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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
2Der Antrag ,
3im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass §§ 1 und 9 der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung in Verbindung mit Anlage 1 Ziffer 27a die Antragsteller nicht verpflichtet, die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ab dem 01. Januar 2024 zu unterlassen, die in Deutschland vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) entweder zugelassen oder durch eine Parallelhandelsgenehmigung (GP) genehmigt sind oder für die nach Ende ihrer Zulassung oder GP eine Aufbrauchfrist nach § 12 Abs. 5 des Pflanzenschutzgesetzes gilt,
4hat keinen Erfolg.
5Die Kammer lässt dahinstehen, ob der Antrag überhaupt zulässig und insbesondere das für ein vorbeugendes Feststellungsbegehren erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse gegeben ist.
6Vgl. zu diesem Erfordernis bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der einer vorbeugenden Unterlassungsklage vorgeschaltet ist: OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2023 – 19 B 372/23 – juris Rn. 3 f. m.w.N.
7Denn der Antrag ist jedenfalls mangels Anordnungsgrundes unbegründet.
8Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag
Antrag
, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Erlass dieser sog. Sicherungsanordnung setzt einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch voraus. Diese Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen, vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO.
Das Erfordernis der Glaubhaftmachung verdeutlicht, dass im Verfahren der einstweiligen Anordnung die Anforderungen an die richterliche Überzeugung im Vergleich zum Hauptsacheverfahren deutlich herabgesetzt sind. Der Richter kann sich hinsichtlich des Vorliegens der entscheidungserheblichen Tatsachen mit einem Wahrscheinlichkeitsurteil begnügen, wonach eine Tatsache grundsätzlich bereits dann glaubhaft gemacht ist, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände mehr dafür als dagegen spricht, dass sie zutrifft.
10Vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 51; Kuhla, in: BeckOK VwGO, § 123 Rn. 60 ff. (Stand: 01. Juli 2023); Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123 Rn. 87 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 123 VwGO Rn. 92a ff. (Stand: März 2023), jeweils m.w.N.
11Bezogen auf den Anordnungsgrund muss demnach mehr dafür als dagegen sprechen, dass die Gefahr einer Rechtsvereitelung oder -erschwerung besteht.
12Daran fehlt es hier (mittlerweile). Die Antragsteller haben nicht die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (noch) im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in einer die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Weise glaubhaft gemacht. Sie haben nicht dargetan, dass ihnen ohne den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen:
13Die Europäische Kommission hatte mit Pressemitteilung vom 16. November 2023 angekündigt, die Genehmigung für Glyphosat vorbehaltlich bestimmter neuer Bedingungen und Beschränkungen für einen Zeitraum von zehn Jahren zu erneuern.
14Demgemäß bestimmt Art. 1 der Durchführungsverordnung (EU) 2023/2660 der Kommission vom 28. November 2023 zur Erneuerung der Genehmigung für den Wirkstoff Glyphosat gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission, dass die Genehmigung für den Wirkstoff Glyphosat unter den im Anhang I aufgeführten Bedingungen und Einschränkungen erneuert wird. Die Verordnung gilt ab dem 16. Dezember 2023 (vgl. Art. 3). Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
15Zwar hat der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft laut Pressemitteilung des Ministeriums vom 16. November 2023 erklärt, dieses werde nun sehr genau prüfen, was aus der Entscheidung der Kommission folgt und welche nationalen Handlungsmöglichkeiten sie hätten, um den Koalitionsvertrag so weit wie möglich umzusetzen. Indes handelt es sich hier ersichtlich um eine politische Erklärung ohne rechtliche Relevanz. Weitere offizielle Verlautbarungen, die den Schluss erlauben könnten, das Verbot von Glyphosat gemäß §§ 1, 9 der Verordnung über Anwendungsverbote für Pflanzenschutzmittel (Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung) vom 10. November 1992 (BGBl. I S. 1887), zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 1. Juni 2022 (BGBl. I S. 867) ab dem 01. Januar 2024 solle entgegen den klaren europarechtlichen Vorgaben aufrechterhalten werden, gibt es nicht. Im Gegenteil hat der zuständige Abteilungsleiter – Abteilung Landwirtschaftliche Erzeugung, Gartenbau, Agrarsozialpolitik, Steuern, Agrarstatistik – im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit Schreiben vom 30. November 2023 gegenüber dem Gericht erklärt, das Ministerium prüfe derzeit den Erlass einer Eilrechtsverordnung zur Anpassung der geltenden Regelungen der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung an die neuen unionsrechtlichen Vorgaben; die Verordnung könnte noch vor dem Jahreswechsel in Kraft treten.
16Angesichts dessen bewertet die Kammer es als fernliegend, dass das Verbot der Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ab dem 01. Januar 2024, wie ursprünglich (und bislang) in der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung vorgesehen, gegenüber den Antragstellern noch durchgesetzt werden könnte.
17Dies liegt auf der Hand für den Fall, dass die Vorschriften – worauf die dargelegten Bemühungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft hindeuten – noch vor dem 01. Januar 2024 geändert werden.
18Die Prognose gilt wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts freilich unabhängig davon. Die Antragsteller können in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg geltend machen, es sei nicht klar, ob und wann die Bundesregierung die §§ 1 und 9 der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung aufheben werde sowie ob und wann mit dem Einvernehmen der gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Pflanzenschutzgesetzes zu beteiligenden Bundesministerien (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Bundesministerium für Gesundheit) und der nach vorgenannten Norm ebenfalls erforderlichen Zustimmung des Bundesrates gerechnet werden könne. Zwar trifft es zu, dass dem Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 30. November 2023 nicht entnommen werden kann, ob und wann die erforderlichen Verfahrensschritte zur Änderung der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung unternommen werden können. Zu konzedieren ist ferner, dass gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz – PflSchG) bestraft wird, wer einer Rechtsverordnung nach § 14 Absatz 1 Nr. 1 lit. a oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt oder dies versucht, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist (vgl. hierzu § 8 Abs. 1 der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung). Indes ist mit Händen greifbar, dass eine Vorschrift, die die Anwendung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel unter Strafe verbietet, mit der dies gerade erlaubenden Durchführungsverordnung (EU) 2023/2660 vom 28. November 2023 nicht in Einklang gebracht werden kann, mithin spätestens ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Verbotes unionsrechtswidrig ist. In dieser Konstellation ist eine Bestrafung nicht mehr vorstellbar: Gegenüber der nationalen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung kommt der unmittelbar und umfassend geltenden unionsrechtlichen Durchführungsverordnung (EU) 2023/2660 vom 28. November 2023 Anwendungsvorrang zu.
19Vgl. zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts grundlegend EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – C-6/64 („Costa ./. ENEL“) – juris (sonstiger Orientierungssatz 2); aus jüngerer Zeit BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2022 – 2 BvR 547/21 –, juris Rn. 128 m.w.N.; Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvR 1368/16 –, juris Rn. 172 m.w.N.
20Aus dem Anwendungsvorrang folgt, dass sich das Unionsrecht uneingeschränkt gegen entgegenstehendes nationales Recht durchsetzt und die nationalen Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, das Unionsrecht ohne Rücksicht auf das nationale Recht anzuwenden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sie - soweit eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist – entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden dürfen.
21Vgl. EuGH, Urteile vom 18. März 2004 - C-8/02 („Leichtle“) Rn. 58, juris; vom 13. Juli 2016 - C-187/15 („Pöpperl“) Rn. 43 ff., juris; zuletzt vom 24. Juli 2023 - C-107/23 („PPU“) Rn. 95, juris; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2023 – 4 CN 3.22 –, juris Rn. 16, jeweils m.w.N.
22Das bedeutet, dass die Feststellung eines Verstoßes gegen eine unionsrechtswidrige Vorschrift kein geeigneter Ansatzpunkt für eine Strafverfolgung bilden kann.
23Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist auch dem Einwand der Antragsteller entgegenzuhalten, der Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ab dem 01. Januar 2024 könne als Cross Compliance-Verstoß gewertet werden und zur Kürzung landwirtschaftlicher Prämien führen. Denn die Annahme eines solchen Verstoßes scheidet bei einer unwirksamen bzw. unionsrechtswidrigen Regelung von vornherein aus.
24Das angesichts dieses Befundes überschaubare „Restrisiko“ in Zusammenhang mit dem Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel ist aus der Sicht der Kammer nicht relevant.
25Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
26Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG unter Zugrundelegung des Auffangwertes und berücksichtigt den Umstand, dass vier Antragsteller beteiligt sind. Weil der Antrag auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet war, ist eine Halbierung des Auffangwertes nicht angezeigt.