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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e
2A. Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wird zunächst dahin gehend ausgelegt (vgl. § 88 VwGO), dass der Antragsteller die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin im 2. Fachsemester des Modellstudiengangs Medizin nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2023 bei der Antragsgegnerin nach Maßgabe eines gerichtlich angeordneten Losverfahrens über die Vergabe außerhalb der festgesetzten Kapazität bestehender und in diesem Sinne „zusätzlicher“ Studienplätze anstrebt. Denn nur darauf bezieht sich die Begründung des gerichtlichen Antrags, mit dem der Antragsteller rügt, die festgesetzte Zulassungszahl erschöpfe nicht die tatsächlich vorhandene Kapazität. Damit handelt es sich um einen sog. außerkapazitären Zulassungsantrag.
3B. Der so verstandene Antrag ist nicht begründet.
4Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl das streitige Rechtsverhältnis und der sich aus diesem ergebende und einer (vorläufigen) Regelung bedürfende Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) besteht, wobei die dem Anordnungsanspruch und -grund zugrunde liegenden Tatsachen glaubhaft zu machen sind (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
5Ausgehend hiervon hat der Antragsteller zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d. h. die Dringlichkeit des Begehrens, bereits vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens wenigstens vorläufig zum nächstmöglichen Termin im 2. Fachsemester des Modellstudiengangs Humanmedizin an der RWTH Aachen nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2023 zugelassen zu werden. Denn für die Gewährung von Eilrechtsschutz für die vorläufige Zulassung zum Studium besteht grundsätzlich ein Anordnungsgrund, wenn - wie hier - mit dem Abschluss eines Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst nach längerer Prozessdauer zu rechnen ist. Die unwiederbringlich verlorene Studienzeit durch eine rechtsfehlerhaft verweigerte Zulassung stellt schon für sich genommen einen nicht hinnehmbaren Nachteil dar.
6Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. März 2013 - 13 C 91/12 -, juris, Rn. 12, und vom 4. März 2014 - 13 B 200/14 -, juris, Rn. 11.
7Einen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller hingegen nicht glaubhaft gemacht.
8I. Die Antragsteller hat keinen Anspruch auf die mit seinem Hauptantrag geltend gemachte Zulassung außerhalb der festgesetzten Kapazität.
9Durch die Verordnung über die Festsetzung von Zulassungszahlen und die Vergabe von Studienplätzen in höheren Fachsemestern an den Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen zum Studienjahr 2022/2023 (VOhöhFS) vom 12. August 2022 (GV. NRW. S. 894), zuletzt geändert durch die Änderungsverordnung vom 12. Januar 2023 (GV. NRW. S. 76), hat das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein‑Westfalen (MKW) die Zahl der Studienplätze für das 2. Fachsemester des Modellstudiengangs Humanmedizin an der RWTH Aachen für das Sommersemester 2023 auf 281 festgesetzt (vgl. § 1 Abs. 1 VOhöhFS i. V. m. Anlage 6).
10Die für das 2. Fachsemester im begehrten Studiengang festgesetzte Zulassungszahl ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Eine darüber hinausgehende Kapazität besteht nicht.
111. Die Kapazitätsermittlung des MKW für das Studienjahr 2022/2023 hat die beschließende Kammer für das 1. Fachsemester des Modellstudiengangs Humanmedizin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2022/2023 in verschiedenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits überprüft und die verordnungsrechtliche Zulassungszahl im Ergebnis als kapazitätserschöpfend bewertet.
12Vgl. u. a. Beschlüsse vom 22. Dezember 2022 ‑ 10 L 780/22 ‑ (zur inner- und außerkapazitären Vergabe) und - 10 Nc 9/22 - (zur ausschließlich außerkapazitären Vergabe), beide juris.
13a. Dabei ist die Kammer im Ausgangspunkt davon ausgegangen, dass jedenfalls solange andere plausible Rechenmodelle nicht zu höheren Kapazitäten führen, die Aufnahmekapazität im Modellstudiengang weiterhin (fiktiv) nach den Vorgaben der Kapazitätsverordnung zum früheren Regelstudiengang zu berechnen ist.
14Vgl. im Einzelnen: VG Aachen, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 10 Nc 9/22 -, juris, Rn. 10 ff., m. w. N.
15b. Ausgehend hiervon hat die Kammer das in Deputatstunden (DS) gemessene Lehrangebot der Lehreinheit „Vorklinische Medizin“, der auch das hier relevante 2. Fachsemester „fiktiv“ zugeordnet ist und das in der Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin mit insgesamt 313 DS angesetzt wurde, kapazitätsrechtlich nicht beanstandet.
16Vgl. im Einzelnen: VG Aachen, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 10 Nc 9/22 -, juris, Rn. 24 ff.
17c. Unter Berücksichtigung eines Dienstleistungsexports für die Lehreinheit Zahnmedizin von 24,07 DS sowie eines weiteren Dienstleistungsexports für die neuen Studiengänge „Hebammenwissenschaft“ und „Klinische Psychologie und Psychotherapie“ von insgesamt 12,44 DS ergibt sich ein bereinigtes jährliches Lehrangebot von ([313 DS - 36,51 DS = 276,49 DS] x 2 =) 552,98 DS.
18Vgl. im Einzelnen: VG Aachen, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 10 Nc 9/22 -, juris, Rn. 50 ff.
19d. Dieses bereinigte jährliche Lehrangebot von 552,98 DS ist durch den gewichteten Curricularanteil von 1,98 zu dividieren. Ausgehend hiervon hat die Kammer eine jährliche Aufnahmekapazität von gerundet 279 Studienanfängern ermittelt (552,98 : 1,98 = 279,282828). Unter Berücksichtigung eines Schwundausgleichsfaktors von 0,98 ergab sich bei einer rechnerisch ermittelten Zulassungszahl von 279 für das Wintersemester 2022/2023 im Ergebnis eine Studienanfängerzahl von gerundet 285 (279 : 0,98 = 284,693878).
20Vgl. im Einzelnen: VG Aachen, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 10 Nc 9/22 -, juris, Rn. 71 ff., 77 ff., 83.
212. Diese Rechtsprechung der Kammer ist in verschiedenen Beschwerdeverfahren durch das OVG NRW überprüft und im Ergebnis bestätigt worden.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Februar 2023 - 13 B 23/23 u. a. -, Bl. 2 ff. des Beschlussabdrucks (unveröffentlicht).
233. Für das vorliegend relevante Sommersemester 2023 folgt hieraus, dass auch die für das 2. Fachsemester verordnungsrechtlich festgesetzte Zulassungszahl von 281, die auf der Kapazitätsberechnung für das (gesamte) Studienjahr 2022/2023 fußt, im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
24Unter Zugrundelegung eines nach dem sog. Hamburger Modell für fünf aufeinanderfolgende Stichprobensemester (Wintersemester 2019/2020 bis Wintersemester 2021/2022) unter Berücksichtigung von vier der Regelstudienzeit in der Vorklinik des Regelstudiengangs entsprechenden Fachsemestern ermittelten Schwundausgleichsfaktors von 0,98 ergibt sich eine durchschnittliche semesterliche Übergangsquote von 98,6546 %.
25Vgl. hierzu schon VG Aachen, Beschluss vom 21. Juni 2022 - 10 L 272/22 -, juris, Rn. 22 ff.
26Diese zugrunde gelegt errechnet sich ausgehend von 285 Studienanfängerplätzen für das 2. Fachsemester im Sommersemester 2023 eine Kapazität von gerundet 281 Studienplätzen (285 x 98,6546 % = 281,16561).
274. Die demnach im 2. Fachsemester vorhandenen 281 Studienplätze sind durch die nach der Mitteilung der Antragsgegnerin vom 19. April 2023 (Stand: 19. April 2023) eingeschriebenen 283 Studierenden, darunter 3 Beurlaubte, im Ergebnis kapazitätsdeckend besetzt.
28a. Bei der Beurteilung der kapazitätsdeckenden Vergabe von Studienplätzen kommt es grundsätzlich - ebenso wie bei der Berechnung der Schwundquote,
29vgl. hierzu etwa OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2020 - 13 C 73/19 -, juris, Rn. 7 f., -
30auf den Bestand der im betreffenden Studiengang eingeschriebenen Studierenden an, zu dem auch Studierende gehören, die beurlaubt sind. Studienplätze sind dementsprechend grundsätzlich auch dann kapazitätsdeckend vergeben (und nicht mehr „frei“), wenn sich Studierende beurlauben lassen.
31Vgl. Bay. VGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 7 CE 13.10024 -, juris, Rn. 12, vom 21. Oktober 2013 - 7 CE 13.10252 u. a. -, juris, Rn. 15, und vom 28. Oktober 2013 - 7 CE 13.10355 u. a. -, juris, Rn. 10; Nds. OVG, Beschlüsse vom 28. April 2010 - 2 NB 159/09 -, juris, Rn. 11, vom 16. April 2014 - 2 NB 145/13 -, juris, Rn. 31, vom 14. September 2016 - 2 NB 384/15 -, juris, Rn. 18, und vom 14. November 2018 - 2 LC 1786/17 -, juris, Rn. 23; Saarl. OVG, Beschluss vom 17. Mai 2017 - 1 B 338/17.NC u. a. -, juris, Rn. 8; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 14. Oktober 2019 - 6 B 11209/19 -, juris, Rn. 19.
32Beurlaubte Studierende sind deshalb in ihrer Ursprungskohorte weiterzuführen, auch wenn sie aktuell keine Lehrleistungen in Anspruch nehmen.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2020 - 13 C 73/19 -, juris, Rn. 9; Nds. OVG, Beschlüsse vom 16. April 2014 - 2 NB 145/13 -, juris, Rn. 31, und vom 14. November 2018 - 2 LC 1786/17 -, juris, Rn. 23.
34Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich Studierende bereits im 1. Fachsemester immatrikuliert haben und beurlauben ließen und sie (aus verwaltungstechnischen Gründen) in einem folgenden 1. Fachsemester erneut zum Bestand gerechnet werden. Eine solche „Mehrfachzählung“ von Studierenden als Studienanfänger im 1. Fachsemester ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der erschöpfenden Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten nicht vereinbar, da sie zur Folge hätte, dass diese Studierenden ohne sachlichen Grund wiederholt die für Studienanfänger vorgesehenen und neu zu vergebenden Studienplätze im 1. Fachsemester „blockieren“ würden.
35Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 21. Oktober 2013 - 7 CE 13.10252 u. a. -, juris, Rn. 15; Saarl. OVG, Beschluss vom 17. Mai 2017 - 1 B 338/17.NC u. a. -, juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 18. November 2014 - 2 NB 391/13 -, juris, Rn. 14; VG Aachen, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 10 L 780/22 -, juris, Rn. 88 ff., 94.
36Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben, weil die beurlaubten Studierenden nicht dauerhaft Studienanfängerplätze blockieren, sondern vielmehr im 2. Fachsemester geführt werden. Dafür, dass dem Rechtsfehler zugrunde liegen, fehlt es an Anhaltspunkten.
37b. Ungeachtet dessen - und selbstständig tragend - ist die Kapazität im 2. Fachsemester im Ergebnis auch deswegen erschöpft, weil in den ersten vier - der Regelstudienzeit in der Vorklinik des Regelstudiengangs entsprechenden - Fachsemestern tatsächlich 568 Studierende eingeschrieben sind bei einer festgesetzten Kapazität von insgesamt (nur) 554.
38Nach der für Zulassungsbeschränkungen in höheren Fachsemestern und damit auch hier einschlägigen Regelung des § 34 Abs. 3 VergabeVO NRW (i. V. m. § 34 Abs. 1 Satz 2 VergabeVO NRW) gilt, dass sich dann, wenn die für ein höheres Fachsemester festgesetzte Zahl der Studienplätze durch die Zahl der Rückmeldungen überschritten wird, die Zulassungszahlen für die anderen Fachsemester, und zwar vorrangig für das jeweils höchste Fachsemester, entsprechend verringern.
39Für das 4. Fachsemester im Sommersemester 2023 ist durch das MKW im Verordnungsweg die Kapazität auf 273 Studierende festgesetzt worden. Tatsächlich eingeschrieben sind im 4. Fachsemester insgesamt 284 Studierende. Selbst dann, wenn man die drei im 2. Fachsemester beurlaubten Studierenden unberücksichtigt ließe und nur eine kapazitätserschöpfende Besetzung von 280 Studienplätzen annähme, würde der hierdurch im 2. Fachsemester frei werdende Studienplatz aufgrund der Übersetzungen in höheren Fachsemestern vollständig aufgezehrt. Eine freie und zur Verteilung bzw. Verlosung anstehende Kapazität verbliebe mithin selbst dann nicht.
40II. Der weiter hilfsweise beantragten vorläufigen Zulassung jedenfalls für einen vorklinischen Ausbildungsabschnitt steht schließlich bereits entgegen, dass es in dem von der Antragsgegnerin angebotenen Modellstudiengang Humanmedizin - abweichend vom Regelstudiengang - einen solchen Ausbildungsabschnitt gerade nicht gibt.
41Vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 18. November 2020 - 2 NB 247/20 -, juris, Rn. 14 f.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 3. November 2017 - OVG 5 NC 20/17 -, juris, Rn. 15.
42C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
43D. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt, dass die begehrte Entscheidung die Hauptsache vorwegnimmt.