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Die Beklagte wird verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers um Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Klägervor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger begehrt die Zulassung zum Einstellungsverfahren für den mittleren Polizeivollzugsdienst; die Ablehnung erfolgte wegen gesundheitlicher Nichteignung (Gendefekt).
3Er bewarb sich am 19. Juni 2022 bei der Bundespolizeiakademie. In der Anlage 6 zur Bewerbung gab der Kläger zu seiner medizinischen Vorgeschichte an, dass er in kieferorthopädischer Behandlung gestanden habe. Als Erkrankungen gab er eine Gehirnerschütterung im Jahr 2011 sowie einen Armbruch im Jahr 2017 an. Als Operationen wurde „März 2022: Weisheitszähne, 2009: Polypen“ festgehalten.
4Am 24. Oktober 2022 erfolgte eine körperliche Untersuchung des Klägers bei der Beklagten. Im Anamnesebogen gab der Kläger an, dass bei ihm eine heterozygote Faktor V Leiden Mutation festgestellt worden sei. Nach Auswertung nachgeforderter Unterlagen wurde der Kläger als polizeidienstuntauglich eingestuft, er leide an einer Krankheit des Blutes nach 2.2.1 PDV 300.
5Mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 wurde der Kläger vom Polizeiärztlichen Dienst über seine Polizeidienstuntauglichkeit informiert. Über seine Bewerbung entscheide das Dezernat 4.
6Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19. Dezember 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er polizeidienstuntauglich sei und nicht in den Polizeivollzugsdienst eingestellt werden könne.
7Mit Schreiben vom 25. Dezember 2022 legte der Kläger vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2022 ein. Er führte aus, der polizeiärztliche Dienst habe sich mit seinem Gesundheitszustand nicht im Einzelnen auseinandergesetzt, sondern nur auf den Arztbericht der Uniklinik verwiesen. Der bloße Verweis auf die PDV 300 reiche nicht aus. Ausweislich des Arztberichts der Uniklinik vom 29. November 2022 habe es bei ihm anamnestisch bisher keine thrombotischen/thromboembolischen Ereignisse gegeben. Mithin seien aktuelle Einschränkungen nicht ersichtlich, die theoretische bzw. abstrakte Möglichkeit könne nicht ausreichen, um ihm seine gesundheitliche Eignung abzusprechen. Da die Erkrankung unter das Gendiagnostikgesetz falle, dürfe sie auch nicht nachteilig berücksichtigt werden. Es seien aber auch nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an eine qualifizierte Untersuchung berücksichtigt worden. Eine prognostische Beurteilung habe nicht stattgefunden. Rechtsirrig werde die PDV 300 für bindend gehalten.
8In ihrer Stellungnahme vom 26. April 2023 führte die Polizeiärztin aus, dass sich aus einem Attest der Uniklinik vom 29. November 2022 ergebe, dass das Thromboserisiko beim Kläger um das fünf- bis sechsfache erhöht sei. Eine Thromboseprophylaxe sei bei Immobilisierung empfohlen worden. Immobilisierungen seien im Polizeidienst aber durchaus gegeben. Beispielsweise bei mehrstündigen Transporten mit vollbesetzen Kleinbusses zum Einsatzort, Einsatztraining im Sinne der Nahkampfausbildung mit häufigen Blessuren aller Art, langem Stehen bei Kontrollen der Flughafenpassagiere, Demonstrationseinsätzen oder der Begleitung von Fußballfans in überfüllten Zügen oder bei Passkontrollen am Flughafen. In all diesen Situationen sei der Beamte nicht selbstbestimmt. Eine prophylaktische Therapie mit Gerinnungshemmern führe im Rahmen von Auseinandersetzungen zu einer erhöhten Blutungsgefahr und sei ebenfalls aus Fürsorgegründen nicht hinnehmbar.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2023 lehnte der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit der Begründung ab, das Merkmal Nr. 2.2.1.- Gerinnungsstörungen, mit Blutungs- oder Thromboserisiko- der PDV 300 sei erfüllt. Aufgrund des nachgereichten Befundberichtes der Uniklinik vom 29. November 2022, der ein fünf- bis sechsfaches Thromboserisiko attestiere, sowie eine Thromboseprophylaxe bei Immobilisierung empfehle, sei die Polizeidienstuntauglichkeit ausgesprochen worden. Auf die Stellungnahme der Polizeiärztin vom 26. April 2023 werde verwiesen. Außerdem sei der Kläger charakterlich ungeeignet, da er im Bewerbungsbogen nicht angegeben habe, an einer Bluterkrankung zu leiden. Erst im Anamnesebogen zur polizeiärztlichen Auswahluntersuchung habe der Polizeiärztliche Dienst Kenntnis von der Erkrankung erhalten.
10Der Kläger hat am 5. Juni 2023 Klage erhoben.
11Er verweist zur Klagebegründung auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren und führt ergänzend aus, er habe die Erkrankung nicht verschwiegen, im Zeitpunkt des Ausfüllens des ersten Formbogens sei er erst 15 Jahre alt und zum Zeitpunkt der Diagnostik fünf Jahre alt gewesen. Da das Faktor V Leiden nicht behandlungsbedürftig sei, sei ihm das Vorliegen einer Erkrankung nicht bewusst gewesen. Der Anamnesebogen sei ihm und seiner Mutter vor der polizeiärztlichen Untersuchung ausgehändigt worden, also am Ende des Auswahlverfahrens. Erst anlässlich des Ausfüllens des Bogens sei seine Mutter unsicher gewesen, ob das Faktor V Leiden eine „Erkrankung des Blutes“ sein könnte, und habe das Leiden angegeben. Hätte er etwas verschweigen wollen, hätte er die Disposition bei lebensnaher Betrachtung auch hier nicht angegeben.
12Der Kläger beantragt sinngemäß,
13die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Dezember 2022 zu verpflichten, über seine Bewerbung um Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie trägt vor, dass eine Einzelfallbetrachtung durch die Polizeiärztin erfolgt sei. Der Kläger sei umfangreich untersucht worden, die Auswirkungen der Erkrankung auf den Polizeiberuf seien dargestellt worden. Der Kläger sei bereits aktuell polizeidienstuntauglich, daher sei keine Prognose zu erstellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine vorzeitige Dienstunfähigkeit eintreten werde. Der Kläger sei auch charakterlich für den Polizeivollzugsdienst nicht geeignet. Er habe den Bewerbungsbogen nicht wahrheitsgemäß ausgefüllt, denn er habe unter Erkrankungen nicht die Faktor V Mutation angegeben. Zumindest habe er den Bewerbungsbogen nicht mit der gebotenen Sorgfalt ausgefüllt. Auf der Internetseite der Bundespolizei sei das Informationsblatt zur polizeiärztlichen Untersuchung einsehbar. Dort finde sich die Faktor V Mutation als Beispiel für einen Ausschlussgrund. Selbst wenn der Kläger nicht bewusst seine Erkrankung verschwiegen habe, könnten aus der fahrlässigen Falschangabe Rückschlüsse gezogen werden.
17In einer weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 9. Januar 2024 führt die Polizeiärztin aus, dass beim Kläger nicht nur eine Faktor V Mutation vorliege, sondern auch ein hereditärer Mangel an Protein S. Er liege mit dem Wert von 69 unmittelbar an der Grenze zur pathologischen Auffälligkeit (70-120 Normwert). In Kombination mit der Faktor V Mutation bedeute das für die Träger ein besonders hohes Thromboserisiko. Es sei nachgewiesen, dass die Träger im jugendlichen Alter symptomatisch werden würden. Die Thrombosen würden in etwa 40 % der Fälle durch exogene Risikofaktoren ausgelöst. Das Berufsbild des Bundespolizisten umfasse eine Fülle von Tätigkeiten und Verrichtungen, die für den Kläger Risikofaktoren darstellen und zur Bildung einer tiefen Beinvenenthrombose führen könnten. Zur Prophylaxe würden Gerinnungshemmer eingesetzt. Dies sei beim Kläger aber kontraproduktiv, da er bei seiner Tätigkeit als Bundespolizist einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt sei.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
19Entscheidungsgründe
20Die zulässige Klage hat Erfolg; sie ist begründet.
21Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass über seine Bewerbung um Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden wird; der Bescheid vom 19. Dezember 2022 ist rechtswidrig (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
22Es ist der Beklagten verwehrt, unter Bezugnahme auf das Vorliegen eines nicht ausräumbaren Einstellungshindernisses wegen seines Faktor V Leidens auch von einer Einstellung des Klägers in folgenden Einstellungsterminen abzusehen.
23Die Grundsätze des Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. § 9 BBG begründen grundrechtsgleiche Rechte der Bewerber auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl,
24vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 -, juris, Rn. 10,
25und beinhalten auch einen Anspruch auf Fortführung des Auswahlverfahrens, wenn dieses zu Unrecht eingestellt worden ist.
26Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Diese Vorschrift gewährt keinen unbedingten Einstellungsanspruch. Sie vermittelt dem Bewerber jedoch ein grundrechtsgleiches Recht darauf, dass über seinen Antrag auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nur nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entschieden wird.
27Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Mai 2013 - 2 BvR 462/13 ‑, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - 6 B 998/13 -, juris, Rn. 10.
28Die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst bzw. in den Vorbereitungsdienst geht mit der Ernennung zum Beamten auf Widerruf einher. Nach Art. 33 Abs. 2 GG und nach § 9 BBG, sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Geeignet in diesem Sinne ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Bei der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Er kann nicht in den Leistungsvergleich der Bewerber um die zur Vergabe stehenden Ämter einbezogen werden.
29Zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung müssen die körperlichen und psychischen Veranlagungen des Bewerbers festgestellt und deren Auswirkungen auf sein Leistungsvermögen bestimmt werden. Diese Beurteilungsvorgänge erfordern in aller Regel besondere medizinische Sachkunde, über die nur ein Arzt verfügt. Die Notwendigkeit, einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für das gesundheitliche Eignungsurteil übertragen werden darf. Vielmehr wird der Arzt als Sachverständiger tätig, auf dessen Hilfe der Dienstherr angewiesen ist, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 10 ff.; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 67 ff.
31Es obliegt dem Dienstherrn, die körperlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn zu bestimmen. Hierbei steht ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu, bei dessen Wahrnehmung er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn zu orientieren hat. Diese Vorgaben bilden den Maßstab, an dem die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit der Bewerber zu messen ist. Auf dieser Grundlage muss festgestellt werden, ob ein Bewerber, dessen Leistungsfähigkeit gemindert ist, den Anforderungen gewachsen ist, die die Ämter einer Laufbahn für die Dienstausübung stellen. Die gesundheitliche Eignung eines im Zeitpunkt der Einstellungsuntersuchung dienstfähigen Beamtenbewerbers kann im Hinblick auf die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder eine chronische Erkrankung mit progredientem Verlauf verneint werden.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 12 ff.; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 69 ff.
33Der Ausschluss des Zugangs zum Beamtenverhältnis aus gesundheitlichen Gründen ungeachtet der fachlichen Eignung stellt eine Einschränkung der durch Art. 33 Abs. 2 GG geschützten Zugangsmöglichkeit dar, die einer subjektiven Berufswahlschranke im Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG entspricht. Die gegenwärtig vorhandene gesundheitliche Eignung kann daher wegen künftiger Entwicklungen nur verneint werden, wenn durch tatsächliche Anhaltspunkte belegt werden kann, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 16 ff.; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 77 ff.
35Der letztgenannte Maßstab bezieht sich jedoch allein auf Bewerber, deren gesundheitliche Eignung im Zeitpunkt der Einstellungsuntersuchung vorhanden ist. Diese Fallkonstellation setzt damit eine zunächst vorhandene bzw. aktuelle gesundheitliche Eignung des Bewerbers gerade voraus.
36Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2017 - 2 VR 2.17 -, juris, Rn. 14.
37Dabei trägt der Einstellungsbewerber die materielle Beweislast für die erforderliche Eignung, und daher auch für die gesundheitliche Eignung. Er ist mit dem Risiko der Nichterweislichkeit seiner gesundheitlichen Eignung belastet.
38Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2017 - 2 VR 2.17 -, juris, Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 14. April 2022 - 6 B 50/22 -, juris, Rn. 9.
39Die Verwaltungsgerichte haben über die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein; diesem steht insoweit kein Beurteilungsspielraum zu. Der Spielraum des Dienstherrn bei der Bestimmung der gesundheitlichen Anforderungen für eine Laufbahn rechtfertigt keine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei der Beurteilung der daran anknüpfenden gesundheitlichen Eignung. Dabei ist der Gesundheitszustand des Beamtenbewerbers in Bezug zu den Anforderungen der Beamtenlaufbahn zu setzen. Es ist zu beurteilen, ob der Bewerber (gegenwärtig) den Anforderungen genügt oder ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich daran bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze mit überwiegender Wahrscheinlichkeit etwas ändert.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 12.11 -, juris, Rn. 24 ff.; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 89 ff., und Beschluss vom 15. September 2022 - 6 B 994/22 -, juris, Rn. 21.
41Diese Grundsätze gelten für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung eines Bewerbers um die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst bzw. in den Vorbereitungsdienst für den mittleren Polizeivollzugsdienst entsprechend. Allerdings ist zu beachten, dass die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst die gesundheitliche Eignung in Form der Polizeidiensttauglichkeit voraussetzt, die nicht mit der Polizeidienstfähigkeit gleichzusetzen ist. Während die Polizeidiensttauglichkeit "die gesundheitliche Eignung für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst" betrifft, bezeichnet die Polizeidienstfähigkeit die "gesundheitliche Fähigkeit, Polizeivollzugsdienst zu leisten" (vgl. Nr. 1.2 PDV 300 "Ärztliche Beurteilung der Polizeidienst-tauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit" - Ausgabe 2012). Daran anknüpfend ergeben sich unterschiedliche Voraussetzungen für die Annahme der - zudem von der allgemeinen Dienstfähigkeit abzugrenzenden - Polizeidienstfähigkeit einerseits und der Polizeidiensttauglichkeit andererseits.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 93.
43Für die Bejahung der Polizeidienstfähigkeit reicht es nicht aus, dass der Beamte allgemein dienstfähig, also aktuell - gegebenenfalls auch trotz vorliegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen - in der Lage ist, die ihm obliegenden Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen. Maßstab der Polizeidienstfähigkeit ist nicht das abstrakt-funktionelle Amt eines Polizeivollzugsbeamten bei seiner Beschäftigungsbehörde, sondern sind sämtliche Ämter der Laufbahn des Polizeivollzugsdienstes. Der Polizeivollzugsbeamte muss zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht. Genügt er den damit einhergehenden gesundheitlichen Anforderungen nicht, ist er polizeidienstunfähig. Dies ist der Fall, wenn ein Polizeivollzugsbeamter nur über eine verminderte körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit oder eine verminderte seelische Belastbarkeit verfügt, aufgrund derer er nur eingeschränkt einsetzbar ist, aber auch dann, wenn die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes wegen seiner individuellen Konstitution mit einem deutlich erhöhten Verletzungs- oder sonstigen Gesundheitsrisiko einherginge. Denn dann ist der Dienstherr aufgrund seiner Fürsorgepflicht (vgl. § 78 BBG) gehalten, den Betroffenen vor vermeidbaren Risiken zu schützen, indem er ihn in dem in Rede stehenden Aufgabenbereich möglichst nicht einsetzt.
44Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 95 ff. m. w. N.
45Die Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit eines Bewerbers um die Einstellung in den mittleren Dienst hat sich demgegenüber nicht nur auf den Einstellungstermin, sondern auch auf die künftige Tätigkeit im Polizeivollzugsdienst zu beziehen. Ist der Bewerber jedoch bereits im Zeitpunkt der beabsichtigten Einstellung polizeidienstunfähig, darf er mangels Polizeidiensttauglichkeit nicht eingestellt werden.
46Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 98.
47Da der Polizeivollzugsdienst Tätigkeiten mit sich bringt, die in besonderem Maße körperliche Leistungsfähigkeit erfordern, ist es sachgerecht, bereits vom Polizeibeamten auf Widerruf ein hohes Maß an körperlicher Eignung zu verlangen.
48Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 2004 - 2 B 52.03 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 - 6 A 2111/14 -, juris, Rn. 69 f. m. w. N.
49Welche Anforderungen im Einzelnen nach dem Willen des Dienstherrn an die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern für den Polizeivollzugsdienst zu stellen sind, konkretisiert die bundesweit einheitliche PDV 300, die in ihrer Anlage 1.1 Merkmalsnummern festlegt, deren Vorliegen die sogenannte Polizeidiensttauglichkeit ausschließen sollen (vgl. Nr. 2.3.3 i.V.m. mit der Anlage 1.1 der PDV 300). Bei der PDV 300 handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, die von einer Bund-Länder-Kommission aus Juristen, Polizeipraktikern und Leitenden Polizeiärzten erarbeitet wird, durch die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern zur Einführung empfohlen wird und sodann von den jeweiligen Innenministerien für ihren Hoheitsbereich per Anordnung in Kraft gesetzt wird.
50Aus dem Umstand, dass eine Erkrankung in der PDV 300 aufgeführt ist, kann jedoch nicht ohne weitere individuelle Prüfung auf die Polizeidienstuntauglichkeit geschlossen werden. Vielmehr ist auch dann, wenn eine Erkrankung in der PDV 300 als Merkmal genannt ist, das die Polizeidiensttauglichkeit "grundsätzlich" - hier wohl gebraucht in der Bedeutung von "ausnahmslos", also offenbar generell und ungeachtet ihrer Schwere und Ausprägung im Einzelfall - ausschließt, dies der gerichtlichen Überprüfung zugänglich und sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls insbesondere darauf in den Blick zu nehmen, ob die Einschätzung auf einer fundierten medizinischen Tatsachenbasis beruht.
51Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2024 – 6 A 1476/22 –, juris, Rn. 8; Beschluss vom 15. September 2022 – 6 B 994/22 –, juris, Rn. 19.
52Nach diesen Maßstäben durfte die Beklagte den Kläger aufgrund des angegebenen Gendefekts nicht als gesundheitlich ungeeignet für den mittleren Polizeivollzugsdienst ablehnen.
53Die Kammer hat bereits erhebliche Zweifel, ob trotz des grundsätzlich weiten Beurteilungsspielraums des Dienstherrn hinsichtlich der Festlegung von die Dienstausübung betreffenden körperlichen Merkmalen hinreichende sachliche Gründe für den Ausschluss von Beamten mit einer heterozygoten Form einer Faktor V Leiden Mutation bestehen. Denn das durch eine solche Mutation bedingte Thromboserisiko ist verhältnismäßig gering. Es liegt bei gesunden Menschen bei ca. 1 von 10.000 (Alter zwischen 20 – 40) und bei Menschen mit dem Faktor V Leiden ist das Risiko durchschnittlich um das 5- 10-fache (beim Kläger nur um das 5- 6-fache) erhöht. Dies entspricht ungefähr dem Thromboserisiko durch die Einnahme östrogenhaltiger Kontrazeptiva (Antibabypille) bei Frauen und damit einem Risiko, das der Dienstherr als hinnehmbar ansieht. Das Kontrazeptivum mit dem geringsten bekannten Risiko erhöht das Thromboserisiko um das 5- bis7-fache. Bei anderen hormonellen Kontrazeptiva, die beispielsweise Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel enthalten, erlitten 9 bis12 von 10.000 Frauen eine venöse Thromboembolie.
54Vgl. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Themendossiers/Kombinierte-hormonale-Kontrazeptiva/KOK.html; hierzu und im Weiteren: VG Karlsruhe, Urteil vom 31. Juli 2014 - 2 K 1762/13 ‑, juris.
55Darüber hinaus dürfte auch die Annahme einer bereits gegenwärtig bestehenden Polizeidienstunfähigkeit im Hinblick auf die Faktor V Mutation die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern überdehnen. Vielmehr hätte die Beklagte von der gegenwärtig vorhandenen gesundheitlichen Eignung ausgehen und prüfen müssen, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt einer Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze auszugehen ist. Dies ist vorliegend nicht geschehen.
56Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2025 - 2 C 4.24 -, derzeit nur als Pressemitteilung Nr. 8/2025 vorliegend; ; der dortige Kläger litt ebenfalls an der Faktor V Mutation, das BVerwG ging nicht von der gegenwärtigen PDU aus.
57Darüber hinaus sind die in der Merkmalsnummer 2.2.1 der PDV 300 genannten „Krankheiten des Blutes, der blutbildenden Organe, Gerinnungsstörungen mit Blutungs- oder Thromboserisiko oder Behandlungsbedarf“ jedenfalls aufgrund der §§ 19 Nr. 2, 22 Nr. 1 GenDG einschränkend dahin auszulegen, dass hiervon genetische Dispositionen des Beamtenbewerbers nicht erfasst werden.
58Die Faktor V Leiden Mutation des Klägers wurde aufgrund einer genetischen Untersuchung i.S.d. § 3 Nr. 1 und 2 GenDG diagnostiziert. Gemäß § 19 Nr. 2 GenDG, der nach § 22 Nr. 1 GenDG auch Anwendung im Beamtenverhältnis findet, darf der Arbeitgeber von Beschäftigten weder vor noch nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses die Mitteilung von Ergebnissen bereits vorgenommener genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen, solche Ergebnisse entgegennehmen oder verwenden.
59Vorliegend hat die Beklagte das Ergebnis der genetischen Untersuchung rechtwidrig verlangt, entgegengenommen und sodann für eine negative Personalentscheidung hinsichtlich des Klägers als Einstellungsbewerber verwendet.
60§ 19 Nr. 2 Alt. 1 GenDG beinhaltet das Verbot, dass die Einstellungsbehörde von dem Bewerber die Mitteilung von Ergebnissen bereits vorgenommener genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangt. Verlangen beinhaltet insoweit ein aktives, voluntatives Verhalten des Dienstherrn. In welcher Form dieses Verlangen gegenüber dem Einstellungsbewerber geäußert wird, ist insoweit unerheblich. Sodass bereits der Hinweis im Informationsblatt zur polizeiärztlichen Untersuchung, dass die Faktor V Leiden Mutation einen Ausschlussgrund darstelle und die Bewerber im Bewerbungs- und Anamnesebogen aufgefordert werden, alle Umstände zu offenbaren, die für die Beurteilung des Gesundheitszustandes bedeutsam sein können, ein Verlangen der Mitteilung dieser Information darstellt. § 19 Nr. 2 Alt. 2 GenDG verbietet es dem Dienstherrn, solche (bereits vorhandenen) Ergebnisse entgegenzunehmen. Die Beklagte - hier der polizeiärztliche Dienst und die Personalstelle - hat das Attest, welches den Gendefekt des Klägers bescheinigt, in dem Bewusstsein worum es sich handelt angenommen, mit dem Willen, diese Informationen im Einstellungsverfahren zu berücksichtigen. Die Information wurde sodann verwendet, da unstreitig unter „verwenden“ jedenfalls die Nutzung der genetischen Informationen für eine negative Personalentscheidung fällt.
61Vgl. hierzu und im Weiteren: Hoffmann, A. in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht - Kommentar, Juli 2020, § 14 LBG NRW, 4.4. Verbot genetischer Untersuchungen und Analysen.
62Das Verbot gilt im Übrigen ungeachtet des Umstandes, ob die Einstellungsbehörde die genetischen Informationen über den Bewerber von diesem selbst oder einem Dritten erhalten hat. Nach dem Normzweck soll dem Arbeitgeber verwehrt werden, genetische Informationen des Beschäftigten zu beschaffen, gleichgültig auf welchem Wege.
63Vgl. Diller in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht 2. Auflage 2022, Kommentierung §§ 1, 3, 19 GenDG: Genetische Untersuchungen und Analysen im Beschäftigungsverhältnis, Rn. 13.
64Ein anderes Verständnis der Vorschrift ist auch nicht im Wege der einschränkenden Auslegung der Norm geboten. Zwar hat der Dienstherr bei der Einstellung die gesundheitliche Eignung des Bewerbers festzustellen und ein Interesse daran, herauszufinden, ob der Bewerber eine genetisch bedingte Disposition für eine erst später auftretende Erkrankung hat, die zu einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit, zu erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten oder einer erheblichen Einschränkung seiner Verwendung führen kann. Dem steht aber das verfassungsrechtlich gewährleistete informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einstellungsbewerbers gegenüber. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Aufschlüsselung der genetischen Veranlagungen eines Menschen im Rahmen eines Gentests einen äußerst schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt. Diese Abwägungsentscheidung hat der Bundesgesetzgeber im Abschnitt 5 des GenDG im Grundsatz zu Gunsten des Schutzes des Persönlichkeitsrechts des Einstellungsbewerbers getroffen und § 19 Nr. 2 GenDG schon von seinem Wortlaut her ausnahmslos formuliert.
65Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer teleologischen Reduktion der Vorschrift. Der Sinn und Zweck des § 19 GenDG besteht in einem möglichst umfassenden Schutz des Beschäftigten - bzw. im hiesigen Kontext - des Einstellungsbewerbers. Mit der Regelung soll das Persönlichkeitsrecht gerade im Hinblick auf sensibelste genetische Informationen umfassend geschützt werden
66Vgl. BT-Drucks. 16/3233 S. 45, BT-Drucks. 16/10532 S. 37.
67Mit der Regelung des § 19 Nr. 2 GenDG soll der Gefahr entgegengewirkt werden, dass sich die Arbeitsmarktchancen der Beschäftigten durch Bekanntwerden ihrer genetischen Eigenschaften verringern.
68Vgl. BT-Drucks. 16/10532 S. 37.
69Da die Beklagte demnach das Ergebnis der genetischen Untersuchung des Klägers nicht verwenden darf, kann sie sich auch nicht für die Ablehnung seines Einstellungsbegehrens hierauf als Einstellungshindernis berufen.
70Eine Berücksichtigung der genetischen Disposition des Klägers im Rahmen von § 20 Abs. 2 GenDG steht entgegen, dass eine solche gemäß § 20 Abs. 4 GenDG i.V.m. § 8 GenG nur mit Einwilligung des Beamten zulässig ist. Der Kläger ist mit einer Berücksichtigung der körperlichen Disposition zu seinen Lasten aber nicht einverstanden. Dass er sich mit der Offenbarung aller für die Beurteilung seines Gesundheitszustandes bedeutsamen Umstände einverstanden erklärte, spielt insoweit keine Rolle: Abgesehen davon, dass die von ihm unterschriebene Erklärung keinen Hinweis auf die fehlende Pflicht zur Offenbarung genetischer Dispositionen enthielt, hat der Kläger jedenfalls eine einmal erteilte Einwilligung mittlerweile (zumindest konkludent) widerrufen.
71Soweit die Beklagte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zudem auf die charakterliche Ungeeignetheit des Klägers abstellt, da dieser im Bewerbungsbogen die Faktor V Mutation nicht angegeben habe, ist dem entgegenzuhalten, dass ihm aufgrund von § 19 GenDG ein Recht zum Verschweigen des Ergebnisses einer genetischen Untersuchung zur Seite steht.
72Unabhängig vom Vorstehenden ist noch darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Beklagten, sie könne den Kläger mit Blick auf ihre Fürsorgepflicht (§ 78 BBG) nicht in allen Bereichen der Laufbahn einsetzen, da insbesondere Immobilisationen dessen Thromboserisiko erhöhen würden, nicht nachvollziehbar ist. Schließlich ist sie nicht davon befreit, zumutbare Maßnahmen des Arbeitsschutzes für ihre Beamten zu ergreifen. Die Immobilisierung bei langen Anfahrtswegen lässt sich ohne weiteres durch kurze Pausen beheben. Wenn der Dienstherr darüber hinaus der Ansicht ist, die Körperschutzausrüstung in Verbindung mit einem unter Umständen nicht gewährleisteten Flüssigkeitsnachschub führe zu einer unverantwortlichen Erhöhung des Thromboserisikos bei Personen mit einer Faktor V Mutation, so müsste er folgerichtig davon ausgehen, dass er bereits gegenwärtig eine Reihe seiner Beamten regelmäßig unverantwortlichen Thromboserisiken aussetzt, nämlich alle gut 5 % der Beamten, die unerkannt eine Faktor V Mutation aufweisen, alle Beamtinnen, die östrogenhaltige Pillenpräparate einnehmen und erst Recht alle Beamtinnen, die zusätzlich noch Raucherinnen sind. Wenn der Dienstherr das durch eine Faktor V Mutation bedingte Thromboserisiko für zu hoch erachtet, müsste er aus Gründen des Arbeitsschutzes bereits heute größere Anstrengungen unternehmen, um die Belastung gerade von Beamtinnen durch Körperschutzausrüstung zu reduzieren und die Flüssigkeitsversorgung auch unter schwierigen Einsatzbedingungen stets zu gewährleisten. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass beides grundsätzlich möglich ist.
73Vgl. so auch VG Karlsruhe, Urteil vom 31. Juli 2014 - 2 K 1762/13 -, juris.
74Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.