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1.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
2.
Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.
Gründe:
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid des X. vom 23. September 2024 wiederherzustellen,
4ist zulässig, aber unbegründet.
5Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wird hinreichend individuell mit den Interessen der Beigeladenen an einem geordneten Forschungs-, Lehr- und Prüfbetrieb begründet (vgl. § 80 Abs. 3 VwGO).
6Die in der streitigen beschränkenden Verfügung des X. vom 23. September 2024 erfolgte zeitliche Beschränkung der Versammlung „Camp for Gaza“ auf dem Gelände der Beigeladenen, Z.-straße 00, bis zum 30. September 2024, 23:59 Uhr, sowie die Anordnung zum Rückbau aller Aufbauten ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig, so dass die im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt VwGO zu treffende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt.
7Die beschränkende Verfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 S. 1 und 2 VersG NRW. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Als Beschränkungen kommen Verfügungen zum Ort und zum Verlauf aber auch eine zeitliche Beschränkung der Versammlung in Betracht.
8Vgl. Ullrich u.a., Kommentar zum VersG NRW, 2022, Rn. 68 zu § 13 VersG.
9Die Versammlungsbehörde kann das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Dauer einer als Versammlung zu qualifizierenden Veranstaltung bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in angemessener Weise einschränken. Der Erlass einer die Dauer eines Protestcamps beschränkenden Verfügung stellt ein probates Mittel dar, um unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls eine praktische Konkordanz zwischen dem durch eine solche Veranstaltung ausgeübten Grundrecht der Versammlungsfreiheit und den Rechten Dritter sowie den betroffenen öffentlichen Belangen herzustellen. Dabei erlangen die letztgenannten Rechte und Belange im Rahmen der Abwägung ein umso höheres Gewicht, je länger ein Protestcamp absehbar dauern wird.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20, juris Rn. 24.
11Im Rahmen der somit vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegen nach Auffassung der Kammer die schützenswerten Rechtspositionen der Beigeladenen sowie der dort tätigen (wissenschaftlichen) Mitarbeiter und Studierenden das Interesse des Antragstellers an eine Fortführung der seit Mitte Mai 2024 - also seit nunmehr 5 Monaten - durchgeführten Versammlung am bestehenden Standort vor dem Hauptgebäude der Beigeladenen.
12Das streitgegenständliche Protestcamp beeinträchtigt die Beigeladene - und die dort bzw. für sie tätigen Personen - in der grundrechtlich geschützten Wissenschaftsfreiheit.
13Die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) enthält neben dem individuellen Freiheitsrecht eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft, Forschung und Lehre zum Staat regelnde, wertentscheidende Grundsatznorm. Diese Wertentscheidung schließt das Einstehen des Staates für die Idee einer freien Wissenschaft und seine Mitwirkung an ihrer Verwirklichung ein. Danach muss der Staat für funktionsfähige Institutionen eines freien universitären Wissenschaftsbetriebs sorgen und durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass das individuelle Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist.
14Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 1 BvR 748/06 -, juris Rn. 88.
15Der Schutz funktionsfähiger Institutionen eines freien universitären Wissenschaftsbetriebs billigt der Hochschule nicht nur das Recht zu, sondern erlegt ihr vielmehr die Pflicht auf, einen Ort nicht nur für wissenschaftliche Forschung und Lehre, sondern auch für gesellschaftliche Debatten und einen Ort des Austauschs zu schaffen. Hierfür spricht auch die von der Rechtsprechung entwickelte Konstruktion des sogenannten „öffentlichen Forums“, welche gerade solche öffentlichen Begegnungsstätten für einen öffentlichen Diskurs vorsieht.
16Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris Rn. 70.
17Es ist mithin die grundrechtlich geschützte Verantwortung der Beigeladenen, einen freien Diskursraum für kritische Auseinandersetzung zu schaffen, wo Rede und Gegenrede aufeinandertreffen können, ohne sich jeweils gänzlich zu verdrängen. Ein solcher freier Diskursraum kann durch die Beigeladene aufgrund der streitgegenständlichen Dauerversammlung nicht mehr uneingeschränkt gewährleistet werden.
18Die eigenverantwortliche Nutzungsmöglichkeit der u.a. für den öffentlichen Diskurs vorgesehenen Freifläche ist durch die Dauerversammlung beeinträchtigt. Die Grünfläche vor dem Hauptgebäude ist mit etwa 35-40 Zelten bzw. Pavillons bestellt. Dies hat zur Überzeugung der Kammer einen erheblichen Einfluss auf die freie wissenschaftliche Betätigung. Insbesondere konnten in der Vergangenheit Parallelveranstaltungen nur durch Umplanung seitens der Beigeladenen störungsfrei realisiert werden. Auch zukünftige Parallelveranstaltungen wären voraussichtlich nur mit Rücksicht auf das streitgegenständliche Protestcamp realisierbar. Die Beigeladene hält die Grünfläche u.a. als Aufenthaltsbereich für Studierende vor. Dieser Zweck kann aufgrund der streitgegenständlichen Versammlung schon seit Monaten nicht mehr und zukünftig auch auf absehbare Zeit nicht mehr erfüllt werden.
19Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem aktuellen Nahost-Konflikt um einen emotional sehr aufgeladenen Konflikt handelt. In dessen Zusammenhang kommt es immer wieder zu Anfeindungen, Diffamierungen und Beleidigungen von Vertretern gegenläufiger Ansichten bzw. Positionen. Dies geht aber - wie sich nicht zuletzt der aktuellen Presseberichterstattung entnehmen lässt - vor allem zu Lasten von jüdischen Mitbürgern. Diese sind zum einen gegenüber Vertretern der palästinensischen Position zahlenmäßig in der Regel deutlich in der Minderheit und zum anderen wird jüdischen Personen häufig pauschal das Handeln des israelischen Staates im Gaza-Streifen, der Westbank und im Südlibanon angelastet. In dieser Situation besteht die reale Möglichkeit einer nachhaltigen Belastung des Miteinander an der K., vor allem - aber nicht nur - im Verhältnis von jüdischen und nicht-jüdischen Studierenden, wenn der hier in Rede stehenden pro-palästinensischen Versammlung das Recht auf dauerhafte Präsenz unmittelbar vor dem Hauptgebäude der Hochschule eingeräumt wird. Dies berührt nicht nur die Wissenschaftsfreiheit, sondern letztlich auch weitere Rechtspositionen jüdischer Studenten, etwa Art. 1 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 3 GG.
20Die für die Beigeladene von der Dauerversammlung ausgehenden Belastungen überschreiten damit auch die Schwelle der sozial-adäquaten Nebenfolgen, welche als Folge der Versammlungsfreiheit hinzunehmen wären. Mit der Ausübung des Versammlungsrechts sind zwar regelmäßig unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden. Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Adäquanz einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben.
21Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 - 1 BvR 388/05 -, juris Rn. 39.
22Gemessen daran überschreitet die streitige Versammlung in Form eines Dauerprotestcamps als „Zeltstadt“ ohne zeitliche Beschränkung das sozial-adäquat von dem durch die Wissenschaftsfreiheit geschützten, an der beigeladenen Universität tätigen Personenkreis Hinzunehmende. Die Nutzung der Fläche ist zur organisatorischen Durchführung der Versammlung nicht notwendig. Nach Erkenntnissen der Beigeladenen - denen der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten ist - sind die überwiegende Anzahl der Zelte in der Nacht nicht besetzt. Zur Überzeugung der Kammer hat die Beigeladene auch kein gesteigertes Maß an Belastungen hinzunehmen, weil sich ein solches nicht aus dem spezifischen Versammlungsthema ergibt. Der von dem Antragssteller hergestellte Bezug auf Zeltstädte in Gaza vermag keinen Bezug zu dem Versammlungsthema dergestalt herzustellen, dass Belastungen in einem gesteigerten Umfang hinzunehmen sind. Eine solche Annahme würde zu einer unangemessenen Privilegierung des Protestziels führen, da andere, dauerhafte Demonstrationen mit dieser Argumentation keine Zelte aufstellen könnten.
23Zwar gibt es grundsätzlich keine zeitliche Höchstgrenze für eine Versammlung und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts benennt explizit die Möglichkeit eines jahrelang andauernden Protestcamps. Eine solche extrem lange Dauer kann jedoch ein Indiz sein, dass tatsächlich kein versammlungsspezifischer Zweck verfolgt wird. Zur Entkräftung dieser Indizwirkung ist es nicht erforderlich, dass der Veranstalter ein lückenloses Konzept mit konkreten Programmpunkten vorlegt. Seinen Angaben muss sich jedoch nach objektivem Verständnis ein auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteter kommunikativer Zweck entnehmen lassen. Bei einem zeitlich unbegrenzten Protestcamp ist der Veranstalter gehalten, den versammlungsspezifischen Zweck im Sinne einer auf die voraussichtliche Dauer bezogene Gesamtkonzeption zu substantiieren. Mithin steigt die Substantiierungslast des Veranstalters mit zunehmender Dauer des Protestcamps.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2022 - 6 C 9.20, juris Rn. 25.
25Dieser ist der Antragsteller nicht gerecht geworden. Im Rahmen des Kooperationsgesprächs vom 19. September 2024 teilte der Antragssteller mit, dass das Camp solange fortbestehen solle, bis der „Forderungskatalog“ (vgl. etwa S. 5 der polizeilichen Verfügung) zumindest in wesentlichen Punkten durch die Beigeladene erfüllt werde. Ferner wurde diese Angabe im Rahmen eines Interviews durch Sprecher des Antragsstellers öffentlich kommuniziert. Zwar dürfte dies nicht zum Verlust des Schutzes aus Art. 8 GG führen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Forderungskatalog Maßnahmen umfasst, die die Beigeladene aufgrund ihrer Pflicht zur politischen Neutralität gar nicht erfüllen kann. Der Beigeladenen steht kein allgemeinpolitisches Mandat zu. Nähme sie ein solches wahr, überschritte sie vorsätzlich den ihr durch § 3 Hochschulgesetz NRW abschließend zugewiesenen Aufgabenkanon. Bei Nichterfüllung der Forderungen bestünde die Zwecksetzung des Antragsstellers bis zu einer in zeitlicher Hinsicht völlig offenen Beendigung des Nahostkonflikts.
26Überwiegt somit im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Wissenschaftsfreiheit das Interesse des Antragstellers an einer letztlich unbefristeten weiteren Durchführung des streitigen „Camps for Gaza“ bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Ermessensentscheidung des Antragsgegners nach § 13 Abs. 1 S. 1 und 2 VersG NRW, dieses Camp nach mehrmonatiger Dauer zu befristen.
27Zu dem überwiegenden Vollziehungsinteresse tritt im Übrigen das erforderliche besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der beschränkenden Verfügung. Bei der vorliegend getroffenen behördlichen Wertungsentscheidung handelt es sich um eine solche, die sich insbesondere auch wesentlich auf den Aspekt der zeitlichen Dauer der Versammlung stützt. Ein weiterer Aufschub der behördlichen Verfügung aufgrund unterbliebener Vollziehbarkeitsanordnung würde zu einer wirkungslosen Behördenentscheidung hinsichtlich dem Rechtsgüterschutz der Beigeladenen führen.
28Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
29Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Sie berücksichtigt, dass angesichts der kurzfristigen Wirkung der beschränkenden Verfügung von einer Vorwegnahme der Hauptsache auszugehen ist.