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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
2Der 1991 geborene Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner im Jahr 2012 vollzogenen Einbürgerung.
3Der Kläger stellte unter dem 1. Dezember 2011 bei der Stadt X. einen Antrag auf Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft. Dabei gab er unter anderem an, die marokkanische Staatsbürgerschaft zu besitzen, sich seit seiner Geburt in X. aufzuhalten und seinen schulischen Werdegang in Deutschland absolviert zu haben. Zum Zeitpunkt der Antragstellung absolvierte er ein Informatikstudium an der Fachhochschule und bezog Leistungen nach dem BAföG. Unter Ziffer 11. des Antrags befand sich ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, das mit "Loyalitätserklärung" überschrieben war. Darin findet sich unter Ziffer 2. a) der vorgedruckte Text: "Ich erkläre, dass ich keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind." Auf der gleichen Seite des Antrags leistete der Kläger seine Unterschrift.
4Im Zuge der Bearbeitung wurde dieser Antrag an die zuständige Ausländerbehörde des Beklagten weitergeleitet. Diese fragte beim damaligen Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) an, ob Erkenntnisse zum Kläger vorlägen. Mit Schreiben vom 18. April 2012 teilte das MIK mit, dass aus Sicht des Verfassungsschutzes keine Erkenntnisse vorlägen, die gegen eine Einbürgerung sprechen könnten. Aus dem Prüfvermerk des Beklagten vom 24. April 2012 ergibt sich, dass die vorzunehmende Einbürgerung wegen unzumutbarer Entlassungsbedingungen bzw. Versagung der Entlassung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfolgen sollte.
5Am 2. Mai 2012 wurde dem Kläger nach Leistung des nach § 16 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) vorgesehenen feierlichen Bekenntnisses durch die Stadt X. die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt.
6Im September 2012 reiste der Kläger nach Alexandria in Ägypten und im Februar 2013 von dort aus nach Syrien.
7Unter dem 7. Oktober 2013 kontaktierte das MIK erstmals das Ausländeramt des Beklagten hinsichtlich des Klägers und bat unter Bezugnahme auf einen "Ausreisesachverhalt" um Mitteilung der Grundpersonalien und des Einbürgerungsdatums.
8Mit Schreiben vom 6. März 2017 und 13. März 2017 informierte das MIK den Beklagten unter Vorlage des Haftbefehls vom 22. Dezember 2016, dass gegen den Kläger durch den Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung geführt werde. Aus diesem Verfahren sei bekannt, dass der Kläger bereits im Jahr 2012 Mitglied der in Euskirchen ansässigen muslimischen Gruppierung "DAWA EU" gewesen sei. Es bestehe der Verdacht, dass die Einbürgerung aufgrund der Abgabe einer "falschen Loyalitätserklärung" erfolgt sei. Der Kläger sei Domaininhaber der Internetseite www.dawa-eu.de gewesen, die unter der Rubrik "Partnerlinks" unter anderem auf die Seiten www.EinladungzumParadies.de, www.diewahrereligion.de,www.diewahrheitimherzen.net sowie www.salaf.de verwiesen habe. Seit Ende 2011 habe DAWA EU regelmäßig Infostände und Koranverteilungen in Euskirchen durchgeführt.
9Mit Schreiben vom 13. März 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, die Einbürgerung zurückzunehmen, weil sie sowohl durch arglistige Täuschung als auch durch vorsätzliche unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt worden sei. Der Kläger sei bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung aktives Mitglied in einer radikalislamistischen Organisation gewesen.
10Der Kläger, vertreten durch seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten, teilte dem Beklagten unter dem 27. Marz 2017 mit, dass er kein Gedankengut hege oder gehegt habe, das den Werten der freiheitlich demokratischen Grundordnung zuwiderlaufe. Er sei nicht Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen. Selbst wenn dies jedoch im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen der Fall gewesen sein sollte, fehle es an einer Prüfung, mit welchem Vorsatz und zu welchem Zeitpunkt er Mitglied geworden sei.
11Mit Bescheid vom 30. März 2017, dem Kläger übergeben am 1. April 2017, nahm der Beklagte die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, es lägen zwischenzeitlich Tatsachen vor, wonach die Behörde berechtigt sei, die Einbürgerung nach § 35 Abs. 1 2. HS 1. Alt. StAG zurückzunehmen. Die Einbürgerung sei rechtswidrig gewesen, weil sie durch arglistige Täuschung erwirkt worden sei. Der Kläger sei bereits im Sommer 2011 Mitglied der muslimischen Gruppierung DAWA EU gewesen und habe sich in diesem Zusammenhang radikalisiert. Zudem sei er Domaininhaber der Internetseite www.dawa.eu.de gewesen, die Werbefilme für den Islam ins Internet gestellt und öffentliche Werbeaktionen durchgeführt habe. Er habe als Domaininhaber eine wesentliche Führungsfunktion ausgeübt. Der Kläger sei im Herbst 2012 über Ägypten und die Türkei nach Syrien ausgereist, um sich dort zunächst der terroristischen Jabhat al-Nusra (JaN), einer terroristischen Vereinigung im Ausland im Sinne des § 129 b StGB, und sodann der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG) anzuschließen und an Kampfeinsätzen teilzunehmen. Zu diesem Zweck habe er auch ein paramilitärisches Grundtraining absolviert. Am 12. November 2016 sei er nach Deutschland zurückgekehrt und hier in Untersuchungshaft genommen worden. Die mindestens seit dem Jahr 2011 bestehende aktive, über mehrere Jahre hinweg andauernde Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sei nicht mit den Grundsätzen der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Einklang zu bringen. Diese Aktivitäten habe der Kläger bewusst im Einbürgerungsverfahren verschwiegen. Er habe sich im Gegenteil im Zuge der am 1. Dezember 2011 abgegebenen Loyalitätserklärung ausdrücklich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt. Weiterhin habe er unmittelbar vor der Einbürgerung am 2. Mai 2012 ein feierliches Bekenntnis dahingehend abgegeben, dass er das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik achten und alles unterlassen werde, was der Bundesrepublik schaden könne. Der Kläger habe die Behörde somit im Rahmen seines Einbürgerungsverfahrens mehrfach getäuscht. Er habe entscheidungserhebliche Angaben gemacht, deren Unrichtigkeit ihm seit langem bewusst gewesen sei. Zudem habe er wahre Tatsachen, nämlich den Umstand, dass er seit 2011 führendes Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen sei, bewusst verschwiegen. Die unrichtigen Angaben seien kausal für die Einbürgerung gewesen.
12Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme seien die privaten Belange des Klägers und die öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen. Dabei sei festzustellen, dass der Kläger zwar in Deutschland geboren und zur Schule gegangen sei und seine Einbürgerung bereits fast fünf Jahre zurückliege, jedoch sei er nicht erwerbstätig und eine Integration aufgrund der terroristischen Vergangenheit nicht gelungen. Das Ablehnen der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Verbindung mit einer aktiven Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Verbindung mit der Ausübung von Schwerstkriminalität verbiete geradezu eine Ermessensentscheidung im Sinne des Klägers. Er werde durch die Ausbürgerung auch nicht staatenlos, da die Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit vorgenommen worden und der Kläger somit nach wie vor marokkanischer Staatsbürger sei.
13Gegen diese Rücknahmeverfügung hat der Kläger am 3. April 2017 Klage erhoben.
14Zur Begründung der Klage trägt er vor, seine Ausreise nach Syrien und die dortigen Vorkommnisse wiesen keine Relevanz für die Rücknahmeverfügung auf, da sie sich nahezu ein Jahr nach der Einbürgerung ereignet hätten. Maßgeblich sei allein seine innere Haltung zum Zeitpunkt der Abgabe der Loyalitätserklärung bzw. des Bekenntnisses nach § 16 StAG. Der Verfassungsschutz habe in seinem Behördenzeugnis angegeben, eine Radikalisierung sei nach seiner Ausreise in Ägypten erfolgt. Dorthin habe er sich zunächst ausschließlich in der Absicht begeben, die arabische Sprache zu lernen. Wenn es ihm von Beginn an um eine Reise nach Syrien gegangen wäre, würde er die damit verbundenen Anstrengungen nicht unternommen haben. Der kurze Zeitraum, den seine Radikalisierung in Anspruch genommen habe, sei ausweislich einer Analyse der Sicherheitsbehörden nicht ungewöhnlich. Auch das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf habe im Strafurteil ausgeführt, er habe während seines Aufenthalts in Ägypten die Einstellung entwickelt, dass es seine Pflicht sei, die sunnitischen Muslime in Syrien durch Teilnahme an dem bewaffneten Kampf gegen das dortige Regime zu unterstützen. Entsprechend sei die vor der Einbürgerung eingeholte Auskunft des Verfassungsschutzes negativ ausgefallen.
15Die Ausführungen des Beklagten, die Gruppierung DAWA EU habe eine radikalislamistische Ideologie verfolgt, seien nicht ausreichend substantiiert. Es sei weder erkennbar, aufgrund welcher Aktivitäten und Inhalte die Gruppierung eine radikalislamistische Ideologie verfolge, noch dass er sich diese zu Eigen gemacht habe. Sämtliche Organisationen, die auf der Internetseite von DAWA EU verlinkt gewesen seien, seien in den Jahren 2011 und 2012 erlaubt gewesen. Die Mitglieder von DAWA EU hätten mit den Aktionen zur Koranverteilung Aufklärungsarbeit über den Islam und einen Beitrag zum Abbau von Vorbehalten und Ängsten gegen Muslime leisten wollen. Es habe kein Anlass bestanden, davon auszugehen, dass sie sich damit verfassungsrechtlich relevant betätigen könnten. Die Gruppierung habe keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt.
16Auch sei nicht erkennbar, inwiefern der Kläger als Domaininhaber eine wesentliche Führungsposition innegehabt haben könne. Das OLG Düsseldorf habe festgestellt, dass der Zeuge A. , eine Vertrauensperson des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, innerhalb der Gruppe unter anderem die Verantwortung für die Internetseite übernommen habe. Die Wertung, dass der Kläger sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt radikalisiert habe, basiere im Wesentlichen auf den Angaben des Zeugen A. , der im Strafverfahren als nicht glaubwürdig eingestuft worden sei.
17Die geringfügigen Spenden an die Aktion LIES! seien zu einem Zeitpunkt erfolgt, als diese noch nicht verboten gewesen sei.
18Selbst wenn er durch seine Mitgliedschaft bei DAWA EU und seine Geldspenden salafistische Bestrebungen unterstützt haben sollte, sei ihm dies nicht bekannt gewesen.
19Der Beklagte sei beweispflichtig für die Täuschung über die Verfassungstreue, habe jedoch keine Beweise vorgelegt. Der Kläger habe den Beklagten nicht getäuscht. Er sei keiner besonderen Befragung seitens des Beklagten unterzogen worden, sondern habe lediglich den gesamten Einbürgerungsantrag, der auch die vorgedruckte "Loyalitätserklärung" enthalte, unterschrieben. Der Beklagte verkenne zudem die Reichweite der Religions- und Meinungsfreiheit.
20Im Übrigen könne aus der Rückkehr des Klägers nach Deutschland der Schluss gezogen werden, dass er sich ideologisch von den dortigen Gruppierungen abgewandt habe. Auch distanziere er sich ausdrücklich von einer salafistischen Ausrichtung des Islam und seiner Interpretation in kriegerischer Form. Er nehme regelmäßig am Aussteigerprogramm Islamismus des Landes Nordrhein-Westfalen teil und beginne im September 2022 eine Ausbildung.
21In der mündlichen Verhandlung ergänzt der Kläger im Wesentlichen, er habe wegen seiner IT-Kenntnisse die Domain dawa-eu.de auf die Bitte des Zeugen I. hin angemeldet. Inhalte habe er jedoch keine eingestellt. Es seien einige junge Leute zusammengekommen, die kein Arabisch gesprochen und es daher gut gefunden hätten, zu den Veranstaltungen eines deutschsprachigen Predigers einzuladen. Daher rühre auch der Name. Die Sache habe sich dann entwickelt. Mangels theologischer Schulung seien sie keiner bestimmten Richtung gefolgt. Auf der Seite seien verschiedene Videos über unterschiedliche Themen eingestellt worden. Was genau verlinkt worden sei, wisse er nicht mehr, er wisse jedoch, dass es keine bestimmte Richtung gegeben habe. Radikalere Inhalte seien nach seiner Ausreise eingestellt worden, was genau, wisse er nicht mehr. Sein Bruder L. und der Zeuge I. seien für das Einstellen der Inhalte verantwortlich gewesen. Pierre Vogel kenne er dem Namen nach, U. kenne er nicht. An Koran-Verteilaktionen habe er nie teilgenommen; er sei durch sein Studium sehr eingespannt gewesen.
22Der Kläger beantragt,
23die Rücknahmeverfügung des Beklagten vom 30. März 2017 aufzuheben.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung führt er unter Vertiefung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren aus, die Einstellung, es sei gerechtfertigt, seine politischen Ziele mit Waffengewalt durchzusetzen, sei das Ergebnis eines persönlichen Entwicklungsprozesses. Es sei davon auszugehen, dass bereits im Zeitpunkt der Einbürgerung entsprechendes Gedankengut vorhanden gewesen sei. Dafür spreche auch eine Stellungnahme des Landeskriminalamts vom 27. November 2019, wonach als Ergebnis von Ermittlungen festgestellt worden sei, dass der Kläger im November 2011 und Februar 2012 Zahlungen auf ein Konto zugunsten eines Verlags in Ulm getätigt habe, die der Person Ibrahim Abou-Nagie und dessen Verein "Die wahre Religion" zugedacht gewesen seien. Zudem sei der Kläger seit Oktober 2009 Inhaber der Domain www.alhijra.de gewesen, die sich bereits vor dem Ausbruch des militärischen Konflikts in Syrien in den Dienst der Mobilisierung und Rekrutierung von Personen islamischen Glaubens für die Idee der "Auswanderung" gestellt habe.
27In der mündlichen Verhandlung ergänzt die Vertreterin des Beklagten im Wesentlichen, dass die in dem angefochtenen Bescheid angeführten Gründe Erwägungen seien, die jeweils alleine die Rücknahme der Einbürgerung trügen.
28Mit Beschluss vom 9. Oktober 2017 hat die Kammer im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ruhend gestellt und es mit Verfügung vom 23. April 2019 wieder aufgenommen, nachdem der Kläger durch das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 17. Januar 2019 zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden war.
29Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. , I. , J. und E. . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
30Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der beigezogenen Akten im Verfahren vor dem OLG Düsseldorf (3 OJs 54/17) und zum Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln zum Aktenzeichen 961 Js 780/13 verwiesen.
31Entscheidungsgründe
32Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
33Die angefochtene Rücknahmeverfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
34Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung ist § 35 Abs. 1 Alt. 1 StAG. Danach kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.
35Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahmeverfügung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist der Kläger vor Erlass des Bescheids ordnungsgemäß im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört worden.
36Der angefochtene Bescheid erweist sich auch als materiell-rechtlich rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen vor. Die Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig (dazu unter I.) und ist durch arglistige Täuschung erwirkt worden (dazu unter II.).
37I. Die Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig, weil sie gegen § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verstieß.
38Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung u.a. ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
39Die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes sind vorliegend gegeben. Tatsächliche Anhaltspunkte rechtfertigen hier die Annahme, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Einbürgerung Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren (hierzu unter 1.). Er hat auch nicht glaubhaft gemacht, sich von der Unterstützung dieser Bestrebungen abgewandt zu haben (hierzu unter 2.).
401. Es liegen tatsächliche Anhaltpunkte vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger als Mitglied der Gruppierung DAWA EU bereits im Zeitpunkt der Stellung seines Einbürgerungsantrags im Dezember 2011 bzw. bei Aushändigung der Einbürgerungsurkunde im Mai 2012 Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren.
41Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Grundprinzipien der politischen Ordnungs- und Wertvorstellungen, auf denen die Bundesrepublik Deutschland beruht, zu beeinträchtigen.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 15; vgl. auch die Legaldefinition in § 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c BVerfSchG.
43Unterstützen ist jede Handlung des Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist, d. h. sich in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein. Er muss zudem zum Vorteil der genannten Bestrebung handeln wollen.
44Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 2012 - 5 C 1.11 -, juris, Rn. 19, und vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 16, m.w.N.
45Der Ausschlussgrund der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 StAG führt zu einer Vorverlagerung des Sicherheitsschutzes. Es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht einer Unterstützung. Eines Nachweises, dass es zu einer Unterstützung derartiger Bestrebungen gekommen ist, bedarf es nicht.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 15 und 18; OVG Hamburg, Urteil vom 2. Dezember 2021 ‑ 5 Bf 294/19 -, juris, Rn. 37, m.w.N.
47Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zudem nur und erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 1.11 -, juris, Rn. 20; OVG Hamburg, Urteil vom 2. Dezember 2021 - 5 Bf 294/19 -, juris, Rn. 37, m.w.N.; OVG Thüringen, Beschluss vom 23. März 2021 ‑ 3 ZKO 384/19 -, juris, Rn. 11, m.w.N.
49Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des Ausländers selbst ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Dies gilt auch für eine Organisation, die sich selbst - wie möglicherweise die Gruppierung DAWA EU - nicht als politische Vereinigung, sondern als islamisch religiöse Gemeinschaft versteht. Voraussetzung ist, dass sich diese Gemeinschaft nicht auf religiöse und soziale Ziele und Aktivitäten beschränkt, sondern - und sei es als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses - auch weitergehende politische, verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 18 f., m.w.N.
51Hinsichtlich der Beurteilung des Unterstützens verfassungsfeindlicher Bestrebungen steht der Einbürgerungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu. Vielmehr unterliegt das Vorliegen des Ausschlussgrundes für die Einbürgerung in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.
52Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 17.
53Ausgehend von diesen Maßstäben liegen zur Überzeugung der Kammer (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen seitens des Klägers vor. Dieser war Mitglied einer Gruppierung, die - jedenfalls teilweise - salafistisches Gedankengut vertrat (hierzu a.), und hat als solches entsprechende, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen unterstützt (hierzu b.).
54a. Politisch- und jihadistisch-salafistische Bestrebungen sind zu den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen zu zählen.
55Vgl. etwa OVG Hamburg, Urteil vom 2. Dezember 2021 - 5 Bf 294/19 -, juris, Rn. 39; OVG NRW, Urteil vom 14. Januar 2016 - 19 A 1214/11 -, juris, Rn. 39.
56Der Salafismus ist nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden eine besonders radikale islamistische Bewegung in Deutschland. Seit dem Jahr 2011 sind "Salafistische Bestrebungen" in den Verfassungsschutzberichten als bundesweites Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden ausgewiesen. Unter dem Oberbegriff Salafismus versteht man eine vom Wahhabismus beeinflusste, rückwärtsgewandte Strömung innerhalb des Islamismus, die sich an der islamischen Frühzeit orientiert. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und der Prophetentradition (arab. sunna), d.h. den vom Propheten Muhammad überlieferten Aussagen und Handlungen, auszurichten. Dabei kommt bei der Bestimmung dessen, was "wahrhaft islamisch" ist, den sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf al-salih, daher der Begriff Salafismus) eine entscheidende Rolle zu. Diese "rechtschaffenen Altvorderen", zu denen die ersten drei muslimischen Generationen gezählt werden, sollen den Islam in seiner ursprünglichen "Reinheit" vom Propheten übernommen und praktiziert haben. Nach deren Vorbild will der Salafismus das soziale, kulturelle und ökonomische Leben schriftgetreu und kompromisslos sowie in scharfer Abgrenzung zu andersdenkenden Muslimen und neueren Koraninterpretationen rückwärtsgewandt verändern. Spätere Anpassungen seiner Auslegung an veränderte gesellschaftliche und politische Umstände lehnt der Salafismus als "unislamische Neuerungen" (arabisch "bid'a") oder als Verfremdungen kategorisch ab. Sie führten ebenso wie jede Zusammenarbeit mit Nicht-Muslimen zwangsläufig zum "Unglauben" (arabisch "kufr"). Dieser Entwicklung, so die Salafistische Lehre, müsse nun durch eine erneute Hinwendung zum Vorbild der frühen Muslime um den Religionsstifter Einhalt geboten werden. Das Streben der Salafisten nach Wiederherstellung der "ursprünglichen" und "reinen" Religion nach dem Modell der islamischen Frühzeit geht mit der Forderung nach vollständiger Umsetzung der Scharia einher. Nach der salafistischen Ideologie ist die Scharia von Gott gesetztes Recht. Es ist die Gesamtheit der Regeln und Bestimmungen, die im Koran und der Prophetenüberlieferung niedergelegt sind und nach salafistischer Ansicht das Leben der Muslime in allen Aspekten leiten und bestimmen sollen. Die Scharia ist nach salafistischer Ansicht unwandelbar und unaufhebbar. Sie kann nicht menschlichen Erwägungen unterworfen oder hinterfragt werden. Aus diesem Verständnis folgt, dass die Scharia allen anderen Gesetzen über- und vorgeordnet ist. Salafisten verfolgen das Ziel, Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als "gottgewollte Ordnung" angesehen und propagiert wird, umzugestalten. In letzter Konsequenz soll ein islamischer "Gottesstaat" errichtet werden, in dem wesentliche im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantierte Grundrechte und Verfassungspositionen keine Geltung haben. Für Salafisten ist entgegen § 4 Abs. 2 lit. b) des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) Allah der einzige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte ‑ und damit einzig legitime - Gesetz. Demokratie ist in ihren Augen eine falsche "Religion". Gesetze können der salafistischen Ideologie zufolge nur von Gott kommen (Prinzip der göttlichen Souveränität) und niemals vom Volk. Die Volkssouveränität als wesentliches Element der Demokratie westlicher Prägung (vgl. § 4 Abs. 2 lit. a und lit. d BVerfSchG) ist demnach unvereinbar mit dem religiös argumentierenden Salafismus. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten (Gesellschaftsbild, politisches Ordnungssystem, Gleichberechtigung, individuelle Freiheit) den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 -, juris, Rn. 37; OVG NRW, Urteil vom 14. Januar 2016 - 19 A 1214/11 -, juris, Rn. 39 ff., m.w.N.; VG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2016 - 19 E 6426/15 -, juris, Rn. 10 unter Bezugnahme auf die Verfassungsschutzberichte Hamburg 2014, S. 40 f. und Nordrhein-Westfalen 2014, S. 137 f.; VG Weimar, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 K 1129/16 -, juris, Rn. 26 ff. unter Bezugnahme auf "Salafistische Bestrebungen in Deutschland", Hrsg.: Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesbehörden für Verfassungsschutz, Stand: April 2012, S. 6 ff.; VG Aachen, Urteil vom 19. November 2015 ‑ 5 K 480/14 -, juris, Rn. 72.
58Jedenfalls einige Mitglieder der Gruppierung DAWA EU, darunter der Kläger, vertraten nach den vorliegenden Erkenntnissen eine salafistische Ideologie.
59Der Begriff "Dawa" (Aufruf oder Einladung zum Islam) wird von extremistischen Salafisten zur Bezeichnung ihrer Missionierungstätigkeiten genutzt und stellt das grundlegende Betätigungsfeld der Szene dar.
60Vgl. MIK NRW, Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2015, S. 167; Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz, Was ist Islamismus? - Da'wa Arbeit", abrufbar unter: https://www.verfassungsschutz.bayern.de/islamismus/ definition/strategie/dawaarbeit/index.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
61Der Zusatz "EU" stellt den Bezug zur Region Euskirchen her.
62Ob es sich bei den Personen, die die auf der Internetseite www.dawa-eu.de angekündigten Vorträge und Veranstaltungen besuchten, um eine feste Gruppe oder einen losen Zusammenschluss handelte, kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen. Fest steht jedenfalls, dass ein bestimmter Personenkreis - darunter insbesondere der Kläger sowie die Zeugen A. , I. und J. - sich regelmäßig zu den Vorträgen und Veranstaltungen trafen und unter anderem das Verteilen von Flyern, Vorträge und Koranverteilungen organisierten. Der Kläger selbst bezeichnete DAWA EU in seiner Einlassung im Strafverfahren als "einige Brüder, die meisten von ihnen Schüler oder Studenten […], die im Kreis Euskirchen lebte[n] und sahen, wie die muslimischen Jugendlichen in Euskirchen und Umgebung kriminell wurden und im Drogensumpf versanken." Diese "Brüder" hatten eine gewisse Verbundenheit zueinander, die dem Kläger ausweislich seiner Einlassung ein "Wir-Gefühl" vermittelten. Im Folgenden wird daher die Bezeichnung "Gruppierung" verwendet.
63Im Falle einer - hier möglicherweise anzunehmenden - sich im Hinblick auf die Verfassungsfeindlichkeit als inhomogen darstellenden Organisation kann der Mitgliedschaft in ihr und/oder die Tätigkeit für sie keine vergleichbare indizielle Aussagekraft wie bei einer in Bezug auf die Verfassungsfeindlichkeit einheitlich zu beurteilenden Organisation beigemessen werden. In diesen Fällen hängt der begründete Verdacht - vorbehaltlich anderer Anknüpfungstatsachen - vielmehr davon ab, welcher Richtung sich der Ausländer zurechnen lassen muss. Denn das Gesetz fordert mit Rücksicht auf die Höchstpersönlichkeit der Staatsangehörigkeit und des Einbürgerungsanspruchs - wie dargelegt - einen personenbezogenen Verdacht. Dementsprechend ist es erforderlich, im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung des jeweiligen Sachverhalts festzustellen, ob der Ausländer die Organisation als Ganzes einschließlich ihrer einbürgerungsschädlichen Ziele mitträgt oder ob er sich von letzteren glaubhaft distanziert.
64Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24.08 -, juris, Rn. 20.
65Von einem Mittragen durch den Kläger im vorbenannten Sinne ist vorliegend auszugehen. Die salafistische Ausrichtung der Gruppierung bzw. der Teilgruppierung, der der Kläger zuzurechnen war, ergibt sich insbesondere aus deren Betätigungsfeldern sowie deren Beziehung zu anderen Personen und Gruppierungen der salfistischen Szene. Zudem gab auch der Bruder des Klägers, der Zeuge E. , in seiner Einlassung während des gegen ihn und den Kläger gerichteten Strafverfahrens an, dass die Ideologie innerhalb der Moschee und DAWA EU als salafistisch betrachtet werden konnte. Ebenso geht das OLG Düsseldorf in seinem Urteil davon aus, dass die Glaubensrichtung in der Gruppe slalafistisch war.
66Die salafistische Ausrichtung der Gruppierung zeigt sich zunächst an den ausweislich des Vermerks des Polizeipräsidiums Bonn vom 20. Februar 2015 auf deren Internetseite im Sommer 2011 verlinkten "Partnerseiten", mit denen die Gruppierung offenbar sympathisierte. So wurden unter anderem die Websites der Vereine "Einladung zum Paradies" (EzP) und "Die wahre Religion" (DwR) verlinkt.
67Gegen den Verein EzP wurden bereits im Dezember 2010 Durchsuchungen durchgeführt, um den Anfangsverdacht verfassungsfeindlicher Tätigkeiten zu überprüfen,
68vgl. Die Welt, "Großeinsatz bei islamistischen Salafisten-Vereinen", Artikel vom 14. Dezember 2010, abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/article11623788/Grosseinsatz-bei-islamistischen-Salafisten-Vereinen.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022,
69bevor er sich 2011 - und damit deutlich vor der Einbürgerung des Klägers - auflöste.
70Vgl. Der Westen, "Radikalislamischer Verein löst sich auf", Artikel vom 26. August 2011, abrufbar unter: https://www.derwesten.de /panorama/radikalislamischer-verein-loest-sich-auf-id4999860.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
71Der Verein EZP war als "Bestrebung" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu qualifizieren.
72Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. September 2017 - 19 A 2246/15 -, Rn. 36 ff.
73Prominentes Mitglied der EzP war Pierre Vogel, von dem einige Videos auch auf dem Youtube-Kanal von DAWA EU zu finden waren. Vogel wird häufig als "Hassprediger" bezeichnet und vertritt eine salafistische Auslegung des Islam.
74Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Pierre Vogel, abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Vogel, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022; Verfassungsschutz Baden-Württemberg, "Salafistische Netzwerke im Wandel" - Teil 1: Pierre Vogel, abrufbar unter: https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/Serie+_Salafistische+Netzwerke+im+Wandel_+_+Teil+1_+Pierre+VOGEL, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
75Angesichts der Verlinkung des Internetauftritts ist davon auszugehen, dass DAWA EU sich mit den Zielen der EzP identifizierte und diese unterstützte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es zutrifft, dass der Kläger die Seite (allein) administrierte oder er (nur) Domaininhaber war. Denn selbst wenn er nur schlichtes Mitglied der Gruppierung und Domaininhaber gewesen wäre, ist angesichts der Gesamtlage von einer Identifizierung mit den geteilten Inhalten auszugehen.
76Ferner spricht auch die persönliche Beziehung, die einige Mitglieder der Gruppierung augenscheinlich zu Vogel unterhielten, dafür, dass der Gruppierung dessen Ideologie durchaus bekannt war sowie für eine Identifikation mit den von diesem und der EzP propagierten Bestrebungen. Die Bekanntschaft reichte dabei so weit, dass Mitglieder von DAWA EU (nach den Angaben des Zeugen A. in seiner polizeilichen Vernehmung am 28. Juni 2017 möglicherweise auch der Kläger) Pierre Vogel einmal abgeholt und zu seinem DAWA-Zentrum in Münster gefahren haben. Im Zuge dessen seien durch Vogel auch Verhaltenstipps erteilt worden.
77Schließlich zeigt sich die ideologische und persönliche Nähe des Klägers zu Pierre Vogel auch daran, dass der Kläger ausweislich eines Berichts des LKA am 2. Januar 2012 eine Zahlung auf das Konto des Vereins "Muslime aktiv e.V." geleistet hat, über das Pierre Vogel Gelder entgegennahm.
78Vgl. Westfälische Nachrichten, "Salafisten verteilen Gratis-Korane", Artikel vom 10. Januar 2012, abrufbar unter: https://www.wn.de/muenster/salafisten-verteilen-gratis-korane-2075821, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
79Die Vereinigung DWR um den in Köln lebenden salafistischen Prediger Ibrahim Abou Nagie bildete einen Schwerpunkt innerhalb des extremistischen Salafismus. DWR war bundesweit aktiv und betrieb ein eigenes Web-Angebot. Über dort ebenfalls in Erscheinung tretende salafistische Akteure aus Nordrhein-Westfalen sind eindeutig Bezüge zum extremistischen Salafismus erkennbar. DWR erregte Aufsehen durch die Verteilung von deutschsprachigen Koranexemplaren unter dem Kampagnentitel "Lies!". Die Aktionen waren ähnlich wie bei einem Franchise-System organisiert. Eine Zentralstelle leitete an, die Verantwortlichkeit für die Aktionen vor Ort übernahmen jedoch lokale Akteure.
80Vgl. MIK NRW, Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2015, S. 169 f.
81DWR alias "LIES! Stiftung"/"Stiftung LIES" wurde durch den Bundesinnenminister am 15. November 2016 verboten. Das Verbot gegen die Vereinigung wurde ausgesprochen, weil diese sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Bundesweit bringe DWR in Fußgängerzonen jihadistische Islamisten unter dem Vorwand der Werbung für den Islam zusammen.
82Vgl. Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums zum Vereinsverbot der Vereinigung "Die wahre Religion (DWR)" alias "Stiftung LIES" vom 15. November 2016, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/ SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2016/11/vereinsverbot-DwR.html;jsessionid=C9DBD5BF704B5DD29202AE54EC562A7D.2_cid295, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
83Die Affinität von DAWA EU zu DWR zeigt sich nicht nur durch die Verlinkung auf der Internetseite, sondern auch durch Koranverteilungen, die in der Euskirchener Innenstadt durchgeführt wurden. Von diesen finden sich in den Ermittlungsakten der Generalstaatsanwaltschaft Videos, die auf der Internetplattform YouTube veröffentlicht wurden. Vorrangiges Ziel der Koranverteilungen war dabei nicht die tatsächliche Konversion aller in Deutschland lebenden Menschen zum Islam, sondern das Provozieren medialer und staatlicher Reaktionen und die Bindung bereits aufgeschlossener Anhänger. Nach Selbstwahrnehmung und Darstellung von Salafisten geht es beim Umgang der Behörden und der deutschen Öffentlichkeit mit dem Salafismus um eine vermeintliche "Verfolgung" aller Muslime in Deutschland. Dies sei Teil eines globalen Krieges "des Westens" gegen "den Islam".
84Vgl. MIK NRW, Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2015, S. 169 f.
85Entsprechend ging nach einem Bericht des Zeugen A. auch der Kläger davon aus, dass die Aktionen als Provokation genutzt werden sollten, um beispielsweise von Pro NRW angegriffen zu werden und sich dann als Opfer darstellen zu können.
86Die Nähe zur DWR zeigt sich im Zusammenhang mit der Koranverteilung am 17. März 2012 auch daran, dass der Kläger ausweislich des entsprechenden Berichts des Zeugen A. davon ausging, dass das gesamte Team um DWR, wahrscheinlich auch Abou Nagie, zum Stand kommen würde, um für etwaige Konfrontationen gerüstet zu sein. An dem Umstand, dass der Kläger über diese Information verfügte, zeigt sich auch, dass er innerhalb der Gruppierung eine deutlich gewichtigere Rolle einnahm als er im gerichtlichen Verfahren angab; der Zeuge A. hatte ihm in einem Bericht an den Verfassungsschutz bis etwa Mitte 2012 sogar die Leitung der Gruppierung zugeschrieben. Entsprechendes zeigt sich auch daran, dass der Kläger ausweislich des Deckblattberichts des Zeugen A. aus dieser Zeit verärgert reagierte, als dieser ihm zeigte, dass der Termin am 17. März 2012 bereits in einem Facebook-Post der NPD NRW aufgegriffen worden war, da der Termin "nur im internen Bereich von www.dawa-eu.de gestanden habe und mit Ausnahme der ca. 21 Mitglieder niemand hier Zugriff habe". Diese Kenntnis sowie die im Bericht weiter angesprochene Kenntnis, wann der Infostand angemeldet wurde, hätte der Kläger nicht gehabt, wenn er - wie er nunmehr vorgibt - innerhalb der Gruppierung (jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt) keine zentrale Rolle innegehabt hätte. Dazu passt auch, dass der Kläger sich ausweislich eines weiteren Berichts des Zeugen A. im Februar 2012 mit diesem Gedanken über die strategische Ausrichtung der Gruppe gemacht haben soll.
87Für eine ideologische Nähe zur DWR spricht ferner, dass der Kläger ausweislich einer Mitteilung des LKA NRW am 25. November 2011 und am 1. Februar 2012 Zahlungen in Höhe von 34,- und 2,- Euro an ein Vorkassen-Konto zugunsten einer Drucksache (Auftraggeber Abou Nagie) geleistet hat.
88Dass DWR zum Zeitpunkt der Koranverteilungen und der Spenden in den Jahren 2011 und 2012 noch nicht verboten war, steht der Annahme nicht entgegen, dass die Vereinigung bereits zu diesem Zeitpunkt salafistische Ideologien verfolgte und verbreitete und sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung positionierte.
89Im Zusammenhang mit den auf der Homepage von DAWA EU verlinkten Inhalten kann der Aussage des Klägers, radikalere Inhalte, an die er sich aber auch nicht mehr genau erinnere, seien erst nach seiner Ausreise eingestellt worden, ‑ ungeachtet der Frage, ob diese Aussage angesichts des auffallenden Ungleichgewichts hinsichtlich der Qualität der Erinnerung (keinerlei Erinnerung an die vermeintlichen radikaleren Inhalte einerseits, sichere Erinnerung, dass diese erst nach seiner Ausreise eingestellt wurden andererseits) überhaupt belastbar ist - nicht gefolgt werden. Denn die Verlinkungen zu den Homepages (Startseiten) der EzP und der DwR bestanden ausweislich des Vermerks des Polizeipräsidiums Bonn bereits im Sommer 2011 und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger noch in Deutschland und auch nach eigenen Angaben noch Mitglied der Gruppierung war. Da die Homepage dawa-eu.de nach übereinstimmenden Angaben des Klägers und der vernommenen Zeugen zunächst insbesondere der Terminankündigung diente, ist auch davon auszugehen, dass der Kläger die Homepage regelmäßig besuchte und in diesem Zusammenhang auch Gelegenheit hatte, andere - ggfs. durch weitere Personen eingestellte - Inhalte zur Kenntnis zu nehmen. Wäre er mit der Verlinkung u.a. der Homepage der EzP und der DwR nicht einverstanden gewesen, wäre es ihm als IT-Fachmann und Domaininhaber ein Leichtes gewesen, auf deren Entfernung hinzuwirken. Angesichts der Bedeutung, die die Befassung mit der Religion bereits zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben einnahm sowie der vielfältigen Anstöße, die die Gruppe aus mehreren Richtungen durch den Besuch von Veranstaltungen etc. erhielt, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger sich der durch die verlinkten Gruppen vertretenen Ideologien bewusst war.
90Die salafistische Ausrichtung von DAWA EU bzw. der Teilgruppierung, der der Kläger ideologisch zuzuordnen war, zeigt sich neben der Unterstützung dieser beiden Vereinigungen auch an den Tätigkeiten der Gruppierung selbst.
91Im Zuge der von der Gruppierung organisierten Treffen kam es nach den damaligen Berichten des Zeugen A. nicht nur zu antisemitischen und anti-amerikanischen Vorträgen durch den Zeugen I. , sondern auch zu Vorträgen radikal-islamischer Redner. Dabei handelte es sich unter anderem um Y. , der am 21. April 2012 einen über den Facebook-Auftritt von DAWA EU angekündigten Vortrag hielt, an dem auch der Kläger teilnahm. Ahmed referierte ausweislich des entsprechenden Berichts des Zeugen A. über die "Standhaftigkeit der Muslime", die Gewissheit des Siegs und den "Willen des Propheten zur Errichtung des weltweiten Kalifats". Der Moscheevorstand der B1. C2. Moschee in Euskirchen, wo die Gruppierung die Vorträge zunächst stattfinden ließ, kritisierte diese Vorträge, sodass DAWA EU ausweislich der Berichte des Zeugen A. für sich keine Zukunft mehr in den Räumlichkeiten sah und eine private Wohnung anmietete.
92Jedenfalls während der Koranverteilung am 17. März 2012 stellte die Gruppierung zudem eine Spendenkasse für "Syrienspenden" auf, wobei der Kläger ausweislich des Berichts des Zeugen A. darauf hingewiesen habe, dass es sichere Kontoverbindungen gebe, die gewährleisteten, dass das Geld in Syrien ankomme.
93Die salafistische Einstellung des Klägers, die dieser mit in die Gruppe einbrachte, lässt sich auch aus weiteren Umständen folgern. So erhielt der Kläger ausweislich der Ermittlungsakten bereits am 9. März 2011 eine E‑Mail, in der N. L. (jedenfalls später ebenfalls Mitglied der Gruppe) dem Kläger (dieser war in BCC gesetzt) einen englischsprachigen Artikel, in dem u.a. eine jüdische Verschwörung propagiert wird, weitergeleitet hat. Entsprechende antisemitische Äußerungen sind in der salafistischen Szene sehr verbreitet.
94Vgl. etwa: Innenministerium des Landes Brandenburg, "Feinde der Demokratie Antisemiten", Islamistische Antisemiten, abrufbar unter: https://mik.brandenburg.de/mik/de/start/service/publikationen/detail/~01-09-2014-faltblatt-feinde-der-demokratie-antisemiten, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022; Niedersächsischer Verfassungsschutz, "Antisemitismus im Extremismus", S. 28 ff., abrufbar unter: https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/antisemitismus-im-extremismus-neue-kostenlose-broschure-des-niedersachsischen-verfassungsschutzes-veroffentlicht-198353.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
95Zudem war den E. -Brüdern Sven Lau, eine weitere Größe der salafistischen Szene,
96vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Sven Lau, abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Sven_Lau, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022; Spiegel-Online, "Haftstrafe für Salafistenprediger Lau - Niederlage des Verführers", Artikel vom 26. Juli 2017, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/ politik/deutschland/sven-lau-haftstrafe-fuer-salafistenprediger-in-duesseldorf-a-1159862.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022,
97nach den Berichten des Zeugen A. (ebenfalls) persönlich bekannt.
98Die Tätigkeit der Gruppierung DAWA EU war auch darauf angelegt, eine über den Kreis der Gruppenmitglieder hinausgehende Außen- und Breitenwirkung zu erzielen. Zu diesem Zweck wurden Beiträge auf YouTube geteilt, eine Homepage unterhalten, auch Nichtmitglieder zu Vorträgen eingeladen und insbesondere Koranverteilaktionen in der Euskirchener Fußgängerzone vorgenommen.
99Vgl. zur Außenwirkung auch: OVG NRW, Urteil vom 6. September 2017 - 19 A 2246/15 -, Rn. 45.
100b. Der Kläger hat diese gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen auch im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt.
101Wenngleich die erst nach der Einbürgerung entfalteten Aktivitäten, die Gegenstand der strafrechtlichen Verurteilung waren, wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Sinneswandels für sich genommen keinen Rückschluss auf vorgelagerte Aktivitäten erlauben,
102vgl. hierzu VG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2016 ‑ 19 E 6426/15 -, juris, Rn. 14,
103rechtfertigen die Handlungen des Klägers für die Gruppierung DAWA EU und seine salafistische Einstellung jedoch in der Gesamtschau die Annahme einer Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Einbürgerung.
104So war der Kläger, auch nach seinen eigenen Angaben, Inhaber der Domain www.dawa-eu.de. Dass er lediglich die Domain auf seinen Namen registriert, aber keinerlei Einfluss auf die eingestellten Inhalte gehabt habe, ist als Schutzbehauptung zu werten. Nach den Angaben des G. in seiner polizeilichen Vernehmung war der Kläger "Administrator und Informatiker" sowie "Gründungsmitglied" der Gruppierung. Auch der Zeuge A. gab bei verschiedenen Gelegenheiten an, dass der Kläger für die Webseite "verantwortlich" gewesen sei. Ferner berichtete auch T. im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung, dass der Kläger eine Homepage erstellt und dort Videos von gemeinsamen Aktivitäten hochgeladen habe. Dass nach den Feststellungen des OLG Düsseldorf im Strafurteil auch der Zeuge A. für die Internetseite verantwortlich gewesen sein soll, steht dem nicht entgegen, da zum einen hierfür im Urteil kein Zeitraum benannt wird und das OLG zum anderen feststellt, dass der Kläger neben dem Zeugen I. Hauptverantwortlicher der Internetseite gewesen sei. Auch die Aussagen der Zeugen I. , J. und L. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stehen dem nicht entgegen. Ungeachtet der Beurteilung der generellen Glaubhaftigkeit der Aussagen, die u.a. auffallend ähnliche Einstiege aufwiesen, hatte keiner der Zeugen eine Erklärung dafür, weshalb im Ermittlungsverfahren mehrere Personen, deren Verhältnis zum Kläger eher weniger nah war, bekundet haben, der Kläger sei auch für die Inhalte der Homepage (mit‑)verantwortlich gewesen. Dass der Zeuge E. neben dem Zeugen I. im Wesentlichen für die Inhalte der Homepage verantwortlich gewesen sein soll, ist erstmals im Zuge des vorliegenden Verfahrens vorgetragen worden. Angesichts der Tatsache, dass diese Behauptung in den umfangreichen Ermittlungsakten keine Stütze findet, bestehen hieran durchgreifende Zweifel. Ungeachtet dessen hat der Kläger die Bestrebungen der Gruppierung im Zusammenhang mit der Homepage jedenfalls dadurch unterstützt, dass er trotz der Möglichkeit, von etwaigen durch Dritte eingestellten Inhalten Kenntnis zu nehmen, die Homepage (weiterhin) zur Verfügung gestellt und die Verbreitung entsprechender Inhalte dadurch erst ermöglicht hat.
105Hinzu tritt, dass der Kläger ausweislich der Berichte des Zeugen A. jedenfalls am 11. Mai 2012 Flugblätter mit Informationen zur Aktion "Lies" verteilte und am 4. Mai 2012 an einer Vorbesprechung zur Teilnahme an einer gewalttätigen Veranstaltung in Bonn teilnahm, bei der eine Kundgebung der Partei Pro NRW gewaltsam gestört werden sollte. Zu dieser Kundgebung reisten neben 40 Anhängern von Pro NRW gewaltbereite Salafisten aus ganz Deutschland an.
106Vgl. WDR, "Verletzte Polizisten bei Krawallen in Bonn", Bericht vom 6. Mai 2012, abrufbar unter https://www1.wdr.de/archiv/ jahresrueckblick/salafisten154.html, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
107Die Kammer sieht keinen Anlass, die entsprechenden, zeitnah verfassten Berichte des Zeugen A. in Zweifel zu ziehen. Zwar gab der Zeuge im Zuge seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung an, sich insgesamt nur noch bruchstückhaft an die Ereignisse im Zusammenhang mit DAWA EU erinnern zu können. Allerdings waren ihm nach seinen Angaben einzelne Begebenheiten jedenfalls noch ansatzweise erinnerlich, ohne dass er Belastungstendenzen gezeigt hätte oder sich in Widerspruch zu seinen früheren Angaben gegenüber dem Verfassungsschutz oder seiner polizeilichen Vernehmung gesetzt hätte. Hinsichtlich der Verteilung von Flyern gab der Zeuge an, sich zumindest noch erinnern zu können, dass er mit dem Kläger mindestens bei einer Gelegenheit in eine Stadt im Ruhrgebiet gefahren sei, um dort Flyer zu verteilen. Dass der Zeuge bezüglich der konkreten Stadt (Wuppertal oder Essen) unsicher war und auch nicht mehr sicher bezeichnen konnte, welche Flyer genau verteilt wurden, steht der Glaubhaftigkeit der Aussage angesichts des Zeitablaufs von nunmehr rund zehn Jahren nicht entgegen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Erinnerung des Zeugen durch das gegen den Kläger und seinen Bruder geführte Strafverfahren hinsichtlich der vorliegend relevanten Umstände bestenfalls bedingt reaktiviert wurde, da im Strafverfahren primär die Umstände nach der Ausreise des Klägers und seines Bruders maßgeblich waren. Hinzu tritt, dass die Aussage des Zeugen A. im Strafverfahren nunmehr ebenfalls bereits fünf Jahre zurückliegt. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Erläuterung, ob der Zeuge, der auf die Kammer einen eher zurückhaltenden Eindruck machte, möglicherweise auch durch die Anwesenheit der anderen Zeugen beeinflusst worden sein mag. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers in diesem Zusammenhang monierte, von einer entsprechenden Flyerverteilung sei erstmals in der mündlichen Verhandlung die Rede gewesen, trifft dies nicht zu. Entsprechende Angaben hat der Zeuge A. bereits sowohl in seinen Berichten an den Verfassungsschutz (vgl. etwa Bericht vom 24. Mai 2012) als auch im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 28. Juni 2017 gemacht.
108Das Gericht sieht auch im Übrigen keinen Anlass an dem Wahrheitsgehalt der Berichte des Zeugen A. zu zweifeln, die er im Rahmen seiner Tätigkeit an den Verfassungsschutz gemacht hat. Das gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen A. bzw. gegen die Glaubhaftigkeit dessen Angaben gerichtet Vorbringen des Klägers überzeugt nicht. Die von dem Kläger sowohl im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als auch im Strafverfahren geltend gemachten "Inkonsistenzen" zwischen den Berichten des Zeugen A. und den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung beziehen sich primär auf den Zeitraum nach der Reise des Klägers nach Ägypten und Syrien. Insofern konnte der Zeuge A. lediglich über das berichten, was er von anderen Personen gehört, aber nicht mehr selbst miterlebt hatte. Dies stellt sich für den hier maßgeblichen Zeitraum vor der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde und der Geschehnisse rund um DAWA EU anders dar. Insoweit rügt der Kläger vorrangig Inkonsistenzen hinsichtlich der Frage, ob DAWA EU aus der Moschee verwiesen wurde. Der hierzu vom Kläger angeführte vermeintliche Widerspruch rührt allerdings aus einem fehlerhaften Verständnis der Aussage des Zeugen A. . Dieser hat nie behauptet, die Mitglieder der Gruppierung hätten nicht mehr zu den anderen Veranstaltungen der Moschee (auf die der Kläger jedoch abstellt) kommen dürfen, sondern dass es DAWA EU wegen der Radikalität der von diesen organisierten Veranstaltungen nicht mehr gestattet gewesen sei, die Räumlichkeiten der Moschee zu diesen Zwecken nutzen.
109Entgegen der Angaben des Klägers hat auch das OLG Düsseldorf im Strafurteil nicht festgestellt, dass dem Zeugen A. insgesamt kein Glauben zu schenken wäre. Vielmehr heißt es dort auf Seite 23 des Urteilsabdrucks im Zusammenhang mit einem Wiederanschluss des Klägers zur JaN im Mai/Juni 2013: "Anhaltspunkte hierfür ergeben sich lediglich aus der Aussage des Zeugen A. ; diese ist aus Sicht des Senats jedoch insoweit nicht überzeugend." [Hervorhebung nicht im Original]. Im Übrigen lehnte der zuständige Senat den Antrag der Verteidigung auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Person des Zeugen A. mit Beschluss vom 12. Oktober 2018 ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass nach dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. G. sich bei dem Zeugen A. keine psychopathologischen Auffälligkeiten fänden, die Einfluss auf dessen Aussagetüchtigkeit haben könnten. Nach Ansicht des Senats bestünden keine Zweifel an der Aussagetüchtigkeit des Zeugen A. . Auch der Inhalt des gegen diesen geführten Ermittlungsverfahrens wegen falscher Verdächtigung bei der Staatsanwaltschaft Köln (Az. 961 Js 780/13), aus dem der Kläger Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen herbeiführen will, war dem Sachverständigen Prof. Dr. G. bekannt. Ausweislich des Beschlusses des 7. Senats des OLG Düsseldorf vom 20. November 2018 ergaben sich auch aus den Feststellungen in diesem Verfahren keine Anhaltspunkte für eine psychopathologische Störung. Im Übrigen wurde dieses Verfahren zeitlich nach den hier allein relevanten Berichten des Zeugen A. über die Zeit bei DAWA EU geführt.
110Die Kammer sieht keinen Anlass, an der Einschätzung des OLG Düsseldorf zu zweifeln, zumal der Kläger keine relevanten über die bereits im Strafverfahren benannten hinausgehenden Gründe für eine fehlende Glaubwürdigkeit des Zeugen benannt hat. Soweit der Kläger schließlich meint, die Aussagen des Zeugen A. seien zwangsläufig tendenziös, da er ansonsten als Vertrauensperson nicht entlohnt worden wäre, folgt die Kammer dem nicht. Ungeachtet der Frage der Entlohnung von Vertrauenspersonen im Einzelnen liegt es in der Natur der Sache, dass diese für ihre Informationen bezahlt werden, ohne dass dies zu einem generellen Verdacht falscher Verdächtigung führt. Wäre es zutreffend, dass nur im Falle der Bereitstellung belastender Informationen eine Entlohnung erfolgen würde, würde dies den vom Kläger gerügten Fehlanreiz zu falschen Verdächtigungen setzen, an denen die Ermittlungsbehörden erkennbar kein Interesse haben können.
111Die Förderlichkeit seiner Handlungen war für den Kläger erkennbar und es ist auch anzunehmen, dass er zum Vorteil der verfassungsfeindlichen Ziele handeln wollte, die bei DAWA EU propagiert wurden. So ist insbesondere davon auszugehen, dass dem Kläger die salafistische Ausrichtung sowohl der Gruppierung DAWA EU als auch der "Partnerorganisationen" bekannt und von diesem gewünscht war. Bereits am 11. Februar 2012 informierte der Kläger den Zeugen A. ausweislich des entsprechenden Deckblattberichts darüber, dass er - ebenso wie die Zeugen I. und J. - Sorge habe, dass der Staat DAWA EU zerschlagen werde. So seien beim Ordnungsamt Anrufe wegen des Infostandes eingegangen und dem Mitglied N. L. sei im Berufskolleg Eschweiler verboten worden, in den Pausen Vorträge über den Islam zu halten. In diesem Zusammenhang suchte die Gruppierung, darunter der Kläger persönlich, Rat bei einem Rechtsanwalt namens Z. aus Bonn, der ihnen geraten habe, zunächst nicht weiter öffentlich zu agieren. Bei der Besprechung sei man auch zu dem Ergebnis gekommen, dass versucht werden solle, im Hintergrund zu agieren, um ein starkes Netzwerk im Verborgenen aufbauen zu können. Der Umstand, dass u.a. der Kläger im Interesse des Erhalts der Gruppierung einen Rechtsanwalt aufsuchte, zeigt neben dem bereits vorhandenen Problembewusstsein hinsichtlich der durch die Gruppe vertretenen Ideologie auch, dass der Kläger innerhalb der Gruppe eine wesentlichere Rolle einnahm als er im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgegeben hat.
112Die salafistische Einstellung des Klägers zeigt sich zudem an seinem Besuch der "Hochzeit" von U. am 11. Februar 2012 in Neuss. Während dieser war nach Angaben des Zeugen A. in dessen Bericht an den Verfassungsschutz Mohamed Mahmoud alias Abu Usama al-Gharib anwesend, der Nasheeds (Loblieder auf die Mujaheddin, also Jihad-Kämpfer) sang. Der Kläger habe diesen als "Jihad-Bruder" bezeichnet und deutlich gemacht, dass er dessen Ansichten - auch zur Pflicht der Durchführung des Jihad - teile. Dabei habe er den Jihad ausschließlich in kriegerischer Form interpretiert. Mahmoud war Islamist und Anführer der am 29. Mai 2012 durch den Bundesminister des Innern in Deutschland verbotenen Organisation "Millatu Ibrahim".
113Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2012, S. 230 ff.
114Nach seiner Ausreise aus Deutschland schloss er sich dem Islamischen Staat (IS) an und starb wahrscheinlich 2018 in Syrien.
115Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Mohamed Mahmoud, abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Mohamed_Mahmoud, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
116Die Kammer hat auch insoweit keinen Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit des Berichts des Zeugen A. , auch wenn dieser in der mündlichen Verhandlung angab, sich nicht mehr erinnern zu können, und keiner der anderen Zeugen Kenntnis von dieser Hochzeit bekundete. Dass der Kläger eine Teilnahme an der Hochzeit sowie die generelle Kenntnis der Person U. bestreitet, erklärt sich dadurch, dass er erkennbar kein Interesse daran hat, mit Personen aus der salafistischen Szene in Verbindung gebracht zu werden. Da die übrigen Zeugen nach Kenntnis des Gerichts keine Gäste auf der Hochzeit waren, ist es nachvollziehbar, dass auch diese keine Informationen hinsichtlich einer etwaigen Teilnahme des Klägers hatten. Angesichts des Detailreichtums des Berichts an den Verfassungsschutz hinsichtlich äußerer wie innerer Umstände der Feierlichkeiten sowie des Umstandes, dass auch weniger relevante Informationen mitgeteilt wurden, erscheint der Bericht des Zeugen A. glaubhaft. Die Angabe des Zeugen in der mündlichen Verhandlung, sich diesbezüglich nicht mehr zu erinnern, lässt sich durch den Zeitablauf erklären. Da im Verfahren vor dem OLG Düsseldorf die Geschehnisse vor der Ausreise des Klägers eine untergeordnete Rolle gespielt haben, ist auch nicht davon auszugehen, dass das Gedächtnis des Zeugen in diesem Zusammenhang aufgefrischt worden wäre. Hinzu kommt, dass selbst bis zur Vernehmung des Zeugen im Verfahren vor dem OLG Düsseldorf bereits fünf Jahre seit der in Rede stehenden Feierlichkeit vergangen waren.
117Neben seinen Handlungen für die Gruppierung DAWA EU überwies der Kläger bereits am 2. Januar 2012 unter dem Verwendungszweck "81" einen Betrag von 3,‑ Euro an den Verein "Muslime Aktiv e.V.". Hierzu hatte der Salafist Pierre Vogel auf seiner Internetseite aufgerufen. Die Gelder würden seinen Auftritten und Aktivitäten dienen.
118Vgl. Westfälische Nachrichten, "Salafisten verteilen Gratis-Korane", Artikel vom 10. Januar 2012, abrufbar unter: https://www.wn.de/muenster/salafisten-verteilen-gratis-korane-2075821, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
119Zudem gingen Zahlungen des Klägers in Höhe von 34,- Euro (25. November 2011), 2,- Euro (1. Dezember 2011) und 1,- Euro (10. Januar 2012) auf ein Vorkassen-Konto zugunsten einer Drucksache (Koranvervielfältigungen) beim CPI-Verlag ein. Dortiger Auftraggeber war Ibrahim Abou Nagie, Mitglied der Vereinigung DWR.
120Die Zahlungen an Personen bzw. Vereinigungen, die offenkundig eine salafistische Ideologie vertreten und verbreiten, sind - unabhängig von ihrer Höhe - als Unterstützungshandlung zu werten, da die Zuwendung finanzieller Mittel sich für diese förderlich auswirkt. Da der Kläger die Überweisungen auf die entsprechenden Konten unter Angabe einschlägiger Verwendungszwecke getätigt hat, ist davon auszugehen, dass er die Tätigkeit gerade dieser Vereinigungen und Personen bewusst fördern wollte - anders als dies etwa für Spenden anlässlich des Freitagsgebets gelten mag.
121Vgl. hierzu OVG Bremen, Beschluss vom 11. September 2018 ‑ 1 LA 78/17 -, juris, Rn. 7.
122Soweit der Kläger vorbringt, es habe sich um rein projektbezogene Spenden gehandelt, ohne dass er in allen Positionen mit den Personen oder dem Verein hinter dem Projekt übereinstimme, folgt die Kammer dem nicht. Wenngleich die klägerische Behauptung, er habe durch die Spenden lediglich den Abbau von Vorurteilen fördern wollen, bei isolierter Betrachtung nachvollziehbar und für andere Personen, die sich mit dem Thema nicht weiter auseinandergesetzt haben, zutreffend sein mag, gilt dies angesichts der vorstehend geschilderten Gesamtumstände jedenfalls im Falle des Klägers nicht. Dass er "viele Positionen des Vereins und der Personen [,] die damit in Verbindung gebracht werden" auch damals schon kritisiert habe, ist nicht nachgewiesen. Im Gegenteil belegen das klägerische Engagement für die Gruppierung und insbesondere das Verhalten des Klägers auf vorgenannter Hochzeitsfeier, dass er schon zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung den Ansichten der die Projekte initiierenden Personen durchaus zugeneigt war. Selbst wenn die Spenden zugunsten des CPI-Verlags sich auf "neutrale" Koranübersetzungen (ohne Kommentare oder Werbung) bezogen und zu einem Zeitpunkt erfolgten, als die "Lies!"-Kampagne noch nicht verboten war, kam es dem Kläger angesichts der übrigen Umstände zur Überzeugung der Kammer gleichwohl darauf an, die salafistische Gesinnung zu verbreiten. Wie bereits ausgeführt, dienten die Koranverteilungen nicht allein dem Wunsch, bei Andersgläubigen Verständnis für die islamische Religion zu wecken.
123Hinzu kommt, dass eine Spende den Empfänger nicht nur wirtschaftlich unterstützt, sondern in der Regel anzunehmen ist, dass der Spender dessen Ziele und Ideologie unterstützt und somit auch eine ideelle Unterstützung erfolgt.
124Schließlich war der Kläger nach den Ermittlungen des LKA Inhaber der Domain www.alhijra.de, die zuletzt im Jahr 2009 aktualisiert wurde. Auf dieser Internetseite wurden Informationen angekündigt hinsichtlich Ländern, in die eine islamische Auswanderung erfolgen könne - einschließlich einer Liste mit Ansprechpartnern vor Ort. Soweit der Kläger in seiner mit Schriftsatz vom 11. Januar 2021 eingegangenen schriftlichen Stellungnahme vorbringt, die Homepage habe er aus der Idee heraus geschaffen, dass er "Erfahrungsberichte" von ausgewanderten Muslimen sammeln "und somit sich selbst und anderen einen sachlichen Einblick und Vergleich der Lebensumstände in den verschiedenen Ländern" ermöglichen wolle in einer Zeit, in der viele Muslime sich zunehmend diskriminiert gefühlt hätten, ist dem nicht zu folgen. Der Zeitraum, auf den der Kläger sich bezieht, umfasst die Jahre 2011 und 2012 (Einlassung S. 3 unten) "als die Islamfeindlichkeit …stieg". Die Domain wurde jedoch bereits im Oktober 2009 auf den Kläger registriert. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger sich entgegen seinem Vorbringen zeitlich bereits deutlich vor 2011 mit einer möglichen Auswanderung ("Hijra") beschäftigte. Selbst wenn sein Schwerpunkt dabei tatsächlich nur darauf gelegen haben sollte, dass er sich damit beschäftigte, ob das Leben als Muslim in anderen Ländern besser sei und ob ein Muslim verpflichtet sei, in ein muslimisches Land auszuwandern, zeigt es jedenfalls, dass Religion für ihn bereits vor seiner Reise nach Ägypten eine zentralere Rolle spielte, als er vorgibt.
125Die vorbenannten Unterstützungshandlungen waren demnach nach Art und Gewicht auch geeignet, eine dauernde Identifikation des Klägers mit dieser Bestrebung zu indizieren.
126Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, wann der Kläger sich im Sinne der Bereitschaft zum bewaffneten Jihad radikalisierte, da er im maßgeblichen Zeitpunkt der Einbürgerung jedenfalls schon salafistische Bestrebungen unterstützte.
1272. Dass der Kläger sich zum Zeitpunkt der Einbürgerung oder zu einem späteren Zeitpunkt von dieser Unterstützung abgewandt hat, hat er nicht glaubhaft gemacht.
128An das Sich-Abwenden im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG werden keine strengeren Beweisanforderungen als an den Ausschlussgrund selbst gestellt. Denn die Glaubhaftmachung bezeichnet ein herabgesetztes Beweismaß. Hinsichtlich der an die Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen sind Art, Gewicht, Dauer, Häufigkeit und Zeitpunkt des einbürgerungsschädlichen Verhaltens zu beachten. Die Anforderungen sind in der Regel umso höher, je stärker das Gewicht des einbürgerungsschädlichen Verhaltens ist und je näher dieses Verhalten zeitlich an die Entscheidung über den Einbürgerungsantrag heranreicht. Es ist eine Gesamtschau der für und gegen eine Abwendung sprechenden Faktoren vorzunehmen. Allein der Umstand, dass die Unterstützungshandlungen schon mehrere Jahre zurückliegen, genügt nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Ausländer seine innere Einstellung verändert hat und daher künftig eine Verfolgung oder Unterstützung von - wie hier - sicherheitsgefährdenden Bestrebungen durch ihn auszuschließen ist. Der Ausländer muss in jedem Fall einräumen oder zumindest nicht bestreiten, in der Vergangenheit eine Bestrebung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt zu haben. Er muss aber nicht seine in der Vergangenheit liegenden Handlungen bedauern, als falsch bzw. irrig verurteilen oder ihnen abschwören.
129Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2016 - 1 B 55.16 -, juris, Rn. 4, und Urteil vom 20. März 2012 - 5 C 1.11 -, juris, Rn. 47.
130Unter Zugrundlegung dieses Maßstabs scheitert die Annahme des Abwendens durch den Kläger bereits daran, dass er die salafistische Ausrichtung der Gruppierung und seine Unterstützungshandlungen nach wie vor bestreitet und insbesondere die Veranstaltungen zur Koranverteilung lediglich als beabsichtigte Aufklärungsarbeit verharmlost. Vor diesem Hintergrund besteht schon rein logisch kein Raum für eine Abkehr.
131Darüber hinaus zeigt der weitere Verlauf seiner Entwicklung mit den Aufenthalten in Ägypten und Syrien, dass er weiterhin radikalislamische Ansichten vertrat.
132Auch in der Zeit nach seiner Einbürgerung, weder während des Verwaltungs- noch im Klageverfahren, hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer deutlich gemacht, seine vorstehend erläuterte innere Einstellung geändert zu haben. Zwar trägt er vor, seine Rückkehr aus Syrien nach Deutschland sowie seine tadellose Führung bis zu seiner Verhaftung sprächen für eine innere Abkehr von den dortigen Organisationen. Damit ist zum einen jedoch nur dargetan, dass er sich von den ausländischen terroristischen Vereinigungen JaN und ISIG distanziere. Dies ist auch seiner Einlassung im Strafverfahren zu entnehmen ("Ich hoffe, der Senat wird mir glauben, dass ich aus meinen Fehlern gelernt habe und mich ideologisch von der Jihadszene abgewendet habe.") und kann im vorliegenden Kontext sogar als wahr unterstellt werden. Eine Aussage zu seiner generellen radikalislamischen und salafistischen Einstellung lässt sich dieser Angabe hingegen nicht entnehmen. Zum anderen sind die wahren Gründe für seine Rückkehr nach Deutschland nicht bekannt. In seiner Einlassung gab der Kläger an, er wolle ein friedliches und ruhiges Leben mit seiner Familie führen. Es mag sein, dass er sich - möglicherweise infolge seiner in Syrien gemachten Erfahrungen - vom bewaffneten Jihad distanziert hat. Dies ist jedoch nicht mit einer Distanzierung von den oben dargestellten salafistischen Bestrebungen gleichzusetzen. Äußerlich feststellbare Umstände, die auf eine generelle Änderung der inneren Einstellung schließen lassen, sind hingegen nicht erkennbar. Vielmehr weist der Kläger allein darauf hin, dass er sich von jeglicher Art von Gewalt distanziere und nunmehr mit der Takfirie-Ideologie sympathisiere. Gerade diese vom Kläger beschriebene Ideologie des Takfirismus ist ein wesentliches Merkmal des Salafismus. Unter "Takfir" ("einen Muslim zum Apostaten erklären") beziehungsweise "Takfirismus" ist die Ablehnung anderer Strömungen des Islam zu verstehen. Andere Muslime gelten als "Ungläubige" und werden aufgrund eines behaupteten Glaubensabfalls exkommuniziert. Darüber, was einen solchen Glaubensabfall ausmacht, lassen sich bei den salafistischen Bestrebungen unterschiedliche Vorstellungen konstatieren. Dies macht noch einmal deutlich, dass der Salafismus keineswegs eine in allen ideologischen Details homogene Bewegung ist. Gleichwohl ist ihr der Takfirismus als Bestandteil des Selbstverständnisses eigen. Dafür bestehen auch strategische Notwendigkeiten, könnte man doch ansonsten nicht gegen muslimische Gegner oder gegen muslimische Regierende vorgehen.
133Vgl. den Artikel "Salafismus - was ist das überhaupt?" von Prof. Dr. B4. Q1. -U. vom 9. September 2015, abrufbar unter https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/211830/salafismus-was-ist-das-ueberhaupt, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022; Guido Steinberg, Die »Takfiristen« Eine salafistisch-jihadistische Teilströmung gewinnt an Bedeutung, veröffentlicht in SWP Aktuell Nr. 9, Januar 2021, abrufbar unter https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/ 71971, zuletzt abgerufen am 10. Mai 2022.
134II. Die rechtswidrige Einbürgerung ist seitens des Klägers durch arglistige Täuschung erwirkt worden.
135Mit dem Tatbestandsmerkmal der arglistigen Täuschung knüpft § 35 Abs. 1 StAG an den entsprechenden Begriff im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht an (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG NRW). Der Adressat eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes begeht eine arglistige Täuschung in diesem Sinn, wenn er den maßgeblichen Bediensteten der Behörde in seiner Entscheidung beeinflusst, indem er bei diesem einen Irrtum über entscheidungserhebliche Tatsachen hervorruft, deren Unrichtigkeit der Adressat kennt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kennt.
136Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2016 - 19 A 2330/11 -, juris, Rn. 69 f., m.w.N.
137Nach diesem Maßstab hat der Kläger mit seiner Unterschrift unter seine Loyalitätserklärung vom 1. Dezember 2011 die objektiv unzutreffende Erklärung abgegeben, keine Bestrebungen zu unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (Nr. 2 Buchstabe a) seiner Loyalitätserklärung). Soweit er die Unterstützungshandlungen erst nach Abgabe der Erklärung, aber noch vor Vollzug der Einbürgerung vorgenommen hat, hätte er den Beklagten darüber aufklären müssen. Für die Begehungsform der arglistigen Täuschung in der Alternative des Verschweigens von Tatsachen reicht es, dass der Betreffende Tatsachen verschweigt und dabei weiß oder in Kauf nimmt, dass diese verschwiegenen Tatsachen für die Entscheidung der Behörde erheblich sind oder sein können. Eine arglistige Täuschung liegt nach alledem dann vor, wenn der Täuschende erkennt und in Kauf nimmt, dass die Behörde auf Grund seines Verhaltens für sie wesentliche Umstände als gegeben ansieht, die in Wahrheit nicht vorliegen oder - umgekehrt - hinderliche Umstände als nicht gegeben ansieht, obwohl solche in Wahrheit vorliegen.
138Vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2016 - 19 E 6426/15 -, juris Rn. 37; VG Stuttgart, Urteil vom 3. Dezember 2012 ‑ 11 K 1038/12 -, juris, Rn. 42.
139Für die Arglist im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG genügt eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Ausreichend ist also, dass der Kläger in der Lage war, zu erkennen, dass seine Einbürgerung ausgeschlossen gewesen wäre, wenn dem Beklagten die Ausschlussgründe offenbar geworden wären. Davon ist hier auszugehen. Schon angesichts des Aufbaus und Inhalts des Formulars, mit dem der Kläger die Einbürgerung beantragte, musste ihm bewusst sein, dass die (inhaltlich zutreffende) Loyalitätserklärung und damit einhergehend das Fehlen von Ausschlussgründen im Sinne des § 11 StAG wesentliche Voraussetzung für seine Einbürgerung war. Dem Kläger war zudem bereits im Februar 2012, als er einen Rechtsanwalt kontaktierte, bekannt, dass die von der Gruppierung DAWA EU durchgeführten Aktionen jedenfalls rechtlich bedenklich sein könnten.
140Der Kläger hat seine Einbürgerung durch die falschen Angaben auch im Sinne einer Kausalität erwirkt.
141Vgl. zum Erwirken: OVG NRW, Urteil vom 17. März 2016 ‑ 19 A 2330/11 -, juris, Rn. 77; Marx, in: Fritz/Vormeier, GK-StAR, 37. EL (August 2020), IV - 2 § 35, Rn. 95 ff., m.w.N.
142Ohne die (inhaltlich unzutreffende) Loyalitätserklärung hätte es an der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG gefehlt, sodass der Kläger nicht eingebürgert worden wäre.
143Der Kausalität steht auch nicht entgegen, dass die Loyalitätserklärung die Einbürgerungsvoraussetzung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG betrifft, während sich die Rechtswidrigkeit der Einbürgerung des Klägers nach dem vorstehend Ausgeführten aus einem Verstoß gegen § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ergibt. Denn dieser Ausschlussgrund steht mit den Erklärungserfordernissen in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG in einem engen inhaltlichen Zusammenhang.
144Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 17. März 2016 - 19 A 2330/11 -, juris, Rn. 74 ff.
145Vor diesem Hintergrund dürften im Ergebnis auch die Voraussetzungen des Rücknahmegrundes der vorsätzlich unrichtigen Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, nach § 35 Abs. 1 Var. 4 StAG erfüllt sein, der insofern eine weitgehende Überschneidung mit dem Rücknahmegrund der arglistigen Täuschung aufweist.
146Vgl. nur Marx, in: Fritz/Vormeier, GK-StAR, 37. EL (August 2020), IV - 2 § 35, Rn. 47 m.w.N.
1473. Auch die zum Zeitpunkt der Rücknahme der Einbürgerung in § 35 Abs. 3 StAG i.d.F. vom 5. Februar 2009 normierte maßgebliche Frist von fünf Jahren nach Bekanntgabe der Einbürgerung, die mit Aushändigung der Einbürgerungsurkunde beginnt,
148vgl. VG Mainz, Urteil vom 10. Mai 2019 - 4 K 756/18.MZ -, juris, Rn. 28,
149wurde mit der Rücknahmeverfügung vom 30. März 2017, ausgehändigt am 1. April 2017, eingehalten.
150Dass dieser Zeitpunkt inzwischen mehr als fünf Jahre zurückliegt, ist unerheblich. Denn die Rücknahmefrist in § 35 Abs. 3 StAG konkretisiert den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Begriff der "zeitnahen" Rücknahme, der sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme, also bis zur Bekanntgabe des Rücknahmebescheides verstrichenen Zeitraum bezieht. Mit der Bekanntgabe des Rücknahmebescheides entfällt die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Eingebürgerten in den Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit.
151Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2016 - 19 A 2330/11 -, juris, Rn. 79 f., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG.
1524. Schließlich hat der Beklagte sein Rücknahmeermessen fehlerfrei ausgeübt. Er hat dem öffentlichen Interesse an der Rückgängigmachung der rechtswidrigen Einbürgerung des Klägers ohne Ermessensfehler den Vorrang vor dessen privatem Interesse am Erhalt seiner deutschen Staatsangehörigkeit eingeräumt. Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.
153So hat der Beklagte insbesondere das ihm von § 35 Abs. 1 StAG eingeräumte Ermessen erkannt und von diesem Gebrauch gemacht. Zwar könnte die Formulierung "Das Ablehnen der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit einer aktiven Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wiederum in Verbindung mit der Ausübung von Schwerstkriminalität verbietet geradezu eine Ermessenentscheidung in Ihrem Sinne und verlangt geradezu Ihre Ausbürgerung" bei isolierter Betrachtung dafür sprechen, dass der Beklagte von einer Ermessenreduzierung auf Null ausgegangen sein könnte. Allerdings wird bei einer Gesamtbetrachtung des Bescheids, in dem zuvor auch die privaten Belange des Klägers sowie später die Frage einer etwaigen Staatenlosigkeit thematisiert werden, deutlich, dass der Beklagte eine zunächst ergebnisoffene Ermessensentscheidung getroffen hat. Wäre er tatsächlich von einer Ermessenreduzierung auf Null ausgegangen, hätte es vielmehr nahe gelegen, lediglich die Gesichtspunkte aufzuzeigen, die zu einer Ermessensreduzierung führen.
154Die Ermessensentscheidung ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden.
155Die Behörde hat im Falle der Rücknahme einer Einbürgerung die privaten Belange des Eingebürgerten und die öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen.
156Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 -, juris, Rn. 41, m.w.N.
157Bei der Identifizierung der schutzwürdigen privaten Belange ist neben der Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Integration des Betroffenen in die deutschen Lebensverhältnisse in die Ermessenserwägungen einzustellen. Insbesondere die Gesamtdauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ist regelmäßig ‑ und dies gilt in besonderem Maße, wenn sie von langjähriger Erwerbstätigkeit begleitet wird - ein aussagekräftiger Indikator für die Integration in das gesellschaftliche Umfeld, deren Förderung durch Einräumung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten ein Hauptanliegen der Einbürgerung ist. Die Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts als ein je nach zeitlichem Umfang und Begleitumständen mehr oder minder gewichtiger privater Belang trägt daher dazu bei, die privaten Belange und das öffentliche Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände einzelfallbezogen in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen. Genauso können die sich für den Betroffenen ergebenden Unsicherheiten bei der Fortsetzung des Aufenthalts im Bundesgebiet und die Folgen der möglichen Rückkehr in das Herkunftsland zu berücksichtigen sein.
158Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2008 - 5 C 4.07 -, juris, Rn. 18; VG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2016 - 19 E 6426/15 -, juris Rn. 40.
159Diese Umstände hat der Beklagte ausreichend berücksichtigt und mit den öffentlichen Interessen abgewogen. So hat er ausgeführt, der Kläger sei in Deutschland geboren und habe seinen schulischen Werdegang in Deutschland durchlaufen. Eine Integration sei jedoch mangels Erwerbstätigkeit und aufgrund der terroristischen Vergangenheit nicht gelungen. Zudem seien die Verstöße des Klägers schwerwiegend. So lehne er die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik ab, sei aktives Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen und schwerstkriminell geworden.
160Wenngleich die diesbezügliche Formulierung zunächst offen lässt, ob die benannten - in ihrer rechtlichen Würdigung bzw. hinsichtlich der Schwerstkriminalität zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einbürgerung in tatsächlicher Hinsicht unzutreffenden - Gründe lediglich kumulativ oder auch jeder einzeln die Entscheidung tragen sollen, hat die Vertreterin des Beklagten zulässigerweise (vgl. § 114 Satz 2 VwGO) in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass auch jeder Umstand für sich genommen die Rücknahmeentscheidung tragen solle.
161Bezüglich der Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung auch von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Dass er die Mitgliedschaft des Klägers in einer terroristischen Vereinigung (fälschlicherweise) bereits für die Zeit vor dessen Ausreise nach Ägypten bzw. Syrien angenommen hat, ist insoweit unbeachtlich. Denn es ist nicht der Sachverhalt unzutreffend, sondern lediglich die rechtliche Würdigung, die der Beklagte im Hinblick auf die Gruppierung DAWA EU vorgenommen hat. Dies steht der Rechtmäßigkeit seiner Ermessensentscheidung jedoch nicht entgegen, da die diesbezügliche rechtliche Einordnung der Gruppierung für die Entscheidung ausweislich der Klarstellung durch die Vertreterin des Beklagten nicht entscheidungstragend war.
162Hinsichtlich des Vorbringens zu den Spenden, die der Kläger getätigt hat, sowie der Teilnahme an der aufgeführten Hochzeitsfeier handelt es sich um Gründe, die bereits bei Erlass der Rücknahmeverfügung vorlagen, die der Beklagte - jedenfalls ausweislich des Bescheids - jedoch noch nicht berücksichtigt hatte. Gleichwohl lässt das die Schlussfolgerung einer radikalislamischen Einstellung des Klägers, wie sie der Beklagte bereits im Bescheid gezogen hat, unberührt. Die nachträglich im Klageverfahren eingeführten Tatsachen stützen diese Schlussfolgerung lediglich.
163Weiterhin bestand im Zeitpunkt der Rücknahme kein (hypothetischer) Einbürgerungsanspruch des Klägers. Ein solcher Einbürgerungsanspruch wäre zu seinen Gunsten in die Ermessensentscheidung des Beklagten einzustellen gewesen. Bereits die Funktion der Staatsangehörigkeit, verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit zu sein, gebietet die Berücksichtigung eines im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung bestehenden Einbürgerungsanspruchs. Die Verlagerung auf ein (neuerliches) Einbürgerungsverfahren, das von dem Eingebürgerten einen entsprechenden Antrag erforderte, entspräche schon nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach nationalem Recht. Soweit sie zugleich mit dem Verlust der über die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelten Unionsbürgerschaft verbunden wäre, steht dem auch in Fällen einer durch Täuschung oder unzureichende Angaben erwirkten Einbürgerung die Beachtung des bei deren Rücknahme zu beachtenden unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entgegen.
164Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 -, juris, Rn. 41, m.w.N.
165Ein (hypothetischer) Einbürgerungsanspruch scheitert allerdings bereits daran, dass im Zeitpunkt der Rücknahme der Einbürgerung ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorlag, welches nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG zum Ausschluss der Einbürgerung führt. Der Kläger gefährdete die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, indem er in Syrien - wie inzwischen rechtskräftig durch das Urteil des OLG Düsseldorf festgestellt wurde - einer Vereinigung angehörte, die den Terrorismus unterstützt.
166Auch das Ergebnis der durch den Beklagten vorgenommenen Abwägung ist am Maßstab des § 114 Satz 2 VwGO und des § 40 VwVfG NRW nicht zu beanstanden. Die Rücknahme erweist sich unter Beachtung der Gesamtheit der vorgenannten Umstände trotz der beinahe vollständigen Ausschöpfung der fünfjährigen Rücknahmefrist und der Gesamtaufenthaltszeit des Klägers in der Bundesrepublik noch als verhältnismäßig.
167Vgl. zu der auch unionsrechtlich verlangten Verhältnismäßigkeits-prüfung: BVerwG, Urteil vom 11. November 2010 - 5 C 12.10 -, juris, Rn. 20 ff., m.w.N.