Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Zu einem (nicht erfolgreichen) Nachbareilantrag gegen die sofortige Vollziehung einer Baugenehmigung, die den Bau zweier Mehrfamilienhäuser zulässt und dabei im Wege der Befreiung Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans gestattet.
2. Das planungsrechtliche Erfordernis der gesicherten Erschließung dient allein dem öffentlichen Interesse.
3. Die Zunahme des An- und Abfahrtverkehrs auf einem 3 m breiten Stichweg durch die genehmigten zwei Mehrfamilienhäuser verletzt die Nachbarn nicht in ihren Rechten. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot besteht vorliegend nicht. Denn dieser Stichweg dient bereits als rückwärtige Erschließung des Grundstücks des Antragstellers, die es dem Antragsteller ermöglicht, mit dem Kraftfahrzeug das Hintergelände seines Grundstücks anzufahren.
4. Die Frage, ob Baugenehmigungsbehörden bei Erteilung einer Baugenehmigung den Hochwasserschutz zu Gunsten des Nachbarn (als Bestandteil des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme) zu prüfen haben, kann offen bleiben. Denn das Vorhaben führt zu keiner Erhöhung der Überschwemmungsgefahr auf dem Grundstück des Antragstellers.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.
G r ü n d e:
2I.
3Der Antragsteller wendet sich als Nachbar gegen die sofortige Vollziehung einer Baugenehmigung, die der Beigeladenen zur Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser erteilt worden ist.
4Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung G (mit der postalischen Anschrift: R-Straße 00). Das Grundstück grenzt im Norden an die R-Straße (Landstraße L 000) und im Süden an die von der Gemeindestraße O-Straße abgehende Stichstraße (Gemarkung I). Letztere besitzt eine Breite von mindestens 3 m und dient als rückwärtige Erschließung, die es dem Antragsteller ermöglicht, mit dem Kraftfahrzeug das Hintergelände seines Grundstücks anzufahren. Dort befindet sich ein Stellplatz.
5Mit Bescheid vom 20. Juli 2022 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen für das Vorhaben "Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit Garagengeschossen (insgesamt 24 Wohneinheiten, 14 Garagenstellplätze und 13 Stellplätze im Freien)" eine Baugenehmigung für das Grundstück Gemarkung T (mit der postalischen Anschrift: R-Straße 00). Das zugelassene Bauprojekt umfasst die Errichtung zweier dreigeschossiger Mehrfamilienhäuser mit Garagengeschoss und Staffelgeschoss bzw. Satteldach. Im nördlich geplanten „Haus 1“ sind 14 Wohneinheiten und im südlich geplanten „Haus 2“ 10 Wohneinheiten vorgesehen. Auf dem Grundstück sollen insgesamt 27 PKW-Stellplätze (14 in den Garagengeschossen und 13 im Freien) errichtet werden. Von den 13 Stellplätze im Freien sind sechs zwischen den beiden geplanten Häusern und weitere sechs parallel mit einem Abstand von ca. 3,8 m bis 4,8 m zur Grundstücksgrenze des Grundstücks Gemarkung S sowie ein Stellplatz parallel zum Grundstück Gemarkung L, geplant.
6Zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück des Antragstellers liegt das Hausgrundstück Gemarkung L (mit der postalischen Anschrift: R-Straße 00), das im Eigentum des Antragstellers im Parallelverfahren ‑ 0 L 000/00 ‑ steht.
7Das genehmigte Vorhaben soll, wie das Hausgrundstück des Antragstellers und die Hausgrundstücke mit den postalischen Anschriften, R-Straße 00, 00 und 00, über die von der O-Straße abgehende Stichstraße erschlossen werden.
8Der einschlägige Bebauungsplan Nr. I/30 "O-Straße" trifft die Festsetzung „Allgemeines Wohngebiet (WA)“ für das Hausgrundstück des Antragstellers und einen großen Teil des Vorhabengrundstücks, welches im Übrigen ‑ im Südwesten ‑ als Grünfläche (Spielanlage) überplant ist. Ausweislich des Bebauungsplans sind auf dem Vorhabengrundstück zwei Baufenster vorgesehen. Nach Ziffer 2.4 der schriftlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan sind Stellplätze und Garagen unzulässig, soweit sie von der R-Straße ihre Zufahrt haben. Die von der O-Straße abgehende Stichstraße ist als Erschließungsstraße dargestellt.
9Mit der streitbefangenen Baugenehmigung vom 20. Juli 2022 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen drei Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes: Eine Befreiung bezieht sich auf die „Verschiebung des hinteren Baufensters“ hinsichtlich des „Hauses 2“ um 10 m nach Westen und 2,30 m nach Norden. Eine weitere Befreiung betrifft die Errichtung der geplanten Stellplätze, des Spielplatzes und eines Teils des „Hauses 2“ in einer festgesetzten Grünfläche (Spielanlage). Die dritte Befreiung lässt die Überschreitung der hinteren Baugrenze („Haus 1“) um 1,50 m durch die geplante Balkonanlage zu.
10Das Vorhabengrundstück liegt an der Wurm, einem Nebenfluss der Rur. Ein südlicher und westlicher Teilbereich des Grundstücks ist als „vorläufig gesichertes Überschwemmungsgebiet“ und ein ca. 1-3 m breiter an die Wurm grenzender Grundstücksstreifen als „festgesetztes Überschwemmungsgebiet“ gekennzeichnet. Der Baugenehmigungsbescheid vom 20. Juli 2022 enthält – auf Initiative des zuständigen Umweltamtes – Nebenbestimmungen, wonach bei der Durchführung des Vorhabens zu beiden Seiten der Wurm ein Gewässerrandstreifen von 3,00 m Breite (gemessen von der Böschungsoberkante) von jeglicher Bebauung und sonstigen Anlagen wie Aufschüttungen, Wegen, Terrassen und Lagerschuppen freizuhalten ist.
11Der Antragsteller hat am 24. August 2022 Klage ‑ 0 K 0000/00 ‑ gegen die erteilte Baugenehmigung erhoben und im vorliegenden Verfahren um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
12Zur Begründung macht er geltend: Die aufschiebende Wirkung seiner Nachbarklage sei anzuordnen. Die angegriffene Baugenehmigung verletze ihn in seinen Nachbarrechten. Die Antragsgegnerin habe bei Erlass der Genehmigung gegen die Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplanes verstoßen. Die dort festgesetzten Baugrenzen und Grünfläche seien unbeachtet geblieben. Es sei unvertretbar, das Vorhabengrundstück überhaupt zu bebauen. Die dadurch entstehende Verdichtung des Bodens führe zu einer Wasserverdrängung in Richtung seines Hausgrundstücks. Das Hochwasserereignis vom 14./15. Juli 2021 habe gezeigt, dass die Überschwemmungsbereiche nicht zutreffend dargestellt seien; sein Grundstück und sein Hauskeller seien überflutet gewesen. Die als Erschließungsstraße vorgesehene Straße sei mit einer Breite von weniger als 3 m zu schmal, um das zu erwartende Verkehrsaufkommen aufzunehmen. Letztlich werde dadurch auch die ordnungsgemäße Erschließung seines Hausgrundstücks gefährdet. So sei damit zu rechnen, dass nach Fertigstellung des Vorhabens permanent 50 Fahrzeuge die betreffende Straße nutzten.
13Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
14die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums ‑ 0 K 0000/00 ‑ gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. Juli 2022 anzuordnen.
15Die Antragsgegnerin beantragt,
16den Antrag abzulehnen.
17Zur Begründung macht sie geltend: Die erteilte Baugenehmigung verletze den Antragsteller nicht in seinen Nachbarrechten. Die Erschließung des Vorhabengrundstücks sei über die von der O-Straße abgehende Stichstraße gesichert. Dieser Wohnweg sei über 40 m lang und an der engsten Stelle 3,07 m und im Übrigen 3,47m breit. Die Befreiungen vom einschlägigen Bebauungsplan seien zu Gunsten des Vorhabens erteilt worden, da die geplante Ausführung des Projekts städtebaulich vertretbar und mit nachbarlichen Interessen vereinbar sei. Die Verschiebung der Baugrenzen habe keine Auswirkungen auf die Hochwasserbetroffenheit des Grundstücks des Antragstellers. Das im Genehmigungsverfahren beteiligte Umweltamt habe mitgeteilt, dass keine negativen Auswirkungen im Hinblick auf den Hochwasserschutz bestünden.
18Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
19Am 07. Dezember 2022 hat die Kammer einen Erörterungstermin an Ort und Stelle durchgeführt. Auf das Protokoll des Ortstermins wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin erklärt.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Klageverfahren ‑ 0 K 0000/00 –, in den Parallelverfahren des Antragstellers V (‑ 0 L 000/00 ‑ und ‑ 0 K 0000/00 ‑) und Q (‑ 0 L 000/00 ‑ und ‑ 0 K 0000/00 ‑) sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des Bebauungsplans Nr. I/30 "O-Straße" mit seinen Aufstellungsvorgängen Bezug genommen.
21II.
22Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin, vgl. § 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
23Der Antrag hat keinen Erfolg, er ist zulässig.
24Seine Statthaftigkeit folgt aus §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 des Baugesetzbuch (BauGB). Dem Antragsteller fehlt nicht etwa das Rechtsschutzbedürfnis. Vielmehr konnte er am 24. August 2022 – ohne Weiteres – noch fristgemäß Klage erheben, da der angegriffene Genehmigungsbescheid vom 20. Juli 2022 ihm gegenüber nicht eigens bekanntgegeben wurde.
25Der Antrag ist aber unbegründet.
26Die gebotene Abwägung der gegenläufigen Vollziehungsinteressen geht zu Lasten des Antragstellers aus, vgl. § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Fall VwGO. Die von ihm im Hauptsacheverfahren erhobene Baunachbarklage - 0 K 0000/00 - wird voraussichtlich keinen Erfolg haben, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27Der Erfolg einer Baunachbarklage hängt davon ab, dass die angegriffene Baugenehmigung den jeweiligen Nachbarkläger in seinen subjektiv-öffentlichen (Nachbar-)Rechten verletzt, also gegen solche Vorschriften verstößt, die als „nachbarschützende Vorschriften“ zumindest auch der Wahrung seiner Nachbarinteressen dienen. Auf die objektive Rechtskonformität des zugelassenen Vorhabens kommt es insoweit nicht an. Auf die Klage des Nachbarn ist nur zu überprüfen, ob die Baugenehmigung gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt.
28Vgl. etwa Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Beschluss vom 5. November 2013 - 2 B 1010/13 -, juris, Rn. 9 m.w.N.
29Die Antragsgegnerin hat die angegriffene Baugenehmigung auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. I/30 "O-Straße" (§ 30 BauGB) und der insoweit erteilten Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) erteilt, ohne dabei gegen nachbarschützende Vorschriften zu verstoßen.
30Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen nachbarschützendes Bauplanungsrecht.
31Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der – wie hier – mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, nur zulässig, wenn „die Erschließung gesichert ist“.
32Das planungsrechtliche Erfordernis der gesicherten Erschließung dient allein dem öffentlichen Interesse. Es handelt sich nicht um eine nachbarschützende Vorschrift,
33vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Urteil vom 9. Juni 2011 – 7 A 1494/09 –, juris,
34welche einer Baunachbarklage zum Erfolg verhelfen kann.
35Allein in zugespitzten Nachbarfällen kann aus der Eigentumsgewährleistung nach Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes ein nachbarschützender Abwehranspruch abgeleitet werden. Anspruchsvoraussetzung ist, dass die fehlende (wegerechtliche) Erschließung bei Umsetzung der erteilten Baugenehmigung dazu führt, dass dieser Mangel „quasi automatisch“ den Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 des Bürgerlichen Gesetzbuches am Grundstück des klagenden Nachbarn auslöst.
36Vgl. dazu: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 25. März 2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 9 m.w.N.
37Davon kann hier keine Rede sein. Nach den Feststellungen der Kammer vor Ort besitzt die hier als wegerechtliche Erschließung vorgesehene Stichstraße an ihrer – durch einen Stromverteilerkasten verursachten – engsten Stelle noch eine Breite von mindestens 3,00 m. Die Gefahr, dass ein Streifen des Grundstücks des Antragstellers als Notwegerecht in Anspruch genommen werden könnte, besteht nicht.
38Abgesehen davon lässt die Rechtsprechung eine Straßenbreite von 3,00 m im Einzelfall auch als ausreichende Erschließung gelten. Zwar sehen die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) eine Breite von 4,50 m für Wohnwege vor. Auf diese Weise soll eine Begegnung von Rad und Pkw ermöglicht werden. Eine geringere Breite ist jedoch - etwa wenn wie hier nur eine begrenzte Anzahl von Wohneinheiten erschlossen werden - nicht ausgeschlossen.
39Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 10 B 1034/22 –, juris Rn. 4.
40Während ein Wohnweg nach den RASt 06 bis zu 100 m lang sein und bis zu 150 Kfz/h aufnehmen kann, ist der maßgebliche Abschnitt des hier in Rede stehenden Stichstraße zwischen der O-Straße und Vorhabengrundstück lediglich circa 42 m lang. Die Verkehrsbelastung, die für typische Wohnwege nach den RASt 06 zu erwarten ist, wird auch bei einer Nutzung dieses Abschnitts durch die künftigen Bewohner der zusätzlich genehmigten 24 Wohneinheiten nicht erreicht.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 10 B 1034/22 –, juris Rn. 6, das bei einem Fall mit 21 zusätzlich genehmigten Wohneinheiten entschieden hat, dass die für typische Wohnwege nach den RASt 06 vorgesehene Verkehrsbelastung „nicht ansatzweise“ erreicht wird.
42Der im Ortstermin erhobene Einwand des Antragstellers mit dem sinngemäßen Inhalt, die Erreichbarkeit des Vorhabengrundstücks für größere Baumaschinen und LKW sei nicht gesichert, zeigt schon deshalb keine Verletzung von Nachbarrechten durch die angefochtene Baugenehmigung auf, weil diese hierzu keine Regelung trifft.
43Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
44Vorhaben, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes verwirklicht werden sollen, müssen den Anforderungen des u.a. in § 15 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) verankerten Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme entsprechen. Danach kann umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt; umgekehrt braucht derjenige, der ein Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich an den Kriterien der Unzumutbarkeit auszurichten, und zwar in dem Sinne, dass dem Betroffenen die nachteilige Einwirkung des streitigen Vorhabens billigerweise nicht zugemutet werden kann. Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt nachbarschützende Wirkung zu, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige bodenrechtliche Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist.
45Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07. Juni 1994 - 10 B 2923/94 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl) 1994, 421.
46Bei der Bewertung der Zumutbarkeit von – wie hier – in rückwärtigen Grundstücksbereichen geplanten Stellplätzen und Garagen sowie ihrer Zuwegungen kommt es maßgeblich darauf an, was die Betroffenen in dem Bereich, in dem sich die Stellplätze auswirken werden, bereits hinzunehmen oder zu erwarten haben. Maßgebend ist danach nicht allein das aktuell gegebene Ausmaß an Beeinträchtigungen durch Stellplatz- und Garagenanlagen, sondern auch der Umstand, inwieweit der betreffende rückwärtige Grundstücksbereich bereits durch andere Grundstücke im näheren Umfeld als Standort für Stellplätze oder auf andere Weise durch KFZ-bedingte Immissionen vorgeprägt ist.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 06. Juli 2016 - 7 A 1027/15 -, nrwe, Rn. 41 f. m.w.N.
48Gemessen daran ist weder die Anordnung der Stellplätze noch der zu erwartende An- und Abfahrtsverkehr als rücksichtslos einzustufen.
49Von den insgesamt 27 zugelassenen Stellplätzen befinden sich 14 in Garagen, sodass die besonders lärmintensiven Türöffnungsvorgänge sowie das Starten des Motors innerhalb der jeweiligen Garage erfolgen und abgeschirmt werden. Die sechs parallel zum Fluss Wurm geplanten Stellplätze sind ca. 35 m von der Zufahrt zum Vorhabengrundstück und ca. 48 m von dem Wohnhaus des Antragstellers entfernt, sodass bereits wegen der Entfernung dieser Stellplätze zum Grundstück des Antragstellers kein relevantes Störpotenzial zu erwarten ist. Dies gilt auch für die sechs parallel zum Grundstück Gemarkung S geplanten Stellplätze; sie sind von seinem Wohnhaus mindestens 25 m entfernt. Der einzelne parallel zur Grundstücksgrenze des Grundstücks Gemarkung L geplante Stellplatz ist ca. 20 m von seinem Wohnhaus entfernt und dazwischen liegt zudem das Grundstück eines Nachbarn, auf dessen Grundstück sich in ca. gleicher Höhe bereits ein Carport befindet, sodass eine ähnliche Vorbelastung des Grundstücks des Antragstellers besteht.
50Die Befürchtung des Antragstellers, dass „permanent 40 bis 50 verschiedene Fahrzeuge die Stichstraße“ nutzen werden und er dann nicht mehr sein Grundstück mit dem eigenen PKW erreichen könne, erscheint grundlos. Mit einer vorhabenbedingten relevanten Verschlechterung der Erreichbarkeit des Grundstücks des Antragstellers ist nicht zu rechnen. Das Vorhabengrundstück wird privat genutzt und die Anzahl der Stellplätze ist auf 27 begrenzt. Dass es zu einer ständigen oder überlastungsbedingten Verstopfungen des Stichweges kommen wird, die im Gefahrenfalle die Erreichbarkeit der anliegenden Grundstücke einschränkt, ist nicht erkennbar. Ein vorausschauendes Fahren, eventuelles Abwarten oder ein nicht zu vermeidendes Zurücksetzen ist dem Antragsteller zumutbar,
51vgl. hierzu zuletzt: OVG NRW, Beschluss vom 07. November 2022 - 7 B 940/22 -, juris Rn. 9 m.w.N.
52Auch die vom Bauvorhaben ausgelöste Belastung mit Lärm- und Geruchsbeeinträchtigungen wird nicht mit als rücksichtslos einzustufenden Auswirkungen verbunden sein.
53Die mit der Baugenehmigung erteilten Befreiungen sind nicht nachbarrechtswidrig.
54Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans unter bestimmten Voraussetzungen befreit werden. Dabei führt grundsätzlich jeder Rechtsfehler zu einem Nachbarrechtsverstoß, wenn die Baugenehmigungsbehörde von solchen Festsetzungen befreit, die nachbarschützend sind.
55Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64/98- , juris Rn. 4 ff.
56Die bauplanungsrechtlichen Festsetzungen zu Baufenstern, einer Grünfläche und einer hinteren Baugrenze, von deren Einhaltung das Vorhaben befreit worden ist, dienen typischerweise ‑ und so auch hier ‑ allein dem öffentlichen Interesse an einer bestimmten städtebaulichen Ordnung. Sie sind daher nicht nachbarschützend. Aus Inhalt und Begründung des Bebauungsplans Nr. I/30 "O-Straße" ergibt sich nichts Abweichendes. Es fehlt jeder Anhalt, dass der Satzungsgeber mit den betreffenden Festsetzungen Nachbarrechte der Anwohner begründen wollte.
57Bei einer – hier gegebenen – Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzung, ist der Grundstücksnachbar, dessen Interessen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zu würdigen sind, nicht schutzlos. Ein nachbarlicher Abwehranspruch steht ihm zu, wenn die erteilte Baugenehmigung aufgrund der darin enthaltenen Befreiungen zu einem Verstoß gegen das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme führt.
58Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64/98- , juris Rn. 4 ff.
59Die mit der Baugenehmigung erteilten Befreiungen von den Festsetzungen über Baufenster, Grünfläche und hintere Baugrenze führen hier nicht zu einer nachbarlichen Rücksichtslosigkeit, weil ihre Umsetzung nicht mit baurechtlich relevanten Nachteilen für das Grundstück des Antragstellers verbunden ist.
60Die Baugenehmigung verstößt nicht gegen nachbarschützendes Bauordnungsrecht.
61Nach § 13 BauO NRW 2018 müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und gebrauchstauglich sein, dass durch Wasser, Feuchtigkeit, pflanzliche und tierische Schädlinge sowie andere chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbarer Belästigungen nicht entstehen. Das Baugrundstück muss für die jeweiligen baulichen Anlagen entsprechend geeignet sein.
62Ziel und Zweck der Regelung besteht im Schutz der baulichen Anlagen selbst und dem Schutz ihrer Nutzer.
63Vgl. VG Aachen, Urteil vom 28. Januar 2020 - 3 K 2530/18 -, n.v.
64Sie ist daher nicht nachbarschützend; ihre Einhaltung ist für den Antragsteller nicht einklagbar.
65Schließlich verstößt das Vorhaben nicht zu Lasten des Antragstellers gegen § 6 BauO NRW 2018 über die Einhaltung von Abstandsflächen. Dazu genügt der Hinweis, dass sich zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück des Antragstellers ein Hausgrundstück Gemarkung L (R-Straße 00) befindet, das an seiner schmalsten Stelle an der hinteren Grenze etwa 8 m misst.
66Das Vorhaben verstößt nicht zu Lasten des Antragstellers gegen Vorschriften zum Hochwasserschutz.
67Es ist bereits fraglich, ob und in welchem Umfang die Baugenehmigungsbehörde bei Erteilung der Baugenehmigung den Hochwasserschutz zu Gunsten des Nachbarn (als Bestandteil des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme) zu prüfen hat.
68Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 2021 – 7 A 836/20 –, juris: offen gelassen.
69Ungeachtet dessen ist für das Gericht nicht erkennbar, das die Zulassung des Vorhabens gegen Vorschriften des Hochwasserschutzes (§ 78 Wasserhaushaltsgesetz [WHG]) verstößt. So soll es – nach entsprechender Umplanung im Baugenehmigungsverfahren – weder in einem festgesetzten noch in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet nach § 78 Abs. 4 i.V.m. § 76 Abs. 3 WHG errichtet werden. Ein grundsätzliches Bauverbot greift also nicht ein.
70Der Nachbareinwand des Antragstellers, das Vorhabengrundstück sei bei einer Bebauung Beschränkungen zu seinen Gunsten unterworfen, weil es jedenfalls teilweise in einer Gefahrenkarte als Teil eines Gebiets erfasst ist, das bei Hochwasser mit niedriger Wahrscheinlichkeit (voraussichtliches Wiederkehrintervall mindestens 200 Jahre) oder bei Extremereignissen überflutet werden könne (vgl. § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG), greift nicht durch. Die Erfassung von Risikogebieten ist lediglich dem vorbeugenden Hochwasserschutz geschuldet. Sie richtet sich in erster Linie an die Kommunen, die den Hochwasserschutz bei der Ausweisung neuer Baugebiete zu berücksichtigen haben, und an Bauherrn, die ihre baulichen Anlagen in einer dem jeweiligen Hochwasserrisiko angepassten Bauweise nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik errichtet sollen, soweit eine solche Bauweise nach Art und Funktion der Anlage technisch möglich ist. Hinsichtlich der Anforderungen an die Bauweise sollen u.a. die Lage des betroffenen Grundstücks und die Höhe des möglichen Schadens angemessen berücksichtigt werden. Die Vorschrift dient dem Schutz des Bauherrn vor Hochwasserschäden. Ein einklagbarer Nachbar- oder Drittschutz ist damit nicht verbunden.
71Vgl. VG Aachen, Urteil vom 28. Januar 2020 - 3 K 2530/18 -, n.v.
72Abgesehen davon ist die vom Antragsteller geltend gemachte Erhöhung der Überschwemmungsgefahr nicht plausibel: Zwar liegt das Grundstück des Antragstellers tiefer als das Vorhabengrundstück und anders als dieses fast vollständig im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet. Durch das Vorhaben wird das vorhandene Gefälle zum Grundstück des Antragstellers allerdings nicht verändert. Auf dem Vorhabengrundstück werden durch die Garagengeschosse vielmehr Vertiefungen entstehen, in denen sich nicht rechtzeitig abfließendes Wasser auf dem Vorhabengrundstück selbst sammeln kann, ehe es auf das Grundstück des Antragstellers fließt. Zusätzlich sind zwei mindestens 10 m lange Entwässerungsrinnen vorgesehen, sodass auch Niederschlagswasser in die Kanalisation abfließen kann.
73Nach alledem ist die beantragte Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Baugenehmigung nicht gerechtfertigt.
74Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
75Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da diese
76keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.