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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerinnen sind Eigentümerinnen und Verwalterinnen von Wohnungseigentum, u.a. im Bezirk des erkennenden Gerichts. Sie werden im vorliegenden Verfahren durch die W. vertreten, die 2001 als E.-Immobilien AG gegründet wurde und 2015 umfirmierte.
3Die Klägerinnen beabsichtigen, wie schon in der Vergangenheit, in ihren bzw. von ihnen verwalteten Wohnungen asbesthaltige Bodenbeläge (Vinyl-Asbest-Platten) zu entfernen und durch andere Bodenbeläge zu ersetzen. Bei den Arbeiten verbleiben sowohl am Boden als auch an den Platten Teile des asbesthaltigen Klebers, mit dem die ebenfalls asbesthaltigen Bodenbeläge auf dem Untergrund befestigt waren. Eine Entfernung der asbesthaltigen Kleberreste wollen die Klägerinnen nicht veranlassen; sie sollen vielmehr auf dem Fußboden belassen sowie versiegelt bzw. überdeckt werden.
4Im April 2015 ging bei der Bezirksregierung E1. eine anonyme Anzeige ein, dass ein für die E. tätiges Unternehmen gegen die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) verstoßen habe. Bei Arbeiten in den Wohnungen seien asbesthaltige Bodenbeläge entfernt, der Kleber jedoch auf dem Estrich belassen und anschließend überdeckt worden. Diese Anzeige wurde zuständigkeitshalber an die Bezirksregierung B3. weitergeleitet.
5Daraufhin teilte diese der E.-Dienstleistungs GmbH mit Schreiben vom 1. Juni 2015 mit, dass bei der Sanierung von Asbest-Platten sowohl die Gefahrstoffverordnung als auch die Technische Regel „Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten“ (TRGS 519) anzuwenden seien. Es sei eine Untersuchung des unter den Asbest-Platten befindlichen Klebers erforderlich. Soweit dessen Asbestfreiheit nicht festgestellt werde, sei dieser im Zweifel als asbesthaltig anzusehen und daher zu entfernen. Asbesthaltige Kleberreste dürften nur dann in den Wohnungen verbleiben und mit Ausgleichsmasse überdeckt werden, wenn ein erheblich erhöhter Aufwand für eine Entfernung erforderlich sei.
6Im September 2016 teilte die W. der Bezirksregierung B3. mit, dass nach ihrer Auffassung auch nach erneuter Prüfung der Rechtslage eine Überdeckung des Klebers weiterhin zulässig und eine vollständige Entfernung nicht erforderlich sei. Mit Schreiben vom 22. September 2016 hielt der Beklagte an seiner gegenteiligen Rechtsauffassung fest und informierte die W. , dass er eine Überdeckungsarbeit an asbesthaltigen Gebäudeteilen als verbotene Tätigkeit werte und für den Fall der Zuwiderhandlung Strafanzeige erstatten werde.
7Am 31. Juli 2017 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus: Das Belassen der Kleberreste sei gemäß Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 GefStoffV zulässig. Bei der Entfernung der asbesthaltigen Fußbodenbeläge handele es sich um zulässige Sanierungsarbeiten im Sinne der Gefahrstoffverordnung. Sie – die Klägerinnen – seien nicht verpflichtet, Asbest vollständig zu beseitigen; auch eine Teilbeseitigung sei zulässig. Diese Verfahrensweise stelle sich auch als deutlich kostengünstiger dar als die vollständige Entfernung des asbesthaltigen Klebers. Das Versiegeln des auf dem Fußboden verbleibenden Klebers sei zudem eine zulässige Sanierungsmaßnahme. Sinn und Zweck der Regelungen der Gefahrstoffverordnung sei es, ein Freisetzen von Asbest zu verhindern; dieses Ziel werde jedoch auch durch die Versiegelung des auf dem Boden verbleibenden Klebers erreicht. Im Übrigen sei das Belassen und Überdecken des Klebers auch als Teil von Abbrucharbeiten i.S.v. Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 GefStoffV zulässig; der Kleber sei nicht Bestandteil der Fußbodenplatten und mit dem Boden fest verbunden. Auch der Wortlaut des Anhangs II Nr. 1 Abs. 1 Satz 3 GefStoffV spreche dafür, dass lediglich die dort explizit genannten Überdeckungsarbeiten, aber gerade nicht sämtliche Überdeckungsarbeiten, die an Asbestprodukten erfolgten, verboten sein sollen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Anhang XVII Nr. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-VO). Insbesondere liege durch das Belassen des Klebers in der Wohnung keine Verwendung asbesthaltiger Materialien vor, sodass die REACH-VO nicht anwendbar sei.
8Die Klägerinnen beantragen,
9festzustellen, dass sie berechtigt sind, nach Beseitigung von asbesthaltigen Bodenplatten in ihren Wohnungen und den von ihnen verwalteten Wohnungen asbesthaltigen (oder nicht nachgewiesen asbestfreien) Kleberuntergrund in den Wohnungen zu belassen und zu versiegeln bzw. zu überdecken.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen,
12und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Das Versiegeln der asbesthaltigen Kleberrückstände verstoße gegen § 23 des Chemikaliengesetz (ChemG) i.V.m. § 16 Abs. 2 sowie Anhang II Nr. 1 Abs. 1 GefStoffV. Danach seien Arbeiten u.a. an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden verboten; der asbesthaltige Kleber sei über die Verbindung mit den asbesthaltigen Bodenplatten ein Gebäudeteil. Sinn und Zweck der Vorschriften sei es, eine möglichst weitgehende Beseitigung des Stoffes Asbest zu erreichen. Dies werde aber nur erreicht, wenn im Ganzen zurückgebaut bzw. saniert werde. Im Übrigen handele es sich bei den Überdeckungsarbeiten der Klägerinnen nicht um Sanierungsarbeiten, denn sie seien nicht, wie es der Gesetzeszweck fordere, auf die Beseitigung bzw. Verringerung des Gefährdungspotentials gerichtet.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die Klage bleibt ohne Erfolg.
16Sie ist zwar als Feststellungsklage im Sinne von § 43 Abs. 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Zwischen den Beteiligten besteht ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, an dessen baldiger Klärung die Klägerinnen ein berechtigtes Interesse haben, ohne dass sie für die Inanspruchnahme individuellen Rechtsschutzes auf gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorrangige Rechtsmittel verwiesen werden könnten.
17Als feststellungsfähiges Rechtsverhältnis werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Zwischen den Beteiligten des Rechtsverhältnisses muss zudem ein Meinungsstreit bestehen, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt.
18Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 17. September 2018 – 13 A 1328/15 –, juris, m.w.N.
19Ein solches feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt hier vor. Die Beteiligten streiten um Fragen der Anwendbarkeit und Auslegung des § 16 Abs. 2 i.V.m. Nr. 1 des Anhangs II GefStoffV mit Blick auf die durch die Klägerinnen geplanten Arbeiten und die daraus resultierenden Konsequenzen.
20Auch das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, auch wenn die geplanten Überdeckungs- und Versiegelungsarbeiten nicht mehr ausgeführt wurden, obwohl ausdrückliche Untersagungsverfügungen wohl noch nicht ausgesprochen worden sind.
21Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung und des im Ausgangspunkt reaktiv konzipierten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) grundsätzlich nicht vorbeugend ausgestaltet. Ein Abweichen von dieser Grundentscheidung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der nachträgliche Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen für den Betroffenen verbunden wäre. Danach ist für eine in der Hauptsache erhobene vorbeugende Feststellungsklage ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse notwendig. Dieses wäre grundsätzlich zu verneinen, solange die Klägerinnen in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung im Regelfall als angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könnten. Es ist in der Regel zumutbar, Verwaltungsmaßnahmen abzuwarten und anschließend Rechtsmittel hiergegen einzulegen. Ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis ist hingegen zu bejahen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2017 – 13 B 762/17 – sd , juris, m.w.N.
23Letzteres kann insbesondere dann der Fall sein, wenn dem Betroffenen bußgeldrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen drohen, die an die streitigen verwaltungsrechtlichen Zweifelsfragen anknüpfen. Ihm ist es nämlich auch unter Berücksichtigung der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich nicht zumutbar, das Risiko eines derart sanktionsbewehrten Pflichtenverstoßes einzugehen und den Rechtsstreit über dessen Vorliegen erst im Nachhinein "von der Anklagebank“ aus führen zu müssen. Dabei spielt es im Ausgangspunkt keine Rolle, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Bestand, Inhalt und Umfang der streitigen verwaltungsrechtlichen Pflichten für das Strafgericht nicht bindend ist. Schon der Einfluss, den eine für den Betroffenen günstige Entscheidung auf die Beurteilung der strafrechtlichen Schuldfrage oder ordnungswidrig begangenen Handlung ausüben kann, kann das Feststellungsbegehren des Betroffenen rechtfertigen.
24Vgl. zu dieser sog. „Damokles-Rechtsprechung“ etwa: Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbeschluss vom 7. April 2003 – 1 BvR 2129/02 –, juris; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 23. Juni 2016 – 2 C 18.15 –, juris.
25Nach Maßgabe dieser Grundsätze besteht für den von den Klägerinnen begehrten vorbeugenden Rechtsschutz ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse. Denn der Beklagte hat angekündigt, im Falle des Bekanntwerdens der Nichtentfernung und Beschichtung bzw. Überdeckung von asbesthaltigen Kleberrückständen nach erfolgter Plattenbeseitigung Strafanzeige zu erstatten. Sollte es sich dabei um eine verbotene Arbeit im Sinne der Gefahrstoffverordnung handelt, würden sich die Mitarbeiter der Klägerinnen gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 GefStoffV i.V.m. § 27 ChemG strafbar machen.
26Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf die von ihnen begehrte Feststellung. Die geplante Versiegelung des asbesthaltigen Klebers ist vielmehr eine verbotene Tätigkeit im Sinne des Anhangs II Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 GefStoffV, denn es liegt eine Arbeit an asbesthaltigen Gebäudeteilen i.S.d. Norm vor.
27§ 16 Abs. 2 Satz 1 GefStoffV i.V.m. Nr. 1 des Anhangs II GefStoffV Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen sind Arbeiten u.a. an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden verboten. Nach Sätzen 2 und 3 der Vorschrift gilt die Regelung allerdings nicht
28- für Abbrucharbeiten (Ziffer 1),
29- Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten mit Ausnahme von Arbeiten, die zum Abtrag der Oberfläche von Asbestprodukten führen, es sei denn, es handelt sich um emissionsarme Verfahren, die behördlich oder von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt sind, wobei zu den Verfahren, die zum verbotenen Abtrag von asbesthaltigen Oberflächen führen, insbesondere Abschleifen, Druckreinigen, Abbürsten und Bohren zählen (Ziffer 2), und
30- für Tätigkeiten mit messtechnischer Begleitung, die zu einem Abtrag der Oberfläche von Asbestprodukten führen und die notwendigerweise durchgeführt werden müssen, um eine Anerkennung als emissionsarmes Verfahren zu erhalten (Ziffer 3).
31Zu den nach Satz 1 verbotenen Arbeiten zählen nach Satz 4 der Regelung auch Überdeckungs-, Überbauungs- und Aufständerungsarbeiten an Asbestzementdächern und –wandverkleidungen sowie Reinigungs- und Beschichtungsarbeiten an unbeschichteten Asbestzementdächern und –wandverkleidungen.
32Hiervon ausgehend stellt die von den Klägerinnen geplante Überdeckung bzw. Versiegelung asbesthaltiger Kleberreste eine verbotene Tätigkeit an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden dar.
33Die mittels der Klebermasse fest mit dem Estrich verbundenen Bodenplatten sind Teil der baulichen Substanz des jeweiligen Gebäudes – im Gegensatz etwa zu einem lose verlegten Teppich. Es dürfte sich sogar – ohne dass dies für den gefahrstoffrechtlichen Begriff der „Arbeiten an Teilen von Gebäuden" erforderlich erscheint – zivilrechtlich um einen wesentlichen Gebäudebestandteil im Sinne des § 94 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) handeln.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2012 – 14 B 843/12 -, juris.
35Nach der Entfernung der Bodenplatten verbleiben (u.a.) asbesthaltige Kleberreste, die fest mit dem Estrich verbunden sind, so dass auch diesbezüglich ein Gebäudeteil vorliegt.
36Die beabsichtigte Versiegelung der Kleberreste ist auch eine „Arbeit“ an asbesthaltigen Teilen von Gebäuden im Sinne des AnhangesII Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 GefStoffV. Arbeit in diesem Sinne ist jede Tätigkeit an einem asbesthaltigen Produkt.
37Dass die Kleberreste lediglich überdeckt und damit ihrerseits weder verändert noch (weiter) beschädigt werden, ändert nichts daran, dass eine Arbeit an asbesthaltigen Gebäudeteilen vorliegt. Denn zwingende Voraussetzung der Verbotsnorm (mit Ausnahmevorbehalt in Satz 2) ist nicht, dass durch die jeweilige Tätigkeit tatsächlich Asbest freigesetzt wird, d.h. Beschäftigte oder Dritte hierdurch einer konkreten gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt werden; vielmehr genügt der bloße Kontakt zu dem Gefahrstoff.
38Vgl. ebenso: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (OVG LSA), Beschluss vom 11. April 2016 – 3 L 90/15 –, juris.
39Diese Auslegung ergibt sich auch aus Sinn und Zweck der Verordnung, die ihrerseits auf dem Chemikaliengesetz beruht.
40Zweck des Chemikaliengesetzes ist es, den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe wie Asbest zu schützen, insbesondere sie erkennbar zu machen, sie abzuwenden und ihrem Entstehen vorzubeugen (§ 1 ChemG). Die auf diesem Gesetz beruhende Gefahrstoffverordnung verfolgt u.a. das Ziel, durch Maßnahmen Beschäftigte und anderen Personen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 GefStoffV).
41Dieses Schutzes bedarf es auch und gerade bei dem hier maßgeblichen Gefahrstoff Asbest. Er wurde in der Vergangenheit wegen seiner zahlreichen praktischen Eigenschaften in einer Vielzahl von Baustoffen verwendet. Denn das faserige Mineral ist extrem witterungs-, säure- und hitzebeständig, sehr langlebig und stabil und lässt sich leicht mit anderen Materialien mischen. Erst als endgültig die gesundheitsschädliche und krebserregende Wirkung des Stoffes nachgewiesen wurde, wurde Asbest im Jahr 1993 in Deutschland vollständig verboten. Doch zahlreiche Asbestprodukte wie Bodenbeläge, Isolier- oder Dachplatten bis heute noch vorhanden. Asbest kann immer dann gefährlich werden, wenn seine Fasern freigesetzt werden und potentiell in die Atemluft gelangen können. Setzen sich Asbestfasern in der Lunge fest, können daraus Krankheiten wie Asbestose resultieren, in deren Folge Lungen-, Kehlkopf- oder Brustfellkrebs entstehen können. Bei verbauten Asbestprodukten kann eine Freisetzung dadurch geschehen, dass sie durch Witterung oder Alter abnutzen, bei Renovierungs- oder Instandhaltungsarbeiten entfernt oder besonderen Beanspruchungen ausgesetzt werden. Zu einer außergewöhnlich hohen Freisetzung von Asbestfasern kann es insbesondere kommen, wenn asbesthaltige Produkte mechanisch bearbeitet (etwa durch Bohren, Sägen oder Brechen) oder nicht sachgerecht ausgebaut und entsorgt werden. Hiernach ist es gerechtfertigt, ein grundsätzliches Verbot der Arbeiten an Asbest zu normieren.
42Diese Sicht wird bei historischer Auslegung bestätigt. Aus den Entstehungsmaterialien der Gefahrstoffverordnung ergibt sich, dass hiervon ausgehend ursprünglich allein ein Verbot solcher Arbeiten (mit Ausnahme von Abbruch- und Sanierungsarbeiten) an asbesthaltigen Gebäudeteilen beabsichtigt war, bei denen eine „Gefährdung durch Exposition gegenüber Asbestfasern nicht auszuschließen“ war (Bundesrats-Drucksache – BR-Drs. – 456/10, S. 56). Hiervon rückte der Verordnungsgeber nach Beratung in den Ausschüssen indes ab und normierte ein im Ausgangspunkt uneingeschränktes Verbot von Arbeiten an asbesthaltigen Teilen (u.a.) von Gebäuden. Zur Begründung ist in den „Empfehlungen der Ausschüsse“ ausdrücklich u.a. ausgeführt (BR-Drs. 456/1/10, S. 14):
43„Insbesondere soll nicht … das Verwendungsverbot von der Besorgnis einer Exposition abhängig gemacht werden. Die notwendige Prüfung … würde zu erheblichem Verwaltungsaufwand führen. Die mit dieser Bedingung verbundene Einschränkung des Verwendungsverbots würde zudem die dauerhafte weitere Nutzung asbesthaltiger Produkte fördern, statt ein Signal für den mittelfristigen Austausch derartiger Materialien zu setzen.“
44Auch daran wird deutlich, dass für den Verordnungsgeber die abstrakte Gefährlichkeit des Gefahrstoffes Asbest für die Anordnung eines grundsätzlichen Verbots der Arbeiten an diesem Gefahrstoff ausreichend war und die Feststellung einer konkreten Gefährdung durch Exposition von Asbestfasern hierfür gerade nicht erforderlich sein sollte. Dementsprechend erfasst das Verbot nach Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 GefStoffV jegliche Arbeit an einem asbesthaltigen Gebäudeteil, wie sie auch vorliegend beabsichtigt ist.
45Hieran anknüpfend ist auch der Einwand unerheblich, der Asbest sei im Kleber fest gebunden und könne daher nicht durch die Überdeckungsarbeiten freigesetzt werden. Die vom Verordnungsgeber (zu Recht) angenommene abstrakte Gefährdung von Beschäftigten oder anderen Personen besteht bereits bei Arbeiten im unmittelbaren Gefährdungsbereich des Gefahrstoffes, wie es bei dem Einschließen bzw. Überdecken der Kleberreste der Fall ist.
46Eine Ausnahme von dem demnach auch vorliegend greifenden grundsätzlichen Verbot von Arbeiten an asbesthaltigen Gebäudeteilen ist nicht gegeben. Die Versiegelung und Überdeckung des asbesthaltigen Klebers ist keine Abbruch-, Sanierungs- oder Instandsetzungsarbeit i.S.d. Anhangs II Nr. 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GefStoffV (eine Tätigkeit mit messtechnischer Begleitung scheidet von vornherein aus).
47Abbrucharbeiten betreffen ihrer Bezeichnung entsprechend das vollständige Abbrechen („Rückbau“) bzw. Entfernen baulicher Anlagen oder von Teilen von ihnen. Das ist hier lediglich in Bezug auf die Vinyl-Asbest-Platten gegeben. Das Versiegeln bzw. Überdecken des asbesthaltigen Klebers stellt aber gerade keine Entfernung desselben dar, sodass eine Abbrucharbeit insoweit schon deshalb nicht gegeben ist.
48Die Versiegelung von Kleberresten kann ebenso wenig als Instandhaltungsarbeit qualifiziert werden. Hierunter sind Maßnahmen zur Bewahrung des Sollzustandes (Wartung), zur Feststellung und Beurteilung des Ist-Zustandes (Inspektion) und zur Wiederherstellung des Soll-Zustandes (Instandsetzung) zu verstehen. Darauf sind die streitgegenständlichen Arbeiten ersichtlich nicht angelegt.
49Es handelt sich aber auch nicht um Sanierungsarbeiten i.S.d. Anhangs II Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 GefStoffV. Von solchen kann, angesichts der dargelegten Intention des Verordnungsgebers, mittelfristig asbesthaltige Produkte zu beseitigen, regelmäßig nur dann ausgegangen werden, wenn die Arbeiten zum Ziel haben, asbesthaltige Materialien aus der Gebäudesubstanz zu entfernen und gegebenenfalls durch asbestfreie Materialien zu ersetzen. Nur eine solche auf Beseitigung des Gefährdungspotenzials ausgerichtete Tätigkeit könnte einen Umgang mit dem asbestbelasteten Gefahrstoff und die damit im Zusammenhang stehende abstrakte Gefährdung von Beschäftigten oder anderen Personen rechtfertigen.
50Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 11. April 2016, a.a.O.
51Danach kann bei isolierter Betrachtung der Entfernung der asbesthaltigen Bodenplatten (mit deren anschließender Entsorgung sowie dem nachfolgenden Austausch gegen einen anderen unbedenklichen Bodenbelag) allenfalls eine Teil-Sanierung angenommen werden, nicht hingegen hinsichtlich der hier jedoch allein maßgeblichen Arbeiten an den asbesthaltigen Kleberresten. Diese Reste sollen vielmehr dauerhaft in den Wohnungen belassen und lediglich überdeckt werden. Das ist schon dem Wortsinn nach keine „Sanierung“ mit dem Ziel der Beseitigung des von dem asbesthaltigen Kleber ausgehenden Gefährdungspotentials. Dieses bleibt ungeachtet einer Beschichtung oder Überbauung unverändert bestehen. So kann gerade nicht ausgeschlossen werden, dass – etwa infolge denkbarer Veräußerungen der Wohnungen in den Folgejahren – die Existenz der asbesthaltigen Klebermasse nach Versiegelung und Überdeckung mit einem neuen Bodenbelag „aus dem Blick“ und in Vergessenheit gerät mit der Folge, dass es bei späteren Arbeiten an den Gebäuden oder gar einem Abriss derselben zu Gefahren im Sinne einer unbeabsichtigten und unerkannten Freisetzung von Asbestfasern kommen könnte. Das liefe auf eine Prolongation der Problemlage hinaus und dem Verordnungszweck eindeutig zuwider.
52Im Übrigen wäre, selbst wenn man dennoch im Ausgangspunkt von einer Sanierungsmaßnahme ausginge, diese nicht erlaubt. Denn der Umgang mit den Kleberresten kann gerade nicht isoliert von den übrigen Arbeitsschritten, insbesondere dem Entfernen der Bodenplatten, betrachtet werden. Infolge dieses Entfernens wird nämlich die Klebermasse, die ursprünglich sowohl mit den Platten als auch mit dem Estrich fest verbunden war, in ihrer Substanz verletzt, was schon daran deutlich wird, dass regelmäßig sowohl an den zu entsorgenden Bodenplatten als auch am Estrich Reste der Klebermasse verbleiben.
53Dementsprechend geht mit den Arbeiten ein zumindest teilweiser Abtrag der Oberfläche der asbesthaltigen Klebermasse i.S.v. Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 GefStoffV einher, was in jedem Fall zum Verbot der Tätigkeit führt. Nach dieser Regelung zählen zu den Arbeiten, die zu einem Abtrag der Oberfläche von Asbestprodukten führen, „insbesondere“ Tätigkeiten wie Abschleifen, Druckreinigen, Abbürsten und Bohren. Sie enthält dementsprechend keine abschließende Aufzählung, sondern verdeutlicht vielmehr, dass sämtliche Arbeiten verboten sind, die mit einer Substanzverletzung eines Asbestproduktes (das im Zuge der „Sanierungs“Arbeiten nicht vollständig entfernt werden soll) einhergehen und so zu einer Freisetzung von Asbestfasern und damit einer konkreten Gefährdung führen können, verboten sind, sofern es nicht um die Anwendung emissionsarmer Verfahren geht, die behördlich oder von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt sind. Letzteres ist hier ersichtlich nicht der Fall. Dementsprechend stellen die von den Klägerinnen beabsichtigten Überdeckungs- bzw. Versiegelungsarbeiten in keinem Fall erlaubte Sanierungsarbeiten i.S.v. Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 2 GefStoffV dar.
54Kommt mithin weder bei einer isolierten Betrachtung der beabsichtigten Versiegelung der Kleberreste noch bei einer Gesamtschau aller zusammenhängenden Arbeiten eine Ausnahme i.S.v. Anhang II Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 GefStoffV in Betracht, ist unbedeutend, dass es keine Rechtspflicht zum Entfernen asbesthaltiger Materialien gibt. Maßgeblich ist allein, dass die Klägerinnen Arbeiten an solchen Produkten beabsichtigen.
55Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht mit Blick auf Satz 4 der Regelung gerechtfertigt. Die Vorschrift erlaubt nicht den von den Klägerinnen gezogenen Schluss, alle darin nicht erwähnten Überdeckungsarbeiten seien nicht verboten.
56Schon dem Wortlaut nach hat der Verordnungsgeber in Satz 4 der Vorschrift durch die Verwendung des Wortes „auch“ mit Bezug auf die generelle Verbotsnorm des Satz 1 der Vorschrift lediglich beispielhaft verbotene Arbeiten an bestimmten asbesthaltigen Gebäudeteilen hervorgehoben, damit aber nicht ansatzweise zu erkennen gegeben, dass andere Überdeckungsarbeiten entgegen dem generellen Verbot nach Satz 1 der Regelung von Arbeiten u.a. an asbesthaltigen Gebäudeteilen erlaubt sein sollen.
57Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 11. April 2016, a.a.O.
58Es kann offen bleiben, warum ein Bedürfnis gesehen wurde, Arbeiten an Asbestzementdächern und Wandverkleidungen ausdrücklich beispielhaft aufzuzählen. Soweit z.T. angenommen wird, dies sei der Häufigkeit ihres Aufkommens im Bundesgebiet geschuldet gewesen,
59vgl. OVG LSA, Beschluss vom 11. April 2016, a.a.O.,
60fehlt es hierfür an einer schlüssigen Begründung. Das kann letztlich aber auch auf sich beruhen. Zumindest kann ein Wille des Verordnungsgebers, andere Über- deckungen asbesthaltiger Produkte vom Verbot ausnehmen zu wollen (noch dazu auch solche, die zu einem Oberflächenabtrag führen), weder dem Wortlaut der Regelung noch der Entstehungsgeschichte der Gefahrstoffverordnung oder ihrem Sinn und Zweck auch nur ansatzweise entnommen werden.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.