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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.01.2022 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 18.10.1996 in O. geborene Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Malinke.
3Der Kläger beantragte am 21.06.2017 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigter. Er machte hierbei geltend, er habe sein Herkunftsland im April 2016 über Mali, Niger, Libyen, Italien und die Schweiz verlassen und sei am 12.06.2017 in das Bundesgebiet eingereist. In Italien habe er sich lediglich fünf Tage aufgehalten.
4Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 10.07.2017 gab der Kläger an, sein Vater sei Malinke gewesen und habe zwei Frauen gehabt. Seine Mutter sei Fulbe gewesen, die andere Frau Malinke. Seine Mutter sei im Jahr 2013 gestorben. Sein Vater sei im April 2015 vom Militär erschossen worden. Einer seiner Halbbrüder sei auch beim Militär gewesen. Sein Vater habe mehrere Häuser gehabt, die er vermietet habe. Es sei zum Streit mit seinen Brüdern gekommen, weil diese die Häuser hätten verkaufen wollen. Das habe er nicht gewollt. Er sei im Besitz aller Unterlagen gewesen. Die Brüder seien zu ihm in sein Büro gekommen, in welchem er zwei Mitarbeiter beschäftigt habe, und hätten alles zerstört. Am Telefon hätten sie ihm gesagt, dass sie ihn umbringen würden. Er sei daraufhin nach O. gegangen, wo der Bruder seiner Mutter wohne. Nach etwas mehr als einem Jahr habe jemand sein Auto erkannt, als er im Restaurant gewesen sei und habe dort nach ihm gefragt. Er sei gut informiert gewesen und habe gewusst, dass es um das Erbe gegangen sei. Sein Onkel habe ihm 100.000 guineische Francs gegeben, womit er nach Mali gegangen sei.
5Mit Bescheid vom 10.08.2017 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Asylanerkennung und Zuerkennung subsidiären Schutzes ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - nicht vorlägen und forderte den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Guinea auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, im Fall der Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Tage ab dem Tag der Abschiebung.
6Hiergegen hat der Kläger am 04.09.2017 bei dem Verwaltungsgericht (VG) E. Klage erhoben. Über sein bisheriges Vorbringen hinaus machte er geltend, sein Halbbruder sei Leutnant der guineischen Armee. Dieser habe die Macht, ihn überall in Guinea zu finden. Wenn er das Gemeinschaftsvermögen zu seinem eigenen Schutz verwenden würde, wie das Bundesamt vorgeschlagen habe, würde er Unrecht begehen, was von ihm nicht verlangt werden könne.
7Mit Urteil vom 22.08.2018 - 7 K 15158/17.A - hat das VG E. die Klage abgewiesen, nachdem der Kläger der mündlichen Verhandlung ferngeblieben war.
8Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25.11.2021, beim Bundesamt eingegangen am 30.11.2021, beantragte der Kläger die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine persönliche Anhörung. Dem Antrag war ein persönliches und in französischer Sprache verfasstes Statement des Klägers vom 25.11.2021 beigefügt. Der Kläger machte geltend, dass ihm weiterhin Verfolgung und eine menschenunwürdige Behandlung bis hin zur Tötung durch Familienangehörige drohe, insbesondere durch seinen (Stief-)Bruder, dessen Sanktionsfreiheit als Angehöriger des Militärs und Offizier in der Folge der Machtübernahme durch das Militär verstärkt sei.
9Mit Bescheid vom 12.01.2022 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und Abänderung des Bescheides vom 10.08.2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ohne erneute Anhörung des Klägers ab.
10Der Kläger hat am 25.01.2022 Klage erhoben. Er macht geltend, dass der Bescheid schon deswegen offensichtlich rechtswidrig sei, weil er gegen die geänderte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verstoße. Ihm sei im Rahmen der vermeintlichen Zweitantragstellung nicht hinreichend rechtliches Gehörs gewährt worden, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verzicht auf eine persönliche mündliche Anhörung vorgelegen hätten. Das Recht auf eine persönliche Anhörung sei das zentrale und grundlegende Verfahrensrecht von Antragstellern. Die Beklagte habe sein persönliches Statement nicht ordnungsgemäß übersetzt, sondern lediglich eine kursorische handschriftliche Übertragung gefertigt. Die Übersetzung sei teilweise sinnentstellt und lasse nicht erkennen, wer die Übersetzung verfasst habe. Aus diesem Grunde werde eine Übersetzung durch einen vereidigten Dolmetscher beantragt. Außerdem könne er Opfer mystischer Rituale bzw. ritualisierter Kräfte werden. Darüber hinaus habe er im September 2021 von einem Bekannten telefonisch erfahren, dass er aktuell insbesondere von seinem Stiefbruder mit dem Ziel der Tötung gesucht werde. Seit dem Militärputsch im September 2021 habe sich die innenpolitische Lage in Guinea verschärft. Sein Stiefbruder habe mittlerweile einen höheren militärischen Dienstgrad inne und nach wie vor die Möglichkeit, straflos gegen ihn vorzugehen. Schließlich habe ihm sein ehemaliger Nachbarn N. am 14.04.2024 über den Messenger-Dienst WhatsApp mitgeteilt, dass er weiterhin von seinem Stiefbruder mit dem Tode bedroht werde.
11Mit Beschluss vom 17.02.2022 - 11 L 66/22.A - hat der Einzelrichter einem Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung stattgegeben, dass aufgrund der von dem Bundesamt veranlassten Übersetzung des Statements des Klägers vom 25.11.2021 nicht die Feststellung getroffen werden könne, ob sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Klägers i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - geändert hat.
12Auf Bitte des Einzelrichters hat der vereidigte Dolmetscher C. eine am 18.02.2022 erstellte Übersetzung des Statements des Klägers vom 25.11.2021 vorgelegt.
13Der mündlichen Verhandlung sind die Beteiligten trotz ordnungsgemäßer Ladung ferngeblieben.
14Der Kläger beantragt - schriftsätzlich und sinngemäß -,
15den Bescheid des Bundesamtes vom 12.01.2022 aufzuheben,
16hilfsweise,
17die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 12.01.2022 zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG vorliegen.
18Die Beklagte beantragt - schriftsätzlich -,
19die Klage abzuweisen.
20Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angefochtenen Bescheid.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 11 L 66/22.A sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
23Der Einzelrichter kann trotz Fernbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil sie in den an sie gerichteten Ladungen gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - darauf hingewiesen worden sind, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
24Die Klage ist zulässig.
25Die schriftsätzlich erhobene Verpflichtungsklage ist in Bezug auf die von dem Bundesamt gemäß § 71 AsylG i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffene Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Kläger als „minus“ lediglich eine Anfechtungsklage erhebt. Denn in Fallkonstellationen der vorliegenden Art, in denen das Bundesamt den Asylantrag ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt hat, kann sich der jeweilige Antragsteller gegen diese Entscheidung nur mit der Anfechtungsklage wenden und kein Verpflichtungsbegehren auf Asylanerkennung und andere, ihn begünstigende Regelungen erheben.
26Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 14.12.2016
27- 1 C 4/16 -, juris, Rn. 16.
28Die Klage ist somit als Anfechtungsklage statthaft und im Übrigen zulässig.
29Die Klage ist auch begründet.
30Der Bescheid des Bundesamtes vom 12.01.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
31Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil das Bundesamt die nach § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG erforderliche Anhörung des Klägers unterlassen hat. Der Mangel der unterlassenen Anhörung ist nicht unbeachtlich und wurde nicht geheilt. Zum Verzicht einer Anhörung im Folgeverfahren sowie zur Beachtlichkeit und Heilung einer unterlassenen Anhörung im Folgeverfahren hat das VG Minden mit Urteil vom 06.04.2022 - 10 K 3200/20.A -, juris, Rn. 28 ff., folgendes festgestellt:
32„Der Bescheid des Bundesamtes vom 03.12.2020 ist rechtswidrig, weil das Bundesamt die nach § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG erforderliche Anhörung des Klägers rechtswidrig unterlassen hat. Zwar kann das Bundesamt im Folgeantragsverfahren nach § 71 Abs. 3 Satz 3 AsylG von einer Anhörung des Folgeantragstellers absehen. Die Anhörung des Folgeantragstellers ist danach aber nicht von Gesetzes wegen grundsätzlich entbehrlich. Im Gegenteil ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Regelung ("kann absehen"), dass eine Anhörung, womit die persönliche Anhörung im Sinne von § 25 AsylG gemeint ist, grundsätzlich zu erfolgen hat, das ausnahmsweise Absehen von einer solchen aber möglich und in das Ermessen des Bundesamtes gestellt ist.
33Vgl. Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: Dezember 2021, § 71 Rn. 135 ff.; Dickten, BeckOK AuslR, Stand: Januar 2022, § 71 AsylG Rn. 11; Müller, NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 47; Bergmann/Dienelt, AuslR Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 71 AsylG Rn. 41.
34Räumt eine Vorschrift der Behörde - wie hier § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG - die Befugnis ein, darüber zu entscheiden, ob auf eine grundsätzlich erforderliche Anhörung verzichtet wird, steht die insofern zu treffende Entscheidung über den Verzicht im Verfahrensermessen der Behörde. Diese Entscheidung bedarf einer Begründung, die nicht gesondert erfolgen muss, sondern auch in der abschließenden Sachentscheidung erfolgen kann. Sie muss ferner erkennen lassen, auf welchen Erwägungen die Entscheidung, von der Anhörung abzusehen, beruht.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.06.2021 - 5 A 1386/20 -, juris Rn. 57 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 14.09.1999 - 18 C. 2727/97 -, juris Rn. 6; HessVGH, Urteil vom 27. 09.2013 - 6 C 824/11.T -, juris Rn. 50; HessVGH, Beschluss vom 23.09.2011 - 6 C. 1701/11 -, juris, Rn. 23; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk, Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 49; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwR, 5. Aufl. 2021, § 28 Rn. 40.; Schneider, in: Schoch/Schneider, VwVfG Kommentar, Stand: Juli 2020, § 28 Rn. 54.
36Diesen Anforderungen wird der Bescheid des Bundesamtes vom 03.12.2020 nicht gerecht. Das Bundesamt hat von seinem Verfahrensermessen keinen Gebrauch gemacht, was einen der gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Ermessensfehler (vgl. §§ 40 VwVfG NRW, 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Form des Ermessensausfalls bzw. des Ermessensnichtgebrauchs darstellt. Ob von einer Ermessensermächtigung Gebrauch gemacht wurde, ist anhand aller erkennbaren Umstände zu beurteilen.
37Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 5. Aufl. 2018 § 114 Rn. 114a.
38Dies ist maßgeblich aber nicht ausschließlich anhand einer Auslegung des Bescheides zu ermitteln.
39Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.01.1988 - 7 C. 182.87 -, juris 3. Leitsatz; Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18.
40Daher kann sich auch dann, wenn die Behörde in der Begründung des jeweils streitgegenständlichen Bescheids keine Ermessenserwägungen mitgeteilt hat, aus dem Gesamtzusammenhang dennoch ergeben, dass sie eine Ermessensentscheidung getroffen und welche Ermessenserwägungen sie angestellt hat.
41Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.01.1988 - 7 C. 182.87 -, juris 3. Leitsatz; Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18.
42Das Fehlen einer Ermessensbegründung ist jedoch ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall.
43Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 28.
44Weder der angefochtene Bescheid noch der beigezogene Verwaltungsvorgang des Bundesamtes lassen erkennen, dass dieses sein Ermessen hinsichtlich des Absehens von einer Anhörung ausgeübt hat. Den Ausführungen des Bundesamtes in dem in der Hauptsache angegriffenen Bescheid lassen sich Erwägungen in dem vorstehend benannten Sinn an keiner Stelle entnehmen. Insbesondere wurden weder das Wort "Ermessen" noch ein vergleichbarer Begriff verwendet. Dasselbe gilt für den Verwaltungsvorgang.
45C. . Der Fehler der unterlassenen Anhörung ist auch nicht unbeachtlich nach § 46 VwVfG. Zwar ist das rechtswidrige Unterbleiben einer erforderlichen Anhörung grundsätzlich nach § 46 VwVfG NRW unerheblich, wenn es sich bei der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung um eine gebundene Entscheidung handelt, die nicht anders hätte ergehen können.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20 -, juris Rn. 23; OVG NRW, Beschluss vom 02.02.2016 - 16 C. 1267/15 -, juris Rn. 7.
47Die Anwendung des § 46 VwVfG ist jedoch nur mit Art. 14 und Art. 34 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013 L 180, S. 60; im Folgenden: Richtlinie 2013/32/EU) vereinbar, wenn dem Ausländer - im Gegensatz zum Verfahrensverlauf im hiesigen - asylgerichtlichen Verfahren in einer die grundlegenden Bedingungen und Garantien im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2013/32/EU wahrenden persönlichen Anhörung Gelegenheit gegeben worden ist, sämtliche gegen eine Unzulässigkeitsentscheidung sprechenden Umstände vorzubringen, und auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens in der Sache keine andere Entscheidung ergehen kann.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 16.07.2020 - C-517/17 (Addis) -, juris Rn. 58 ff.; BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20 -, juris Rn. 25.
49Das erkennende Gericht sieht keinen Grund, die unterbliebene Anhörung durch eine eigene Anhörung des Klägers nachzuholen. Auch die im Asylverfahren geltende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gebietet nichts anderes.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.03.2021 - 1 C 41.20 -, juris Rn. 26.
51Obwohl das Asylverfahren des Klägers bereits seit dem Jahr 2016 andauert, wäre durch eine Anhörung des Klägers seitens des Gerichts nur wenig gewonnen. Im Falle neuen und geeigneten Vortrags kann das erkennende Gericht aufgrund der Anfechtungssituation nicht über die vorliegend getroffene Entscheidung der Aufhebung des angegriffenen Bescheides hinausgehend eine zuerkennende Entscheidung treffen. Es ist daher aus verfahrensökonomischen Gründen sinnvoll, das Verfahren auch unter dem Aspekt eines ggf. zu erwartenden gesteigerten Sachaufklärungsbedarfs, welcher sich sowohl im Rahmen der Prüfung, ob ein Wiederaufgreifen zu erfolgen hat, oder aber im Fall des Wiederaufgreifens in Bezug auf die Sachentscheidung stellen kann, zunächst an die Fachbehörde zurückzuverweisen.
52c. Die fehlende Anhörung ist auch nicht nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW geheilt. Nach dieser Norm ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Eine solche Heilung setzt voraus, dass die Behörde nachträglich die Anhörung ordnungsgemäß durchführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren reichen als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung daher grundsätzlich nicht aus.
53Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2015 - 7 C 5.14 -, juris Rn. 17 und vom 30.03.2021 - 1 C 41/20 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Beschluss vom 18.02.2019- 4 C. 1269/18 -, juris Rn. 9 ff.
54Daher ist eine Heilung bisher nicht erfolgt. Aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes ist eine ausnahmsweise Heilung im gerichtlichen Verfahren bereits deswegen nicht anzunehmen, weil sich das Bundesamt des Mangels der Anhörung bisher nicht bewusst war und eine unabdingbare persönliche Anhörung des Klägers im Sinne von § 25 Abs. 1 AsylG oder aber zumindest die Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 29 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht erfolgt sind.
55Vgl. Bergmann/Dienelt, AuslR Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 19; Heusch, BeckOK AuslR, Stand: Januar 2022, § 29 AsylG Rn. 89; Kaiser/Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Stand: November 2020, § 29 Rn. 27 ff.“
56Den vorstehenden Ausführungen des VG Minden, die auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar sind, schließt sich der Einzelrichter nach eigener Prüfung vollinhaltlich an.
57Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dem Einzelrichter aus einer Vielzahl anderer Klageverfahren bekannt ist, dass das Bundesamt bei Folgeverfahren so genannte informatorische Anhörungen im Rahmen der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG durchführt und der/die Antragsteller/in auf diese Weise die Möglichkeit erhält, seine/ihre Wiederaufgreifensgründe persönlich vorzutragen. Aus welchem Grund dem Kläger diese Möglichkeit vorliegend nicht eröffnet wurde, erschließt sich dem Einzelrichter nicht.
58Darüber hinaus ergeht der Hinweis, dass bei der von dem Bundesamt nach erfolgter Anhörung zu treffenden Entscheidung, ob sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Klägers i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG geändert hat, auch die von dem vereidigten Dolmetscher D. C. am 18.02.2022 erstellte und im gerichtlichen Verfahren eingeholte Übersetzung des Statements des Klägers vom 25.11.2021 zu berücksichtigen ist.
59Da der Kläger mit dem Hauptantrag durchdringt, ist eine Entscheidung über den Hilfsantrag entbehrlich. Abgesehen davon wäre die Beklagte aufgrund der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung zumindest derzeit nicht verpflichtet, ein Abschiebungsverbot zu prüfen und gegebenenfalls festzustellen.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.2021 - 1 C 6/20 -, juris, Rn. 17.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
62Rechtsmittelbelehrung:
63Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zugelassen wird. Die Zulassung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg) zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
64Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
651. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
662. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
673. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
68Der Antrag auf Zulassung der Berufung kann in schriftlicher Form oder auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) eingereicht werden. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der ERVV wird hingewiesen.
69Vor dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, sowie die ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz - RDGEG -).
70Scholten