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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1 ZPO).
2II. Die Kammer versteht den ausdrücklich gestellten Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4bei sachgerechter Auslegung des Antragsbegehrens (§§ 88, 122 VwGO), die mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch bei anwaltlich vertretenen Antragstellern geboten ist, wenn das Rechtsschutzziel klar zu erkennen ist,
5vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 2 BvR 254/07 -, juris, Rn. 17,
6dahin, dass er beantragt,
7die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums - 8 K 2400/24 - gegen die in der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22. August 2024 enthaltene Versagung einer Aufenthaltserlaubnis (Ziffer I.), die Abschiebungsandrohung nach Nigeria (Ziffer II.) und das auf zwei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer III.) anzuordnen.
8Der Antragsteller nimmt in der Klagebegründung Bezug auf sein gesamtes bisheriges Vorbringen. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hat er aber in erster Linie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend gemacht. Da er vorläufigen Rechtsschutzes begehrt und sich damit gegen eine Aufenthaltsbeendigung vor Abschluss des Klageverfahrens wendet, ist davon auszugehen, dass er sich mit dem vorliegenden Antrag gegen alle in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung getroffenen Regelungen wendet, d.h. insbesondere auch gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis, die – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – zum Verlust der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG geführt hat.
9Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.
101. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer I. der Ordnungsverfügung enthaltene Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist der Antrag zulässig, weil der Klage insoweit keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
11Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig, weil die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin für den Antragsteller den Verlust einer bestehenden Rechtsposition zur Folge hatte. Denn der vom Antragsteller mit Schreiben vom 20. Juli 2022 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst. Nach dieser Vorschrift gilt in dem Fall, dass ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt.
12Der Antragsteller hielt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 20. Juli 2022 gemäß § 2 Abs. 5 der Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung vom 7. März 2022 (BAnz AT 8. März 2022 V1), geändert durch Art. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung vom 26. April 2022 (BAnz AT 3. Mai 2022 V1) - UkraineAufenthÜV -) rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet auf und durfte gemäß § 3 UkraineAufenthÜV die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen. Nach § 2 Abs. 5 UkraineAufenthÜV sind die Einreise und der Aufenthalt der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Ausländer rechtmäßig, soweit der Regelungsgegenstand der Verordnung reicht. Gemäß § 3 Satz 1 UkraineAufenthÜV kann ein – für die Zeit nach Außerkrafttreten der Verordnung (§ 1 UkraineAufenthÜV) – erforderlicher Aufenthaltstitel von den in § 2 Abs. 1 bis 3 UkraineAufenthÜV genannten Ausländern im Bundesgebiet eingeholt werden. Die Befreiung nach § 2 UkraineAufenthÜV steht der Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen (Satz 2).
13Der Antragsteller fällt unter den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV. Danach sind Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung – 31. August 2022 (§ 4 Abs. 2 UkraineAufenthÜV) – in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.
14Der Antragsteller, der im Juli 2021 mit einem Visum in die Ukraine eingereist war, hielt sich am 24. Februar 2022 zum Zwecke des Studiums – mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig – in der Ukraine auf und reiste nach seinen eigenen unbestrittenen Angaben am 10. Mai 2022 in das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines nationalen Aufenthaltstitels für einen langfristigen Aufenthalt zu sein.
15Dass der Antragsteller nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt und nicht im Besitz eines unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitels ist, ist für die Anwendung des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV unerheblich. Die Vorschrift erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut generell „Ausländer“ ohne Einschränkung in Bezug auf deren Staatsangehörigkeit. Dieses Verständnis belegt auch ein systematischer Vergleich mit den Absätzen 2 und 3 der Vorschrift, die ukrainische Staatsangehörige sowie in der Ukraine anerkannte Flüchtlinge und Personen, die in der Ukraine internationalen oder gleichwertigen nationalen Schutz erhalten haben, erfassen. Im Umkehrschluss zu diesen Regelungen ist § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV daher von seinem personellen Anwendungsbereich weiter gefasst. Die Vorschrift verlangt – anders als Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes – nach ihrem eindeutigen Wortlaut auch nicht den Besitz eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels.
16§ 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV widerspricht insoweit auch nicht etwa europäischen Rechtsvorgaben. Denn die Verordnung zielt schon von ihrem Regelungsinhalt her nicht auf die Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz ab, wie dieser in Art. 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 i.V.m. Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG geregelt und durch § 24 Abs. 1 AufenthG in nationales Recht umgesetzt ist. Sie regelt lediglich die vorübergehende Befreiung von bestimmten Ausländern vom Erfordernis des Besitzes eines Aufenthaltstitels und der Ermöglichung der Einholung eines für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitels (vgl. § 1 UkraineAufenthÜV). Die Regelungsbefugnis hierfür liegt aber in der alleinigen Zuständigkeit des nationalen Gesetz- bzw. Verordnungsgebers (vgl. § 99 Abs. 1 Nr. 1 und 2 und Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG).
17Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakts und dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren von einer Vollziehung der Ausreisepflicht verschont zu bleiben, fällt zulasten des Antragstellers aus, weil sich die Ordnungsverfügung als offensichtlich rechtmäßig erweist.
18a) Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist formell rechtmäßig ergangen.
19Insbesondere ist der Antragsteller vor der Entscheidung ordnungsgemäß nach § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört worden, und zwar mit Schreiben vom 16. August 2022 und vom 13. März 2023.
20b) Die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist auch materiell rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Dem Antragsteller steht in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
21aa) Der Antragsteller hat zunächst keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz nach § 24 Abs. 1 AufenthG.
22Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (Massenzustrom-Richtlinie) vorübergehender Schutz gewährt wird und der seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden, für die nach den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie bemessene Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
23Dem Antragsteller wurde nicht auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt.
24Die Voraussetzung der Gewährung vorübergehenden Schutzes „auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG“ ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik der Vorschrift dahin zu verstehen, dass dem Ausländer unmittelbar durch einen Ratsbeschluss, aufgrund dessen gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG in allen Mitgliedstaaten der vorübergehende Schutz zugunsten der von dem Beschluss erfassten Vertriebenen verbindlich eingeführt wird, gewährt wird und nicht (auch) durch eine Erstreckung der Gewährung vorübergehenden Schutzes auf weitere, von dem Ratsbeschluss nicht erfasste Gruppen von Vertriebenen aufgrund einer nationalen Reglung der Mitgliedstaaten nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG.
25Vgl. hierzu grundlegend: OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2023 - 18 B 285/23 -, juris, Rn. 18 ff.
26Bereits der Wortlaut der Vorschrift „auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG“ spricht dafür, dass die Gewährung vorübergehenden Schutzes unmittelbar auf der Grundlage des Beschlusses des Rates der Europäischen Union, durch den das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen festgestellt und die Personengruppen, denen vorübergehender Schutz gewährt wird, in allen Mitgliedstaaten verbindlich festgelegt werden, erfolgen muss.
27In diese Richtung weist auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Nach der Begründung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz sollten mit § 24 AufenthG die wesentlichen Bestimmungen der Richtlinie 2001/55/EG in nationales Recht umgesetzt werden. Auch wurde hervorgehoben, dass die Entscheidung über das „Ob“ der Aufnahme von Flüchtlingen – anders als nach der Vorgängerregelung des § 32a AuslG – nicht mehr in der Hand der obersten Landesbehörde liege, sondern vom Rat der Europäischen Union getroffen werde (vgl. BT-Drs. 15/420, Seite 78). In der Begründung zu § 23 AufenthG wird zudem klargestellt, dass sich die Gewährung von vorübergehendem Schutz durch eine vorhergehende Entscheidung auf EU-Ebene – anders als eine Anordnung nach § 23 AufenthG – dagegen nach § 24 AufenthG richte (vgl. BT-Drs. 15/420, Seite 77). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber das Regelungskonzept der Massenzustrom-Richtlinie übernehmen und umsetzen wollte. Die Richtlinie 2001/55/EG differenziert aber bezüglich der Gewährung vorübergehenden Schutzes gerade ausdrücklich zwischen der – vorbehaltlich der Entscheidung der Mitgliedstaaten über die Aufnahmekapazität (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2001/55/EG) – verbindlichen Einführung des vorübergehenden Schutzes in allen Mitgliedstaaten und der Bestimmung des Personenkreises, dem vorübergehender Schutz gewährt wird, durch den Beschluss des Rates nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2001/55/EG einerseits und der den Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG eingeräumten Möglichkeit, den vorübergehenden Schutz durch eine nationale Regelung – ohne Eingreifen des europäischen Solidaritätsmechanismus des Kapitels VI der Richtlinie (vgl. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG) – unter den dort genannten Voraussetzungen auch auf weitere, von dem Beschluss des Rates nach Artikel 5 nicht erfasste Personengruppen auszuweiten, andererseits. Es ist daher anzunehmen, dass diese Differenzierung auch im deutschen Recht Berücksichtigung finden und umgesetzt werden sollte.
28Für dieses Normverständnis sprechen maßgeblich auch die Regelungen in § 23 AufenthG, wo die Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden (Abs. 1), die Aufnahme bei besonders gelagerten politischen Interessen durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (Abs. 2) und die Neuansiedlung von Schutzsuchenden durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (Abs. 4) geregelt wird. In § 23 Abs. 3 AufenthG ist ausdrücklich bestimmt, dass die Anordnung vorsehen kann, dass § 24 AufenthG ganz oder teilweise entsprechende Anwendung findet. Unter Anordnung ist dabei sowohl die Anordnung nach Absatz 1 als auch nach Absatz 2 zu verstehen. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung des Absatzes 3 hinter den Absätzen 1 und 2 sowie dem Umstand, dass nach der bis zum 23. Mai 2007 geltenden Ursprungsfassung der Vorschrift Absatz 2 auf Absatz 1 Bezug nahm und die Zuständigkeit für die Anordnung in Absatz 2 noch nicht dem Bundesministerium des Innern und für Heimat zugewiesen war. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 23 AufenthG sollte mit Absatz 3 aber gerade die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG umgesetzt werden, wonach es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibe, vorübergehenden Schutz gemäß der Richtlinie weiteren Gruppen von Vertriebenen zu gewähren. Auf die Aufnahmebedingungen nach § 24 AufenthG könne ganz oder teilweise verwiesen werden, wenn auf nationaler Ebene – ohne eine Aufnahmeaktion aufgrund eines Ratsbeschlusses – Ausländer aufgenommen würden. § 23 Abs. 3 AufenthG enthalte insoweit einen klarstellenden Hinweis (vgl. BT-Drs. 15/420, Seite 78). Durch die systematische Einordnung der den Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2001/55/EG eingeräumten Möglichkeit zur Ausweitung des vorübergehenden Schutzes durch eine nationale Regelung auf weitere, von dem Beschluss des Rates nach Artikel 5 nicht erfasste Personengruppen hat der Gesetzgeber jedoch klargestellt, dass eine solche nationale Regelung in Form einer Anordnung nach § 23 Abs. 1 oder 2 AufenthG zu erfolgen hat. Daraus folgt zugleich, dass § 24 Abs. 1 AufenthG ausschließlich die Gewährung vorübergehenden Schutzes aufgrund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union und nicht auch aufgrund einer nationalen Anordnung nach § 23 Abs. 1 oder 2 AufenthG erfasst.
29Ausgehend von diesen Maßstäben fällt der Antragsteller nicht unter den Personenkreis, dem aufgrund eines Ratsbeschlusses vorübergehender Schutz gewährt wird.
30Zwar ist mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG festgestellt und ein vorübergehender Schutz eingeführt worden, der – nach zweimaliger automatischer Verlängerung um jeweils sechs Monate (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2001/55/EG) – zunächst mit Art. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2023/2409 des Rates vom 19. Oktober 2023 um ein Jahr bis zum 4. März 2025 und zuletzt mit Art. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2024/1836 des Rates vom 25. Juni 2024 um ein weiteres Jahr bis zum 4. März 2026 verlängert wurde.
31(1) Der Antragsteller gehört nicht zu den Personengruppen, für die gemäß Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 der vorübergehende Schutz gilt.
32Nach dieser Bestimmung sind dies die folgenden Gruppen von Personen, die am oder nach dem 24. Februar 2022 infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte, die an diesem Tag begann, aus der Ukraine vertrieben wurden:
33a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten,
34b) Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und
35c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen.
36Der Antragsteller ist weder ukrainischer Staatsangehöriger noch ist ihm in der Ukraine internationaler Schutz oder ein gleichwertiger nationaler Schutz zuerkannt worden.
37Er ist auch nicht Familienangehöriger einer dieser Personengruppen.
38Gemäß Art. 2 Abs. 4 Buchst. a) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 gelten für die Zwecke des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses folgende Personen als Teil einer Familie, sofern die Familie bereits vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine anwesend und aufhältig war: Der Ehegatte einer in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) oder b) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 genannten Person oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit dieser Person in einer dauerhaften Beziehung lebt, sofern nicht verheiratete Paare nach den nationalen ausländerrechtlichen Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verheirateten Paaren gleichgestellt sind.
39Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben mit der ukrainischen Staatsangehörigen H. nicht verheiratet. Auch wenn man aufgrund seiner Angaben und der eidesstattlichen Versicherung der Frau H. davon ausgeht, dass er schon vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine mit dieser in einer dauerhaften Beziehung zusammengelebt hat, genügt dies nicht, um ihn als Familienangehörigen zu dem von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses begünstigten Personenkreis zu zählen.
40Es fehlt bereits an der weiteren Voraussetzung der Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 4 Buchst. a) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382, dass nicht verheiratete Paare nach den nationalen ausländerrechtlichen Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verheirateten Paaren gleichgestellt sind. Diese Voraussetzung ist in – im Wesentlichen – gleicher Form auch in anderen unionsrechtlichen Bestimmungen des Begriffs des Familienangehörigen enthalten, etwa in der Regelung zur Familienzusammenführung in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a) der Richtlinie 2001/55/EG – Massenzustrom-Richtlinie – („Ehegatte des Bürgen oder der nicht verheiratete Partner des Bürgen, der mit diesem eine dauerhafte Beziehung führt, sofern gemäß den Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ähnlich behandelt werden wie verheiratete Paare nach dessen Ausländerrecht“), in Art. 2 Buchst. g) der Dublin-III-VO („Ehegatte des Antragstellers und sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratetet Paare“), in Art. 2 Buchst. j) 1. Spiegelstrich der Richtlinie 2011/95/EU – Anerkennungsrichtlinie – („Ehegatte der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit ihr eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaates nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratetet Paare“) sowie in Art. 2 Bucht. c) 1. Spiegelstrich der Richtlinie 2013/33/EU – Aufnahmerichtlinie – („Ehegatte des Antragstellers oder dessen nicht verheirateter Partner, der mit dem Antragsteller eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem einzelstaatlichen Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaates nicht verheiratete Paare nach dem einzelstaatlichen Ausländerrecht betreffend Drittstaatsangehörige vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare“). Mit dieser Voraussetzung wird an die geltende Rechtslage des jeweiligen Mitgliedstaates angeknüpft, in dem der Antragsteller vorübergehenden Schutz begehrt, sowie daran, ob diese eine Gleichstellung von nicht verheirateten Personen, die in einer dauerhaften Beziehung leben, mit verheirateten Personen rechtlich vorsieht. Mit dem Begriff „Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ wird dabei auf die gesamte Rechtsordnung sowie die Verwaltungspraxis (vgl. auch etwa die englische Sprachfassung „practice“ oder die französische Sprachfassung „la pratique“) des jeweiligen Mitgliedstaates abgestellt. Dieser (weite) Begriff erfährt eine Einschränkung durch den Zusatz „ausländerrechtlich“ – bzw. in den anderen Definitionen „nach dessen Ausländerrecht“ oder „nach dem einzelstaatlichen Ausländerrecht“ –, der sich auf beide Begriffe („Rechtsvorschriften“ und „Gepflogenheiten“) bezieht und klarstellt, dass eine Gleichbehandlung bei der Anwendung des Durchführungsbeschlusses – bzw. den anderen Rechtsakten – nur für jene Mitgliedstaaten gilt, in denen eine solche bereits nach dem nationalen Ausländerrecht – und nicht etwa nach anderen Rechtsbereichen oder jenseits der Rechtsordnung – besteht.
41Vgl. ähnlich zu Art. 2 Buchst. g) der Dublin-III-VO: Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand: 1.2.2014, Art. 2, Anm. K29.
42Nach dem deutschen Ausländer- und Asylrecht einschließlich der zugehörigen Verwaltungspraxis werden nicht verheiratete Paare ausländer- und asylrechtlich aber gerade nicht vergleichbar behandelt wie verheiratete Paare.
43Vgl. ebenso zu Art. 2 Buchst. g) der Dublin-III-VO: OVG NRW, Urteil vom 18. Juli 2016 - 13 A 1859/14.A -, juris, Rn. 32 ff.
44Sowohl im Rahmen des Familienasyls nach § 26 Abs. 1 AsylG,
45vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2005 - 1 C 17.03 -, juris, Rn. 9,
46als auch im Aufenthaltsrecht,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 -, juris, Rn. 16, Marx, in: GK-AufenthG, Stand Oktober 2024, § 27 Rn. 15 ff., 28 Rn. 49,
48ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich; eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus. Auch der Schutz des Art. 6 GG greift nur bei rechtsgültig geschlossenen, staatlich anerkannten Ehen,
49vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 -, juris, Rn. 83, und vom 2. Februar 1993 - 2 BvR 1491/91 -, juris, Rn. 8 ff.,
50nicht hingegen bei eheähnlichen Lebensgemeinschaften.
51Vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 1958 - 1 BvL 3/57 u.a. -, juris, Rn. 56, und Beschlüsse vom 14. November 1973 - 1 BvR 719/69 juris, Rn. 51, und vom 9. November 2004 - 1 BvR 684/98 -, juris, Rn. 49.
52Nach dem deutschen Ausländer- und Asylrecht sind nicht verheiratete Paare verheirateten Paaren nur im Fall einer lebenspartnerschaftlichen Gemeinschaft gleichgestellt (vgl. §§ 27 Abs. 2, 30 Abs. 1 AufenthG sowie § 26 Abs. 1 AsylG). Eine lebenspartnerschaftliche Gemeinschaft ist jedoch nur die Gemeinschaft von zwei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes (vgl. § 1 LPartG).
53Vgl. auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 17. September 2024 - 3 B 84/24 -, juris, Rn. 15; VG Berlin, Beschluss vom 8. Mai 2024 - 11 L 265/24 -, juris, Rn. 21; VG München, Beschluss vom 1. September 2023 - M 4 S 23.2442 -, juris, Rn. 34; VG Leipzig, Beschluss vom 16. Januar 2024 - 3 L 456/23 -, juris, Rn. 32; Dietz, Kriegsvertriebene aus der Ukraine, NVwZ 2022, 505 (507).
54Eine solche Lebenspartnerschaft liegt hier jedoch nicht vor.
55Nichts anderes ergibt sich aus dem Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 an die für Aufenthaltsrecht zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen der Länder zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung eines Massenzustroms im Sinne des Artikel 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes.
56Vgl. BayVGH, Beschluss vom 31. Oktober 2023 - 10 C 23.1793 -, juris, Rn. 8, der erwogen, aber offengelassen hat, ob die Hinweise als „Gepflogenheiten“ im Sinne des Art. 2 Abs. 4 Buchst. a) des Durchführungsbeschlusses zu verstehen sind.
57Zwar wird in der darin enthaltenen Erläuterung zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des Durchführungsbeschlusses der Begriff der „nicht verheirateten Partner, die in einer dauerhaften Beziehung leben“, als Lebensgefährtin oder Lebensgefährte im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c) FreizügG/EU definiert und dabei auf die Definition in Nr. 3.1.5.3 der Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zu Umsetzung des Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und anderer Gesetze an das Unionsrecht in der Fassung vom 22. Januar 2021 Bezug genommen.
58Das Länderschreiben ist jedoch nicht geeignet, deutsches Ausländerecht einschließlich einer verbindlichen Verwaltungspraxis im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses (erstmals) zu begründen, da es sich hierbei nur um bloße Anwendungshinweise handelt, die weder für die Ausländerbehörden noch für die Verwaltungsgerichte Bindungswirkung entfalten. Die seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges ergangenen Hinweisschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat sind insbesondere keine die Länder bindenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 84 Abs. 2 GG. Dies schon deshalb nicht, weil die erforderliche Zustimmung des Bundesrates nicht vorliegt.
59Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Oktober 2022 - 11 S 1467/22 -, juris, Rn. 22.
60Unabhängig davon führte auch eine Bezugnahme auf den Begriff der Lebensgefährtin oder des Lebensgefährten im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c FreizügG/EU nicht zu einer Gleichstellung nicht verheirateter Paare mit verheirateten Paaren. Denn im Freizügigkeitsgesetz/EU, das im Übrigen keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige findet (vgl. § 1 Abs. 1 FreizügG/EU), sind Lebensgefährtinnen oder Lebensgefährten gerade keine Familienangehörige (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU), sondern lediglich sog. „nahestehende Personen“ (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU) des Stammberechtigten und haben als solche – anders als Familienangehörige, die aus eigenem Recht ein antragsunabhängiges, unmittelbar aus dem Unionsrecht fließendes Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet haben (§ 2 Abs. 1, §§, 3 und 4 FreizügG/EU) – lediglich einen nationalen, antragsgebundenen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet (vgl. § 3a Abs. 1 FreizügG/EU „kann ... verliehen werden“). Eine Gleichstellung mit Ehegatten ist damit nach deutschem Ausländerrecht gerade nicht vorgesehen.
61Vgl. ähnlich Sächsisches OVG, Beschluss vom 17. September 2024 - 3 B 84/24 -, juris, Rn. 15.
62Der Antragsteller ist auch kein „anderer enger Verwandter“ im Sinne von Art. 2 Abs. 4 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass er zum Zeitpunkt der den Massenzustrom von Vertriebenen auslösenden Umstände mit der ukrainischen Staatsangehörigen Frau H. innerhalb des Familienverbandes zusammenlebte und vollständig oder größtenteils von ihr anhängig war. Gegen das Vorliegen der letzteren Voraussetzung spricht bereits, dass der Antragsteller im Mai 2022 getrennt von Frau H. in das Bundesgebiet eingereist ist und seitdem alleine ohne häusliche Gemeinschaft mit dieser hier lebt.
63Darüber hinaus fehlt es im Fall des Antragstellers auch an der weiteren Voraussetzung für die Gewährung vorübergehenden Schutzes an Familienangehörige im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382, nämlich dass auch der ukrainische Staatsangehörige, von dem der Schutz abgeleitet wird (vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382), aufgrund der russischen Invasion aus dem Staatsgebiet der Ukraine vertrieben wurde.
64Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Juni 2024 – 11 S 1425/23 -, juris, Rn. 22, und VGH Hessen, Beschluss vom 17.05.2023 - 3 B 1948/22 - juris Rn. 12 ff.
65Dieser Normverständnis ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut und der Gesetzessystematik der Bestimmung, denn der erste Halbsatz des Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 („Personen, die am oder nach dem 14. Februar 2024 aus der Ukraine vertrieben wurden“) bezieht sich auf alle drei in den Buchstaben a) bis c) genannten Personengruppen. Wenn in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses für den Stammberechtigten des Familienangehörigen an die unter den Buchstaben a) und b) genannten Personen angeknüpft wird, müssen jedoch auch diese Personen sämtliche Voraussetzungen der Bestimmung einschließlich des ersten Halbsatzes erfüllen. Des Weiteren ist im Erwägungsgrund 11 zum Durchführungsbeschluss klargestellt, dass es wichtig sei, den Familienverband zu wahren und zu vermeiden, dass für einzelne Mitglieder derselben Familie ein unterschiedlicher Status gilt, und deswegen der vorübergehende Schutz auch auf Familienangehörige der unter a) und b) genannten Personen – und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – erstreckt werden müsse, wenn die Familie zum Zeitpunkt der den Massenzustrom von Vertriebenen auslösenden Umstände bereits in der Ukraine anwesend und aufhältig gewesen sei. Ein Schutz für drittstaatsangehörige Familienangehörigen, deren ukrainische Familie in der Ukraine verblieben ist, ist von diesem Schutzzweck nicht umfasst. Der Rat der Europäischen Union hat vielmehr eine Regelung für den Fall treffen wollen, dass sich ein geflüchteter ukrainischer Staatsangehöriger gemeinsam mit seinem drittstaatsangehörigen Familienmitglied in dem Gebiet eines Mitgliedstaats aufhält. Denn nur in diesem Fall würden innerhalb eines Familienverbandes unterschiedliche Status gelten. Solange der ukrainische Staatsangehörige sich noch auf dem Staatsgebiet der Ukraine befindet, hat er in dem Mitgliedstaat – hier der Bundesrepublik – aber keinen aufenthaltsrechtlichen Status inne. Eine Stütze für die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch den Schutz von Drittstaatsangehörigen gewähren sollen, deren ukrainische Familienangehörige in der Ukraine verblieben sind, findet sich auch sonst weder im Beschlusstext noch in den Erwägungsgründen. Diese sind vielmehr nicht anders als andere Drittstaatsangehörige zu behandeln, die sich zum Zeitpunkt der Invasion russischer Streitkräfte rechtmäßig in der Ukraine aufhielten.
66Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Länderscheiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024. Dort wird zu Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses ausgeführt, die Familienangehörigen erhielten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG aus eigener Berechtigung aufgrund des Durchführungsbeschlusses; dabei müssten die unter Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) und b) genannten Personen sich noch nicht im Bundesgebiet aufhalten. Es handele sich nicht um einen Fall der Familienzusammenführung. Zu der Frage, ob ein Anspruch besteht, wenn der ukrainische Familienangehörige in der Ukraine verblieben ist, verhält sich der Anwendungserlass jedoch gerade nicht.
67Vgl. ebenso: Hessischer VGH, Beschluss vom 17. Mai 2023 - 3 B 1948/22 -, juris, Rn. 16.
68Gemessen daran kommt die Gewährung vorübergehenden Schutzes auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 nicht in Betracht, weil sich die Lebensgefährtin des Antragstellers weiterhin in der Ukraine aufhält. Nach den Angaben des Antragstellers im Verwaltungsverfahren ist Frau H. Krankenschwester und hat sich entschlossen, vorerst in der Ukraine zu bleiben, um im Krieg verletzten Soldaten und Zivilisten Hilfe zu leisten. Der Antragsteller ist demnach bei Kriegsbeginn allein in die Bundesrepublik Deutschland geflohen. Dass die Lebensgefährtin des Antragstellers – wie von ihm im Verwaltungsverfahren angekündigt – inzwischen ebenfalls nach Deutschland geflohen ist, hat der Antragsteller bislang weder vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht.
69(2) Der Antragsteller zählt auch nicht zu der Personengruppe, für die gemäß Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 der vorübergehende Schutz gilt.
70Nach dieser Bestimmung wenden die Mitgliedstaaten entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.
71Der Antragsteller hat sich nicht aufgrund eines gültigen unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten. Er war lediglich im Besitz eines bis zum 31. August 2025 befristeten ukrainischen Aufenthaltstitels.
72(3) Eine Einbeziehung des Antragstellers in den Personenkreis, dem aufgrund eines Beschlusses des Rates der EU vorübergehender Schutz gewährt wird, ergibt sich auch nicht aus Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022.
73Soweit dort vorgesehen ist, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 der Richtlinie 2001/55/EG diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden können, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können, wird dieser Personengruppe gerade nicht aufgrund des Beschlusses des Rates nach Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt. Vielmehr räumt die Bestimmung, wie schon ihr Wortlaut und die ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 7 der Richtlinie 2001/55/EG zeigt, den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit ein, den vorübergehenden Schutz auch auf die dort genannten weiteren, von dem Ratsbeschluss nach Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG nicht erfassten Personen durch eine nationale Regelung zu erstrecken. Die Bestimmung entfaltet daher weder gegenüber den Mitgliedstaaten verbindliche Wirkung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG noch vermittelt sie den darin genannten Personen ein subjektives Recht und damit einen Anspruch auf Gewährung vorübergehenden Schutzes und Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG.
74Vgl. ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2023 - 18 B 285/23 -, juris, Rn. 35 ff.; Dietz, Kriegsvertriebene aus der Ukraine, NVwZ 2022, 505 (506).
75Ein solches Verständnis von der Rechtsqualität des Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 legt auch die Kommission in ihrer Mitteilung zu operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses zugrunde (vgl. 2022/C 126 I/01, ABl. C 126I vom 21. März 2022). Dort werden auf Seite 6 der Leitlinien (Ziff. (4) und (5)) als Gruppen von Vertriebenen, die keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz haben u.a. Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine genannt, die dort am 24. Februar 2022 kurzfristig wohnhaft waren, gleich ob sie sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Als Beispiel hierfür werden ausdrücklich Studenten und Arbeitnehmer bezeichnet. Dabei verweist die Kommission auch auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, den vorübergehenden Schutz auf andere Gruppen nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG auszuweiten. In Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses werde insbesondere auf einzelne Gruppen, für die dies in Betracht komme, verwiesen.
76Wollte man der Bestimmung des Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 ein anderes, über Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG hinaus rechtsbegründendes Verständnis beimessen, stünde die Bestimmung im Übrigen auch nicht im Einklang mit der Richtlinie, wäre also unionsrechtwidrig. Auf die Richtlinie 2001/55/EG gestützte Durchführungsbeschlüsse sind in der Rangordnung des Unionsrechts unterhalb des Sekundärrechts anzusiedeln, müssen also im Einklang mit dieser ergehen. Die Rechtsetzungskompetenz des Rates erstreckt sich in der Folge nur so weit, wie dem Rat durch Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG Kompetenzen übertragen worden sind. Eine Überschreitung der Kompetenzen führt zur Nichtigkeit der entsprechenden Vorschrift. Eine über die Fassung des Beschlusses nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG hinausreichende Kompetenz des Rates ist in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG gerade nicht gegeben. Die Ausdehnung des vorübergehenden Schutzes auf weitere Gruppen von Verfolgten fällt allein in die Kompetenz der Mitgliedstaaten.
77Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Juni 2023 - 18 B 285/23 -, juris, Rn. 35 ff., und vom 14. Oktober 2022 - 18 B 964/22 -, juris, Rn. 29.
78Nach den vorstehenden Maßstäben sind auch politische oder administrative (Leit-) Entscheidungen oder Hinweise zur Umsetzung des § 24 Abs. 1 AufenthG – wie das Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 14. März 2022 an die für das Aufenthaltsrecht zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen der Länder zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung eines Massenzustroms im Sinne des Artikel 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (Az. M3-21000/33#6, dort Seite 5, Ziff. 3.) bzw. die nachfolgenden Versionen (zuletzt vom 5. September 2022 i.d.F. vom 20. September 2022, dort Seite 6, Ziffer 4.) – schon dem Grunde nach nicht geeignet, weiteren Personengruppen als denen, welchen durch den Durchführungsbeschluss des Rates nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG unmittelbar vorübergehender Schutz gewährt wird, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG zu vermitteln. Es fehlt insoweit an einem von der Vorschrift vorausgesetzten Beschluss des Rates der Europäischen Union nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/55/EG.
79Vgl. ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 29. Juni 2023 - 18 B 285/23 -, juris, Rn. 46 ff.
80Der Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 verstößt hinsichtlich der Festlegung des Personenkreises, dem vorübergehender Schutz gewährt wird, auch nicht gegen höherrangiges Unionsrecht, namentlich den Grundsatz der Nichtdiskriminierung nach Art. 21 Abs. 1 GRCh.
81Ein Beschluss des Rates nach Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG ergeht nach dessen Absatz 1 auf Vorschlag der Kommission, hat mindestens die in Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2001/55/EG genannten Festlegungen zu enthalten (Beschreibung der spezifischen Personengruppen, denen Schutz gewährt wird (Buchst. a), Zeitpunkt des Wirksamwerdens des vorübergehenden Schutzes (Buchst. b), Informationen der Mitgliedstaaten über ihre Aufnahmekapazitäten und Informationen der Kommission, des UNHCR und anderer einschlägiger internationaler Organisationen (Buchst. c) und hat sich auf die in Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2001/55/EG genannten Gesichtspunkte zu stützen (Prüfung der Lage und des Umfangs der Wanderbewegungen (Buchst. a), Bewertung der Zweckmäßigkeit der Einleitung vorübergehenden Schutzes unter Berücksichtigung der Möglichkeiten zur Gewährung von Soforthilfe und für vor Ort zu treffende Maßnahmen oder der Unzulänglichkeit solcher Maßnahmen (Buchst. b), Angaben der Mitgliedstaaten, der Kommission, des UNHCR und anderer einschlägiger internationaler Organisationen (Buchst. c)). Auch wenn durch die Definition der Begriffe „vorübergehender Schutz“, „Vertriebene“ und „Massenzustrom“ in Art. 2 Buchst. a), c) und d) der Richtlinie 2001/55/EG sowie durch die Festlegung der Voraussetzungen für eine Beendigung des vorübergehenden Schutzes in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2001/55/EG ein rechtlicher Rahmen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes vorgegeben ist, steht die genaue Festlegung der spezifischen Personengruppen, denen vorübergehender Schutz gewährt wird, wegen dabei (auch) anzustellenden Zweckmäßigkeitserwägungen und Prognoseentscheidungen, die betroffenen Personen gerade unabhängig von den Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, namentlich der eine aufwändige Einzelfallprüfung erfordernden Zuerkennung internationalen Schutzes, sofortigen Schutz bieten sollen, im Ermessen des Rates. Es handelt sich daher bei dem Ratsbeschluss – nicht anders als auf nationaler Ebene bei Anordnungen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat nach § 23 Abs. 2 AufenthG – letztlich (auch) um eine politische Ermessenentscheidung, die im Grundsatz keiner umfassenden gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Der Rat kann vielmehr – auf Vorschlag der Kommission – im Rahmen seines Entschließungs- und Auswahlermessen den von dem Beschluss erfassten Personenkreis bestimmen. Die Ausübung dieses Ermessens wird lediglich durch das allgemeine Willkürverbot begrenzt. Die Beschränkung der Gewährung vorübergehenden Schutzes auf spezifische Personengruppen und der damit verbundene Ausschluss von Personen, die diese Kriterien nicht erfüllen, kann daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen willkürlich sein, wenn für die vorgenommene Differenzierung keinerlei nachvollziehbare Gründe ersichtlich sind.
82Vgl. ebenso: zu Anordnungen des BMI nach § 23 Abs. 2 AufenthG: BVerwG, Urteil vom 15. November 2011 - 1 C 21.10 -, juris, Rn. 16 und 23.
83Davon kann hier jedoch nicht ausgegangen werden. Die Anknüpfung der Gewährung des vorübergehenden Schutzes in Art. 2 Abs. 1 und 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 an die ukrainische Staatsangehörigkeit, die Zuerkennung internationalen Schutzes oder gleichwertigen nationalen Schutzes an Drittstaatsangehörige oder Staatenlose in der Ukraine, den Status als Familienangehöriger dieser Personen sowie den Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in der Ukraine beruht auf sachlich nachvollziehbaren Gründen, nämlich der durch die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt begründeten Qualifizierung der Ukraine als Herkunftsland dieser Personengruppen (vgl. zum Begriff Herkunftsland: Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG und Art. 2 lit. n) der Richtlinie 2011/95/EU). Die der Ausklammerung von Drittstaatsangehörigen, die lediglich im Besitz eines befristeten Aufenthaltstitels sind, von der Gewährung vorübergehenden Schutzes zugrundeliegende Annahme, dass ein solcher Titel keine vergleichbar enge Bindung zum Land des Aufenthalts wie ein unbefristetes Aufenthaltsrecht begründet und nicht den Schluss rechtfertigt, die Ukraine sei zum Herkunftsland geworden, ist sachlich gerechtfertigt und gemessen am Willkürmaßstab nicht zu beanstanden.
84Vgl. ähnlich: OVG NRW, Beschluss vom 14. Oktober 2022 - 18 B 964/22 -, juris, Rn. 28.
85bb) Der Antragsteller kann eine Aufenthaltserlaubnis auch nicht aus § 23 Abs. 2 AufenthG i.V.m. dem zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen aktuellen Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 an die für das Aufenthaltsrecht zuständigen Ministerien und Senatsverwaltungen der Länder zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung eines Massenzustroms im Sinne des Artikel 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes ableiten.
86Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann das Bundesministerium des Innern und für Heimat zur Wahrung besonders gelagerter politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Benehmen mit den obersten Landesbehörden anordnen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage erteilt. Den betroffenen Ausländern ist entsprechend der Aufnahmezusage eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis zu erteilen (Satz 3).
87Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist schon nicht eröffnet, weil es sich bei dem Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung eines Massenzustroms im Sinne des Artikel 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes nicht um eine Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 2 AufenthG handelt.
88Ob eine Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 2 AufenthG vorliegt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Da es sich hierbei um eine innerdienstliche Richtlinie handelt, ist diese als Willenserklärung unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden.
89Vgl. zur Anordnung über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer nach § 23 Abs. 2 AufenthG: BVerwG, Urteil vom 15. November 2011 - 1 C 21.10 -, juris, Rn. 14.
90Nach dem vom Bundesministerium des Innern und für Heimat in dem Länderschreiben vom 30. Mai 2024 ausdrücklich erklärten Willen (Seite 1) sollen mit diesem lediglich Hinweise zu einzelnen für die Umsetzung der Durchführungsbeschlüsse (EU) 2022/382 und (EU) 2023/2409 wesentlichen Punkten gegeben werden. Dabei hat es zugleich klargestellt, dass die Hinweise (nur) seine Rechtsauffassung wiedergeben und keine bindenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 84 Abs. 2 GG sind (Seite 2). Eine innerdienstlich verbindliche Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 2 AufenthG mit einem das Ermessen der ausführenden Behörden lenkenden Weisungscharakter,
91vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 15. November 2011 - 1 C 21.10 -, juris, Rn. 13,
92sollte damit erkennbar nicht getroffen werden. Darüber hinaus sind die Hinweise auch weder ausdrücklich auf § 23 Abs. 2 AufenthG gestützt noch ist bei ihrer Erstellung das in § 23 Abs. 2 AufenthG vorgesehene vierstufige Verfahren – Anordnung des Bundesministerium des Innern und für Heimat mit Festlegung der Voraussetzungen für die Aufnahme bestimmter (noch im Ausland befindlicher) Ausländergruppen (1. Stufe), Herstellung des Benehmens mit den obersten Landesbehörden (2. Stufe), Erteilung einer Aufnahmezusage durch das Bundesamt entsprechend der Anordnung (3. Stufe) und Erteilung eines Aufenthaltstitels entsprechend der Aufnahmezusage durch die Ausländerbehörden nach der Einreise (4. Stufe) – eingehalten worden.
93Mangels Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 2 AufenthG fehlt es damit auch an einer ordnungsgemäßen Ausübung der der Bundesrepublik Deutschland in Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG eingeräumten Befugnis zur Erstreckung der Gewährung vorübergehenden Schutzes auf weitere, von dem Ratsbeschluss nicht erfasste Personengruppen.
94Vgl. ebenso: Dietz, Kriegsvertriebene aus der Ukraine, NVwZ 2022, 505 (506).
95Unabhängig davon sieht das aktuelle Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 – im Gegensatz zu dessen Vorfassungen, wonach nichtukrainische Drittstaatsangehörige vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhielten, wenn diese sich am 24. Februar 2022 nachweislich rechtmäßig und nicht nur zu einem vorübergehenden Kurzaufenthalt in der Ukraine aufgehalten haben und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren konnten (vgl. zuletzt Fassung vom 5. September 2022, Ziff. 4, Seite 6) – die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG für nichtukrainische Staatsangehörige nach Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses auch gar nicht mehr vor. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat vielmehr unter Aufgabe der bisherigen Verwaltungspraxis entschieden, nur noch denjenigen Personen Einreise und Aufenthalt zu erleichtern, denen europarechtlich zwingend vorübergehender oder anderweitiger nationaler Schutz zu gewähren ist. In der Konsequenz werde auch das nach Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass Staatenlose und nichtukrainische Drittstaatsangehörige ohne Schutzstatus bzw. nachgewiesenes unbefristetes Aufenthaltsrecht in der Ukraine materiell keinen vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG mehr erhalten sollen. Daher sollen ab dem 5. Juni 2024 für den genannten Personenkreis nach Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses keine Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG mehr erteilt oder verlängert werden (vgl. Länderschreiben vom 30. Mai 2024, Ziff. 4, Seite 9).
96Die nachträgliche Änderung der innerdienstlichen Hinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Auslegung des § 24 AufenthG begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken. Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat bleibt es unbenommen, für die Zukunft seine Verwaltungspraxis zu ändern. Ein Anspruch auf Beibehaltung der ursprünglichen Verwaltungspraxis besteht nicht.
97Vgl. Röcker, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 23 Abs. 1 AufenthG, Rn. 9.
98Da Verwaltungsvorschriften unter dem Vorbehalt ihrer Änderung stehen, begründen sie grundsätzlich keinen Vertrauensschutz für die Zukunft. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes begegnet eine Änderung allenfalls dann Bedenken, wenn nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände nachteilig eingegriffen wird.
99Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. August 2011 - 8 A 2257/10 -, juris, Rn. 50 ff. m.w.N.
100Dies ist bei dem aktuellen Länderschreiben des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 nicht der Fall. Bereits erteilte Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG sollen danach ausdrücklich ihre Gültigkeit behalten. Nach der Ukraine-Aufenthaltsfortgeltungs-Verordnung gelten zudem entsprechende Aufenthaltstitel Geflüchteter aus der Ukraine, die zum 1. Februar 2024 gültig waren, auch bis zum 4. März 2025 fort. Damit wird durch die Änderung der Verwaltungsvorschriften lediglich in einer unter Vertrauensschutzgesichtspunkten unbedenklichen Weise an noch nicht abgewickelte Sachverhalte, nämlich noch nicht bestandskräftig beschiedene Erlaubnisanträge von Drittstaatsangehörigen ohne Schutzstatus bzw. nachgewiesenes unbefristetes Aufenthaltsrecht in der Ukraine angeknüpft.
101cc) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folgt auch nicht aus § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Erlass des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW (MKFFI NRW) vom 31. Mai 2022 – Az. 513-26.06.16-000002-2022-0002528 – i.V.m. mit der Information zum Themenkomplex Ukraine vom 24. Juni 2022.
102Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (Satz 3).
103Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist schon nicht eröffnet, weil es sich bei dem Erlass des MKFFI NRW vom 31. Mai 2022 nicht um eine Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 1 AufenthG handelt.
104Ob eine Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist ebenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Da es sich auch hierbei um eine innerdienstliche Richtlinie handelt, ist diese als Willenserklärung unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung auszulegen und anzuwenden.
105Das MKFFI NRW hat in dem Erlass vom 31. Mai 2022 lediglich angeordnet, dass die Hinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat im Länderschreiben vom 14. März 2022, aktualisiert am 14. April 2022, zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 für die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen verbindlich seien, allerdings nur in der durch das MKFFI NRW ergänzten Fassung (Seite 1). Daraus lässt sich nicht entnehmen, dass damit unter Einbeziehung des Länderschreibens des Bundesministeriums des Innern und für Heimat eine Anordnung im Sinne von § 23 Abs. 1 AufenthG getroffen werden sollte. Dagegen spricht sowohl die fehlende Bezugnahme auf diese Vorschrift als auch die Tatsache, dass das nach § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit erforderliche Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat, das für die Rechtmäßigkeit der Anordnung erforderlich ist, im Hinblick auf die in Nordrhein-Westfalen geltenden ergänzenden Hinweise des MKFFI NRW gerade fehlt. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass das MKFFI NRW unter bewusster Verletzung der rechtlichen Vorgaben des § 23 Abs. 1 AufenthG eine Anordnung treffen wollte.
106Darüber hinaus ist der Erlass des MKFFI NRW vom 31. Mai 2022 auch zeitlich überholt, weil er die aktuellen Hinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat im Länderschreiben vom 30. Mai 2024, das die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG für nichtukrainische Staatsangehörige nach Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 gerade nicht mehr vorsieht, (noch) nicht berücksichtigt.
107dd) Der Antragsteller kann auch keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums nach § 16b Abs. 1 AufenthG beanspruchen.
108Der Antragsteller hat bis heute weder eine Zulassung zu einem Studium an einer staatlichen Hochschule, an einer staatlich anerkannten Hochschule oder an einer vergleichbaren Bildungseinrichtung vorgelegt, noch nachgewiesen, dass er einen studienvorbereitenden Sprachkurs besucht (hat) oder zu einem Studienkolleg zugelassen worden ist. Der Antragsteller hat im gerichtlichen Verfahren vielmehr selbst erklärt, dass er die hohen Voraussetzungen für die Aufnahme an einer deutschen Hochschule nicht erfülle.
109ee) Dem Antragsteller kann auch keine Aufenthaltserlaubnis zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung nach § 16a AufenthG oder § 16g AufenthG erteilt werden.
110Der Antragsteller hat bis heute weder einen Berufsausbildungsvertrag noch zumindest eine Erklärung eines Ausbildungsbetriebs über die Zustimmung zum Abschluss eines solchen Vertrags vorgelegt.
111Auch hat der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass er über die für die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in der Regel erforderlichen ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) verfügt (§ 16a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 11 AufenthG). zu machen. Ein Sprachzeugnis über das erfolgreiche Bestehen einer B1-Sprachprüfung ist bis heute nicht vorgelegt worden.
112Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Suche nach einem Ausbildungsplatz zur Durchführung einer qualifizierten Berufsausbildung nach § 17 Abs. 1 AufenthG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da – wie dargelegt – der Antragsteller nicht nachgewiesen hat, dass er über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse, d.h. Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 GER verfügt (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 11 AufenthG).
113ff) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an einem Sprachkurs, der nicht der Studienvorbereitung dient, nach § 16f Abs. 1 AufenthG scheidet ebenfalls aus.
114Der Antragsteller hat schon nicht nachgewiesen, dass er derzeit einen Sprachkurs besucht. Vorgelegt hat er im Verwaltungsverfahren lediglich eine Bescheinigung der G. über die Teilnahme an einem Deutschkurs in der Zeit vom 29. November 2022 bis 15. Februar 2023 an zwei Tagen in der Woche. Ein Nachweis, dass der Antragsteller auch aktuell noch einen weiteren Sprachkurs besucht, ist bislang nicht beigebracht worden. Abgesehen davon ist auch nicht festzustellen, dass es sich bei dem nachgewiesenen Kurs – wie von der Vorschrift vorausgesetzt – um einen Intensivsprachkurs handelte, der in der Regel täglichen Unterricht von mindestens 18 Unterrichtsstunden pro Woche erfordert (vgl. 16.5.1.1 VwV-AufenthG).
115gg) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach den § 18 ff. AufenthG besteht ebenfalls nicht.
116Der Antragsteller hat bis heute kein konkretes Arbeitsplatzangebot vorgelegt (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), das die Prüfung einer erwerbsbezogenen Aufenthaltserlaubnis ermöglichen würde. Dies gilt auch, soweit er in der Erklärung zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe – ohne Vorlage des Arbeitsvertrags oder von Einkommensnachweisen – angegeben hat, für eine Firma M. tätig zu sein. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass es sich hierbei um eine durch die Bundesagentur für Arbeit zustimmungsfähige oder zustimmungsfreie Beschäftigung nach der Beschäftigungsverordnung handelt (vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).
117Eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18a oder 18b AufenthG kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil der Antragsteller bislang nicht nachgewiesen hat, dass er eine Fachkraft mit Berufsausbildung im Sinne von § 18 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG (Besitz einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung oder einer mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertigen ausländischen Berufsqualifikation) oder eine Fachkraft mit akademischer Ausbildung im Sinne von § 18 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG (Besitz eines deutschen, eines anerkannten ausländischen oder eines einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschlusses) ist.
118Eine unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft erlaubnisfähige Beschäftigung im Sinne von § 19c AufenthG hat der Antragsteller ebenfalls nicht nachgewiesen.
119Auch fehlt jeder Nachweis für eine Qualifikation im Sinne von § 19d Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
120hh) Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer sonstigen humanitären Aufenthaltserlaubnis zu.
121(1) Der Antragsteller, der im Mai 2022 in das Bundesgebiet eingereist ist, kann nicht die Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts nach § 104c Abs. 1 AufenthG beanspruchen, weil er sich zum maßgeblichen Stichtag (31. Oktober 2022) noch nicht seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat.
122(2) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG.
123Eine von der Vorschrift vorausgesetzte nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ist nicht festzustellen, da der Antragsteller schon die regelmäßig erforderlichen Anforderungen an die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinne von § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt. Es fehlt bereits an der zeitlichen Voraussetzung eines ununterbrochenen geduldeten, gestatteten oder mit einer Aufenthaltserlaubnis erlaubten Aufenthalt von – bei Alleinstehenden – mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG), da der Antragsteller erst im Mai 2022 in das Bundesgebiet eingereist ist. Ferner hat der Antragsteller auch nicht nachgewiesen, dass er über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des GER verfügt (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AufenthG). Ein entsprechendes Sprachzertifikat wurde bislang nicht vorgelegt.
124Es ist auch nicht festzustellen, dass der Antragsteller besondere Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht erbracht oder einzelne der erforderlichen Integrationsvoraussetzungen „übererfüllt“ hätte und dadurch die vorgenannten, nicht vollständig erfüllten „Regel-Merkmale“ kompensiert würden.
125Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 -, juris, Rn. 32.
126(3) Ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG besteht ebenfalls nicht.
127Es ist nicht festzustellen, dass in der Person des Antragstellers ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in Bezug auf Nigeria ‑ als Zielland der Abschiebungsandrohung – vorliegt.
128Der Antragsteller hat weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren irgendwelche Umstände vorgetragen, die auf das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots hinweisen könnten. Insbesondere besteht auch kein Anhalt dafür, dass schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen könnten.
129Dafür müssen die humanitären Gründe mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung „zwingend“ sein.
130Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 25.
131Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ (minimum level of severity) aufweisen,
132vgl. EGMR (Große Kammer), Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU - juris, Rn. 68,
133welches erreicht sein kann, wenn der Betroffene seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält.
134Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 45.18 -, juris, Rn. 12.
135Der EuGH stellt hinsichtlich einer Verletzung des Art. 4 GRCh darauf ab, ob sich die betroffene Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre,
136vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. -, Rn. 89 bis 91 und - C-163/17, Jawo -, Rn. 91 bis 93 und Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 u.a., Hamed u.a. - Rn. 39,
137wobei in der Abwägung die besondere Situation des jeweils Betroffenen zu berücksichtigen ist.
138Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 2020 - 1 C 4.19 -, juris, Rn. 40 und vom 4. Mai 2020 - 1 C 5.19 -, juris, Rn. 40.
139Ausgehend von diesen Maßstäben führen die humanitären Bedingungen in Nigeria nicht zu der Annahme, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr dort einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt sein wird. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab sind nicht erfüllt.
140Zwar ist die Bevölkerung in Nigeria schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt. Insbesondere treffen Zurückkehrende in Nigeria auf eine prekäre sozio-ökonomische Situation, die von hoher Arbeitslosigkeit (offiziell rund 4,5 %, geschätzt mindestens 23 %, bei Personen bis 35 Jahren jedoch mindestens 35 %) und Ungleichheit bei der Einkommensverteilung geprägt ist. Ca. 40 % der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag, 30 % der Bevölkerung in extremer Armut. Über 95 Millionen Nigerianer leben in Armut und müssen mit ca. 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen. Seit 2021 und insbesondere seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine steigen die Preise für Nahrungsmittel erheblich. Die Abschaffung der Treibstoffsubvention und die Freigabe des Wechselkurses der nigerianischen Währung im Juli 2023 haben der Inflation neue Dynamik verliehen und die wirtschaftliche Lage zusätzlich verschärft. Die Inflation stieg im 1. Halbjahr 2023 von 21 % auf 25 %. Der nigerianische Staat leistet auch keine flächendeckende, verlässlich verfügbare Unterstützung für notleidende Bevölkerungsteile. Ein funktionierendes Sozialschutz-System besteht nicht. Nur sporadisch werden auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene Maßnahmen zur sozialen Abfederung der allgemeinen Teuerung unternommen. Im Juli 2023 hat der Präsident Bola Tinubu etwa den Ausnahmezustand für die Ernährungssicherheit ausgerufen, um steigende Lebensmittelpreise und -knappheit zu bekämpfen. Mit dem Ziel, Engpässen bei der Nahrungsmittelversorgung entgegenzuwirken, hat die Regierung sofortige, mittel- und langfristige Interventionen konzipiert. Diese reichen von der Bereitstellung von Düngemitteln und Getreide bis hin zur Übertragung der Verantwortung für Nahrung und Wasser an den Nationalen Sicherheitsrat und weitere Maßnahmen. Auch sollen ärmere Haushalte finanzielle Zuwendungen erhalten.
141Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria kann aber davon ausgegangen werden, dass ein Rückkehrer, insbesondere, wenn er über ein soziales Geflecht verfügt, aufgrund der sozialen Strukturen in Nigeria, die durch den starken Zusammenhalt der Großfamilien geprägt sind, nach der Rückkehr die notwendige finanzielle und wirtschaftliche Unterstützung erhält, die es ihm ermöglicht, in Nigeria ein zumutbares Existenzminimum zu erlangen. Traditionell unterstützt die Großfamilie beschäftigungslose Angehörige. Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen.
142Die Reintegration in Nigeria kann zudem durch die Möglichkeiten von Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen (REAG/GARP, StarthilfePlus und European Reintegration Programme (EURP), StartHope@Home, ARRIVES) erleichtert werden (vgl. Informationsportal zu freiwilliger Rückkehr und Reintegration, https://www.returningfromgermany.de/de/countries/nigeria, Abruf am 11. Juli 2024). Auch sind internationale Akteure wie GIZ und IOM (mit deutscher und EU-Finanzierung) bemüht, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Bundesstaat Edo, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben Migrationsberatungszentren der GIZ in Abuja, Lagos und Benin-City ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten.
143Allgemein kann daher festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern. Allein in wenigen besonders gelagerten Ausnahmefällen kann aufgrund individueller Umstände wegen der schlechten sozialen und wirtschaftlichen Lage eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Betracht kommen.
144Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria, vom 21. Dezember 2023, S. 18 f.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länder Information der Staaten Dokumentation Nigeria, vom 22. November 2023, S. 58 ff.; von der Antragsgegnerin in das vorliegende Verfahren eingeführte Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2022.
145Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der 31 Jahre alte, arbeits- und erwerbsfähige Antragsteller, der über einen nigerianischen Schulabschluss und Fachkenntnisse aus seinem – zwar nicht abgeschlossenen – Studium in der Ukraine verfügt und auch schon während seines dortigen Studienaufenthaltes seinen Lebensunterhalt hat bestreiten können, sich bei einer Rückkehr nach Nigeria dort eine Existenzgrundlage aufbauen und seinen Lebensunterhalt sicherstellen können wird. Gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Einschränkungen in seiner Person sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch ist anzunehmen, dass er bei einer Rückkehr – gerade in der schwierigen Übergangsphase und trotz unbestritten problematischer wirtschaftlicher Verhältnisse in Nigeria – auch auf die Hilfe seiner (Groß)Familie zurückgreifen können wird. Der Antragsteller hat bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet selbst vorgetragen, dass seine Familie ihn, wie auch zuvor in der Ukraine, in Deutschland finanziell unterstützen werde. Dies ist in gleicher Weise in Nigeria möglich.
146Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Nigeria individuelle Gefahren für Leib und Leben im Sinne dieser Vorschrift drohen, sind seinem Vorbringen nicht zu entnehmen.
147Vor diesem Hintergrund war auch die Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes nach § 72 Abs. 2 AufenthG durch die Antragsgegnerin nicht veranlasst. Im Übrigen kann der Antragsteller sich auf eine etwaige Verletzung des § 72 Abs. 2 AufenthG auch schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil die Vorschrift keine verfahrensrechtliche Schutznorm für Rechte des Ausländers darstellt, sondern allein das verwaltungsinterne Einfließen der zielstaatsbezogenen Sachkunde des Bundesamtes absichern soll.
148Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. August 2012 - 17 B 751/12 -, juris, Rn. 8; vom 19. November 2020 - 18 B 1639/20 -, juris, Rn. 11 und vom 7. Dezember 2020 - 18 B 1598/20 -, (n.v.), S. 3 des EA.
149(4) Auch ein Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 oder Satz 2 AufenthG scheidet aus.
150Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kommt nicht in Betracht, da hierfür Voraussetzung ist, dass es um Gründe geht, die ihrer Natur nach eine nur vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Erstrebt der Ausländer einen Dauerenthalt in Deutschland, scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schon tatbestandsmäßig aus.
151Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2005 - 11 S 2779/04 -, juris, Rn. 25.
152Der Antragsteller strebt aber gerade einen Dauerenthalt zum Zwecke der Berufsausbildung im Bundesgebiet an.
153§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Vorschrift lediglich die Verlängerung eines Aufenthaltstitels, nicht aber die – hier angestrebte – erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels erfasst. Der Antragsteller war nie im Besitz eines verlängerungsfähigen Aufenthaltstitels.
154(5) Der Antragsteller kann auch nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verlangen.
155Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
156Anhaltspunkte dafür, dass ein rechtliches oder tatsächliches Ausreisehindernis vorliegt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
157Insbesondere stellt sich die Ausreise nicht mit Blick auf das hier allein in Betracht zu ziehende Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK aus rechtlichen Gründen als unmöglich dar. Es ist nicht festzustellen, dass der Antragsteller derart in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verwurzelt und von seinem Heimatland entwurzelt wäre, dass sich die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als unverhältnismäßig erwiese.
158Auf der einen Seite ist schon eine tiefgreifende Integration des Antragstellers in Deutschland nicht festzustellen. Der Antragsteller hält sich seit Mai 2022 und damit erst seit fast zweieinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Sein Aufenthalt galt bisher lediglich aufgrund einer Sonderregelung für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung – bis zur Entscheidung über seinen Aufenthaltserlaubnisantrag als verfahrensrechtlich erlaubt. Über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügte der Antragsteller damit nicht, so dass er ein berechtigtes Vertrauen auf einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet auch nicht entwickeln konnte. Ferner ist auch eine nachhaltige wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet mangels Vorlage entsprechender Nachweise über eine Erwerbstätigkeit nicht festzustellen. Im Übrigen war dem Antragsteller während seines Aufenthalts im Bundesgebiet lediglich zeitweilig (von März bis Juli 2023 und wieder ab Dezember 2023) und auch nur die Ausübung einer Beschäftigung bis zu 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr sowie einer studienfachbezogenen Nebentätigkeit erlaubt. Schließlich hat der Antragsteller auch nicht nachgewiesen, dass er besondere Integrationsleistungen im Bundesgebiet erbracht hätte. Aussagekräftige Nachweise über den Erwerb besonderer Deutschkenntnisse sind nicht beigebracht worden.
159Auf der anderen Seite ist nicht festzustellen, dass der 31 Jahre alte Antragsteller von seinem Heimatland Nigeria entwurzelt wäre. Er ist in Nigeria geboren worden, hat dort die Schule besucht und bis zur Aufnahme seines Studiums in der Ukraine dort gelebt und damit seine wesentliche Sozialisation in Nigeria erfahren. Es ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass er nach wie vor die dortige Landessprache beherrscht und auch noch mit den dortigen Lebensgewohnheiten und Gebräuchen vertraut ist. Außerdem dürfte in Nigeria jedenfalls auch noch (Groß)Familie des Antragstellers leben, die diesen bei Rückkehr dorthin unterstützen kann. Es ist daher davon auszugehe, dass sich der Antragsteller in Nigeria ohne Weiteres wieder reintegrieren können wird. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Ausbruch des Kriegs in der Ukraine für den Antragsteller ein Schicksalsschlag war, der seine gesamten Berufs- und Lebenspläne vereitelt hat. Ein solches, nicht vorhersehbares Ereignis fällt jedoch in den Bereich des allgemeinen Lebensrisikos und rechtfertigt ohne entsprechende Rechtsgrundlage für sich nicht die Aufenthaltsgewährung im Bundesgebiet aus humanitären Gründen.
1602. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer II. der Ordnungsverfügung enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW zulässig, aber unbegründet.
161Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung. Denn die Abschiebungsandrohung erweist sich als offensichtlich rechtmäßig.
162Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 50 Abs. 1, 59 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist ausreisepflichtig, weil er nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist (§ 50 Abs. 1 AufenthG) und nach den vorstehenden Ausführungen unter 1. auch keinen Anspruch auf Erteilung eines solchen hat. Eine Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ist für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht erforderlich.
163Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 18 A 2620/08 -, juris, Rn. 30 ff.
164Die seitens der Antragsgegnerin gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung der Verfügung ist ausreichend zur Regelung der persönlichen Angelegenheiten.
165Der Abschiebungsandrohung stehen auch weder – wie unter 1. ausgeführt – Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG noch das Kindeswohl, familiäre Bindungen oder der Gesundheitszustand des Antragstellers nach § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 5 Buchst. a, b und c der Richtlinie 2008/115/EG entgegen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Der ledige und kinderlose Antragsteller hat weder gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend gemacht, noch aussagekräftige qualifizierte ärztliche Bescheinigungen im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG vorgelegt, welche die gesetzliche Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG), entkräften könnten.
166Die Bezeichnung des Zielstaats der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 AufenthG) mit Nigeria ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, da es sich hierbei um den Herkunftsstaat, d.h. das Land der Staatsangehörigkeit des Antragstellers handelt (vgl. Art. 3 Nr. 3, 1. Spiegelstrich der Richtlinie 2008/115/EG i.V.m. Art. 2 lit. n der Richtlinie 2011/95/EU), in den diese aus – zutreffender – Sicht der androhenden Behörde abgeschoben werden kann.
167Vgl. Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. (2022), § 59 AufenthG, Rn. 42.
168Eine Abschiebungsandrohung – allein oder auch – in die Ukraine kam schon deswegen nicht in Betracht, weil der Antragsteller dieses Land gerade aufgrund des Kriegsausbruchs verlassen hat.
1693. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in Ziffer III. der Ordnungsverfügung für den Fall einer Abschiebung verfügte, auf zwei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG zulässig, aber unbegründet.
170Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil sich das für den Fall der Abschiebung verfügte, auf zwei Jahre ab der Abschiebung befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot ebenfalls als offensichtlich rechtmäßig erweist.
171a) Dass der Antragsteller vor Erlass der Ordnungsverfügung entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW nicht auch zum Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots angehört worden ist (vgl. Anhörung vom 13. März 2023, die sich nur zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis und zur Abschiebungsandrohung verhielt), führt nicht zu ihrer formellen Rechtswidrigkeit insoweit.
172Zwar ist es nicht auszuschließen, dass ein diesbezüglicher Verfahrensmangel die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben kann (§ 46 VwVfG NRW), weil über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ermessen entschieden wird (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), so dass grundsätzlich bei Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers eine andere Entscheidung denkbar ist.
173Ein etwaiger Anhörungsmangel kann aber deswegen nicht zum Erfolg des Aussetzungsantrags führen, weil mit einer ordnungsgemäßen, ihre Funktion erfüllenden Nachholung der Anhörung durch die Antragsgegnerin noch innerhalb des in § 45 Abs. 2 VwVfG NRW genannten Zeitraums – also bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens – gerechnet werden kann.
174Vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2016 - 20 B 1408/15 -, juris, Rn. 7.
175Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2024 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller bereits ausdrücklich noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme auch außerhalb des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens gegeben. Der Antragsteller hat hiervon bislang keinen Gebrauch gemacht.
176b) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist auch materiell rechtmäßig. Es findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 bis 4, Abs. 3 AufenthG.
177Das im Falle der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zwingend („ist“) und im Regelfall („soll“) mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), wobei die Frist mit der Ausreise beginnt (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der – hier nicht einschlägigen – Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).
178Davon ausgehend hat die Antragsgegnerin die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit zwei Jahren ermessensfehlerfrei bemessen (§ 114 Satz 1 VwGO).
179Sie ist im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der ersten Stufe in Fällen ohne erkennbare Besonderheiten – wie hier – auf die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt einer eventuellen Abschiebung befristet werden kann.
180Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 -, juris, Rn. 16, das in vergleichbaren Fällen sogar einen Befristungszeitraum von 30 Monaten als angemessen ansieht.
181Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sie dabei die mit dem abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbot verfolgten general- und spezialpräventiven Zwecke verkannt oder ihre Entscheidung an anderen Zwecken ausgerichtet hätte.
182Ferner hat die Antragsgegnerin in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass auf der zweiten Stufe bei einer Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses mit den Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die private Lebensführung des Antragstellers eine Reduzierung der Befristung nicht erforderlich ist, da der Antragsteller im Bundesgebiet weder über private Bindungen verfügt noch besondere soziale oder wirtschaftliche Integrationsleistungen vorweisen kann, die unter Berücksichtigung von Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ein besonderes Rückkehrinteresse begründen könnten. Besondere Umstände, die eine weitere Reduzierung der Frist gebieten könnten, sind auch von dem Antragsteller nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
183Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
184III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Das Antragsinteresse hinsichtlich der Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erscheint mit Rücksicht auf den lediglich vorläufigen Charakter des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts (5.000,- €) ausreichend bemessen. Die Nebenentscheidungen fallen nicht streitwerterhöhend ins Gewicht.