Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 721/24.A gegen die unter Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. März 2024 verfügte Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
G r ü n d e
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 10 K 721/24.A gegen die unter Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. März 2024 verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig, dem Akteninhalt nach insbesondere fristgerecht eingelegt, und auch begründet.
5Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß §§ 36 Abs. 3, 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Dabei darf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes erfolgen. „Ernstliche Zweifel“ im Sinne der genannten Vorschrift liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Asylantrag im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abweichend von der Einschätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) nicht als offensichtlich unbegründet darstellt.
6Vgl. BVerfG, u. a. Urteil vom 14. Mai 1996 ‑ 2 BvR 1516/93 -, juris, Rn. 99 ff.
7Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten der Antragsteller aus. Denn es bestehen derzeit unter Würdigung des bisherigen Akteninhalts ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts vom 21. März 2024.
8Die Abschiebungsandrohung selbst findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist, der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
9Die hier mit der Abschiebungsandrohung verbundene Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung fußt auf § 36 Abs. 1 AsylG. Danach beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AsylG und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags nach § 30 AsylG - abweichend von § 38 Abs. 1 AsylG - eine Woche.
10Es bestehen derzeit ernstliche Zweifel daran, dass vorliegend die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags der Antragsteller als offensichtlich unbegründet und damit für eine Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche vorgelegen haben.
11Das Bundesamt hat hier unter Berufung auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG die Anträge auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es hat sich zur Begründung dieser Entscheidung darauf berufen, die Antragstellerin habe im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, sie und der Antragsteller hätten ihre Originalpässe auf Empfehlung des Schleppers bei der Ausreise aus der Türkei, wo sie sich vor ihrer Weiterreise nach Deutschland etwa drei bis vier Monate aufgehalten hätten, vernichtet.
12Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. Die Voraussetzungen für eine hierauf gestützte Offensichtlichkeitsentscheidung liegen hier jedoch nicht vor.
13§ 30 AsylG hat durch Artikel 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. 2024, Nr. 54 vom 26. Februar 2024), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, eine für die vorliegend zu treffende Entscheidung maßgebliche Neufassung erhalten. Insoweit soll § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n. F. nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 24. November 2023 der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 lit. d der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) dienen, denen zufolge die Mitgliedstaaten einen unbegründeten Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten können, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Die Neufassung soll nach der Gesetzesbegründung die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 3 Nrn. 2 und 5 AsylG a. F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments erfassen.
14Vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56; vgl. hierzu auch VG Dresden, Beschluss vom 6. März 2024 - 2 L 116/24.A -, Rn. 13.
15Aus der Gesetzesbegründung und auch aus dem Wortlaut der Neufassung wird deutlich, dass nicht jede Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments zu einer Qualifizierung der Ablehnung eines unbegründeten Asylantrags als offensichtlich unbegründet führen soll, sondern allein eine solche, die im Ergebnis die sichere Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden verhindert hat. Denn nur dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass gerade das vernichtete oder beseitigte Personaldokument die Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit „ermöglicht hätte“. Bestehen aber aus anderen Gründen keine Zweifel an Identität und Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden, hat sich die Vernichtung oder Beseitigung des Personaldokuments auf deren Feststellung nicht ausgewirkt.
16Vgl. VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 - 23 L 511/24.A -, Rn. 10; vgl. zudem zur Altfassung des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG: VG Ansbach, Beschluss vom 4. September 2020 - AN 4 S 20.30768 -, juris, Rn. 17 f.
17Ausgehend hiervon führt die von der Antragstellerin eingeräumte Vernichtung der Originalpässe nicht zu einer Qualifizierung der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet. Denn das Bundesamt hatte ausweislich der Akte keinerlei Zweifel an der Identität der Antragsteller. Diese haben zwar nicht ihre Originalpässe vorgelegt, ihre Identität und Staatsangehörigkeit jedoch durch die Vorlage anderer Dokumente nachweisen können. Insoweit haben sie Personaldokumente (Personalausweis, Geburtsurkunden, Heiratsurkunde) vorgelegt, deren Authentizität das Bundesamt nach einer durchgeführten Dokumentenprüfung ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen, sondern vielmehr - neben dem Gesamteindruck in der persönlichen Anhörung und den Angaben des eingesetzten Dolmetschers - der aktenkundig gemachten Feststellung zugrunde gelegt hat, dass Zweifel an Identität und Herkunft der Antragsteller nicht bestehen. Bei dieser Sachlage erweist sich die Vernichtung der Reisepässe im vorliegenden Zusammenhang als unschädlich.
18Ob der Offensichtlichkeitsentscheidung vorliegend darüber hinaus bereits entgegensteht, dass die Antragsteller die Reisepässe bereits während ihres Aufenthaltes in der Türkei, also noch vor ihrer Einreise nach Deutschland und damit zu einem Zeitpunkt vernichtet haben, in dem sie noch gar nicht dem Regime des Asylgesetzes unterfielen, kann daher dahinstehen.
19Vgl. zu einer (fehlenden) Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Vernichtung bzw. Beseitigung eines Passes vor Asylantragstellung unter Geltung der früheren Rechtslage etwa: Blechinger, in: BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 18. Edition, Stand: 15.01.2024, § 30 AsylG Rn. 78; VG Ansbach, Beschluss vom 4. September 2020 - AN 4 S 20.30768 -, juris, Rn. 14; VG Leipzig, Beschluss vom 27. Mai 2019 - 4 L 492/19.A -, juris, Rn. 17 f.
20Dass die Offensichtlichkeitsentscheidung auf die weiteren Qualifizierungstatbestände des § 30 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 oder Nrn. 5 bis 9 AsylG gestützt werden könnte, ergibt sich aus dem bisherigen Akteninhalt schließlich ebenfalls nicht.
21Die im Bescheid dargelegten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Asylvorbringens mögen daher unter Umständen eine (einfache) Unbegründetheit des Asylantrags rechtfertigen, an dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Qualifizierung der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet bestehen jedoch ernstliche Zweifel. Angesichts dessen überwiegt das Interesse der Antragsteller, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben.
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).