Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 20.01.2021 wird aufgehoben.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung einer Billigkeitsleistung.
3Sie ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in E. , die dort ein Kino betreibt. Ihre Gesellschafter, Herr O. und Herr U. , sind zugleich alleinige Gesellschafter der O. & U. Kinobetriebs GmbH (mit Sitz in M. ) und der M1. T. GmbH (mit Sitz in T. ). Die O. & U. Kinobetriebs GmbH betreibt ein Kino in M. , die M1. T. GmbH eines in T. .
4Aufgrund der Anfang des Jahres 2020 beginnenden SARS-CoV-2-Pandemie und der Maßnahmen zur Eindämmung derselben waren im gesamten Bundesgebiet Wirtschaftsteilnehmer in weiten Teilen in ihrer Existenz bedroht; staatliche Hilfsprogramme sollten die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung abmildern.
5Vor diesem Hintergrund verabschiedete die EU-Kommission im März 2020 den "Befristeten Beihilferahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19" (Mitteilung der Kommission v. 19.3.2020, C(2020) 1863). Dort legte die Kommission unter anderem dar, unter welchen Voraussetzungen sie bestimmte Arten von Beihilfen als nach Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar ansieht und welche Möglichkeiten die Mitgliedstaaten nach den EU-Vorschriften haben, um zu gewährleisten, dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (im Folgenden: KMU), die mit plötzlichen Engpässen konfrontiert sind, über Liquidität und Zugang zu Finanzmitteln verfügen. Auf der Grundlage des Befristeten Beihilferahmens meldete die Bundesregierung unter anderem die (später mehrfach geänderte) "Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020" an, auf deren Grundlage beihilfegebende Stellen sogenannte Kleinbeihilfen zu einem bestimmten Höchstbetrag an Unternehmen gewähren konnten, ferner die "Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020", nach der Fixkostenhilfen an Unternehmen für ungedeckte Fixkosten gewährt wurden.
6Im März 2020 legte der Bund das Hilfsprogramm "Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbständige" auf, das das beklagte Land in Gestalt der "NRW-Soforthilfe 2020" umsetzte. Im Rahmen dieses Programms erhielt die Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 28.03.2020 eine Billigkeitsleistung in Höhe von 25.000 Euro.
7An die den Zeitraum März bis Mai 2020 umfassende Corona-Soforthilfe schloss sich das Programm der Überbrückungshilfen an. Mit Bescheid vom 27.08.2020 gewährte die Bezirksregierung Köln der Klägerin antragsgemäß die Überbrückungshilfe I für den Zeitraum Juni bis August 2020. Den Bescheid nahm sie mit Bescheid vom 02.12.2020 mit der Begründung zurück, dass es sich bei der Klägerin um ein mit der M1. T. GmbH und der O. & U. GmbH verbundenes Unternehmen handele, so dass nur ein Antrag für alle Unternehmen habe gestellt werden können. Der Bescheid vom 02.12.2020 ist Gegenstand des Verfahrens 7 K 2996/20.
8Für den Zeitraum September bis Dezember 2020 gewährte das beklagte Land auf Grundlage der Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen ("Überbrückungshilfe II NRW", Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie - V A 2 - 81.11.14 - vom 01.10.2020, im Folgenden: Förderrichtlinie) sodann die Überbrückungshilfe II als Beitrag zu den betrieblichen Fixkosten von Unternehmen, Soloselbständigen und Angehörigen der Freien Berufe.
9Gemäß der Förderrichtlinie erfolgte die Überbrückungshilfe (II) in Form einer Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung nach Maßgabe von § 53 LHO, der "Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020", der "Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020" und der einschlägigen Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen über die Gewährung von Soforthilfen des Bundes als Billigkeitsleistungen für "Corona-Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen" einschließlich der dazu erlassenen Vollzugshinweise sowie nach Maßgabe der Förderrichtlinie. Durch Zahlungen als Beitrag zu den betrieblichen Fixkosten sowie eine durch das Land NRW finanzierte Zahlung an Solo-Selbständige, Freiberufler und im Unternehmen tätige Inhaber von Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit höchstens 50 Mitarbeitern sollte deren wirtschaftliche Existenz gesichert werden (Ziffer 1 Abs. 1 S. 4). Gemäß Ziffer 7 Abs. 1 i. V. m. Ziffer 2 Abs. 10 der Förderrichtlinie musste die Antragstellung ausschließlich digital und von einem prüfenden Dritten (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte) durchgeführt werden. Die Förderrichtlinie enthält ferner folgende Bestimmungen:
102. Definitionen
11(…)
12(2) Als Unternehmen im Sinne von Ziffer 3 Absatz 1 gilt jede rechtlich selbständige Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform, die wirtschaftlich am Markt tätig ist und zumindest einen Beschäftigten hat. Betriebsstätten oder Zweigniederlassungen desselben Unternehmens gelten nicht als rechtlich selbständige Einheit. Diese Ausführungen gelten unbeschadet des für die Einhaltung des Beihilferechts maßgeblichen beihilferechtlichen Unternehmensbegriffs.
13(…)
14(5) Verbundene Unternehmen sind Unternehmen, die zumindest eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen:
15a) Ein Unternehmen ist verpflichtet, einen konsolidierten Jahresabschluss zu erstellen;
16b) ein Unternehmen hält die Mehrheit der Stimmrechte der Aktionäre oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens;
17c) ein Unternehmen ist berechtigt, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs-, oder Aufsichtsgremiums eines anderen Unternehmens zu bestellen oder abzuberufen;
18d) ein Unternehmen ist gemäß einem mit einem anderen Unternehmen abgeschlossenen Vertrag oder aufgrund einer Klausel in dessen Satzung berechtigt, einen beherrschenden Einfluss auf dieses Unternehmen auszuüben;
19e) ein Unternehmen, das Aktionär oder Gesellschafter eines anderen Unternehmens ist, übt gemäß einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieses anderen Unternehmens getroffenen Vereinbarung die alleinige Kontrolle über die Mehrheit der Stimmrechte von dessen Aktionären oder Gesellschaftern aus. Die genannten Voraussetzungen für den Status des verbundenen Unternehmens gelten in gleicher Weise bei der Umkehrung der genannten Beziehungen zwischen den betrachteten Unternehmen als erfüllt. Unternehmen, die durch ein oder mehrere andere Unternehmen untereinander in einer der oben genannten Beziehungen stehen, gelten ebenfalls als verbunden. Unternehmen, die durch eine natürliche Person oder eine gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen miteinander in einer der oben genannten Beziehungen stehen, gelten gleichermaßen als verbundene Unternehmen, sofern diese Unternehmen ganz oder teilweise in demselben Markt oder in benachbarten Märkten tätig sind.
203. Antragsberechtigung
21(…)
22(4) Für verbundene Unternehmen im Sinne von Ziffer 2 Absatz 5 darf nur ein Antrag für alle verbundenen Unternehmen insgesamt gestellt werden. Bei Personengesellschaften ist nur einer der Gesellschafter für die Gesellschaft antragsberechtigt. Soloselbständige und selbständige Angehörige der Freien Berufe können nur einen Antrag stellen, unabhängig davon, wie viele Betriebsstätten sie haben.
235. Höhe, Auszahlung und Verwendung der Überbrückungshilfe
24(…)
25(2) Die Überbrückungshilfe kann für maximal vier Monate beantragt werden. Die maximale Höhe der Überbrückungshilfe beträgt 50.000 Euro pro Monat.
26(…)
27(4) Für verbundene Unternehmen im Sinne von Ziffer 2 Absatz 5 kann Überbrückungshilfe insgesamt nur bis zu einer Höhe von 20.000 Euro für vier Monate beantragt werden. (…)
28(…)
299. Verhältnis zu anderen Hilfen
30(1) Die zweite Phase des Überbrückungshilfeprogramms (Förderzeitraum September bis Dezember 2020) schließt zeitlich an die erste Phase des Überbrückungshilfeprogramms (Förderzeitraum Juni bis August 2020) sowie das Soforthilfeprogramm der Bunderegierung an. (…) Unternehmen, die eine Förderung durch die erste Phase des Überbrückungsprogramms oder die Soforthilfe des Bundes oder der Länder in Anspruch genommen haben, aber weiter von Umsatzausfällen im oben genannten Umfang betroffen sind, sind erneut antragsberechtigt.
31(…)
3210. Sonstige Regelungen
33(1) Die Bewilligung durch die zuständige Stelle muss beihilfekonform erfolgen. Die zweite Phase des Programms Überbrückungshilfe fällt unter die "Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020". Durch die Inanspruchnahme von Überbrückungshilfe sowie weiterer auf der Grundlage der Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020 gewährter Hilfe darf der beihilferechtlich nach der "Bundesregelung Fixkostenhilfe 2020" zulässige Höchstbetrag nicht überschritten werden. (…)
34Unter dem 17.12.2020 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung der Überbrückungshilfe II. In einem separaten Schreiben vom 17.12.2020 teilte ihr Steuerberater der Bezirksregierung Köln unter dem Betreff der Antragsnummer mit, dass die paritätisch beteiligten Gesellschafter der Klägerin, die Herren U. und O. , im gleichen Verhältnis auch an der M1. T. GmbH und der O. & U. Kinobetriebs GmbH beteiligt seien, für die ebenfalls Anträge auf die Bewilligung der Überbrückungshilfe II eingereicht worden seien. Die EU-Richtlinie sei hinsichtlich der Bestimmung von verbundenen Unternehmen nicht eindeutig; man sehe in den Kinogesellschaften keine verbundenen Unternehmen und bitte gegebenenfalls um einen ablehnenden Bescheid, um diesen zum Gegenstand eines Klageverfahrens machen zu können.
35Am 28.12.2020 erließ die Bezirksregierung Köln gegenüber der Klägerin einen "Bescheid über eine Billigkeitsleistung und Bescheinigung als Kleinbeihilfe" und gewährte ihr eine Überbrückungshilfe in Höhe von 198.732 Euro für den Zeitraum September bis Dezember 2020.
36Diesen Bescheid vom 28.12.2020 nahm die Bezirksregierung mit Bescheid vom 20.01.2021 zurück (Ziffer 1) und forderte die Klägerin zur Erstattung des Förderbetrages auf (Ziffer 2). Zur Begründung wurde ausgeführt, bei verbundenen Unternehmen könne gemäß Ziffer 3 Abs. 4 der Förderrichtlinie nur ein Antrag gestellt werden. Hinsichtlich der Definition des verbundenen Unternehmens verwies die Bezirksregierung auf Ziffer 2 Abs. 5 der Richtlinie Überbrückungshilfe NRW i. V. m. Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014. Für die Gesellschafter U. und O. seien bereits für die O. & U. Kinobetriebs GmbH M. und die M1. T. GmbH Anträge auf Überbrückungshilfe gestellt und beschieden worden. Die Geschäftsführer der genannten Unternehmen handelten im Namen der Gesellschaften gemeinsam und würden damit als gemeinsam handelnde Gruppe natürlicher Personen gelten, die in einer der in a) bis e) genannten Beziehung stünden. Sie seien in demselben bzw. benachbarten Märkten tätig. Aufgrund dessen würden sie als verbundene Unternehmen im Sinne der EU-Definition gelten. Da bereits mit Bewilligungsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf eine Überbrückungshilfe in der maximal zulässigen Höhe von 200.000 Euro erteilt worden sei, sei der Bescheid vom 28.12.2020 rechtswidrig und deshalb zurückzunehmen. Die Rücknahme sei nach Abwägung des öffentlichen Interesses an der Rücknahme einerseits und des Interesses der Klägerin an dessen Fortbestand andererseits geboten. Die Sicherung von Haushaltsmitteln, die nur zur Erreichung des im Gemeinwohl liegenden Förderzwecks hätten bewilligt werden dürfen, stelle einen sehr hohen Belang dar, dem keine vergleichbaren Interessen der Klägerin gegenüber stünden. Um bei Nichtvorliegen der Antragsvoraussetzungen die Haushaltsmittel wirksam zu schützen, sei eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt. Durch die Rücknahme werde der vorgesehene Zweck der Überbrückungshilfe gemäß der Förderrichtlinie im zulässigen Rahmen gewährleistet. Ein etwaiges Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes sei gemäß § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG nicht schutzwürdig, da die Klägerin den Verwaltungsakt durch unzulässige Mehrfachbeantragung mit Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien. Sonstige Gründe, die von der nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG als Regelfall vorgesehenen Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit absehen ließen, seien nicht ersichtlich. Der Betrag von 198.732 Euro sei nach § 49a VwVfG NRW zu erstatten.
37Die Klägerin hat am 09.02.2021 Klage erhoben. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr Vorbringen in dem Verfahren 7 K 2996/20.
38Die Klägerin beantragt,
39den Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 20.01.2021 aufzuheben.
40Das beklagte Land beantragt,
41die Klage abzuweisen.
42Es wiederholt im Wesentlichen seinen Vortrag in dem Verfahren 7 K 2996/20 und trägt vor, es handele sich bei den drei Gesellschaften um verbundene Unternehmen. Der Rücknahme des rechtswidrigen Zuwendungsbescheides stünden Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht entgegen. Die Klägerin habe in dem Antrag auf Bewilligung der Überbrückungshilfe ausdrücklich bestätigt, kein verbundenes Unternehmen zu sein. Der Geschäftsführer habe versichert, dass die Überbrückungshilfe nicht mehrfach beantragt worden sei. Die Klägerin habe demnach den Verwaltungsakt durch unrichtige Angaben erwirkt, so dass sie sich gemäß § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG nicht auf Vertrauensschutz berufen könne. Selbst wenn das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Bescheides nicht nach Absatz 2 Satz 3 der Vorschrift ausgeschlossen sei, greife aber auch nicht die Regelvermutung des § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG zugunsten der Klägerin ein. Die Klägerin habe mit der Zuwendung Schulden getilgt und sei demnach nicht entreichert. Auch habe sie keine Vermögensdisposition getroffen. Es sei mit Blick auf den Unternehmensverlust und die Höhe der Zuwendung davon auszugehen, dass sie das Darlehen auch aufgenommen hätte, wenn sie die Zuwendung nicht erhalten hätte. Lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW vor, falle die nach Absatz 2 Satz 1 zu treffende Abwägung regelmäßig zugunsten des Begünstigten aus. Sei die Regelvermutung nicht einschlägig, überwiege regelmäßig das Rücknahmeinteresse. Hier sei das Ermessen durch Absatz 2 Satz 4 gelenkt, weil ein Fall des Absatzes 2 Satz 3 Nummer 2 vorliege. Besondere Gründe, die eine andere Entscheidung erforderten, lägen nicht vor.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem sowie dem Verfahren 7 K 2996/20 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung Köln.
44E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
45Die zulässige Klage ist begründet.
46Der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 20.01.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
47Der Bescheid vom 02.12.2020 ist zwar formell rechtmäßig (1.); er ist jedoch materiell rechtswidrig (2.).
481. Der Bescheid ist formell rechtmäßig, obgleich vor dessen Erlass keine Anhörung stattgefunden hat. Nach § 28 Abs. 1 VwVfG NRW ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der - wie hier - in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Es kann dahinstehen, ob der Mangel vorliegend nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW geheilt wäre. Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 46 VwVfG NRW vor:
49Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Eine von § 46 VwVfG NRW erfasste Verletzung hat die Entscheidung in der Sache dann nicht beeinflusst, wenn bei der gebotenen hypothetischen Beurteilung des behördlichen Verhaltens für den Fall der fehlerfreien Abwicklung des Verwaltungsverfahrens feststeht, dass die Sachentscheidung auch bei ordnungsgemäßem Verfahren nicht anders ausgefallen wäre. Bei dieser hypothetischen Beurteilung des Entscheidungsverhaltens ist angesichts des Erfordernisses, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung offensichtlich nicht beeinflusst haben darf, jedoch Zurückhaltung geboten. Ein Verfahrensfehler hat sich jedenfalls dann offensichtlich nicht ausgewirkt, wenn die fehlende Kausalität für einen objektiven Betrachter anhand der bis zum Erlass der Sachentscheidung geführten Akten klar erkennbar ist. Ausgeschlossen ist die Annahme der Offensichtlichkeit, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Mai 2022 – 6 B 1388/21 –, juris Rn. 86 ff. m. w. N.
51Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Entscheidung der Bezirksregierung nach einer Stellungnahme der Klägerin nicht anders ausgefallen wäre. Zwar ist bei einer Ermessensentscheidung, wie sie hier in Rede steht, ein Vortrag im Rahmen einer Anhörung grundsätzlich geeignet, die Entscheidung der Behörde zu beeinflussen. Hier hatte sich aber die Bezirksregierung bereits in dem vorangegangenen, die Rücknahme der Bewilligung der Überbrückungshilfe I betreffenden Verwaltungsverfahren klar positioniert und hat zuletzt auch das beklagte Land in dem dazu anhängigen Klageverfahren ausführlich dargelegt, warum es die Klägerin als verbundenes Unternehmen ansieht und sie daher nach der Förderrichtlinie für nicht antragsberechtigt hält.
522. Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig.
53a) Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheides vom 28.12.2020 (Ziffer 1) ist § 48 VwVfG NRW. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der - wie hier - ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
54Der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 28.12.2020 über die Gewährung der Überbrückungshilfe an die Klägerin ist zwar rechtswidrig (aa). Die Bezirksregierung hat aber ihre Entscheidung über die Rücknahme nicht ermessensfehlerfrei getroffen (bb).
55aa) Der Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 28.12.2020 über die Bewilligung der Billigkeitsleistung ist rechtswidrig.
56Die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ergibt sich aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Klägerin war nicht berechtigt, die Überbrückungshilfe zu beantragen, so dass die Bezirksregierung der Klägerin die Fördermittel gleichheitswidrig hat zukommen lassen. Im Einzelnen:
57(1) Eine Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung der Überbrückungshilfe begründet, existiert nicht. Die der Klägerin gewährte Überbrückungshilfe stellt vielmehr eine Billigkeitsleistung nach § 53 LHO dar. Gemäß § 53 LHO dürfen Leistungen aus Gründen der Billigkeit nur gewährt werden, wenn dafür Ausgabemittel besonders zur Verfügung gestellt sind. Nach den Verwaltungsvorschriften des BMF zu der wortgleichen Vorschrift des § 53 Bundeshaushaltsordnung (BHO) sind Billigkeitsleistungen finanzielle Leistungen, die aus Gründen der staatlichen Fürsorge zum Ausgleich oder der Milderung von Schäden und Nachteilen gewährt werden (vgl. Nr. 1 VV-BHO).
58Das beklagte Land gewährt diese Billigkeitsleistung auf Grundlage der Förderrichtlinie. Diese ist eine verwaltungsinterne Weisung (Verwaltungsvorschrift), die dazu bestimmt ist, für die Verteilung der Fördermittel Maßstäbe zu setzen und das Ermessen der für die Verteilung zuständigen Stellen zu regeln.
59Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 1.17, juris Rn. 15 ff. m. w. N.
60Sind die Fördervoraussetzungen in Förderrichtlinien geregelt, müssen diese von der zuständigen Bewilligungsbehörde gleichmäßig (Art. 3 Abs. 1 GG), im Einklang mit der Landeshaushaltsordnung, ohne Verstoß gegen andere Rechtsvorschriften und gemäß dem Förderzweck angewendet werden, wie dieser in den selbst gegebenen Richtlinien zum Ausdruck kommt. Verwaltungsvorschriften begründen über die ihnen zunächst nur innewohnende interne Bindung hinaus vermittels sowohl des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als auch des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebots des Vertrauensschutzes (Art. 20 und 28 GG) eine anspruchsbegründende Außenwirkung im Verhältnis der Verwaltung zum Bürger. Jeder Anspruchsteller hat dann Anspruch darauf, entsprechend den aufgestellten Richtlinien behandelt zu werden. Maßgeblich für die Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) ist dabei die tatsächliche Handhabung der Verwaltungsvorschriften in der Verwaltungspraxis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligung. Anders als Rechtsnormen unterliegen die Richtlinien keiner richterlichen Interpretation.
61Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. November 2008 – 7 B 38.08 –, juris Rn. 9, Urteil vom 8. April 1997 – 3 C 6.95 –, BVerwGE 104, 220-230, juris Rn. 19 ff. m. w. N., Urteil vom 17. Januar 1996 – 11 C 5/95 –, juris Rn. 21, Urteil vom 10. Dezember 1969 – VIII C 104.69 –, BVerwGE 34, 278-286, juris Rn. 13; BayVGH, Urteil vom 06. November 2013 - 4 B 13.1268 -, juris Rn. 22 ff.
62Das Gleichbehandlungsgebot kann auch zu Lasten von Subventionsbewerbern bzw. -empfängern Bedeutung gewinnen. Versagt eine Behörde in Anwendung der einschlägigen Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen regelmäßig die Gewährung einer Zuwendung, so verletzt sie das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner objektiv-rechtlichen Funktion, wenn sie sich im Einzelfall über diese Praxis hinwegsetzt und trotz Fehlens der ansonsten geforderten Voraussetzungen die Leistung gewährt. Dann ist die Bewilligung rechtswidrig und kann unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG (NRW) zurückgenommen werden.
63Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 23. April 2003 – 3 C 25.02 –, juris Rn. 17 m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 15. August 1980 – 9 A 251/79 –, juris Rn. 9 und Beschluss vom 5. Januar 2022 – 4 A 2368/18 –, juris Rn. 8.
64(2) Nach Ziffer 3 Abs. 4 S. 1 der Förderrichtlinie darf für verbundene Unternehmen nur ein Antrag gestellt werden. Das beklagte Land hat im Einklang mit seiner Verwaltungspraxis angenommen, dass die Klägerin ein verbundenes Unternehmen ist. Da bereits die Bezirksregierung Düsseldorf der M1. T. GmbH eine Überbrückungshilfe II über 150.000 Euro bewilligt hatte, war daher im Ergebnis die Klägerin nicht antragsberechtigt:
65Die Kammer geht davon aus, dass das beklagte Land im Zeitpunkt der Bewilligung eine Förderpraxis etabliert hatte, bei der es für die Bestimmung, ob ein verbundenes Unternehmen im Sinne von Ziffer 2 Abs. 5 S. 4 Förderrichtlinie gegeben ist, auf die Definition in Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014 abstellt und die vom EuGH aufgestellten Kriterien zur Auslegung des Begriffs des verbundenen Unternehmens heranzieht.
66Zwar enthält die Förderrichtlinie keinen entsprechenden Verweis auf die EU-Verordnung und ist auch dem Antragsformular hinsichtlich des Verbundenheitskriteriums nichts Dahingehendes zu entnehmen. Erst in dem Bescheid vom 02.12.2020 nahm die Bezirksregierung auf Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014 Bezug. Jedoch verwies die Richtlinie "NRW-Soforthilfe 2020" vom 31.05.2020 im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Antragsberechtigung auf die Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003 (2003/361/EG), die der Definition in Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014 entspricht. In Ziffer 2 dieser Richtlinie ("Leistungsempfänger, Antragsberechtigung") heißt es, antragsberechtigt sind Selbständige, Angehörige der Freien Berufe und gewerbliche Kleinunternehmen, wobei es in der dort angefügten Fußnote 2 weiter heißt: "Es wird auf die Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleineren und mittleren Unternehmen (ABl. L 124/36) verwiesen." Da sich die Überbrückungshilfe nahtlos an die NRW-Soforthilfe anschloss (vgl. Ziffer 9 Abs. 1 Förderrichtlinie), kann die Förderpraxis im Rahmen des Förderprogramms der Überbrückungshilfen nicht von dieser isoliert betrachtet werden. Jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie zog demnach das beklagte Land den Inhalt der Empfehlung der Kommission auch bei dem Vollzug der Förderrichtlinie heran.
67Dass das beklagte Land sich im Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides auf Begrifflichkeiten des (EU-)Beihilfenrechts bezog, zeigt sich jedenfalls an der Regelung in Ziffer 10 Abs. 1 S. 1 der Förderrichtlinie, wonach die Bewilligung durch die zuständige Stelle "beihilfekonform" erfolgen müsse, sowie an Ziffer 2 Abs. 2 S. 3, wonach die Ausführungen zur Definition des Unternehmens unbeschadet des für die Einhaltung des Beihilferechts maßgeblichen beihilferechtlichen Unternehmensbegriffes gälten, ferner aufgrund des Bezugs in Ziffer 1 Abs. 2 lit. b) auf die Bundesregelung Kleinbeihilfen.
68Da im Zusammenhang mit der Definition des verbundenen Unternehmens in Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014 teils erhebliche Interpretationsprobleme auftreten, geht die Kammer zudem davon aus, dass sich das beklagte Land bei der Prüfung, ob ein verbundenes oder ein eigenständiges Unternehmen gegeben ist, an der Rechtsprechung des EuGH orientierte.
69Nach alledem kann offen bleiben, ob nach dem Wortlaut der Förderrichtlinie (Ziffer 2 Abs. 5 S. 4) das Kriterium der Verbundenheit erfüllt wäre. Denn nach dem oben Gesagten unterliegen Verwaltungsvorschriften keiner eigenständigen richterlichen Auslegung. Das gilt besonders für Fälle wie den vorliegenden, bei dem der Wortlaut einer Verwaltungsvorschrift unklar und darum auslegungsbedürftig ist.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1996 – 11 C 5.95 –, juris Rn. 21 m. w. N.
71Gemessen daran ist die Anwendung der Förderrichtlinie im konkreten Fall nicht zu beanstanden.
72Das beklagte Land hat sich zur Begründung seiner Verwaltungspraxis unter anderem auf das Urteil des EuGH vom 27.02.2014 gestützt. Dort hat der EuGH zu Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 06.05.2003 ausgeführt, dass die Vorschrift dahin auszulegen ist,
73"dass Unternehmen als "verbunden" im Sinne dieses Artikels angesehen werden können, wenn die Prüfung der zwischen ihnen bestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ergibt, dass sie, vermittels einer natürlichen Person oder einer gemeinsam handelnden Gruppe natürlicher Personen, eine einzige wirtschaftliche Einheit bilden, auch wenn sie formal nicht in einer der in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 des Anhangs aufgeführten Beziehungen zueinander stehen. Als gemeinsam handelnd im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 4 des Anhangs sind natürliche Personen anzusehen, wenn sie sich abstimmen, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, so dass diese Unternehmen nicht als wirtschaftlich voneinander unabhängig angesehen werden können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, und es ist nicht zwingend erforderlich, dass zwischen den fraglichen Personen vertragliche Beziehungen bestehen oder dass sie auch nur die Absicht haben, die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen im Sinne der genannten Empfehlung zu umgehen."
74EuGH, Urteil vom 27.02.2014, C-110/13, Celex -Nr. 62013CJ0110, juris Rn. 34 f. und BFH, Urteil vom 03.07.2014 - III R 30/11 juris Rn. 28 ff.
75Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ferner die Struktur der KMU zu untersuchen, die eine wirtschaftliche Gruppe bilden. Die Frage der Unabhängigkeit (bzw. der Verbundenheit) des zu betrachtenden Unternehmens ist losgelöst von formalen Kriterien zu betrachten.
76Vgl. EuGH, Urteil vom 10. März 2021 – C-572/19 P, BeckRS 2021, 3744 Rn. 90 f., beck-online; EuGH, Urteil vom 27.02.2014, C-110/13, Celex-Nr. 62013CJ0110 -, juris Rn. 28 ff.
77Die Klägerin kann zunächst nicht mit ihrem sinngemäßen Vortrag durchdringen, die Verordnung sei hinsichtlich der Definition der Verbundenheit nicht eindeutig und gemessen an der Rechtsprechung des EuGH stelle die Klägerin kein verbundenes Unternehmen dar. Denn ungeachtet der Frage, ob ihre Rechtsauffassung zutrifft, könnte die Klägerin daraus keinen Anspruch auf eine entsprechende Auslegung der Förderrichtlinie und deren entsprechenden Vollzug ableiten. Entscheidend ist insoweit nur, was das beklagte Land in ständiger Praxis für "beihilfekonform" erachtet. Dem Richtliniengeber steht es frei, sich für eine bestimmte Verwaltungspraxis zu entscheiden. Er kann ein entsprechend autonomes und erweitertes Verständnis der Regelungen der Förderrichtlinien definieren und vollziehen. Die Willkürgrenze wird auch dann nicht überschritten, wenn es auch für eine alternative Förderpraxis gute oder gegebenenfalls sogar bessere Gründe gäbe. Eine Verletzung des Willkürverbots liegt nur dann vor, wenn die maßgeblichen Kriterien unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar, sondern vielmehr offenkundig sachwidrig sind.
78Vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 18. Oktober 2021 – W 8 K 21.716 –, juris Rn. 65; VG München, Urteil vom 15. September 2021 – M 31 K 21.110 –, juris Rn. 28.
79Das ist hier nicht der Fall. Zunächst ist die Annahme des beklagten Landes, die Gesellschafter der Klägerin stimmten sich ab, um Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen der betreffenden Unternehmen auszuüben, nicht willkürlich. Hier darf das beklagte Land von einer Abstimmung der beiden Gesellschafter über die Angelegenheiten der jeweils einzelnen Gesellschaft hinaus ausgehen, weil die Gesellschafterverhältnisse in den drei GmbH die gleichen sind. Auch die Geschäftsführung ist in allen Gesellschaften identisch. Der Gegenstand der in Rede stehenden Unternehmen ist im Wesentlichen der Betrieb von Kinos und somit derselbe. Also liegt der Führung der Unternehmen ein einheitlicher geschäftlicher Betätigungswille der Gesellschafter zugrunde.
80Das beklagte Land hat seine Verwaltungspraxis im Klageverfahren zudem dahingehend plausibilisiert, dass nach Ziffer 3 Abs. 4 S. 3 der Förderrichtlinie auch Soloselbständige und die Angehörigen der freien Berufe nur einen Antrag stellen könnten, unabhängig davon, wie viele Betriebsstätten sie hätten. Das rechtfertige es, dass auch nur eines von mehreren verbundenen Unternehmen die Überbrückungshilfe erhalte. Nach dem Willen des beklagten Landes sollen eine oder mehrere natürliche Personen keinen Vorteil dadurch haben, dass sie statt mehrerer Betriebsstätten mehrere Betreiber-GmbH gründeten. Auch dieser Ansatz des beklagten Landes ist nicht zu beanstanden. Zwar tritt hier, anders als das beklagte Land meint, kein unmittelbarer Vorteil für die Gesellschafter der Klägerin ein, da die Zuwendung der Gesellschaft als eigenständigem Rechtssubjekt zukommt. Schuldner der Fixkosten ist zudem die Klägerin selbst. Würde aber die Klägerin neben dem Kino in E. auch die Kinos in M. und T. betreiben (würden letztere also nicht durch separate GmbH, sondern eine einzige Betreiber-GmbH betrieben), wäre klar, dass nur eine einmalige und bis zu einem Höchstbetrag gedeckelte Förderung in Betracht kommt. Eine Vervielfachung der Förderung in der Situation der Klägerin über das Verbundenheitskriterium zu steuern ist also deshalb nicht sachwidrig, weil dadurch eine Gleichstellung mit den in Ziffer 3 Abs. 4 S. 3 genannten Gruppen erfolgt.
81Insbesondere musste das beklagte Land die Verbundenheit der Gesellschaften nicht - wie die Klägerin meint - deshalb verneinen, weil die Klägerin, die O. & U. und die M1. T. GmbH eigenständige Rechtssubjekte sind, die auch steuerrechtlich selbständig bewertet werden. Denn auf formale - gesellschaftsrechtliche - Kriterien muss sie nach dem oben Gesagten auch nach der Rechtsprechung des EuGH nicht abstellen.
82Dass das beklagte Land für die Frage, ob die Unternehmen auf demselben Markt tätig sind, nur auf den Gegenstand der Dienstleistung und nicht auf den Ort der Erbringung derselben abstellt, ist ebenfalls nicht willkürlich. Es hat insoweit - und von der Klägerin unwidersprochen - vorgetragen, dass es seiner ständigen Verwaltungspraxis entspreche, benachbarte Märkte im Sinne von "vor- und nachgelagert" zu bestimmen und nicht im Sinne des Verständnisses der Klägerin, wonach es auf eine örtliche Nähe der Dienstleistungen ankommen soll. Diese Praxis des beklagten Landes steht, worauf dieses zutreffend hinweist, auch in Einklang mit der oben genannten Zielrichtung, den Fall mehrerer Betriebsstätten einerseits und unterschiedlicher GmbH mit eigener Betriebsstätte andererseits gleich zu behandeln (Ziffer 3 Abs. 4 S. 3); bei mehreren Betriebsstätten spielen örtliche Gegebenheiten ebenfalls keine Rolle.
83Zuletzt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Land das Kriterium der Verbundenheit - ohne sachliche Rechtfertigung - unterschiedlich anwendet.
84Das beklagte Land hat auch keine abweichende Praxis dadurch begründet, dass es den nach seiner Auffassung mit der Klägerin verbundenen Unternehmen und der Klägerin selbst mehrfach Überbrückungshilfen bewilligte. Denn diese Bewilligungen beruhten darauf, dass der Bearbeitung des Antrages die Angaben des prüfenden Dritten zugrunde gelegt, insbesondere die Gesellschafterverhältnisse nicht näher geprüft wurden. Die Bewilligung wurde jeweils von den zuständigen Bezirksregierungen nachträglich als fehlerhaft bewertet und durch Rückforderungen korrigiert. In der jeweiligen Bewilligung liegt demnach kein bewusster und gewollter dauerhaft geänderter Vollzug der Förderrichtlinie. Ist aber die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis fehlerhaft, vermittelt der Gleichheitssatz keinen Anspruch auf Anwendung dieser rechtswidrigen Verwaltungspraxis.
85Vgl. VG Würzburg, Urteil vom 18. Oktober 2021 – W 8 K 21.716 –, juris Rn. 71 m. w. N.; OVG Lüneburg, Urteil vom 5. Mai 2021 – 10 LB 201/20 –, juris Rn. 32; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24. August 2021 – 6 ZB 21.972 –, juris Rn. 10.
86bb) Die Entscheidung über die Rücknahme des Bescheides über die Billigkeitsleistung ist jedoch ermessensfehlerhaft.
87Die Aufhebung des Verwaltungsaktes steht hier im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann, § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW nicht berufen, wenn er 1. den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat; 2. den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren; 3. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG.
88Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, vgl. § 114 S. 1 VwGO.
89Die Bezirksregierung ist bei ihrer Abwägung nach § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW zu Unrecht davon ausgegangen, die Klägerin könne sich gemäß § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW nicht auf Vertrauen berufen.
90Zunächst steht der Annahme, dass die Klägerin auf den Bestand des Bescheides vertraut hat, nicht entgegen, dass der Bescheid vom 28.12.2020 unter dem Vorbehalt der endgültigen Festsetzung erging. Denn das Vertrauen wird durch Hinweise in dem Verwaltungsakt auf Möglichkeiten der Aufhebung, Ersetzung oder Änderung nicht schlechthin ausgeschlossen.
91Vgl. Kopp/Ramsauer/Ramsauer, VwVfG, 20. Auflage 2019, § 48 Rn. 95.
92Insoweit kann zudem dahinstehen, ob die Klägerin ihr Vertrauen gemäß § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW betätigt hat, indem sie die gewährte Leistung verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Denn § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW stellt eine Regelvermutung in Bezug auf die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf. Der Vertrauenstatbestand liegt dagegen schon dann vor, wenn der Betroffene tatsächlich sein Vertrauen betätigt hat. Dafür sind noch nicht die Dispositionen nach Absatz 2 Satz 2 notwendig. Für die Anwendung von Absatz 2 reichen auch reversible Dispositionen aus.
93Vgl. HK-VerwR/Berthold Kastner, 5. Auflage 2021, VwVfG, § 48 Rn. 43; ähnlich Kopp/Ramsauer/Ramsauer, VwVfG, 20. Auflage 2019, § 48 Rn. 96.
94Vorliegend genügt es demnach, dass die Klägerin nach ihrem unwidersprochenen Vortrag die Leistung zweckentsprechend, nämlich zur Begleichung ihrer Fixkosten eingesetzt hat. Dementsprechend kommt es an dieser Stelle auch nicht darauf an, dass die Bezirksregierung den Bescheid über die Bewilligung der Überbrückungshilfe I unter dem 02.12.2020 zurückgenommen hatte.
95Das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Bewilligungsbescheides ist zudem weder nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW (1) noch nach Nr. 3 der Vorschrift (2) ausgeschlossen.
96(1) Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW liegen nicht vor. Die Klägerin hat schon keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht.
97Unter "Angaben" sind solche tatsächlicher Art zu verstehen.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 – 9 C 22.90 –, BVerwGE 88, 312-326, juris Rn. 39.
99Unrichtige Angaben im Sinn des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Alt. 1 VwVfG NRW macht derjenige, der ausdrücklich oder konkludent Tatsachen behauptet, die mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung stehen. Dabei kann es sich auch um innere Tatsachen handeln.
100Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. November 1996 – 25 A 1950/96 –, juris Rn. 21.
101Das Unterlassen von Angaben steht unrichtigen Angaben gleich, wenn eine Mitteilungspflicht besteht.
102Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 – 2 C 13.11 –, BVerwGE 143, 230-240, juris Rn. 17.
103Unerheblich ist, ob den Antragsteller ein Verschulden trifft; es kommt allein auf die objektive Unrichtigkeit der Angaben an.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 1986 – 3 C 9.85 –, BVerwGE 74, 357-367, juris Rn. 29, Urteil vom 12. Februar 2020 – 8 C 6.19 –, BVerwGE 167, 344-351, juris Rn. 26.
105§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Alt. 2 VwVfG NRW ist zu bejahen, wenn der Begünstigte entscheidungserhebliche Umstände verschweigt, von deren Nichtvorliegen die bewilligende Behörde erkennbar ausgeht, oder wenn er trotz rechtlicher Verpflichtung oder behördlicher Aufforderung Angaben zu einem bestimmten entscheidungserheblichen Punkt unterlässt.
106Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. November 1996 – 25 A 1950/96 –, juris Rn. 23.
107Die Regelung des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW beruht auf der Erwägung, dass die auf unrichtige oder unvollständige Angaben des Begünstigten zurückzuführende Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ihre Ursache nicht im Verantwortungsbereich der Behörde, sondern in dem des Begünstigten hat, so dass dessen Vertrauen nicht schutzwürdig ist.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. August 1986 – 3 C 9.85 –, BVerwGE 74, 357-367, juris Rn. 29, Urteil vom 12. Februar 2020 – 8 C 6.19 –, BVerwGE 167, 344-351, juris Rn. 26.
109Der Ausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW ist - in den Grenzen des Rechtsgedankens des § 242 BGB - deshalb auch dann anwendbar, wenn die Behörde eine Mitverantwortung trifft.
110Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juli 2014 – 3 C 23.13 –, juris Rn. 33.
111Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Antrag der Klägerin objektiv unrichtige Angaben enthielt. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass Herr U. bereits für die beiden anderen GmbH Überbrückungshilfen beantragt hatte: In dem Antragsformular unter den "Allgemeinen Erklärungen des Antragstellers" hatte der Antragsteller zu versichern, dass er die Überbrückungshilfe des Bundes nicht mehrfach beantragt habe und dies auch zukünftig nicht tun werde; er entbinde die Steuerverwaltung vom Steuergeheimnis. Der Begriff "Antragsteller" wird weder in der Förderrichtlinie definiert noch wird er in dem Formular einheitlich verwandt; an verschiedenen Stellen ist mit dem Begriff jedoch eindeutig das antragstellende Unternehmen, nicht dessen Vertreter, gemeint: "Bei dem Antragsteller handelt es sich nicht um ein öffentliches Unternehmen", "Der Antragsteller versichert, dass er nicht bereits am 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten war", "Hat der Antragsteller Leistungen aus einem Zuschussprogramm des Landes erhalten?". Zudem sind als "Angaben zum Antragsteller" Name, Rechtsform, Handelsregisternummer, Adresse inländischer Sitz etc. vorgesehen. Antragsteller war vor diesem Hintergrund die Klägerin. Da für die Klägerin erstmals ein Antrag auf die Überbrückungshilfe gestellt wurde, war die Erklärung in dem Antrag, dass die Überbrückungshilfe nicht mehrfach beantragt worden sei, sachlich richtig.
112Zudem hat die Klägerin - anders als das beklagte Land meint - in dem Antrag nicht angegeben, kein verbundenes Unternehmen zu sein. In dem Antragsvordruck auf Gewährung der Überbrückungshilfe heißt es in der Bestätigung des prüfenden Dritten (Seite 5 des Antrags):
113"Ich habe die Angaben des Antragstellers geprüft, ein verbundenes Unternehmen zu sein bzw. nicht zu sein, sowie die Angabe, sich als verbundenes Unternehmen nicht für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu qualifizieren, und bestätige deren Plausibilität."
114Dieser Formulierung ist ausgehend vom Rechtsgedanken der §§ 133, 157 BGB schon objektiv nicht die Erklärung zu entnehmen, die Klägerin sei kein verbundenes Unternehmen. Vielmehr wird durch den Bevollmächtigten die Prüfung der Plausibilität einer dahingehenden Annahme des antragstellenden Unternehmens bestätigt. Eine verbindliche Erklärung zu der Frage der Verbundenheit wird weder von dem antragstellenden Unternehmen noch dem prüfenden Dritten verlangt.
115Dies kann jedoch auch dahinstehen. Denn zum einen würde es sich bei der Aussage, die Klägerin sei kein verbundenes Unternehmen, um eine rechtliche Bewertung handeln und somit nicht um eine (tatsächliche) Angabe im Sinne von § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW. Zum anderen hatte der prüfende Dritte der Bezirksregierung in seinem Schreiben an die Bezirksregierung vom 17.12.2020 die Gesellschafterverhältnisse offen gelegt, indem er mitteilte, dass die paritätisch beteiligten Gesellschafter der Klägerin, die Herren U. und O. , im gleichen Verhältnis auch an der M1. T. GmbH und der O. & U. Kinobetriebs GmbH beteiligt seien, für die ebenfalls Anträge auf die Bewilligung der Überbrückungshilfe II eingereicht worden seien. Vor diesem Hintergrund ist von vornherein kein Raum für die Annahme, die Klägerin habe unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides beruht hier somit allein auf dem Umstand, dass die Behörde die Angaben der Klägerin - sei es auch aufgrund technischer Gegebenheiten - nicht zur Kenntnis genommen und darüber hinaus den Antrag nicht mit dem vorhergehenden Antrag der Klägerin vom 07.08.2020 in Verbindung gebracht hat. Somit ist die Rechtswidrigkeit des Bescheides allein ihrem Verantwortungsbereich zuzurechnen.
116(2) Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW sind nicht erfüllt.
117Gegenstand der (Un-)Kenntnis nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes als solche; die (Un-)Kenntnis der Umstände, die zu dieser geführt haben, genügt insoweit nicht.
118Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 48 Rn. 161, 162.
119Der Fahrlässigkeitsbegriff (vgl. § 276 BGB) bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht. Ob Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu bewerten ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln.
120Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – 2 B 93.07 –, juris Rn. 6 f. m. w. N.
121Gemessen daran fällt der Klägerin hinsichtlich ihrer Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides keine grobe Fahrlässigkeit zur Last. Zwar hatte die Bezirksregierung den Bescheid über die Gewährung der Überbrückungshilfe I mit Bescheid vom 02.12.2020 aufgehoben, weil sie die Klägerin als verbundenes Unternehmen ansah, so dass sich die Klägerin mit zwei sich widersprechenden Entscheidungen konfrontiert sah. Welche Entscheidung der Bezirksregierung jedoch die "richtige" war - die jüngste Bewilligung (Bescheid vom 28.12.2020) oder der Rücknahmebescheid vom 02.12.2020 - war für den Steuerberater, dessen Verschulden sich die Klägerin zurechnen lassen müsste, nicht einsichtig. Denn die Frage, ob die ursprüngliche Bewilligung rechtswidrig war, betraf mit dem erstmals in dem Bescheid vom 02.12.2020 enthaltenen Hinweis auf Anhang I Art. 3 Abs. 3 VO (EU) Nr. 651/2014 eine Materie, die speziellere Kenntnisse erfordert und sich selbst für Juristen nicht ohne weiteres erschließt.
122Etwas anders ergibt sich nicht daraus, dass sich nach Auffassung des beklagten Landes die Einzelheiten der Beantragung klar anhand des Leitfadens für prüfende Dritte ergeben hätten. Selbst wenn man unterstellte, dass der Steuerberater anhand der Vorgaben des Leitfadens für prüfende Dritte hätte ersehen können, dass bei verbundenen Unternehmen ein Antrag für den Unternehmensverbund zu stellen war, ist seine Annahme, dass es sich bei der Klägerin um ein eigenständiges Unternehmen handelte, nach dem oben Gesagten nicht grob fahrlässig.
123In der Folge hat das beklagte Land das Bestandsinteresse der Klägerin nicht ausreichend gegen sein Rücknahmeinteresse abgewogen. Es hat sich von dem Gedanken leiten lassen, das Interesse der Klägerin, die zu Unrecht erhaltenen Mittel zu behalten, habe hinter das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen und effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen Haushaltsmittel zurückzutreten, weil das Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Bescheides nicht schutzwürdig sei. Wäre es dagegen zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin keine unrichtigen Angaben gemacht hat, hätte es - ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW vorlagen - den verschiedenen Belangen, die in die Abwägung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW einzustellen sind, ein anderes Gewicht beimessen müssen. Sodann wäre von der Behörde auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten gleichberechtigt nebeneinander, sofern - wie hier - dem anzuwendenden Fachrecht nicht eine andere Wertung zu entnehmen ist.
124Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2021 - 8 C 25.19 -, juris Rn. 11, Urteil vom 16. Juni 2015 – 10 C 15.14 –, BVerwGE 152, 211, juris Rn. 29.
125b) Ziffer 2 des Bescheides ist nach alledem ebenfalls rechtswidrig. Aufgrund der rückwirkenden Aufhebung des Bescheides fehlt es an den Voraussetzungen für die Erstattungsforderung nach § 49a Abs. 1 VwVfG NRW.
126Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.