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Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. Juni 2025 (12 L 1120/25.A) wird aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 2362/25.A gegen die unter Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Mai 2025 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Abänderungsverfahrens
G r ü n d e
2A. Die Kammer entscheidet im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO über die Änderung oder Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. Juni 2025 (12 L 1120/25.A), nachdem das Verwaltungsgericht Minden die im zugehörigen Klageverfahren 12 K 3546/25.A (nunmehr: 10 K 2362/25.A VG Aachen) nach Beschlussfassung im Eilverfahren erfolgte Einreichung des ärztlichen Attestes des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med. Q. vom 10. Juni 2025 als Antrag auf Einleitung eines Abänderungsverfahrens ausgelegt hat. Dieser Auslegung ist der Antragsteller in der Folge nicht entgegengetreten.
3Der Entscheidungsbefugnis des Gerichts steht nicht entgegen, dass die erkennende Kammer als das nach Verweisung des Rechtsstreits nunmehr zuständige Gericht der Hauptsache den abzuändernden oder aufzuhebenden Beschluss nicht selbst getroffen hat.
4Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 46. EL August 2024, § 80 VwGO Rn. 562.
5In der Sache trifft das Gericht keine Rechtsmittelentscheidung, sondern grundsätzlich eine eigenständige Entscheidung zum Fortbestand des nach § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Beschlusses. Wird eine vormals ablehnende Eilentscheidung korrigiert, wird der bestehende Beschluss geändert und die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs angeordnet bzw. wiederhergestellt; kann ein stattgebender Beschluss keinen Fortbestand haben, wird dieser Beschluss ebenfalls geändert und der Eilantrag abgelehnt.
6Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 46. EL August 2024, § 80 VwGO Rn. 590.
7B. Dies vorausgeschickt führt das Abänderungsverfahren hier zur Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Minden vom 16. Juni 2025 (12 L 1120/25.A) und zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 10 K 2362/25.A.
8Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Entscheidung ergeben.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 1999 - 11 VR 13.98 -, juris, Rn. 2; OVG NRW, Beschluss vom 29. März 2017 - 4 B 919/16 -, juris, Rn. 8.
10Diesen Anforderungen wird der Antrag des Antragstellers hier gerecht, mit dem er erstmals ihm nunmehr vorliegende ärztliche Unterlagen zum Nachweis seiner gesundheitlichen Einschränkungen vorgelegt hat, die eine Abänderung der früheren Entscheidung zu seinen Gunsten möglich erscheinen lassen.
11Der danach zulässige Abänderungsantrag ist auch begründet. Denn der im ursprünglichen Aussetzungsverfahren sinngemäß gestellte und damit auch im Abänderungsverfahren zur Entscheidung stehende Antrag,
12die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 2362/25.A gegen die unter Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Mai 2025 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,
13hat nunmehr Erfolg. Er ist zulässig und im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Abänderungsverfahren auch begründet.
14I. Der Antrag ist zulässig.
15Er ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt., Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, weil die Klage gemäß §§ 36 Abs. 1 und 3, 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Bezug auf die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
16Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere haben der am 30. Mai 2025 gestellte Eilantrag (12 L 1120/25.A VG Minden) und die am gleichen Tag erfolgte Klageerhebung (12 K 3546/25.A VG Minden) dem bisherigen Akteninhalt nach die Wochenfristen des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG und des § 74 Abs. 1 2. Halbsatz AsylG gewahrt. Der angefochtene Bescheid vom 19. Mai 2025 ist daher nicht bestandskräftig geworden. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist der Bescheid am 20. Mai 2025 der Erstaufnahmeeinrichtung Bielefeld zur Aushändigung an den Antragsteller zugegangen und diesem am 26. Mai 2025 tatsächlich ausgehändigt worden. Zwar gilt die Zustellung hier nach § 10 Abs. 4 Satz 4 AsylG fiktiv am vierten Tag nach der Übergabe an die Aufnahmeeinrichtung und damit am 24. Mai 2025 als bewirkt und nicht erst am Tag der tatsächlichen Aushändigung am 26. Mai 2025. Gleichwohl wahren die am 30. Mai 2025 erfolgte Einlegung des Antrags und die Erhebung der Klage die Wochenfrist.
17II. Der Antrag ist nunmehr auch begründet.
18Es gelten im Abänderungsverfahren grundsätzlich die Maßstäbe des Aussetzungsverfahrens. Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
19Vgl. BVerfG, u. a. Urteil vom 14. Mai 1996 ‑ 2 BvR 1516/93 -, juris, Rn. 99 ff.
20Nach diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier nunmehr zugunsten des Antragstellers aus. Denn es bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Abänderungsverfahren unter Würdigung des bisherigen Akteninhalts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts vom 19. Mai 2025.
21Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Absatz 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist, der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt einem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war, wenn sein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt wird, er also deshalb unzulässig ist, weil ein anderer Staat der Europäischen Union ihm bereits internationalen Schutz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Gemäß § 36 Abs. 1 AsylG beträgt die dem Ausländer mit der Abschiebungsandrohung zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags gemäß § 30 AsylG - abweichend von § 38 Abs. 1 AsylG - eine Woche.
22Das Bundesamt hat in Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids den Asylantrag des Antragstellers nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Ob diese Entscheidung und damit die Grundlage für die erlassene Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Überprüfung standhält, unterliegt nunmehr jedoch ernstlichen Zweifeln und bedarf gegebenenfalls näherer Aufklärung im Hauptsacheverfahren.
231. Zwar ergibt sich aus dem im Verwaltungsvorgang des Bundesamts befindlichen EURODAC-Ergebnis zweifelsfrei, dass dem in Griechenland gestellten Antrag des Antragstellers auf Gewährung internationalen Schutzes durch die dortige Asylbehörde entsprochen worden ist und damit die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dem Grunde nach vorliegen.
24Gleichwohl ist die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des Internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) umsetzt, auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass ein in Deutschland gestellter Asylantrag trotz Zuerkennung internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union dann nicht als unzulässig abgelehnt werden darf, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) bzw. des - wortgleichen - Art. 3 EMRK droht.
25Vgl. insoweit EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 (Hamed) -, juris, Rn. 43, sowie Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. (Ibrahim) -, juris, Rn. 83 bis 94, und vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) -, juris, Rn. 81 bis 97; BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris, Rn. 18 ff., m. w. N.
26Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann danach nicht ungeachtet der Frage getroffen werden, ob dem in einem anderen Staat anerkannten Schutzberechtigten im Fall seiner Rücküberstellung dorthin eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
27Vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Januar 2021 - 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 26 ff., und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 28 ff., sowie Beschlüsse vom 5. April 2022 - 11 A 314/22.A -, juris, Rn. 39 ff., und vom 30. Januar 2020 - 11 A 2480/19.A -, juris, Rn. 7, jeweils m. w. N.
282. Davon ausgehend ist hier zum jetzigen Zeitpunkt ernstlich zweifelhaft, ob der Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden durfte.
29Nach der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und der ständigen Spruchpraxis der Kammer war davon auszugehen, dass ohne Hinzutreten etwaiger Besonderheiten des Einzelfalls in der Regel - auch bei nichtvulnerablen Personen - angenommen werden musste, dass für den Fall einer Rückkehr eines in Griechenland anerkannten international Schutzberechtigten dort die ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK droht.
30Vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Januar 2021 - 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30 ff., und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32 ff., sowie Beschluss vom 5. April 2022 - 11 A 314/22.A -, juris, Rn. 43 ff.; VG Aachen, Urteile vom 15. Januar 2025 - 10 K 2864/24.A -, juris, Rn. 41 ff., vom 12. Dezember 2024 - 10 K 1614/23.A -, juris, Rn. 34 ff., vom 16. März 2020 - 10 K 157/19.A -, juris, Rn. 31 ff., und vom 16. März 2020 - 10 K 875/19.A -, juris, Rn. 29 ff., jeweils m. w. N.
31An dieser Bewertung hat die Kammer auf Grundlage einer eingehenden Auswertung der jeweils aktuellen Erkenntnisse und unter Auseinandersetzung mit abweichender Instanzrechtsprechung,
32vgl. etwa Hess. VGH, Urteil vom 6. August 2024 - 2 A 1131/24.A -, juris, Rn. 157 ff.; VG Hamburg, Urteile vom 28. Juni 2024 - 12 A 4023/22 -, juris, Rn. 73 ff., und vom 15. August 2024 - 12 A 3228/24 -, juris, Rn. 80 ff.,
33bis in die jüngste Vergangenheit festgehalten.
34Vgl. VG Aachen, Urteile vom 11. April 2025 - 10 K 2848/24.A -, juris, Rn. 27 ff., und vom 20. März 2025 - 10 K 2977/24.A -, juris, Rn. 41 ff.
35Soweit nunmehr das BVerwG entschieden hat, dass dem gegenüber alleinstehenden, erwerbsfähigen und männlichen nichtvulnerablen international Schutzberechtigten aktuell bei einer Rückkehr nach Griechenland keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen drohen, die eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 der Grundrechtecharta zur Folge haben,
36vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris,
37ist diese Rechtsprechung voraussichtlich auf den Antragsteller im Ergebnis nicht anwendbar. Denn er dürfte auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Erkenntnisstands zu den vulnerablen Personen gehören, die von der zitierten Entscheidung des BVerwG gerade nicht erfasst werden. Dem wird gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein.
38a. Das BVerwG hat in der zitierten Entscheidung im Rahmen einer sog. Tatsachenrevision nach § 78 Abs. 8 AsylG die Gruppe der männlichen nichtvulnerablen Drittstaatsangehörigen in den Blick genommen, denen in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Dieser Personenkreis umfasst bezogen auf den Zielstaat Griechenland alle volljährigen Schutzberechtigten ohne minderjährige Kinder, die erwerbsfähig sind und nicht an einen besonderen Schutzbedarf begründenden Krankheiten leiden.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris, Rn. 14.
40Für den so eingegrenzten Personenkreis hat das BVerwG unter Auswertung der zum Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel entschieden, dass diesen Personen bei Anlegung eines strengen Maßstabs im Fall einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen in eine Lage extremer materieller Not zu geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene („Bett, Brot, Seife“) zu befriedigen.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris, Rn. 24 ff., m. w. N.
42Soweit sie nicht im Rahmen des bilateralen Überbrückungsprogramms zurückkehren, stehen sie zwar erheblichen Schwierigkeiten bei der Erlangung der für den Zugang zu staatlichen, teilweise auch nichtstaatlichen, Unterstützungsleistungen erforderlichen Dokumente und Registrierungen gegenüber mit der Folge, dass sie in den ersten Wochen bis Monaten nach der Rückkehr auf temporäre, gegebenenfalls auch wechselnde Unterkünfte wie Obdachlosenunterkünfte, Wohnheime oder Übernachtungsstellen angewiesen sind. Zudem sind sie zur Deckung ihrer Bedürfnisse auf eigenes Erwerbseinkommen zu verweisen, welches jedenfalls in der beschriebenen Übergangszeit bis zum Vorliegen der Voraussetzungen für einen Zugang zum legalen Arbeitsmarkt mit entsprechenden Vermittlungs- und Unterstützungsangeboten in der Schattenwirtschaft erzielt werden kann. Zur Abdeckung ihrer Grundbedürfnisse können nach Griechenland zurückkehrende nichtvulnerable Schutzberechtigte im Falle eines zu geringen oder fehlenden Erwerbseinkommens zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen. Es werden aber Angebote von Hilfsorganisationen und karitativen Einrichtungen vorgehalten, die neben dem Erwerbseinkommen zur Abwendung einer extremen materiellen Notlage zumindest beitragen können. Eine medizinische Not- und Erstversorgung ist ebenfalls gesichert.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris, Rn. 24 ff., 60, m. w. N.
44In die Beurteilung ist auch einzustellen, dass der beurteilten Personengruppe der nichtvulnerablen männlichen Schutzberechtigten ein höheres Maß an Durchsetzungsvermögen und Eigeninitiative abzuverlangen ist als vulnerablen Personen und dass bei ihr auch keine besonderen Bedürfnisse bei der Unterbringung zu berücksichtigen sind.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 -, juris, Rn. 43.
46b. Es spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller - anders, als es das Verwaltungsgericht Minden in seinem Beschluss vom 16. Juni 2025 (12 L 1120/25.A) noch angenommen hat - nicht zu dem Personenkreis gehört, der von der vorstehend skizzierten Entscheidung erfasst wird.
47Ausweislich des von ihm vorgelegten und von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen fachärztlichen Attestes hat der Antragsteller angeborene Fehlbildungen der unteren Extremitäten mit stark ausgeprägter Fußdeformität beidseits. Neben belastungsabhängigen Fußschmerzen führe dies zu weiteren orthopädischen Funktionsstörungen. So leide der Antragsteller neben Gangstörungen auch infolge der gestörten muskulären Funktionskette unter Knieschmerzen beidseits sowie unter einem chronisch rezidivierenden LWS-Syndrom mit pseudoradikulären lumbo-ischialgieformen Schmerzen. Er sei nie komplett beschwerdefrei und leide unter den anhaltenden Funktionsbehinderungen der unteren Extremitäten mit häufig rezidivierenden stärker anhaltenden Nerven- und Muskelreizerscheinungen. Aufgrund der starken Schmerzsymptomatik sei eine Dauertherapie mit Analgetika erforderlich. Er sei zudem auf kontinuierliche krankengymnastische Behandlungen zum Aufbau der Beinmuskulatur und zur Lösung der Kontrakturen angewiesen.
48Diese erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen hatte der Antragsteller im ursprünglichen Aussetzungsverfahren zwar vorgetragen, allerdings nicht durch die Vorlage ärztlicher Unterlagen belegen können. Dies ist ihm zur Überzeugung der Kammer nunmehr jedenfalls in einem Maß gelungen, dass ernstlich zweifelhaft ist, ob der Antragsteller tatsächlich als nichtvulnerable Person angesehen werden kann, der nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerwG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, im Falle einer Rückkehr nach Griechenland dort unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen in eine Lage extremer materieller Not zu geraten. Es spricht vielmehr derzeit Einiges dafür, dass der Antragsteller zu den schutzbedürftigen Personen i. S. d. Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, (sog. Aufnahmerichtlinie) gehört (behinderte Menschen bzw. Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen) und sich seine gesundheitlichen Einschränkungen unmittelbar auf seine Erwerbsfähigkeit und auch auf seine Fähigkeit auswirken, die nach wie vor bestehenden erheblichen Schwierigkeiten, denen zurückkehrende Schutzberechtigte gerade in den ersten Wochen und Monaten nach Rückkehr ausgesetzt sind, zu bewältigen und eine extreme materielle Notlage abzuwenden. Auch ist derzeit jedenfalls zweifelhaft und bedarf gegebenenfalls näherer Aufklärung im Hauptsacheverfahren, ob die erforderliche medizinische Betreuung des Klägers, die dem derzeitigen Aktenstand nach über eine medizinische Not- und Erstversorgung hinausgehen dürfte, für ihn in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erreichbar ist.
49Die Beantwortung der Frage, ob aus den gesundheitlichen Einschränkungen des Antragstellers eine besondere Vulnerabilität folgt, die in seinem Einzelfall einer Rückkehr nach Griechenland entgegensteht, muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
50Angesichts dessen überwiegt vorliegend das Interesse des Antragstellers, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Griechenland verschont zu bleiben.
51Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
52Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).