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Zum Erlöschen einer Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG und einer unterstellten assoziationsrechtlichen Stellung nach Art. 7 ARB 1/80 bei wiederholter Einreise in die Türkei
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e
2I. Die Kammer versteht den von der Antragstellerin wörtlich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes,
3die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu einer Entscheidung in einer Hauptsache die Vollziehung auszusetzen,
4bei verständiger Auslegung des Antragsbegehrens (vgl. §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO), die mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch bei anwaltlich vertretenen Antragstellern geboten ist, wenn das Rechtsschutzziel klar zu erkennen ist,
5vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 2 BvR 254/07 –, juris, Rn. 17,
6dahin, dass sie beantragt,
7die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums
8– 8 K 2435/22 – gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 20. September 2022 anzuordnen,
9hilfsweise,
10der Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu untersagen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in die Türkei abzuschieben.
11Aus dem Sachvortrag der Antragstellerin ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass sie eine Aufenthaltsbeendigung in jedem Fall und zwar vorrangig aufgrund des behaupteten Fortbestehens ihrer Niederlassungserlaubnis und nachrangig aufgrund eines behaupteten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verhindert wissen will.
12In Bezug auf den in erster Linie geltend gemachten Fortbestand der Niederlassungserlaubnis kann sie dieses Ziel bereits mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 20. September 2022 erreichen, der nach § 123 Abs. 5 VwGO Vorrang hat. Denn Prüfungsgegenstand einer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung und damit auch eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist u. a., ob der Ausländer ausreisepflichtig ist. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer nicht (mehr) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). Die Antragstellerin beruft sich gerade darauf, dass ihre Niederlassungserlaubnis nicht erloschen ist. Ein solcher Antrag entspricht auch ihrem Begehren in der Hauptsache, die streitgegenständliche Ordnungsverfügung aufzuheben und ihr wieder ein Niederlassungserlaubnis-Dokument auszustellen. Dieses Begehren erstreckt sich entsprechend auch auf das in Ziffer II. angeordnete und befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot.
13In Bezug auf den in der Hauptsache hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würde ein Antrag im vorgenannten Sinne allein der Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aber nicht zum Erreichen ihres Rechtsschutzziels verhelfen. Die Antragsgegnerin hat mit der Ordnungsverfügung vom 20. September 2022 lediglich eine Abschiebungsandrohung sowie ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung erlassen. Eine Entscheidung über den von der Antragstellerin spätestens bei ihrer persönlichen Vorsprache am 9. September 2022 – für den Fall des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis – gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen ihrer Verwurzelung und ihrer familiären Bindungen in der Bundesrepublik hat sie in der Ordnungsverfügung hingegen nicht – auch nicht konkludent im Rahmen der Begründung – getroffen. Die Antragstellerin begehrt in der Hauptsache aber nicht nur die Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 20. September 2022, sondern für den Fall, dass ihre Niederlassungserlaubnis erloschen ist, auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 80 Abs. 5 VwGO kann die Antragstellerin ihr im Eilverfahren verfolgtes Rechtsschutzziel, eine Abschiebung gerade auch mit Blick auf den behaupteten Erlaubnisanspruch zu verhindern, jedoch nicht erreichen. Denn Prüfungsgegenstand einer Klage gegen eine Abschiebungsandrohung und damit auch eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht die Frage, ob ein Erlaubnisanspruch besteht. Auch für die Prüfung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist unerheblich, ob ein Erlaubnisanspruch besteht. Das Rechtsschutzbegehren, im Eilverfahren Abschiebungsschutz wegen eines behaupteten Erlaubnisanspruchs zu erhalten, kann ein ausreisepflichtiger Ausländer in dem Fall, dass sein Erlaubnis- oder Verlängerungsantrag – wie hier (vgl. dazu im Folgenden unter I.1.a)) – keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst hat, nur mit einem – mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ausnahmsweise zulässigen – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gerichtet auf Untersagung der Abschiebung erreichen.
14II. Der so verstandene Antrag hat weder mit seinem Haupt- (1.) noch mit seinem Hilfsantrag (2.) Erfolg.
151. Der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 20. September 2022 bleibt insgesamt erfolglos.
16a) Soweit dieser Antrag gegen die in Ziffer I. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Abschiebungsandrohung gerichtet ist, ist er zulässig, insbesondere gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 112 JustG NRW statthaft.
17Er ist aber nicht begründet.
18Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakts und dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zu der Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren von einer Vollziehung verschont zu bleiben, fällt zulasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung.
19Die Abschiebungsandrohung erweist sich nämlich als offensichtlich rechtmäßig.
20Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 50 Abs. 1, 59 AufenthG sind vorliegend erfüllt.
21aa) Die Antragstellerin ist zunächst ausreisepflichtig, weil sie einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht mehr besitzt (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). Denn ihre am 30. September 2002 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ab dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG fortgalt, ist erloschen (1)). Auch hat die Antragstellerin ein etwa entstandenes assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem – hier einzig in Betracht kommenden – Art. 7 ARB 1/80 verloren (2)).
22(1) Das Erlöschen eines Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz bestimmt sich nach § 51 AufenthG.
23Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist, nach Nr. 7 erlischt er, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist. Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 1 AufenthG).
24Danach ist die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin erloschen. Der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG ist am 12. August 2016 (aa)), jedenfalls aber der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG am 6. April 2020 (bb)) eingetreten, ohne dass die Antragstellerin sich auf die Privilegierung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (cc)) oder nach § 51 Abs. 10 Satz 2 AufenthG (dd)) berufen kann.
25(aa) Zunächst liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG vor. Die Antragstellerin ist am 12. August 2016 aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausgereist.
26Im Rahmen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG sind lediglich solche Auslandsaufenthalte unschädlich, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, liegt ein seiner Natur nach nicht vorübergehender Grund vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind alle objektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers – insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr in die Bundesrepublik – nicht allein ankommen kann. Als ihrer Natur nach vorübergehende Gründe für Auslandsaufenthalte können danach etwa Urlaubsreisen oder beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer anzusehen sein, ebenso Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen, zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul- oder Berufsausbildung, die nur zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte umfassen, nicht aber die Ausbildung insgesamt im Ausland. Demgegenüber lässt sich eine feste Zeitspanne, bei deren Überschreitung stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, nicht abstrakt benennen. Je weiter sich die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeiten hinaus ausdehnt, die mit den vorgenannten begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden sind, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nahe. Jedenfalls erlischt der Aufenthaltstitel nach dieser Vorschrift, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – 1 C 15.11 –, juris, Rn. 16; BayVGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2015 – 10 ZB 14.345 –, juris, Rn. 9 und vom 4. Januar 2016 – 10 ZB 13.2431 –, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9. November 2015 – 11 S 714/15 – juris, Rn. 43; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 20. Januar 2020 – 13 ME 348/19 –, juris, Rn. 10; VG Aachen, Beschluss vom 16. Mai 2017 – 8 K 1767/15 –, n.v., S. 3 des Abdrucks.
28Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist der Grund der Ausreise nicht vorübergehender Natur, wenn der Ausländer zwar irgendwann in das Bundesgebiet zurückzukehren wünscht, sein Aufenthalt im Ausland aber auf unabsehbare Zeit angelegt ist. Auch wenn der Ausländer das Bundesgebiet wegen eines begrenzten Zwecks verlässt, ist demgemäß der Grund der Ausreise seiner Natur nach nicht lediglich vorübergehend, wenn sich der Zweck nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezieht, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt, also auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist. Danach kann bspw. im Einzelfall die Ausreise zur Pflege eines Angehörigen im Ausland auch nicht vorübergehender Natur sein, namentlich wenn es um einen Dauerpflegefall geht.
29Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988 – 1 B 135/88 –, juris, Rn. 8.
30Maßgeblich ist der Zweck der Ausreise im Zeitpunkt der Ausreise. Wenn die Ausreise in diesem Zeitpunkt nicht nur vorübergehend war, erlischt die Aufenthaltserlaubnis damit unmittelbar und unwiderruflich; sie lebt nicht wieder auf, wenn der Ausländer es sich später – und sei es auch nur kurze Zeit nach der Ausreise – anders überlegt und nach Deutschland zurückkehrt bzw. zurückkehren will.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. April 2007 – 18 B 2764/06 –, juris, Rn. 8 f. u. 14.
32Eine Rückkehr schon vor Ablauf von – im Rahmen des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG beachtlichen – sechs Monaten nach der Ausreise schließt nicht aus, dass der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde verlassen hat. Der Ausländer kann in einem solchen Falle das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nicht dadurch vermeiden, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise mehr oder weniger kurzfristig in das Bundesgebiet zurückkehrt.
33Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1988 – 1 B 135/88 –, juris, Rn. 7.
34Auch kann ein Ausländer sein einmal hier erworbenes Aufenthaltsrecht nicht gewissermaßen "in Reserve halten" für den Fall, dass er – aus welchen Gründen auch immer – irgendwann einmal in die Bundesrepublik zurückkehren möchte.
35Vgl. zu § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG, dem § 51 Abs. 1 AufenthG entspricht, der nur aus Gründen der Übersichtlichkeit die Erlöschenstatbestände enumerativ aufführt (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 89): OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2003 – 18 B 978/03 –, juris, Rn. 11.
36Die Tatsache der Eheschließung im Ausland und der Verbleib des Ehepartners im Ausland deuten darauf hin, dass der Ausländer seinen Lebensmittelpunkt ‑ zumindest vorübergehend – ins Ausland verlagert hat.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2003 – 18 B 978/03 –, juris, Rn. 11.
38Steht demnach von vornherein fest, dass der Ausländer das Bundesgebiet aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund verlässt, erlischt der Aufenthaltstitel mit der Ausreise.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2012 – 1 C 1.11 –, juris, Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2011 – 11 S 189/11 –, juris, Rn. 50.
40Gemessen an diesen Maßstäben ist die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin mit ihrer Ausreise aus der Bundesrepublik in die Türkei am 12. August 2016 erloschen, weil diese aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde erfolgte. Mit dieser Ausreise hat die Antragstellerin nämlich ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei verlagert. Denn sie beabsichtigte im Zeitpunkt der Ausreise ein Zusammenleben mit ihrem Ehemann in der Türkei, das in der Bundesrepublik nach ihrem eigenen Vortrag aus in der Person ihres Ehemannes liegenden Gründen nicht möglich gewesen wäre. Dies ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall der Antragstellerin unter Berücksichtigung ihrer Ein- und Ausreisen in die und aus der Türkei und der Dauer der Aufenthalte jeweils im Bundesgebiet einerseits und in der Türkei andererseits.
41Für die Lebensmittelpunktverlagerung in die Türkei spricht zunächst, dass die Antragstellerin nach ihrer Ausreise in die Türkei am 12. August 2016 dort am 21. September 2016 ihren türkischen Ehemann geheiratet hat, der in der Türkei lebt und arbeitet. Dies hatte wesentliche Änderungen der gewöhnlichen Lebensumstände der Antragstellerin in Deutschland zur Folge. Hinzu kommt, dass ihr Ehemann nach den Angaben der Antragstellerin bis heute nicht zu ihr in die Bundesrepublik nachziehen wollte und will, da er in der Türkei einer Erwerbstätigkeit nachgeht und sich zudem um seine pflegebedürftigen Eltern kümmern muss . Die Eltern hat der Ehemann zu diesem Zweck zu sich in seine Wohnung nahe J. geholt. Die Antragstellerin hat nach ihrem eigenen Vortrag ihren Ehemann mehrfach erfolglos zu überreden versucht, zu ihr in die Bundesrepublik nachzuziehen. Deswegen lebt die Antragstellerin in der Türkei seit der Eheschließung in der Wohnung ihres Ehemannes und von dessen Einkommen, das er durch eine Erwerbstätigkeit dort erwirtschaftet. Seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes am 00.00.0000 reist sie nach ihren Angaben mit diesem immer wieder langfristig in die Türkei, damit der Kontakt zwischen Sohn und Vater aufrechterhalten bleibt.
42Weiterhin lässt sich für einen Zweck der Ausreise zur Familienzusammenführung in der Türkei anführen, dass weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass der Ehemann der Antragstellerin diese (und seinen Sohn) jemals in der Bundesrepublik besucht hat, obwohl ihm dies als türkischen Staatsangehörigen mit einem Schengen-Visum für eine Dauer von jeweils 90 Tagen je eines Zeitraums von 180 Tagen ohne Weiteres möglich (gewesen) wäre. Ein Zusammenleben der Familie wurde vielmehr stets durch die Aufenthalte der Antragstellerin in der Türkei realisiert.
43Auch der Vortrag der Antragstellerin, ihre Reisen in die Türkei hätten den Zweck gehabt, dass sie dort im Naturheilverfahren wegen ihrer seit 2011 bestehenden Colitis und Depression behandelt werde, lässt auf eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts in die Türkei schließen. Denn demnach verfüge sie in der Türkei über einen festen Arzt, der viel für sie tue, was ihr in der Bundesrepublik aus finanziellen Gründen nicht möglich sei.
44Vor allem aber eine Auswertung der Ein- und Ausreisebewegungen sowie der Dauer der jeweiligen Aufenthalte in der Bundesrepublik bzw. in der Türkei zeigt deutlich, dass die Antragstellerin seit der maßgeblichen Ausreise am 12. August 2016 vor der Eheschließung in der Türkei ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert hat, um dort die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann und später auch dem gemeinsamen Sohn zu leben.
45So hat sie sich seit diesem Zeitpunkt bis zum 25. März 2022 – dem Tag der letzten Ausreise aus der Türkei in die Bundesrepublik –, d. h. über einen Zeitraum von insgesamt 2.031 Tagen, insgesamt 1.445 Tage in der Türkei und lediglich 586 Tage in der Bundesrepublik oder prozentual ausgedrückt ca. 71 % in der Türkei und ca. 29 % in der Bundesrepublik aufgehalten, wie die nachfolgende Tabelle veranschaulicht (die kursiv gedruckten Angaben stellen jeweils den Zeitraum eines Aufenthalts in der Bundesrepublik und die Gesamtdauer dieses in Tagen dar):
46Einreise Türkei (Giris) |
Ausreise Türkei (Cikis) |
Tage Türkei |
Tage BRD |
12.08.2016 |
03.12.2016 |
113 |
|
04.12.2016 |
10.12.2016 |
6 |
|
11.12.2016 |
27.01.2017 |
47 |
|
28.01.2017 |
09.02.2017 |
12 |
|
10.02.2017 |
10.06.2017 |
120 |
|
11.06.2017 |
01.12.2017 |
173 |
|
02.12.2017 |
19.12.2017 |
17 |
|
20.12.2017 |
19.01.2018 |
30 |
|
20.01.2018 |
01.07.2018 |
162 |
|
02.07.2018 |
01.09.2018 |
61 |
|
02.09.2018 |
26.01.2019 |
146 |
|
27.01.2019 |
05.03.2019 |
37 |
|
06.03.2019 |
30.08.2019 |
177 |
|
31.08.2019 |
04.10.2019 |
34 |
|
05.10.2019 |
30.06.2020 |
269 |
|
01.07.2020 |
11.10.2020 |
102 |
|
12.10.2020 |
09.12.2020 |
58 |
|
10.12.2020 |
19.03.2021 |
99 |
|
20.03.2021 |
13.09.2021 |
177 |
|
14.09.2021 |
16.10.2021 |
32 |
|
17.10.2021 |
25.03.2022 |
159 |
|
insgesamt |
1.445 |
586 |
|
Zeitraum insg. 2.031 Tage |
|||
Davon ≈ 28,9 % der Zeit in BRD |
|||
Davon ≈ 71,1 % der Zeit in der Türkei |
Auch bei Betrachtung der einzelnen Zeiträume der Aufenthalte in der Türkei einerseits und der Aufenthalte in der Bundesrepublik andererseits fällt auf, dass die Dauer der Aufenthalte in der Türkei häufig deutlich länger ist als diejenige der Aufenthalte in der Bundesrepublik. Vor diesem Hintergrund scheinen die Aufenthalte der Antragstellerin in der Bundesrepublik lediglich Besuchscharakter zu haben. Bis auf drei Aufenthalte – von 47, 17 und 58 Tagen – weisen sämtliche Aufenthalte der Antragstellerin in der Türkei eine Dauer von zusammenhängend weit über 100 Tagen auf. Umgekehrt verhält es sich bei den Aufenthalten der Antragstellerin in der Bundesrepublik, die bis auf drei Ausnahmen – von 173, 102 und 99 Tagen – zusammenhängend deutlich unter 100 Tagen angedauert haben.
48Dabei führt der im betrachteten Zeitraum längste Aufenthalt der Antragstellerin in der Bundesrepublik vom 10. Juni 2017 bis zum 2. Dezember 2017 (173 Tage) nicht zu einem Bruch dergestalt, dass von einer – nach den vorstehenden Maßstäben, wonach es auf den Zweck der Ausreise im Zeitpunkt der Ausreise ankommt, ohnehin unerheblichen – Zurückverlagerung des Lebensmittelpunkts in die Bundesrepublik auszugehen wäre. Dieser längere Aufenthalt erscheint vielmehr als zwangsläufige Folge der Geburt ihres Sohnes in der Mitte dieses Zeitraums, nämlich am 00.00.0000. Diesen hat die Antragstellerin nach ihren Angaben gegenüber der Antragsgegnerin in T. zur Welt gebracht, um bei der Geburt Unterstützung von ihrer dort lebenden Familie zu erhalten. Es ist vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass der lange Aufenthalt der Vorbereitung auf die Geburt, der Geburt des Kindes selbst und der Erholung von Mutter und Kind danach geschuldet war. Dies zeigt sich auch daran, dass die Antragstellerin, als ihr Sohn gerade einmal zwei Monate alt war, erneut für eine Dauer von 17 Tagen und, als ihr Sohn ca. dreieinhalb Monate alt war, für eine Dauer von bereits wieder 162 Tagen in die Türkei gereist ist, nachdem sie sich dazwischen lediglich für eine Dauer von 30 Tagen in der Bundesrepublik aufgehalten hatte. Legt man die für Arbeitgeber geltende Schutzfrist nach der Entbindung zugrunde, die gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG acht Wochen nach der Entbindung beträgt, so entspricht dies fast genau dem Zeitraum, den die Antragstellerin zwischen der Geburt ihres Sohnes und der erneuten Einreise in die Türkei hat verstreichen lassen. Ähnlich verhält es sich mit der sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Tag der Entbindung betragenden Schutzfrist vor der Entbindung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG und dem Zeitraum zwischen Wiedereinreise in die Bundesrepublik und der Geburt des Sohnes (ca. zwei Monate).
49Auch ein Vergleich zwischen den Ein- und Ausreisebewegungen der Antragstellerin vor dem 12. August 2016 und danach lässt darauf schließen, dass es bei der Ausreise zur Eheschließung am 12. August 2016 zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts in die Türkei gekommen ist. Denn in dem betrachteten Zeitraum vor der maßgeblichen Ausreise weisen die Aufenthalte in der Türkei lediglich Besuchscharakter auf. So zeigt die nachfolgende Tabelle, in der die Aufenthalte im Zeitraum vom 29. April 2011 – dem Tag ihrer ersten Ausreise in die Türkei – und dem 11. August 2016 – dem Tag vor der maßgeblichen Ausreise – ausgewertet wurden, dass sich die Antragstellerin in diesem Zeitraum sowohl nach einzelnen Zeiträumen als auch im Gesamten betrachtet deutlich länger in der Bundesrepublik aufgehalten hat als in der Türkei:
50Einreise Türkei (Giris) |
Ausreise Türkei (Cikis) |
Tage Türkei |
Tage BRD |
29.04.2011 |
31.05.2011 |
32 |
|
01.06.2011 |
29.06.2011 |
28 |
|
30.06.2011 |
02.07.2011 |
2 |
|
03.07.2011 |
12.08.2012 |
406 |
|
13.08.2012 |
24.09.2012 |
42 |
|
25.09.2012 |
14.03.2014 |
535 |
|
15.03.2014 |
15.03.2014 |
0 |
|
16.03.2014 |
30.09.2014 |
198 |
|
01.10.2014 |
22.10.2014 |
21 |
|
23.10.2014 |
09.04.2015 |
168 |
|
10.04.2015 |
01.05.2015 |
21 |
|
02.05.2015 |
23.08.2015 |
113 |
|
24.08.2015 |
07.02.2016 |
167 |
|
08.02.2016 |
04.03.2016 |
25 |
|
05.03.2016 |
05.04.2016 |
31 |
|
06.04.2016 |
02.06.2016 |
57 |
|
03.06.2016 |
17.07.2016 |
44 |
|
18.07.2016 |
11.08.2016 |
24 |
|
insgesamt |
360 |
1.554 |
|
Zeitraum insg. 1.914 Tage |
|||
Davon ≈ 81,2 % der Zeit in BRD |
|||
Davon ≈ 18,8 % der Zeit in der Türkei |
Demnach hat sie sich von 1.914 betrachteten Tagen insgesamt 1.554 Tage in der Bundesrepublik und nur 360 Tage in der Türkei oder prozentual betrachtet insgesamt ca. 81 % der Zeit in der Bundesrepublik und nur ca. 19 % der Zeit in der Türkei aufgehalten. Zudem übersteigt in diesem Zeitraum nur ein Aufenthalt der Antragstellerin in der Türkei eine Dauer von 100 Tagen, während die anderen sich im Bereich zwischen 2 und 44 Tagen bewegen. Außerdem ist hieraus ersichtlich, dass sich die Antragstellerin im betrachteten Zeitraum häufig mehrere Monate am Stück in der Bundesrepublik aufgehalten hat, bevor sie wieder in die Türkei ausgereist ist. Die beiden Aufenthalte in der Bundesrepublik vom 3. Juli 2011 bis zum 12. August 2011 (406 Tage) sowie vom 25. September 2012 bis zum 14. März 2014 (535 Tage) markieren sogar erhebliche Unterbrechungen in den Ein- und Ausreisebewegungen, die sich so seit der maßgeblichen Ausreise am 12. August 2016 nicht noch einmal wiederholt haben.
52Dass die Antragstellerin seit dem 25. März 2022 nicht mehr in die Türkei eingereist ist, ist allein dem Umstand geschuldet, dass die Antragsgegnerin den bisherigen elektronischen Aufenthaltstitel der Antragstellerin einbehalten und einen Übertrag in den neuen Pass abgelehnt hat. Dies zeigt sich auch daran, dass die Schwester der Antragstellerin mit E-Mail vom 2. August 2022 bei der Antragsgegnerin ausdrücklich angefragt hat, die Bearbeitung der Angelegenheit zu beschleunigen, da der Sohn der Antragstellerin Sehnsucht nach seinem Vater habe.
53Dass die Antragstellerin in der Bundesrepublik geboren und zur Schule gegangen ist und hier auch über ein Bankkonto sowie Ärzte verfügt, vermag an der Feststellung der Verlagerung des Lebensmittelpunktes am 12. August 2016 in die Türkei in der Gesamtbetrachtung nichts zu ändern. Denn hierbei handelt es sich nur um Aspekte, die zeitlich vor der Verlagerung des Lebensmittelpunktes zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei liegen und in der Gesamtbetrachtung nicht wesentlich ins Gewicht fallen.
54Gleiches gilt für das Vorbringen der Antragstellerin, bis auf ihren Ehemann lebe ihre gesamte Familie (Eltern und Geschwister) in der Bundesrepublik. Mit der Eheschließung hat die Antragstellerin durch Gründung einer eigenen Familie einen neuen Lebensabschnitt, und zwar in der Türkei begonnen, der mit einer weitgehenden Unabhängigkeit gegenüber ihrer Herkunftsfamilie in der Bundesrepublik einhergeht.
55Darauf, dass die Antragstellerin vorhat, nach der – voraussichtlich im Sommer 2023 erfolgenden – Einschulung ihres Sohnes für immer in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren, kommt es nach den vorstehenden Maßstäben nicht an. Gleiches gilt für die von der Antragstellerin vorgebrachte Absichtsbekundung ihres Ehemannes, nach dem Ende der Pflege seiner Eltern zu ihr und seinem Sohn in die Bundesrepublik nachziehen zu wollen.
56Nach alledem sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG mit der Ausreise der Antragstellerin in die Türkei am 12. August 2016 erfüllt.
57(bb) Jedenfalls wäre die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin am 6. April 2020 (auch) nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen. Die Antragstellerin hat sich länger als sechs Monate, nämlich vom 5. Oktober 2019 bis zum 30. Juni 2020 durchgängig in der Türkei aufgehalten; die Frist von sechs Monaten ist daher mit Ablauf des 5. April 2020 abgelaufen.
58Dabei galt für die Antragstellerin keine längere als die von § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG vorgegebene 6-Monats-Frist. Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Hierfür ist ein entsprechender Antrag des Ausländers erforderlich, den er innerhalb der 6-Monats-Frist stellen muss.
59Vgl. VG Bremen, Urteil vom 30.11.2005 – 4 K 1013/05 –, BeckRS 2010, 55161, II.2. m. w. N.
60Auch die Verlängerung der Frist durch die Ausländerbehörde muss innerhalb der sechs Monate erfolgen.
61Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27. April 2004 – 3 Bs 71/04 –, juris, Rn. 3.
62Hier hat die Antragsgegnerin die Frist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht nach § 51 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (innerhalb des maßgeblichen Zeitraums) verlängert und die Antragstellerin bei ihr auch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
63Der Einwand der Antragstellerin, sie habe nicht wie geplant am 3. April 2020 wieder aus der Türkei ausreisen können, da in diesem Zeitpunkt der internationale Flughafen in Istanbul und teilweise auch der in Düsseldorf aufgrund der pandemiebedingten Reisebeschränkungen gesperrt gewesen sei, verfängt nicht. Eine Ausnahme hiervon ist allenfalls in seltenen Extremfällen denkbar, wenn der Gesetzeszweck dies erfordert.
64Vgl. VG Bremen, Urteil vom 30.11.2005 – 4 K 1013/05 –, BeckRS 2010, 55161, II. 2. zu einem solchen Ausnahmefall, weil der Ausländer noch innerhalb der 6-Monats-Frist im Ausland verhaftet und in ein Gefangenenlager in einem anderen Land ohne jedwede Möglichkeit des Außenkontakts gebracht wurde.
65Der Antragstellerin wäre es aber jederzeit möglich gewesen, sich telefonisch – ggf. auch über ihre Schwester, die die Antragsgegnerin auch in der Vergangenheit bereits über Türkeiaufenthalte der Antragstellerin informiert hat – mit der Antragsgegnerin in Verbindung zu setzen, um aufgrund der gegebenen Umstände eine Fristverlängerung zu erwirken. Ihr wäre es ebenso möglich gewesen, zu diesem Zweck Kontakt zur deutschen Botschaft aufzunehmen. Soweit sie sich insofern darauf beruft, sie habe die Gesetze nicht gekannt und nicht gewusst, dass sie sich melden und Bescheid hätte geben müssen, ist dies als Schutzbehauptung zu werten. Denn dass sie sich nicht länger als sechs Monate am Stück im Ausland aufhalten darf, weil dann regelmäßig ihr Aufenthaltstitel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt, hat die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben genau gewusst und deshalb auf eine rechtzeitige Rückkehr jeweils geachtet, was auch durch ihre übrigen Ein- und Ausreisebewegungen gestützt wird, die sich (teilweise sehr knapp) unter den sechs Monaten bewegen.
66(cc) Der Antragstellerin kommt auch nicht die privilegierende Regelung des § 51 Abs. 2 AufenthG zugute.
67Danach erlöschen die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 oder Abs. 2 Nr. 5 bis 7 besteht.
68Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Antragstellerin nicht vor.
69(i) Das gilt zunächst mit Blick auf den Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG. Denn im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen – hier also dem Tag der Ausreise am 12. August 2016 –,
70vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 1 C 14.16 –, juris, Rn. 15 ff., wonach dies auch für die Nachfolgeregelung des § 51 Abs. 2 AufenthG zu § 44 Abs. 1a AuslG gilt; zu § 44 Abs. 1a AuslG: OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 2002 – 18 B 732/01 –, juris, Rn. 9,
71war jedenfalls der Lebensunterhalt der Antragstellerin nicht i. S. d. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert. Auf diese Vorschrift hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 51 Abs. 2 AufenthG ausdrücklich Bezug genommen (vgl. BT-Drucks. 15/420, Seite 89).
72Vgl. zur Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 AufenthG auch: BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 1 C 14.16 –, juris, Rn. 15.
73Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Satz 2 nimmt bestimmte Leistungen vom Begriff der öffentlichen Mittel aus.
74In dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ist die positive Prognose erforderlich, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 10.12 – juris, Rn. 13.
76Zweifel gehen dabei zu Lasten des ausreisenden Ausländers.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 – 1 C 14/16 –, juris, Rn. 15.
78Eine derartige positive Prognose kann für die Antragstellerin im Zeitpunkt ihrer die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erfüllenden Ausreise am 12. August 2016 nicht getroffen werden. Denn an diesem Tag hat die Antragstellerin ausweislich einer entsprechenden Leistungsbescheinigung des Jobcenters der Antragsgegnerin vom 17. März 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i. H. v. 570,28 € bezogen.
79Im Übrigen hat sich die schon damit begründete negative Prognose auch später durch den weiteren Leistungsbezug der Antragstellerin nach dem SGB II vom 1. Juni 2017 bis 30. September 2018 und zuletzt bis zum 31. März 2021 nachträglich bestätigt.
80Vor diesem Hintergrund kann hier offen bleiben, ob sich die Antragstellerin im Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen am 12. August 2016 zudem mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, obwohl ihre letzte befristete Aufenthaltserlaubnis bis zum 15. Oktober 2001 galt und ihr die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach Antragstellung am 22. Juli 2002 erst am 30. September 2002 erteilt wurde, weil die Antragsgegnerin insofern das ihr nach § 97 AuslG zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt hat, diese Unterbrechung von neun Monaten außer Betracht zu lassen.
81Vgl. zum Erfordernis einer behördlichen Ermessensausübung, die bei nur geringfügigen Zeiträumen auf null reduziert sein kann: BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 24.08 –, juris, Rn. 21.
82(ii) Aber auch mit Blick auf den Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG kann die Antragstellerin sich nicht auf die Privilegierung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der 6-Monats-Frist mit Ablauf des 5. April 2020 hat sie sich nicht 15 Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik aufgehalten, da die Niederlassungserlaubnis nach den vorstehenden Ausführungen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG bereits am 12. August 2016 erloschen ist.
83(dd) Auch die Privilegierung des § 51 Abs. 10 Satz 2 AufenthG kommt der Antragstellerin nicht zugute. Nach Satz 1 der Vorschrift beträgt abweichend von Absatz 1 Nummer 7 die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 AufenthG, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Nach Satz 2 gilt Gleiches für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.
84Auf den Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG ist die Vorschrift ihrem ausdrücklichen Wortlaut nach bereits nicht anwendbar.
85Hinsichtlich des Erlöschenstatbestands nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, da die Antragstellerin noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet hat.
86(2) Der Antragstellerin steht auch kein etwaiges assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 – dessen Bestehen hier offen bleiben kann – zu, da sie ein solches jedenfalls verloren hat.
87Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können die Aufenthaltsrechte nach Art. 7 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen.
88Vgl. EuGH, Urteile vom 8. Dezember 2011 – Rs. C-371/08 (Ziebell) – Rn. 49, vom 22. Dezember 2010 – Rs. C-303/08 (Bozkurt II) – Rn. 42, vom 18. Dezember 2008 – Rs. C-337/07 (Altun) – Rn. 62, vom 4. Oktober 2007 – Rs. C-349/06 (Polat) – Rn. 21, vom 18. Juli 2007 – Rs. C-325/05 (Derin) – Rn. 75 und 16. März 2000 – Rs. C-329/97 (Ergat) – Rn. 45, 46 und 48; BVerwG, Urteile vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 14 und vom 30. April 2009 – 1 C 6.08 –, juris, Rn. 24.
89Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter der beiden genannten Verlustgründe auszugehen.
90Vgl. EuGH, Urteile vom 22. Dezember 2010 – Rs. C-303/08 (Bozkurt II) – Rn. 43 und vom 18. Dezember 2008 – Rs. C-337/07 (Altun) – Rn. 63; BVerwG, Urteile vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 14 und vom 30. April 2009 – 1 C 6.08 –, juris, Rn. 24.
91Die Verlustgründe erfassen die assoziationsrechtliche Stellung sowohl nach Satz 1 als auch nach Satz 2 des Art. 7 ARB 1/80.
92Vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 – Rs. C-325/05 (Derin) – Rn. 45; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2022 – 18 A 1154/22 –, juris, Rn. 22.
93Zur Auslegung des zweitgenannten Verlustgrundes hat der Gerichtshof in der Sache Ergat auf sein Urteil in der Sache Kadiman verwiesen.
94Vgl. EuGH, Urteil vom 16. März 2000 – Rs. C-329/97 (Ergat) – Rn. 48.
95Dort hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit dem anspruchsbegründenden 3-Jahres-Zeitraum des Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 ausgeführt, dass kurzzeitige Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft zwischen Familienangehörigem und Stammberechtigtem, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen, den Zeiten gleichzustellen sind, während der der betroffene Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt hat. Erst recht habe dies für einen kürzeren als sechsmonatigen Aufenthalt des Betroffenen in seinem Heimatland zu gelten, wenn dieser Aufenthalt nicht von seinem eigenen Willen abhängig gewesen sei.
96Vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 1997 – Rs. C-351/95 (Kadiman) – Rn. 48 ff.
97Diese Ausführungen sind auch bei der Prüfung des Verlusts der assoziationsrechtlichen Stellung, weil der Betroffene den Mitgliedsstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, zu berücksichtigen.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 15.
99Im Übrigen ist das Verständnis dieses Erlöschensgrundes vom Ziel und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 her zu bestimmen.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 16.
101Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dient das System des schrittweisen Erwerbs von Rechten aus Art. 7 ARB 1/80 zwei Zwecken: Zum einen sollen Familienangehörige des Wanderarbeitnehmers bis zum Ablauf des ersten Zeitraums von drei Jahren die Möglichkeit erhalten, bei diesem zu leben, um so durch Familienzusammenführung die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, zu begünstigen. Zum anderen soll die Vorschrift eine dauerhafte Eingliederung der Familie des türkischen Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat fördern, indem dem Familienangehörigen nach drei Jahren ordnungsgemäßen Wohnsitzes selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Hauptzweck ist also, die Stellung des Familienangehörigen, der sich in dieser Phase bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, dadurch zu festigen, dass er die Mittel erhält, dort selbst seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich folglich eine gegenüber der Stellung des Wanderarbeitnehmers selbständige Stellung aufzubauen.
102Vgl. EuGH, Urteile vom 29. März 2012 – Rs. C-7/10 und C-9/10 (Kahveci und Inan) – Rn. 32 f., vom 11. November 2004 – Rs. C-467/02 (Cetinkaya) – Rn. 25, vom 22. Juni 2000 – Rs. C-65/98 (Eyüp) – Rn. 26, vom 17. April 1997 – Rs. C-351/95 (Kadiman) – Rn. 35-36; BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 16.
103Mit Blick auf dieses Regelungsziel kommt es im Falle eines längeren Auslandsaufenthalts des assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen bei der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, ob er das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, maßgeblich darauf an, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat. Dabei stehen das zeitliche Moment und die Gründe für das Verlassen des Bundesgebiets nicht isoliert nebeneinander, vielmehr besteht zwischen ihnen ein Zusammenhang: Je länger der Betroffene sich im Ausland aufhält, desto eher spricht das dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben hat. Ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr müssen gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sein Lebensmittelpunkt noch im Bundesgebiet ist.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2022 – 18 A 1154/22 –, juris, Rn. 24.
105Dabei kann zur weiteren Konkretisierung dieses Erlöschensgrundes nicht im Sinne eines notwendigen Mindestzeitraums auf Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) zurückgegriffen werden, wonach nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Rechtsverlust führt. Mit Blick auf das Besserstellungsverbot des Art. 59 ZP kann diese zeitliche Vorgabe nur als Orientierungshilfe im Sinne einer zeitlichen Höchstgrenze herangezogen werden.
106Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 19 und vom 30. April 2009 – 1 C 6.08 –, juris, Rn. 27.
107Auch die zeitliche Voraussetzung des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie), wonach der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten verliert, wenn er sich während eines Zeitraums von 12 aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der Union aufgehalten hat, kann für den Verlust einer assoziationsrechtlichen Stellung nicht als zeitliche Mindestgrenze für den Auslandsaufenthalt herangezogen werden, sondern wiederum nur als Orientierung, dass ein Aufenthalt von dieser Dauer jedenfalls eine gewichtige Indizwirkung dahingehend entfaltet, dass der Assoziationsberechtigte ohne berechtigte Gründe seinen Lebensmittelpunkt aus dem Aufnahmemitgliedsstaat wegverlagert hat.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 21; OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2022 – 18 A 1154/22 –, juris, Rn. 25.
109Hingegen folgt daraus nicht, dass ein erheblicher Zeitraum, der zum Verlust des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts führt, immer nur dann vorliegt, wenn sich der betreffende Ausländer länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate im Ausland aufgehalten hat.
110Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. September 2022 – 18 A 1154/22 –, juris, Rn. 28.
111Der Zweck des Auslandsaufenthalts, dort die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Ehegatten und einem Kind zu realisieren, was im Aufnahmemitgliedsstaat nicht möglich wäre, stellt sich aus dem Blickwinkel des Assoziationsrechts als nicht gerechtfertigt dar.
112Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 19.14 –, juris, Rn. 22.
113Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Antragstellerin ein Assoziationsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 – so es denn entstanden ist – verloren, weil sie mit ihrer Ausreise am 12. August 2016 ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei wegverlagert hat. Denn Zweck der Ausreise war es, die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann, der in der Türkei lebt und bis heute nicht zu ihr in die Bundesrepublik nachziehen möchte, dort zu realisieren, weil ein Zusammenleben in der Bundesrepublik nicht möglich bzw. gewollt war und ist. Hierdurch hat die Antragstellerin ihre Integration in der Bundesrepublik grundlegend infrage gestellt. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen, die hier entsprechend gelten.
114bb) Die Antragstellerin ist auch – worauf es für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht ankäme –,
115vgl. hierzu grundlegend: OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 18 A 2620/08 –, juris, Rn. 30 ff.,
116nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig, da sie bereits am 3. Dezember 2016 und zuletzt am 25. März 2022 unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist ist. Bei ihrer Einreise verfügte sie nicht über den gemäß § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), da ihre Niederlassungserlaubnis bzw. ein etwaiges Assoziationsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 bereits am 12. August 2016 erloschen ist.
117cc) Die der Antragstellerin gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung der Ordnungsverfügung ist trotz ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet angemessen und ausreichend zur Regelung ihrer persönlichen Angelegenheiten bemessen. Die Antragstellerin reist seit dem 12. August 2016 in erheblichem Umfang zwischen der Bundesrepublik und der Türkei hin und her und verfügt hier weder über eine Arbeitsstelle noch über eigenen Wohnraum oder sonstige Gegenstände wie Hausrat.
118dd) Zwar steht dem Erlass der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Vorliegen von etwaigen Abschiebungsverboten ebenso wenig entgegen wie das Vorliegen von Duldungsgründen nach § 60a Abs. 2 AufenthG.
119Jedoch ist mit Blick auf den Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Februar 2023, C-484/22 (Bundesrepublik Deutschland), der auf die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2022 – 1 C 24.21 – zur Frage der Vereinbarkeit der im deutschen Asyl- und Ausländerrecht vorgesehenen Trennung zwischen der Abschiebungsandrohung einerseits und der Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen andererseits mit der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungslinie) ergangen ist, davon auszugehen, dass diese Vorschrift als unionsrechtswidrig anzusehen ist mit der Folge, dass sie im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie unangewendet zu bleiben hat.
120Der Gerichtshof hat in dem vorgenannten Beschluss in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung – sogar im Sinne eines „acte clair“ – entschieden, dass Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2008/115/EG den Mitgliedstaat zwingend verpflichtet, vor Erlass einer Rückkehrentscheidung, d. h. im deutschen Ausländerrecht einer Abschiebungsandrohung,
121vgl. hierzu: BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2022 – 1 C 24.21 –, juris, Rn. 18, und Urteil vom 16. Februar 2022 – 1 C 6.21 –, juris, Rn. 41, 45 und 56,
122eine umfassende konkret-individuelle Beurteilung der familiären Situation des Ausländers vorzunehmen und dabei das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen zu berücksichtigen, und dass es nicht ausreicht, wenn die Berücksichtigung dieser Belange erst nach Erlass der Rückkehrentscheidung im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach § 60a Abs. 2 AufenthG (durch die Ausländerbehörde) erfolgt.
123Der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist vorliegend eröffnet (vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115/EG), so dass vor Erlass der Abschiebungsandrohung zwingend auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse i. S. v. Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG zu prüfen sind. Denn die Antragstellerin ist ‑ wie dargelegt – ausreisepflichtig, weil sie nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist und – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen unter 2. ergibt – auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vom Bundesgebiet aus) hat.
124Aus dem – hier einzig in Betracht kommenden – in Art. 5 Buchst. b der Richtlinie 2008/115/EG genannten Belang der familiären Bindungen folgt indes kein Abschiebungshindernis in der Person der Antragstellerin. Aus einer Abschiebung der Antragstellerin in die Türkei würde sich keine Verletzung des Rechts auf Familienleben nach Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK ergeben. Ein Eingriff in dieses Recht wäre vielmehr gerechtfertigt.
125Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt.
126Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. –, juris, Rn. 96.
127Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls.
128Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 –, juris, Rn. 12.
129Der grundrechtliche Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst dabei zwar auch die familiären Bindungen des volljährigen Kindes zu seinen Eltern. Allerdings wird eine familiäre Gemeinschaft zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern im Regelfall als Begegnungsgemeinschaft geführt. In diesen Fällen gebieten es die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG regelmäßig nicht mehr, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Weitergehende Schutzwirkungen ergeben sich aus Art. 6 Abs. 1 GG nur dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und sich diese Hilfe allein im Bundesgebiet erbringen lässt. Nur unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft.
130Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 1. November 2007 – 10 PA 96/07 –, juris, Rn. 12; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Mai 2014 – 2 L 136/12 –, juris, Rn. 32; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2014 – OVG 2 B 12.12 –, juris, Rn. 35; vgl. auch bereits BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 – 2 BvR 1169/84 –, juris, Rn. 32 ff.
131Art. 8 EMRK gebietet insoweit keinen weitergehenden Schutz.
132Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1998 – 1 C 28.96 –, juris, Rn. 41; vom 30. April 2009 – 1 C 3.08 –, juris, Rn. 18 und vom 13. Juni 2013 – 10 C 16.12 –, juris, Rn. 22; vgl. auch bereits BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 – 1 C 22.96 –, juris, Rn. 35.
133Davon ausgehend ist vorliegend kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK festzustellen.
134Der Antragstellerin ist es zumutbar, ihre in T. tatsächlich gelebte familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Sohn in der Türkei fortzusetzen. Dies ist auch möglich. Ihr Sohn hat bei seiner Geburt am 00.00.0000 in T. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG erworben. Nach dieser Vorschrift erwirbt durch die Geburt im Inland ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Nr. 1) und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (BGBl. 2001 II S. 810) besitzt (Nr. 2). Jedenfalls die Voraussetzung der Nummer 2 lag bereits im Zeitpunkt der Geburt des Kindes am 00.00.0000 nicht vor, da die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin – wie oben dargelegt – am 12. August 2016 erloschen ist und die Antragstellerin auch ein etwa nach Art. 7 ARB 1/80 entstandenes Aufenthaltsrecht am selben Tag verloren hat.
135Zudem ist die Antragstellerin, wie zuvor eingehend gewürdigt, mit ihrem Sohn in der Vergangenheit regelmäßig in die Türkei gereist, um dort mit ihrem Ehemann und Vater des Sohnes in familiärer Lebensgemeinschaft zu leben.
136Im Ergebnis nichts anderes gilt mit Blick auf die in der Bundesrepublik lebenden Eltern der erwachsenen Antragstellerin. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Antragstellerin auf die Lebenshilfe durch ihre Eltern in der Bundesrepublik oder umgekehrt diese auf die Lebenshilfe durch die Antragstellerin angewiesen wären. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass es der Antragstellerin bisher ohne Weiteres möglich war, einen Zeitraum von mehreren zusammenhängenden Monaten ohne ihre Eltern in der Türkei zu verbringen.
137b) Soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in Ziffer II. der Ordnungsverfügung vom 20. September 2022 enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall einer möglichen Abschiebung und dessen Befristung begehrt, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ebenfalls zulässig, insbesondere nach gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG statthaft.
138Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. November 2019 – 11 S 2996/19 –, juris, Rn. 40 ff. m. w. N.
139Er ist jedoch auch insoweit unbegründet. Das mit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung für den Fall einer Abschiebung verhängte, auf zwei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweist sich als offensichtlich rechtmäßig.
140Das Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 AufenthG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen. Die Antragsgegnerin hat die Sperrwirkung einer eventuellen Abschiebung zeitgleich mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung befristet.
141Auch die Länge der hier auf zwei Jahre ab einer eventuellen Abschiebung festgesetzten Frist, über die gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ermessensfehler, auf die die Prüfung des Gerichts insoweit beschränkt ist, vgl. § 114 Satz 1 VwGO, sind dabei nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat ihre Ermessenerwägungen insofern in gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässiger Weise im gerichtlichen Verfahren ergänzt.
142Dabei hat sie erkannt, dass bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Befristung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung oder Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen berücksichtigt werden müssen.
143Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, jurs, Rn. 14.
144Sie hat die Befristungsdauer dabei in einem notwendigen ersten Schritt an der prognostischen Einschätzung ausgerichtet, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches der die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots veranlassenden Abschiebung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an einer Gefahrenabwehr durch Fernhaltung des Ausländers von dem Bundesgebiet zu tragen vermag, und sich dabei richtigerweise an den spezial- und generalpräventiven Zwecken, die § 11 Abs. 1 AufenthG verfolgt, ausgerichtet.
145Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, jurs, Rn. 16.
146In einem zweiten Schritt hat sie sodann dem gefahrenabwehrrechtlich geprägten öffentlichen Interesse die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die private Lebensführung der Antragstellerin im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ihr Interesse an einer "angemessenen Rückkehrperspektive" bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenübergestellt.
147Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris, Rn. 17.
148Dabei ist sie in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass eine Verkürzung der Frist vor dem Hintergrund der persönlichen Belange der Antragstellerin nicht angezeigt ist, weil sie aufgrund der Verlagerung ihres Lebensmittelpunkts in die Türkei, dem dortigen Zusammenleben in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann sowie dem gemeinsamen Sohn und dem Fehlen einer Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik über keine besonders zu berücksichtigenden festen Bindungen in der Bundesrepublik verfügt. Dabei hat die Antragsgegnerin auch hinreichend in Rechnung gestellt, dass die Antragstellerin hier geboren und aufgewachsen ist und hier über familiäre Bindungen hinsichtlich ihrer Herkunftsfamilie verfügt, die allerdings – wie dargelegt –aufenthaltsrechtlich nicht schutzbedürftig sind.
1492. Der auf Abschiebungsschutz wegen des behaupteten Erlaubnisanspruchs gerichtete Hilfsantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
150Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf die begehrte Handlung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
151Grundsätzlich scheidet die Gewährung von Abschiebungsschutz bzw. die Erteilung einer Duldung wegen der Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Aufenthaltserlaubnisverfahrens schon aus gesetzessystematischen Gründen aus, wenn der Erlaubnisantrag – wie hier wegen der erheblich verspäteten Antragstellung spätestens am 9. September 2022, nachdem die Niederlassungserlaubnis am 12. August 2016 erloschen war und die Antragstellerin ein etwaiges Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 am selben Tag verloren hat – die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG nicht ausgelöst hat und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO deshalb unzulässig ist. Die Erteilung einer Duldung oder die Gewährung von Abschiebungsschutz widerspräche in diesem Fall der in den §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Erlaubnisverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren. Ein nicht gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geschützter Ausländer muss grundsätzlich ausreisen und die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ausland abwarten.
152Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Januar 2016 – 17 B 890/15 –, juris, Rn. 6 ff., und vom 8. Dezember 2011 – 18 B 866/11 –, juris, Rn. 3.
153Von diesem Grundsatz ist zur Sicherung effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn sich der Ausländer auf die §§ 25 Abs. 5, 25a, 25b, 104a Abs. 1 AufenthG oder auf § 39 AufenthV berufen kann. Diese Vorschriften liefen leer, wenn der Ausländer das Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom Ausland aus betreiben müsste. Denn sie gewähren ihrem Wortlaut nach nur demjenigen Ausländer einen möglichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der sich aktuell im Inland befindet.
154Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Januar 2016 – 17 B 890/15 –, juris, Rn. 9 ff., und vom 5. Dezember 2011 – 18 B 910/11 –, juris, Rn. 4.
155Eine derartige Ausnahme liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es ist nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan, dass ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach – dem hier einzig in Betracht kommenden – § 25 Abs. 5 AufenthG zusteht.
156Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
157Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der Vorschrift liegen nicht vor. Die Ausreise ist der vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellerin weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.
158a) Gründe, die für eine tatsächliche Unmöglichkeit sprechen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere verfügt die Antragstellerin über einen Pass, der noch bis zum 23. Dezember 2031 gültig ist.
159b) Auch ist die Ausreise der Antragstellerin nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich.
160Eine freiwillige Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind.
161Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 –, juris, Rn. 17.
162Ein solches Hindernis ergibt sich– wie oben dargelegt – nicht aus dem Recht auf Familienleben aus Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK.
163Ein Ausreisehindernis ergibt sich auch nicht aus dem Recht auf Privatleben aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Ein etwaiger Eingriff in dessen Schutzbereich wäre nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.
164Das in Art. 8 Abs. 1 EMRK normierte Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe aller familiären, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt,
165vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 2011 – 2 BvR 1392/10 –, juris, Rn. 19.
166Maßgeblich für die vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Eingriffs in Art. 8 EMRK ist eine Gesamtwürdigung der Umstände. Es ist ein angemessenes Gleichgewicht zu finden zwischen den widerstreitenden Interessen. Maßgeblich hierfür sind unter anderem das Alter des Ausländers, Dauer und Grund seines Aufenthaltes im Bundesgebiet, der Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration durch Sprachkenntnisse, Ausbildung, berufliche Tätigkeit, das Ausmaß von sozialen Kontakten sowie das Fehlen von Straftaten und die wirtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen des Betroffenen. Gewürdigt werden muss dabei der Grad der Verwurzelung im Bundesgebiet und der Grad der Entwurzelung vom Heimatstaat. Letzterer orientiert sich an der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration, an der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und daran, ob im Heimatstaat Verwandte leben,
167vgl. Burr, in: GK-AufenthG, § 25 Rn. 152.1 m. w. N.
168Danach wäre eine durch die Ablehnung ihres Erlaubnisantrags bedingte Ausreise der Antragstellerin nicht unverhältnismäßig. Die Antragstellerin ist keine "faktische Inländerin".
169Sie ist nicht in einem besonders schutzwürdigen Maße in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik verwurzelt, da sie – trotz ihrer Geburt, des Schulbesuchs, ihrer Berufsausbildung und ihrer Familienangehörigen hier – seit 2016 ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei verlagert hat, um dort die familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann zu führen. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet ist auch nicht festzustellen, da die Antragstellerin nicht auf eine kontinuierliche Erwerbsbiografie zurückblicken kann. Nach ihrer Ausbildung ist sie nach eigenen Angaben lediglich bis 2009/2010 einer Teilzeittätigkeit nachgegangen. Danach hat sie ganz überwiegend öffentliche Leistungen bezogen. Auch verfügt sie in Deutschland nicht über eigenen Wohnraum (sei es zur Miete oder zu Eigentum) und eigenen Hausrat. Auch im Übrigen sind keine besonderen sozialen Bindungen der Antragstellerin in der Bundesrepublik (substantiiert) vorgetragen oder sonst ersichtlich.
170Gleichzeitig ist nicht erkennbar, dass sie von ihrem Heimatstaat entwurzelt ist und sich deshalb dort nicht integrieren können wird. Ihr war bisher das Zusammenleben mit ihrem Ehemann (und später auch dem gemeinsamen Sohn) in der Türkei in dessen Wohnung und von dessen Einkommen sowie dessen Krankenversicherungsschutz ohne Weiteres möglich. Die Antragstellerin spricht zudem die türkische Sprache. Soweit sie darauf verweist, die türkische Kultur sei ihr fremd und sie sei "eingedeutscht", verfängt dies nicht, weil dies sie nicht daran gehindert hat, ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei zu ihrem Ehemann zu verlagern.
171Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.