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Zur Vertretungsbefugnis der Eltern eines minderjährigen Asylantragstellers.
Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 4 K 3428/24.A erhobenen Klage des Antragstellers zu 1. gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Dezember 2024 wird angeordnet.
Die Anträge der Antragsteller zu 2. bis 5. werden abgelehnt.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Antragsteller zu 2. bis 5. und die Antragsgegnerin zu jeweils 1/5.
Gründe:
2I. Der Einzelrichter legt den einstweiligen Rechtschutzantrag, mit dem die Antragsteller um „Abschiebeschutz“ bitten, unter Berücksichtigung des erkennbaren Antragsbegehrens (§§ 88, 122 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) dahingehend aus, dass sie beantragen,
3die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 4 K 3428/24.A erhobenen Klage gleichen Rubrums gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Dezember 2024 anzuordnen.
4II. Der so verstandene Antrag hat nur hinsichtlich des Antragstellers zu 1. Erfolg.
51. Er ist nur teilweise zulässig.
6a. Der Antrag des Antragstellers zu 1. ist zulässig, insbesondere hat er ihn am 18. Dezember 2024 innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) gestellt. Der Bescheid wurde den Antragstellern zu 1. und 2. ausweislich der dem Verwaltungsvorgang beigefügten Postzustellungsurkunde am 14. Dezember 2024 durch Einwurf in den zu ihrer Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.
7b. Demgegenüber ist der Antrag der Antragstellerin zu 2. unzulässig. Er wurde nicht schriftlich i. S. d. § 81 Abs. 1 VwGO gestellt. Das entsprechende Erfordernis soll gewährleisten, dass dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie herrührt, mit hinreichender Sicherheit entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen des Urhebers dem Gericht zugeleitet worden ist. Grundsätzlich ausreichend ist, wenn der jeweilige Antragsteller die Antragsschrift eigenhändig unterschrieben hat.
8Vgl. Hoppe, in: Eyermann (Begr.), VwGO, 16. Aufl. 2022, § 81 Rn. 3a.
9Die Antragstellerin zu 2. hat im eigenen Namen keine schriftliche Prozesserklärung abgegeben. Die Antragsschrift wurde nur vom Antragsteller zu 1. unterzeichnet. Anhaltspunkte, die darauf schließen ließen, dass sie auch mit Wissen und Wollen der Antragstellerin zu 2. in den Rechtsverkehr gelangt ist, liegen nicht vor.
10Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1. als Bevollmächtigter der Antragstellerin zu 2. aufgetreten ist. Er hat insbesondere bislang keine entsprechende schriftliche Prozessvollmacht vorgelegt. Nach § 67 Abs. 6 VwGO ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen, wobei die Fristbestimmung keine zwingende Voraussetzung für ein Prozessurteil ist, solange keine Überraschungsentscheidung getroffen wird.
11Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Januar 1985 - 9 C 105.84 - juris, Rn. 8 f.; Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 19. Dezember 2013 - 16 B 1385/13 -, juris, Rn. 17.
12Von einer Überraschungsentscheidung ist vorliegend nicht auszugehen, nachdem der Einzelrichter mit Verfügung vom 19. Dezember 2024 darauf hingewiesen hat, dass die Antragsschrift nur durch den Antragsteller zu 1. unterzeichnet wurde.
13c. Auch die Anträge der Antragsteller zu 3. bis 5. sind unzulässig. Sie haben im eigenen Namen keine Erklärungen abgegeben. Die Antragstellung erfolgte vielmehr durch ihren Vater, den Antragsteller zu 1. Anhaltspunkte dafür, dass diese Prozesserklärung auch vom Willen ihrer Mutter, der Antragstellerin zu 2., getragen ist, liegen nicht vor. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorstehenden Ausführungen zur Zulässigkeit deren Antrags verwiesen werden.
14Der Antragsteller zu 1. war nicht berechtigt, die Antragsteller zu 3. bis 5. alleine zu vertreten.
15Dazu bedarf es keiner Feststellungen dazu, ob sich eine alleinige Vertretungsbefugnis des Antragstellers zu 1. aus afghanischem Recht ergibt, wofür nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnismitteln allerdings einiges spricht.
16Vgl. dazu: ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 27. Juli 2018: Regeln für Obsorge, Adoption bei Waisen.
17Denn die Vertretungsbefugnis im vorliegenden Fall richtet sich nicht ausschließlich nach afghanischem Recht.
18Nach Art. 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) bestimmt sich das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat nach den Art. 3 ff. EGBGB, soweit nicht unmittelbar anwendbare Regelungen der Europäischen Union oder Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, maßgeblich sind. Als völkerrechtliche Vereinbarung im letztgenannten Sinne ist das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kinderschutzübereinkommen - KSÜ -) zu beachten, das für Deutschland am 1. Januar 2011 (BGBl. II 2010 S. 1527) in Kraft getreten ist.
19Vgl. den Text auf der Internetseite des Bundesministeriums des Innern, abrufbar unter: https://www.personenstandsrecht.de/Webs/PERS/DE/uebereinkommen/_documents/haager-uebereinkommen/ue05.html.
20Das KSÜ ist im vorliegenden Fall anwendbar. Nach Art. 2 KSÜ ist das Übereinkommen auf Kinder von ihrer Geburt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs anzuwenden. Der Ausschlusstatbestand nach Art. 4 lit. j („Entscheidungen über Asylrecht und Einwanderung“) greift nicht ein, da er sich nicht auf die Vorfrage hinsichtlich der Vertretung des Kindes in einem Asyl- oder Aufenthaltsgenehmigungsverfahren bezieht.
21Vgl. Markwardt, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BeckOGK, KSÜ Art. 4 Rn. 16, Stand: 1. Dezember 2024; Benicke, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack (Hrsg.), BGB Allgemeiner Teil / EGBGB, 4. Aufl. 2021, KSÜ Art. 4 Rn. 2.
22Regelungsgegenstand des KSÜ ist auch die „elterliche Verantwortung“. Gemeint ist damit gemäß Art. 1 Abs. 2 KSÜ die elterliche Sorge und jedes andere entsprechende Sorgeverhältnis, das die Rechte, Befugnisse und Pflichten der Eltern, des Vormunds oder eines anderen gesetzlichen Vertreters in Bezug auf die Person oder das Vermögen des Kindes bestimmt. Die Vertretungsbefugnis ist mithin der elterlichen Verantwortung i. S. d. Art. 16 KSÜ zuzurechnen.
23Nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ bestimmt sich die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Nach Art. 20 KSÜ ist das entsprechende Kapitel des KSÜ auch anzuwenden, wenn das darin bestimmte Recht das eines Nichtvertragsstaats ist.
24Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in einen anderen Staat besteht die elterliche Verantwortung nach dem Recht des Staates des - früheren - gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes fort, Abs. 3. Nach Art. 16 Abs. 4 KSÜ bestimmt sich in diesen Fällen die Zuweisung der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes an eine Person, die diese Verantwortung nicht bereits hat, nach dem Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts. Hatte nach dem zunächst anwendbaren Recht nur ein Elternteil die elterliche Sorge inne und liegt sie nach dem nunmehr anwendbaren Recht bei dem anderen Elternteil oder bei beiden, wird aus der Alleinsorge der Mutter bzw. des Vaters dann eine Mitsorge des anderen Elternteils.
25Vgl. Paul Lagarde, Erläuternder Bericht zum KSÜ, abrufbar bei: Markwardt, a.a.O., KSÜ Art. 1 Rn. 2.110 f.; Markwardt, ebenda, KSÜ Art. 16 Rn. 27, Stand: 1. Dezember 2024; Benicke, a.a.O., KSÜ Art. 16 Rn. 5; in diesem Sinne auch: Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 6. März 2023 - 1 UF 35/23 -, juris, Rn. 41; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Januar 2018 - 18 UF 185/17 -, juris, Rn. 25.
26Der gewöhnliche Aufenthalt eines Kindes erfordert eine gewisse Integration in ein soziales und familiäres Umfeld, die unter Berücksichtigung der Kriterien wie Dauer, Regelmäßigkeit, Umstände und Gründe des Aufenthalts sowie sozialer und familiärer Bindungen, sowohl der Kinder als auch der Eltern, zu ermitteln ist.
27Vgl. Markwardt, a.a.O., KSÜ Art. 16 Rn. 14, Stand: 1. Dezember 2024; ähnlich auch: Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 10. Januar 2019 - 5 K 1863/17.A -, juris, Rn. 34.
28Unter Berücksichtigung dieser Kriterien besteht jedenfalls auch eine Mitsorgeberechtigung der Antragstellerin zu 2. als der Mutter der Antragsteller zu 3. bis 5. Diese ist ungeachtet aller sonstigen Zweifelsfragen zur Sorgeberechtigung in Afghanistan oder Spanien jedenfalls dadurch entstanden, dass die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in das Bundesgebiet verlegt haben. So halten sie sich bereits seit Beginn des Jahres 2023 im Bundesgebiet auf, da sie davon ausgehen, dass sie sowohl in Afghanistan als auch in Spanien in eine menschenrechtswidrige Lage versetzt würden.
29Das damit jedenfalls auch anwendbare deutsche Recht sieht in §§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB vor, dass Minderjährige grundsätzlich von ihren - hier nach Aktenlage miteinander verheirateten - Eltern gemeinschaftlich vertreten werden.
302. Der zulässige Antrag des Antragstellers zu 1. ist begründet.
31Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der Kammer, vgl. Urteil vom 21. März 2024 - 4 K 2565/23.A -, juris, ist zweifelhaft, ob der Antragsteller zu 1. bei einer Rückkehr nach Spanien in der Lage sein wird, seinen notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er die im spanischen Asylsystem vorgesehene Integrationsphase, während der Antragsteller in abnehmende Umfang finanziell und sachlich unterstützt werden, bereits durchlaufen haben dürfte. Ausweislich des dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden EURODAC-Ergebnisses stellte er bereits am 23. September 2021 in Spanien einen Asylantrag und hielt sich anschließend mit den Antragstellern rund 17 Monate dort auf, bis die Leistungen - nach seinen Angaben im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt - eingestellt worden seien. Weiter ist zu berücksichtigen, dass bei der erforderlichen Rückkehrprognose der Bedarf der zur Kernfamilie des Antragstellers zu 1. zu zählenden Antragsteller zu 2. bis 5. ebenfalls zu berücksichtigen ist.
32III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
33Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.