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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gründe
2I.
3Der Antragssteller ist 17 Jahre alt (geb. am 12. Dezember 2006) und wird von seinen Erziehungsberechtigten vertreten. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt er die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Mindestalter für das unbegleitete Fahren eines Kraftfahrzeugs der Klasse B auf der Strecke zwischen Wohnort und Ausbildungsstelle bzw. Berufsschule („Streckenführerschein“). Als Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse A1 nutzt er einen 125 m³ Roller, für den eine maximale Fahrgeschwindigkeit von 110 km/h gilt. Der Antragsteller wohnt bei seinen Eltern unter der Adresse F.-straße 27, 0000 H. im Kreis U..
4Seit September 2023 absolviert er eine Berufsausbildung zum Chemielaboranten am K. W. im Kreis J.. Die Fahrstrecke von seinem Wohnort zu dem K. beträgt ca. 45 km. Die tägliche Arbeitszeit beträgt mehr als 6 Stunden. An zwei Tagen in der Woche besucht der berufsschulpflichtige Antragsteller von 8 Uhr bis 14:45 Uhr das Berufskolleg A./I. in der P. unter der Adresse Am R.-straße 8, 00000 I.. Die Fahrtstrecke vom Wohnort zum Berufskolleg beträgt ca. 80 km.
5Am 19. Oktober 2023 beantragte der Antragsteller, vertreten durch seine Eltern, bei dem Straßenverkehrsamt des Antragsgegners die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Mindestalter für das alleinige Führen von Fahrzeugen der Klasse B als Führerschein für die Strecken zum K. W. bzw. zum Berufskolleg. Zur Begründung führte er aus: Die Bahn- und Busverbindungen zur Ausbildungsstelle bzw. zum Berufskolleg seien nicht zufriedenstellend. Die Fahrtzeiten pro Strecke überstiegen die Dauer von 1 ½ Stunden. Dies sei nach der einschlägigen Erlasslage als unzumutbar einzustufen und rechtfertige die beantragte Ausnahme. Abgesehen davon sei die Verbindung so unzuverlässig, dass er regelmäßig den Anschlusszug verpasse und so über zwei Stunden für eine einfache Strecke unterwegs sei. Er sei deshalb schon mehrfach zu spät in den Unterricht gekommen, was auf die Dauer nicht tragbar sei. Seine Eltern könnten ihn aufgrund ihrer Berufstätigkeit nicht bringen und abholen. Er könne nicht darauf verwiesen werden, die betreffenden Fahrten mit seinem 125 m³ Roller zurückzulegen. Dies sei aufgrund der Witterung in den Wintermonaten als riskant anzusehen, manchmal sogar gänzlich unmöglich. Fahrgemeinschaften gebe es nicht.
6Auf die Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags ergänzte der Antragsteller: Mit dem Roller könne man nur Strecken bis 15 km zumutbar zurückzulegen. Dass er die Strecken zu seiner Berufsschule und zu seiner Ausbildungsstätte in der Vergangenheit schon mit dem Roller zurückgelegt habe, sei eine überobligatorische Leistung seinerseits, auf die er nicht verwiesen werden könne. Die Fahrzeit dauere überdies schon in den Sommermonaten deutlich länger als vom Antragsgegner veranschlagt. Unter Zugrundelegung winterlicher Witterungsverhältnisse übersteige die Fahrzeit sicherlich 1 Stunde und 30 Minuten pro Strecke, sodass die zumutbaren 3 Stunden pro Tag überschritten seien. Bei einer Beförderung durch die Eltern erhöhe sich deren Fahrzeit einschließlich der Rückfahrten auf deutlich über 3 Stunden pro Tag. Seine Eltern müssten um 8 Uhr an ihren eigenen Arbeitsstellen sein, sodass bei Beförderung durch die Eltern eine Abfahrt morgens zwischen 5:30 Uhr und 6 Uhr notwendig sei. Eine Nutzung des Rollers bei winterlichen Witterungsverhältnissen könne die Unfallgefahr für die Allgemeinheit erhöhen. Demgegenüber sei es für die Allgemeinheit gefährdungsmindernd, wenn er für die Fahrten ein Fahrzeug der Klasse B nutze. Schließlich liege laut Auskunft seiner Ausbildungsstelle und seiner Berufsschule seine körperliche und geistige Reife deutlich über dem Altersdurchschnitt. Ein Präzedenzfall werde durch die Erteilung der Ausnahmegenehmigung an ihn schon deshalb nicht geschaffen, weil es keine Personen gebe, die täglich vergleichbare Verkehrswege zurückzulegen hätten.
7Mit Bescheid vom 14. Dezember 2023, zugestellt am 15. Dezember 2023, versagte der Antragsgegner die Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung. Zur Begründung führte er u.a. aus: Die im Rahmen der Erteilung eines Streckenführerscheins vorzunehmende Prüfung der Zumutbarkeit erfolge anhand des dazu ergangenen Erlasses des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 2008. Gemessen daran sei der Antragsteller darauf zu verweisen, seinen Roller als Transportmittel zu benutzen. Die Erteilung eines Streckenführerscheins komme nicht in Betracht.
8Der Antragsteller hat am 15. Januar 2024 Klage – 3 K 79/24 – gegen den Versagungsbescheid erhoben und im vorliegenden Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er geltend: Die summarische Prüfung könne nur zu einer Entscheidung in seinem Sinne führen, weil er seine Fahreignung nachgewiesen habe. Seit 12. März 2024 sei er Inhaber einer Fahrerlaubnis für das begleitete Fahren von Fahrzeugen der Klasse B ab 17 Jahren. Er sei bereits beanstandungsfrei 30-mal die Strecke von seinem Wohnort zum K. W., 18-mal die Strecke zu der Berufsschule und 20 weitere private Fahrten, etwa zum Sportverein nach C., gefahren. Seine sichere Fahrweise verstärke sich dadurch, dass er am 28. Juli 2024 an einem Fahrsicherheitstraining für Fahranfänger des ADAC teilgenommen habe. Umgekehrt lasse eine Ablehnung des Eilantrags bzw. des Streckenführerscheins die Gefahr entstehen, dass er einem erhöhten Unfallrisiko im Rahmen der herbst- und winterlichen Witterung ausgesetzt sei. Hinzukomme ein erhöhtes Krankheitsrisiko durch das Tragen der gegebenenfalls – trotz Regenmontur – durchnässten Kleidung den ganzen Tag über, da er weder an der Schule noch im Ausbildungsbetrieb über eine Möglichkeit verfüge sich umzuziehen. Durch häufigeren oder längeren krankheitsbedingten Ausfall wäre jedoch die Ausbildungsqualität und die schulischen Leistungen erschwert, was weitere Nachteile bedeuten würde. Maßgeblich sei, dass er durch die zwischenzeitlich bestandene Prüfung des „Begleiteten Fahrens 17“ bereits seine theoretischen und praktischen Fähigkeiten zur Führung eines Kraftfahrzeuges in ausreichender Weise nachgewiesen habe. Die begehrte Erlaubnis könne ohne Weiteres erteilt werden. Seine körperliche und geistige Reife ergäben sich aus dem gesamten Verfahrensverlauf. Insoweit könne er auf den Berufswunsch, den Stand der erreichten Ausbildung und Schulung, das bisherige Meistern der dargestellten und nachgewiesenen ungünstigen Ausbildungsumstände, den Erwerb der ihm altersmäßig bisher möglichen Fahrerlaubnis, sowie den Nachweis seiner Fahreignung durch das ADAC-Sicherheitstraining verweisen. Die Bewertung dieser spezifischen persönlichen Umstände ergebe, dass durch die Ausnutzung des begehrten Streckenführerscheins kein erhöhtes Risiko für die Sicherheit des Straßenverkehrs entstehe. Auch sei zu berücksichtigen, dass er inzwischen 17 Jahre und 9 Monate alt sei. Damit könne es nicht darauf ankommen, welche abstrakten anderen Möglichkeiten der Mobilität er zur Verfügung habe. Schließlich komme nunmehr auch noch die im Rahmen seiner Fachabiturvorbereitung notwendig gewordene Fahrtstrecke zwischen Schule und Ausbildungsstätte im Laufe des Tages hinzu. Die Ermessenserwägung des Antragsgegners verstoße ferner gegen das Gleichbehandlungsgebot. Einem anderen Antragsteller aus einer sozial minderbemittelten Schicht, z.B. Bürgergeldempfänger, der schon nicht das erforderliche Geld für einen A1 Führerschien, geschweige denn die Anschaffung eines Rollers habe, könne nicht auf dieses Transportmittel verwiesen werden, so dass in diesem Fall eine Ausnahmeerteilung zu erfolgen hätte. Dann könne es aber nicht zu seinem Nachteil gereichen, dass er über finanziell so gestellte Eltern verfüge, die in der Lage seien, ihm einen A1 Führerschein und einen entsprechenden Roller zu ermöglichen. Die vom Antragsgegner angeführte Furcht vor der Schaffung eines eventuellen Präzedenzfalles sei unbegründet. Dass eine Mehrzahl von entsprechenden Anträgen auf die Behörden zukommen könnten, sei unerheblich. Diese seien zu Entscheidungen in solchen Sachen bestimmt, unabhängig von deren Anzahl. Auch ergebe sich aus der begehrten Entscheidung keine bestimmte, auch zukünftig einzuhaltende Verwaltungspraxis, außer der ohnehin geltenden sachgemäßen Ermessensausübung in jedem Einzelfall. Lägen dann – was äußerst unwahrscheinlich sei – die gleichen Kriterien vor wie die, die er vorgetragen habe, wäre eben auch in gleicher Weise zu entscheiden, und zwar unabhängig von der Entscheidung gerade in seinem Einzelfall. Durch die Hin- und Rückfahrten etwaiger Abholpersonen werde nicht zuletzt die Umwelt über Gebühr belastet. Dieser Belang sei in der Ermessensentscheidung der Behörde nicht berücksichtigt worden. Das behördliche Ermessen sei im Ergebnis auf Null reduziert, sodass er einen Anspruch auf die Erteilung der Ausnahmegenehmigung habe.
9Der Antragssteller beantragt sinngemäß,
10den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragssteller eine Ausnahmegenehmigung vom vorgeschriebenen Mindestalter für Kraftfahrzeugführer gemäß § 10 FeV bei der Nutzung der Fahrerlaubnis der Klasse B als „Streckenführerschein“ zu erteilen.
11Der Antragsgegner beantragt,
12den Antrag abzulehnen.
13Zur Begründung hält er an seinem Versagungsbescheid fest.
14Am 17. Juli 2024 hat das Gericht Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Terminsniederschrift vom selben Tage wird verwiesen. Mit Beschluss vom 26. August 2024 hat die Kammer das Eilverfahren auf den Einzelrichter übertragen.
15Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Eilverfahren und im zugehörigen Klageverfahren – 3 K 3443/19 – sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.
16II.
17Der Antrag hat keinen Erfolg.
18Die beantragte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist nicht zu erlassen. Voraussetzung dafür ist, dass der Antragssteller glaubhaft macht, dass ihm – erstens – ein Anspruch auf die begehrte Handlung zusteht (Anordnungsanspruch) und – zweitens – für ihn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung seines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund), vgl. § 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO).
19Hier fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs auf Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung („Streckenführerschein“).
20Der Antragssteller bedarf zwar einer solchen Ausnahme. Für das unbegleitete Fahren von Fahrzeugen der Klasse B besteht nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a) der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ein Mindestalter von 18 Jahren, welches der Antragsteller erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres am 12. Dezember 2024 erreicht.
21Der Antragssteller hat aber keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung.
22Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 74 Abs. 1 FeV in Betracht. Nach dessen Absatz 1 können die nach Landesrecht zuständigen Behörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragssteller Ausnahmen von den Vorschriften der FeV genehmigen. Die Vorschrift gewährt einen Anspruch des von der Regelung Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Bescheidung durch die Behörde und im Ausnahmefall einer Ermessensreduzierung auf Null auch einen durchsetzbaren Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung.
23Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2015 – 6 K 5037/14, Rn. 23, juris; VG Bremen, Beschluss vom 22.4.2022 – 5 V 384/22, Rn. 16, juris; VG Köln, 15.12.2022 – 6 L 1519/22, 18 ff., juris.
24Vorliegend steht dem Antragsteller weder ein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung noch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung zu.
25Allerdings hat der Antragsteller die formellen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage erfüllt. Er hat den erforderlichen Antrag mit Zustimmung seiner Eltern als gesetzliche Vertreter, vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestellt. Der Antrag war auch an die zuständige Behörde gerichtet. Nach § 74 Abs. 1 FeV entscheidet über den Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung die nach Landesrecht zuständige Behörde. Die sachliche Zuständigkeit der Kreisordnungsbehörde als Fahrerlaubnisbehörde ergibt sich insoweit aus § 3 Abs. 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG NRW) i.V.m. § 22 Nr. 3 Buchstabe b der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung vom 5. Juli 2016 (GV. NRW S. 515). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 73 Abs. Abs. 2 Satz 1 FeV. Der Antragssteller hat seinen Wohnsitz im Kreisgebiet des Antragsgegners.
26Inhaltlich verneint der Versagungsentscheidung die Erteilung der begehrten Ausnahme aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise. Der Antragsgegner hat darin sein behördliches Ermessen ohne Rechtsfehler ausgeübt, vgl. § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) NRW und § 114 Satz 1 VwGO.
27Nach § 74 Abs. 1 FeV „kann“ in Einzelfällen eine Ausnahme von den Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung erteilt werden. Zu diesen Vorschriften zählt nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a) auch das Mindestalter von 18 Jahren für das (unbegleitete) Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklassen B, BE. § 74 Abs. 1 FeV ist keine Kopplungsvorschrift. Die Vorschrift enthält keinen Tatbestand der „unbeabsichtigten oder unzumutbaren Härte“, dessen Voraussetzungen als unbestimmter Rechtsbegriff einer uneingeschränkten Überprüfung des Verwaltungsgerichts unterläge und an dessen Erfüllung die Ausübung des behördlichen Ermessen als Rechtsfolge geknüpft wäre.
28Vgl. zur Kategorie der Kopplungsvorschrift: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 5. Juli 1985 - 8 C 22/83 - juris, Rn. 20.
29Die Erteilung der Ausnahme nach § 74 Abs. 1 FeV ist vielmehr insgesamt in das behördliche Ermessen gestellt. Es handelt sich um eine einheitliche Ermessensentscheidung, bei der die gerichtliche Kontrolle nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkt ist.
30Vgl. zur einheitlichen Ermessensentscheidung: Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 ‑ GmS OBG 3/70 ‑ BVerwGE 39, 355 (366 f.).
31Auf diese Weise soll die Behörde den notwendigen Freiraum erhalten, um im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit solchen Ausnahmesituationen Rechnung zu tragen, die bei strikter Anwendung der Bestimmung über das Mindestalter nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten.
32Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 6 K 5037/14 –, juris Rn. 24; VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15. Januar 2013 - 3 A 90/12 -, juris Rn. 22; VG Köln, Beschluss vom 03. Mai 2010 – 11 L 524/10 –, juris, Rn. 7; VG Minden, Beschluss vom 21. Oktober 2005 - 3 L 587/05 – juris.
33Dementsprechend ist es allein Aufgabe der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde in der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens solche Einzelfälle zu identifizieren, die aufgrund ihrer Besonderheiten die Annahme rechtfertigen, dass der Verordnungsgeber eine strikte Anwendung des Mindestalters nicht beabsichtigt hat bzw. aufgrund übergeordneter Rechtsprinzipien nicht beabsichtigt haben kann. Letzteres wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn die strikte Anwendung des Mindestalters zwar geeignet und erforderlich ist, generell zur Verkehrssicherheit beizutragen, aber die konkreten Nachteile, die ein Betroffener in seiner Lebenssituation dadurch erleiden würde, ein derart hohes Gewicht besitzen, dass diese Nachteile eine gewisse Einschränkung der generellen Verkehrssicherheit rechtfertigen. Diese Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall begründet die unzumutbare Härte.
34In diesem Sinne auch VG Braunschweig, Beschluss vom 18. Februar 2008 - 6 B 411/07 - juris, Rn. 26 und VG Augsburg, Beschluss vom 24. Januar 2003 - Au 3 E 03.1 -, juris Rn. 13.
35Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner das Vorliegen einer unzumutbaren Härte im Fall des Antragstellers verneint hat. Insbesondere durfte er sich bei der Bewertung des Falles an den Kriterien ausrichten, die der Erlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 2008 zur Lenkung des behördlichen Ermessens aufstellt. Der Kriterienkatalog, der als Entscheidungshilfe dienen soll, steht, wie nach § 40 VwVfG NRW erforderlich, im Einklang mit dem ‑ vom vorgenannten Erlass unter Ziffer 4 zutreffend umschriebenen ‑ Zweck der Ermessensermächtigung. Danach ist bei der Erteilung einer Ausnahme vom Mindestalter grundsätzlich Zurückhaltung zu üben. Das gilt wegen des besonderen Risikos junger Fahranfänger und der erheblichen Bedeutung der körperlichen und geistigen Reife für ein sicheres Führen von Kraftfahrzeugen.
36Vgl. dazu näher: VG Braunschweig, Beschluss vom 18. Februar 2008 – 6 B 411/07 – juris, Rn. 23 ff., unter Hinweis auf die aus der Verkehrsunfallstatistik gewonnen Erfahrungswerte, wonach junge Fahranfänger besonders häufig und überproportional an Unfällen im Straßenverkehr beteiligt sind.
37Unter Ziffer 5, 1. Spiegelstrich des vorgenannten Erlasses heißt es:
38„Pendlerzeiten von bis zu drei Stunden insgesamt (je Fahrtstrecke 1 1/2 Std.) bei einer Arbeitszeit von sechs und mehr Stunden sind grundsätzlich als zumutbar anzusehen; bei Zeiten von unterhalb von drei Stunden liegt kein Härtefall (…) vor.“
39Bei der einzelfallbezogenen Heranziehung dieses Prüfkriteriums für das Vorliegen eines Härtefalls sind dem Antragsgegnerin keine Ermessensfehler unterlaufen.
40Die Gründe des Versagungsbescheids dokumentieren, dass der Antragsgegner alle zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung am 14. Dezember 2023 relevanten Umstände berücksichtigt hat. So ist er zutreffend davon ausgegangenen, dass der Antragsteller seit dem 1. September 2023 eine Ausbildung beim K. W. besucht (einfache Fahrtstrecke ca. 45 km) und im Rahmen dieser Ausbildung an zwei Tagen in der Woche das Berufskolleg (einfache Strecke ca. 80 km) aufsucht. Dass die Arbeitszeit des Antragstellers (in W. von 8.00 - 17.00 Uhr und in A. von 8.00 - 14.45 Uhr) täglich mehr als 6 Stunden beträgt, hat der Antragsgegner richtigerweise zu Grunde gelegt. Dabei ist er zutreffend – wie auch der Antragsteller – davon ausgegangen, dass die Strecken mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mit einer (zumutbaren) Fahrtzeit von bis zu 1 ½ Stunden pro Strecke täglich zu bewältigen sind.
41Die entscheidungstragende Ermessenserwägung, dass es dem Antragsteller als Inhaber der Fahrerlaubnis der Klasse A 1 zuzumuten sei, die betreffenden Strecken mit seinem 125 m³ Roller zurückzulegen, da die Fahrtzeit für die einfache Strecke zum K. W. im Berufsverkehr ca. 55 Minuten und die Fahrtstrecke zum Berufskolleg zwischen 65 und 90 Minuten betrage, lässt ebenso wenig einen Ermessensfehler erkennen. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner davon ausgeht, dass Krafträder auch in den Wintermonaten mit angepasster Fahrweise genutzt werden können und der Antragsteller bei extremen Witterungsverhältnissen auf alternative Beförderungsmöglichkeiten zurückzugreifen habe (Fahrdienst der Eltern, Bildung von Fahrgemeinschaften mit Mitschülern und/oder Kollegen). Des Weiteren trifft es zu, dass er Antragsteller mit der Fahrerlaubnis der Klasse A 1 nicht nur zweirädrige, sondern auch dreirädrige Fahrzeuge bis zu einer Leistung von 15 kW führen darf.
42Die gegen die Ermessensausübung erhobenen Einwände greifen nicht durch: Bei der hier gebotenen Typisierung durfte der Antragstellers davon ausgehen, dass sich Strecken von 45 km bzw. 80 km mit einem 125 m³ Roller in aller Regel noch in 1 ½ Stunden bewältigen lassen. Pendelzeiten von mehr als 3 Stunden sind damit nicht prägend für den vorliegenden Fall, auch wenn sie bei der Fahrt zur 80 km entfernt liegenden Berufsschule unter schwierigen Wetterbedingungen durchaus einmal zu erwarten sind. Dem Argument des Antragstellers, dass die Nutzung eines Kraftrads nur bis zu einer Strecke von 15 km zumutbar sei, hat der Antragsgegner zutreffenderweise kein Gewicht beigemessen. Weder nach der Erlasslage noch nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung ergibt sich ein Anhalt für eine derartige Streckenbegrenzung. Auch ist es nicht zu bestanden, wenn der Antragsgegner die Möglichkeit ins Spiel bringt, den vom Antragsteller beschriebenen Gefahren bei der Nutzung seines Kraftrads bei winterlichen Straßenbedingungen durch die Anschaffung eines dreirädrigen Kraftfahrzeugs zu begegnen. Dass unbemittelte Antragsteller ‑ anders als der Antragsteller - nicht auf die Nutzung eines Kraftrads bzw. die Anschaffung eines dreirädrigen Kraftfahrzeugs verwiesen werden können, führt nicht zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Ungleichbehandlung. In den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten liegt nämlich ein hinreichender Differenzierungsgrund. Im Übrigen dürfte sich die Frage nach der Erteilung eines Streckenführerscheins für einen unbemittelten Antragsteller gar nicht stellen, weil ihm bereits die finanziellen Mittel für die Führerscheinprüfung und die spätere Nutzung des Kraftfahrzeugs fehlen. Die vom Antragsteller ins Feld geführten Belange des Umweltschutzes, denen besser gedient sei, wenn die Zahl der Bring- und Abholfahrten deutlich reduziert werden könne, hat der Antragsgegner bei seiner Ermessensentscheidung zu Recht nicht einfließen lassen. Welche Erwägungen in das behördliche Ermessen einzustellen sind, richtet sich nämlich nach dem Zweck der Ermächtigungsnorm. Der hier einschlägige § 74 Abs. 1 FeV lässt aber von seiner Zielrichtung her keinen Bezug zum Umwelt- und Klimaschutz erkennen. Auf die besondere Fahrsicherheit und das besondere Verantwortungsbewusstsein des Antragsstellers kommt es, ungeachtet des hier maßgeblichen Zeitpunkts der Versagungsentscheidung, für die ordnungsgemäße Ermessensausübung ebenso wenig an, weil damit keine spezifischen Nachteile des Antragstellers, mithin keine besondere Härte für ihn, dokumentiert werden können.
43Bestehen nach alledem keine Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Ermessensausübung, hat der Antragsteller auch keinen (Anordnungs-) Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung glaubhaft gemacht.
44Schließlich hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Nachteile, die dem Antragsteller ohne die begehrte Ausnahmegenehmigung in den kommenden Wochen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres entstehen, sind rechtlich ohne maßgebliches Gewicht und können daher die beantragte einstweilige Anordnung, mit der die Hauptsache vorweggenommen werden soll, nicht rechtfertigen.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.