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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO).
2II. Die Kammer versteht den von der Antragstellerin wörtlich gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes,
3die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen,
4bei verständiger Auslegung des Antragsbegehrens (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO), die mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch bei anwaltlich vertretenen Antragstellern geboten ist, wenn das Rechtsschutzziel klar zu erkennen ist,
5vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 2 BvR 254/07 –, juris, Rn. 17,
6dahin, dass sie beantragt,
7die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums – 8 K 1202/23 – gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 4. April 2023 anzuordnen,
8hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu untersagen, sie bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Albanien abzuschieben.
9Aus dem Sachvortrag der Antragstellerin ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass sie ihre Abschiebung in jedem Fall – also auch, falls der ausdrücklich gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig sein sollte – verhindert wissen und ihren geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom Bundesgebiet aus verfolgen möchte.
10III. Der so verstandene Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat weder mit seinem Hauptantrag (1.) noch mit seinem Hilfsantrag (2.) Erfolg.
111. a) Soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer I. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist der Antrag bereits nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, weil er unstatthaft ist. Die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin hatte für die Antragstellerin nicht den Verlust einer bereits bestehenden Rechtsposition zur Folge. Denn ihrem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 30. September 2020 kam nicht die gesetzliche Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bzw. des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu.
12Die Fortbestandswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG konnte nicht eintreten, weil die Antragstellerin während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet seit ihrer letzten Einreise am 11. Januar 2020 zu keinem Zeitpunkt einen nationalen Aufenthaltstitel besessen hat.
13Der Erlaubnisantrag vom 30. September 2020 konnte auch nicht die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auslösen, weil die Antragstellerin sich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht (mehr) rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhielt. Insbesondere folgte eine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Aufenthaltstitel nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und § 15 AufenthV i. V. m. Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsabkommens (SDÜ).
14Nach der letztgenannten Bestimmung können sich sichtvermerksfreie Drittausländer – wie die Antragstellerin als albanische Staatsangehörige – in dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien unter weiteren Voraussetzungen frei bewegen, höchstens jedoch 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen.
15Die Antragstellerin hat sich im Zeitpunkt der Antragstellung am 30. September 2020 in dem insoweit maßgeblichen Bezugszeitraum von je 180 Tagen bereits mehr als 90 Tage im Bundesgebiet aufgehalten. Ausweislich eines entsprechenden Einreisestempels in ihrem bis zum 14. August 2021 gültigen Pass ist sie bereits am 9. Januar 2020 über A. (Italien) in den Schengen-Raum und ihren eigenen Angaben nach am 11. Januar 2020 in das Bundesgebiet eingereist.
16b) Soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer II. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltene Abschiebungsandrohung begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 112 JustG NRW zulässig, aber unbegründet.
17Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des aufenthaltsbeendenden Verwaltungsakts und dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zu der Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren von einer Vollziehung verschont zu bleiben, fällt zulasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung.
18Die Abschiebungsandrohung in Ziffer II. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung erweist sich nämlich als offensichtlich rechtmäßig.
19Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 50 Abs. 1, 59 AufenthG sind erfüllt. Die Antragstellerin ist ausreisepflichtig, weil sie einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt, § 50 Abs. 1 AufenthG. Eine Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ist für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht erforderlich.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 – 18 A 2620/08 –, juris, Rn. 30 ff.
21Die seitens der Antragsgegnerin gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung der Verfügung ist ausreichend zur Regelung ihrer persönlichen Angelegenheiten.
22Auch mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begegnet die Abschiebungsandrohung keinen rechtlichen Bedenken. Demnach hat im Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG die Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG unangewendet zu bleiben und ist das Vorliegen inlandsbezogener Abschiebungshindernisse, die sich aus Art. 5 Buchst. a und b der Richtlinie 2008/115/EG ergeben, vor Erlass der Rückkehrentscheidung in Form der Abschiebungsandrohung zu prüfen.
23Vgl. hierzu: EuGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 – RechtssacheC-484/22 –, Rn. 28; zur Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung im deutschen Recht vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2022 – 1 C 24.21 –, juris, Rn. 18, und Urteil vom 16. Februar 2022 – 1 C 6.21 –, juris, Rn. 41, 45 und 56.
24Der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist vorliegend eröffnet (vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115/EG), weil die Antragstellerin – wie dargelegt – ausreisepflichtig und nicht im Besitz eines erforderlichen Aufenthaltstitels ist und sie – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen unter 2. a) bis e) ergibt – auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vom Bundesgebiet aus) hat.
25Abschiebungshindernisse aus Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG – von denen hier nur die familiären Bindungen nach Buchst. b) infrage kommen – liegen hier aber nicht vor. Insoweit wird auf die folgenden Ausführungen unter 2. e) zu einem Erlaubnisanspruch der Antragstellerin nach § 25 Abs. 5 AufenthG verwiesen.
26c) Auch soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in Ziffer III. der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung für den Fall einer Abschiebung verfügte und auf 18 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG, der auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall einer Abschiebung nach § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG erfasst,
27vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. November 2019 – 11 S 2996/19 –, juris, Rn. 41 ff. m. w. N.,
28zulässig, aber unbegründet.
29Die im Rahmen des Aussetzungsantrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weil sich das für den Fall der Abschiebung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot im Hinblick auf dessen Befristung auf 18 Monate als offensichtlich rechtmäßig erweist.
30Das grundsätzlich mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG), wobei die Frist mit der Ausreise beginnt (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf, außer in den Fällen der – hier nicht einschlägigen – Absätze 5 bis 5b, fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).
31Das Gericht hat die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur auf Ermessensfehler zu überprüfen.
32Gegenstand ist dabei die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Gestalt, die sie durch das Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. November 2023 erhalten hat. Mit diesem hat die Antragsgegnerin ihre Ermessenserwägungen mit Blick auf die Befristung und die Befristungsentscheidung gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässig ergänzt und abgeändert. Demnach hat sie die Dauer der Befristung auf einer ersten Stufe entsprechend der ständigen Verwaltungspraxis in Fällen, die – wie hier – keine Besonderheiten aufweisen, auf zwei Jahre festgesetzt und diese auf einer zweiten Stufe unter Berücksichtigung der Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbotes für die private Lebensführung der Antragstellerin auf 18 Monate – und damit abweichend von den ursprünglich auch hier festgesetzten zwei Jahren – verkürzt. Dabei hat die Antragsgegnerin einerseits ausgeführt, dass eine kürzere Frist als die auf der ersten Stufe festgesetzte vor dem Hintergrund der familiären Bindungen der volljährigen Antragstellerin im Bundesgebiet (Eltern und minderjährige Geschwister) nicht notwendig sei. Andererseits hat sie aber die von der Antragstellerin bereits erbrachten Integrationsleistungen in Form nachgewiesener Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, eines dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Abschlusses und des Abschlusses eines Ausbildungsvertrags zur Pflegefachfrau zugunsten der Antragstellerin berücksichtigt.
33Die so ergänzte Ermessensausübung der Antragsgegnerin ist nicht zu beanstanden.
34Die Antragsgegnerin ist im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Fällen ohne erkennbare Besonderheiten auf der ersten Stufe auf die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt einer eventuellen Abschiebung befristet werden kann.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 16, das in vergleichbaren Fällen sogar einen Befristungszeitraum von 30 Monaten als angemessen ansieht.
36Dabei ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Ermessensentscheidung auf dieser ersten Stufe die im Fall des abschiebungsbedingten Einreiseverbots verfolgten general- und spezialpräventiven Zwecke verkannt oder ihre Entscheidung an anderen Zwecken ausgerichtet hat.
37Ferner hat die Antragsgegnerin ordnungsgemäß angenommen, dass die auf zweiter Stufe erfolgte Befristung von 18 Monaten bei Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses mit den Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die private Lebensführung der Antragstellerin dieser eine angemessene Rückkehrperspektive gewährt. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin fehlende familiäre Bindungen im Bundesgebiet nicht fristverkürzend, jedoch die erbrachten Integrationsleistungen als fristverkürzend berücksichtigt hat.
38Vgl. hierzu allgemein: BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 17.
392. Der auf Abschiebungsschutz gerichtete Hilfsantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
40Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein Anspruch auf die begehrte Handlung zusteht (Anordnungsanspruch) und die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Anordnungsgrund), § 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i. V. m. den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
41Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
42a) Es ist zunächst nicht festzustellen, dass sich die Abschiebung der Antragstellerin aus hier allein in Betracht zu ziehenden rechtlichen Gründen wegen eines nur im Bundesgebiet einholbaren Aufenthaltstitels gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG als unmöglich erweist.
43Grundsätzlich scheidet die Gewährung von Abschiebungsschutz bzw. die Erteilung einer Duldung wegen der Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Aufenthaltserlaubnisverfahrens schon aus gesetzessystematischen Gründen aus, wenn der Erlaubnisantrag – wie hier aus den vorstehenden Gründen – die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG nicht ausgelöst hat und ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO deshalb unzulässig ist. Die Erteilung einer Duldung oder die Gewährung von Abschiebungsschutz widerspräche in diesem Fall der in den §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Erlaubnisverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren. Ein nicht gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG geschützter Ausländer muss grundsätzlich ausreisen und die Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ausland abwarten.
44Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Januar 2016 – 17 B 890/15 –, juris, Rn. 6 ff., und vom 8. Dezember 2011 – 18 B 866/11 –, juris, Rn. 3.
45Von diesem Grundsatz ist zur Sicherung effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn sich der Ausländer auf die §§ 25 Abs. 5, 25a, 25b, 104a Abs. 1 AufenthG oder auf § 39 AufenthV berufen kann. Diese Vorschriften liefen leer, wenn der Ausländer das Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom Ausland aus betreiben müsste. Denn sie gewähren ihrem Wortlaut nach nur demjenigen Ausländer einen möglichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der sich aktuell im Inland befindet.
46Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Januar 2016 – 17 B 890/15 –, juris, Rn. 9 ff., und vom 5. Dezember 2011 – 18 B 910/11 –, juris, Rn. 4.
47Solche Erlaubnisansprüche macht die Antragstellerin hier in Form der §§ 25a Abs. 1 (aa)), § 25b Abs. 1 (bb)), 25 Abs. 3 (cc)), 104c Abs. 1 (dd)) und 25 Abs. 5 (ee)) AufenthG geltend.
48Soweit die Antragstellerin vorgerichtlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihren Eltern nach § 32 AufenthG beantragt hat, kann sie diesen Anspruch nicht über einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO sichern, da er nicht zwingend ihren Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt. Sie kann diesen Anspruch auch vom Ausland aus weiterverfolgen.
49aa) Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG zu haben.
50(1) Sie erfüllt bereits nicht alle besonderen Erteilungsvoraussetzungen der Vorschrift.
51Im insoweit maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung,
52vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 – 1 C 17.12 –, juris, Rn. 13,
53fehlt es an der Voraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wonach sich der Ausländer seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten muss.
54Zeitlicher Bezugspunkt des Erfordernisses eines Voraufenthalts bestimmter Qualität (hier „seit drei Jahren“) ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts. Der geduldete, gestattete oder von einer Aufenthaltserlaubnis gedeckte Voraufenthalt muss sich auf mindestens drei Jahre belaufen und grundsätzlich ununterbrochen bis hin zum maßgeblichen Zeitpunkt fortdauern.
55Vgl. für § 25b AufenthG: BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 C 34.18 –, juris, Rn. 34; für § 25a AufenthG: BayVGH, Beschluss vom 20. Oktober 2021 – 10 ZB 21.2276 –, juris, Rn. 8.
56Der Nachweis über einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Zeitraum genügt insofern nicht.
57Vgl. BayVGH, Beschluss vom 20. Oktober 2021 – 10 ZB 21.2276 –, juris, Rn. 8 m. w. N.
58Demnach ist hier der Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 15. Dezember 2023 zu betrachten. In diesem Zeitraum hat die Antragstellerin sich nicht ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufgehalten. Die erste rechtswirksame Duldung wurde ihr von der Antragsgegnerin erst am 3. März 2021 erteilt. Im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 stand ihr auch kein – insofern ebenfalls ausreichender –,
59vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 C 34.18 –, juris, Rn. 24,
60materieller Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung zu ((aa)).
61Ebenso stand ihr in diesem Zeitraum kein – insoweit inzident zu prüfender und ausreichender –,
62vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12. Juni 2019 – 8 K 19641/17 –, juris, Rn. 59; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 25a AufenthG Rn. 12; Zühlcke, in: HTK-AuslR, Stand: 3. März 2023, § 25a AufenthG, zu Abs. 1 Rn. 90 mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10. November 2009 – 1 C 24.08 –, juris, Rn. 15,
63materieller Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu ((bb)).
64Ob schließlich die Duldungsfiktion des § 81 Abs.3 Satz 2 AufenthG dem Besitz einer Duldung oder einem Rechtsanspruch auf Duldung gleichgestellt werden kann, kann hier dahinstehen, da auch deren Voraussetzungen für die Antragstellerin jedenfalls nicht vorlagen ((cc)).
65(aa) Die Antragstellerin hatte im vorgenannten Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 keinen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Ein solcher könnte sich allenfalls aus dem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK mit Blick auf die familiären Bindungen der Antragstellerin im Bundesgebiet ergeben.
66Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt.
67Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u. a. –, juris, Rn. 96.
68Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls.
69Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 –, juris, Rn. 12.
70Art. 8 EMRK gebietet insoweit keinen weitergehenden Schutz.
71Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1998 – 1 C 28.96 –, juris, Rn. 41; vom 30. April 2009 – 1 C 3.08 –, juris, Rn. 18 und vom 13. Juni 2013 – 10 C 16.12 –, juris, Rn. 22; vgl. auch bereits BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 – 1 C 22.96 –, juris, Rn. 35.
72Davon ausgehend hätte eine Abschiebung der seinerzeit noch minderjährigen Antragstellerin keinen unverhältnismäßigen Eingriff in dieses Recht dargestellt.
73Der Antragstellerin wäre es zumutbar gewesen, alleine – d. h. ohne ihre sich im Bundesgebiet aufhaltenden Eltern – in ihr Heimatland zurückzukehren und die familiäre Bindung zu ihnen durch gegenseitige Besuche zu verwirklichen.
74Dafür spricht zunächst, dass die Antragstellerin im hier zu betrachtenden Zeitraum bereits 17 Jahre alt gewesen ist und nur noch ein paar Monate von der Volljährigkeit entfernt war. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Minderjährige in einem solchen Alter nicht mehr ohne Weiteres auf ihre Eltern angewiesen sind, sondern in gewissem Maße von diesen unabhängig sein können. Das zeigt die Wertung des § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach gilt Absatz 1 – der einen strikten Rechtsanspruch für minderjährige ledige Kinder eines Ausländers mit einem dort genannten Aufenthaltstitel statuiert – für ein minderjähriges lediges Kind, das bereits das 16. Lebensjahr vollendet und seinen Lebensmittelpunkt nicht zusammen mit seinen Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in das Bundesgebiet verlegt hat, nur unter der weiteren einschränkenden Voraussetzung, dass es die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann. An dieser Vorschrift bestehen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG keine rechtlichen Zweifel. Der Gesetzgeber hat damit seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Er durfte davon ausgehen, dass die verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit einer familiären Lebensgemeinschaft geringer ist, wenn ein bereits 16 bis 18 Jahre altes Kind keine Lebensgemeinschaft mehr mit seinen bereits im Bundesgebiet lebenden Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil führt und daher der Lebensmittelpunkt nicht gemeinsam in das Bundesgebiet verlegt wird.
75Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Februar 2021 – OVG 3 S 8/21 –, juris Rn. 6.
76Die Antragstellerin hat als 16-Jährige gerade getrennt von ihren Eltern ihren Lebensmittelpunkt in das Bundesgebiet verlagert. Die getrennte Verlagerung des Lebensmittelpunkts zeigt sich nicht nur an der erheblichen Zeit, die zwischen der Einreise der Eltern und der Einreise der Antragstellerin liegt – über fünf Monate – und die Einreise daher nicht mehr im zeitlichen Zusammenhang mit der Einreise der Eltern erscheinen lässt, sondern auch an der getrennten Organisation der Einreise der Eltern einerseits und der Einreise der Antragstellerin andererseits. Insbesondere haben die Eltern der Antragstellerin zunächst nur für sich selbst ein Visum beantragt.
77Dass die Antragstellerin zuvor bereits für einen erheblichen Zeitraum ohne ihre Eltern im Heimatland gelebt hat – zumal mit ihren jüngeren Geschwistern –, spricht auch dafür, dass ihr im hier betrachteten Zeitraum eine (weitere) Trennung von ihren Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit zumutbar war.
78(bb) Der Antragstellerin stand im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu.
79Nach Abs. 1 der Vorschrift ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil einen der dort genannten Aufenthaltstitel besitzt.
80Für die Prüfung der Voraussetzungen des Nachzugsanspruchs aus § 32 AufenthG kommt es dabei maßgeblich sowohl auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz als auch spätestens auf den Zeitpunkt des Erreichens der Altershöchstgrenze – also der Vollendung des 18. Lebensjahrs als Zeitpunkt der Beendigung der Minderjährigkeit bei Absatz1 und der Vollendung des 16. Lebensjahrs bei Absatz 2 Satz 1 – an, sodass es einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung bedarf. Nach dem Zeitpunkt des Erreichens der Altershöchstgrenze eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Das gilt auch für die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 29 und 5 AufenthG. Für die Einhaltung der Altersgrenze selbst ist jedoch ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen.
81Vgl. zu § 32 Abs. 3 AufenthG a. F.: BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 –, juris, Rn. 10 m. w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. April 2007 – OVG 12 B 16.07 –, juris, Rn. 19.
82Demnach kommt es vorliegend für die Einhaltung der jeweiligen Altershöchstgrenze auf den Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung am 30. September 2020 an und für das Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthGauch auf den Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021, weil der Anspruch vorliegend – wie oben dargelegt – nur für diesen bereits vergangenen Zeitraum zu prüfen ist.
83Im Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung am 30. September 2020 konnte für die Antragstellerin § 32 Abs. 1 AufenthG noch Anwendung finden. Es galt aber einschränkend Absatz 2 Satz 1 AufenthG, weil sie in diesem Zeitpunkt noch nicht das 18. Lebensjahr, aber bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte.
84(i) Zwar erfüllt die Antragstellerin im hier maßgeblichen Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 die einschränkende Voraussetzung des für sie, geltenden § 32 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Form der positiven Integrationsprognose. Denn sie hat seinerzeit bereits Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 mit einem telc-Zertifikat vom 21. November 2020 nachgewiesen, seit dem 11. März 2020 das Berufskolleg I. in einer Klasse für die Ausbildungsvorbereitung sowie auch schon während ihres vorherigen Aufenthalts in der Bundesrepublik im Jahr 2016 die Europaschule O. Städtische Gesamtschule in einer Regelschulklasse besucht und nach einer Bescheinigung der Schule vom 2. Juni 2016 sich dort gut integriert, fachlich interessiert sowie aktiv am Unterricht teilgenommen und Freunde gefunden sowie soziale Kontakte geknüpft. Ferner spricht für eine positive Integrationsprognose, dass ihre Eltern bereits seit August 2019 einer unbefristeten Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik nachgegangen sind.
85Zudem lagen in dem vorgenannten Zeitraum auch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG vor, weil die personensorgeberechtigten Eltern der minderjährigen ledigen Antragstellerin in diesem Zeitraum – nämlich bereits rückwirkend seit dem 18. Oktober 2020 bis zum 4. bzw. 7. September 2021 – über eine Aufenthaltserlaubnis i. S. v. § 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verfügten, nämlich über eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 26 Abs. 2 BeschV und damit einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Abschnitt 4.
86(ii) Jedoch lagen im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 für die Antragstellerin nicht alle allgemeinen (Regel-)Erteilungsvoraussetzungen vor.
87So fehlte es an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil in diesem Zeitraum ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG i. V. m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften) bestand, das der Antragstellerin auch noch entgegengehalten werden konnte.
88Ein Rechtsverstoß ist nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG immer beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
89Vgl. zur Vorgängervorschrift des § 46 Nr. 2 AuslG 1990: BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 – 1 C 23.03 –, juris, Rn. 21 ff.
90Durch den unerlaubten Aufenthalt nach Ablauf der 90-tägigen Visafreiheit mit Ablauf des 7. April 2020, ohne Kenntnis der Ausländerbehörde, bei der sie sich erstmals am 30. September 2020 gemeldet hat, und daher ohne geduldet zu sein und ohne dass ihr eine Frist zur Ausreise von der Ausländerbehörde gewährt worden ist, hat die Antragstellerin gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verstoßen.
91Vgl. zur Strafbarkeit bei Untertauchen mangels Verzichts der Ausländerbehörde auf die Durchsetzung der Ausreisepflicht und mangels zeitweiser Aussetzung der Abschiebung BGH, Urteil vom 6. Oktober 2004 – 1 StR 76/04 –, juris, Rn. 7.
92Diesen Verstoß hat sie dabei dauerhaft vom 8. April 2020 bis jedenfalls zum 30. September 2020, als sie sich erstmals bei der Antragsgegnerin gemeldet hat, begangen.
93Vgl. zum Charakter des Tatbestands des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG als Dauerdelikt Hohoff, in; BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 34. Edition, Stand: 1. Juli 2022, § 95 Rn. 12.
94Der Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfolgte dabei auch wissentlich und willentlich. Es ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin bekannt war, dass die ihr grundsätzlich zustehende Visafreiheit lediglich für 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen gilt. Zudem wäre von der seinerzeit 16-jährigen Antragstellerin zu erwarten gewesen, dass sie sich danach erkundigt, ob sie sich nach Ablauf der 90 Tage bei der Ausländerbehörde melden muss, zumal seit Ablauf der Visafreiheit mehrere Monate vergangen waren, in denen die Antragstellerin sich nicht bei der Antragsgegnerin gemeldet hatte. Auch ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin die Einreise ihrer Eltern mit einem nationalen Visum bekannt war. Auch vor diesem Hintergrund wäre von ihr zu erwarten gewesen, sich nach Ablauf der 90 Tage bei der Antragsgegnerin zu melden, weil sie selbst ohne Visum eingereist ist.
95Dieser nicht geringfügige Rechtsverstoß konnte der Antragstellerin im Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 auch noch entgegengehalten werden. Das damit verbundene generalpräventive Ausweisungsinteresse war in diesem Zeitraum noch aktuell, weil dann noch nicht einmal die einfache Verjährungsfrist als untere Grenze,
96vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 – 1 C 16.17 –, Rn. 23,
97die bei einem Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG drei Jahre beträgt (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB), abgelaufen war, da der illegale Aufenthalt der Antragstellerin frühestens mit ihrer ersten Meldung bei der Antragsgegnerin am 30. September 2020 tatbestandlich entfallen ist.
98Anhaltspunkte für einen atypischen Fall, in dem von dieser allgemeinen Regelvoraussetzung abgesehen werden kann, sind ebenso wenig vorgetragen oder sonst ersichtlich wie Anhaltspunkte für eine Reduzierung eines Absehensermessens der Antragsgegnerin auf Null. Hierzu ist auch auf die vorstehenden Ausführungen zum Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im hier betrachteten Zeitraum zu verweisen, wonach ihr eine weitere Trennung von ihren Eltern bis zur Volljährigkeit zumutbar gewesen wäre.
99Ferner fehlte es in dem hier betrachteten Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 auch an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des Visumerfordernisses nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
100Die Antragstellerin war nicht nach § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV vom Visumerfordernis befreit, weil die Voraussetzungen des Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG nicht erst nach der Einreise der Antragstellerin entstanden sind. Zudem hielt sich die Antragstellerin im Zeitpunkt der Antragstellung am 30. September 2020 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
101Ein Absehensermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, das auf Null reduziert gewesen sein könnte, stand der Antragsgegnerin mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen nicht zu. So sind vorliegend weder die Voraussetzungen eines strikten Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG erfüllt, weil dem Anspruch jedenfalls auch das zuvor bejahte Ausweisungsinteresse entgegensteht, noch war es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls der Antragstellerin nicht zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen, wozu wiederum auf die vorstehenden Ausführungen zum Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu verweisen ist, wonach ihr eine weitere Trennung von ihren Eltern bis zur Volljährigkeit zumutbar gewesen wäre.
102(cc) Unabhängig von der Frage, ob die Duldungsfiktion des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen der Berechnung von Voraufenthaltszeiten bestimmter Qualität überhaupt dem Besitz einer rechtswirksamen Duldung oder einem Rechtsanspruch auf Duldung gleichstehen kann, liegen deren Voraussetzungen für die Antragstellerin jedenfalls nicht vor. Nach der Vorschrift gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt, wenn der Antrag verspätet, also im Anschluss an einen legalen titelfreien Aufenthalt,
103vgl. hierzu: Kluth, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 38. Edition, Stand: 1. Januar 2023, § 81 Rn. 30,
104gestellt wird.
105Diese Voraussetzungen waren für die Antragstellerin im hier zu betrachtenden Zeitraum vom 15. Dezember 2020 bis zum 3. März 2021 nicht erfüllt. Die erstmalige Antragstellung am 30. September 2020 war schon nicht „verspätet“ im Sinne der Vorschrift, weil zwischen ihr und der Einreise der Antragstellerin am 11. Januar 2020 kein innerer zeitlicher Zusammenhang mehr bestand.
106(2) Darüber hinaus sind im für den Anspruch nach § 25a Abs. 1 AufenthG maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Entscheidung auch nicht alle allgemeinen (Regel-)Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt.
107So fehlt es derzeit an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts).
108Insofern hat die Antragstellerin zunächst nicht das Eingreifen der Privilegierung des § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht, wonach die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht ausschließt, solange sich der Jugendliche oder der junge Volljährige in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder einem Hochschulstudium befindet. Hierbei handelt es sich um eine Sonderregelung gegenüber § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die diesen für die Dauer einer schulischen oder beruflichen Ausbildung oder eines Hochschulstudiums verdrängt; außerhalb der bestimmten Sachverhaltskonstellationen verbleibt es bei der allgemeinen Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 – 1 C 17.12 –, juris, Rn. 19.
110Zwar hat die Antragstellerin vorgetragen, derzeit die 11. Klasse des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums mit dem Ziel des Erwerbs des Abiturs zu besuchen, jedoch hat sie keine Schulbescheinigung hierfür vorgelegt. Eine solche war aber vor dem Hintergrund erforderlich, dass sie nach den vorgelegten Unterlagen bereits am 13. Juni 2022 am Berufskolleg Nord der X. einen dem Hauptschulabschluss nach Klasse 10 gleichwertigen Abschluss erworben und seitdem keine Bescheinigungen für einen weiteren Schulbesuch vorgelegt hat.
111Die dann erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 3 AufenthG im Entscheidungszeitpunkt hat die Antragstellerin ebenso wenig glaubhaft gemacht, weil sie keinerlei hierfür erforderliche Unterlagen zu den mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II) vorgelegt hat, wie aktuelle Miet- und Heizkosten und Gehaltsabrechnungen der Eltern für die letzten drei Monate.
112Es sind auch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die für einen atypischen Fall oder gar eine Reduzierung eines etwaigen Absehensermessens der Antragsgegnerin auf Null sprechen würden.
113bb) Auch steht der Antragstellerin kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG zu. Es fehlt insoweit bereits an der besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Sie ist nicht im Sinne dieser Vorschrift nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik integriert.
114Es fehlt an den Regelvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG. Die erst am 11. Januar 2020 wieder in das Bundesgebiet eingereiste Antragstellerin hält sich im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht bereits seit sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet auf. Zudem sichert die nach eigenen Angaben einkommenslose Antragstellerin nicht ihren Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit. Auch ist bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation der Antragstellerin nicht zu erwarten, dass sie ihren Lebensunterhalt sichern wird. Eine derartige positive Prognose, die im Übrigen nicht bloß an eine überwiegende Sicherung des Lebensunterhalts anknüpft, sondern eine Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 AufenthG,
115vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 2 L 18/15 –, juris, Rn. 45 f.,
116kann für die Antragstellerin (noch) nicht getroffen werden. Zwar verfügt sie über einen dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Schulabschluss, Sprachkenntnisse mindestens auf dem Niveau B1 und konnte auch bereits einen Ausbildungsvertrag für eine qualifizierte Berufsausbildung vorlegen, doch ist sie einer Erwerbstätigkeit bisher nicht nachgegangen, sodass sie sich in einer solchen Lebenssituation noch nicht beweisen konnte bzw. bewiesen hat. Vielmehr besucht sie ihren Angaben nach weiterhin die Schule, derzeit in der 11. Klasse der Oberstufe mit dem Ziel des Abiturs. Eine positive Entwicklung der Antragstellerin mit Blick auf eine eigene Erwerbstätigkeit bleibt damit weiter abzuwarten, zumal derzeit noch völlig offen ist, mit welchem Schulabschluss sie sich in das Berufsleben begeben wird.
117Eine Kompensation dieser Defizite durch besondere Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht oder „Übererfüllung“ einzelner benannter Integrationsvoraussetzungen,
118vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 C 34.18 –, juris, Rn. 32; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 13 LB 43.17 –, juris, Rn. 56,
119kommt weder mit Blick auf die Sprachkenntnisse und die schulische Ausbildung der Antragstellerin noch mit Blick auf etwaige ehrenamtliche Tätigkeiten oder Ähnliches, die weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, infrage.
120cc) Die Antragstellerin hat mangels Vorliegens der besonderen Erteilungsvoraussetzungen ebenfalls keinen Anspruch aus § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass in ihrer Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf ihr Heimatland vorliegt, sind weder (substantiiert) vorgetragen noch sonst ersichtlich.
121dd) Ein Anspruch nach § 104c Abs. 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor, weil die erst am 11. Januar 2020 wieder in das Bundesgebiet eingereiste Antragstellerin offensichtlich nicht die benötigten Voraufenthaltszeiten am Stichtag des 31. Oktober 2022 aufweisen kann.
122ee) Auch einen Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.
123Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen liegen nicht vor. Die Ausreise ist der – jedenfalls nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtigen – Antragstellerin weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unmöglich.
124(1) Gründe, die für eine tatsächliche Unmöglichkeit sprechen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere verfügt die Antragstellerin über einen noch bis zum 18. Juli 2031 gültigen Pass.
125(2) Ein rechtliches Ausreishindernis ergibt sich weder mit Blick auf das Recht auf Schutz des Familienlebens ((aa)) noch auf das Recht auf Schutz des Privatlebens ((bb)).
126(aa) Die Ausreise der Antragstellerin erweist sich mit Blick auf ihre familiären Bindungen im Bundesgebiet nicht aus rechtlichen Gründen als unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK.
127Der – wie oben dargelegte – grundrechtliche Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst zwar auch die familiären Bindungen des volljährigen Kindes zu seinen Eltern. Allerdings wird eine familiäre Gemeinschaft zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern im Regelfall als Begegnungsgemeinschaft geführt. In diesen Fällen gebieten es die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG regelmäßig nicht mehr, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Weitergehende Schutzwirkungen ergeben sich aus Art. 6 Abs. 1 GG nur dann, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und sich diese Hilfe allein im Bundesgebiet erbringen lässt. Nur unter diesen Voraussetzungen erfüllt die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft.
128Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 1. November 2007– 10 PA 96/07 –, juris, Rn. 12; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Mai 2014 – 2 L 136/12 –, juris, Rn. 32; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2014 – OVG 2 B 12.12 –, juris, Rn. 35; vgl. auch bereits BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 – 2 BvR 1169/84 –, juris, Rn. 32 ff.
129Dass die Eltern der Antragstellerin auf ihre Lebenshilfe oder umgekehrt die Antragstellerin auf die Lebenshilfe ihrer Eltern, die nur im Bundesgebiet erbracht werden kann, angewiesen sind/ist, ist weder (substantiiert) vorgetragen noch sonst ersichtlich.
130(bb) Ein Ausreisehindernis ergibt sich auch nicht aus dem Recht der Antragstellerin auf Schutz des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Ein etwaiger Eingriff in dessen Schutzbereich durch eine Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin wäre jedenfalls nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Es ist nicht festzustellen, dass eine Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin, die das legitime Ziel der Kontrolle des Zuzugs von Ausländern verfolgt, unverhältnismäßig ist. Die gebotene Abwägung zwischen dem Bleibeinteresse und dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsversagung fällt zu ihren Lasten aus. Eine tiefgreifende Verwurzelung der Antragstellerin im Bundesgebiet bei gleichzeitiger Entwurzelung von ihrem Heimatland mit der Folge, dass sie als „faktische Inländerin“ und eine Aufenthaltsbeendigung deswegen als unzumutbar anzusehen wäre, ist schon mit Blick darauf, dass sie die besonderen Erteilungsvoraussetzungen der §§ 25a und 25b AufenthG nicht erfüllt, nicht zu erkennen. Darüber hinaus ist angesichts des erst kurzen Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet nicht festzustellen, dass sie hier tiefgreifend verwurzelt und von ihrem Heimatland, in dem sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat, entwurzet wäre.
131b) Schließlich steht der Antragstellerin auch kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung zu.
132aa) Das gilt zunächst mit Blick auf eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 AufenthG, die sie am 26. April 2023 hilfsweise für die beabsichtigte Aufnahme einer Ausbildung als Pflegefachfrau bei der Marienhospital V. GmbH beantragt hat. Dem steht der zwingende Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG i. V. m. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG entgegen. Danach wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn der Ausländer Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a AsylG – wie die albanische Antragstellerin, vgl. Anlage II zu § 29a AsylG – ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Abs. 1 AsylG beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde. Die Antragstellerin hat nach ihrer erneuten Einreise im Januar 2020 keinen Asylantrag gestellt.
133Dabei ist auch auf diese Einreise als ihre letzte Einreise ins Bundesgebiet abzustellen und nicht bereits auf ihre Einreise im April 2015, nach der die Asylantragstellung vor dem Stichtag des 31. August 2015 erfolgt ist. Hierfür spricht bereits, dass unter den Begriff des Asylantrags i. S. d. Vorschrift auch Asylfolgeanträge fallen,
134vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. März 2019 – 12 S 502/19 –, juris, Rn. 9 ff.,
135die gerade auch nach einer Ausreise in das Heimatland und erneuten Einreise in die Bundesrepublik, die ggf. zu einer nachträglichen Änderung der Sachlage zugunsten des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG führen kann, gestellt werden können.
136Ferner spricht für das Abstellen auf die letzte Einreise im Rahmen dieser Ausschlussvorschrift, dass nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes negative Konsequenzen, die mit der unanfechtbaren Ablehnung oder Rücknahme eines Asylantrags einhergehen, mit der Ausreise des betroffenen Ausländers aus dem Bundesgebiet ihre Wirkung verlieren. So greift insbesondere die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG nur für einen Aufenthaltstitel, dessen Erteilung vor der Ausreise des Ausländers begehrt wird. Auch das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gemeinsam mit der Abschiebungsandrohung zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot entfaltet keine Wirkung im Fall einer freiwilligen Ausreise des betroffenen Ausländers (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG: „Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist“).
137Schließlich entspricht eine derartige Auslegung des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auch dem Gesetzeszweck der Vorschrift bzw. vermag diesen erst zu realisieren. Die Vorschrift wurde mit dem zum 24. Oktober 2015 in Kraft getretenen Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eingeführt, welches mitunter auch Fehlanreize, die zu einem weiteren Anstieg ungerechtfertigter Asylanträge führen können, beseitigen sollte (vgl. BT-Drucks. 18/6185, S. 1 und BR-Drucks. 446/15, S. 1). Einen solchen Fehlanreiz stellt auch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder einer Berufsausbildung im Bundesgebiet dar. Dieser würde nicht wirksam beseitigt, wenn im Rahmen der Ausschlussvorschrift nicht auf die letzte Einreise des Ausländers abgestellt würde. Denn sonst wäre es – wie es bei der Antragstellerin der Fall wäre – einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat, der vor dem 31. August 2015 einen Asylantrag gestellt hat, der unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen worden ist, danach aus- und wieder in die Bundesrepublik einreist und dann keinen (weiteren) Asylantrag stellt – und somit die erste Alternative der Ausschlussvorschrift vermeidet –, möglich, eine Erwerbstätigkeit oder Berufsausbildung aufzunehmen. Die Stichtagsregelung („nach dem 31. August 2015“) soll nicht solche den Gesetzeszweck letztlich umgehende Situationen ermöglichen, sondern den Ausländern, die vor der Gesetzesänderung einen Asylantrag gestellt haben, gleichsam „Bestands- bzw. Vertrauensschutz“ mit Blick auf das vor dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz geltende Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 128 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist, gewähren. Ein Grund für einen derartigen Schutz besteht aber dann nicht mehr, wenn der Ausländer einmal aus dem Bundesgebiet aus- und später – nach der Gesetzesänderung – wieder eingereist ist; er muss sich in diesem Fall den dann geltenden Vorschriften unterwerfen.
138bb) Sonstige Duldungsansprüche aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, insbesondere mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK, stehen der Antragstellerin ebenfalls nicht zu. Insoweit ist auf die vorstehenden Ausführungen zu einem Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG zu verweisen.
139Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
140IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Das Antragsinteresse hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist mit Blick auf den lediglich vorläufigen Charakter des vorliegenden Eilverfahrens in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts (5.000,00 €) ausreichend bemessen. Die Nebenentscheidungen fallen nicht streitwerterhöhend ins Gewicht. Gleiches gilt für den Hilfsantrag, der im Ergebnis auf das gleiche Rechtsschutzziel gerichtet ist, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.