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1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
2Der bei verständiger Auslegung (§ 86 Abs. 3 VwGO) sinngemäß gestellte Antrag,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Errichtung einer Zivilschutzsirene neben ihrem Wohnhaus vorläufig zu unterlassen,
4hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Lärmpegel der geplanten Zivilschutzsirene neben ihrem Wohnhaus durch geeignete Schallschutzmaßnahmen vorläufig auf ein zumutbares Maß zu minimieren,
5hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
6Der Antrag ist zulässig.
7Insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der gegenüber der Antragsgegnerin als Betreiberin der geplanten Zivilschutzsirene geltend gemachte Abwehranspruch ist öffentlich-rechtlicher Natur, weil die abzuwehrenden Immissionen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind.
8Vgl. nur VG Aachen, Urteil vom 6. Dezember 2010 – 6 K 2364/09 –, juris, Rn. 23.
9Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft, da der öffentlich-rechtliche Abwehranspruch in der Hauptsache mit der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen wäre, § 123 Abs. 5 VwGO.
10Der Antrag ist jedoch unbegründet.
11Die Antragstellerin hat bereits keinen ihr Begehren stützenden Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
12Grundlage des Anspruchs auf Unterlassung schädlicher Lärmimmissionen ist der öffentlich-rechtliche Abwehr- und Unterlassungsanspruch, der sich entweder aus einer analogen Anwendung der §§ 1004, 906 BGB, aus der Abwehrfunktion der Grundrechte – vorliegend insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG – oder aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lässt.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 – 7 C 77.87 –, juris, Rn. 17.
14Hiernach kann ein Nachbar schädliche Lärmimmissionen abwehren, wenn sie dem Störer zurechenbar sind, er keiner Duldungspflicht unterliegt und die Gefahr der Wiederholung besteht. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Als Betreiberin der Zivilschutzsirene sind die hiervon ausgehenden Lärmimmissionen der Antragsgegnerin als Störerin zwar ohne weiteres zurechenbar. Sie erweisen sich nach Maßgabe der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung jedoch nicht als schädlich im vorstehenden Sinne und sind daher von der Antragstellerin zumindest vorläufig zu dulden.
15Als Maßstab, ob Lärmimmissionen schädlich sind, ist § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BImSchG heranzuziehen.
16Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 – 7 C 77.87 –, juris, Rn. 18.
17Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungspflichtige Anlagen – hier die streitbefangene Zivilschutzsirene – so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. § 3 Abs. 1 BImSchG definiert schädliche Umwelteinwirkungen als Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
18Insofern ist bei summarischer Prüfung mit den Herstellerangaben zunächst davon auszugehen, dass der von der geplanten Zivilschutzsirene erzeugte Schalldruckpegel maximal 120 dB(A) und in 30 m Entfernung noch 109 dB(A) beträgt. Die Entfernung des Wohnhauses der Antragstellerin zum geplanten Standort der Sirene beträgt ca. 25 m. Ein genauer Schalldruckpegel an den maßgeblichen Immissionsorten lässt sich bei summarischer Prüfung vor diesem Hintergrund zwar nicht ermitteln; die grafisch dargestellte Schallausbreitungsberechnung des Herstellers ist insofern zu grobmaschig und berücksichtigt auch nicht die konkreten topographischen Gegebenheiten. Ein Schallausbreitungsgutachten liegt ebenfalls nicht vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dieser voraussichtlich über 109 dB(A) liegt. Mit den Angaben der Antragsgegnerin ist weiter zugrunde zu legen, dass die Sirene zweimal jährlich an einem festen Termin – namentlich dem zweiten Donnerstag im März und September eines jeden Jahres – zu vorher öffentlich kommunizierten Uhrzeiten tagsüber getestet wird. Darüber hinaus erfüllt die Sirene ausschließlich eine Warnfunktion im Katastrophenfall und wird – abgesehen von etwaigen Fehlalarmen – nur in diesem ausgelöst. Zuletzt ist laut Herstellerangaben die Programmierung einer sogenannten "Softalarmierung" möglich, bei welcher der Ton langsam anschwillt und erst nach einiger Zeit den vorgenannten Schalldruckpegel erreicht.
19Dies zugrunde gelegt vermag die Kammer bei summarischer Prüfung keine Unzumutbarkeit und damit Schädlichkeit der Lärmimmissionen im vorstehenden Sinne für die Antragstellerin festzustellen.
20Bei der Ermittlung der maßgeblichen Zumutbarkeitsgrenze ist insofern im Ausgangspunkt zunächst nicht ohne weiteres die in der Rechtsprechung für Feuerwehrsirenen teilweise gebildete (und hier wohl überschrittene) Zumutbarkeitsgrenze von 97 dB(A) zugrunde zu legen, auf welche sich auch die Antragstellerin ausdrücklich beruft.
21Vgl. zu dieser Obergrenze BayVGH, Urteil vom 16. Januar 1992 – 4 B 88.1782 –, juris, Rn. 26; im Anschluss hieran zuletzt VG Regensburg, Urteil vom 22. Juni 2020 – RN 7 K 17.1487 –, juris, Rn. 48 und VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 16. Januar 2019 – 5 K 389/15 –, juris, Rn. 35.
22Von einer Feuerwehrsirene unterscheidet sich die hier streitgegenständliche Zivilschutzsirene nämlich bereits insofern erheblich, als sie nicht der Alarmierung der Feuerwehr im Einsatzfall, sondern "nur" der flächendeckenden Warnung der Gesamtbevölkerung im Katastrophenfall dient. Eine Feuerwehrsirene wird daher weitaus häufiger ausgelöst als eine Zivilschutzsirene. Der Ernstfall einer Katastrophenwarnung dürfte – ebenso wie ein Fehlalarm – sogar nur äußerst selten eintreten. Hiervon zeugt nicht zuletzt der Umstand, dass die ursprünglich vom Bund betriebenen Zivilschutzsirenen nach dem Ende des Kalten Krieges mangels prognostiziertem Bedarf nur von einigen Kommunen übernommen und teilweise sogar abgebaut wurden (vgl. https://www.im.nrw/themen/gefahrenabwehr/warnung-und-sirenen/sirenen, zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2022). Erst im Nachgang zur Flutkatastrophe 2021 wurde vielerorts wieder ein Fokus auf den (Wieder-)Aufbau dieser Systeme gelegt.
23Es ist in der Folge für den konkreten Einzelfall eigenständig eine Zumutbarkeitsgrenze im vorstehenden Sinne zu ermitteln. Hierbei sind unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls nicht nur der maximale Geräuschpegel, sondern insbesondere auch die Funktion, Sozialadäquanz, Frequenz und Vorhersehbarkeit der Sirenenalarme und die Möglichkeiten passiver Schallschutzmaßnahmen in den Blick zu nehmen. In der Gesamtabwägung dieser Umstände erachtet die Kammer bei summarischer Prüfung auch die zu erwartenden Geräuschspitzen von über 109 dB(A) am Wohnhaus der Antragstellerin für zumutbar. Insofern gilt Folgendes:
24Zivilschutzsirenen kommt immer noch eine wichtige Warnfunktion im Katastrophenfall zu. Gerade nachts sind im Normalfall der Fernseher und Radio ausgeschaltet und das Handy kann lautlos gestellt sein, so dass nur der "Weckeffekt" einer Sirene eine effektive Warnung der Gesamtbevölkerung zu garantieren vermag (vgl. https://www.im.nrw/themen/gefahrenabwehr/warnung-und-sirenen/sirenen, zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2022). Vor diesem Hintergrund ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass jedermann die beim Einsatz von Zivilschutzsirenen verursachten unvermeidlichen Immissionen im Grundsatz als sozialadäquat toleriert, weil er diese für das Funktionieren der Gesellschaft, der er angehört, für unerlässlich hält, und er selbst im Katastrophenfall ebenfalls von den Warnungen profitiert. Diese spezifische Funktion bedingt zudem, dass Zivilschutzsirenen einen besonders hohen Schalldruckpegel erzeugen müssen. Weiterhin ist es der Antragstellerin mit Blick auf den zweimal jährlich stattfindenden Sirenenwarntag ohne weiteres möglich, sich den hierbei verursachten Schallimmissionen durch Ortsabwesenheit zu entziehen oder vor Ort passiv schallschützende Vorkehrungen zu treffen (Gehörschutz, Fenster schließen o.ä.). Durch die festen Termine ist dies problemlos im Voraus planbar. Da diese Probealarme an einem Werktag tagsüber stattfinden und mit weniger als fünfzehn Minuten nur von kurzer Dauer sind (vgl. zum letzten Sirenenwarntag am 8. September 2022 von 11:00 bis 11:12 Uhr nur https://rp-online.de/thema/warntag-nrw/, zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2022), ist dies der Antragstellerin auch zumutbar. Im unwahrscheinlichen Fall eines Sirenenalarms außerhalb der Sirenenwarntage (Katastrophenfall oder Fehlalarm) dürfte es der Antragstellerin zudem auch spontan möglich sein, die maximalen Lärmspitzen des Alarms durch rudimentäre passive Schallschutzmaßnahmen (Ohren zuhalten o.ä.) abzumildern bzw. sich diesen rasch zu entziehen. Dies gilt erst recht mit Blick auf den Umstand, dass die Warnung "nur" durch einen einminütigen an- und abschwillenden Dauerton erfolgt (vgl. https://www.im.nrw/themen/gefahrenabwehr/warnung-und-sirenen/sirenen, zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2022) und die Antragsgegnerin weiterhin eine "Softalarmierung" der Sirene in Aussicht gestellt hat, so dass die vorgenannten Lärmspitzen ohnehin nur punktuell für äußerst kurze Zeiträume erreicht werden dürften. Dass bereits ein einmaliges Auslösen der Sirene für die Antragstellerin bzw. deren Gäste und Mitbewohner unweigerlich einen irreversiblen Gehörschaden verursachen würde, vermag die Kammer vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, zumal der Vortrag der Antragstellerin sich insofern ohnehin auf die pauschale Behauptung eines entsprechenden medizinischen Kenntnisstandes beschränkt.
25Soweit die Antragstellerin unter Berufung auf verschiedene Gerichtsentscheidungen zu Feuerwehrsirenen
26vgl. u.a. BayVGH, Beschluss vom 24. Januar 2018 – 22 CE 17.2457 – und VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 16. Januar 2019 – 5 K 389/15 –, beide juris,
27geltend macht, die Antragsgegnerin habe mögliche Alternativstandorte zu Unrecht aus rein ökonomischen Erwägungen außer Betracht gelassen bzw. die fehlende Eignung nicht hinreichend nachgewiesen, vermag die Kammer dem bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu folgen. Denn auch bezüglich der Anforderungen an die Suche nach Alternativstandorten ist eine unbesehene Übertragung der vorgenannten Rechtsprechung zu Feuerwehrsirenen nicht möglich. Insofern erweist es sich mit Blick auf die in der Gesamtschau erheblich geringere Belastungsintensität von Zivilschutzsirenen bei summarischer Prüfung insbesondere als unschädlich, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Standortauswahl neben funktionalen Aspekten (zentrale Lage im Ortsteil) in gewissem Maße auch solche Aspekte in ihre Entscheidung eingestellt hat, welche im Sinne des Haushaltsgrundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auf eine Minimierung der Errichtungs- und Betriebskosten abzielen (gemeindeeigene Liegenschaft; Stromversorgung über Straßenbeleuchtung oder anderer Leitung des Netzbetreibers in der Nähe möglich). Dass die Antragsgegnerin bei Anwendung dieser Kriterien ebenso geeignete und verfügbare Standorte außer Betracht gelassen hätte, ist bei summarischer Prüfung nicht zu erkennen. Insbesondere macht diese plausibel geltend, dass sich der ursprünglich geplante Standort im Kreuzungsbereich H. Straße/A. Straße (seitlich neben dem Haus Nr. 2) aufgrund einer dort verlaufenden Wasserleitung als ungeeignet erwiesen habe. Entlang der A. Straße ließen die vorhandenen Versorgungsleitungen demgegenüber keinen Aufbau auf gemeindeeigenem Grund zu, so dass bei Anlegung der vorstehenden Kriterien letztlich nur der ausgewählte Standort verblieben sei. Im Übrigen ist zu beachten, dass eine zentrale Lage im Ortsteil Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Sirene ist und gerade die von der Antragstellerin u.a. in den Raum gestellte Verschiebung der Sirene in Richtung der dichter bebauten H. Straße auch mit einer Verschiebung der Immissionsbelastung auf dritte Personen verbunden wäre.
28Für dieses Ergebnis ist es letztlich ohne Belang, ob auf den streitgegenständlichen Sirenenlärm die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (TA Lärm) anzuwenden ist.
29Vgl. die Anwendbarkeit technischer Leitlinien für Feuerwehrsirenen ablehnend BVerwG, Urteil vom 29. April 1988 – 7 C 33/87 –, juris, Rn. 21 sowie im Anschluss hieran BayVGH, Urteil vom 16. Januar 1992 – 4 B 88.1782 –, juris, Rn. 26.
30Zwar dürften die einschlägigen Immissionsrichtwerte für seltene Ereignisse nach Nr. 7.3. Satz 4 TA Lärm in Verbindung mit Nr. 6.3 Satz 2, 6.1. Satz 1 lit c) TA Lärm) hier überschritten sein. Allerdings wäre der Antragstellerin diese Überschreitung nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen jedenfalls aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nach einer ergänzenden Prüfung im Sonderfall gemäß Nr. 3.2.2 TA Lärm zumutbar. Dabei kann offen bleiben, ob eine Sonderfallprüfung hier schon deshalb geboten ist, weil das Leitbild der TA Lärm die Beurteilung lärmerzeugender gewerblicher und industrieller Anlagen ist und die hiesige Situation ausschließlich punktueller Lärmerzeugung von diesem Leitbild erheblich abweicht. Denn jedenfalls mit Blick auf die soziale Adäquanz der mit dem Vorhaben verbundenen Lärmimmissionen und der besonderen Standortbindung des Vorhabens, die sich auf die Akzeptanz dieser Geräuschimmissionen auswirken können (vgl. Nr. 3.2.2. lit. d) TA Lärm), wäre eine Sonderfallprüfung der prognostizierten vorhabenbedingten Immissionen vorliegend angezeigt.
31Vgl. mit Blick auf Lärmemissionen eines Feuerwehrstandorts OVG NRW, Urteil vom 23. September 2019 – 10 A 1114/17 –, juris, Rn. 65 ff.
32Ebenfalls offen bleiben kann in der Folge, ob die Regelung in Nr. 7.1 Satz 1 TA Lärm, wonach die vorgenannten Immissionsrichtwerte überschritten werden dürfen, soweit es zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist, vorliegend (vollumfänglich) anwendbar ist.
33Vgl. hierzu mit Blick auf Lärmemissionen eines Feuerwehrstandorts OVG NRW, Urteil vom 23. September 2019 – 10 A 1114/17 –, juris, Rn. 56 ff.
34Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
35Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und trägt mit einer Halbierung des Auffangstreitwerts dem vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Rechnung.