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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 1757/25.A gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2025 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
2. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.
Gründe
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 1757/25.A gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2025 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
5I. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthaft, da die Klage gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG i. V. m. §§ 34, 35 AsylG in Bezug auf die Abschiebungsandrohung keine aufschiebende Wirkung entfaltet.
6Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere wahrt der am 15. Mai 2025 gestellte Eilantrag die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Denn der Bescheid vom 8. Mai 2025 wurde der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ausweislich des Inhaltes des beigezogenen Verwaltungsvorgangs am 10. Mai 2025 per Einschreiben zugestellt.
7Es fehlt dem Antragsteller schließlich auch ungeachtet der unter Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids erfolgten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Vollziehungsaussetzung ist ausdrücklich (allein) auf die einwöchige Rechtsmittelfrist bzw. – für den Fall der Rechtsbehelfseinlegung – die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens befristet.
8Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 19.19 -, juris, Rn. 58.
9II. Der Antrag ist auch begründet.
10Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß §§ 36 Abs. 3, 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. Solche ernstlichen Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Geringe Zweifel reichen nicht aus. Maßgeblich ist das Gewicht der Faktoren, die Anlass zu Zweifeln geben.
11Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris, Rn. 93 ff.; Pietzsch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 44. Edition, Stand: 1. Oktober 2024, § 36 Rn. 37.
12Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten des Antragstellers aus. Das Gericht hat vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3 des in der Hauptsache angegriffenen Bescheids enthaltenden Abschiebungsandrohung. Rechtliche Grundlage dieser Abschiebungsandrohung ist § 35 AsylG. Nach dieser Vorschrift droht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einem Ausländer die Abschiebung in den Staat, in dem er vor Verfolgung sicher war, an, wenn sein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, also deshalb unzulässig ist, weil ein anderer Staat der Europäischen Union ihm bereits internationalen Schutz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
13Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheids den Asylantrag des Antragstellers nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. Ob diese Entscheidung einer rechtlichen Überprüfung standhält, unterliegt derzeit jedoch ernstlichen Zweifeln und bedarf gegebenenfalls näherer Aufklärung im Hauptsacheverfahren. Zwar ergibt sich aus dem im Verwaltungsvorgang des Bundesamtes befindlichen EURODAC-Ergebnis zweifelsfrei, dass – wie auch der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung im Verwaltungsverfahren am 22. Mai 2023 dem Grunde nach selbst angegeben hat – dem in Griechenland gestellten Antrag des Antragstellers auf Gewährung internationalen Schutzes durch die dortige Asylbehörde am 10. Juni 2022 entsprochen worden ist und damit die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG grundsätzlich vorliegen.
14Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung folgen aber aus § 121 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nach dieser Vorschrift also insbesondere gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen.
15Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Januar 2010 - 4 C 6.08 -, juris, Rn. 11, und vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 12.
16Dabei ist anerkannt, dass die Rechtskraftwirkung unabhängig davon besteht, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat.
17Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13, vom 24. November 1998 - 9 C 53.97 -, juris, Rn. 11, vom 8. Dezember 1992, - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 12.
18Selbst unrichtige Urteile entfalten Rechtskraftwirkung.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13.
20Eine Befreiung von der Rechtskraftwirkung tritt nicht allein deshalb ein, weil sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen ergeben, ein alter Sachverhalt neu gewürdigt wird oder mittlerweile eine neue oder geänderte ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13.
22Auch lässt nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung eines Urteils entfallen. Erforderlich ist vielmehr eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage.
23Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. November 1993 - 4 NB 33.93 – juris, Rn. 3.
24Gerade im Asylrecht liefe ansonsten die Rechtskraftwirkung nach § 121 VwGO weitgehend leer. Eine Lösung der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil kann daher nur eintreten, wenn die nachträgliche Änderung der Sach- bzw. Rechtslage entscheidungserheblich ist.
25Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 13, vom 23. November 1999 - 9 C 16/99 -, juris, Rn. 16.
26Dabei liegt eine solche erhebliche Änderung der Sachlage jedenfalls im Asylrecht nur dann vor, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Die Rechtskraft dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit.
27Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, vom 8. Dezember 1992 - 1 C 12.92 -, juris, Rn. 13.
28Zweck des § 121 VwGO ist es, zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- oder Rechtslage erneut – mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse – zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird.
29Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10, und vom 24. November 1998 - 9 C 53/97 -, juris, Rn. 12.
30Eine von der Rechtskraftbindung des früheren Urteils befreiende entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt danach dann vor, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem die rechtskräftige Entscheidung – auch unter Berücksichtigung ihrer Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion – keine verbindlichen Aussagen mehr enthält.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 10 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. September 2023 - 5 B 757/23 -, juris, Rn. 34, vom 18. November 2010 - 13 B 659/10 -, juris, Rn. 23, und vom 20. Mai 2010 - 13 B 170/10 -, juris, Rn. 13.
32Ausgehend davon ist in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstlich zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die der Abschiebungsandrohung zugrundeliegende Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des in der Hauptsache angegriffenen Bescheides erlassen durfte. Denn mit Bescheid vom 2. November 2023 hatte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers unter Verweis den ihm in Griechenland zuerkannten internationalen Schutz schon einmal als unzulässig abgelehnt. Diese Unzulässigkeitsentscheidung hat das beschließende Gericht mit rechtskräftigem Urteil vom 26. Juli 2024 - 10 K 2492/23.A - aufgehoben.
33Inwieweit sich die maßgebliche Sach- oder Rechtslage seither in erheblicher Weise geändert haben könnte, ist derzeit nicht ersichtlich. Insbesondere lassen sich der Begründung des Bescheides keine Anhaltspunkte für eine derartige Sach- oder Rechtslagenänderung entnehmen. Zur Beurteilung der Situation von nach Griechenland zurückkehrenden international Schutzberechtigten wird im Bescheid vom 8. Mai 2025 ganz überwiegend auf solche Erkenntnisse abgestellt, mit denen sich das Gericht bereits in seinem Urteil vom 26. Juli 2024 - 10 K 2492/23.A - auseinandergesetzt hat. Als einzige neue Aspekte werden das Programm HELIOS+ sowie die Urteile des BVerwG vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 und 1 C 19.24 - angeführt. Auch unter diesen Gesichtspunkten ist eine erhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage indes nicht erkennbar.
34Zwar finden sich zu dem Programm HELIOS+ im Urteil des beschließenden Gerichts vom 26. Juli 2024 - 10 K 2492/23.A - noch keine Aussagen. Eine nach vorstehend geschilderten Maßstäben erforderliche erhebliche Änderung der Lage für nach Griechenland zurückkehrende international Schutzberechtigte hat dieses Programm nach Auffassung der Kammer jedoch nicht bewirkt.
35Vgl. VG Aachen, Urteil vom 11. April 2025 - 10 K 2848/24.A -, juris, Rn. 67.
36Zudem ist im konkreten Fall des Antragstellers ernstlich zweifelhaft, ob dieser überhaupt anspruchsberechtigt im Programm HELIOS+ ist. Denn ausweislich des einschlägigen Handbuches muss die Anmeldung zu diesem Programm binnen 24 Monaten ab dem Datum der Zustellung der Entscheidung über die Zuerkennung internationalen Schutzes erfolgen.
37Vgl. IOM, HELIOS+, Comprehensive Actions for the Integration of Third Country Nationals in the Labour Market, Project Regulations Handbook, abrufbar unter https://greece.iom.int/sites/g/files/tmzbdl1086/files/eng_project-regulations-handbook_helios_generic.1.pdf, zuletzt abgerufen am 22. Mai 2025.
38Zwar lassen sich konkrete Informationen über den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides, mit welchem dem Antragsteller in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt wurde, weder dem Vorbringen der Beteiligten noch dem Verwaltungsvorgang entnehmen. Aufgrund des Umstandes, dass dem Antragsteller ausweislich des im Verwaltungsvorgang des Bundesamtes befindlichen EURODAC-Ergebnisses jedoch bereits am 10. Juni 2022 in Griechenland internationaler Schutz gewährt wurde und das griechische Recht zahlreiche Möglichkeiten der wirksamen Bekanntgabe einer erstinstanzlichen Entscheidung über einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes – etwa auch per E-Mail an den Antragsteller, durch Hochladen der Entscheidung in eine von der Asylbehörde verwaltete App, durch Mitteilung der Entscheidung an befugte Anwälte, Berater und Vertreter usw. – kennt,
39vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report Greece, Update 2023, S. 75,
40ist allerdings zumindest ernstlich zweifelhaft, ob der Antragsteller die Antragsfrist des Programms HELIOS+ überhaupt noch wahren könnte.
41Auch unter dem Gesichtspunkt der von der Antragsgegnerin angeführten Urteile des BVerwG vom 16. April 2025 - 1 C 18.24 und 1 C 19.24 - ist eine erhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht erkennbar. Eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung stellt für sich genommen gerade keine Änderung der Sach- oder Rechtslage dar.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 -, juris, Rn. 13.
43Zwar mögen sich aus den Entscheidungsgründen dieser Urteile eventuell Anhaltspunkte für eine Änderung der Sachlage – bspw. in Form neuer Erkenntnisse – ergeben. Da die Entscheidungsgründe dieser Urteile bislang nicht vorliegen, kann aber jedenfalls auch nicht ausgeschlossen werden, dass das BVerwG von einer im Wesentlichen identischen Sachlage ausging wie die Kammer im Urteil vom 26. Juli 2024 - 10 K 2492/23.A - und es diese lediglich abweichend würdigte. Letzteres könnte der Kammer zwar Anlass geben, ihre Rechtsprechung für zukünftige Verfahren zu ändern, bliebe aber – da es sich dabei gerade nur um eine neue Würdigung alter Tatsachen handelte – für die Bewertung bereits rechtskräftig entschiedener Verfahren wie dem Vorliegenden ohne Auswirkungen.
44Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
45Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).