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Die Antragsgegnerin wird im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet, der Antragstellerin gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG eine Bescheinigung über die Rechtsmäßigkeit ihres Aufenthalts nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auszustellen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
G r ü n d e:
2I. Die Kammer versteht den von der Antragstellerin wörtlich gestellten Antrag,
31. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihr die Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 AufenthG auszustellen,
42. in die Fiktionsbescheinigung eine Beschäftigungserlaubnis einzutragen,
5bei verständiger Auslegung des Antragsbegehrens (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) dahin, dass sie - zulässigerweise - die mit dem Antrag zu Ziffer 2. begehrte Eintragung der Beschäftigungserlaubnis unter die innerprozessuale Bedingung des Erfolgs ihres Antrags zu Ziffer 1. auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung stellt, also beantragt,
61. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihr nach § 81 Abs. 5 AufenthG eine Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auszustellen,
2. für den Fall des Erfolgs des Antrags zu 1. eine Beschäftigungserlaubnis in die Fiktionsbescheinigung aufzunehmen.
9Aus der Begründung des Antrags geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass die Antragstellerin die Eintragung der Beschäftigungserlaubnis von der Ausstellung der Fiktionsbescheinigung abhängig macht. So bezieht sie ihren Vortrag bezüglich der ihr drohenden schwerwiegenden Nachteile ausdrücklich auf "die Nichterteilung der Fiktionsbescheinigung und der darin einzufassenden Beschäftigungserlaubnis".
10II. Das so verstandene Begehren der Antragstellerin hat jedoch nur mit dem Hauptantrag Erfolg.
111. Soweit die Antragstellerin nach § 123 Abs. 1 VwGO begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 AufenthG auszustellen, ist der Antrag zulässig und begründet.
12a) Insbesondere ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft, da die von der Antragstellerin begehrte Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung i. S. d. § 81 Abs. 5 AufenthG ein schlichtes Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktsqualität darstellt. Diese Bescheinigung enthält keine eigene Regelung und ist nicht konstitutiv, sondern rein deklaratorisch.
13vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 -, juris, Rn. 27; OVG NRW, Beschluss vom 18. August 2021 - 18 B 1254/21 -, juris, Rn. 4 und 7; VGH Mannheim, Beschluss vom 6. Mai 2008 - 13 S 499/08-, juris, Rn. 6.
14b) Der Antrag ist auch begründet.
15Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn der Antragsteller darlegt, dass ihm ein Anspruch auf ein bestimmtes Handeln zusteht (Anordnungsanspruch) und dieser Anspruch gefährdet ist und durch vorläufige Maßnahmen gesichert werden muss, weil ihm ansonsten unzumutbare Nachteile entstehen (Anordnungsgrund). Der Antragsteller hat Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
16aa) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht; ihr ist gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG eine Fiktionsbescheinigung auszustellen. Ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst.
17Gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn er die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. Diese Voraussetzungen liegen vor.
18Die Antragstellerin hält sich i.S.d. Vorschrift rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Rechtmäßig halten sich insbesondere Ausländer auf, die zunächst vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind (vgl. § 4 Abs. 1 AufenthG) und die Aufenthaltserlaubnis gemäß den §§ 39, 40 AufenthV nach der Einreise beantragen können.
19Vgl. Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 27. Mai 2021, § 81 AufenthG, zu Abs. 3 und 4, Rn. 8.
20Das ist bei der Antragstellerin, die bei der Antragsgegnerin erstmals mit Formblattantrag vom 13. April 2022 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, der Fall.
21Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer - wie die Antragstellerin - für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist.
22Eine Regelung, die insofern etwas anderes bestimmt, findet sich in den §§ 2 Abs. 1 und 5 Satz 1, 3 Satz 1 Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen vom 7. März 2022, zuletzt geändert durch Art. 1 Erste Verordnung zur Änderung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung vom 26. April 2022 (Erste ÄndVO), (UkraineAufenthÜV).
23Nach § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV sind Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. § 2 Abs. 5 Satz 1 UkraineAufenthÜV bestimmt, dass die Einreise und der Aufenthalt der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Ausländer rechtmäßig sind, soweit der Regelungsgegenstand der Verordnung reicht. Schließlich sieht § 3 Satz 1 UkraineAufenthÜV vor, dass ein erforderlicher Aufenthaltstitel von den in § 2 Absatz 1 bis 3 genannten Ausländern im Bundesgebiet eingeholt werden kann.
24Unter diese Regelungen fällt die Antragstellerin, die sich nach ihren unwidersprochen gebliebenen Angaben am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten hat und am 19. März 2022 in die Bundesrepublik eingereist ist, ohne über einen deutschen Aufenthaltstitel zu verfügen.
25Nicht erforderlich ist indes schon nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV, dass die Antragstellerin ukrainische Staatsangehörige ist. Die Vorschrift erfasst in ihrem personellen Anwendungsbereich generell „Ausländer“. Für ein weites Begriffsverständnis des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV sprechen in systematischer Hinsicht auch § 2 Abs. 2 und 3 UkraineAufenthÜV, welche einschränkend ukrainische Staatsangehörige bzw. in der Ukraine anerkannte Flüchtlinge im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) und Personen, die in der Ukraine internationalen oder gleichwertigen nationalen Schutz haben, betreffen. Im Umkehrschluss zu diesen Regelungen ist § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV personell weiter gefasst.
26Ebenfalls - und dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV - nicht erforderlich ist, dass die Antragstellerin in der Ukraine über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügte, den sie tatsächlich nicht besitzt; ihr bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin vorgelegter ukrainischer Aufenthaltstitel ("Temporary Residence Permit" des ukrainischen Staates) ist bis zum 10. August 2023 befristet.
27Eine derartige Anwendung der UkraineAufenthÜV widerspricht auch nicht europäischen Rechtsvorgaben, sodass eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV auf ukrainische Staatsangehörige bzw. Personen, die in der Ukraine über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nach den dortigen Rechtsvorschriften verfügten, nicht geboten ist.
28Zwar ist nach dem Durchführungsbeschluss 2022/382/EU des Rates der EU vom 4. März 2022, mit dem das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine i. S. d. Art. 5 der Richtlinie 2001/55/EG festgestellt und ein vorübergehender Schutz eingeführt wird, der vorübergehende Schutz für Personen, die in der Ukraine über ein befristetes Aufenthaltsrecht nach den dortigen Rechtsvorschriften verfügten, nicht zwingend vorgesehen. So gilt dieser Beschluss nach seinem Art 2 Abs. 1 allein für ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten, Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und Familienangehörige der zuvor genannten Personen. Nach Art 2 Abs. 2 des Beschlusses wenden Mitgliedsstaaten entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.
29Doch enthält der Beschluss selbst in seinem Art. 2 Abs. 3 eine Öffnungsklausel für nationales Recht, wonach die Mitgliedstaaten den Beschluss i. S. d. Art. 7 der Richtlinie 2001/55/EG auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden können, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.
30Von dieser Öffnungsklausel hat die Bundesrepublik im Rahmen von § 2 der UkraineAufenthÜV Gebrauch gemacht.
31Dies lässt sich anhand der Systematik des § 2 UkraineAufenthÜV nachvollziehen. Aus dieser wird deutlich, dass der Verordnungsgeber gerade nicht zwischen Drittstaatsangehörigen, die in der Ukraine über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfügten, und solchen, die nur über ein befristetes Aufenthaltsrecht verfügten, differenziert. Vielmehr behandelt er beide Personengruppen in der Verordnung gleich. § 2 Absatz 5 Satz 1 UkraineAufenthÜV stellt die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts "der in den Abätzen 1 bis 3 genannten Ausländer" fest. § 2 Absatz 2 Satz 1 UkraineAufenthÜV erfasst ukrainische Staatsangehörige, die am 24. Februar 2022 einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine hatten, aber die sich zu diesem Zeitpunkt vorübergehend nicht in der Ukraine aufgehalten haben, und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung in das Bundesgebiet eingereist sind; Satz 2 erweitert diesen Anwendungsbereich auf in der Ukraine anerkannte Flüchtlinge und Personen, die in der Ukraine internationalen oder gleichwertigen nationalen Schutz genießen. Absatz 3 adressiert ukrainische Staatsangehörige, die sich am 24. Februar 2022 bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Absatz 1 bezieht sich schließlich - gleichsam als Auffangtatbestand für alle Personen, die nicht unter die Absätze 2 und 3 fallen - auf Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum Außerkrafttreten dieser Verordnung in das Bundesgebiet eingereist sind.
32Nur noch ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass sich die Intention zur Umsetzung der Öffnungsklausel des Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses durch die Bundesrepublik im o.g. Sinne auch anhand der - das Gericht und die Ausländerbehörde nicht bindenden - Hinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes vom 14. März 2022 nachvollziehen lässt. Dort wird auf Seite 5 bezüglich der "[…] [s]onstige[n] nicht-ukrainische[n] Drittstaatsangehörige[n] nach Artikel 2 Absatz 3 des Durchführungsbeschlusses" darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik die Vorgabe dieser Öffnungsklausel in der dort genannten Weise umsetzt. Als nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige, die hierunter fallen, werden Personen genannt, die einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in der Ukraine nachweisen. Erfasst werden sollen demnach insbesondere Studierende wie die Antragstellerin.
33bb) Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
34Begehrt ein Ausländer die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG nicht im Wege einer Klage, sondern im Wege einer einstweiligen Anordnung, bedeutet eine entsprechende Verpflichtung nach § 123 VwGO bereits eine Vorwegnahme der Hauptsache. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO dient allerdings regelmäßig nur der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; einem Antragsteller soll grundsätzlich nicht bereits das gewährt werden, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Aus diesem Grundsatz folgt, dass einem Eilantrag auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO nur stattgegeben werden kann, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG, insbesondere zur Verwirklichung von Grundrechten, schlechterdings unabweisbar ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für einen Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Dies setzt neben der Glaubhaftmachung einer besonderen Eilbedürftigkeit, des sogenannten Anordnungsgrundes, eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache voraus.
35Vgl. zur Vorwegnahme der Hauptsache allgemein: OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 18 B 104/14 -, juris, Rn. 4.
36Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
37Der Antragstellerin drohen ansonsten schlicht unzumutbare Nachteile in Form von erheblichen Grundrechtseingriffen, die nicht mehr rückgängig zu machen wären, weil sie sich kurzfristig ergeben und erledigen würden. Aufgrund der Funktion der Fiktionsbescheinigung, den fingiert rechtmäßigen Aufenthalt des Ausländers zu dokumentieren (siehe § 81 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 AufenthG), ist diese für die Belange des Ausländers von entscheidender Bedeutung. Denn sie ist - trotz ihrer rein deklaratorischen Wirkung - notwendig und geeignet, den Ausländer vor unberechtigten Maßnahmen der Polizei- und Ordnungsbehörden zu bewahren. Ansonsten wäre er im Falle einer polizeilichen Kontrolle nicht in der Lage, seinen aufenthaltsrechtlichen Status sofort nachzuweisen und könnte daher bis zu einer Abklärung vorläufig festgenommen werden. An Wochenenden und in der Nacht könnte dies sogar zu einer länger dauernden Freiheitsentziehung führen.
38Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Juni 2010 - 11 S 1050/10 -, juris, Rn. 4; OVG Bremen, Beschluss vom 17. September 2010 - 1 B 140/10 -, juris, Rn. 23; im Ergebnis auch OVG Münster, Beschluss vom 29. August 2019 - 18 B 850/19 -, juris, Rn. 5 f..
39Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, die Antragstellerin könne ihren rechtmäßigen Aufenthalt aufgrund der Vorschrift des § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV auch durch Vorlage ihres ukrainischen Aufenthaltstitels jederzeit dokumentieren, ist festzuhalten, dass von einem Polizeibeamten in einer wie oben geschilderten Kontrollsituation nicht ohne Weiteres erwartet werden kann, dass ihm diese Rechtslage, speziell mit Blick auf die Situation sich bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine aufhaltenden Drittstaatsangehöriger mit befristeten Aufenthaltstiteln, bekannt ist, zumal die UkraineAufenthÜV erst seit März 2022 existiert und punktuell auf ein aktuelles aufenthaltsrechtliches Problem reagiert. Durch die geplante Änderung der Verordnung dahingehend, dass (auch im Falle einer früheren Einreise) ab dem 1. September 2022 Einreise und Aufenthalt der unter die UkraineAufenthÜV fallenden Personen nur noch für 90 Tage als erlaubt gelten, wird die Rechtslage noch uneindeutiger und in einer potentiellen polizeilichen Kontrollsituation schwieriger zu überschauen.
40Außerdem hätte eine Hauptsacheklage auch weit überwiegend wahrscheinlich Erfolg, da die Voraussetzungen für die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wie oben erläutert, vorliegen.
412. Soweit die Antragstellerin nach § 123 Abs. 1 VwGO weiter begehrt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, in die ihr zu erteilende Fiktionsbescheinigung eine Beschäftigungserlaubnis nach bzw. analog § 81 Abs. 5a AufenthG aufzunehmen, ist der Antrag zulässig, jedoch unbegründet.
42Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Antragstellerin, die ein konkretes Arbeitsverhältnis bereits nicht nachgewiesen hat, einen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht hat. Der Antragstellerin steht jedenfalls kein Anordnungsanspruch zur Seite.
43Die Eintragung einer Beschäftigungserlaubnis in die Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5a AufenthG in direkter Anwendung scheidet aus, da die Antragstellerin keinen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 (§§ 16 ff. AufenthG - Aufenthaltstitel zu Ausbildungszwecken) und 4 (§§ 18 ff. AufenthG - Aufenthaltstitel zu Erwerbstätigkeitszwecken) begehrt. Seinem klaren Wortlaut nach bezieht sich die Vorschrift nur auf diese genannten Aufenthaltstitel. Raum für eine andere Auslegung der Vorschrift verbleibt vor diesem Hintergrund nicht.
44Auch eine analoge Anwendung des § 81 Abs. 5a AufenthG auf Fälle von Ausländern, die sich aufgrund der UkraineAufenthÜV rechtmäßig in Deutschland aufhalten und die - wie die Antragstellerin - einen bisher noch nicht (positiv) beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG gestellt haben, scheidet aus.
45Für die analoge Anwendung einer Vorschrift sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen. So wird neben einer Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes eine vergleichbare Sach- und Interessenlage vorausgesetzt.
46Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 6. November 2014 - 5 C 7.14 -, juris, Rn. 11; und vom 2. April 2014 - 5 C 40.12 -, juris, Rn. 21.
47Vorliegend fehlt es jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung. Dies ergibt sich bereits aus dem mit der Einführung des § 81 Abs. 5a AufenthG verfolgten Sinn und Zweck.
48Die Vorschrift wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erst auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 19/21986, 19/22783, 19/23054 Nr. 8 - für den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit im Pass-, Ausweis-und ausländerrechtlichen Dokumentenwesen eingeführt. Demnach sollte hierdurch für den Ausländer die Möglichkeit geschaffen werden, bereits in der Zeit zwischen Veranlassung der Ausstellung und der Ausgabe des elektronischen Aufenthaltstitels die angestrebte Erwerbstätigkeit aufzunehmen (BT-Drs. 19/24007, S. 22). Mit ihr sollte das Problem behoben werden, dass ansonsten aufgrund des Produktionsprozesses bei der Bundesdruckerei, den Versandwegen und der erneuten Vorsprache zur Ausgabe des elektronischen Aufenthaltstitels (eAT) im Scheckkartenformat sich Zeiten ergäben, in denen neu zu erteilende Aufenthaltstitel noch keine Rechtswirkung haben und somit zu ungewollter vorübergehender Arbeitslosigkeit führen könnten. Mit der neuen Regelung des § 81 Abs. 5a AufenthG sollte die (neue) Erwerbstätigkeit bereits ab Entscheidung der Ausländerbehörde, den Aufenthaltstitel zu erteilen, als erlaubt gelten (BT-Drs. 19/24007, S. 4).
49Das Interesse von Personen, die sich aufgrund der UkraineAufenthÜV rechtmäßig in Deutschland aufhalten und die einen bisher noch nicht (positiv) beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG gestellt haben, ist hiermit nicht vergleichbar. Denn es bezieht sich auf einen ganz anderen Zeitpunkt als denjenigen, der für den Gesetzgeber Anlass zur Einführung des § 81 Abs. 5a AufenthG war. Die Vorschrift wurde zur Überbrückung der Zeit zwischen der Entscheidung der Ausländerbehörde, den die Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitel zu erteilen, und der Aushändigung des elektronischen Aufenthaltstitels im Scheckkartenformat an den Ausländer eingeführt. In Situationen, in denen noch keine - zumal positive - Entscheidung über einen gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gefällt wurde, entsteht bereits nicht der vom Gesetzgeber mit der Einführung des § 81 Abs. 5a AufenthG in den Blick genommene Schwebezeitraum, in dem bereits eine Erwerbstätigkeit gestattet werden soll.
50Soweit die Antragstellerin für ihre abweichende Rechtsauffassung auf die " Information zum Themenkomplex Ukraine" des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen mit Stand vom 6. Mai 2022, dort Seite 4 erster Absatz sowie die Hinweise des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 14. März 2022, dort Seite 9, verweist, weist die Kammer darauf hin, dass das Gericht an derartige ministerielle Hinweise nicht gebunden ist.
51Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt, dass die Antragstellerin zwar mit dem - sinngemäß - gestellten Hauptantrag obsiegt hat, nicht jedoch mit dem hiervon abhängigen - ebenfalls sinngemäß - gestellten Hilfsantrag.
52Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Antragsinteresse hinsichtlich der Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung ist mit Blick darauf, dass es nicht um die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht, sondern lediglich um ein "Minus", nämlich die Ausstellung einer Bescheinigung über die Wirkung der Antragstellung, in Höhe eines Viertels des gesetzlichen Auffangstreitwerts (5.000,00 €) ausreichend bemessen.
53Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Oktober 2013 - 18 E 962/13 - und vom 26. März 2012 - 18 E 291/12 -, beide abrufbar unter juris.
54Der Hilfsantrag auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ist ebenfalls in Höhe eines Viertels des gesetzlichen Auffangstreitwerts (5.000,00 €) zu bemessen.
55Vgl. für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis an einen geduldeten Ausländer: OVG NRW, Beschluss vom 18. April 2005 - 18 E 420/05 -, juris, Rn. 4.
56Er wirkt sich auch streitwerterhöhend aus, da er der Sache nach nicht denselben Gegenstand wie der Hauptantrag betrifft (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Ob die Anträge denselben Gegenstand betreffen, bestimmt sich nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Demnach sind für das Merkmal "desselben Gegenstands" zwei Voraussetzungen erforderlich, nämlich dass die Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können, und dass sie auf dasselbe Interesse gerichtet sind.
57Vgl. hierzu allgemein: OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2013 - 18 E 1241/12 -, juris, Rn. 12 f.; vom 16. April 2012 - 18 E 871/11 -, juris, Rn. 19 ff.
58Dies ist hier nicht der Fall, da Haupt- und Hilfsantrag sich hier gerade in der Weise aufeinander beziehen, dass der mit dem Hilfsantrag verfolgte Anspruch neben dem Hauptantrag verfolgt werden muss. Der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch ist auch nicht auf dasselbe Interesse gerichtet, da er über die Bescheinigung der Fiktionswirkung hinaus die Erlaubnis zur Aufnahme einer Beschäftigung enthält.