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Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat.
Die aufrechterhaltene Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
2Die am 23. Oktober 1984 in A./Iran geborene Klägerin ist iranische Staatsangehörige persischer Volkszugehörigkeit. Sie ist eigenen Angaben zufolge die (allein) religiös verheiratete Ehefrau von B.C., dem Kläger im parallel geführten Klageverfahren 10 K 912/22.A, und Mutter von D.E., einem Sohn aus erster Ehe, dem Kläger im abgetrennten Klageverfahren 10 K 254/25.A. Beide Eheleute sind Eltern von F.G., der in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Klägerin im parallel geführten Klageverfahren 10 K 2214/22.A. Die Klägerin verließ eigenen Angaben zufolge Ende Juni 2021 ihr Heimatland gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn und reiste mit ihnen am 23. Januar 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo alle am 27. Januar 2022 bei der Beklagten einen Asylantrag stellten.
3Im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. Februar 2022 gab die Klägerin zur Begründung ihres Asylantrags im Wesentlichen an: Sie habe in Iran die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und danach Jura studiert. Das sei von 2012 bis 2016 gewesen. Das Studium habe sie abgeschlossen. Sie habe seit dem Jahr 2015 eine Firma gehabt, die Steuerangelegenheiten bearbeitet habe. Überdies habe sie eine Putzfirma gehabt. Sie stamme aus einer sehr religiösen Familie, in der alle für die Regierung, für die Sepah, gearbeitet hätten. Sie selbst habe sich nicht an die islamischen Regeln gehalten und sei nicht religiös gewesen. Sie habe sich auch nicht dementsprechend gekleidet. Sie sei ein Problem für die Familie gewesen. Mit 16 Jahren sei sie zwangsverheiratet worden. Damals seien ihre ganzen Freunde schon Bahti gewesen. Ihr erster Ehemann habe auch für die Regierung gearbeitet, seine ganze Familie sei ebenfalls bei der Sepah gewesen. Nach zwölf Jahren habe sie sich von ihm scheiden lassen. Aus der Ehe sei ein Sohn hervorgegangen, mit dem sie nach Deutschland gekommen sei. Sie habe für dieses Kind das Sorgerecht bekommen, weil sie ihrem Ehemann eine Wohnung und Geld gegeben und auf ihre Mitgift verzichtet habe. Vor etwa drei Jahren habe sie in H. ihren jetzigen Ehemann geheiratet, und zwar nach traditioneller Art. Es sei eine „weiße Ehe“, also ohne Papiere. Anfangs habe sie nicht gewusst, dass ihr Ehemann Atheist sei. Es habe ihr nicht gefallen, dass er ohne Religion sei. Sie selbst akzeptiere den Islam zwar nicht, glaube aber an die Bahti. Eines Tages sei sie auf einer Hochzeit gewesen, wo auch eine Freundin von ihr gewesen sei, die Bahti sei. Ihr Onkel sei ebenfalls auf der Hochzeit gewesen, er sei der Leiter einer Abteilung bei der Sepah. Er habe ihre Freundin beschimpft und rausgeschmissen. Aus diesem Grund sei sie mit ihrem Onkel in Konflikt geraten und habe ihm auch gesagt, dass sie selbst Bahti sei. Deswegen habe sie jetzt Probleme. Mit 16 Jahren, als sie zwangsverheiratet worden sei, sei sie zum ersten Mal in Kontakt mit den Bahti gekommen. Durch einen Freund ihres Ehemanns habe sie dann zu diesem Glauben gefunden. Er habe sie über die Religion aufgeklärt und sie zu Gruppen-Versammlungen bei Telegram eingeladen. Der Name der Gruppe habe „M.“ o. ä. gelautet. Die Gruppe habe 6.000 Abonnenten. Sie habe mindestens zehn Mal an den Versammlungen teilgenommen. Vor der Ausreise aus Iran sei ihr zwar nichts geschehen, sie habe aber Angst. Ihr Vater habe ihr etwa einen Monat vor der Ausreise gesagt, es sei besser, wenn sie ausreise. Vermutlich habe der Onkel ihm diesen Tipp gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen (Bl. 176-189 der Bundesamtsakte).
4Mit Bescheid vom 14. März 2022 lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerin und ihres Sohns auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) als unbegründet ab. Zudem wurde der Klägerin und ihrem Sohn der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3.) und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.). Überdies wurden die Klägerin und ihr Sohn aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung beziehungsweise unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall, dass sie die Ausreisefrist nicht einhielten, wurde die Abschiebung nach Iran oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe der Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Ziffer 5.). Schließlich wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.).
5Die Klägerin hat, zunächst gemeinsam mit ihrem Sohn, am 19. April 2022 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen auf ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren Bezug nimmt. Ergänzend führt sie aus, dass sie bereits mit 16 Jahren zwangsverheiratet worden sei. Sie habe sich als Frau nicht entsprechend den iranischen Gesetzen verhalten, gekleidet oder gelebt. Den Islam lehne sie ab. Sie sei der Religion der Bahti angehörig. In Iran würden Frauen systematisch unterdrückt. Wenn sie den iranischen Gesetzen nicht folgten, wie etwa betreffend die Verhüllung ihrer Haare und andere Bekleidungsvorschriften, würden sie inhaftiert, gefoltert und auch getötet. Die Klägerin lehne die Unterdrückung der Frau in Iran ab. Sie habe versucht, in Iran ein freieres Leben zu führen, was aber nicht möglich gewesen sei. Bei einer Rückkehr drohe ihr Inhaftierung. Zudem sei sie geschieden und alleinerziehend. Auch aus diesem Grund sei sie besonders bedroht. Ihren zweiten Partner habe sie nicht offiziell heiraten können. Dieser sei Atheist, was eine Bedrohung für beide Eheleute darstelle.
6In der mündlichen Verhandlung hat die Kammer das Klageverfahren des Sohns der Klägerin abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen 10 K 254/25.A fortgeführt.
7Überdies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen, soweit sie ursprünglich auch ihre Asylanerkennung beantragt hatte.
8Sie beantragt nunmehr noch,
9die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. März 2022 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen,
10hilfsweise,
11ihr subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
12weiter hilfsweise
13festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
14Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
15die Klage abzuweisen.
16Sie bezieht sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
17In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin informatorisch zu ihren Fluchtgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und der Verfahren 10 K 912/22.A, 10 K 2214/22.A und 10 K 254/25.A sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamts Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
20Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
21Die aufrechterhaltene Klage, über die der Einzelrichter trotz Nichterscheinens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil sie auf diese Möglichkeit mit der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
22Der Bescheid des Bundesamts vom 14. März 2022 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) im noch angefochtenen Umfang als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf die mit den Hilfsanträgen verfolgte Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23I. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor. Die in Ziffer 1. des Bescheids des Bundesamts getroffene Entscheidung ist daher rechtmäßig.
241. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
25a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u. a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden.
26Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
27Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 ‑ 10 C 52.07 -, juris, Rn. 22 und 24.
29Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32.
31Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden jedoch durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie privilegiert. Danach besteht bei ihnen die tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16 f., m. w. N.
33Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. objektive Nachfluchtgründe) oder auf einem Verhalten bzw. Aktivitäten des Ausländers nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsland (sog. subjektive Nachfluchtgründe). Ein Indiz für die Glaubhaftigkeit subjektiver Nachfluchtgründe liegt vor, wenn die Aktivitäten, auf die sich der Antragsteller stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
34Vgl. Marx, AsylG, Kommentar, 10. Auflage 2019, § 28 Rn. 28.
35Es ist Sache des Schutzsuchenden, von sich aus unter Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).
36Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftsstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2), sog. inländische Fluchtalternative.
37b. Im Rahmen der Prüfung, ob gemäß §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion vorliegt, ist in Fällen, in denen nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als solche die Gefahr einer Verfolgung begründet, bei der Frage, ob ein Eingriff in die Religionsfreiheit eine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Qualifikationsrichtlinie darstellt, in einem ersten Schritt in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens - im privaten oder öffentlichen Bereich - die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, (tatsächlich) strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität der Verfolgung erreichen.
38Sodann ist in einem zweiten Schritt in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Für die Beurteilung der religiösen Identität eines Schutzsuchenden ist dabei nicht nur die informatorische gerichtliche Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben.
39Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 33, m. w. N.
40Es bedarf im Rahmen der Beweiswürdigung betreffend eine vorgetragene Konversion in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die Aufschluss über die religiöse Identität des Schutzsuchenden geben können, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben.
41Vgl. Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281, 284 ff.
42Dabei werden die Beweisanforderungen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK nicht überspannt, wenn von einem volljährigen Antragsteller im Regelfall erwartet wird, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und mit den Grundzügen seiner neuen Religion hinreichend vertraut ist, um die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung aus religiösen Gründen gebührend zu substantiieren. Allerdings wird der Umfang des Wissens über die neue Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen. Es ist jedoch keine inhaltliche „Glaubensprüfung“ vorzunehmen. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass eine identitätsprägende Hinwendung zu einem Glauben auch ohne eine derartige Vertrautheit vorliegt, wenn aussagekräftige und gewichtige Umstände des Einzelfalls festzustellen sind, die die Prognose rechtfertigen, dass der Schutzsuchende sich den Verhaltensleitlinien seines neu gewonnenen Glaubens derart verpflichtet sieht, dass er ihnen auch nach Rückkehr in seinen Heimatstaat folgen und sich damit der Gefahr von Verfolgung oder menschenunwürdiger Behandlung aussetzen wird. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gebieten es, auch derartige Fallkonstellationen zutreffend zu erfassen.
43Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 36 ff.
44Für die Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Konversion kommt es daher darauf an, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr von der alten Religion - aktiv im Herkunftsland ausüben oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck der dort drohenden Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird. Insoweit ist auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten, nach den obigen Feststellungen gefahrträchtigen religiösen Praxis für den Konvertiten zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und ihm deshalb ein hinreichend schwerer Eingriff in seine Religionsfreiheit droht.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 B 40/15 -, juris, Rn. 11, m. w. N.
46Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Verwaltungsgerichte. Die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 27.
482. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht der Klägerin in Iran zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) weder mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung in Form einer schwerwiegenden Verletzung ihrer Religionsfreiheit noch eine Verfolgungsgefahr aus anderen Gründen.
49a. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Gerichts nicht vorverfolgt ausgereist.
50Eine Vorverfolgung trägt die Klägerin selbst nicht vor. Soweit sie angibt, innerhalb ihrer staatstreuen und sehr religiösen Familie Schwierigkeiten gehabt zu haben, weil sie sich nicht an die islamischen Regeln gehalten habe, und soweit sie auf ihre Zwangsverheiratung im Alter von 16 Jahren verweist, ergeben sich hieraus für die heute 38-jährige, dem Elternhaus längst entwachsene und von ihrem ersten Ehemann seit Jahren bereits geschiedene Klägerin, die in Iran nach der Scheidung sogar ein Jurastudium erfolgreich absolvieren konnte, keine fluchtauslösenden Verfolgungsgründe. Ihrem eigenen Vorbringen zufolge ist sie vor der Ausreise auch (noch) keinen verfolgungsrelevanten und für ihre Flucht kausalen Schwierigkeiten begegnet. Sie habe aber Verfolgungsangst gehabt, weil ihr als Angehöriger der Religion der Bahti in Iran nach Bekanntwerden ihrer Glaubensüberzeugung staatliche Verfolgungsmaßnahmen gedroht hätten. Hiervon hat die Kammer jedoch keine Überzeugungsgewissheit erlangen können.
51aa. Die Kammer geht zur (positiven und negativen) Religionsfreiheit in Iran von Folgendem aus:
52(1) In Iran kann der schlichte Abfall vom Glauben dann zu Verfolgungsmaßnahmen führen, wenn es zu öffentlichen Äußerungen bzw. insbesondere zur Missionstätigkeit kommt. Denn die Behörden zwingen in Iran allen Glaubensrichtungen einen Kodex für das Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden. Zwar ist die Strafbarkeit der Apostasie nicht ausdrücklich im Strafgesetzbuch bestimmt, sie ergibt sich aber aus der Festlegung, dass die Scharia in nicht gesetzlich geregelten Fällen Anwendung findet. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie allerdings selten; zumeist erfolgt nicht die Bestrafung wegen Apostasie, sondern aufgrund anderer Delikte.
53Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 89 ff., 93, 99 ff.; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20. Juni 2023, Iran: Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, S. 2 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 13; Bundesamt, Länderreport 52 - Iran, Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, Stand: 05/2022, S. 23 ff.; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 92 ff., und vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 105 ff., sowie Beschluss vom 6. Januar 2021 - 6 A 3413/20.A -, juris, Rn. 15.
54Aus der aktuellen Erkenntnislage ergibt sich allgemein weiter, dass etwa in Iran zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime dann gefährdet sind, wenn sie nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen. Diese Konvertiten laufen in Iran Gefahr, wegen ihres Glaubenswechsels menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Gleiches gilt für Personen, die sich öffentlich vom Islam lossagen.
55Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 99 f., 105 f.; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20. Juni 2023, Iran: Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, S. 2 ff.; amnesty international, Report Iran 2023, 24. April 2024, S. 7 f.; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 6 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Iran: Christian and Christian converts, Februar 2020, S. 23 ff.; Bundesamt, Länderreport 10: Iran - Situation der Christen, 3/2019, S. 9 ff.; Danish Immigration Service/Danish Refugee Council, Iran - House Churches and Convents, Februar 2018, S. 7 f.; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 110 ff., und vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 125 ff., sowie Beschluss vom 6. Januar 2021 - 6 A 3413/20.A -, juris, Rn. 12; ebenso Bay. VGH, Urteil vom 6. August 2024 - 14 B 23.30024 -, juris, Rn. 81 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 26. Januar 2024 - 8 LB 88/22 -, juris, Rn. 55 ff.; OVG S. - H., Urteil vom 12. Dezember 2023 - 2 LB 9/22 -, juris, Rn. 70 ff.
56(2) Bahá‘i gelten in Iran als Abtrünnige und nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft. Sie sind die derzeit am stärksten in ihren Rechten eingeschränkte Minderheit und werden bereits seit der Gründung ihrer Religionsgemeinschaft im 19. Jahrhundert in unterschiedlicher Ausprägung diskriminiert und verfolgt. Ihre etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren. Dazu kommt, dass die Bahá‘i wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden.
57Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 109 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 13 f.; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 8.
58Die Bahá‘i sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Bahá‘i-Zugehörigkeit verweigert. Es kommt immer wieder zu Landbeschlagnahmungen und Eigentumsentzug bei Hausdurchsuchungen. Die Behörden können die Schließung von Unternehmen im Besitz von Bahá‘i anordnen und Vermögen von Anhängern der Glaubensgemeinschaft beschlagnahmen. Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert. Ebenso wird ihnen der Zugang zu höherer Bildung verwehrt. Nach Angaben der International Bahá‘i Community sind derzeit ca. 90 Bahá‘i aus Glaubensgründen inhaftiert.
59Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 109 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 13 f.; vgl. auch Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 8.
60Die iranische Regierung setzt die systematische Unterdrückung und Verhaftungen von Bahá‘i fort. Insbesondere die Streichung der Option ’andere Religionen’ vom Antragsformular für ID-Karten Anfang 2020 setzt die Bahá‘i unter Druck. Es kann nur noch eine der in der Verfassung anerkannten Religionen - also Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - angegeben werden. Dadurch werden die Bahá‘i gezwungen, entweder nicht wahrheitsgemäß das Formular auszufüllen, was ihnen ihre Religion aber verbietet, oder harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Bahá‘i können dann keine Darlehen beantragen, keinen Scheck einlösen und auch kein Grundstück kaufen. Weitere Menschenrechtsverletzungen, denen sich Bahá‘i ausgesetzt sehen, sind: willkürliche Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen, der Abriss von Häusern und die Zerstörung von Friedhöfen. Sie werden auch von der politischen Führung und den staatlichen Medien mit Hassreden überzogen.
61Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 109 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 13 f.; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 8; amnesty international, Report Iran 2023, 24. April 2024, S. 7 f.; vgl. überdies Human Rights Watch, Iran: Persecution of Baha´is, 1. April 2024, Artikel im Internet aufrufbar unter https://www.hrw.org/news/2024/04/01/iran-persecution-bahais, zuletzt aufgerufen am 28. Januar 2025.
62bb. Ausgehend hiervon ist das Gericht unter Würdigung des gesamten Akteninhalts sowie nach der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass die Klägerin sich in Iran ernsthaft und nach außen erkennbar vom Islam abgewendet und den Bahti zugewendet hat und dies von einer identitätsprägenden Überzeugung getragen wird (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Gründe des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 14. März 2022 verwiesen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG). Das Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren und ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung geben Anlass zu folgenden Ergänzungen:
63Ihren eigenen Angaben zufolge habe sie sich seit ihrer Zwangsverheiratung mit 16 Jahren für die Bahti interessiert und sei damals schon nur mit Bahti befreundet gewesen. Nach ihrer Scheidung habe sie während ihres Studiums viel über die Bahti gelesen. Da sei sie 30 Jahre alt gewesen. Drei Jahre vor ihrer Anhörung beim Bundesamt, also mit etwa 34 Jahren, habe sie ihren Mann kennengelernt, der Atheist sei. Ein Freund ihres Mannes habe sie über die Religion der Bahti weiter aufgeklärt und sie eingeladen, online-Versammlungen einer Telegram-Gruppe zu besuchen. Dort habe es auch online-Unterricht gegeben, an dem sie teilgenommen habe. So habe sie Informationen über die Bahti gesammelt. Ausgehend hiervon wäre bereits für den Zeitpunkt der Anhörung beim Bundesamt von der damals 37-jährigen, studierten und gebildeten Klägerin zu erwarten gewesen, dass sie nach angeblich jahrelanger Beschäftigung mit dem Glauben der Bahti sowie jahrelangem engen Kontakt zu Mitgliedern der Bahti nicht nur über ein großes Wissen über diese Religion verfügt, sondern auch in der Lage ist, authentisch die wesentlichen Glaubensinhalte der Bahti und ihren persönlichen Weg zum Glauben der Bahti zu beschreiben, zumal sie sich zu diesem Zeitpunkt als seit 15 Monaten den Bahti sogar bereits zugehörig empfand. Das war jedoch nicht der Fall. Ihre Angaben waren vielmehr, worauf das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zu Recht hingewiesen hat, weitgehend oberflächlich, inhaltsleer und vage und haben gerade nicht den Eindruck vermittelt, dass sie sich intensiv mit diesem Glauben auseinandergesetzt und diesen als für sich verbindlich angenommen hat. Eklatant waren zudem die erheblichen Lücken hinsichtlich zentraler Glaubensinhalte und -rituale der Bahti. So ging die Klägerin damals offenbar noch - entgegen der Erkenntnislage - davon aus, dass es zum einen keinen besonderen Bahti-Kalender gebe, zum anderen aber ein besonderes Aufnahmeritual, welches sie aber nicht beschreiben konnte. Sie wusste zudem nicht, wie Bahti-Anhänger bestattet werden, ob und wie lange Bahti fasten, wann der von den Bahti als Feiertag begangene Geburtstag des Religionsgründers Baha´ullah war, welche Arten von Gebeten die Bahti praktizieren und wie deren Abläufe sind und wo sich das „Haus der Gerechtigkeit“ der Bahti befindet. Angesichts dessen ist (auch) das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Klägerin in Iran tatsächlich schon Bahti war. Sie mag sich damals zwar schon mit diesem Glauben beschäftigt haben, allerdings offenbar nur oberflächlich und keinesfalls in einer Tiefe, wie dies für jemanden ihrer Herkunft und ihrer intellektuellen Fähigkeiten, für den die Bahti-Religion zudem aufgrund innerer Überzeugung bereits verbindlich geworden sein soll, zu erwarten gewesen wäre.
64Die Kammer hat auch erwogen, ob gleichwohl Verfolgungsgefahren daraus resultieren, dass die Klägerin jedenfalls für eine Bahti gehalten worden sein könnte. Denn wenn sie von staatlichen Behörden für eine Bahti gehalten worden ist, kann dies nach der Erkenntnislage zu der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr führen, selbst wenn die Klägerin tatsächlich den Bahti gar nicht angehörte. Auch dies hält die Kammer aber nicht für glaubhaft. Hiergegen spricht bereits entscheidend, dass die Klägerin eigenen Angaben zufolge vor ihrer Ausreise keinerlei Schwierigkeiten mit staatlichen Stellen hatte, obwohl nicht nur ihre Eltern, Geschwister und Freunde von ihrem Glaubenswechsel gewusst hätten, sondern auch ihre Onkel, die bei der Sepah hochrangige Funktionen innehätten. Das Aussageverhalten der Klägerin hierzu war zudem sprunghaft und widersprüchlich. Beim Bundesamt gab sie insoweit zunächst an, fluchtauslösend sei eine Hochzeit gewesen, an der eine Bahti-Freundin teilgenommen habe, die von ihrem Onkel dann beschimpft und rausgeschmissen worden sei. Daraufhin sei sie mit diesem Onkel in Streit geraten und habe ihm offenbart, dass sie selbst auch zu den Bahti gehöre. In der Folge habe sie Angst gehabt und geahnt, dass sie Iran verlassen müsse. Später hat sie im Rahmen ihrer Anhörung ausgeführt, ihre Geschwister hätten ihren Onkeln von dem Glaubenswechsel erzählt. Auf Vorhalt hat sie sich dahingehend korrigiert, dass sie selbst es einem ihrer Onkel gesagt habe, ihre Geschwister hingegen den anderen Onkeln. In der mündlichen Verhandlung wiederum hat sie angegeben, ihr erster Ehemann habe ihrem Onkel väterlicherseits in der Trennungsphase erzählt, dass sie Kontakte zu Bahti unterhalte. Der Onkel habe dies daraufhin „im Hinterkopf“ gehabt. Später habe der Onkel ihrem Vater gesagt, dass sie Bahti geworden sei und der Geheimdienst dies wisse. Das habe dazu geführt, dass sie habe fliehen müssen. Die Schilderung dieses Geschehens als fluchtauslösendes Ereignis steht auch im Widerspruch zu ihren Angaben beim Bundesamt, denen zufolge sie das Geschehen auf der Hochzeit als fluchtauslösend beschrieben hatte. Von der Hochzeit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung aus eigenem Antrieb jedoch nichts erzählt. Erst auf entsprechenden Vorhalt hat die Klägerin dies damit erklärt, sie sei davon ausgegangen, dass der Einzelrichter die Akte kenne und sie nicht alles noch einmal wiederholen müsse. Das spricht für sich. Überdies spricht gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens, das sie dieses in der mündlichen Verhandlung erheblich gesteigert hat. Insoweit hat sie dort erstmals vorgetragen, unmittelbar vor ihrer Flucht einen heftigen Streit mit ihrem Vater gehabt zu haben. Dieser habe sie geschlagen und ihr dabei sogar den Arm gebrochen. Sie sei von ihrer Schwester, die Krankenschwester sei, medizinisch versorgt und eine Woche in ihr Zimmer eingesperrt worden. Nur unter dem Vorwand, einen Arzt aufsuchen zu müssen, habe sie das Haus dann verlassen können und sei danach nicht mehr zurückgekehrt. Dieses Geschehen hat die Klägerin beim Bundesamt mit nicht einem Wort erwähnt. Dies hätte angesichts der vorgetragenen Eskalation, die sogar in eine erhebliche und folgenreiche Gewaltanwendung durch ihren Vater und eine darauffolgende Freiheitsberaubung mündete, sowie mit Blick auf den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang dieses Geschehens mit der Ausreise aber erkennbar auf der Hand gelegen. Letztlich hat die Klägerin (auch) in einem anderen Punkt nachweislich gelogen, namentlich bei der Frage, ob sie ihren Mann bereits in Iran oder erst in der Türkei kennengelernt habe. Insoweit haben beide beim Bundesamt übereinstimmend angegeben, sie hätten noch in Iran nach religiösem Ritus („ohne Papiere“) geheiratet. Dies sei nach den Angaben der Klägerin bereits drei Jahre vor der Anhörung in H. gewesen. Danach habe sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn bis zur Ausreise in einer Wohnung zusammengelebt. Nach den übereinstimmenden Angaben beider Eheleute seien sie später gemeinsam in die Türkei geflohen. Demgegenüber haben beide in der mündlichen Verhandlung - ausdrücklich auch noch nach entsprechenden Vorhalten - ausgeführt, sich erst in der Türkei kennengelernt zu haben und unabhängig voneinander ausgereist zu sein. Das ist unauflösbar widersprüchlich. Da zwingend nur eine der beiden Schilderungen wahr sein kann, ist die andere eine Lüge. Erst in seinem Schlusswort hat der Ehemann der Klägerin schließlich auch eingeräumt, insoweit bei seiner Anhörung beim Bundesamt gelogen zu haben. Auch dieses Aussageverhalten der Klägerin spricht für sich und gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vortrags.
65b. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch keinen relevanten Rückkehrgefahren ausgesetzt.
66aa. Der Klägerin ist es insbesondere nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass jedenfalls im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ihre vorgetragene Abkehr vom Islam und ihre Nähe zu den Bahti (nunmehr) von einer identitätsprägenden Überzeugung getragen ist. Insoweit ist für das Gericht nicht von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin keine schriftliche Bestätigung ihrer Zugehörigkeit zu den Bahti vorlegen konnte. Ebenfalls ist zur Überzeugung der Kammer nicht ausschlaggebend, dass selbst nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihre Aufnahme bei den Bahti jedenfalls wohl noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Denn sie selbst trägt vor, dass sie nach Absolvierung der hierfür erforderlichen Kurse die „Bahti-Karte“ zwar beantragt, diese aber noch nicht erhalten habe. Maßgeblich ist für die Kammer vielmehr, dass die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten inneren Vorgänge, die ihre Glaubensüberzeugungen betreffen, für die richterliche Überzeugung nicht ausreichen, ihr Glaubenswechsel sei tatsächlich vollzogen und zudem von einer identitätsprägenden Überzeugung und dem Wunsch getragen, den Glauben auch im Fall einer Rückkehr nach Iran mit der Folge öffentlich auszuleben, dass er den iranischen Behörden auch bekannt werden und Verfolgungsgefahren nach sich ziehen wird. Die Angaben der Klägerin sind auch in der mündlichen Verhandlung emotionslos und einsilbig geblieben und haben den Eindruck vermittelt, sie habe in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung vor allem die bei der Anhörung beim Bundesamt erkennbar gewordenen Wissenslücken schließen wollen. Das ist ihr zwar gelungen. Das Gericht nimmt der Klägerin ab, dass sie sich weiter mit den Bahti befasst und ihr Wissen über diese Religion erweitert hat. Gleichwohl hat sie nicht den Eindruck vermittelt, dass eine tiefe innere Überzeugung dieser Beschäftigung mit dem Glauben zugrunde liegt und nicht nur die Ablehnung islamischer Wertvorstellungen, insbesondere der Unterdrückung der Frau, und der Wunsch nach einem selbstbestimmten und freieren Leben. Allein die Ablehnung islamischer Riten und Gebräuche und/oder eine kritische Distanz zum Islam bzw. das Eintreten für eine Gleichheit der Geschlechter führen jedoch, wenn diese Kritik nicht einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber geäußert wird, nach der Erkenntnislage ebenso wenig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einem Interesse des iranischen Staates, den „Abtrünnigen“ zu bestrafen, wie eine allein innere und nicht nach außen offenbarte abweichende Glaubensüberzeugung. Davon, dass die Klägerin in Iran staatlichen Behörden bereits als Angehörige der Bahti bekannt geworden ist, hat sie nach dem unter Ziffer I. Ausgeführten die Kammer gerade nicht überzeugen können. Dass der behauptete Glaubenswechsel inzwischen vollzogen ist und es nunmehr ihrer festen inneren Überzeugung und Haltung entspricht, anders als früher im Fall einer Rückkehr nach Iran ihre Abkehr vom Islam und ihre Zugehörigkeit zu den Bahti nach außen sichtbar werden zu lassen, und dass dies ein zentrales Element für ihre religiöse Identität und in diesem Sinne für sie unverzichtbar ist, ist nach dem Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung des vollständigen Akteninhalts ebenfalls nicht zur Überzeugung der Kammer dargetan.
67bb. Die Klägerin ist auch nicht allein deshalb relevanten Rückkehrgefahren ausgesetzt, weil sie eine Frau ist.
68Zwar sind gemäß den der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnissen Frauen in Iran nach wie vor in rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht vielfältigen Diskriminierungen unterworfen.
69Vgl. hierzu im Einzelnen schon: VG Aachen, Urteil vom 6. Mai 2022 - 10 K 1922/20.A -, juris, Rn. 62 ff., m. w. N., sowie Urteil vom 28. Januar 2025 - 10 K 10/22.A -, juris, Rn. 107 ff.; vgl. überdies statt Vieler: VG Potsdam, Urteil vom 31. Januar 2024 - 14 K 2749/19.A -, juris, Rn. 51; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 17 ff.; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (Stand: 17. Oktober 2024), S. 130 ff.; amnesty international, Report Iran 2023, 24. April 2024, S. 6 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Situation von Frauen, 18. November 2023, S. 4 ff.; Bundesamt, Länderreport 56, Iran, Rechtliche Situation von Frauen, Januar 2023, S. 4 ff., 20 ff.
70Nach Überzeugung des Einzelrichters unterliegen jedoch nicht generell alle Frauen in Iran einer asyl- bzw. flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgefahr. Soweit in jüngerer Zeit einige Gerichte Verfolgungsgefahren annehmen für eine Gruppe von Frauen, die infolge eines längeren Aufenthalts in Europa in ihrer Identität westlich geprägt worden sind,
71vgl. insbesondere zum Gruppenmerkmal der sog. „Verwestlichung von Frauen“: OVG S. - H., Urteil vom 12. Dezember 2023 - 2 LB 9/22 -, juris, Rn. 107 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Oktober 2024 - 19a K 3113/21.A -, juris, Rn. 40; VG Hamburg, Urteile vom 23. Juli 2024 - 10 A 4960/22 -, juris, Rn. 35 f., und vom 9. April 2024 - 10 A 5193/23 -, juris, Rn. 24 ff., 32 f., m. w. N.; VG Oldenburg, Urteil vom 2. Juli 2024 - 13 A 3284/19 -, juris, S. 8 ff.; VG Potsdam, Urteil vom 31. Januar 2024 - 14 K 2749/19.A -, juris, Rn. 57 ff.,
72folgt hieraus im Ergebnis nichts anderes. Denn aus dem Vortrag der Klägerin und dem gesamten Akteninhalt ergeben sich zur Überzeugung des Einzelrichters keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die erst vor rund drei Jahren nach Deutschland eingereiste Klägerin in ihrer Identität bereits derart westlich geprägt ist, dass sie bei einer Rückkehr nach Iran nicht mehr in der Lage wäre, ihren Lebensstil den dort erwarteten Verhaltensweisen und Traditionen anzupassen, oder dass ihr dies infolge des erlangten Grades ihrer westlichen Identitätsprägung nicht mehr zugemutet werden kann. Allein der Umstand, dass sie für Frauenrechte bzw. die Gleichheit der Geschlechter eintritt, sich westlich kleidet und das verbindliche Tragen des Hijab ablehnt, reicht hierfür noch nicht aus.
73Vgl. dazu etwa OVG S.-H., Urteil vom 12. Dezember 2023 - 2 LB 9/22 -, juris, Rn. 124; VG Aachen, Urteil vom 28. Januar 2025 - 10 K 10/22.A -, juris, Rn. 109 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 25. März 2024 - W 8 K 23.30793 -, juris, Rn. 67.
74Der Einzelrichter verkennt bei der Bewertung etwaiger Rückkehrgefahren nicht die ausweislich der Erkenntnislage bestehenden besonderen Schwierigkeiten, denen gerade alleinstehende und - wie im Fall der Klägerin - geschiedene Frauen ohne familiäre Unterstützung im Fall ihrer Rückkehr nach Iran ausgesetzt sind. Gleichwohl erreichen diese zur Überzeugung des Gerichts noch nicht die für eine Flüchtlingsanerkennung geltende Schwelle der Erheblichkeit. Insoweit ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass es der Klägerin in Iran sogar möglich gewesen ist, als geschiedene Frau ein Hochschulstudium erfolgreich zu absolvieren und zwei Firmen zu führen. Außerdem wird sie nicht alleine zurückkehren, sondern gemeinsam mit ihrem ebenfalls nicht bleibeberechtigten jetzigen Ehemann und Vater ihres zweiten Kindes. Dass in ihrem Fall nunmehr ausnahmsweise dennoch im Fall einer Rückkehr nach Iran dort gravierendere Schwierigkeiten zu erwarten sind, ist mit dem bloßen Hinweis darauf, als alleinerziehender und geschiedener Frau sei ihr eine Rückkehr nach Iran nicht zumutbar, nicht aufgezeigt.
75cc. Schließlich lösen auch der mehrjährige Auslandsaufenthalt der Klägerin und/oder die Stellung des Asylantrags bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus.
76Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 28; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 184; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 137 ff., vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 147 ff., vom 18. März 2024 - 6 A 1605/20.A -, juris, Rn. 53 ff., und vom 7. Juni 2021 - 6 A 2115/19.A -, juris, Rn. 55 ff.; ebenso Bay. VGH, Urteil vom 10. Juli 2024 - 14 B 23.30128 -, juris, Rn. 70 ff., m. w. N.
77II. Die Klägerin hat auch nicht den mit ihrem ersten Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Die in Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts getroffene entsprechende Feststellung ist rechtmäßig.
781. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist subsidiär schutzberechtigt, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts (Satz 2 Nr. 3). Akteure, von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann, sind gemäß § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
79Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 ‑ 1 C 11.19 -, juris, Rn. 10; Bay. VGH, Urteil vom 17. März 2016 ‑ 13a B 15.30241 -, juris, S. 5 des Entscheidungsabdrucks.
81Eine schwerwiegende erniedrigende Behandlung hat der Gerichtshof in Fällen angenommen, in denen bei den Opfern Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht wurden, die geeignet waren, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren physischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Die Kriterien hierfür sind jeweils aus den Umständen des Einzelfalls abzuleiten.
82Vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989 ‑ 14038/88, 1/1989/161/217 ‑, NJW 1990, 2183 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 17. März 2016 ‑ 13a B 15.30241 ‑, juris, S. 6 des Entscheidungsabdrucks.
83Der Begriff der „stichhaltigen Gründe“ geht zurück auf die Definition des subsidiär Schutzberechtigten in Art. 2 lit. f) der Qualifikationsrichtlinie. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe unterscheidet sich nicht von den für die Darlegung der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ einer Verfolgungsgefahr geltenden Anforderungen im Rahmen von § 3 AsylG.
84Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16 f., und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32.
85Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat, beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Diese Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch eine Beweiserleichterung, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 ‑ 10 C 5.09 -, juris, Rn. 18 ff.
87Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr wiederholen werden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Schutzsuchende im Falle der hypothetischen Rückkehr erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
882. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs liegen zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) keine stichhaltigen Gründe dafür vor, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Iran ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (und damit zudem ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK) droht. Insoweit kann zur weiteren Begründung zunächst auf die zur fehlenden politischen Verfolgung gemachten Ausführungen verwiesen werden. Die Klägerin ist zur Überzeugung des Gerichts aus den dargelegten Gründen unverfolgt ausgereist. Objektive oder subjektive Nachfluchtgründe liegen nicht vor. Allein der Umstand, dass sie eine geschiedene Frau ist, in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und/oder dass sie aus dem Ausland nach Iran zurückkehrt, begründen wie zuvor bereits dargelegt nach der Auskunftslage - zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch in ihrer Kumulation - keine Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Selbst wenn es im (Einzel-)Fall einer Rückkehr zu einer Einreisebefragung kommen sollte, ist bisher kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen einer solchen Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden.
89Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 27; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 183 ff.
90III. Ein abgeleiteter Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes für Familienangehörige nach § 26 Abs. 1, 3 und 5 AsylG scheidet bereits deswegen aus, weil weder der Ehemann der Klägerin noch eines ihrer minderjährigen Kinder die Flüchtlingsanerkennung erhalten haben oder als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind. Die Kammer kann daher offenlassen, ob die nach den Angaben der Klägerin offenbar allein nach religiösem Ritus („ohne Papiere“) geschlossene Ehe überhaupt die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 AsylG erfüllt.
91IV. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 14. März 2022 ist auch nicht rechtswidrig, soweit in Ziffer 4. des Bescheids das Vorliegen eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG für die Klägerin verneint wird. Ihr hierauf gerichteter Hilfsantrag bleibt daher ebenfalls erfolglos.
92Der nationale Abschiebungsschutz stellt einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) dar, der im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens nicht weiter abgeschichtet werden kann.
93Vgl. hierzu BVerwG, u. a. Urteile vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris, Rn. 17, und vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, juris, Rn. 15.
941. Für die Klägerin besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Iran.
95a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Schutz der EMRK bezieht sich grundsätzlich nur auf das Territorium ihrer Unterzeichnerstaaten. Die Einhaltung grundlegender Menschenrechte in Drittstaaten ist nicht Regelungsinhalt der EMRK. Eine Beteiligung an einer Menschenrechtsverletzung außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK - etwa durch eine Abschiebung - wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deshalb nicht einer Verletzung im Vertragsgebiet gleichgestellt. Allerdings kann die EMRK bei besonders hochrangigen Schutzgütern - wie dem Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung nach Art. 3 EMRK - zu einem Abschiebungsverbot führen. So ist in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt, dass die Ausweisung bzw. Abschiebung eines Ausländers ausnahmsweise Fragen zu Art. 3 EMRK aufwerfen und die Verantwortung des betroffenen Staates nach der Konvention begründen kann. Auch andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsparteien als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien können ausnahmsweise Abschiebungsverbote begründen. Der Sache nach handelt es sich um den Schutz eines Kernbestands an menschenrechtlichen Garantien der EMRK, die zugleich einen menschenrechtlichen Ordre Public aller Signatarstaaten der EMRK verkörpern. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach in solche Nicht-Vertragsstaaten verboten, in denen ihm Maßnahmen drohen, die einen äußersten menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreiten.
96Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 11 ff., m. w. N.
97Nicht erforderlich ist, dass die Konventionsverletzung seitens des Staates droht. Voraussetzung ist lediglich, dass die tatsächliche Gefahr staatlicherseits nicht durch angemessenen Schutz abgewendet werden kann.
98Vgl. zu allem auch OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 36 ff., 47, m. w. N.
99b. Nach diesen Grundsätzen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Verletzung besonders hochrangiger Schutzgüter der EMRK, die zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG führen könnte. Insbesondere ist eine Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 3 EMRK nicht beachtlich wahrscheinlich. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigender Behandlung voraus. Dabei entspricht der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 13 f.
101aa. Nach dem zuvor unter Ziffer I. Ausgeführten ist zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für die Klägerin im Fall einer Rückkehr nach Iran aufgrund der behaupteten Zugehörigkeit zu den Bahti, aufgrund ihres Geschlechts oder mit Blick auf ihren mehrjährigen Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung die tatsächliche Gefahr von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung besteht.
102bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht mit Blick auf sonstige Gefahren, die der Klägerin im Fall einer Rückkehr nach Iran drohen könnten. Insbesondere droht ihr nicht wegen der allgemeinen humanitären Verhältnisse in Iran eine Verletzung von Art. 3 EMRK.
103(1) In besonderen Ausnahmefällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ aufweisen; diese kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 15 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR.
105In seiner jüngeren Rechtsprechung zum Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 4 GRC stellt der EuGH darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“.
106Vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. <Ibrahim>, juris, Rn. 89 ff., und - C-163/17 <Jawo>, juris, Rn. 90 ff.
107Es besteht indes keine ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not, wenn extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse durch eigene Handlungen (z. B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfe- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen) abgewendet werden können.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 17, m. w. N.
109(2) Nach diesen Maßstäben ist zur Überzeugung des Gerichts keine tatsächliche Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Fall der Rückkehr der Klägerin nach Iran auszumachen.
110Anhaltspunkte dafür, dass die derzeitigen humanitären Verhältnisse in Iran einer Abschiebung der Klägerin dorthin zwingend entgegenstehen würden mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK, sind nicht erkennbar. Zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass die dem Akteninhalt nach gesunde und erwerbsfähige Klägerin bei einer Rückkehr in der Lage sein wird, in Iran (wieder) ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie hat erfolgreich ein Jurastudium absolviert und vor ihrer Ausreise zwei Firmen in unterschiedlichen Branchen geführt. Gegenüber dem Bundesamt hat sie ihre wirtschaftliche Situation vor der Ausreise als sehr gut beschrieben und darauf verwiesen, dass sie eine Eigentumswohnung, Autos und ein Grundstück besitze. Selbst unter Zugrundelegung ihrer Annahme, dass sie als alleinerziehende und geschiedene Frau zurückkehren und daher besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt sein wird, ist angesichts ihrer Universitätsausbildung und ihrer vielfältigen Erfahrungen in der Arbeitswelt sowie unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie bei lebensnaher Betrachtung auch Unterstützung durch ihren ebenfalls nicht bleibeberechtigten und ausreisepflichtigen jetzigen Ehemann und Vater ihres zweiten Kindes erhalten wird, zu erwarten, dass sie jedenfalls ihren existenziellen Lebensunterhalt wird sichern, ein Obdach finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung wird erhalten können. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die Begründung zu Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG).
1112. Die Klägerin hat nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
112a. Dies kann in erster Linie aus individuellen Gründen der Fall sein. Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auch durch nichtstaatliche Gruppen oder Einzelpersonen umfasst.
113Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 306 f., m. w. N.
114Ausgehend hiervon ist nach dem zuvor unter Ziffer I. Ausgeführten auch eine für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante erhebliche konkret-individuelle Gefahr nicht beachtlich wahrscheinlich.
115b. Neben individuellen Gefahren für Leib und Leben können ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
116Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 306 f., m. w. N.
117Zwar sind allgemeine Gefahren gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Etwas anderes gilt in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise dann, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. In diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
118Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 312 f., m. w. N.
119Damit stellt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG an die Gefahr einer aufgrund allgemeiner Umstände im Zielstaat drohenden Rechtsgutverletzung jedenfalls keine geringeren Anforderungen als § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht vor, scheidet eine nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante Extremgefahr ebenfalls aus.
120Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 315.
121Ausgehend hiervon sind Anhaltpunkte für das Vorliegen einer solchen extremen Gefahrenlage für die Klägerin weder vorgetragen noch ersichtlich. Für die Annahme, dass sie aufgrund der aktuellen Verhältnisse in Iran bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung in ihrem Fall daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist, fehlt es an belastbaren Anhaltspunkten und dies belegenden Erkenntnismitteln.
122V. Die unter Ziffer 5. des angegriffenen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung von 30 Tagen ist zutreffend auf §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG gestützt und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass der Abschiebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG der Gesundheitszustand, das Kindeswohl oder familiäre Bindungen der Klägerin entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist sichergestellt, dass die Klägerin nicht von ihrer - ebenfalls nicht bleibeberechtigten und damit ausreisepflichtigen - Familie getrennt, sondern ggf. gemeinsam mit dieser nach Iran zurückgeführt wird, nachdem die Kammer auch die Asylklagen ihrer Familienangehörigen mit Urteilen vom gleichen Tag abgewiesen hat und diese nicht über Aufenthaltstitel verfügen.
123Vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 -, juris, Rn. 12 ff., 25, und vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 15 ff.
124VI. Schließlich ist auch die Anordnung eines auf 30 Monate befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 6. des angefochtenen Bescheids) nach Maßgabe des sich aus § 114 Satz 1 VwGO ergebenden (eingeschränkten) Prüfungsumfangs des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat sich mit der Fristbestimmung am Mittelwert der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten Frist von bis zu 5 Jahren orientiert. Besondere Umstände, die eine abweichende Befristungsentscheidung nahelegen könnten und bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung Berücksichtigung finden müssten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
125Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.