Verbindung zu Verdächtigen im Fall des Anschlags in E2 brächten, sein Vater Mitglied der Al-Nahda sei, als solcher in den 80-er Jahren für ein halbes Jahr inhaftiert gewesen sei und damals wie auch vorübergehend nach seiner Ausreise seine jeweilige Arbeitsstelle verloren habe; schließlich habe er selbst hier in Deutschland zu einer Vielzahl von Personen Kontakt, die als Angehörige der Al-Nahda Asyl erhalten hätten, und Anfang 1999 auch an einem Treffen dieser Bewegung teilgenommen. Im Übrigen wäre er in Tunesien bereits aufgrund seines Auftretens und seines Bekenntnisses zum moslemischen Glauben von politischer Verfolgung bedroht.
6Am 16. Mai 2007 stellte der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger mangels Tatnachweises ein und hielt hierzu in einem Vermerk fest, dass der Verdacht einer mitgliedschaftlichen Einbindung des Beschuldigten in die ausländische terroristische Vereinigung Al-Qaida durch die zahlreichen Ermittlungsmaßnahmen nicht erhärtet, aber auch nicht ausgeräumt worden sei.
7In einem Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 16. Juli 2007 heißt es: Der Staatssekretär habe bei seiner Dienstreise nach Tunesien am 11. Juli 2007 mit dem tunesischen Innenminister über die Rückübernahme des Klägers sowie eines Herrn D gesprochen. Dem Innenminister seien die Personalien des Klägers bekannt gewesen. Er habe sich zur Rückübernahme bereit erklärt. Dabei habe er hervorgehoben, dass in Tunesien die Menschenrechte gelten, und versichert, dass diese auch im Fall der Rückführung des Klägers beachtet würden. Er habe es allerdings abgelehnt, dies im Rahmen eines Briefwechsels oder einer Verbalnote zu notifizieren. Auf Grund der klaren Zusage des Innenministers und vor dem Hintergrund der weiteren vereinbarten Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich sei davon auszugehen, dass diese Zusage belastbar sei und eingehalten werde.
8Mit Bescheid vom 27. September 2007 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab (Nr. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Zugleich forderte es den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Tunesien auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieses Bescheides zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist einen Monat nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (Nr. 4). In den Gründen wird ausgeführt: Die Gewährung von Asyl und Flüchtlingsschutz sei nach § 60 Abs. 8 Satz 1, 1. Alt. AufenthG und § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ausgeschlossen. Der Kläger sei aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen. Dass der Kläger sich – woran nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Urteil vom 26. Oktober 2005 kein Zweifel bestehe – in einem Lager der Al-Qaida einer militärischen Ausbildung unterzogen habe, hierbei offensichtlich eine herausgehobene Position (Mitglied der Leibgarde Bin Ladens) bekleidet habe und auch im Übrigen über umfangreiche persönliche Kontakte ins islamistisch-terroristische Milieu verfüge, zeige, dass er auf das engste in islamistisch-terroristische Strukturen eingebunden sei. Diese Verknüpfung mit Netzwerken der Mudjahedin lasse ihn zu einem beachtlichen, nicht hinnehmbaren Gefährdungsfaktor werden und rechtfertige die Prognose, dass er die erworbenen Fähigkeiten und Kontakte zum Nachteil von Bestand und Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nutzen werde. Dadurch, dass der Kläger in einer Ausbildungseinrichtung einer terroristischen Organisation Fertigkeiten zur Begehung terroristischer Anschläge erworben habe und auch im Übrigen in das Netzwerk gewaltbereiter Islamisten eingebunden sei, sei aus schwer wiegenden Gründen die Annahme berechtigt, dass er Unterstützungshandlungen geleistet habe, die im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen stünden (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AsylVfG). Schließlich lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Angesichts der seitens des tunesischen Innenministers gegenüber einem hochrangigen Vertreter des Bundesministeriums des Innern erklärten Zusicherung sei insbesondere nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Tunesien in einer Weise behandelt werde, die der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) widerspreche. Von einer Einhaltung dieser Zusicherung durch die politische Ebene sei auszugehen, zumal sie gegenüber einem hochrangigen Vertreter des Bundesministeriums des Innern erfolgt sei und für die weitere deutsch-tunesische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich von herausragender Bedeutung sei. Aufgrund der auf höchster Ebene erfolgten Zusicherung sei davon auszugehen, dass ihre Einhaltung durch die Behörden auch in der Praxis gewährleistet sei. Überdies sei insoweit zu berücksichtigen, dass der Kläger 1997 unverfolgt und ungefährdet aus Tunesien ausgereist sei und zu diesem Zeitpunkt – von einer Verzögerung bei der Ausstellung seines Passes abgesehen – noch keinerlei Schwierigkeiten mit den tunesischen Behörden gehabt habe. Schließlich habe der Kläger die ihm vorgehaltenen Aktivitäten weder auf tunesischem Boden entfaltet noch richteten sich diese gegen den tunesischen Staat oder dessen Regierung. Der Bescheid wurde mit am 2. Oktober 2007 zur Post gegebenem Einschreiben an die Prozessbevollmächtigte des Klägers übersandt.
9Mit der am 8. Oktober 2007 erhobenen Klage trägt der Kläger ergänzend vor: Für den vom Bundesamt angenommenen Ausschluss des Asyl- und Flüchtlingsschutzes nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG fehle es bereits an einer sicherheitsgefährdenden Handlung. Im Bescheid des Bundesamtes werde nicht dargelegt, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt wäre, wenn er sich in Afghanistan aufgehalten hätte. Im Übrigen bestreite er einen solchen Aufenthalt weiterhin. Die Ausweisungsverfügung, auf die sich das Bundesamt stütze, sei noch nicht bestandskräftig. Auch die obersten Strafverfolgungsbehörden hätten im Rahmen der umfangreichen Ermittlungsmaßnahmen (Observation, Telefonüberwachung, Zeugenvernehmungen) offenbar nicht festgestellt, dass er tatsächlich in Afghanistan gewesen sei und von seiner Person eine Gefährdung für die Sicherheit ausgehe. Wenn das Bundesamt davon ausgehe, dass er in einem die Bundesrepublik bedrohenden terroristischen Netzwerk tätig sei und er dieses mit seinen Handlungen qualifiziert unterstütze, sei bereits nicht ersichtlich, worin diese Handlungen aktuell bestehen sollten. Er gehöre zur U. Daraus lasse sich jedoch nicht auf eine islamistisch-terroristische Gesinnung schließen, da die U keine terroristische Vereinigung sei. Die Annahme einer Einbindung in ein entsprechendes Netzwerk lasse sich auch nicht mit dem Verweis auf angebliche Kontakte zu Personen mit Verbindungen zu terroristischen Gruppen begründen; bei den betreffenden Begegnungen handele es sich lediglich um einzelne, zufällige Kontakte. Das Bundesamt habe sich auch zu Unrecht auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG gestützt. Aus den oben genannten Gründen sei die Annahme, er habe den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt, nicht gerechtfertigt. Die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG bzw. § 3 Abs. 2 AsylVfG könne nicht allein auf einen bloßen Verdacht gestützt werden. Hinsichtlich der negativen Feststellung zu Abschiebungsverboten sei die vom tunesischen Innenminister abgegebene, jedoch nicht bindende Zusicherung einer ordnungsgemäßen Behandlung unter Wahrung der Menschenrechte in Anbetracht der tatsächlichen Menschenrechtssituation in Tunesien mehr als kritisch zu bewerten, zumal es bereits häufig trotz entsprechender Zusagen zu Folterungen gekommen sei und ein wirksamer Kontrollmechanismus nicht bestehe. Gerade Personen aus dem islamistischen Umfeld unterlägen häufigen und jederzeit möglichen Repressalien, willkürlichen Einbestellungen zu Polizei, körperlichen Einschüchterungen oder administrativen Schikanen. Auf Grund der Intervention des deutschen Staatssekretärs sei davon auszugehen, dass die tunesischen Behörden über die Verfahren gegen den Kläger informiert worden seien. Im Übrigen sei auffällig, dass dem Innenminister seine Personalien bereits bekannt gewesen seien. Jedenfalls biete die mündliche Zusage keinerlei Sicherheit. Es sei bereits nicht klar, was geschehe, wenn der tunesische Innenminister nicht mehr im Amt sei. Aufgrund des gegen ihn erhobenen Terrorverdachts und der daran anknüpfenden Ausweisungsverfügung und Ermittlungsverfahren sei es wahrscheinlich, dass er unmittelbar nach einer Rückkehr nach Tunesien in Haft – vermutlich in Isolationshaft – genommen, in der Haft gefoltert und auf andere Weise misshandelt und kein faires Gerichtsverfahren erhalten werde. Insoweit nimmt der Kläger Bezug auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme von amnesty international vom 2. März 2009.
10Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat das Amtsgericht Düsseldorf gegen den Kläger mit Strafbefehl vom 1. November 2007 wegen falscher uneidlicher Aussage eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung festgesetzt. Im Strafbefehl wird ausgeführt, dass der Kläger im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf im Verfahren III-VI 13/03 zu einer Reise vernommen worden sei, die er gemeinsam mit vier weiteren Personen im Dezember 1999 angetreten habe und die ihn letztlich in ein militärisches Ausbildungslager der Al-Qaida nach Afghanistan geführt habe, und dass er insoweit bewusst wahrheitswidrig angegeben habe, Ende 1999/Anfang 2000 nicht mit dem Zeugen B in Afghanistan gewesen zu sein. Der Kläger hat gegen diesen Strafbefehl Einspruch eingelegt. Das Verfahren ist derzeit beim Amtsgericht Düsseldorf anhängig (Az.: 120 Cs-80 Js 77/07-623/07).
11Nachdem der Kläger im vorliegenden Verfahren zunächst schriftsätzlich begehrt hatte, unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 als Asylberechtigter anerkannt zu werden, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und Abschiebungsverbote festzustellen, hat er in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 2009 die Klage insoweit zurückgenommen, als sie auf die Zuerkennung der Asylberechtigung bzw. Flüchtlingseigenschaft bezogen war, und lediglich noch beantragt,
12festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG vorliegen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie verweist hinsichtlich des Abschiebungsschutzes ergänzend auf einen vorgelegten Vermerk des Bundesinnenministeriums vom 8. Dezember 2008 zu einem Deutsch-Tunesischen Expertentreffen vom 17.-19. November 2008, speziell zu Rückführungen nach Tunesien, demzufolge der Leiter der Delegation des tunesischen Innenministeriums die Bereitschaft der tunesischen Behörden zur Rückübernahme des Klägers erklärt und die gegenüber dem deutschen Staatssekretär im Jahre 2007 mündlich abgegebene Zusicherung bekräftigt habe, dass der Kläger im Falle der Rückkehr nicht menschenrechtswidrig behandelt werde; die Delegationen hätten vereinbart, die Expertentreffen weiter in regelmäßigen Abständen durchzuführen und in diesen Treffen unter anderem zu prüfen, wie die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt worden seien. Die Beklagte führt insoweit ergänzend aus, dass sich die Eignung diplomatischer Zusicherungen, möglicherweise dem Betroffenen bei einer Rückkehr drohende Gefahren auszuschließen, aktuell im Fall des als rechte Hand von Al-Qaida Führer Bin Laden geltenden jordanischen Staatsangehörigen R zeige, in dem das oberste britische Gericht am 18. Februar 2009 entschieden habe, dass eine Rückführung nach Jordanien auf Grund einer zwischen Großbritannien und Jordanien getroffenen Vereinbarung, nach der entsprechende Personen nicht menschenrechtswidrig behandelt würden, zulässig sei.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren und zu dem gegen den Kläger gerichteten Strafverfahren wegen uneidlicher falscher Aussage als Zeuge vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Az.: 120 Cs – 80 Js 77/07 – 623/07 – AG Düsseldorf) nebst zugehöriger Beiakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde und auf die der Kammer vorliegenden Auskünfte und Erkenntnisse, auf die das Gericht hingewiesen hat, Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, soweit der Kläger die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Asylberechtigung und der Flüchtlingseigenschaft in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.
19Im Übrigen bedarf der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag der Auslegung. Er bezieht sich – offensichtlich infolge der Teilrücknahme – seinem Wortlaut nach nur noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten, obwohl ursprünglich auch insoweit eine Verpflichtungsklage kombiniert mit einer teilweisen Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 erhoben worden ist. Der Antrag ist daher entsprechend § 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches dahingehend auszulegen, dass er darauf gerichtet ist,
20die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. September 2007 zu verpflichten festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG vorliegen, sowie die Nr. 4 des genannten Bescheides insoweit aufzuheben, als darin Tunesien als Zielstaat der Abschiebung genannt wird.
21Die so verstandene, zulässige Klage ist begründet.
22Die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG hinsichtlich Tunesiens in Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger hat einen Anspruch auf diese Feststellung.
23Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens erfüllt.
24Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme eines solchen Abschiebungsverbotes entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den früheren Vorschriften des § 53 Abs. 1 und 4 AuslG voraussetzt, dass eine Folterung bzw. menschenrechtswidrige Behandlung des Ausländers im Falle seiner Rückkehr überwiegend bzw. beachtlich wahrscheinlich ist,
25- vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 – 9 C 77.95 -, NVwZ-Beilage 1996, 58 (59); BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 1.94 -, InfAuslR 1995, 24 (26) -
26oder ob es ausreicht, dass stichhaltige Gründe ("substantial grounds") für die Annahme vorgebracht werden, dass für den Betroffenen im Falle seiner Abschiebung das tatsächliche Risiko ("real risk") besteht, dort einer entsprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Letzteres entspräche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),
27- vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989, Application no. 14038/88, Soering v. United Kingdom, zitiert nach ECHR Document Collections unter http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudoc-en (im folgenden: EGMR-Rechtsprechungsdatenbank), Rz. 91 -
28die durch Art. 15 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QualRL) übernommen werden sollte,
29- vgl. Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine QualRL, KOM(2001) 510 endgültig, S. 29 f. -
30zu dessen Umsetzung § 60 Abs. 2 AufenthG wiederum durch das Gesetz vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl. I S. 1970 – Richtlinienumsetzungsgesetz) geändert worden ist.
31Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Richtlinienumsetzungsgesetzes, BT-Drs. 16/5065, S. 186.
32Es ist bereits fraglich, ob die dargelegte begriffliche Divergenz auch zu erheblichen Abweichungen beim Ergebnis der Gefahrenprognose führt.
33Vgl. Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht – Kommentar, 1. Aufl., § 60 AufenthG Rn. 36; Hailbronner, Ausländerrecht – Kommentar, Stand: Dezember 2008, § 60 AufenthG Rn. 126 ff.
34Darauf kommt es hier jedoch nicht an, da es sogar beachtlich wahrscheinlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Tunesien Folter oder sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird.
35Nach aktueller Erkenntnislage werden aus Deutschland zurückgeführte tunesische Staatsangehörige bei der Ankunft in Tunesien von den Behörden intensiv verhört. Sollte sich herausstellen, dass sie "regimefeindlich" tätig gewesen sind, werden auf sie die einschlägigen Normen des tunesischen Strafgesetzbuches (Code pénal – im Folgenden tunStGB) angewandt, das den Angriff auf die Integrität des tunesischen Staatsgebiets (Art. 61bis tunStGB) sowie die Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen (Art. 131 f. tunStGB) unter Strafe stellt. Allein die bloße Mitgliedschaft in der verbotenen islamistischen Partei Al-Nahda (Wiedergeburt), die allenfalls einen Flügel besitzt, der Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele befürwortet,
36- vgl. hierzu Deutsches Orient-Institut, gutachterliche Stellungnahme an das VG Gießen vom 27. September 2003, S. 6 -
37reicht aus, um nach Rückkehr Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden.
38Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik (Stand: November 2007), S. 15.
39Außerdem sind seit Mitte der 90-er Jahre Hunderte von rückkehrenden Tunesiern unter dem Vorwurf der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten im Ausland aggressiv verfolgt worden.
40Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings – A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 15; amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 2.
41Im Jahre 2003 ist insoweit ein spezielles Anti-Terror-Gesetz (Loi no 2003-75 du 10 décembre 2003, relative au soutien des efforts internationaux de lutte contre le terrorisme et à la répression du blanchiment d’argent – im Folgenden tunATG) erlassen worden.
42Dabei ist die Definition des Terrorbegriffs im tunesischen Recht sehr weit. Art. 52bis tunStGB sieht jede gegen Personen oder Sachen gerichtete Tat bereits dann als terroristisch an, wenn sie durch Einschüchterung ("intimidation") oder Schrecken ("terreur") begangen wird und erfasst auch die Aufstachelung zum Rassenhass oder zum religiösen Fanatismus ("haine ou fanatisme racial ou religieux").
43Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 6 und 12; Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, Procès jugés en vertu de la loi antiterroriste en Tunisie – Justice préventive et instrumentalisation politique – Tunis : juin 2005 – mars 2007, abrufbar unter : http://www.cnltunisie.org/Telechargement/Rapport_loi_terrorisme%20avril%202007.pdf, S. 9, Fn. 6.
44Durch Art. 4 tunATG ist diese Definition noch deutlich erweitert worden und erfasst auch Taten, die als unzulässige Einflussnahme auf die staatliche Politik ("dans le dessein d’influencer la politique de l’Ètat") angesehen werden oder die öffentliche Ordnung stören ("troubler l’ordre public").
45Vgl. amnesty international, In the Name of Security – Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 8; Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 41.
46Zwar sieht Art. 305 der tunesischen Strafprozessordnung (Code de procédure pénale) grundsätzlich vor, dass tunesische Staatsangehörige für Handlungen im Ausland nur dann von tunesischen Behörden verfolgt werden können, wenn das entsprechende Delikt auch im Ausland strafbar war. Absatz 3 dieser Vorschrift nimmt hiervon jedoch terroristische Straftaten im Sinne des Art. 52bis tunStGB ausdrücklich aus.
47Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12.
48Klargestellt worden ist dies auch noch einmal durch Art. 55 tunATG, demzufolge die tunesische Gerichtsbarkeit unter anderem auch dann zuständig ist, über terroristische Straftaten außerhalb des tunesischen Hoheitsgebietes zu urteilen, wenn sie durch tunesische Staatsangehörige begangen worden sind.
49Vgl. Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 47.
50Dementsprechend wird gemäß Art. 13 tunATG insbesondere jeder Tunesier, der im Ausland einer terroristischen Vereinigung beitritt oder eine militärische Ausbildung im Ausland erhält, um eine terroristische Straftat im In- oder Ausland zu begehen, mit einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und zwölf Jahren sowie einer Geldstrafe zwischen 5.000 und 50.000 Dinar bestraft.
51Vgl. Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 42.
52Der Umstand, dass die dem Kläger vorgehaltenen Taten weder auf tunesischem Hoheitsgebiet begangen worden sind, noch sich unmittelbar gegen den tunesischen Staat bzw. seine Regierung richten, berührt daher – entgegen der Einschätzung des Bundesamtes – die Frage ihrer Strafbarkeit und daran anknüpfend der Behandlung des Klägers durch die tunesischen Behörden nicht.
53Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes muss bei den Verhören, die im Rahmen der Kontrolle von Rückkehrern hinsichtlich regimefeindlicher Straftaten durchgeführt werden, mit Misshandlungen gerechnet werden. Gegen den Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit werde dabei verstoßen. Zu den am häufigsten angewandten Methoden bei Polizeiverhören, aber auch in Gefängnissen zählten neben Schlaf- und Essensentzug auch körperliche Übergriffe wie Schläge auf die Fußsohlen, Anwendung von Elektroschocks sowie sexuelle Misshandlung. Solche Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen mutmaßliche Islamisten, vor allem wenn sich die Polizei in diesen Fällen wichtige Erkenntnisse verspreche oder ein Geständnis erwirkt werden solle.
54Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 13 und 15.
55Sie erfolgen offensichtlich vor dem Hintergrund der vom tunesischen Staat unter Hinweis auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie auf der Insel E2 vom 11. April 2002 verfolgten kompromisslosen Eindämmung des Islamismus unter Rückgriff auf den allgegenwärtigen Sicherheitsapparat.
56Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 6.
57Auch amnesty international berichtet, dass im Jahre 2007 erneut Meldungen über Folterungen und Misshandlungen durch die tunesischen Sicherheitskräfte, vor allem den Staatssicherheitsdienst, eingegangen seien. Die Sicherheitskräfte überschritten oft die Frist von maximal sechs Tagen für Polizeigewahrsam vor der Anklageerhebung ("garde-à-vue") und hielten die Angeklagten mehrere Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Viele der Festgehaltenen hätten angegeben, während ihrer Haftzeit gefoltert worden zu sein. Dazu gehörten Schläge, Aufhängen in gekrümmter Körperhaltung, Elektroschocks, Schlafentzug, Vergewaltigung und Drohung mit der Vergewaltigung weiblicher Verwandter. In nahezu keinem Fall leiteten die Behörden Untersuchungen ein oder zögen die mutmaßlichen Täter zur Verantwortung.
58Vgl. amnesty international, Jahresbericht 2008 – Tunesien.
59In einem weiteren aktuellen Bericht stellt amnesty international fest, dass die tunesischen Sicherheitskräfte Personen, die der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten verdächtigt würden, über das gesetzliche Höchstmaß hinaus in Isolationshaft halten und die Inhaftierten in dieser Zeit systematisch gefoltert und anderweitig misshandelt würden. Foltervorwürfe von Anwälten oder Verwandten seien von der Staatsanwaltschaft oft ignoriert und bestenfalls unzureichend untersucht worden.
60Vgl. amnesty international, In the Name of Security – Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 33; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 2 ff.
61Insbesondere tunesische Staatsangehörige, die der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten oder Verbindungen verdächtigt würden und gegen ihren Willen nach Tunesien zurückgebracht worden seien, seien weitreichenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt gewesen, einschließlich verlängerter Isolationshaft, Folter und anderer Misshandlung. Die meisten Häftlinge, die zwangsweise aus dem Ausland zurückkehrten, seien bereits bei ihrer Ankunft in Tunesien verhaftet und anschließend für Wochen oder Monate in Isolationshaft gehalten worden. Sie berichteten ihren Familien und Anwälten später, dass sie gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien, ohne dass bekannt geworden sei, dass ihre Beschwerden durch die tunesischen Behörden untersucht worden seien. Im weiteren Verlauf führt amnesty international eine Vielzahl entsprechender Einzelfälle von Rückführungen aus Luxemburg, Irland, Bosnien und Herzegowina, Italien, Ägypten, Frankreich und den USA auf. So sei etwa T, der die tunesische wie auch die bosnische Staatsangehörigkeit besitze und aus Luxemburg ausgewiesen worden sei, nachdem ihn die dortigen Behörden der Planung von Terrorakten verdächtigt hätten, bei der Ankunft auf dem Flughafen in U2 verhaftet und mehr als einen Monat in Isolationshaft gehalten worden. Dabei sei er an sechs aufeinander folgenden Tagen von morgens bis abends gefoltert worden. Nach eigenen Angaben sei er überall auf den Körper geschlagen und in einer Stellung aufgehängt worden, in der Hände und Füße an einer horizontalen Stange befestigt würden ("poulet rôti"), bis zur Ohnmacht in den Genitalbereich geschlagen, mit seiner Vergewaltigung und derjenigen von Familienangehörigen bedroht worden. Auch G (alias N), dem zunächst die bosnische Staatsangehörigkeit entzogen, dessen Asylantrag sodann abgelehnt und der schließlich am 1. September 2006 von Bosnien und Herzegowina nach Tunesien abgeschoben worden sei, sei bei seiner Ankunft in Tunesien verhaftet und für sechs Tage in Isolationshaft gehalten worden, während derer er – wie er behauptet – geschlagen und verkehrt herum sowie in der "poulet rôti"-Position aufgehängt worden sei, um ihn zu zwingen, Informationen darüber preiszugeben, ob er an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen sei oder Verbindungen zu terroristischen Gruppen im Ausland besitze. Ähnliches wird von B2 berichtet, der zusammen mit einem weiteren Tunesier im Juni 2007 von den USA aus Guantanamo nach Tunesien abgeschoben worden sei. Nach eigenem Bekunden habe man ihm den Schlaf entzogen, ins Gesicht geschlagen und mit der Vergewaltigung seiner Frau und Töchter gedroht, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Später sei er wegen Zugehörigkeit zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.
62Vgl. amnesty international, In the Name of Security – Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 28 ff.; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 4.
63Auch Human Rights Watch berichtet, dass die tunesischen Behörden wie verlautet routinemäßig die Isolationshaft in polizeilichem Gewahrsam vor Anklageerhebung missbrauchten, indem sie die Häftlinge länger als das gesetzliche Höchstmaß von sechs Tagen festhielten und verschiedenen Formen der Folter und anderer Misshandlung unterwerfen würden. Tunesien sei zwar der internationalen Anti-Folterkonvention beigetreten und habe im tunStGB auch eine klare Definition der Folter und einen Tatbestand der Folterung im Amt mit der Androhung einer Freiheitsstrafe von acht Jahren aufgenommen. In der Praxis aber berichteten Personen, die unter dem Verdacht der Verwicklung in islamistische und andere oppositionelle Aktivitäten verhaftet worden seien, regelmäßig, dass die Polizei sie während ihrer Befragung gefoltert habe, um belastende Aussagen zu erhalten. Die tunesische Justiz sei Mittäter bei der Folterpraxis, indem sie Straflosigkeit für die Täter sicher stelle. Tunesische Menschenrechtsanwälte und -organisationen berichteten, dass die Gerichte mit wenigen Ausnahmen Aussagen als Beweismittel zuließen, die erzwungen worden seien, und es versäumten auf eindeutige Beweise dafür zu reagieren, dass die Polizei Häftlinge gefoltert und gegen zahlreiche Vorschriften des tunesischen Rechts verstoßen habe, die zum Schutz der Rechte von in Gewahrsam genommenen Personen eingeführt worden seien. Human Rights Watch kennt keinen Fall eines tunesischen Beamten oder Agenten, der verantwortlich gemacht worden sei für die Folterung von Personen, die wegen politisch motivierter Straftaten festgehalten worden seien. Häftlinge berichteten über eine Reihe von Methoden zur körperlichen oder seelischen Folterung und Misshandlung. Laut Menschenrechtsanwälten und -organisationen am meisten verbreitet seien Schlafentzug, Bedrohung mit Vergewaltigung des Häftlings oder weiblicher Familienmitglieder, Schläge insbesondere auf die Fußsohlen, unter Verwendung von Fäusten, Tritten, manchmal auch Knüppeln und Stromkabeln sowie das Binden und Aufhängen der Häftlinge an der Decke oder – entweder vollständig oder fast nackt – in der Brathähnchen-("poulet rôti-")Position an einer Stange, die auf jeder Seite auf einem Tisch aufliege. Während der Zeit des polizeilichen Gewahrsams vor Anklageerhebung ("garde-à-vue") habe der Häftling nicht das Recht, einen Anwalt oder jemand anderes zu sehen. Obwohl das tunesische Recht diesen Zeitraum auf sechs Tage begrenze, berichteten viele Häftlinge, wesentlich länger festgehalten worden zu sein. Diese unzulässige Verlängerung des garde-à-vue Gewahrsams erlaube der Polizei, den Häftling länger zu vernehmen und sichtbare Beweise für Misshandlungen verschwinden zu lassen, bevor sein Anwalt oder der Ermittlungsrichter ihn sehe.
64Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings – A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 16 ff; Human Rights Watch, Country Summary – Tunisia, Januar 2009, S. 2 f.
65Human Rights Watch stellt im Übrigen detailliert die Rückführung der beiden oben bereits erwähnten Tunesier aus Guantanamo durch die USA sowie ihre Behandlung durch die tunesischen Behörden dar. Sie seien unmittelbar am Flughafen empfangen und in das Innenministerium gebracht worden, wo sie für zwei bzw. drei Tage befragt und dabei gefoltert (Schläge, Drohung mit Vergewaltigung und Schlafentzug) bzw. entsprechend bedroht worden seien. Anschließend habe in einen Fall ein Militär-, im anderen ein Zivilgericht entschieden, dass sie in Polizeigewahrsam bleiben müssten. Ihnen sei die Zugehörigkeit zu einer islamistischen bzw. terroristischen Organisation vorgeworfen worden. Sie seien in ein Gefängnis außerhalb von U2 gebracht worden, wo sie für mehrere Wochen in Einzelhaft gehalten worden seien. Während der eine Tunesier dazu gebracht worden sei, eine Erklärung zu unterschreiben, die er mangels entsprechender Brille nicht habe lesen können, habe man dem anderen insgesamt sieben Wochen die Kontaktaufnahme mit einem Anwalt verwehrt.
66Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings – A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 3 ff.
67Allgemein sei festzustellen, dass die tunesische Regierung die Furcht vor dem Terrorismus und religiösem Extremismus als Vorwand nutze, um friedlichen Protest niederzuschlagen. Es gebe laufende und glaubhafte Berichte von Folter und Misshandlung, die dazu eingesetzt würden, von in Gewahrsam genommenen Verdächtigen Aussagen zu erhalten. Seit Inkrafttreten des tunATG hätten die Behörden Hunderte von jungen Leuten im ganzen Lande zusammengetrieben und nach den Bestimmungen dieses Gesetzes angeklagt. Die Regierung habe der Mehrheit von ihnen nicht die Planung oder Begehung konkreter Gewaltakte vorgeworfen, sondern vielmehr, dass sie geplant hätten, ausländischen jihadistischen Bewegungen beizutreten, oder andere dazu angestiftet hätten. Auch in diesem Zusammenhang hätten die Behörden sodann routinemäßig den Verdächtigen ihre Rechte vorenthalten. Viele seien vor Anklageerhebung in überlanger polizeilicher Isolationshaft gehalten, gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
68Vgl. Human Rights Watch, Country Summary – Tunisia, Januar 2009, S. 1 und 4.
69Zusammenfassend ergibt sich aus den vorliegenden, insoweit übereinstimmenden Erkenntnissen, dass Personen, die die tunesischen Behörden in qualifizierter Weise in Zusammenhang mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten bringen, bei ihrer Rückkehr nach Tunesien damit rechnen müssen, sofort bei Ankunft festgehalten, verhört und dabei zur Erzwingung von Geständnissen oder Gewinnung weitergehender Erkenntnisse gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden, insbesondere in Form von Schlägen, Elektroschocks, Aufhängen in grausamen Positionen, Bedrohung mit Vergewaltigung der eigenen Person oder von Familienangehörigen sowie Schlafentzug. Eine derartige Praxis in der Anwendung der Folter und sonstiger Misshandlung gegenüber Personen, die in Tunesien einer Straftat nach dem tunATG beschuldigt werden, hat auch der EGMR festgestellt.
70Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 143.
71Angesichts der von der tunesischen Regierung verfolgten Linie einer kompromisslosen Eindämmung des Islamismus und Terrorismus, der zahlreichen Berichte über konkrete Einzelfälle und des festgestellten routinemäßigen Vorgehens, ist unter diesen Umständen die Anwendung von Folter oder eine sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung derart häufig, dass sie sozusagen zur Tagesordnung gehört, und damit beachtlich wahrscheinlich.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 – 9 C 62.87 -, zitiert nach Juris (Rn. 7).
73Vor diesem Hintergrund droht auch dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch tunesische Behörden. Während er bei seiner Ausreise aus Tunesien im September 1997 offensichtlich lediglich insoweit mit islamistischen Bewegungen in Verbindung gebracht wurde, als sein Vater nach seinen Angaben Mitglied der in Tunesien verbotenen Al-Nahda war und deshalb unter anderem in den 80-er Jahren für ein halbes Jahr inhaftiert worden war, hat der Kläger hier in Deutschland nicht nur seinen Angaben zufolge persönliche Kontakte zu zahlreichen Mitgliedern dieser islamistischen Bewegung unterhalten und 1999 auch an einem ihrer Treffen in G1 teilgenommen, sondern ist vor allem infolge der Aussage des Kronzeugen im "Al-Tahwid"-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf und zuvor beim Bundeskriminalamt mit der islamistisch-terroristischen Szene unmittelbar in Verbindung gebracht worden. Nach dieser Aussage ist er Ende 1999/Anfang 2000 in Afghanistan gewesen, hat in einem von Bin Laden betriebenen Ausbildungslager der Al-Qaida an einem militärischen Grundlehrgang teilgenommen, kennt mit C1 und H Personen, die der Beteiligung an den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York bzw. 11. April 2002 auf der Insel E2/Tunesien verdächtigt werden bzw. deswegen bereits verurteilt worden sind, und hat schließlich sogar während seines Afghanistan-Aufenthaltes eine Funktion in der Leibwache Bin Ladens wahrgenommen. Aufgrund dieser Aussage ist es in Deutschland zu einem – ohne Ausräumung des Verdachts mittlerweile eingestellten – Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, einem nicht rechtskräftigen Strafbefehl der Amtsgerichts Düsseldorf wegen uneidlicher Falschaussage, einer Ausweisung durch die Ausländerbehörde sowie der Ablehnung seines Asylantrags unter anderem wegen Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gekommen. Es kann dahingestellt bleiben, wie viele dieser – insbesondere im Hinblick auf den angeblichen Aufenthalt in einem Ausbildungslager der Al-Qaida in Afghanistan (vgl. Art. 13 tunATG) und der mutmaßlichen Bekanntschaft mit dem wegen des Anschlags von E2/Tunesien verurteilten H aus tunesischer Sicht beachtlichen – Einzelheiten den dortigen Behörden bis heute bereits bekannt geworden sind. Für eine entsprechende Kenntnis könnte sprechen, dass es nach Medienberichten in ähnlichen Fällen zu einem Austausch von Informationen zwischen dem deutschen und dem tunesischen Geheimdienst gekommen ist
74- vgl. report-München, "Islamist im Visier deutscher Geheimdienste", Bericht vom 27. September 2004, in Auszügen wiedergegeben in: http://forum.politik.de/forum/showthread.php?threadid=79217 -
75und die tunesischen Sicherheits- und Nachrichtendienste nach Einschätzung von amnesty international tunesische Staatsangehörige überwachen, die im Ausland terroristischer Straftaten verdächtigt werden.
76Vgl. amnesty international, In the Name of Security – Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 6.
77Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die tunesischen Behörden den Kläger spätestens dadurch in besonderer Weise in Verbindung mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten gebracht haben, dass der deutsche Staatssekretär – wie im Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 16. Juli 2007 dargelegt – den tunesischen Innenminister auf seiner Dienstreise nach Tunesien am 11. Juli 2007 um Zusage der Rückübernahme des Klägers ersucht und dabei betont hat, dass es für Deutschland vor dem Hintergrund der nationalen Rechtslage wichtig sei, dass Tunesien verbindlich zusichere, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr ordnungsgemäß behandelt werde und keine Menschenrechtsverletzungen stattfänden. Dieser Anfrage konnte die tunesische Seite ohne weiteres entnehmen, dass der Kläger zu einer Personengruppe gehört, bei der die deutschen Behörden eine Gefahr von Menschenrechtsverletzungen in Tunesien sehen. Angesichts der veröffentlichten Berichte von Menschenrechtsorganisationen zur Menschenrechtslage in Tunesien, in denen die Behandlung von Personen im Vordergrund steht, die der Zugehörigkeit oder der Unterstützung terroristischer, insbesondere militanter islamistischer Organisationen verdächtigt werden, muss sich auf tunesischer Seite der Verdacht geradezu aufdrängen, dass auch der Kläger zu dieser Personengruppe zählt. Diese Einschätzung wird dadurch untermauert, dass sich die Anfrage des deutschen Staatssekretärs neben dem Kläger auch auf einen D1 bezog, der in öffentlich zugänglichen Quellen – wie dem Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2004
78- S. 177, abrufbar unter: http://www.verfassungsschutz.bayern.de/imperia/md/content/lfv_internet/service/verfassungsschutzbericht2004.pdf -
79sowie dem oben zitierten Bericht von report München vom 27. September 2004 – in Verbindung mit dem Netzwerk des islamistischen Terrorismus bzw. gleich mehreren radikal-islamistischen Organisationen gebracht wird.
80Der Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Folterung oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers durch die tunesischen Behörden im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien steht schließlich nicht entgegen, dass der tunesische Innenminister – nach dem genannten Vermerk des Bundesministeriums des Innern am 11. Juli 2007 – gegenüber dem deutschen Innen-Staatssekretär betont hat, dass in Tunesien die Menschenrechte gelten, und versichert hat, dass diese auch im Fall der Rückführung des Klägers streng respektiert würden, und der Leiter der Delegation des tunesischen Innenministeriums bei einem deutsch-tunesischen Expertentreffen vom 17. bis 19. November 2008 – nach einem weiteren Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2008 – diese mündlich abgegebene Zusicherung bekräftigt hat.
81Es bestehen bereits grundsätzliche Zweifel, ob entsprechende diplomatische Zusicherungen überhaupt geeignet sind, eine allgemein für Angehörige einer bestimmten Personengruppe bestehende Gefahr der Folterung oder sonstigen Misshandlung entscheidungserheblich zu reduzieren.
82Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 2009 – 21 K 3263/07.A -, S. 24 des Entscheidungsabdrucks.
83Auch das deutsche Recht sieht zwar unter bestimmten Umständen ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch Zusicherungen des Zielstaates bestimmte Hindernisse einer Auslieferung oder Abschiebung zu überwinden. So regelt etwa § 8 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl. 1994 I S. 1537 – IRG), dass die Auslieferung, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit der Todesstrafe bedroht ist, nur zulässig ist, wenn der ersuchende Staat zusichert, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt werden wird. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ist auch in § 60 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für das Abschiebungsverbot wegen der Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe vorgesehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich Zusicherungen im Fall der Todesstrafe nicht auf eine völkerrechtswidrige Behandlung beziehen und ihre Einhaltung von Natur aus leichter nachprüfbar ist.
84Vgl. UNHCR, Anmerkungen zu diplomatischen Zusicherungen und internationalem Flüchtlingsschutz, abrufbar unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Newsletter_Anhaenge/ 123/Diplomatische_Zusicherungen.pdf, S. 11; Human Rights Watch, "Diplomatische Zusicherungen" gegen Folter – Fragen und Antworten, abrufbar unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_ redakteure/Newsletter_Anhaenge/120/dipl_zusicherungen.pdf, S. 2.
85Hinsichtlich der Gefahr der Folter oder sonstigen Misshandlung stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Diesbezügliche diplomatische Zusicherungen betreffen das absolute Folterverbot des Art. 3 EMRK.
86Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 127.
87Außerdem sind solche Zusicherungen nicht nur typischerweise rechtlich nicht bindend und durchsetzbar,
88- vgl. UNHCR, a.a.O., S. 3; Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, E/CN.4/2006.6, abrufbar unter: http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G05/168/09/PDF/ G0516809.pdf?OpenElement, Ziffer 31; Human Rights Watch, a.a.O., S. 5 -
89sondern vor allem von Natur aus kaum vertrauenswürdig und kontrollierbar. Das rechtlich nicht-bindende Versprechen eines Staates, keine Folter anzuwenden, obwohl er dies unter Missachtung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen in der Vergangenheit getan hat, ohne es einzuräumen, erscheint nicht belastbar. Außerdem ist Folter häufig darauf angelegt, im Verborgenen angewendet zu werden und zwar gezielt unter Einsatz solcher Techniken, die schwer nachzuweisen sind. Schließlich sind bei realistischer Betrachtung beide Seiten einer solchen Vereinbarung nicht am Bekanntwerden einer Folterung entgegen dieser Zusicherung interessiert.
90Vgl. Ward, Ein Feigenblatt für Folter: die Verwendung "diplomatischer Zusicherungen" im OSZE-Raum, OSZE-Jahrbuch 2005, abrufbar unter: http://www.core-hamburg.de/CORE/pub_osce_inh_05. htm, S. 202 f.; Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, a.a.O.; Human Rights Watch, a.a.O., S. 3; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 6 f.
91Trotzdem liegen sogar positive Anhaltspunkte dafür vor, dass derartige diplomatische Zusicherungen tatsächlich keinen wirksamen Schutz gegen Folter bieten. So liegen nach Einschätzung sachverständiger Stellen glaubhafte Belege dafür vor, dass etwa die von Schweden im Dezember 2001 nach Ägypten abgeschobenen B3 und A nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland im Gefängnis sowie der von den USA im September/Oktober 2002 nach Jordanien abgeschobene und von dort nach Syrien verbrachte B4 nicht nur in Jordanien, sondern auch in Syrien gefoltert worden sind, obwohl sowohl die ägyptischen als auch die syrischen Behörden zuvor gegenteilige Zusicherungen abgegeben hatten.
92Vgl. Ward, a.a.O., S. 210 ff.; Human Rights Watch, a.a.O., S. 3 f.; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 7.
93Auch der von der Beklagten angeführte Fall des als rechte Hand von Al-Qaida-Führer Bin Laden geltenden jordanischen Staatsangehörigen R taugt nicht als Beleg für die Eignung diplomatischer Vereinbarungen, dem Betroffenen bei einer Rückkehr drohende Gefahren auszuschließen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass R bisher noch nicht in sein Heimatland zurückgeführt werden konnte. Denn nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs gegen seine geplante Rückführung hat er eine Beschwerde beim EGMR eingereicht, der auf entsprechenden Antrag hin am 19. Februar 2009 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfügt hat, ihn bis auf weiteres nicht abzuschieben.
94Vgl. Pressemitteilung des EGMR, abrufbar unter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=847512&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649.
95Vor diesem Hintergrund haben sich sowohl der amtierende Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen
96- Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, a.a.O. -
97als auch der amtierende Menschenrechtskommissar des Europarates
98- Memorandum von Thomas Hammarberg vom 18. September 2008 zu seinen Reisen in das Vereinigte Königreich vom 5.-8. Februar und vom 31. März bis zum 2. April 2008, CommDH(2008)23, abrufbar unter: https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1339037&Site=CommDH&BackColorInternet=FEC65B& BackColorIntranet=FEC65B&BackColorLogged=FFC679, Ziffern 92 f. -
99gegen die Einholung entsprechender Zusicherungen bzw. die Rückführung von Ausländern auf der Grundlage solcher Zusicherungen gewandt.
100Jedenfalls aber bieten die von tunesischer Seite im Fall des Klägers gegenüber dem Bundesministerium des Innern abgegebenen Erklärungen keine hinreichende Grundlage für die Annahme, eine Folterung oder sonstige Misshandlung seiner Person durch tunesische Behörden bei einer Rückkehr in sein Heimatland wäre entgegen der allgemeinen Erkenntnislage nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Hinweis des tunesischen Innenministers auf die Geltung der Menschenrechte in Tunesien führt nicht weiter. Wie bereits der EGMR speziell zu derartigen Erklärungen der tunesischen Regierung dargelegt hat, sind die Existenz nationaler Gesetze und der Beitritt zu internationalen Verträgen, die die Achtung fundamentaler Rechte im Grundsatz garantieren, für sich allein nicht ausreichend, einen adäquaten Schutz vor der Gefahr einer Misshandlung zu gewährleisten, wenn – wie im Fall Tunesiens – zuverlässige Quellen über behördlicherseits angewandte oder tolerierte Praktiken berichten, die offensichtlich den Grundsätzen der EMRK widersprechen.
101Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 147.
102Diplomatische Zusicherungen bedürfen nach Ansicht des EGMR jedenfalls einer Überprüfung, ob sie in ihrer praktischer Anwendung für eine ausreichende Garantie sorgen, dass der Antragsteller vor dem Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung geschützt ist. Die Bedeutung, die solchen Zusicherungen seitens des Empfängerstaates beigemessen werden dürfe, hänge im jedem Einzelfall von den jeweiligen Umständen ab.
103Vgl. EGMR, a.a.O., Rz. 148.
104Unter Anlegung dieses Maßstabs hat der EGMR in einem früheren Fall sogar eine schriftliche Zusicherung der indischen Behörden für unzureichend erklärt, mit der unter anderem bestätigt wurde, dass ein aus Grobrittannien abzuschiebender Inder keinen Grund habe, zu erwarten, dass er irgendeine Misshandlung durch die indischen Behörden erleiden werde.
105Vgl. EGMR, Urteil vom 15. November 1996, Case no. 70/1995/576/662, Chahal v. United Kingdom, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 37 und 105.
106Dementsprechend sind selbst die Anforderungen an die oben erwähnten, nicht in gleicher Weise grundlegend bedenklichen Zusicherungen gegen die Gefahr der Verhängung bzw. Vollstreckung der Todesstrafe (vgl. §§ 8 IRG, 60 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) sehr hoch. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Zusicherung nicht eingehalten wird. Bleiben begründete Zweifel, so ist eine Abschiebung ausgeschlossen.
107Vgl. Hofmann/Hoffmann, a.a.O., § 60 AufenthG Rn. 41; Hailbronner, a.a.O., § 60 AufenthG Rn. 141
108Zweifel an der Einhaltung derartiger Zusicherungen ergeben sich hinsichtlich Tunesiens bereits daraus, dass die USA nach eigenen Angaben auch im bereits erwähnten Fall des aus Guantanamo nach Tunesien abgeschobenen B2 entsprechende Zusicherungen von der tunesischen Regierung erhalten hatten
109- vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings – A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 6 f. -
110und B2 nach den oben dargelegten Erkenntnissen verschiedener Menschenrechtsorganisationen trotzdem nach seiner Rückkehr während seines Gewahrsams im tunesischen Innenministerium gefoltert und anderweitig misshandelt worden ist.
111Speziell im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass sich der tunesische Innenminister ausdrücklich geweigert hat, eine entsprechende Zusicherung im Rahmen eines Briefwechsels oder einer Verbalnote abzugeben. Es liegt mithin lediglich die in einem Vermerk des Bundesministeriums des Innern wiedergegebene mündliche Versicherung vor, dass die Menschenrechte auch im Fall der Rückführung des Klägers streng respektiert würden. Die fehlende Bereitschaft des tunesischen Innenministers, die Zusicherung in irgend einer schriftlichen Form zu dokumentieren, lässt gleichzeitig das Vertrauen darauf sinken, dass sich die tunesische Regierung und vor allem auch die ihr untergeordneten Behörden, die im Falle einer Abschiebung in Kontakt mit dem Kläger kämen, an die Erklärung halten. Dies gilt vor allem dann, wenn es – wie hier – an jeglichen Vorkehrungen zur Überprüfung der Einhaltung dieser Versicherung vor Ort fehlt. Vorgesehen ist nach dem Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2008 lediglich, bei weiteren deutsch-tunesischen Expertentreffen zu prüfen, wie die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt wurden. Ein konkreter Kontrollmechanismus wurde nicht vereinbart. Insbesondere fehlt eine Regelung, mit der deutschen Behördenvertretern oder aber unabhängigen Dritten das Recht eingeräumt wird, ohne Ankündigung zu jeder Zeit mit dem Kläger nach seiner Rückführung sprechen zu können, um ihn nach seiner Behandlung zu befragen. Auch sind keine Strukturen vorgesehen, mit denen Missstände unverzüglich behoben werden, wenn sich herausstellen sollte, dass die erteilten Zusicherungen nicht beachtet werden.
112Vgl. zu derartigen Anforderungen: Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, 15. Allgemeiner Tätigkeitsbericht vom 22. September 2005, abrufbar unter: http://www.cpt.coe.int/en/annual/rep-15.htm, Ziffer 40.
113Jedenfalls angesichts dieser Mängel in formeller und inhaltlicher Hinsicht ist diese Zusicherung Tunesiens, auch wenn sie gegenüber einem hochrangigen Vertreter des Bundesministeriums des Innern erklärt worden ist und – aus deutscher Sicht – für die weitere Zusammenarbeit mit Tunesien im Sicherheitsbereich von herausragender Bedeutung ist, nicht geeignet, die sich aus weitestgehend übereinstimmenden Erkenntnissen zu einer routinemäßigen Anwendung von Folter oder sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ergebende beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Behandlung des Klägers entscheidungserheblich zu reduzieren.
114Bei dieser Sachlage ist auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des EGMR, dass nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung unzulässig ist, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass für den Betroffenen im Falle seiner Abschiebung das tatsächliche Risiko besteht, im Zielstaat der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989, Application no. 14038/88, Soering v. United Kingdom, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 91.
116Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 4 AuslG ist auch insoweit erforderlich, dass die betreffende Behandlung beachtlich wahrscheinlich ist und darüber hinaus vom Staat ausgeht.
117Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 – 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, 476 (477 f.).
118Diese Rechtsfragen können jedoch offen bleiben, da es im Fall des Klägers – wie oben ausgeführt – beachtlich wahrscheinlich ist, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien durch die tunesisichen Behörden gefoltert bzw. unmenschlich oder erniedrigend behandelt wird.
119Die Abschiebungsandrohung unter Nr. 4 des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als darin Tunesien als Zielstaat seiner Abschiebung genannt wird. Denn insoweit ist die Abschiebung wie gesehen nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG verboten. Die Androhung einer Abschiebung nach Tunesien ist daher rechtswidrig. Tunesien hätte vielmehr gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der Androhung als Staat bezeichnen werden müssen, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf.
120Vgl. zur – soweit hier interessierend – gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 50 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AuslG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 – 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249 (257); zur aktuellen Rechtslage: Hailbronner, a.a.O., § 59 AufenthG Rn. 26.
121Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
122Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
123Der Gegenstandswert folgt aus § 30 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.