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Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Mai 2023 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Angola besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ist am 00. November 2022 in A. (Bundesrepublik Deutschland) geboren und die Tochter der nach eigenen Angaben angolanischen Staatsangehörigen H. E. F. und D. Z., deren Asylanträge von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch Bescheid vom 26. Mai 2022 abgelehnt wurden. Ihre hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Aachen durch Urteil vom 19. Juni 2023 -7 K 1539/22.A - abgewiesen.
3Mit Schreiben vom 22. Februar 2023 - beim Bundesamt eingegangen am 1. März 2023 - zeigte die Ausländerbehörde der Stadt A. die Geburt der Klägerin an.
4Von einer persönlichen Anhörung der minderjährigen Klägerin sah das Bundesamt nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG ab.
5Mit Bescheid vom 22. Mai 2023 - zugestellt am 26. Mai 2023 - lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und deren Antrag auf Asylanerkennung ab. Den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes lehnte es ebenfalls ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. Es forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, und drohte der Klägerin für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Angola oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, an. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Gang gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausreisefrist ausgesetzt. Ferner befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
6Am 6. Juni 2023 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Wegen der Einzelheiten wird auf ihren schriftsätzlichen Vortrag im Klageverfahren verwiesen.
7Das erkennende Gericht hat durch Gerichtsbescheid vom 11. September 2023 die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 22. Mai 2023 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Angola vorliegt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
8Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 19. September 2023 die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
9Dem Termin zur mündlichen Verhandlung ist die Beklagte unentschuldigt ferngeblieben.
10Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist der Vater der minderjährigen Klägerin angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
11Die Klägerin beantragt,
12die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Mai 2023 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,
13hilfsweise,
14ihr gemäß § 4 AsylG subsidiären Schutz zuzuerkennen,
15weiter hilfsweise,
16festzustellen, dass in ihrer Person Abschiebungsverbote
17nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Angola
18vorliegen.
19Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
20die Klage abzuweisen.
21Zur Begründung ihres Antrags bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte 7 K 1539/22.A des Verwaltungsgerichts Aachen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Das Gericht kann aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden, auch wenn für die Beklagte – die den Antrag auf mündlichen Verhandlung gestellt hat – kein Vertreter im Termin anwesend war, da in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 102 Abs. 2 VwGO hingewiesen worden ist.
25Es bedarf insoweit keiner Entscheidung darüber, ob der von der Beklagten gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung vom 19. September 2023 Ausdruck einer ernsthaften Verfolgung eines Rechtsschutzinteresses darstellt, zumal die Beklagte nach Beantragung der mündlichen Verhandlung überhaupt keinen Vertreter in dieselbe entsandt hat.
26Jedenfalls hat das Gericht nach entsprechender Antragstellung der Beklagten gemäß § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine mündliche Verhandlung durchgeführt, die aber im Hinblick auf den Gerichtsbescheid im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung führte.
27Die Klage ist zulässig, hat aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
28Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (1.). Ebenfalls liegen in ihrer Person keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG vor (2.). Allerdings hat die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf eine Abschiebung nach Angola (3.). In diesem Umfang sind auch die Abschiebungsandrohung (4.) sowie die Befristungsentscheidung rechtswidrig (5.).
291. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
30Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a, Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Eigenschaft eines Flüchtlings im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) zuerkannt, wenn dieser sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgungshandlungen gelten dabei gemäß § 3a Abs. 1 AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung verschiedener Maßnahmen – einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte – bestehen, die insgesamt so gravierend ist, dass eine Person durch sie in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen wird (Nr. 2). Die für die Flüchtlingszuerkennung erforderliche Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem betreffenden Herkunftsland eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Dabei ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an welche die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
31Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. Januar 2009- 10 C52.07-, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwGE) 133, 55 = juris; Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 4. Mai 2017 - N01 A 2023/16.A -, juris.
32Die Furcht vor Verfolgung im vorstehend beschriebenen Sinne ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland herrschenden Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom N03. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67 = juris; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - N01 A 2023/16.A -, a.a.O.
34Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände sowie ihrer Bedeutung anzulegen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn bei zusammenfassender Bewertung die für eine Verfolgung sprechenden Umstände größeres Gewicht besitzen und somit die gegen eine Verfolgung sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht der festgestellten Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom N03. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - N01 A 2023/16.A -, a.a.O.
36Der vorgenannte Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt auch für Ausländer, die vor ihrer Ausreise bereits verfolgt worden sind. Ihnen kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach gibt die Tatsache, dass ein Schutzsuchender bereits verfolgt wurde oder von einer Verfolgung unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. Es besteht mithin eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377 = juris; OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 - N01 A 2023/16.A -, a.a.O.
38Es ist dabei originäre Sache des Schutzsuchenden, von sich aus die näheren Umstände für eine relevante Vorverfolgung darzulegen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen nachvollziehbaren und in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung die bereits erlittene Verfolgung im Herkunftsstaat ergibt. Das Gericht muss sich sodann im Wege freier Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) die volle Überzeugung von der Glaubhaftigkeit entsprechender Aussagen verschaffen.
39Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 = juris.
40In Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen begründeter Furcht vor flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung.
41Die Klägerin ist in der Bundesrepublik Deutschland geboren, war selbst nicht in Angola und konnte damit ganz offenkundig dort auch persönlich keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sein. Soweit sich die Klägerin auf das Verfolgungsvorbringen ihrer Eltern beruft, begründet dies ebenfalls keine Verfolgungsgründe, zumal das Verwaltungsgericht Aachen in seinem Urteil vom 19. Juni 2023 - 7 K 1539/22.A - zur Entscheidung gelangt ist, dass die Eltern der Klägerin in Angola keiner flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung ausgesetzt waren.
42Vor diesem Gesamthintergrund ist eine politische oder sonstige flüchtlingsschutzerhebliche Verfolgung der Klägerin auch im Falle ihrer Reise in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
43Auch seit der Geburt der Klägerin sind keine relevanten Gründe aufgetreten, die eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung der Klägerin im Falle ihrer Reise nach Angola auslösen würden.
44Ende März 2002 hat der fast 30 Jahre dauernde Bürgerkrieg in Angola ein Ende gefunden. Seitdem sind in fast allen Bereichen sichtbare Fortschritte zu verzeichnen. Zu diesen gehört eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage und die wiedergewonnene Freizügigkeit für Menschen und Güter. Staatliche Repressionen, die systematisch und generell gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder aber ihrer politischen Überzeugung und Oppositionshaltung eingesetzt werden, gibt es nicht mehr. Die politische Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil beurteilt werden. Bei den Nationalversammlungswahlen im August 2017 ist Präsident dos Santos nicht wieder angetreten. Das neu konstituierte Parlament hat anschließend mit João Lourenço einen neuen Präsidenten gewählt, wodurch es nach 38 Jahren erstmals wieder einen Wechsel an der Spitze des zentralafrikanischen Landes gab. Die Wahlen verliefen geordnet und ruhig, die Organisation war aus Sicht von internalen Beobachtern professionell und effektiv. Selbst Regierungskritiker betonten, dass die Wahl deutlich besser organisiert und durchgeführt worden sei als 2012. Die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit hat sich aus Sicht der Bundesregierung mit Antritt der neuen Regierung verbessert. Seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte der Regierung João Lourenço sind keine Fälle von Verhaftung und Verurteilung regierungskritischer Journalisten bekannt geworden. Auch über systematische Fälle von Folter in Angola liegen keine Erkenntnisse vor. Menschen, die nach dem Ende des Bürgerkrieges 2002 nach Angola zurückkehrten, erlebten nach ihrer Rückkehr teilweise Diskriminierung. Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus der Demokratischen Republik Kongo, die häufig besser Französisch als Portugiesisch sprachen, wurde ihre Zugehörigkeit zur angolanischen Gesellschaft zuweilen abgesprochen. Inzwischen sind die Rückkehrerinnen und Rückkehrer und ihre Kinder jedoch in der Regel gut integriert und akzeptiert. Angola ist neben Ägypten, Nigeria und Südafrika eines der vier Länder in Afrika, mit denen China eine strategische Partnerschaft unterhält. China bezieht aufgrund ölbesicherter Kreditverträge Öllieferungen der staatlichen angolanischen Ölfirma Sonangol und ist mit Abstand der wichtigste Abnehmer angolanischen Rohöls. Im Gegenzug engagiert sich China als Angolas größter Kapitalgeber und Investor, vorrangig im Infrastrukturbereich. Hunderte chinesischer Firmen, meist Staatsfirmen, sind in Angola tätig, etwa beim Bau von Straßen und der Elektrifizierung des Landes. Der Weltgesundheitsorganisationen (WHO) sind keine aktuellen Gelbfieberfälle in Angola bekannt. Nach dem Gelbfieber-Ausbruch 2016 wurden umfassende Impfkampagnen durchgeführt, die 91,4 Prozent der Gesamtbevölkerung und somit ein hohes Immunisierungsniveau erreichten. Daher wird das Risiko eines Ausbruchs derzeit als gering eingeschätzt.
45Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
46Lage in Angola vom 26. Juni 2007; Schweizerische Eidgnossenschaft, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten, EDA, Reisehinweise für Angola, publiziert am N03. März 2020, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/angola/reisehinweise-angola.html; angola aktuell, E-Mail-Newsletter der Angola Runde, Nr. 24, Februar 2019, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.afrika-sued.org/files/angola_aktuell_24_2019.pdf, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, Angola ein Jahr nach den Wahlen, 3. Dezember 2018, BT-Drucks. 19/6244, im Internet allgemein zugänglich unter: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/062/1906244.pdf.
47Insgesamt hat sich die Menschenrechtslage in Angola erheblich verbessert und konsolidiert. Es gibt keine Anhaltspunkte für wahllose Verfolgungshandlungen und Menschenrechtsverletzungen in Angola.
48Ferner hat die Klägerin allein wegen der Asylantragstellung und ihrem Aufenthalt hier in Deutschland nicht mit einer politischen Verfolgung in Angola zu rechnen. Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes und der Europäischen Vertretungen ist insoweit eine Gefährdung rückkehrender Angolaner ausgeschlossen, da die Asylantragstellung nicht strafbar ist. Seit dem Ende des Bürgerkriegs sind zahlreiche Angolaner, die sich während der Kriegsjahre ins Ausland begeben hatten, freiwillig nach Angola zurückgekehrt, auch aus EU-Staaten. Staatliche Repressionen gegenüber aus Deutschland oder anderen EU-Staaten zurückgekehrten Angolanern sind nicht bekannt. Die angolanischen Behörden behandeln Rückkehrer bei der Einreise im Allgemeinen korrekt, zumal dort nicht unbekannt ist, dass eine Vielzahl von Angolanern aus wirtschaftlich motivierten Gründen in Europa um Asyl nachsucht.
49Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, 18. April 2006, 18. April 2005, 5. November 2004 zur Frage der Verfolgungswahrscheinlichkeit von angolanischen Staatsangehörigen nach Asylantragstellung in Deutschland: vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 21. September 2000 - 1 A 5615/96.A -; OVG NRW, Urteil vom 16. August 2000 - 1 A 2835/98.A -; OVG NRW, Urteil vom 16. August 2000 - 1 A 2793/98.A -; VG Arnsberg, Urteile vom 23. November 2021 - 2 K 627/21.A -, vom 12. Juni 2020 - 2 K 397/19.A -, vom 26. Mai 2020 - 2 K 3601/18.A -, vom 11. Dezember 2019 - 2 K 1477/18.A - und vom 18. April 2018 - 2 K 3922/17.A - m.w.N.
50Letztlich hat sogar der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Juli 2023 eingeräumt, dass aufgrund des negativen Ausgangs des Verfahrens der Eltern eine Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für die Klägerin nicht in Betracht kommt. Dies ist mit Blick auf die obigen Ausführungen zutreffend.
51Auch auf Familienschutz nach Maßgabe des § 26 Abs. 1, 2 und 5 AsylG kann sich die Klägerin nicht berufen, da ihren Eltern nicht unanfechtbar der Familienschutz zuerkannt wurde im Gegenteil, deren Asylanträge sind vom Bundesamt abgelehnt worden und ihre Klage vor dem Verwaltungsgericht Aachen war erfolglos (s.o.).
522. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten der Klägerin ist nicht ersichtlich.
53Vgl. zum Verhältnis von unionsrechtlichem Abschiebungsschutz zum sonstigen nationalen Abschiebungsschutz BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, InfAuslR 2010, 458; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2010 - 9 A 3642/06.A -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. August 2010 - A 2 S 1134/10 -, juris.
54So hat die Klägerin mit Blick auf § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG bei der Rückkehr nach Angola insbesondere nicht mit Folterung oder gar der Todesstrafe zu rechnen. Zum einen ist die Folter in Angola verboten und etwaige Verstöße hiergegen werden geahndet. Zum anderen gibt es in Angola keine Todesstrafe.
55Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, 18. April 2006.
56Auch dafür, dass die Klägerin in ihrem Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht, ist nichts ersichtlich, siehe Ausführungen zu Ziff. 1.).
573. Hinsichtlich der gerade einmal 1 Jahr alten Klägerin liegt aber ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Angola vor.
58Nach Maßgabe des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist allein das Bestehen einer konkreten individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 2005 - 8 A 1242/03.A -, juris.
60Diese Regelung erfasst grundsätzlich nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen.
61In Anwendung dieser Grundsätze kann hinsichtlich der Klägerin ein Abschiebungsverbot zwar nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in unmittelbarer Anwendung) hergeleitet werden, denn individuelle, in ihrer Person liegende Gründe (wie z.B. die konkrete Gefahr einer Verschlimmerung einer bereits bestehenden Erkrankung mit lebensbedrohlichen Folgen etc.), die einer Abschiebung in ihr Heimatland entgegenstehen, liegen im Hinblick auf die Klägerin nicht vor. Soweit bei der Klägerin am 16. Januar 2024 eine Operation wegen einer Polydaktylie durchgeführt wird, handelt es sich insoweit zwar um einen chirurgischen Eingriff, aber die Erkrankung selbst stellt keinen lebensbedrohlichen Zustand dar.
62Hinsichtlich der minderjährigen Klägerin - bei der es sich um ein (besonders schutzbedürftiges) Klein(st)kind handelt - besteht aber in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein Abschiebungsverbot für Angola.
63Soweit man auf Gefahren in einem Staat abstellt, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der jeweilige Ausländer angehört - z.B. wie hier bei der Klägerin die Gruppe der kleinen minderjährigen Kinder - "allgemein" ausgesetzt ist, sind diese nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60 a AufenthG zu berücksichtigen, so dass insoweit grundsätzlich eine Sperrwirkung für die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht
64Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, InfAuslR 2002, S. 48.
65Hinsichtlich Angola hat die oberste Landesbehörde indes aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung der politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland keine entsprechende Regelung i.S.d. § 60 a AufenthG getroffen. Grundsätzlich sind sowohl das Bundesamt als auch die Verwaltungsgerichte an diese gesetzgeberische Kompetenzentscheidung in Form der politischen Leitentscheidung gebunden.
66Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
67vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 und vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, a. a. O.; Beschlüsse vom 27. Juni 2013 - 10 B 11.13 -, juris, vom N01. November 2007 - 10 B 47.07 u.a. -, Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 55, vom 23. August 2006 - 1 B 60.06 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19, vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 17, vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 –, NVwZ 1999, 668, und vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98, -, NVwZ 1999, 666,
68ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60 a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht (vgl. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.
69Vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226, und vom 12. Juli 2001 - 1 C 2.01 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschlüsse vom 29. August 2012 - 13 A 1101/11.A -,
70juris, vom 19. August 2011 - 5 A 416/11.A -, juris, vom 12. Februar 2007 - 1 A 422/07.A -, und vom 19. März 2004 - 1 A 278/04.A -, juris; VG Arnsberg, Urteil vom 29. Oktober 2014 - 2 K 3842/13.A -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. April 2013 - 7a K 4137/10.A -, juris.
71Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann.
72Vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - A 1 A 474/09 -, juris, m.w.N.
73Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, a. a. O.
75Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall durch die schlechte Versorgungslage in Angola mit hoher Wahrscheinlichkeit eine konkrete extreme Gefährdung der gerade einmal 1-jährigen Klägerin im Falle ihrer Abschiebung dorthin zu erwarten.
76Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkrieges in Angola ist dort die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln als kritisch zu bezeichnen. Über die Hälfte der angolanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Luanda selbst ist zwar eine boomende Wirtschaftsmetropole, in der man weithin alle Lebensmittel erhalten kann, allerdings handelt es sich hierbei um eine der teuersten Städte der Welt. Obwohl Angolas Wirtschaft boomt und das Jahresbudget der Regierung eines der größten im südlichen Afrika ist, spiegelt sich das Wachstum nicht im Gesundheitszustand der Bevölkerung wider. In einer Studie aus dem Jahr 2010 von USAID zum Gesundheitssystem wird zwar darauf hingewiesen, dass sich das Gesundheitssystem in den letzten Jahren in Angola verbessert hat. Doch ist der Zugang Einzelner zu dem Gesundheitssystem immer noch mangelhaft. Es fehlt zudem an qualifiziertem Personal und Medikamente sind nicht verfügbar. Die Gesundheitsindikatoren sind auf einem tiefen Niveau. Die Lebenserwartung für Männer beträgt 48 Jahre und für Frauen 51 Jahre. Kinder sterben immer noch an einfach vermeid- oder behandelbaren Krankheiten wie Masern, Tetanus oder Durchfall. Laut UNICEF besteht statistisch gesehen in Afrika das größte Risiko für ein Kind nicht zu überleben in Angola. Im Hinblick auf Kleinstkinder weist Angola weltweit eine besonders hohe Kindersterblichkeitsrate auf. Damit ist die Kindersterblichkeit bei kleinen Kindern in Angola besonders gravierend und einer der höchsten weltweit.
77Vgl. United Nations, Population Divisions, Departement of Economic and Social Affairs, Stand: Juli 2022, im Internet allgemein zugänlich unter: https://population.un.org/wpp/Download/Standard/MostUsed/; Kinder in Angola, Humanium, Stand: 29. November 2021, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.humanium.org/de/angola/; Statistisches Bundesamt, Basistabelle Säuglingssterblichkeit, Basisjahr 2020, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_Saeuglingssterblichkeit.html; Angola: Kindersterblichkeit von 2009 bis 2019, statista, im Internet allgemein zugänglich unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/754114/umfrage/kindersterblichkeit-in-angola/, Kinder in Angola, Humanium, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.humanium.org/de/angola/, Welthunger-Index 2020: Angola, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.globalhungerindex.org/pdf/de/ 2020/Angola.pdf; Ein Herz für Kinder, Angola, Landesinformationen im Überblick, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.ein-herz-fuer-kinder.de/projekte/landes-infos-zu-angola; Unicef, Bericht vom 9. September 2015, Kindersterblichkeit: 5,9 Millionen Kinder sterben im Jahr, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/2015/kindersterblichkeit/87024; Unicef, Fakten zur weltweiten Kindersterblichkeit 2013, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.unicef.de/blob/87046/620b106860f29eb81e 1f56101e88f2d7/kindersterblichkeit-2015--faktenblatt-data.pdf; Unicef vom 30. September 2013, Progress Report 2013; Kindersterblichkeit und Ursachen in Angola; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 27. März 2013, „Angola: Psychiatrische Versorgung“; Unicef vom 17. Oktober 2012 „Statistics“; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Angola vom 26. Juni 2007, 18. April 2006, 18. April 2005, 5. November 2004, 23. April 2004, 15. Oktober 2003, 7. Februar 2003, 26. Juni 2002; Auswärtiges Amt an Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 27. Februar 1997; Länderinformationsblatt des Bundesamtes für Flüchtlinge in Bern vom 18. Mai 2000; SZ v. 3. Januar 2013 „Nur für Mitglieder“; Die Zeit v. 18. April 2013 „Auf nach Afrika!“; BayVGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 9 B 08.30225 -, juris; Afrika Süd, Heft 4/2017, Von gesund kaum die Rede, Das Gesundheitssystem in Angola ist kollabiert, Der Streit um Zahlen und Statistiken über die hohe Kindersterblichkeitsrate kann über das Scheitern der Regierung im Gesundheitssystem nicht hinwegtäuschen, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www.afrika-sued.org/ausgaben/heft-4-2017/von-gesund-kaum-die-rede/; Kindersterblichkeit, Eine Welt – ungleiche Welt?, im Internet allgemein zugänglich unter: https://www2. klett.de/sixcms/media.php/229/104003_0202_kind.pdf; aus der Rechtsprechung: OVG Lüneburg, Urteil vom 1. März 2001 - 1 L 4006/00 -; OVG NRW, Urteil vom 21. September 2000 - 1 A 5615/96.A -, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. April 2013 - 7a K 4137/10.A -, juris; VG Köln, Urteil vom N01. September 2012 - 17 K 1782/12.A -, juris; VG Münster, Urteil vom 16. Mai 2006 - 7 K 1830/05.A -, juris; VG Arnsberg, Urteile vom 23. November 2021 - 2 K 627/21.A -, vom 27. September 2021 - 2 K 1545/21.A -, vom 24. September 2021 - 2 K 246/21.A -, vom 2. Juli 2020 - 2 K 385/N03.A -, vom 12. Juni 2020 - 2 K 397/19.A -, vom 11. Dezember 2019 - 2 K 2532/19.A -, vom 19. März 2014 - 2 K 1111/12.A -, vom N03. Dezember 2013 - 2 K 3889/13.A - und vom 24. September 2007 - 7 K 4021/06.A -, juris.
78Aufgrund dieser aktuellen wirtschaftlich-sozialen Lage in Angola muss jedenfalls gegenwärtig davon ausgegangen werden, dass die Überlebensmöglichkeiten für Risikogruppen, wie Babys, kleine Kinder, "werdende" Mütter sowie für schwer kranke Personen in Angola generell als bedenklich einzustufen sind.
79Vgl. siehe zu diesen Personengruppen auch: OVG NRW, Urteile vom 28. Juni 2000 - 1 A 1462/96.A - und vom 21. August 1997 - 1 A 5903/95.A -, Beschlüsse 22. Juni 2006 - 1 A 2417/06.A -, vom 22. Dezember 2005 - 1 A 4425/05.A -, vom 24. Januar 2005 - 1 A 259/05.A -; BayVGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 9 B 08.30225 -, juris; VG Arnsberg, Urteile vom 27. September 2021 – 2 K 1545/21.A -, vom 24. September 2021 - 2 K 246/21.A -, vom 2. Juli 2020 - 2 K 385/N03.A -, vom 12. Juni 2020 - 2 K 397/19.A -, vom 26. Mai 2020 - 2 K 3600/18.A -, vom 11. Dezember 2019 - 2 K 2532/19.A -, vom 29. Oktober 2014 - 2 K 2121/12.A -, vom 29. Oktober 2014 - 2 K 3842/13.A -, juris, vom 29. Oktober 2014 - 2 K 3842/13.A -, juris; vom 19. März 2014 - 2 K 1111/12.A -, vom N03. Dezember 2013 - 2 K 3889/13.A - und vom 24. September 2007 - 7 K 4021/06.A -, juris; Gerichtsbescheid vom 23. November 2021 – 2 K 627/21.A -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. April 2013 - 7a K 4137/10.A -, juris.
80Allerdings ist es eine Frage des Einzelfalles, ob unter Berücksichtigung der jeweiligen besonderen Umstände ein Abschiebungsverbot besteht.
81Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 2006 - 1 A 2689/06.A -, vom 22.
82Juni 2006 - 1 A 2415/06.A -, vom 31. Januar 2006 - 1 A 4954/05.A -,
83vom 22. Dezember 2005 - 1 A 4425/05.A -, vom 18. März 2002 - 1 A
84961/02.A -; Urteil vom 21. September 2000 - 1 A 5615/96.A -; BayVGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 9 B 08.30225 -, juris.
85Hiervon ausgehend besteht zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Einzelfall für die gerade einmal 1 Jahr alte Klägerin im Falle ihrer Abschiebung nach Angola wegen der dortigen schwierigen Versorgungslage eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie dort alsbald in eine extreme Gefahrenlage für Leib und Leben geraten würde.
86Im vorliegenden Einzelfall gehört die Klägerin nach den obigen Maßstäben zu der Hochrisikogruppe der „Kleinst“-kinder, die in Angola einer besonders hohen Kindersterblichkeit unterliegen. Unter Anlegung eines objektiven Maßstabs ist die Klägerin eindeutig nicht in der Lage aus eigenen Kräften ihr Existenzminimum sicherzustellen, so dass ihr im Falle der Abschiebung nach Angola wegen der dortigen schwierigen Versorgungslage eine extreme Gefahr für Leib und Leben droht.
87Auch für den Fall, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern (deren Asylklage von dem Verwaltungsgericht Aachen durch Urteil vom 19. Juni 2023 - 7 K 1539/22.A - abgewiesen wurde) nach Angola reisen würde, wäre zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls derzeit ihr existenzielles Minimum dort nicht gesichert und es ist zu erwarten, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald in eine extreme Gefahrenlage für Leib und Leben geraten würde. Die Eltern haben ausweislich des im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Attests nunmehr insgesamt 6 (!) minderjährige Kinder - wobei das jüngste Kind eine knapp 2 Wochen alte Frühgeburt ist - zu versorgen und werden als Rückkehrer schon Schwierigkeiten haben, ihr eigenes Überleben in Angola sicherzustellen. Der Vortrag des Bundeamtes, sie hätten ja Geld für Direktflüge nach Deutschland gehabt, überzeugt in der Sache nicht, da diese finanziellen Mittel verbraucht sind. Ob die Eltern der Klägerin in ihre vor über 2 Jahren aufgegebenen Berufe oder vergleichbare Tätigkeiten in Angola sofort zurückkehren können, ist eher als ungewiss einzustufen. Vor diesem Hintergrund, insbesondere, dass die minderjährige Klägerin zusammen mit dem neugeborenen knapp 2 Wochen alten Geschwisterkind von insgesamt 6 minderjährigen Kindern in der Familie der Hochrisikogruppe zuzuordnen ist, besteht für sie zur Überzeugung des Gerichts ein besonders hohes Risiko von der hohen Kindersterblichkeit von Kleinkindern in Angola betroffen zu sein. Selbst wenn die Eltern der 1-jährigen Klägerin - wie das Verwaltungsgericht Aachen annimmt - ihr eigenes Überleben und dass der älteren Geschwister nach ihrer Rückkehr in Angola sicherstellen können, gilt dies zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls derzeit aber nicht im Hinblick auf die hiesige Klägerin, die der besonderes vulnerablen Personengruppe der im Ausland geborenen „Kleinstkinder“ angehört. Das Bundesamt verkennt in seinem Antrag auf mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 19. September 2023 grundlegend die individuelle Situation der Familie und die besondere Gefährdungssituation für die Klägerin, die - im Gegensatz zu ihren älteren Geschwistern - zur besonders vulnerablen Personengruppe der „Kleinstkinder“ im Alter von „1 Jahr“ gehört. Der Vergleich zu den älteren Geschwistern der Klägerin, die am 17. Februar 2011, 22. Juni 2013, 9. Oktober 2015 und 26. September 2017 geboren wurden, geht am Kern der Problematik völlig vorbei. Bei den Geschwistern handelt es sich aufgrund ihres Alters bereits nicht mehr um „Kleinstkinder“. Die Geschwister gehören im Gegensatz zur 1-jährigen Klägerin nicht der Hochriskogruppe von Kindern an, die in besonders hohem Maße von einer Kindersterblichkeit in Angola betroffen sind. Soweit das Bundesamt auch noch vorträgt, dass das Verwaltungsgericht Aachen das jüngste Kind der Familie - die hiesige Klägerin - in seiner Entscheidung ebenfalls berücksichtigt habe, können sich die dortigen Feststellungen (S. 15 des dortigen Urteilabdrucks) nur auf die Versorgungssituation der dortigen Kläger in Angola beziehen. Eine präjudizierende Feststellung im Hinblick auf das Bestehen eines Abschiebungsverbots für die hiesige Klägerin ist damit schon mangels entsprechender Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts Aachen ersichtlich nicht verbunden. Im Übrigen hat sich die familiäre Situation der Kernfamilie durch das am 1. Dezember 2023 geborene Geschwisterkind weiter verändert. Um es hier mit der für das Bundesamt anscheinend notwendigen Deutlichkeit zu formulieren: Es geht im vorliegenden Verfahren nicht darum, dass bei den Eltern der Klägerin und den älteren Geschwistern der Klägerin eine extreme Gefahrenlage besteht. Dies war Gegenstand der Prüfung des durch Urteil vom 19. Juni 2023 - 7 K 1539/22.A - abgeschlossenen Verfahrens bei dem Verwaltungsgericht Aachen. Im vorliegenden Verfahren geht es allein um die Frage der Existenzsicherung und dem Bestehen einer extremen gesundheitlichen Gefahrenlage im Hinblick auf die erst 1-jährige Klägerin des vorliegenden Verfahrens, was mit Blick auf die obigen Ausführungen zu bejahen ist.
88Der Klägerin steht vor diesem Hintergrund ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
894. Hat die Klägerin - wie vorstehend beschrieben - einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf eine Abschiebung nach Angola, ist die seitens des Bundesamtes unter Ziffer 5 erlassene Abschiebungsandrohung rechtswidrig, soweit der Klägerin darin die Abschiebung in dieses Land angedroht worden ist. Dem trägt die tenorierte entsprechende Bescheidaufhebung Rechnung. Im Übrigen bleibt die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung von dem festgestellten Abschiebungsverbot gemäß § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG unberührt.
905. Da die Klägerin nicht nach Angola abgeschoben werden darf, fehlt es an einer Rechtsgrundlage für das in Ziffer 6 des Bescheides ausgesprochene befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. § 11 Abs. 1 AufenthG).
91Die Kostenentscheidung folgt aus den § 155 Abs. 1 VwGO, wobei anteilsmäßig berücksichtigt wurde, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nur teilweise Erfolg hatte. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83 b AsylG.
92Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
93Rechtsmittelbelehrung:
94Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen wird. Die Zulassung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg) zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
95Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
961. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
972. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
983. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
99Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.
100Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG).
101Hoffmann