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Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Landesamts für Finanzen vom 3. November 2021 betreffend die Kontoguthaben des Klägers bei der Sparkasse T. in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2022 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist für den Kläger wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Der Kläger wendet sich gegen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, durch welche unterhaltsvorschussrechtlich auf das Land übergegangene Ansprüche auf Unterhalt im Wege der Verwaltungsvollstreckung beigetrieben werden sollen.
3(…)
4Unter dem 21. Juni 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger eine Rechtswahrungsanzeige betreffend das Kind L1. . Dem beigefügt war ein Fragebogen über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers, dessen Rücksendung bis zum 13. Juli 2021 erwartet wurde. Eine entsprechende Rechtswahrungsanzeige betreffend das Kind N. datiert den 22. Juni 2021.
5Unter dem 1. Juli 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger Zahlungsaufforderungen betreffend den Unterhalt für die beiden Kinder und bestätigte ihm den Eingang seiner Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, aus welcher der Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – (SGB II) hervorgehe. Ihm wurde mitgeteilt, dass wenn nicht ausreichende Bemühungen um eine Beschäftigung im Umfang von 20 Bewerbungen pro Monat dargelegt würden, von einem fiktiven Einkommen und einer gesicherten Fähigkeit zur Erbringung des Mindestunterhalts auszugehen sei. Der Nachweis von Bewerbungsbemühungen könne unterbleiben, wenn monatlich 000,00 Euro und einmalig ein Rückstand von 0.000,00 Euro bezahlt würden. Auf die Möglichkeit von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Wege der Verwaltungsvollstreckung wurde hingewiesen.
6Unter dem 26. Juli 2021 ergingen mit weiteren Schreiben des Landesamts für Finanzen eine Unterhaltsfestsetzung sowie eine weitere Zahlungsaufforderung betreffend die beiden Kinder. Es wurde im Wesentlichen mitgeteilt, dass keinerlei Bewerbungsbemühungen nachgewiesen worden seien. Daher sei von einer Leistungsfähigkeit auszugehen. Es wurde zur Zahlung eines monatlichen Betrags von 000,00 Euro und einem Ausgleich eines Rückstands in Höhe von 0.000,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz bis spätestens 16. August 2021 aufgefordert. Die Möglichkeit einer angemessenen Stundungsvereinbarung sei möglich. Hierzu sei ein konkreter Ratenzahlungsvorschlag mit aussagekräftigen Einkommensnachweisen bis spätestens 16. August 2021 einzureichen.
7Auf ein entsprechendes Übermittlungsersuchen des Landesamts für Finanzen vom 27. September 2021 teilte die Deutsche Rentenversicherung am darauf folgenden Tag mit, dass kein aktueller Arbeitgeber gespeichert sei.
8Auf das Kontenabrufersuchen des Landesamts für Finanzen vom 27. September 2021 teilte das Bundeszentralamt für Steuern mit Schreiben vom selben Tage mit, dass der Kläger bei der Sparkasse T. (im Folgenden: Sparkasse) ein Konto unterhalte.
9Auf das Ermittlungsersuchen des Landesamts für Finanzen vom 27. September 2021 teilte das Kraftfahrtbundesamt unter dem 12. Oktober 2021 mit, dass auf den Kläger ein Fahrzeug zugelassen sei.
10Auf das Übermittlungsersuchen des Landesamts für Finanzen vom 27. September 2021 teilte die Minijob-Zentrale unter dem 19. Oktober 2021 mit, dass betreffend den Kläger keine Meldung zur Sozialversicherung gegeben sei.
11Mit Schreiben vom 29. September 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger eine Mahnung betreffend eine Forderung in Höhe von 1.909,38 Euro, die nach § 7 Abs. 1 UVG auf den Beklagten übergegangen sei. Es handele sich um Unterhaltsansprüche des Kindes L1. . Es wurde zur Zahlung bis zum 13. Oktober 2021 aufgefordert. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Falle der nicht oder zeitverzögert erfolgten Zahlung Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden müssten. Dem beigefügt war eine Forderungsaufstellung.
12Mit weiterem Schreiben vom 29. September 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger eine Mahnung betreffend eine Forderung in Höhe von 0.000,00 Euro, die nach § 7 Abs. 1 UVG auf den Beklagten übergegangen sei. Es handele sich um Unterhaltsansprüche des Kindes N. . Es wurde zur Zahlung bis zum 13. Oktober 2021 aufgefordert. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Falle der nicht oder zeitverzögert erfolgten Zahlung Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden müssten. Dem beigefügt war eine Forderungsaufstellung.
13Mit Schreiben vom 13. Oktober 2021 kündigte das Landesamt für Finanzen dem Kläger die Vollstreckung eines Betrags vom 0.000,00 Euro betreffend den Unterhalt für das Kind L1. auf Grundlage des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) an. Es wurde darauf hingewiesen, dass die öffentlich-rechtliche Beitreibung einzustellen sei, wenn beim Landesamt für Finanzen, Abteilung Rückgriff Unterhaltsvorschusskasse als Vollstreckungsbehörde, Einwendungen gegen die Forderung geltend gemacht würden. Die Forderung werde dann im zivilprozessrechtlichen Verfahren gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil geltend gemacht.
14Mit einem weiteren Schreiben vom selben Tage erging eine inhaltsgleiche Vollstreckungsankündigung für eine Unterhaltsforderung in Höhe von 0.000,00 Euro betreffend das Kind N. .
15Am 11. Oktober 2021 zeigte die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht dessen Vertretung an. Der Kläger komme ursprünglich aus Syrien und befinde sich seit zwei Jahren in Deutschland. Er sei seit 2018 getrennt und habe zunächst als Bademeister im Schwimmbad in X. gearbeitet. Pandemiebedingt sei ihm im Jahr 2020 gekündigt worden. Seitdem sei es ihm nicht mehr möglich, eine Anstellung zu finden. Er habe keine Ausbildung als Bademeister in Syrien absolviert, habe hier aber einen Lehrgang als Rettungsschwimmer absolvieren können. Damit sei es ihm möglich gewesen die Anstellung im Schwimmbad zu finden. Eine andere Anstellung habe er seitdem aber in einem anderen Schwimmbad auch nicht mehr gefunden. Insbesondere sei davon auszugehen, dass pandemiebedingt die Einstellungen immer noch zurückhaltend wahrgenommen würden. Der Kläger bewerbe sich bereits bei anderen Firmen, da er aber nicht über eine entsprechende Ausbildung verfüge, sei dies bisher erfolglos. Er sei arbeitslos gemeldet. Er habe auch bereits verschiedene Termine, in denen versucht werde, eine entsprechende Anstellung für ihn zu finden. Es sei klar ersichtlich, dass der Kläger seiner Erwerbsobliegenheit nachkomme. Insofern sei von einer Leistungsunfähigkeit auszugehen. Es werde daher dazu aufgefordert, zu bestätigen, dass aufgrund der mangelnden Leistungsfähigkeit eine Erstattungspflicht des Klägers nicht gegeben sei. Selbstverständlich werde darüber informiert, sobald der Kläger eine Anstellung finde.
16Am 14. Oktober 2021 übersandte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Landesamt für Finanzen den Bescheid des Jobcenter B. vom 26. Juni 2020 über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung an den Kläger.
17Unter dem 18. Oktober 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger Mahnungen betreffend Unterhaltsforderungen für die Kinder N. und L1. jeweils in Höhe von 000,00 Euro mit einer Zahlungsfrist bis zum 2. November 2021.
18Unter dem 19. Oktober 2021 teilte das Landesamt für Finanzen der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass ein Schreiben vom 11. Oktober 2021 nicht vorliege und auch eine Vollmacht nicht vorgelegt worden sei.
19Am 20. Oktober 2021 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Landesamt für Finanzen mit, dass sie davon ausgehe, dass sich die Schreiben vom 11. und 14. Oktober 2021 mit den Mahnungen vom 13. Oktober 2021 gekreuzt hätten.
20Am 26. Oktober 2021 teilte die Prozessbevollmächtigte unter nochmaliger Übersendung ihres Schreibens vom 11. Oktober 2021 mit, dass der Nachweis über die Leistungsunfähigkeit des Klägers bereits erbracht sei.
21Die Verwaltungsvorgänge des Landesamts für Finanzen enthalten einen Aktenvermerk der Sachbearbeiterin vom 26. Oktober 2021 über ein Telefonat mit der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit folgendem Inhalt:
22„RAin E. nimmt Bezug auf mein Schreiben vom 19.10.21 und teilt mit, dass sie uns die Vollmacht bereits zugeschickt hätte. In der Akte habe ich das besagte Schreiben + Vollmacht dann auch gefunden, eingescannt heute, d.h. zum Zeitpunkt meines Anschreibens lag mir dieses Schreiben nicht vor. Ich erklärte, dass ihr neuerliches Schreiben beantwortet wird. Sie fragte nach, ob die Mahnung dann gegenstandslos sei. Ich erklärte, dass die Mahnung Bestand habe und ich ihr Schreiben noch beantworten werde.“
23Unter dem 2. November 2021 ergingen zwei Vollstreckungsankündigungen des Landesamts für Finanzen an den Kläger betreffend Unterhaltsforderungen in Höhe von jeweils 000,00 Euro. Wegen des Inhalts im Einzelnen wird auf diese Schreiben Bezug genommen.
24Das Landesamt für Finanzen erließ unter dem 3. November 2021 gegenüber der Sparkasse die hier verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Es wurde ausgeführt, dass der Kläger dem Beklagten aus gemäß § 7 Abs. 1 UVG übergegangenem Recht Kindesunterhalt in Höhe von 0.000,00 Euro schulde. Gepfändet würden in Höhe dieses Gesamtbetrags bis zur vollständigen Tilgung alle Forderungen, Ansprüche und Rechte des Schuldners gegenüber der Sparkasse aus der Geschäftsverbindung und zwar alle gegenwärtigen und künftigen Gutachten und der bis zum Tag der Auszahlung aufgelaufenen Zinsen aus Konten oder Salden, insbesondere aus der in laufender Rechnung geführten Konten (Kontokorrent) bis in die offene Kreditlinie. Insbesondere würden gepfändet der Anspruch auf Gutschrift zugunsten des Schuldners eingehender Beträge auf Giro-, Spar-, Festgeld- und Tagesgeldkonten, auch auf Gutschriften der Valuta aus zugesagten oder bereitgestellten Krediten, der Anspruch auf Auszahlung, sowohl des sich im Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung an die Drittschuldnerin ergebenden, als auch jedes späteren aktiven Kontokorrentsaldos oder sonstiger Guthaben, auch zwischen den Saldoabschlüssen, der Anspruch auf Auszahlung im Rahmen der offenen Kreditlinie, der Anspruch auf Auszahlung oder Überweisung des derzeitigen und jedes künftigen Guthabens an Dritte, der Anspruch auf Auszahlung oder Überweisung an Dritte unter Ausnutzung der offenen Kreditlinie, der Herausgabeanspruch auf die erforderlichen Urkunden für Sparbücher, der Anspruch auf Zahlung aus dem zum Wertpapierkonto gehörenden Gegenkonto, auf dem die Zinsgutschriften für die festverzinslichen Wertpapiere gutgeschrieben sind, der Anspruch auf Zutritt zu dem angeblichen Bankschließfach und auf Mitwirkung des Drittschuldners bei der Öffnung des Bankschließfachs bzw. auf die Öffnung des Bankschließfachs allein durch den Drittschuldner zum Zwecke der Entnahme des Inhalts, die sich aus der Geschäftsverbindung ergebenden sonstigen Ansprüche und Rechte, zum Beispiel das Recht auf Kündigung und auf Rechnungslegung gemäß § 666 BGB. Aufgrund der §§ 40 ff. VwVG NRW werde der Sparkasse als Drittschuldnerin untersagt, bis zur Höhe des genannten Gesamtbetrags an den Vollstreckungsschuldner zu zahlen. Die bezeichnete Forderung in Höhe des gepfändeten Betrags werde dem Land als Vollstreckungsgläubiger zur Einziehung überwiesen. Daher habe die Sparkasse den gepfändeten Betrag an das Landesamt für Finanzen auszuzahlen. Wegen des weiteren Inhalts wird auf diese Verfügung Bezug genommen.
25Mit Schreiben vom 3. November 2021 teilte das Landesamt für Finanzen der Prozessbevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf ihre Schreiben vom 11. Oktober 2021 und vom 26. Oktober 2021 mit, dass die Unterhaltsfestsetzung Bestand habe. Die Geltendmachung eines formalen Rechtsbehelfs sei nicht zu erkennen. Das Landesamt für Finanzen sei nunmehr „als Vollstreckungsbehörde“ tätig.
26Mit Schreiben vom 9. November 2021 teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Landesamt für Finanzen mit, dass bereits mit Schreiben vom 11. Oktober 2021 darauf hingewiesen worden sei, dass der Kläger nicht leistungsfähig sei. Immer wieder würden von Seiten des Landesamts für Finanzen Unterhaltsfestsetzungen durchgeführt, obwohl gar keine Leistungsfähigkeit bestehe, die von Seiten des grundsätzlich Unterhaltspflichtigen auch unverschuldet sei. Diese Vorgehensweise sei nicht nachvollziehbar, insbesondere da klar sein dürfte, dass beim Kläger gar kein pfändbares Einkommen vorliege. Es sei umfangreich dazu Stellung genommen worden, warum er derzeit keine Anstellung finde. Wenn der Kläger nicht leistungsfähig sei und dies unverschuldet, so bestünden auch keine Rückstände. Sollte das Landesamt für Finanzen hieran Zweifel haben, so dürfte eigentlich nur der zutreffende Weg sein, dass dies gerichtlich überprüft wird. Dass eine Unterhaltsfestsetzung gegen einen Hartz-IV-Empfänger sinnvoll sein könne, sei nicht ersichtlich.
27Mit der, mit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung übermittelten, Drittschuldnererklärung teilte die Sparkasse unter dem 9. November 2021 mit, dass es sich bei dem Konto des Klägers um ein Pfändungsschutzkonto handele und dass die Pfändung vorgemerkt worden sei.
28Mit Schreiben vom 16. November 2021 teilte das Landesamt für Finanzen der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass die vorgenommene Unterhaltsfestsetzung weiterhin Bestand habe. Das Landesamt für Finanzen Nordrhein-Westfalen als Vollstreckungsbehörde sei nunmehr zuständig und tätig. Die Geltendmachung eines formalen Rechtsbehelfs sei nicht zu erkennen. Als Vollstreckungsbehörde werde Gelegenheit eingeräumt vorzutragen, welche Gründe gegen die Vollstreckung sprechen.
29Unter dem 17. November 2021 erfolgten weitere an den Kläger gerichtete Mahnungen des Landesamts für Finanzen.
30Unter dem 22. November 2021 übersandte das Landesamt für Finanzen dem Kläger die hier verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung zur Kenntnis.
31Am 2. Dezember 2021 ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Widerspruch gegen die verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung erheben. Wegen der Begründung, die im Wesentlichen den Ausführungen in den Schreiben vom 11. Oktober 2021 und vom 14. Oktober 2021 entspricht und diese wiederholt sowie vertieft, wird auf dieses Schreiben Bezug genommen.
32Mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 teilte das Landesamt für Finanzen dem Kläger mit, dass der Widerspruch als Einwendung gegen die Forderung behandelt werde. Der Vorgang sei deshalb an die Abteilung Heranziehung zurückgegeben worden. Auf den Widerspruch komme das Landesamt für Finanzen gesondert zurück.
33Die übersandten Verwaltungsvorgänge des Landesamts für Finanzen enthalten, den 17. Januar 2022 datierend, ein Schreiben an das Amtsgericht X. – Familiengericht – unter Angabe des Aktenzeichen 00 FH 00/00, mit welchem ein Antrag auf die gerichtliche Festsetzung der Unterhaltsverpflichtung gestellt werden sollte. Hierzu enthalten die Verwaltungsvorgänge formularmäßige Anträge betreffend die Kinder L1. und N. . Enthalten ist eine Formularabschrift zum Zwecke der Zustellung an die Prozessbevollmächtigten des Klägers. Eine Zustellung der Antragsschrift durch das Amtsgericht wird vom Kläger bestritten.
34Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2022 wies das Landesamt für Finanzen den Widerspruch des Klägers zurück. Im Wesentlichen wurde unter Zusammenfassung des Sachverhalts ausgeführt, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt seien und der Widerspruch deshalb als unbegründet zurückzuweisen sei.
35Der Kläger hat beim erkennenden Gericht am 3. März 2022 die vorliegende Klage erheben lassen. Zur Begründung wird das Vorbringen aus dem Schreiben vom 11. Oktober 2021 wiederholt und vertieft. Insoweit wird auf seine Schriftsätze Bezug genommen.
36Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
37die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Landesamts für Finanzen bei der Sparkasse T. vom 3. November 2021 betreffend das Konto des Klägers in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2022 aufzuheben.
38Der Beklagte beantragt,
39die Klage abzuweisen.
40Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass § 1 Abs. 4 VwVG NRW das Geltendmachen von Einwendungen voraussetze. Dies sei erst ab der ersten Mahnung am 29. September 2021 möglich gewesen. Einwendungen seien erst mit Schreiben vom 2. Dezember 2021 erhoben worden. Es sei ein Verfahren über die Festsetzung der Unterhaltsansprüche beim Amtsgericht X. – Familiengericht – eingeleitet worden. Der Vorgang sei dann in den Bereich der Heranziehung zurückgegeben worden. Die öffentlich-rechtliche Vollstreckung sei nicht fortgesetzt worden. Die ausgebrachte Pfändung habe eine rangwahrende Wirkung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Beklagten Bezug genommen.
41Auf den Antrag des Klägers vom 9. März 2022 (9 L 223/22) hat das erkennende Gericht mit Beschluss vom 10. März 2022 die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen die hier verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung angeordnet. Mit weiteren Beschlüssen vom selben Tage hat die Kammer dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm seine prozessbevollmächtigte Rechtsanwältin beigeordnet sowie den Rechtsstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen. Auf den mit der Ladungsverfügung zu dem auf den 30. März 2022 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ergangenen prozessleitenden Hinweis haben die Beteiligten – der Beklagte mit mehreren Schriftsätzen, erstmals vom 25. März 2022, der Kläger mit Schriftsatz des (ebenfalls unter dem 6. Oktober 2021 prozessbevollmächtigten) Vertreters seiner beigeordneten Prozessbevollmächtigten vom 28. März 2022 – auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet. Den zunächst anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht im Hinblick darauf aufgehoben.
42Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren und dem des vorläufigen Rechtsschutzes sowie die als Beiakte geführten Verwaltungsvorgänge des Landesamts für Finanzen (1 Datei) Bezug genommen, die dem Gericht vorliegen.
43Entscheidungsgründe
441. Zur Entscheidung ist der Einzelrichter berufen, dem der Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 VwGO). Gründe für eine Rückübertragung auf die Kammer sind nicht ersichtlich (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO), da sich die streitentscheidenden Rechtsfragen unmittelbar anhand des gesetzlichen Wortlauts und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten lassen.
45Vgl. hierzu: Happ, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, 15. Aufl., 2019, § 124 Rn. 38; Clausing, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), VwGO, § 6 Rn. 20 sowie Rn. 70 (Stand: Februar 2016), m.w.N.
462. Das Gericht entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 101 Abs. 2 VwGO).
473. Die als Anfechtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis der vorliegenden Klage auch durch eine Einstellung der Verwaltungsvollstreckung nicht entfallen, da gemäß § 1 Abs. 4 Satz 5 VwVG NRW die verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung für die Fortsetzung der Vollstreckung nach Maßgabe der Zivilprozessordnung (ZPO) weiterhin den Kläger belastende Rechtswirkungen entfaltet.
48So bereits der Beschluss der Kammer vom 10. März 2022 – 9 L 223/22 –, juris Rn. 1.
49Einer Beiladung der Sparkasse als Adressatin der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bedurfte es nicht, da ein Obsiegen des Klägers im vorliegenden Klageverfahren keine Belastung für diese begründet.
50Vgl. hierzu: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 27. September 1995 – 3 C 11.94 –, juris Rn. 3.
51Die verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
52a) Rechtsgrundlage der hier verfahrensgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 in Verbindung mit 21 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW.
53b) Die Voraussetzungen der Durchführung der Verwaltungsvollstreckung lagen bereits zu dem für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – hier dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 1. März 2022 –, gleichermaßen aber auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausgangsverfügung, nicht vor, sodass die verfahrensgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtswidrig ergangen ist.
54Gemäß § 2 Buchst. c) VwVG NRW in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. o) der Verordnung zur Ausführung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (Ausführungsverordnung VwVG – VO VwVG NRW) vom 8. Dezember 2009 können bürgerlich-rechtliche Forderungen auf Unterhalt, die gemäß § 7 Abs. 1 UVG auf das Land übergegangen sind, auch im Wege der Verwaltungsvollstreckung beigetrieben werden. Zuständig ist gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes (UVG-Durchführungsverordnung – UVGDVO) vom 11. Dezember 2018 das Landesamt für Finanzen.
55Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass für die Kinder des Klägers Unterhaltsvorschussleistungen erbracht worden sind und dass dementsprechend gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UVG im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs Unterhaltsansprüche auf das Land übergegangen sind.
56Solange der Elternteil, bei dem der Berechtigte nicht lebt – hier der Kläger –, Leistungen nach dem SGB II bezieht und über kein eigenes Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfügt, wird der nach § 7 UVG übergegangene Unterhaltsanspruch jedoch nicht verfolgt (§ 7a UVG).
57aa) Es kann zunächst dahinstehen, ob § 7a UVG eine rechtshemmende Einwendung gegen die Forderung begründet – wovon wohl mit der überwiegend vertretenen Auffassung im Schrifttum und dem erklärten Ziel der Gesetzesbegründung auszugehen ist, dazu sogleich (bb) – oder ob es sich um ein bundesrechtlich im Wege einer sogenannten Gesetzgebungskompetenz kraft Annex geregeltes und in einem notwendigen Zusammenhang zu der dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 des Grundgesetzes (GG) unterfallenden Materie des Unterhaltsvorschussrechts,
58vgl. zur Gesetzgebungskompetenz kraft Annex: Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 10. Februar 2004 – 2 BvR 834, 1588/02 –, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 109, 190 <215>; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl., 2021, Art. 70 Rn. 37 ff.; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 70 Rn. 71 (Stand: Oktober 2008),
59stehendes Vollstreckungshindernis handelt.
60Im Falle einer rechtshemmenden Einwendung gegen den übergegangenen Anspruch ist gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 VwVG NRW die Beitreibung nach § 1 Abs. 2 VwVG NRW einzustellen, sobald der Vollstreckungsschuldner bei der Vollstreckungsbehörde schriftlich oder zu Protokoll Einwendungen gegen die Forderung geltend macht.
61Es ist dabei unerheblich, ob die Einwendungen potentiell begründet sein könnten oder gar offensichtlich ohne Erfolg bleiben werden. Denn entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach hierdurch ein der im Ergebnis titellosen – nur aufgrund einer Zahlungsaufforderung beruhenden – Verwaltungsvollstreckung innewohnendes Rechtsschutzdefizit behoben werden soll, hat die Vollstreckungseinstellung umgehend zu erfolgen.
62Vgl. hierzu: Kalenberg, in: Praxis der Kommunalverwaltung Nordrhein-Westfalen (PdK-NRW), § 1 VwVG NRW Rn. 23 (Stand: September 2021).
63Dies muss erst recht dann gelten, wenn – wie hier – die Einwendungen als Rechtshinweis eigener Art („sui generis“),
64Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 23 (Stand: September 2021),
65bereits vor dem Erlass der jeweils zu prüfenden Vollstreckungsmaßnahme erhoben bzw. deren tatsächliche Grundlagen – hier der Grundsicherungsbezug des Klägers – mitgeteilt oder sonst bekannt geworden sind.
66Dies ist hier spätestens mit den anwaltlichen Schreiben vom 11. Oktober 2021 – dieses Schreiben wurde ausweislich des Aktenvermerks vom 26. Oktober 2021 beim Landesamt für Finanzen aufgefunden, sodass es zugegangen ist – und vom 14. Oktober 2021 erfolgt. Entsprechend dem Grundsatz der Behördeneinheit kommt es – entgegen der den Schreiben des Landesamts für Finanzen vom 3. November 2021, vom 16. November 2021 sowie vom 7. Dezember 2021 und dem klageerwidernden Vorbringen offenbar zugrunde gelegten Auffassung – im Außenverhältnis nicht darauf an, ob die Einwendungen auch an die behördenintern zuständige Abteilung gerichtet werden.
67Denn Untergliederungen bzw. unselbstständige Teile einer Behörde sind keine Behörde im rechtlichen Sinne. Sie haben keine eigenen von jenen der Behörde selbst unabhängigen Zuständigkeiten und werden nicht selbst nach außen tätig. Die Einzeluntergliederungen von Behörden – wie hier eine Heranziehungs- und eine Vollstreckungsstelle – sind selbst keine Behörden.
68Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, 2. Aufl., 2019, § 1 Rn. 46.
69Eine Eigenständigkeit fälschlicherweise suggerierende Benennung eines unselbstständigen Teils einer Behörde – wie hier der Passus „als Vollstreckungsbehörde“ – oder gewisse Arten von Freistellungen aus hierarchischen Strängen in behördeninternen Geschäftsverteilungsplänen reichen nicht aus, um eine Stelle als Behörde zu qualifizieren.
70Vgl.: BVerfG, Beschluss vom 27. März 1979 – 2 BvR 1011/78 –, juris Rn. 27; BVerwG, Beschluss vom 22. November 1995 – 11 VR 42.95 –, NVwZ-RR 1996, 610 <610 f.>; BVerwG, Beschluss vom 30. August 1978 – 7 ER 402.78 –, juris; Schoch, in: Schoch/Schneider (Hrsg.), Verwaltungsrecht, § 1 VwVfG Rn. 138 (Stand: Juli 2020); Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz (Hrsg.), VwVfG, 2. Aufl., 2019, § 1 Rn. 46.
71Es genügt damit, dass die Einwendungen bei der Behörde angebracht werden, die für die Vollstreckung zuständig ist. Selbst wenn ein anderes Aktenzeichen als das der Vollstreckungsabteilung – hier lediglich anhand des letzten Buchstabens „H“ bzw. „V“ der im Übrigen übereinstimmenden Aktenzeichen – angegeben gewesen wäre, hätte jene Abteilung, welcher das Schreiben (mutmaßlich) von der zentralen Scanstelle zugeleitet worden ist, dieses unverzüglich der Vollstreckungsabteilung übermitteln müssen.
72Entsprechende Erklärungen sind, auch wenn sie nicht formell als „Einwendungen“ bezeichnet werden, nach ihrem materiellen Gehalt auszulegen, sodass der Inhalt eines Schreibens, in welchem der Bezug von vermögensabhängig gewährten Sozialleistungen in Zusammenhang mit einer angekündigten Vollstreckung von Unterhaltspflichten angekündigt wird, nach dem objektiven Empfängerhorizont als das Erheben von Einwendungen zu verstehen ist. Etwas anderes kann allenfalls bei förmlichen Rechtsbehelfen gelten, worum es sich bei Einwendungen indes nicht handelt. Denn bei Einwendungen handelt es sich um Rechtstatsachen, deren „Erhebung“ im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVG NRW nicht der Erhebung im engeren Sinne der Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs entspricht,
73so unter Verwendung der gleichbedeutenden Formulierung „Rechtshinweis sui generis“: Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 23 (Stand: September 2021),
74sondern die lediglich angezeigt werden müssen und können.
75Eine solche Anzeige setzt lediglich voraus, dass die Rechtstatsache als solche für den Empfänger bei objektiver Betrachtung verständlich angeführt wird – bzw. der Betroffene sie, wie der Beklagte im Klageerwiderungsschriftsatz vom 9. März 2022 (dort dritter Absatz der ersten Seite) ausführt, „geltend macht“ – und die diese begründenden tatsächlichen Umstände hierbei zumindest in ihren groben Zügen dargestellt werden oder wenigstens in dieser Anzeige materiell angelegt sind.
76Diesen Anforderungen genügen die genannten Anwaltsschreiben ohne ernsthaft vertretbaren Zweifel, sodass es nicht darauf ankommt, ob der Kläger bereits mit der Mitteilung seines Bezugs von Grundsicherungsleistungen, deren Eingang das Landesamt für Finanzen ihm mit der Zahlungsaufforderung vom 1. Juli 2021 mitgeteilt hat, solche Einwendungen erhoben hat oder erheben konnte.
77Maßgeblich für die Erhebung von „Einwendungen gegen die Forderung“ ist damit nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dass sich das Vorbringen gegen die zu vollstreckende Forderung entweder dem Grunde oder aber auch nur der Höhe nach richtet, ob also das Durchgreifen dieses Vorbringens Gegenstand einer Entscheidung in einem zivilprozessualen Erkenntnisverfahren sein kann.
78Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 24 (Stand: September 2021)
79Dies fußt in dem Umstand, dass es sich bei der verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Betreibung privatrechtlicher Forderungen letztlich um eine zwar rechtlich zulässige, aber dennoch eher systemfremde Vollstreckungsmöglichkeit handelt, in welcher die grundsätzliche Unterscheidung einzelner Gerichtsbarkeiten nach der Rechtsnatur des jeweiligen Streitgegenstands im bundesdeutschen Rechtsschutzsystem zunächst verschwimmt.
80Seine Rechtfertigung findet dies in der sachlichen Nähe der jeweiligen privatrechtlichen Forderung zum Verwaltungsrecht und zur öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit wie etwa bei privatrechtlichen Entgelten für Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder wie hier bei übergegangenen Unterhaltsansprüchen (vgl. hierzu die übrigen Fälle zulässiger verwaltungsrechtlicher Vollstreckungen von privatrechtlichen Forderungen in § 1 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a) und b) VwVG NRW).
81Zur Gewährleistung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) ist demgemäß eine gegenüber der die verwaltungsvollstreckungsrechtliche Beitreibung verfolgenden öffentlichen Hand eine strenge Auslegung der Vorschrift des § 1 Abs. 4 VwVG NRW und spiegelbildlich hierzu zugunsten des jeweiligen Vollstreckungsschuldners großzügige Auslegung des Begriffs der „Erhebung“ entsprechender – nach ihrem materiellen Gehalt und nicht lediglich formal zu betrachtender – Einwendungen angezeigt, da anderenfalls kein effektiver Rechtsschutz gegen die jeweils zu vollstreckende privatrechtliche Forderung möglich wäre.
82Vgl. zur Bedeutung des Justizgewährleistungsanspruchs: Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 24 (Stand: September 2021)
83Sofern entgegen der hier vertretenen Auffassung § 7a UVG als reines Vollstreckungshindernis anzusehen ist, kann dahinstehen, ob diese Vorschrift bereits in Wege einer unmittelbaren Anwendung und ohne eine landesrechtliche Transmissionsnorm eine Beitreibung der Unterhaltsforderung im Wege der Vollstreckung verwehrt oder ob § 6a Abs. 1 Buchst. a) VwVG NRW im Wege eines Analogieschlusses entsprechend auf den dann gegebenen Fall anzuwenden ist, dass ein Bundesgesetz fachgesetzlich eine Betreibung verwehrt.
84In beiden Fällen war die Vollstreckung jedenfalls zu dem für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der verfahrensgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung einzustellen gewesen, sodass die Verfügung gar nicht erst hätte erlassen werden dürfen. Dies gilt im Übrigen bereits unabhängig von der Erhebung von Einwendungen, wenn – wie hier ausweislich des Schreibens vom 1. Juli 2021 – der zuständigen Behörde bereits vorher positiv bekannt ist, dass ein Leistungsbezug nach dem SGB II vorliegt. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist mithin bereits deshalb aufgrund ihrer anfänglichen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
85bb) Eine Aufhebung einer – anders als hier rechtmäßig verfügten – Vollstreckungsmaßnahme kommt gemäß § 1 Abs. 4 Satz 4 VwVG NRW nur dann nicht in Betracht, wenn der Gläubiger nicht binnen eines Monats nach Geltendmachung der Einwendungen wegen seiner Ansprüche vor den ordentlichen Gerichten Klage erhoben oder den Erlass eines Mahnbescheids beantragt hat oder der Gläubiger mit der Klage rechtskräftig abgewiesen worden ist.
86Dieser Vorschrift kann im Verfahren der Beitreibung von Unterhaltsansprüchen aus gemäß § 7 UVG übergegangenem Recht bei Empfängern von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende faktisch keine Bedeutung zukommen, da § 7a UVG bereits eine „Verfolgung“ dieser Ansprüche beim Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende verwehrt.
87In diesem Zusammenhang kommt es anders als hinsichtlich eines Anspruchs auf Einstellung der Vollstreckung entscheidend darauf an, ob es sich hier um eine rechtshemmende Einwendung gegen den Anspruch oder um ein Vollstreckungshindernis handelt.
88Das erstgenannte Ergebnis, welches sowohl der in der Gesetzesbegründung formulierten Zielsetzung am nächsten steht als auch im Schrifttum soweit ersichtlich ausschließlich angenommen wird, erweist sich als rechtlich zutreffend.
89Nach dem in der Begründung zu dem Gesetz zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften vom 14. August 2017 (BGBl. 2017 I, S. 3122), durch welches die Vorschrift in § 7a UVG in das Gesetz eingefügt worden ist, niedergelegten Gesetzeszweck sollen verwaltungsaufwändige und unwirtschaftliche Rückgriffsbemühungen durch diese Vorschrift vermieden werden.
90Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 18/11135, S. 163.
91Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem der Unterhaltsschuldner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende – Leistungen nach dem SGB II – bezieht, von diesem barunterhaltspflichtigen Elternteil kein Unterhalt beigetrieben werden kann, da mangels Leistungsfähigkeit kein Unterhaltsanspruch des Kindes besteht. In diesen Fällen findet zwar ein Anspruchsübergang auf das Land statt, dieser Anspruch darf jedoch nicht geltend gemacht werden, solange der Barunterhaltspflichtige auf diese Leistungen angewiesen ist und über kein eigenes Einkommen verfügt.
92BT-Drs. 18/11135, S. 163; die temporäre Bedeutung des § 7a UVG in anderem Zusammenhang betonend: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 6. September 2021 – 12 A 2525/19 –, juris Rn. 27.
93Diesem Gedanken der Verwaltungsvereinfachung entspricht auch der in der Gesetzesbegründung artikulierte Gedanke, dass, sofern der barunterhaltspflichtige Elternteil die Auskünfte nicht selbst erteilt, die Unterhaltsvorschussstellen dann gem. § 6 Abs. 5 UVG die Möglichkeit haben, diese beim für den barunterhaltspflichtigen Elternteil örtlich zuständigen Jobcenter zu erfragen.
94BT-Drs. 18/11135, S. 163.
95Dies bestärkt die Annahme eines Charakters als rechtshemmende Einwendung.
96Conradis, in: Rancke/Pepping (Hrsg.), Mutterschutz Elterngeld Elternzeit Betreuungsgeld, 6. Aufl., 2022, § 7a UVG Rn. 1; so auch: Schürmann, Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht (FamRZ) 2017, 1380 <1383>, der indes Maßnahmen zur Vermeidung einer Verwirkung für zulässig hält, was indes keinen Niederschlag im Gesetz findet und im Übrigen ins Leere gehen dürfte, da eine Verwirkung wohl dann nicht angenommen werden kann, wenn die Geltendmachung gesetzlich gehemmt ist und somit keine „illoyale verspätete Rechtsausübung“ – vgl. hierzu: Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16. Juni 1999 – XII ZA 3/99 –, juris Rn. 2 und Urteil vom 27. Juni 1957 – II ZR 15/56 –, juris Rn. 13, vorliegen kann; vgl. hierzu im Übrigen auch: BGH, Urteil vom 16. Juni 1982 – IVb ZR 709/80 –, juris Rn. 10; zusammenfassend auch: Langeheine, in: Münchener Kommentar-BGB, 8. Aufl., 2020, § 1613 Rn. 49 f.
97Von der Möglichkeit einer Abfrage bei Sozialleistungsträgern hat das Landesamt für Finanzen hier auch umfassend Gebrauch gemacht, obwohl der Leistungsbezug bereits feststand. Deshalb waren bereits die der hier verfahrensgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung vorangegangenen Zahlungsaufforderungen ab dem 1. Juli 2021 rechtswidrig. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Bezug von Grundsicherungsleistungen dem Landesamt für Finanzen bereits bekannt.
98Dieses auch der im bislang veröffentlichten und oben genannten Schrifttum vertretenen Auffassung entsprechende Ergebnis hin zu einer unmittelbar auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG,
99vgl. zum Inhalt und zur weiten Auslegung dieses Kompetenztitels: Seiler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (beckOK-GG), Art. 74 Rn. 23 f. (Stand: 15. Februar 2022); Burghart, in: Leibholz/Rinck (Hrsg.), GG, Art. 74 Rn. 236 (Stand: Februar 2022); Schnapauff/v.Knobloch, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 13. Aufl., 2022, Art. 74 Rn. 7; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG, 9. Aufl., 2021, Art. 74 Rn. 35 f., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen,
100fußenden und bereits den Unterhaltsanspruch als solchen betreffenden Regelung, welche auch die öffentliche Hand vor letztlich unwirtschaftlichen und von Vornherein mit dem Ergebnis des Scheiterns gezeichneten Versuchen einer Geltendmachung schützen soll, überzeugt.
101Dafür spricht auch die Verwendung des rechtlich nicht näher definierten und inhaltlich weitgefassten Begriffs einer „Verfolgung“ im Gesetzeswortlaut anstelle etwa einer „Beitreibung“, „zwangsweisen Durchsetzung“ oder einer „Vollstreckung“.
102In diesem Fall, in dem der Barunterhaltspflichtige Leistungen der Grundsicherung bezieht, ist damit eine Verfolgung und zwar auch in Gestalt der zivilgerichtlichen Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gesetzlich ausgeschlossen. Diese Vorschrift begründet neben einer rechtshemmenden Einwendung zugleich eine – was aus der Gesetzesbegründung sowie der darin enthaltenen Anknüpfung an das Prinzip des Förderns und Forderns im Grundsicherungsrecht und damit an den Leistungsempfänger persönlich,
103BT-Drs. 11135/18, S. 163,
104folgt – drittschützende Amtspflicht der zuständigen Behörde – hier des Landesamts für Finanzen –, mit der Folge, dass eine Klageerhebung oder die Beantragung eines Mahnbescheids gemäß § 1 Abs. 4 Satz 4 VwVG NRW verwehrt ist, sofern nicht binnen dieser Monatsfrist die den Unterhaltsschuldner begünstigenden Voraussetzungen des § 7a UVG wegfallen, also der maßgebliche Sozialleistungsbezug entfällt. § 1 Abs. 4 Satz 4 VwVG NRW läuft dann in einem solchen Fall leer, sodass auch ein etwaiges Vorbringen betreffend das Ziel einer Rangwahrung in der zwangsweisen Befriedigung von Forderungen hier nicht verfängt.
105Vgl. zu Amtspflichten bei der verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Beitreibung privatrechtlicher Ansprüche öffentlich-rechtlicher Körperschaften auf Grundlage der mit den nordrhein-westfälischen Vorschriften vergleichbaren Vorschriften des rheinland-pfälzischen Landesverwaltungsvollstreckungsrechts auch unter Berücksichtigung des Gedankens einer rangwahrenden Zielsetzung: Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Urteil vom 12. September 2019 – 1 U 135/19 –, juris Rn. 44.
106Es handelt sich nach alledem um eine bereits gegen den Anspruch als solchen gerichtete rechtshemmende Einwendung.
107Das Vorbringen betreffend eine beabsichtigte Rangwahrung,
108vgl. hierzu: Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 25 (Stand: September 2021),
109mag mit Blick auf § 1 Abs. 4 Satz 5 VwVG NRW zunächst im gedanklichen Ansatz nachvollziehbar erscheinen. Denn nach dieser Vorschrift darf im Falle der Einstellung der Vollstreckung diese nur nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung „fortgesetzt“ werden. Dies lässt darauf schließen, dass bisherige Vollstreckungsmaßnahmen in dem Sinne erhalten bleiben, dass sie die Grundlage für weitere zivilprozessrechtliche Vollstreckungshandlungen bilden.
110Mit dem gleichen Ergebnis auch: Kalenberg, in: PdK-NRW, § 1 VwVG NRW Rn. 25 (Stand: September 2021).
111Derartiges kann jedoch nur dann eintreten, wenn die bisherigen Maßnahmen rechtmäßig erfolgt sind, was hier jedoch nicht der Fall ist, sodass all dies keiner weiteren Erörterung oder Vertiefung bedarf.
1124. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 1. Halbs. VwGO gerichtskostenfrei, da der Gesetzgeber als Gegenausnahme von der Gerichtskostenfreiheit lediglich Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern, nicht aber Dritten, denen diese Eigenschaft nicht zukommt, vorgesehen hat.
1135. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
1146. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht sind nicht ersichtlich (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3-4 in Verbindung mit 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).