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Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Die aufrechterhaltene Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
2Der am 2. November 1986 in A./Iran geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit. Er ist eigenen Angaben zufolge der (allein) religiös verheiratete Ehemann von B. C., der Klägerin im parallel geführten Klageverfahren 10 K 915/22.A. Beide sind die Eltern der in der Bundesrepublik Deutschland geborenen D.E., der Klägerin im parallel geführten Klageverfahren 10 K 2214/22.A. Der Kläger verließ eigenen Angaben zufolge Ende Juni 2021 sein Heimatland gemeinsam mit seiner Ehefrau und deren Sohn aus erster Ehe, F.G., dem Kläger im abgetrennten Klageverfahren 10 K 254/25.A, und reiste mit ihnen am 23. Januar 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo alle am 27. Januar 2022 bei der Beklagten einen Asylantrag stellten.
3Im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4. Februar 2022 gab der Kläger zur Begründung seines Asylantrags im Wesentlichen an: Er habe in Iran die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und danach einen Zuchtbetrieb für Fische gehabt. Das sei 15 Jahre lang sein Beruf gewesen. Danach habe er die Aquakultur nur noch hobbymäßig betrieben und in den letzten drei Jahren vor seiner Ausreise in einem eigenen Laden Handy-Ersatzteile verkauft. In der Vergangenheit habe er auch ein Gerüstbau-Unternehmen gehabt, das aber nicht mehr existiere. Er sei ausgereist, weil sein Leben in Iran in Gefahr gewesen sei. Er komme aus einer religiösen Familie. Als Kind sei er immer gezwungen worden zu beten. Als er 14 Jahre alt gewesen sei, habe er seinen Bruder verloren und sich viele Gedanken über die Welt gemacht, auch über Gott und die Religionen. Er sei trotzdem weiterhin Moslem geblieben, weil er keine andere Wahl gehabt habe. Dann habe er gesehen, dass die IS-Truppen im Namen Gottes und im Namen des Islam Menschen ermordeten. Als er das erfahren habe, habe er sich vom Islam abgewendet. Seine Eltern hätten ihn deswegen beschimpft und als schmutzig bezeichnet. Viele seiner Freunde wüssten, dass er Atheist sei. Er habe dann sehr viel studiert über Religionen und auch die Theorien von Darwin gelesen. Vor drei Jahren habe er dann eine Telegram-Gruppe gegründet, die ungefähr 4.000 Abonnenten habe. Die Gruppe gebe es immer noch und heiße jetzt „G. und H“. Er habe dort online-Versammlungen veranstaltet, in denen sie über den Islam und die Regeln des Islam und Fragen der Gerechtigkeit diskutiert hätten. Er selbst sei seit zwei Jahren auch auf Instagram aktiv und habe dort den Account „M“. Auf diesem Account poste er Islamkritik und wissenschaftliche Posts über die Entwicklung des Menschen. Er habe etwa 8.700 Follower. Vor neun Monaten habe die Sepah zwei der Abonnenten der Telegram-Gruppe festgenommen und ermordet. Weitere elf Personen hätten sie verhaftet, die immer noch im Gefängnis säßen. Es gebe eine Seite namens „Harar News“, auf der man diese Nachrichten habe lesen können. Deshalb habe er Angst bekommen. Er habe dann von dem Organ SANA eine E-Mail bekommen, in der gestanden habe, er müsse sich am 14. Februar 1400 (nach persischem Kalender) bei Gericht melden. Das sei vor acht Monaten gewesen. Er habe beim Revolutionsgericht in Arak erscheinen sollen. Er sei nicht nach Hause zurückgekehrt und habe sich bei einem Freund versteckt. Die Wohnung sei in A. gewesen. Er sei dann auch nicht mehr zur Arbeit gegangen und einen Monat später habe er das Land verlassen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen (Bl. 159-170 der Bundesamtsakte).
4Mit Bescheid vom 15. März 2022 lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) als unbegründet ab. Zudem wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3.) und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.). Überdies wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung beziehungsweise unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall, dass er die Ausreisefrist nicht einhalte, wurde die Abschiebung nach Iran oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe der Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Ziffer 5.). Schließlich wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.).
5Der Kläger hat am 19. April 2022 Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen auf sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren Bezug nimmt.
6In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage zurückgenommen, soweit er ursprünglich auch seine Asylanerkennung beantragt hatte.
7Er beantragt nunmehr noch,
8die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. März 2022 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen,
9hilfsweise,
10ihm subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
11weiter hilfsweise
12festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
13Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
16In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger informatorisch zu seinen Fluchtgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und der Verfahren 10 K 915/22.A, 10 K 2214/22.A und 10 K 254/25.A sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamts Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
20Die aufrechterhaltene Klage, über die der Einzelrichter trotz Nichterscheinens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil sie auf diese Möglichkeit mit der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
21Der Bescheid des Bundesamts vom 15. März 2022 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) im noch angefochtenen Umfang als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf die mit den Hilfsanträgen verfolgte Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
22I. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor. Die in Ziffer 1. des Bescheids des Bundesamts getroffene Entscheidung ist daher rechtmäßig.
231. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
24a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u. a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden.
25Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
26Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Januar 2009 ‑ 10 C 52.07 -, juris, Rn. 22 und 24.
28Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32.
30Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden jedoch durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie privilegiert. Danach besteht bei ihnen die tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16 f., m. w. N.
32Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. objektive Nachfluchtgründe) oder auf einem Verhalten bzw. Aktivitäten des Ausländers nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsland (sog. subjektive Nachfluchtgründe). Ein Indiz für die Glaubhaftigkeit subjektiver Nachfluchtgründe liegt vor, wenn die Aktivitäten, auf die sich der Antragsteller stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
33Vgl. Marx, AsylG, Kommentar, 10. Auflage 2019, § 28 Rn. 28.
34Es ist Sache des Schutzsuchenden, von sich aus unter Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).
35Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftsstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2), sog. inländische Fluchtalternative.
36b. Im Rahmen der Prüfung, ob gemäß §§ 3 ff. AsylG eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen der Religion vorliegt, ist in Fällen, in denen nicht schon die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als solche die Gefahr einer Verfolgung begründet, bei der Frage, ob ein Eingriff in die Religionsfreiheit eine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Qualifikationsrichtlinie darstellt, in einem ersten Schritt in objektiver Hinsicht festzustellen, welche Maßnahmen und Sanktionen gegenüber dem Betroffenen im Herkunftsstaat voraussichtlich ergriffen werden, wenn er eine bestimmte Glaubenspraxis dort ausübt, und wie gravierend diese sind. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn ihm durch die Betätigung seines Glaubens - im privaten oder öffentlichen Bereich - die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, (tatsächlich) strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität der Verfolgung erreichen.
37Sodann ist in einem zweiten Schritt in subjektiver Hinsicht festzustellen, ob die Befolgung einer solchermaßen als verfolgungsträchtig bestimmten Glaubenspraxis ein zentrales Element für die religiöse Identität des Schutzsuchenden und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist. Maßgeblich ist, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Für die Beurteilung der religiösen Identität eines Schutzsuchenden ist dabei nicht nur die informatorische gerichtliche Anhörung zu berücksichtigen, sondern es sind auch äußere Anknüpfungstatsachen heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Betroffenen erlauben.
38Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 33, m. w. N.
39Es bedarf im Rahmen der Beweiswürdigung betreffend eine vorgetragene Konversion in aller Regel der Gesamtschau einer Vielzahl von Gesichtspunkten, die Aufschluss über die religiöse Identität des Schutzsuchenden geben können, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das eigene Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben.
40Vgl. Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität: Ein Ansatz von Praktikern (Teil 1), ZAR 2016, 281, 284 ff.
41Dabei werden die Beweisanforderungen auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 10 Abs. 1 GR-Charta und Art. 9 Abs. 1 EMRK nicht überspannt, wenn von einem volljährigen Antragsteller im Regelfall erwartet wird, dass er schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und mit den Grundzügen seiner neuen Religion hinreichend vertraut ist, um die von ihm behauptete Gefahr der Verfolgung aus religiösen Gründen gebührend zu substantiieren. Allerdings wird der Umfang des Wissens über die neue Religion maßgeblich von der individuellen Geschichte des Antragstellers, seiner Persönlichkeit, seinem Bildungsniveau und seiner intellektuellen Disposition abhängen, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen. Es ist jedoch keine inhaltliche „Glaubensprüfung“ vorzunehmen. Vielmehr ist es nicht ausgeschlossen, dass eine identitätsprägende Hinwendung zu einem Glauben auch ohne eine derartige Vertrautheit vorliegt, wenn aussagekräftige und gewichtige Umstände des Einzelfalls festzustellen sind, die die Prognose rechtfertigen, dass der Schutzsuchende sich den Verhaltensleitlinien seines neu gewonnenen Glaubens derart verpflichtet sieht, dass er ihnen auch nach Rückkehr in seinen Heimatstaat folgen und sich damit der Gefahr von Verfolgung oder menschenunwürdiger Behandlung aussetzen wird. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV gebieten es, auch derartige Fallkonstellationen zutreffend zu erfassen.
42Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 36 ff.
43Für die Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Konversion kommt es daher darauf an, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr von der alten Religion - aktiv im Herkunftsland ausüben oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck der dort drohenden Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird. Insoweit ist auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten, nach den obigen Feststellungen gefahrträchtigen religiösen Praxis für den Konvertiten zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und ihm deshalb ein hinreichend schwerer Eingriff in seine Religionsfreiheit droht.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 B 40/15 -, juris, Rn. 11, m. w. N.
45Beide Prüfungsschritte unterliegen der eigenständigen tatrichterlichen Würdigung der Verwaltungsgerichte. Die innere Tatsache, dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat, muss zur Überzeugung des Gerichts feststehen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
46Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. April 2020 - 2 BvR 1838/15 -, juris, Rn. 27.
472. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger in Iran zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) weder mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgung in Form einer schwerwiegenden Verletzung seiner (negativen) Religionsfreiheit noch eine Verfolgungsgefahr aus anderen Gründen.
48a. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts nicht vorverfolgt ausgereist.
49Eine Vorverfolgung wegen etwaiger politischer Aktivitäten trägt der Kläger selbst nicht vor. Soweit er in seiner Anhörung beim Bundesamt die Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen in den Jahren 2009, 2017 und 2018 vorgetragen hat, so sind diese Aktivitäten seinen eigenen Angaben zufolge für ihn folgenlos geblieben und waren nicht kausal für seine Ausreise.
50Ausgereist sei er, weil ihm als vom Glauben abgefallenem (gebürtigen) Muslim in Iran nach dem Bekanntwerden seines Atheismus` schwere strafrechtliche Sanktionen bzw. staatliche Verfolgungsmaßnahmen gedroht hätten. Hiervon hat die Kammer jedoch keine Überzeugungsgewissheit erlangen können.
51aa. Die Kammer geht insoweit zur (positiven und negativen) Religionsfreiheit in Iran von Folgendem aus:
52In Iran kann der schlichte Abfall vom Glauben dann zu Verfolgungsmaßnahmen führen, wenn es zu öffentlichen Äußerungen bzw. insbesondere zur Missionstätigkeit kommt. Denn die Behörden zwingen in Iran allen Glaubensrichtungen einen Kodex für das Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Der Abfall vom Islam (Apostasie) kann nach der bestehenden Rechtslage mit der Todesstrafe geahndet werden. Zwar ist die Strafbarkeit der Apostasie nicht ausdrücklich im Strafgesetzbuch bestimmt, sie ergibt sich aber aus der Festlegung, dass die Scharia in nicht gesetzlich geregelten Fällen Anwendung findet. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie allerdings selten; zumeist erfolgt nicht die Bestrafung wegen Apostasie, sondern aufgrund anderer Delikte.
53Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 89 ff., 93, 99 ff.; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20. Juni 2023, Iran: Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, S. 2 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 13; Bundesamt, Länderreport 52 - Iran, Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, Stand: 05/2022, S. 23 ff.; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 92 ff., und vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 105 ff., sowie Beschluss vom 6. Januar 2021 - 6 A 3413/20.A -, juris, Rn. 15.
54Aus der aktuellen Erkenntnislage ergibt sich allgemein weiter, dass etwa in Iran zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime dann gefährdet sind, wenn sie nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam dadurch nach außen sichtbar werden lassen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen wollen. Diese Konvertiten laufen in Iran Gefahr, wegen ihres Glaubenswechsels menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Dasselbe gilt für Personen, die sich öffentlich vom Islam lossagen.
55Vgl. BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 99 f., 105 f.; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 20. Juni 2023, Iran: Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, S. 2 ff.; amnesty international, Report Iran 2023, 24. April 2024, S. 7 f.; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 6 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Iran: Christian and Christian converts, Februar 2020, S. 23 ff.; Bundesamt, Länderreport 10: Iran - Situation der Christen, 3/2019, S. 9 ff.; Danish Immigration Service/Danish Refugee Council, Iran - House Churches and Convents, Februar 2018, S. 7 f.; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 110 ff., und vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 125 ff., sowie Beschluss vom 6. Januar 2021 - 6 A 3413/20.A -, juris, Rn. 12; ebenso Bay. VGH, Urteil vom 6. August 2024 - 14 B 23.30024 -, juris, Rn. 81 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 26. Januar 2024 - 8 LB 88/22 -, juris, Rn. 55 ff.; OVG S. - H., Urteil vom 12. Dezember 2023 - 2 LB 9/22 -, juris, Rn. 70 ff.
56bb. Ausgehend hiervon ist das Gericht unter Würdigung des gesamten Akteninhalts sowie nach der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zum einen nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich ernsthaft und nach außen erkennbar vom Islam abgewendet hat und dies von einer identitätsprägenden Überzeugung getragen wird (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ihm kann zum anderen nicht geglaubt werden, dass er in Iran wegen seines Atheismus´ von staatlichen Behörden verfolgt worden ist. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen insoweit auf die Gründe des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 15. März 2022 verwiesen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG). Das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren und seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung geben Anlass zu folgenden Ergänzungen:
57(1) Der Kläger hat (auch) das Gericht schon nicht davon überzeugen können, dass es sich bei der von ihm bereits für die Zeit seines Aufenthalts in Iran beschriebenen Abwendung vom islamischen Glauben tatsächlich um einen echten, von einer identitätsprägenden Überzeugung getragenen Abfall vom Islam gehandelt hat. Denn seine Angaben hierzu, insbesondere zu den Gründen, die zu diesem Glaubensabfall geführt haben sollen, waren bereits beim Bundesamt auffällig oberflächlich und inhaltsleer. Hierauf hat das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zu Recht hingewiesen. Die Angaben des Klägers beschränkten sich im Wesentlichen darauf, er habe irgendwann in den Nachrichten gesehen, dass die IS-Truppen im Namen des Islam gemordet hätten. Es würden Leute umgebracht, weil sie nicht an den Islam glaubten. Frauen würden schlecht behandelt. Das habe ihn veranlasst, sich intensiver mit den Religionen und im Besonderen mit den Theorien von Darwin auseinanderzusetzen. Das habe schließlich dazu geführt, dass er Atheist geworden sei. Diese Angaben sind auch mit Blick darauf, dass der heute 38-jährige Kläger eigenen Angaben zufolge in einer religiösen Familie großgeworden ist und bis zu seinem 33. Lebensjahr als Moslem gelebt und muslimische Rituale ausgeübt hat, greifbar oberflächlich, ohne inhaltliche Tiefe und im Ganzen nicht überzeugend.
58Gleichwohl stellt (auch) das Gericht nicht grundsätzlich in Frage, dass der Kläger dem Islam auch schon in Iran kritisch gegenüberstand und Gewalt- und andere Unrechtshandlungen, die im Namen des Islam geschehen, verurteilt hat. Seine Angaben lassen damit zwar auf eine islamkritische Haltung schließen, nicht jedoch auf eine identitätsprägende Überzeugung, die zu einer Abkehr vom Islam und insbesondere auch dem Wunsch geführt hat, seine Abkehr vom Glauben und seinen Atheismus öffentlich kundzutun. Nur das wäre nach der Erkenntnislage aber geeignet, eine Verfolgungsgefahr auszulösen. Dies trägt aber nicht einmal der Kläger selbst vor, der eigenen Angaben zufolge mehrere Jahre lang seinen Atheismus im Verborgenen - nur für seine Familie und einige Freunde sichtbar - gelebt haben will.
59(2) Zudem glaubt die Kammer dem Kläger nicht, dass er wegen seiner kritischen Grundhaltung zum Islam, wegen seines für die letzten vier Jahre vor seiner Ausreise geschilderten Verzichts auf islamische Rituale in Iran und/ oder wegen der von ihm behaupteten und angeblich den Sicherheitsbehörden bekannt gewordenen Aktivitäten in den sozialen Medien tatsächlich verfolgungsrelevanten Schwierigkeiten ausgesetzt war. Dagegen spricht bereits, dass er eigenen Angaben zufolge vier Jahre als Atheist mit seiner - religiösen - Familie zusammengelebt hat und auch viele seiner Freunde von seinem Atheismus gewusst haben, er für diesen Zeitraum gleichwohl keine Schwierigkeiten berichtet. Er sei von seinen Eltern zwar beschimpft und als schmutzig bezeichnet und es sei ihm gedroht worden, ihn vom Erbe auszuschließen. Verfolgungsrelevante Schwierigkeiten berichtet er hingegen nicht. Diese seien erstmals aufgetreten, als seine Telegram-Gruppe aufgeflogen und sein Atheismus den Behörden bekannt geworden sei. Diesen Vortrag vermag die Kammer jedoch nicht zu glauben.
60Bereits die Angaben des Klägers hierzu beim Bundesamt waren nicht überzeugend. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf die Gründe des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 15. März 2022 verwiesen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG). Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der eigenen Angaben zufolge einer der Administratoren der Telegram-Gruppe gewesen sein will, die er drei Jahre vor seiner Anhörung beim Bundesamt sogar gegründet haben will, nicht als einer der Hauptverantwortlichen sofort nach Auffliegen der Gruppe verhaftet worden ist. Stattdessen sollen - so die Angaben des Klägers beim Bundesamt - insgesamt 13 andere Personen verhaftet und zwei von ihnen in der Folge sogar hingerichtet worden sein. Danach erst habe der Kläger seine persönliche Vorladung bzw. den Termin zur Vorsprache beim Gericht erhalten. Ebenfalls ist nicht glaubhaft, dass der Kläger als einer der Hauptverantwortlichen der Gruppe von den Festnahmen und Hinrichtungen erst aus Nachrichten von Harar News erfahren haben will. Es kann ohne weiteres als lebensnah davon ausgegangen werden, dass Verhaftungen und Hinrichtungen innerhalb der Mitglieder einer verbotenen Telegram-Gruppe den Gruppenmitgliedern schnell bekannt und unter ihnen dann auch sofort zum Thema werden. Nichts dergleichen berichtet aber der Kläger. Aus der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Nachricht von Harar News vom 27. April 2021 ergibt sich, dass die Telegram-Gruppe offenbar bereits im Juni 2020 aufgeflogen sein soll und die Verhaftungen ebenfalls im Juni 2020 erfolgt sein sollen. Es ist schlicht unglaubhaft, dass der Kläger, sollte sein übriger Vortrag zutreffend sein, erst deutlich später durch eine Nachricht der Harar News von diesen Verhaftungen seiner Mitstreiter in der Telegram-Gruppe erfahren haben will. Es folgt im Übrigen auch nichts anderes aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, nach denen es insgesamt 12 Admins und 2 Haupt-Admins gegeben haben soll. Hätte er zum Kreis dieser Verantwortlichen für die Gruppe gehört und wäre diese Gruppe tatsächlich aufgeflogen, ist anzunehmen, dass zunächst diese Verantwortlichen und damit auch der Kläger zur Rechenschaft gezogen worden wären, und zwar aus Sicht der staatlichen Behörden so schnell wie möglich und nicht sukzessive über einen längeren Zeitraum. Das ist - jedenfalls den Kläger betreffend - aber offenbar zunächst gerade nicht geschehen. Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung stehen schließlich überdies in einem zentralen Punkt im Widerspruch zu seinen Angaben beim Bundesamt. Denn in der mündlichen Verhandlung hat er angegeben, es seien insgesamt nur 9 (und nicht 13) Personen festgenommen worden. Seine hierzu auf Vorhalt abgegebene Erklärung, er könne sich nicht mehr genau erinnern und sei auch noch etwas durcheinander, ist erkennbar unzureichend.
61Auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nebst Übersetzung ins Deutsche vorgelegten Ablichtungen von persischen Justizdokumenten führen nicht zu der erforderlichen Überzeugungsgewissheit, dass der Kläger vor seiner Ausreise verfolgungsrelevanten Gefahren ausgesetzt war. Die Kammer ist insoweit nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um echte Dokumente wahren Inhalts handelt.
62Echte iranische Dokumente unrichtigen Inhaltes sind hingegen einfach zu beschaffen. Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist das Justizsystem korruptionsanfällig; andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen. Außerdem ist es für iranische Staatsangehörige relativ leicht, an gefälschte Dokumente zu gelangen, was auch mit der regelmäßig schlechten Qualität originaler Unterlagen zu erklären ist.
63Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 29; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (Stand: 17. Oktober 2024), S. 195 f.; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 13.
64Dass die in Ablichtung vorgelegten Dokumente im Original tatsächlich im SANA-System abgelegt sind und der Kläger sie von dort abgefragt hat und aus diesem Grund von ihrer Echtheit auszugehen sein könnte,
65vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 28 f.; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (Stand: 17. Oktober 2024), S. 196 f.; vgl. zum SANA-System u. a. auch Bundesamt, Länderreport 46: Iran - Digitalisierung im Justizapparat, Stand: 12/2021, S. 2 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: SANA-System und Zugang zu Gerichtsakten aus dem Ausland, 26. November 2021, S. 4 ff.; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Überprüfung des Status von an iranischen Gerichten anhängigen Strafverfahren online, 27. April 2020, S. 3,
66vermag die Kammer nicht zu glauben. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, er habe vom SANA-System, also von staatlicher Seite, eine E-Mail (so seine Angaben beim Bundesamt) bzw. eine SMS (so seine Angaben in der mündlichen Verhandlung) bzw. sowohl eine E-Mail als auch eine SMS (so die auf Vorhalt berichtigten Angaben in der mündlichen Verhandlung) mit der Nachricht erhalten, er werde beschuldigt, in der Telegram-Gruppe aktiv gewesen zu sein, den Islam beleidigt zu haben und gegen die Regierung aktiv zu sein, weswegen er zu einem bestimmten Termin beim Revolutionsgericht in Arak erscheinen müsse. Die in Ablichtung vorgelegten Justizdokumente habe er dann im SANA-System abgerufen. Das hält die Kammer für unglaubhaft.
67Dass das SANA-System existiert und über dieses Portal Betroffene - per SMS oder auch per E-Mail - über das Vorhandensein von Justizdokumenten seitens der Justizbehörden informiert werden, entspricht der Erkenntnislage. Allerdings ist nicht automatisch und zwangsläufig jeder iranische Staatsbürger im SANA-System angemeldet. Wenn auch angesichts der Bedeutung des SANA-Systems davon ausgegangen werden kann, dass vermutlich sehr viele iranische Staatsbürger dort angemeldet sind, sind nach der Erkenntnislage eine vorherige Registrierung und die Anlegung eines SANA-Kontos in einem besonderen Antragsverfahren und damit ein entsprechend aktives Vorgehen des Betroffenen verpflichtend. Nur, wer dieses Registrierungsverfahren durchläuft und die dort geforderten Berechtigungen nachweist, bekommt Zugriff auf im SANA-System für ihn hinterlegte Daten. Sofern (noch) kein solcher Zugang existiert, wird regelmäßig eine Benachrichtigung in Papierform ausgestellt, in der darauf hingewiesen wird, dass sich der Adressat über das SANA-System für die weiteren Schritte registrieren muss. Die vorherige Registrierung ist für einen Zugriff auf hinterlegte Dokumente daher unabdingbar.
68Vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 28 f.; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (Stand: 17. Oktober 2024), S. 196; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: SANA-System und Zugang zu Gerichtsakten aus dem Ausland, 26. November 2021, S. 4 ff.; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Überprüfung des Status von an iranischen Gerichten anhängigen Strafverfahren online, 27. April 2020, S. 3; Österreichische Botschaft Teheran, Asylländerbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 22 f.; vgl. zudem Bay. VGH, Urteil vom 6. August 2024 - 14 B 23.30024 -, juris, Rn. 39 ff., 49, 55, m. w. N.
69Zu einer vorherigen Registrierung im SANA-System hat der Kläger jedoch nichts vorgetragen. Hierauf wurde er bereits vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid hingewiesen. Im Klageverfahren hat er sich insoweit dann auf die Aussage beschränkt, in Iran müsse jeder einzelne Staatsangehörige dort angemeldet sein. Das hingegen widerspricht der dargestellten Erkenntnislage.
70Ungeachtet dessen spricht schon entscheidend gegen die Glaubhaftigkeit dieses Verfolgungsvorbringens, dass der Kläger nicht in der Lage war, einen Nachweis darüber zu führen, wie er überhaupt in den Besitz der Dokumente gekommen ist. Beim Bundesamt war er hierzu schon nicht in der Lage. Dort hat er angegeben, die E-Mail nicht vorlegen zu können, weil diese sich auf seinem Handy befunden habe, das aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in seinem Besitz gewesen sei. Erst in der mündlichen Verhandlung hat er die Ablichtungen nebst Übersetzungen vorgelegt und auf Nachfrage hierzu vorgetragen, er habe diese Dokumente damals, als er (noch in Iran) Zugriff auf sie habe nehmen können, einem Freund weitergeleitet, der sie ihm später, nachdem er in Deutschland ein neues Handy zur Verfügung gehabt habe, wieder zugeleitet habe. Davon, dass er die Dokumente in dieser Form „gesichert“ hatte, ohne aber im Zeitpunkt der Anhörung auf diese schon wieder Zugriff zu haben, hat er gegenüber dem Bundesamt nichts erwähnt. Das hätte aber erkennbar nahegelegen. Zudem ist auch nicht erklärt, warum die Vorlage dieser für das Verfolgungsvorbringen und die vom Kläger geäußerte Verfolgungsangst zentralen Dokumente erst rund drei Jahre nach der Einreise im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgt ist. Immerhin datieren die Übersetzungen der Justizdokumente auf den 29. April 2022 und lagen dem Kläger damit bereits kurz nach Klageerhebung vor. Auf die weitere Frage des Gerichts, ob er mit den Zugangsdaten seines Mail-Accounts nicht auch heute noch Zugriff auf seine E-Mails und damit insbesondere auf die fragliche E-Mail aus dem SANA-System nehmen könne, hat der Kläger sodann vorgetragen, das sei ihm nicht möglich, weil er seine Zugangsdaten nicht mehr kenne. Auch das glaubt das Gericht dem Kläger nicht. Es fällt schon auf, dass der Kläger, sobald es bei seinen Anhörungen um einen Nachweis für seine Verfolgungsbehauptungen ging, diesen Nachweis wiederholt schuldig blieb, weil er entweder keinen Zugriff mehr auf sein Handy gehabt oder aber seine Zugangsdaten vergessen haben will. Hier zeigt sich ein Muster im Aussageverhalten des Klägers, der etwa auch die Zugangsdaten zu seinem Instagram-Account, über den er angeblich ebenfalls atheistische Überzeugungen geteilt habe, vergessen haben will, weshalb ihm heute ein Zugriff auf sein Konto nicht mehr möglich sei. Von einer Erkrankung, die eine medizinische Erklärung für diese Vergesslichkeit geben könnte, hat der Kläger nicht berichtet. Dass er erfolglos Bemühungen unternommen hat, diese Zugangsschwierigkeiten zu beseitigen, etwa durch eine in solchen Fällen regelmäßig eröffnete und zweifellos zumutbare Kontaktaufnahme mit dem Mail-Provider o. Ä., trägt er schließlich selbst nicht vor.
71Die vorgelegten Dokumente begegnen überdies in formeller und materieller Hinsicht Zweifeln an ihrer Echtheit. In formeller Hinsicht fällt auf, dass ausweislich der dem Gericht zur Verfügung gestellten Übersetzung ins Deutsche in der vorgelegten elektronischen Mitteilung, bei der es sich inhaltlich um eine Vorladung handeln dürfte, der Nachname des Klägers falsch geschrieben ist. Ein solcher Fehler lässt - die Richtigkeit der Übersetzung unterstellt - bereits die Annahme zu, dass es sich bei dem Dokument um eine Fälschung handeln dürfte. Schwerer wiegt, dass bei den persönlichen Daten des Klägers der Name seines Vaters und seine Anschrift fehlen; beides Daten, die regelmäßig Bestandteil gerichtlicher Vorladungen sind.
72Vgl. insoweit: Bundesamt, Länderreport Iran - Das Justizwesen der Islamischen Republik, Stand: 12/2022, S. 17 ff., 19.
73In dem weiteren Justizdokument, das ausweislich der vorgelegten Übersetzung mit „Endbeschluss des Gerichts“ und „Beschluss über die Unzuständigkeit“ überschrieben ist, fällt auf, dass es sich inhaltlich zwar wohl um eine Unzuständigkeitserklärung des Revolutionsgerichts handeln dürfte, dass diese Entscheidung aber - im Widerspruch zu der Bezeichnung des Dokuments - gleichwohl ausdrücklich „Im Namen Gottes“ in Form eines „Urteils“ ausgesprochen wurde („…wird…das folgende Urteil ausgesprochen:…“). Auch dieser Umstand lässt - die Richtigkeit der Übersetzung wiederum unterstellt - an der Echtheit des Dokuments zweifeln.
74Zudem lassen sich die vorgelegten Ablichtungen der Justizdokumente auch inhaltlich nicht mit dem Vortrag des Klägers in Einklang bringen. So hat er bei seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben, er habe am 14.02.1400 (nach persischem Kalender) beim Revolutionsgericht in Arak erscheinen müssen. Aus der vorgelegten Vorladung ergibt sich jedoch, dass der Kläger nicht beim Revolutionsgericht in Arak, sondern bei der „1. Filiale des allgemeinen und Revolutionsgerichts in A.“ erscheinen müsse. Dies ist ein eklatanter und bereits durchgreifend gegen die Richtigkeit des Vortrags des Klägers sprechender Widerspruch. Auch datiert diese Vorladung auf den 4. Mai 2021. Seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge habe er von der Vorladung im zweiten Monat 1399 (nach persischem Kalender; entspricht April/Mai 2020) erfahren. Ausgereist sei er einen Monat später. Dieser Vortrag ist widersprüchlich. Insoweit hat er auf wiederholte Nachfrage jedoch zunächst ausdrücklich darauf bestanden, bereits im Juni 2020 ausgereist zu sein. Seine Frau sei im Juni 2021 ausgereist. Diese habe er erst in der Türkei kennengelernt. Erst nach wiederholter Konfrontation mit der erheblichen Widersprüchlichkeit seiner Angaben räumte der Kläger schließlich ein, dann wohl doch im Juni 2021 ausgereist zu sein. Dieses Aussageverhalten spricht für sich, zumal der Kläger in einem anderen Punkt sogar zugegebenermaßen gelogen hat, namentlich bei der Frage, ob er seine Frau bereits in Iran oder erst in der Türkei kennengelernt habe. Insoweit haben beide beim Bundesamt übereinstimmend angegeben, sie hätten noch in Iran nach religiösem Ritus („ohne Papiere“) geheiratet. Dies sei nach den Angaben seiner Ehefrau bereits drei Jahre vor der Anhörung in A. gewesen. Danach habe sie mit dem Kläger und ihrem Sohn bis zur Ausreise in einer Wohnung zusammengelebt. Nach den übereinstimmenden Angaben beider Eheleute seien sie später gemeinsam in die Türkei geflohen. Demgegenüber haben beide in der mündlichen Verhandlung - ausdrücklich auch noch nach entsprechenden Vorhalten - ausgeführt, sich erst in der Türkei kennengelernt zu haben und unabhängig voneinander ausgereist zu sein. Das ist unauflösbar widersprüchlich. Da zwingend nur eine der beiden Schilderungen wahr sein kann, ist die andere eine Lüge. Erst in seinem Schlusswort hat der Kläger eingeräumt, insoweit bei seiner Anhörung beim Bundesamt gelogen zu haben. Auch dieses Aussageverhalten spricht für sich.
75Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung der aufgezeigten Umstände hat das Gericht mit Blick auf die dargelegten erheblichen und durchgreifenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der zentralen Angaben des Klägers nicht die Überzeugungsgewissheit erlangen können, dass er vorverfolgt ausgereist ist.
76b. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch keinen relevanten Rückkehrgefahren ausgesetzt.
77aa. Dem Kläger ist es insbesondere nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass jedenfalls im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seine Abkehr vom Islam von einer identitätsprägenden Überzeugung getragen ist. In der mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger weitgehend darauf beschränkt, sein Wissen über die Evolutionstheorie Darwins kundzutun. Die von ihm in der mündlichen Verhandlung neben dieser Wissenswiedergabe geschilderten inneren Vorgänge reichen für die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie aber nicht aus. Allein die fehlende Teilnahme an islamischen Riten und/oder die innere Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, und/oder eine kritische Distanz zum Islam führen, wenn diese Kritik nicht einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber geäußert wird, nicht zu einem Interesse des iranischen Staates, den „Abtrünnigen“ zu bestrafen. Davon, dass der Kläger sich in Iran bereits einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber in dieser Weise abfällig über den Islam geäußert hat, hat er nach dem zuvor Ausgeführten die Kammer nicht überzeugen können. Dass es nunmehr seiner festen inneren Überzeugung und Haltung entspricht, künftig oder im Fall einer Rückkehr nach Iran seine Abkehr vom Islam nach außen sichtbar werden zu lassen, ist nicht zur Überzeugung der Kammer dargetan.
78bb. Verfolgungsgefahren folgen überdies nicht aus exilpolitischen Aktivitäten des Klägers. Diese hat er bereits nicht substantiiert vorgetragen. Soweit er insoweit ausgeführt hat, in den sozialen Medien, insbesondere bei Instagram, aktiv gewesen zu sein und dort seine atheistischen Überzeugungen geteilt und islamkritische Themen diskutiert zu haben, ist sein Vortrag nicht nur viel zu allgemein gehalten und einer inhaltlichen Überprüfung schon nicht zugänglich. Seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge habe er zwischenzeitlich auch seine Zugangsdaten für seinen Instagram-Account vergessen, weswegen er seit einem Jahr auf der Seite nichts mehr gemacht habe. Bei dieser Sachlage kann das Gericht eine Überzeugungsgewissheit darüber, dass der Kläger für iranische Stellen erkennbar und identifizierbar („aus der Masse heraus“) in die Öffentlichkeit getreten ist und als ein Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den islamischen Staat ausgeht,
79vgl. dazu, dass allein dies geeignet ist, Verfolgungsgefahren wegen exilpolitischer Aktivitäten zu begründen: VG Aachen, Urteil vom 28. Januar 2025 - 10 K 10/22.A -, juris, Rn. 77 ff., 93, m. w. N.,
80nicht gewinnen.
81cc. Auch der mehrjährige Auslandsaufenthalt des Klägers und/oder die Stellung des Asylantrags löst bei einer Rückkehr schließlich keine staatlichen Repressionen aus.
82Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 28; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 184; OVG NRW, Urteile vom 3. Juni 2024 - 6 A 3287/21.A -, juris, Rn. 137 ff., vom 22. April 2024 - 6 A 242/21.A -, juris, Rn. 147 ff., vom 18. März 2024 - 6 A 1605/20.A -, juris, Rn. 53 ff., und vom 7. Juni 2021 - 6 A 2115/19.A -, juris, Rn. 55 ff.; ebenso Bay. VGH, Urteil vom 10. Juli 2024 - 14 B 23.30128 -, juris, Rn. 70 ff., m. w. N.
83II. Der Kläger hat auch nicht den mit seinem ersten Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Die in Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamts getroffene entsprechende Feststellung ist rechtmäßig.
841. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist subsidiär schutzberechtigt, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Gestalt der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe (Satz 2 Nr. 1), der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (Satz 2 Nr. 2) oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlich bewaffneten Konflikts (Satz 2 Nr. 3). Akteure, von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann, sind gemäß § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
85Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 ‑ 1 C 11.19 -, juris, Rn. 10; Bay. VGH, Urteil vom 17. März 2016 ‑ 13a B 15.30241 -, juris, S. 5 des Entscheidungsabdrucks.
87Eine schwerwiegende erniedrigende Behandlung hat der Gerichtshof in Fällen angenommen, in denen bei den Opfern Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht wurden, die geeignet waren, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren physischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Die Kriterien hierfür sind jeweils aus den Umständen des Einzelfalls abzuleiten.
88Vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989 ‑ 14038/88, 1/1989/161/217 ‑, NJW 1990, 2183 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 17. März 2016 ‑ 13a B 15.30241 ‑, juris, S. 6 des Entscheidungsabdrucks.
89Der Begriff der „stichhaltigen Gründe“ geht zurück auf die Definition des subsidiär Schutzberechtigten in Art. 2 lit. f) der Qualifikationsrichtlinie. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe unterscheidet sich nicht von den für die Darlegung der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ einer Verfolgungsgefahr geltenden Anforderungen im Rahmen von § 3 AsylG.
90Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16 f., und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32.
91Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat, beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Diese Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten erfolgt durch eine Beweiserleichterung, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab.
92Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 ‑ 10 C 5.09 -, juris, Rn. 18 ff.
93Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr wiederholen werden. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Schutzsuchende im Falle der hypothetischen Rückkehr erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
942. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs liegen zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) keine stichhaltigen Gründe dafür vor, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Iran ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (und damit zudem ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK) droht. Insoweit kann zur weiteren Begründung zunächst auf die zur fehlenden politischen Verfolgung gemachten Ausführungen verwiesen werden. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts aus den dargelegten Gründen unverfolgt ausgereist. Objektive oder subjektive Nachfluchtgründe liegen nicht vor. Allein der Umstand, dass er in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat und/oder dass er aus dem Ausland nach Iran zurückkehrt, begründen wie zuvor bereits dargelegt nach der Auskunftslage - zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auch in ihrer Kumulation - keine Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Selbst wenn es im (Einzel-)Fall einer Rückkehr zu einer Einreisebefragung kommen sollte, ist bisher kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen einer solchen Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden.
95Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 15. Juli 2024 (Stand: 3. April 2024), S. 27; BfA, Länderinformationen der Staatendokumentation, Iran (17. Oktober 2024), S. 183 ff.
96III. Ein abgeleiteter Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes für Familienangehörige nach § 26 Abs. 1, 3 und 5 AsylG scheidet bereits deswegen aus, weil weder die Ehefrau des Klägers noch sein minderjähriges Kind die Flüchtlingsanerkennung erhalten haben oder als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt worden sind. Die Kammer kann daher offenlassen, ob die nach den Angaben des Klägers offenbar allein nach religiösem Ritus („ohne Papiere“) geschlossene Ehe überhaupt die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 AsylG erfüllt.
97IV. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 15. März 2022 ist auch nicht rechtswidrig, soweit in Ziffer 4. des Bescheids das Vorliegen eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG für den Kläger verneint wird. Sein hierauf gerichteter Hilfsantrag bleibt daher ebenfalls erfolglos.
98Der nationale Abschiebungsschutz stellt einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) dar, der im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens nicht weiter abgeschichtet werden kann.
99Vgl. hierzu BVerwG, u. a. Urteile vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris, Rn. 17, und vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, juris, Rn. 15.
1001. Für den Kläger besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Iran.
101a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Der Schutz der EMRK bezieht sich grundsätzlich nur auf das Territorium ihrer Unterzeichnerstaaten. Die Einhaltung grundlegender Menschenrechte in Drittstaaten ist nicht Regelungsinhalt der EMRK. Eine Beteiligung an einer Menschenrechtsverletzung außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK - etwa durch eine Abschiebung - wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deshalb nicht einer Verletzung im Vertragsgebiet gleichgestellt. Allerdings kann die EMRK bei besonders hochrangigen Schutzgütern - wie dem Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung nach Art. 3 EMRK - zu einem Abschiebungsverbot führen. So ist in der Rechtsprechung des EGMR anerkannt, dass die Ausweisung bzw. Abschiebung eines Ausländers ausnahmsweise Fragen zu Art. 3 EMRK aufwerfen und die Verantwortung des betroffenen Staates nach der Konvention begründen kann. Auch andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsparteien als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien können ausnahmsweise Abschiebungsverbote begründen. Der Sache nach handelt es sich um den Schutz eines Kernbestands an menschenrechtlichen Garantien der EMRK, die zugleich einen menschenrechtlichen Ordre Public aller Signatarstaaten der EMRK verkörpern. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach in solche Nicht-Vertragsstaaten verboten, in denen ihm Maßnahmen drohen, die einen äußersten menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreiten.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 11 ff., m. w. N.
103Nicht erforderlich ist, dass die Konventionsverletzung seitens des Staates droht. Voraussetzung ist lediglich, dass die tatsächliche Gefahr staatlicherseits nicht durch angemessenen Schutz abgewendet werden kann.
104Vgl. zu allem auch OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 36 ff., 47, m. w. N.
105b. Nach diesen Grundsätzen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Verletzung besonders hochrangiger Schutzgüter der EMRK, die zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG führen könnte. Insbesondere ist eine Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 3 EMRK nicht beachtlich wahrscheinlich. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigender Behandlung voraus. Dabei entspricht der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
106Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 13 f.
107aa. Nach dem zuvor unter Ziffer I. Ausgeführten ist zur Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für den Kläger im Fall einer Rückkehr nach Iran wegen des vorgetragenen Atheismus´ oder mit Blick auf seinen mehrjährigen Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung die tatsächliche Gefahr von Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung besteht.
108bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht mit Blick auf sonstige Gefahren, die dem Kläger im Fall einer Rückkehr nach Iran drohen könnten. Insbesondere droht ihm nicht wegen der allgemeinen humanitären Verhältnisse in Iran eine Verletzung von Art. 3 EMRK.
109(1) In besonderen Ausnahmefällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ aufweisen; diese kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält.
110Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 15 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR.
111In seiner jüngeren Rechtsprechung zum Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach Art. 4 GRC stellt der EuGH darauf ab, ob sich die betroffene Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not“ befindet, „die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre“.
112Vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u. a. <Ibrahim>, juris, Rn. 89 ff., und - C-163/17 <Jawo>, juris, Rn. 90 ff.
113Es besteht indes keine ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not, wenn extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse durch eigene Handlungen (z. B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfe- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen) abgewendet werden können.
114Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 - 1 C 10.21 -, juris, Rn. 17, m. w. N.
115(2) Nach diesen Maßstäben ist zur Überzeugung des Gerichts keine tatsächliche Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Fall der Rückkehr des Klägers nach Iran auszumachen.
116Anhaltspunkte dafür, dass die derzeitigen humanitären Verhältnisse in Iran einer Abschiebung des Klägers dorthin zwingend entgegenstehen würden mit der Folge eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK, sind nicht erkennbar. Zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass der dem Akteninhalt nach gesunde und erwerbsfähige Kläger bei einer Rückkehr in der Lage sein wird, in Iran (wieder) seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er hat Abitur und vor seiner Ausreise 15 Jahre lang eine Fischzucht und dann drei Jahre lang ein Einzelhandelsgeschäft betrieben und zudem auch ein Gerüstbauunternehmen geführt. Gegenüber dem Bundesamt hat er seine wirtschaftliche Situation vor der Ausreise als sehr gut beschrieben und darauf verwiesen, dass er auch noch ein Grundstück besitze. Es ist daher zu erwarten, dass er jedenfalls seinen existenziellen Lebensunterhalt wird sichern, ein Obdach finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung wird erhalten können. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die Begründung zu Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG).
1172. Der Kläger hat nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
118a. Dies kann in erster Linie aus individuellen Gründen der Fall sein. Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auch durch nichtstaatliche Gruppen oder Einzelpersonen umfasst.
119Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 306 f., m. w. N.
120Ausgehend hiervon ist nach dem zuvor unter Ziffer I. Ausgeführen auch eine für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante erhebliche konkret-individuelle Gefahr nicht beachtlich wahrscheinlich.
121b. Neben individuellen Gefahren für Leib und Leben können ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
122Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 306 f., m. w. N.
123Zwar sind allgemeine Gefahren gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Etwas anderes gilt in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise dann, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser allgemeinen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. In diesem Fall gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren.
124Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 312 f., m. w. N.
125Damit stellt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG an die Gefahr einer aufgrund allgemeiner Umstände im Zielstaat drohenden Rechtsgutverletzung jedenfalls keine geringeren Anforderungen als § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht vor, scheidet eine nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante Extremgefahr ebenfalls aus.
126Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A -, juris, Rn. 315.
127Ausgehend hiervon sind Anhaltpunkte für das Vorliegen einer solchen extremen Gefahrenlage für den Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich. Für die Annahme, dass er aufgrund der aktuellen Verhältnisse in Iran bei einer Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt würde und das Absehen von einer Abschiebung in seinem Fall daher verfassungsrechtlich zwingend geboten ist, fehlt es an belastbaren Anhaltspunkten und dies belegenden Erkenntnismitteln.
128V. Die unter Ziffer 5. des angegriffenen Bescheids verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung von 30 Tagen ist zutreffend auf §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG gestützt und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass der Abschiebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG der Gesundheitszustand, das Kindeswohl oder familiäre Bindungen des Klägers entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist sichergestellt, dass der Kläger nicht von seiner - ebenfalls nicht bleibeberechtigten und damit ausreisepflichtigen - Familie getrennt, sondern ggf. gemeinsam mit dieser nach Iran zurückgeführt wird, nachdem die Kammer auch die Asylklagen seiner Familienangehörigen mit Urteilen vom gleichen Tag abgewiesen hat und diese nicht über Aufenthaltstitel verfügen.
129Vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 -, juris, Rn. 12 ff., 25, und vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 15 ff.
130VI. Schließlich ist auch die Anordnung eines auf 30 Monate befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer 6. des angefochtenen Bescheids) nach Maßgabe des sich aus § 114 Satz 1 VwGO ergebenden (eingeschränkten) Prüfungsumfangs des Gerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat sich mit der Fristbestimmung am Mittelwert der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten Frist von bis zu 5 Jahren orientiert. Besondere Umstände, die eine abweichende Befristungsentscheidung nahelegen könnten und bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung Berücksichtigung finden müssten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
131Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.