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Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die auf Asylgewährung und Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gerichtete Klage zurückgenommen hat.
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffern 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2021 verpflichtet, den Kläger als subsidiär Schutzberechtigten nach § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes i.V.m. § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes anzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.
Tatbestand:
2Der am 1. Januar 1972 in E. N. geborene Kläger ist Staatsangehöriger Somalias und Zugehöriger des Sheikaal-Clans. Am 20. Februar 2016 verließ er eigenen Angaben zufolge Somalia und reiste am 10. Mai 2018 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Hier beantragte er am 29. Mai 2018 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3Am wurde 12. Juni 2018 der Kläger vor dem Bundesamt angehört. Hier machte er u.a. folgende Angaben: Er habe zuletzt in der Region H. gelebt. Er sei ausgereist, weil sein Bruder einen Mann getötet habe. Sein Vater sei von der Familie des Getöteten angerufen und aufgefordert worden, den Täter auszuliefern. Der Vater habe den Bruder aber nicht finden können, sodass schließlich der Vater von der gegnerischen Familie getötet worden sei. Ein Freund seines Vaters habe ihm dann geraten, zu fliehen. Auf der Flucht habe er erfahren, dass die gegnerische Familie in der Zwischenzeit seinen Laden niedergebrannt habe. Als er in N1. angekommen sein, sei er dort zwei Tage später von der Familie des Getöteten angegriffen worden. Er leide im Übrigen unter Diabetes und verschiedenen orthopädischen Problemen.
4Auf Befragen erklärte er: Sein Bruder habe den Mann am 7. Februar 2016 getötet. Hintergrund sei ein Gerangel mit dem Gegner gewesen, nachdem dieser seinen Bruder bedroht und erpresst habe. In N1. habe ihn die Familie seines Freundes verteidigt. Allerdings könne er nicht erwarten, dass er von dieser Familie erneut geschützt werde. Sein Laden sei am 10. Februar 2016 in Brand gesetzt worden.
5Mit Bescheid vom 10. Dezember 2021 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, für den subsidiären Schutzstatus und Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls er nach Somalia oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde.
6Am 20. Dezember 2021 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung macht er u.a. geltend: Ihm sei in Italien den Flüchtlingsschutz zuerkannt worden. Aus diesem Grunde komme seine Rückkehr nach Somalia nicht in Betracht.
7Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger die gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 10. Dezember 2021 auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage zurückgenommen.
8Der Kläger beantragt nunmehr noch,
9den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Dezember 2021 in den Feststellungen zu Ziffern 3 bis 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als subsidiär Schutzberechtigte nach § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes i.V.m. § 60 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes anzuerkennen,
10hilfsweise
11festzustellen, dass hinsichtlich seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
12Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
13die Klage abzuweisen.
14Sie trägt vor: Dem Kläger sei in Italien lediglich der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden. Von daher sei seine Abschiebung nach Somalia möglich.
15Die Beteiligten sind mit der Ladung auf die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel hingewiesen worden. Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise angehört.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte - hier insbesondere auf die über die mündliche Verhandlung vom 23. März 2023 gefertigte Niederschrift ‑ und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (hier insbesondere den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes und die Anhörungsniederschrift) Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
18Soweit der Kläger die auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
19Die im Übrigen aufrechterhaltene Klage ist zulässig und hat mit dem Hauptantrag im tenorierten Umfang Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 des Asylgesetzes ‑ AsylG) einen Anspruch auf Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
20Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Für die Gewährung subsidiären Schutzes nach dieser Vorschrift gelten gemäß § 4 Abs. 3 AsylG die §§ 3c bis 3e entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens treten.
21Dem Kläger droht im Falle einer Abschiebung nach Somalia ein ernsthafter Schaden im Rahmen des dortigen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG.
22In Süd- und Zentralsomalia besteht ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Typische Beispiele für die Annahme eines bewaffneten Konflikts in diesem Sinne sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Auch kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird.
23Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360.
24Bei der Feststellung einer ernsthaften individuellen Bedrohung im vorgenannten Sinne kann die Anzahl der bereits festgestellten Opfer bezogen auf die Gesamtbevölkerung in der betreffenden Region als relevant angesehen werden. Es können aber auch andere Umstände eine Rolle spielen. Es ist eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslandes des Antragstellers kennzeichnenden Umstände, erforderlich. Diese Umstände müssen sich für die Feststellungen gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG indessen nicht soweit verdichten, dass sie den Asylbewerber aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betreffen. Vielmehr setzt die Feststellung einer „ernsthaften individuellen Bedrohung“ nicht voraus, dass die den subsidiären Schutz beantragende Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. In diesem Zusammenhang ist das Adjektiv „individuell“ dahin zu verstehen, dass es sich auf schädigende Eingriffe bezieht, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein.
25Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), Urteil vom 16. Juni 2021 - C-901/19 - (juris).
26Hiernach gilt für die Situation in Somalia Folgendes:
27Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Amnesty International berichtet bereits in seinem Report aus 2016 (www.amnesty.de/jahresbericht/2016/somalia), dass sich der bewaffnete Konflikt zwischen regierungstreuen Militäreinheiten, der Friedensmission AMISOM und der bewaffneten radikal-islamischen Gruppe Al-Shabaab in Süd- und Zentralsomalia fortsetzte. Die somalische Regierung und die AMISOM kontrollierten 2015 weiterhin die Hauptstadt N1. und dehnten ihre Kontrolle über weitere Gebiete aus, indem sie in Galmudug, Südwesten und in Jubaland bundesstaatliche Strukturen aufbauten. Durch eine gemeinsame Offensive der nationalen Streitkräfte und der AMISOM wurde Al-Shabaab aus Städten in den Regionen Hiraan, Bai, Bakool, Ghedo und Shabeellaha Hoose vertrieben, viele ländliche Gebiete standen jedoch weiterhin unter ihrer Kontrolle. Die Offensive führte zur Vertreibung von noch mehr Menschen. Es gab weiterhin bewaffnete Auseinandersetzungen und Angriffe der Al-Shabaab auf die Zivilbevölkerung, insbesondere nach der Übernahme von Ortschaften durch die gegnerische Konfliktpartei. 2015 wurden erneut Zivilpersonen wahllos getötet oder verletzt, die bei bewaffneten Auseinandersetzungen ins Kreuzfeuer gerieten oder Opfer von Selbstmordanschlägen und Angriffen mit selbstgebauten Sprengsätzen und Granaten wurden. Al-Shabaab war weiterhin in der Lage, selbst in stark gesicherten Zonen Mogadischus und anderer Städte verheerende Angriffe zu verüben, bei denen Hunderte Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden. Zivilpersonen liefen überdies weiterhin Gefahr, Opfer gezielter Angriffe und Tötungen zu werden.
28Diese Situation hat sich nicht gebessert. Zwar hat das Land den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Die Autorität der Zentralregierung wird von dem nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland und der Al-Shabaab-Miliz infrage gestellt. 2016 und 2017 konnte mit der Gründung der Gliedstaaten und einem demokratischen Machtwechsel Weichen in Richtung Demokratisierung gestellt werden. Allerdings sind das Verhalten der Sicherheitskräfte und das Justizsystem immer noch mangelhaft. Zwar hat die Mission der afrikanischen Union AMISOM einige größere Städte im Süden des Landes befreit. Dennoch herrschen in großen Teilen Süd- und Zentralsomalias auch weiterhin Zustände, die im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte und die humanitäre Lage desaströs sind. In Süd- und Zentralsomalia herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung; weite - vor allem ländliche - Gebiete werden von der Al-Shabaab-Miliz oder anderen irregulären Akteuren kontrolliert. Puntland versteht sich als Gliedstaat Somalias. Der Bereich Somaliland hat sich für unabhängig erklärt, ist aber nicht als Staat anerkannt. Al-Shabaab hat in diesen Gebieten keinen Einfluss.
29Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 40 Somalia, Stand 07/2021.
30Nach weiteren Erkenntnissen von Armed Conflict Location and Event Dataset (ACLED) wurden für das Jahr 2017 insgesamt 5.934 Todesopfer der Konflikte in Somalia erfasst. Das International Institute for Strategic Studies, Armes Conflict Database (IISS ACD) hat für 2012 2.151 Todesopfer ermittelt. Insgesamt ist insbesondere eine Zunahme der von Al-Shabaab verursachten Opfer festzustellen. Allein in der N1. umfassenden Provinz Bandir kam es im ersten Quartal 2020 zu 142 Vorfällen mit 67 Todesopfern.
31Vgl. ACLED, Somalia 1. Quartal 2020 vom 23. Juni 2020; Bericht des Auswärtigen Amtes (AA) über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); UK Home Office, Country Policy and Information Note, Somalia: Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Januar 2019 unter Verweis auf dritte Quellen; U.S. Africa Command, Civilian Casualty Assessment; Third Quarter Report, 28. Juli 2020.
32Angesichts der für Somalia anzunehmenden Bevölkerung von ca. zwölf Millionen Einwohnern,
33vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Somalia
34handelt es sich damit immer noch um ein besonders hohes Niveau der Gewalt.
35In den von der Al-Shabaab-Miliz kontrollierten Gebieten werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel bekämpft. Die Miliz sowie auch die Clanmilizen rekrutieren Kindersoldaten. In den milizkontrollierten Gebieten kommt es regelmäßig zu unmenschlicher Behandlung, wenn Personen gegen die Interessen von Al-Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden. Die Miliz nimmt extralegale Tötungen, zunehmend auch in Form von gezielten Anschlägen auch in Gebieten unter staatlicher Kontrolle vor.
36In allen Regionen Somalia südlich von Puntland finden regelmäßig Kampfhandlungen zwischen AMISOM bzw. somalischen Sicherheitskräfte und der Al-Shabaab-Miliz statt. Dabei gibt es verschiedene regionale Schwerpunkte. Die Al-Shabaab-Miliz ist in der Lage, selbst in stark gesicherten Zonen Mogadischus und anderer Städte verheerender Angriffe zu verfügen. Hinzu kommen bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Milizen und religiösen Gruppen. Landesweit wurden zwischen dem 1. Januar 2016 und den 14. Oktober 2017 - zum überwiegenden Teil durch die Al-Shabaab-Miliz - 2.078 Zivilisten getötet und 2.507 verletzt. Im Zeitraum von Januar 2020 bis Ende Juni 2021 wurden in Somalia 3.663 gewaltsame Vorfälle (militärische Kämpfe, Explosionen, Verbrechen gegen Zivilisten) registriert, bei denen ca. 4.820 Opfer zu beklagen waren.
37Vgl. European Asylum Support Office (EASO), Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021.
38Schwerpunkte der Auseinandersetzungen sind insbesondere die Regionen Lower Jubba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Jubba steht in weiten Teilen unter Kontrolle der Al-Shabaab-Milz. Auch in anderen Landesteilen kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Milizen und religiösen Gruppierungen. Allein 2019 sind etwa 1.200 Zivilisten getötet worden. Dem Anschlag am 14. Oktober 2017 in N1. fielen mindestens 587 Menschen zum Opfer (316 Verletzte). Im Dezember 2019 kamen bei einem LKW-Bombenanschlag der Al-Shabaab-Milz 80 Personen ums Leben.
39Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); The Danish Immigration Service (DIS), South and Central Somalia: Security situation, force recruitment, and conditions for returnees, Juli 2020; Human Rights Watch (HRW),World Report 2020: Somalia. Events of 2019, 14. Januar 2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 40 Somalia, Stand 07/2021; Österreichisches Rote Kreuz, Somalia: Al-Shabaab und Sicherheitslage vom 31. Mai 2021; EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021.
40In den von Al-Shabaab befreiten Gebieten kommt es gleichwohl zu Terroranschlägen durch die islamistische Miliz. In weiten Landesteilen gibt es schon seit Beginn des Bürgerkriegs kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. Die somalischen Sicherheitskräfte begehen vielfach Rechtsverletzungen, unter anderem Raub, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch. Festgenommenen werden über längere Perioden festgehalten und bei Verhören geschlagen. Es werden Tötungen, militärisch Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtung, willkürliche Verhaftungen, außergerichtlichen Hinrichtungen, sexuelle Gewalt, Entführung, Folter und Al-Shabaab-Miliz durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Anschlägen in Gebieten unter staatlicher Kontrolle. Die Al-Shabaab-Miliz betreibt eine weitgreifende Zwangsrekrutierung von Zivilisten. Bei Weigerung werden die Betroffenen bedroht. Es kommt auch zu Tötungen der Verweigerer. Daneben wird die Sicherheitslage durch Rivalitäten innerhalb und unter den verschiedenen Clans destabilisiert. Die Justiz ist nur begrenzt funktionsfähig und führt Verfahren, die den internationalen Standards nicht entsprechen.
41Allen Mädchen im Alter zwischen zehn und 13 Jahren droht die Beschneidung nach dem Typ III der WHO-Klassifizierung (Infibulation).
42Vgl. zu Vorstehendem insgesamt: UK Home Office, Country Policy and Information Note, Somalia: Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Januar 2019; Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM August 2017; DIS, South and Central Somalia, Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, 1/2017; EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021; United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) Humanitarian Needs Overview 2018 Somalia, November 2017; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); DIS, South and Central Somalia: Security situation, force recruitment, and conditions for returnees, Juli 2020.
43Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht gesichert. Es gibt keinen sozialen Wohnraum oder staatlich Unterstützung ebenso wenig gibt es staatlicher Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Die medizinische Versorgung im gesamten Land äußerst mangelhaft.
44Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); Amnesty International (AI), Not Time to go Home, 31. Dezember 2017; AI, Einschätzung von Amnesty International zur Menschenrechtslage in Zentral- und Südsomalia vom 6. Februar 2017.
45Durch diesen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt wäre der Kläger auch individuell bedroht im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Eine Individualisierung der durch einen bewaffneten Konflikt drohenden Gefahr kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454.
47Zu den gefahrerhöhenden persönlichen Umständen gehören in erster Linie solche, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O.
49In jedem Fall setzt § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib und Leben droht.
50Vgl. zum früheren § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG: BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O.
51Dabei ist für die Gefahrenprognose auf den tatsächlichen Zielort des Klägers im Fall der Rückkehr ins Heimatland abzustellen. Dies ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird.
52Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2012 - 10 B 22.12 -, NVwZ 2013, 282.
53Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in die Provinz H. zurückkehren würde. Hier hat er seinen insoweit glaubhaften Angaben zufolge zuletzt gelebt.
54Aus den dem Gericht vorliegenden oben referierten aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich, dass in Süd- und Zentralsomalia einschließlich der Hauptstadt N1. (weiterhin) ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung vorherrscht. Hiervon wäre der Kläger im Falle einer Rückkehr dorthin als Mitglied eines Minderheiten-Clans (hier: Sheikaal) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in besonderer Weise betroffen.
55In diesem Zusammenhang ist für die Gefährdungseinschätzung zulasten von Mitgliedern von Minderheitenclans vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage bedeutsam, dass in Süd- und Zentralsomalia an einer Vielzahl von Orten regelmäßig die Gebietshoheit zwischen den staatlichen Kräften und der ein Al-Shabaab-Miliz wechselt und es in diesen Fällen zu Attacken der Al-Shabaab-Miliz auf Zivilpersonen einschließlich Folter und Ermordung kommt. Aber selbst in den Bereichen und Städten, in denen eine Kontrolle der regierungstreuen Kräfte bzw. der AMISOM besteht, kann man von einer effektiven Kontrolle des Gebietes nicht sprechen.
56Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); UK Home Office, Country Policy and Information Note, Somalia: Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Juni 2017 unter Verweis auf dritte Quellen; EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 7. März 2018 (Stand: Januar 2018); AI, Not Time to go Home, 31. Dezember 2017; AI, Einschätzung von Amnesty International zur Menschenrechtslage in Zentral- und Südsomalia vom 6. Februar 2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 40 Somalia, Stand 07/2021; Österreichisches Rote Kreuz, Somalia: Al-Shabaab und Sicherheitslage vom 31.Mai 2021; Österreichisches Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendorkumentation vom 21. Oktober 2021.
57Dabei geht das Gericht davon aus, dass insbesondere Mitglieder von Minderheitenclans bei einer Rückkehr nach Somalia nur über ein besonders niedriges persönliches Schutzniveau verfügen. Dabei ist nicht die Tatsache, dass sich eine Person im Ausland aufgehalten hat, von besonderer Bedeutung. Wichtig ist vielmehr, ob ihr Clan in einem guten Verhältnis mit der Al-Shabaab-Miliz steht. Ist dies nicht der Fall, besteht ein persönliches Risiko für den Betreffenden.
58Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); DIS, South and Central Somalia, Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, März 2017; Höhne, Expertengutachten an das Verwaltungsgericht Minden vom 20. Dezember 2019; DIS, South and Central Somalia: Security situation, force recruitment, and conditions for returnees, Juli 2020.
59Insbesondere besteht die Gefahr, dass Rückkehrer in Lagern für Binnenvertriebene enden. Zum Jahresende 2020 gab es mehr als 2,6 Millionen Binnenvertriebene in Somalia, davon (im Jahr 2019) 480.000 in N1. . Diese Personen sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Die besondere Schutzlosigkeit wird von nichtstaatlichen und staatlichen Stellen ausgenutzt. Schläge, Vergewaltigungen, Vorenthalten von Nahrungsmitteln und andere Übergriffe, auch aufgrund der Clan-Zugehörigkeit, sind an der Tagesordnung. Es fehlt am Zugang zu den Mitteln zur Existenzsichtung wie Nahrung, Gesundheitsversorgung und Wohnraum. Die Anzahl von Menschen, die ihre Grundbedürfnisse nicht sicherstellen können, hat sich von 4,2 Millionen im Jahre 2019 auf 5,9 Millionen 2021 erhöht.
60Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); Austrian Center for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (ACCORD), Somalia: N1. : Sozio-ökonomische Lage (insbesondere für RückkehrerInnen) [a-11167], 31. Januar 2020; Internal displacement monitoring center (IDMC) Somalia: Displacement associated with Conflict and Violence. Figure Analysis - GRID 2020; EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021.
61Da darüber hinaus die sich aktuell verschärfende Dürrekrise die Lebenschancen weiter vermindert,
62vgl. UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2018 Somalia, November 2017; Famine early warning system network (FEWS NET / FSNAU); Somalia. Food Security Outlook, Juni 2020
63ist in einer Gesamtschau mit den dem Kläger aufgrund seiner Clanzugehörigkeit drohenden Umständen der Rückschluss auf eine ernsthafte individuelle Bedrohung erlaubt.
64Vgl. A.A. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Urteil vom 17. Juli 2018 - 20 B 17.31659 - (juris) für den Clan der Sheikhaal sowie Niedersächsische OVG, Urteil vom 5. Dezember 2017 - 4 LB 51/16 - (juris) für den Clan der Ashraaf; Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 - 5 A 78/19.A - (juris) für den Clan der Hawiye.
65Ausgehend von dem Vorstehenden erscheint es nach Auffassung des Gerichts beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Somalia in besonderer Weise der Gefahr ausgesetzt wäre, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dies beruht auf dem dort allgemein herrschenden besonders hohen Maß an willkürlicher Gewalt und der Zugehörigkeit des Klägers zu dem Minderheiten-Clan der Sheikaal. Der Kläger kann sich nach seinen insoweit glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht auf den Schutz eines mächtigen Clans berufen. Damit wäre er potentiellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert.
66Die Gewährung subsidiären Schutzes ist nicht gemäß § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylG ausgeschlossen. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder er Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d hat (vgl. Ziff. 1.) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. Ziff. 2.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Eine Rückkehr in heimatferne Gegenden Somalias kommt ohne familiäre Anbindung vor Ort auch wegen der clanbezogenen gesellschaftlichen Strukturen grundsätzlich nicht in Frage.
67Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022) und Auskunft an das Verwaltungsgericht Magdeburg vom 2. November 2015; Höhne, Expertengutachten an das Verwaltungsgericht Minden vom 20. Dezember 2019; vgl. dazu auch: VG Karlsruhe, Urteil vom 22. November 2018 - A 14 K 5512/15 - (juris).
68Dies muss im Ergebnis auch weiterhin gelten, da den vorliegenden Erkenntnissen zu entnehmen ist, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht gewährleistet ist, es keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe gibt, die medizinische Versorgung im gesamten Land äußerst mangelhaft ist, erhebliche Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen haben,
69vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); UNOCHA, 2018 Humanitarian Needs Overview Somalia, November 2017
70und die vorhandenen Clan-Strukturen weiterhin der wichtigste soziale Faktor in der somalischen Nation darstellen. Das gilt namentlich und besonders für N1. . Hier sind ohne entsprechende Anbindungen für Rückkehrer weder eine Existenzgrundlage zu schaffen noch ausreichend Wohnraum vorhanden.
71Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); Höhne, Expertengutachten an das Verwaltungsgericht Minden vom 20. Dezember 2019; ACCORD, Somalia: N1. : Sozio-ökonomische Lage (insbesondere für RückkehrerInnen) [a-11167], 31. Januar 2020; a.A. bezüglich der Lageeinschätzung in N1. : Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 - 5 A 78/19.A -, a.a.O.
72In allen Städten Süd- und Zentralsomalias (inklusive N1. ) ist für den Großteil der Bevölkerung der Zugang zur sozialen Grundversorgung beschränkt; es gibt keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe und keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Clan und Familie, einbezogen die weitere Familie, sind nach wie vor die wichtigsten Faktoren bezüglich der Akzeptanz, Sicherheit und dem Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wohnung und Essen. Eine generelle Regel ist es, dass Somalier auch sehr weit entfernten Verwandten helfen, solange eine Clan-Verbindung besteht, vorausgesetzt, sie sind in der Lage, dies zu tun.
73Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 28. Juni 2022 (Stand: Mai 2022); Höhne, Expertengutachten an das Verwaltungsgericht Minden vom 20. Dezember 2019; ACCORD, Somalia: N1. : Sozio-ökonomische Lage (insbesondere für RückkehrerInnen) [a-11167], 31. Januar 2020.
74Für Somalier in N1. ist es hingegen sehr schwierig, ohne Unterstützung durch ein Netzwerk zu überleben. Insbesondere, wenn sie keinem Clan oder keiner Kernfamilie in dem maßgeblichen Bezirk angehören, sind sie heiklen Existenzbedingungen ausgesetzt. Sie sind oft gezwungen, in Siedlungen für Binnenvertriebene zu leben, wo die Lebensbedingungen erbärmlich sind und gemeinhin von Menschenrechtsverletzungen berichtet wird.
75Vgl. DIS, South and Central Somalia, Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, 1/2017; EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Security Information, September 2021; vgl. zu den dortigen Verhältnissen auch EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - 8319/07 -, NVwZ 2011, 685 und vom 10. September 2015 - 4601/14 -, NVwZ 2016, 1785.
76Nach den Erkenntnissen werden arbeitslose Jugendliche (14 bis 30 Jahre) in Somalia in erster Linie von der Familie (60%) und von Verwandten im Ausland (27%) versorgt. Die meisten armen Haushalte in städtischen Zentren wie N1. (darunter Binnenvertriebenen und/oder Migranten aus ländlichen Gebieten) sind auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen. Zwar gibt es in N1. mehr Arbeitsmöglichkeiten als an anderen Orten Somalias. Weil freie Arbeitsplätze oft nicht breit beworben werden und die Arbeitgeber den Clan und die Verwandtschaft eher berücksichtigen als erworbene Fähigkeiten, haben Bewerber ohne Verbindungen oder aus Minderheiten sowie Frauen, Witwen und Migranten ohne Familien indessen schlechtere Chancen. Die Wohnsituation in N1. ist herausfordernd. In einigen Distrikten der Stadt sind die Unterkunftspreise extrem hoch. Mieter benötigen eine ortsansässige männliche Person, die für sie bürgt, bevor eine neue Mietvereinbarung getroffen wird. Alleinstehende Frauen haben Schwierigkeiten bei der Anmietung einer eigenen Wohnung. Darüber hinaus sind alleinstehende junge Männer beim Zugang zu Unterkünften besonders benachteiligt, da sie stereotyp als Drogenkonsumenten, potenzielle Al-Shabaab-Mitglieder oder Personen angesehen werden, die wahrscheinlich Ärger verursachen. Ethnische Minderheiten außerhalb des Clansystems sind erheblicher Diskriminierung und Spannungen in Bezug auf die Sicherheit von Besitzverhältnissen oder Vertreibungen ausgesetzt.
77Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 25. April 2016 (Stand: 27. Juni 2017); EASO, Country of Origin Information Report, Somalia Key socio-economic indicators, September 2021; UNOCHA, Humanitarian Needs Overview - Somalia, Januar 2021; DIS, South and Central Somalia: Security situation, forced recruitment, and conditions for returnees, Juli 2020.
78Seinen glaubhaften Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung zufolge hat er zur Überzeugung des Gerichts nachvollziehbar dargetan, dass er in N1. über keine verwandtschaftlichen Beziehungen verfügt, auf die er bei einem Aufenthalt dort zurückgreifen könnte.
79Die in Ziffer 5 des Bescheides enthaltene Abschiebungsandrohung erweist sich wegen des Anspruchs auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylG ebenso als rechtswidrig wie die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6.
80Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylG.
81Rechtsmittelbelehrung:
82Das Urteil ist unanfechtbar, soweit das Verfahren eingestellt worden ist.
83Im Übrigen steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen wird. Die Zulassung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg) zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
84Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
851. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
862. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
873. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
88Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.
89Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG).