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Eine analoge Anwendung des § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW auf die Konstellationen, in denen die Voraussetzungen der Sicherstellung nicht nachträglich weggefallen sind, sondern von Anfang an nicht vorlagen, scheidet aus. Insoweit liegt weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage vor.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen die Sicherstellung zweier Kraftfahrzeuge.
3Am 4. Mai 2021 wurde der Kläger im Rahmen eines Polizeieinsatzes an einem polizeibekannten Drogenumschlagsplatz in A angetroffen und einer Personenkontrolle unterzogen. Hierbei fanden die eingesetzten Beamten in der Jacke des Klägers einen Bargeldbetrag in Höhe von ca. 1.000,- €. Anschließend wurde die sich in unmittelbarer Nähe befindliche Wohnung einer Freundin des Klägers durchsucht. Dort fanden die Beamten eine Cannabis-Plantage. Schließlich durchsuchten die Beamten den PKW des Klägers sowie ein von ihm betriebenes Bistro. In dem PKW wurde eine Plastiktüte mit einem Bargeldbetrag in Höhe von 2.000,- € aufgefunden, in dem Bistro befand sich ein hochwertiges Motorrad. Der Kläger wurde wegen des dringenden Tatverdachts des unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln vorläufig festgenommen. Die Beamten stellten sowohl das Bargeld als auch den PKW und das Motorrad „zur Gefahrenabwehr und zum Schutz privater Rechte“ sicher. Gleichzeitig wurde ihm gegenüber ein Verfügungsverbot betreffend die sichergestellten Gegenstände ausgesprochen.
4Noch am selben Abend wurde dem Kläger im Polizeigewahrsam eine schriftliche Ausfertigung der zuvor mündlich ausgesprochenen Sicherstellungsverfügung ausgehändigt. Zur Begründung wird in der schriftlichen Bestätigung der Sicherstellungsverfügung im Wesentlichen ausgeführt: Die Sicherstellung der Fahrzeuge werde auf § 43 Nr. 2 PolG NRW gestützt. Es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrzeuge durch Drogengeschäfte erworben worden seien und der Kläger infolgedessen wegen der Nichtigkeit von Drogengeschäften nicht das Eigentum an diesen habe erwerben können. Gegenüber den eingesetzten Beamten habe er angeben, dass er über kein Einkommen verfüge und arbeitssuchend sei. Das Verfügungsgebot finde seine Rechtsgrundlage in § 8 PolG NRW.
5Mit Urteil des Amtsgerichts Y vom 5. November 2021 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zugleich ordnete das Amtsgericht die Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge an. Hinsichtlich der sichergestellten Fahrzeuge heißt es in dem Urteil, dass deren Einziehung nicht anzuordnen gewesen sei, weil eine Finanzierung aus inkriminierten Mitteln nicht nachgewiesen worden sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
6In der Folge wandte sich der Kläger an den Beklagten und verlangte unter Verweis auf die unterbliebene strafrechtliche Einziehung die Herausgabe der Fahrzeuge. Zudem besitze er auch keine schriftliche Ausfertigung der Sicherstellungsverfügung. Der Beklagte lehnte die Herausgabe der Fahrzeuge ab und wies darauf hin, dass dem Kläger die Sicherstellungsverfügung noch am 4. Mai 2021 durch die eingesetzten Beamten ausgehändigt worden sei. Zusätzlich übersandte er ihm mit E-Mail vom 15. Dezember 2021 die angefochtene Sicherstellungsverfügung.
7Der Kläger hat am 22. Dezember 2021 Klage erhoben.
8Zur Begründung trägt er vor: Die Klage sei nicht verfristet. Er könne sich nicht daran erinnern, dass ihm die schriftliche Ausfertigung der Sicherstellungsverfügung am 4. Mai 2021 im Polizeigewahrsam übergeben worden sei. Vielmehr habe er von dieser erst durch deren Übersendung mit E-Mail vom 15. Dezember 2021 Kenntnis erhalten. Ferner sei ihm hinsichtlich der Klagefrist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er wegen der Überforderung durch seine Verhaftung nicht in der Lage gewesen sei, seine Außenwelt oder irgendwelche Schriftstücke wahrzunehmen. Er habe einen Anspruch auf Herausgabe der Fahrzeuge nach § 46 PolG NRW, da die Voraussetzungen der Sicherstellung weggefallen seien. Das Amtsgericht habe in seinem Urteil ausgeführt, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Fahrzeuge durch Drogengeschäfte erworben worden seien. Ungeachtet dessen könne er die Herausgabe der Fahrzeuge gemäß § 46 PolG NRW auch ohne vorherige Aufhebung der Sicherstellungsverfügung verlangen. Die Sicherstellung sei rechtswidrig. Der unerlaubte Handel mit Betäubungsmitteln, auf den die Sicherstellung gestützt werde, datiere auf den Zeitraum zwischen Juli 2020 und Mai 2021. Die streitgegenständlichen Fahrzeuge habe er demgegenüber schon zuvor mit dem Einkommen aus seiner vormaligen Erwerbstätigkeit erworben.
9Der Kläger beantragt,
10die Sicherstellungsverfügung vom 4. Mai 2021, schriftlich bestätigt am selben Tag, aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die sichergestellten Fahrzeuge (A, FIN: XYZ; B, FIN: ABC) an ihn herauszugeben.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Die Klage sei bereits verfristet. Die angefochtene Sicherstellungsverfügung sei dem Kläger bereits am 4. Mai 2021 im Polizeigewahrsam übergeben worden. Ihm sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Seine Einlassung, er könne sich an die Entgegennahme des Bescheids nicht mehr erinnern, genüge hierfür nicht. Im Übrigen bestünde auch kein Anspruch auf Herausgabe, weil die auf § 43 Nr. 2 PolG NRW gestützte Sicherstellung nach wie vor rechtmäßig sei. Deren Voraussetzungen seien nicht weggefallen. Die Entscheidung des Amtsgerichts, von einer Einziehung der Fahrzeuge abzusehen, binde den Beklagten insoweit nicht. Vielmehr sei strikt zwischen strafrechtlicher Einziehung auf der einen und polizeirechtlicher Sicherstellung auf der anderen Seite zu differenzieren.
14Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
15Entscheidungsgründe:
16Die Klage hat keinen Erfolg.
17Soweit der Kläger die Aufhebung der Sicherstellungsverfügung vom 4. Mai 2021 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig (I.). Soweit der Kläger darüber hinaus die Herausgabe der sichergestellten Fahrzeuge begehrt, ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet (II.).
18I. Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist verfristet. Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO iVm. § 110 JustG NRW muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.
19Es kann dahin stehen, ob die Übergabe der schriftlichen Ausfertigung der Sicherstellungsverfügung durch einen Polizeivollzugsbeamten sowie das Ausfüllen einer Postzustellungsurkunde durch diesen eine ordnungsgemäße Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis im Sinne des § 5 Abs. 1 LZG NRW darstellt. Denn ungeachtet etwaiger Zustellungsmängel gilt die Sicherstellungsverfügung dem Kläger jedenfalls gemäß § 8 Alt. 1 LZG NRW als am 4. Mai 2021 zugestellt und damit bekanntgegeben. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, welches unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten nachweislich zugegangen ist. Die Kammer geht davon aus, dass dem Kläger die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Ausfertigung der Sicherstellungsverfügung am 4. Mai 2021 tatsächlich zugegangen ist. Diese Einschätzung beruht zuvörderst auf der glaubhaften Einlassung von Herrn Polizeikommissar P in der mündlichen Verhandlung. Seinen Ausführungen, wonach er dem Kläger am Abend des 4. Mai 2021 die Sicherstellungsverfügung persönlich im Polizeigewahrsam übergeben habe, ist der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen getreten. Auch schriftsätzlich hat er den Zugang am 4. Mai 2021 nicht bestritten, sondern lediglich ausgeführt, dass er sich an diesen nicht mehr erinnern könne. Zudem kommt auch den in den beigezogenen Beiakten befindlichen – von dem Polizeivollzugsbeamten ausgefüllten – Postzustellungsurkunden insoweit jedenfalls eine indizielle Bedeutung zu. Im Übrigen begegnet der Umstand der Zustellung innerhalb des Polizeigewahrsams keinen rechtlichen Bedenken, da nach § 5 Abs. 2 Satz 1 LZG NRW i.V.m. § 177 ZPO das Schriftstück dem Zustellungsempfänger an jedem Ort übergeben werden kann, an dem er angetroffen wird. Desgleichen führt die Zustellung zur Nachtzeit (hier: 22.35 Uhr) gemäß § 5 Abs. 3 Satz 3 LZG NRW nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung, da der Kläger diese nicht verweigert hat.
20Schließlich liegt auch der für eine Heilung nach § 8 LZG NRW erforderliche Zustellungswille vor. Denn der Verzicht des Beklagten auf die Einholung des gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 LZG NRW vorgeschriebenen Empfangsbekenntnisses lässt weder an seinem Bekanntgabewillen noch daran zweifeln, sich zur Bekanntgabe einer besonderen Bekanntgabeform nach dem Verwaltungszustellungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen zu bedienen, nämlich der Aushändigung des Bescheides an den Empfänger durch einen Bediensteten nach § 5 Abs. 1 LZG NRW. Vielmehr hat er mit dem Verzicht auf die Einholung eines Empfangsbekenntnisses vor allem seine eigenen Interessen missachtet, denn das Empfangsbekenntnis dient dem Nachweis des Zeitpunktes, zu dem der Empfänger von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt hat und bereit war, dieses entgegenzunehmen.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 -, juris, Rn. 7.
22Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO möglich, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, dass die Versäumnis der Klagefrist nicht auf seinem Verschulden beruht. Seine Einlassung, sich am Tag der Zustellung aufgrund seiner Inhaftierung in einer psychischen Zwangslage befunden zu haben, in der er weder die Außenwelt noch „ihm in die Hand gedrückte Schriftstücke“ habe wahrnehmen können, genügt hierfür erkennbar nicht. Denn ungeachtet aller sonstigen Zweifelsfragen wäre es ihm jedenfalls mit etwas zeitlichem Abstand zu seiner Festnahme möglich und zumutbar gewesen, während der einmonatigen Klagefrist den Inhalt des ihm übergebenen Schreibens zur Kenntnis zu nehmen und ggf. rechtlich Schritte einzuleiten.
23II. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte und auch ansonsten zulässige Klage auf Herausgabe der Fahrzeuge ist unbegründet. Der Kläger hat keinen dahingehenden Herausgabeanspruch gegen den Beklagten.
24Ein solcher ergibt sich zunächst nicht aus einem (Vollzugs‑)Folgenbeseitigungsanspruch, der mit dem Annexantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfolgt werden könnte.
25Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch setzt voraus, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein noch andauernder rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist. Der Beseitigungsanspruch, der ein Verschulden der Behörde nicht voraussetzt, ist auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, durch einen hoheitlichen Eingriff veränderten (rechtmäßigen) Zustands gerichtet. Der Beseitigungsanspruch ist dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene – etwa durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt – zur Duldung des noch andauernden Zustands verpflichtet ist.
26Vgl. (auch zur dogmatischen Herleitung des Folgenbeseitigungsanspruchs) BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 - 4 C 24.91 -, juris, Rn. 23 ff.; OVG NRW, Urteil vom 19. Januar 1995 - 20 A 1518/93 -, juris, Rn. 19.
27Gemessen daran ist ein (Vollzugs-)Folgenbeseitigungsanspruch von vornherein nicht gegeben, da der Anfechtungsantrag des Klägers aus den oben ausgeführten Gründen nicht zur Aufhebung der Sicherstellungsverfügung führt. Der durch die Sicherstellung erfolgte Eingriff in das geltend gemachte Eigentumsrecht an den Fahrzeugen wird durch die bestandskräftige Sicherstellungsverfügung legalisiert, ohne dass es hierbei auf deren Rechtmäßigkeit ankommen würde. Vielmehr genügt schon deren Wirksamkeit um einen ausreichenden Rechtsgrund für das hoheitliche Handeln und "Behaltendürfen" zu begründen und hierdurch einen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch auszuschließen.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 2016 - 5 A 667/16 -, juris, Rn. 29; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 8 A 103/15 -, juris, Rn. 29; OVG B-B, Urteil vom 6. Oktober 2016 - OVG 1 B 11.15 -, juris, Rn. 17; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Auflage 2013, 7. Teil, V. 3. b.); Bumke, JuS 2005, 22, 24.
29Der Kläger kann den geltend gemachten Herausgabeanspruch auch nicht auf § 46 Abs. 1 PolG NRW stützen. Nach dieser Vorschrift sind die Sachen an diejenige Person, bei der sie sichergestellt worden sind, herauszugeben, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind (Satz 1). Ist die Herausgabe an sie nicht möglich, können die Sachen an eine andere Person herausgegeben werden, die ihre Berechtigung glaubhaft macht (Satz 2). Die Herausgabe ist ausgeschlossen, wenn dadurch erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden (Satz 3). Dieser spezialgesetzlich geregelte Folgenbeseitigungsanspruch greift ein, wenn die Sicherstellungsvoraussetzungen zunächst vorgelegen haben, aber im Nachhinein weggefallen sind. Er ist materiell-rechtlich nicht von einer vorherigen Aufhebung einer – rechtmäßig – erfolgten Sicherstellung abhängig und damit prozessual mit einer eigenständigen – nicht fristgebundenen – Leistungsklage verfolgbar. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage für die Beurteilung seines Vorliegens ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 2016 - 5 A 667/16 -, juris, Rn. 31 und 33; BayVGH, Urteil vom 22. Mai 2017 - 10 B 17.83 -, juris, Rn. 23; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 8 A 103/15 -, juris, Rn. 31.
31Gemessen daran scheidet eine auf § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW gestützte Herausgabe der sichergestellten Fahrzeuge an den Kläger aus. Die Voraussetzungen einer Sicherstellung nach § 43 Nr. 2 PolG NRW sind nicht nachträglich weggefallen. Sie lagen von Anfang an nicht vor.
32Nach § 43 Nr. 2 PolG NRW kann die Polizei eine Sache sicherstellen, um den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung einer Sache zu schützen. Für eine – wie hier – den Eigentumsschutz bezweckende Sicherstellung ist hierbei nicht erforderlich, dass der Eigentümer der Polizei bekannt ist.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. März 2021 - 5 A 942/19 -, juris, Rn. 74; Beschluss vom 11. August 2010 - 5 A 298/09 -, juris, Rn. 38.
34Wird die Sache dabei bei dem Besitzer sichergestellt, muss für die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung die auf konkreten Tatsachen begründet hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Sache nicht dem Besitzer gehört. Dies ist erforderlich, um die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zu widerlegen. Nach dieser Vorschrift wird zugunsten des (Eigen-) Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er beim Besitzerwerb auch Eigentümer der Sache geworden ist.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. März 2021 - 5 A 942/19 -, juris, Rn. 75.
36Hiervon ausgehend konnte die Sicherstellung nicht auf § 43 Nr. 2 PolG NRW gestützt werden.
37Die Kammer kann dahinstehen lassen, ob im Rahmen der nach § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW anzustellenden Retrospektive das anfängliche Vorliegen der Sicherstellungsvoraussetzungen objektiv zu bestimmen ist,
38hierzu tendierend: Nds. OVG, Beschluss vom 22. November 2012 - 11 LA 281/12 -, juris, Rn. 5,
39oder es ausreichend ist, dass die Sicherstellungsvoraussetzungen ursprünglich aus Sicht der handelnden Polizeibeamten vorgelegen haben. Denn die Sicherstellung des Fahrzeugs erweist sich sowohl bei objektiver Betrachtung als auch bei Zugrundelegung der subjektiven Sicht der handelnden Polizeibeamten als rechtswidrig. Weder objektiv noch nach dem subjektiven Erkenntnishorizont der handelnden Polizeibeamten lag nämlich eine auf konkreten Tatsachen begründete hohe Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass die Fahrzeuge nicht dem Kläger als dessen Besitzer gehörten.
40In der schriftlichen Bestätigung der Sicherstellungsverfügung wird zur Begründung lediglich ausgeführt, es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Fahrzeuge durch Drogengeschäfte erworben habe und infolgedessen wegen der Nichtigkeit von Drogengeschäften kein Eigentum an diesen habe erwerben können. An dieser Auffassung hat der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Dem ist allerdings nicht zu folgen. Die Gesamtumstände – namentlich die von ihm betriebene Cannabisplantage – mögen zwar die polizeiliche Annahme, es handele sich bei dem vom Kläger mittgeführten Bargeld um den Erlös aus unerlaubten Betäubungsmittelgeschäften an denen er aufgrund der Nichtigkeit von Drogengeschäften kein Eigentum habe erwerben können, belegt haben. Gleichwohl waren sie nicht geeignet, auch hinsichtlich der sichergestellten Fahrzeuge die für den Kläger streitende Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB zu widerlegen. Die Argumentation des Beklagten, der Kläger habe aufgrund der Nichtigkeit von Drogengeschäften kein Eigentum an den mutmaßlich mit Drogengeld finanzierten Fahrzeugen erwerben können, widerspricht der dinglichen Rechtslage. Denn selbst für den Fall, dass der Kläger den Kaufpreis tatsächlich aus Erlösen aus Straftaten aufgebracht haben sollte, hätte sich dieser unterstellte Umstand nach sachenrechtlichen Grundsätzen jedenfalls nicht auf die Wirksamkeit des hier allein maßgeblichen Verfügungsgeschäfts – Eigentumserwerb an den Fahrzeugen – ausgewirkt. Aus dem gesetzlichen Verbot des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) folgt nach § 134 BGB die Nichtigkeit sämtlicher zur Durchführung eines solchen Geschäfts getroffenen schuldrechtlich und dinglich wirkenden Willenserklärungen. Diese erfasst damit neben der schuldrechtlichen Vereinbarung des Geschäfts auch die der Erfüllung des verbotenen Rechtsgeschäfts dienende Übergabe der Betäubungsmittel und die Hingabe von Bargeld zur vermeintlichen Kaufpreiszahlung (sog. Fehleridentität). Der Verkäufer von Betäubungsmitteln kann somit zwar in der Tat kein Eigentum an dem ihm zwecks Kaufpreiszahlung übergebenen Bargeld erwerben.
41Statt vieler: BGH, Urteil vom 15. April 2021 - 5 StR 371/20 -, juris; Rn. 17 m.w.N.; Armbrüster in: MüKo, BGB, 9. Auflage 2021, § 134 Rn. 17.
42Nichtsdestoweniger bleibt es ihm rechtlich möglich, das ihm nicht gehörende Bargeld zum Erwerb einer anderen Sache einzusetzen. Denn das Verfügungsgeschäft, mit dem ihm die Kaufsache übereignet wird, stellt auch dann keinen Betäubungsmittelhandel im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG dar, wenn er zur Zahlung des Kaufpreises das aus unerlaubtem Betäubungsmittelhandel stammende Bargeld verwendet.
43Desgleichen ist das Verfügungsgeschäft auch nicht wegen des Verstoßes gegen ein anderes Verbotsgesetz mit dem Nichtigkeitsverdikt des § 134 BGB behaftet. Insbesondere folgt eine Nichtigkeit nicht aus § 134 BGB i.V.m. § 261 StGB (Geldwäsche), weil ungeachtet aller sonstigen Zweifelsfragen allenfalls der das Drogengeld aufwendende Käufer den Straftatbestand der Geldwäsche erfüllt. Einseitige Gesetzesverstöße haben indessen nur dann die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge, falls der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf.
44Vgl. BGH, Urteil vom 16. April 1996 - XI ZR 138/95 -, juris, Rn. 17; Armbrüster, ebd., § 134 Rn. 69.
45Dies ist beim Straftatbestand des § 261 StGB jedenfalls in der in Rede stehenden Konstellation nicht der Fall. Vielmehr lässt die in § 935 Abs. 2 BGB enthaltene Regelung, wonach sogar abhanden gekommenes Geld einem gutgläubigen Erwerb zugänglich ist, die gesetzgeberische Intention erkennen, dass Geld aus Gründen des öffentlichen Verkehrsinteresses ungeachtet einer deliktischen Herkunft stets im Rechtsverkehr zirkulieren können soll. Diese Wertung würde konterkariert, würde mit Blick auf die Verwendung deliktisch erlangten Geldes die Nichtigkeit entsprechender Verfügungsgeschäfte bejaht.
46Vgl. Vossler, in: BeckOGK, Stand: 1. Juni 2022, § 134 Rn. 324.
47Bezahlt der Käufer den Kaufpreis mit aus Straftaten stammendem Bar- oder Buchgeld, erwirbt er folglich gleichwohl wirksam Eigentum an der Kaufsache – wie hier den beiden Kfz.
48Andere Anhaltspunkte, die geeignet gewesen wären, die für den Kläger streitende Eigentumsvermutung zu erschüttern sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere waren die Fahrzeuge nicht als gestohlen gemeldet.
49§ 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW vermag auch nicht im Wege eines Erst-recht-Schlusses analog auf die hier gegebene Konstellation angewandt zu werden, in der die Voraussetzungen der Sicherstellung nicht nachträglich weggefallen sind, sondern von Anfang an nicht vorlagen. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen nicht vor.
50Eine Analogie ist zulässig, wenn die maßgebliche Norm eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Normgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Normgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Vorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 4 C 6.16 -, juris, Rn. 15.
52Eine planwidrige Regelungslücke ist dabei nicht schon dann anzunehmen, wenn die von einem Betroffenen erwünschte Regelung nicht bzw. nur in einem anderen Regelungszusammenhang ergangen ist. Es muss maßgeblich hinzukommen, dass aufgrund der Gesamtumstände anzunehmen ist, dass diese Regelung unbedacht vom Gesetzgeber nicht getroffen worden ist.
53Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2016 - 2 B 17.15 -, juris, Rn. 11.
54Gemessen daran liegt bereits keine Regelungslücke vor. Denn in der Konstellation einer bereits von Anfang an rechtswidrigen Sicherstellung steht dem Betroffenen – ungeachtet seiner nicht abschließend geklärten dogmatischen Herleitung – ein (Vollzugs-)Folgenbeseitigungsanspruch gerichtet auf Herausgabe der sichergestellten Sache zu. Diesen kann er als Annexantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO zusammen mit einer gegen die Sicherstellungsverfügung gerichteten Anfechtungsklage geltend machen.
55Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 2016 - 5 A 667/16 -, juris, Rn. 29; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 8 A 103/15 -, juris, Rn. 29; Braun, in: BeckOK, PolR NRW, 22. Edition Stand: 1. März 2022, PolG, § 46 Rn. 1.
56Darüber hinaus ermangelt es auch einer vergleichbaren Interessenlage. Die Interessenlage bei einer von Anfang an rechtswidrigen Sicherstellung unterscheidet sich maßgeblich von derjenigen bei einer erst nachträglich durch den Wegfall der Voraussetzungen rechtswidrig gewordenen Sicherstellung.
57Bei § 46 Abs. 1 PolG NRW handelt es sich – ebenso wie bei den Parallelvorschriften anderer Polizeigesetze (vgl. § 24 Abs. 1 ME PolG) – um eine spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs.
58Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 2016 - 5 A 667/16 -, juris, Rn. 29; HessVGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 8 A 103/15 -, juris, Rn. 31; Graulich, in: Lisken/Denninger, 7. Auflage 2021, E Rn. 658; Braun, in: BeckOK, PolR NRW, 22. Edition Stand: 1. März 2022, PolG, § 46 Rn. 1.
59Deren Normierung in den Polizeigesetzen ist erforderlich, weil bei einem nachträglichen Wegfall der Sicherstellungsvoraussetzungen der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch regelmäßig daran scheitert, dass die die fortdauernde hoheitliche Inverwahrnahme legalisierende Sicherstellungsverfügung – wie auch vorliegend – bereits bestandskräftig geworden ist. In dieser Konstellation bedarf es eines von der vorherigen Aufhebung der Sicherstellungsverfügung unabhängigen Herausgabespruchs, weil der Betroffene die Sicherstellungsverfügung infolge deren Bestandskraft nicht mehr erfolgreich anzufechten vermag (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Eintritt der Bestandskraft kann dem Betroffenen hierbei nicht im Sinne einer Obliegenheitsverletzung vorgeworfen werden, weil die Erhebung einer Anfechtungsklage aufgrund der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der Sicherstellung keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
60Demgegenüber hat es der Betroffene bei einer von Anfang an rechtswidrigen Sicherstellungsverfügung selbst in der Hand, durch Klageerhebung deren Bestandskraft zu verhindern und zugleich gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Herausgabe der sichergestellten Sache zu erwirken. Tut er dies nicht und lässt die Sicherstellungsverfügung so in Bestandskraft erwachsen, beruht der Eintritt der Bestandskraft auf seinem eigenen Versäumnis, weswegen es durchaus gerechtfertigt ist, seinem Herausgabeverlangen die Bestandskraft der Sicherstellungsverfügung entgegenzuhalten.
61Die Ablehnung einer analogen Anwendung des § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW auf die Fälle einer bereits anfänglich rechtswidrigen Sicherstellung wird schließlich durch folgende Kontrollüberlegung gestützt: Könnte der Betroffene auch im Falle einer ursprünglich rechtswidrigen Sicherstellung gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW die Herausgabe verlangen, bestünde für eine Anfechtung der Sicherstellungsverfügung keinerlei praktisches Bedürfnis. Denn der auf § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW gestützte Herausgabeanspruch setzt – auch im Falle einer analogen Anwendung – gerade keine vorherige Aufhebung der Sicherstellungsverfügung voraus. Ein Obsiegen mit seinem Anfechtungsantrag wäre für den Betroffenen folglich mit keinem rechtlichen Vorteil verbunden, sodass in letzter Konsequenz sogar das Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Anfechtungsklage verneint werden müsste. Eingedenk dessen würde die Sicherstellungsverfügung regelmäßig in Bestandskraft erwachsen, ohne dass sie in der Folge indes einer Klage auf Herausgabe entgegengehalten werden könnte. Die letztlich dem Rechtsfrieden dienende Bestandskraft der Sicherstellungsverfügung verkäme somit zur Makulatur.
62Eine (analoge) Anwendung des spezialgesetzlichen Folgenbeseitigungsanspruchs auf die Fälle einer anfänglichen Rechtswidrigkeit im Ergebnis ablehnend auch: BayVGH, Beschluss vom 17. September 2015 - 10 CS 15.1435 -, juris, Rn. 18 (zu § 32 Abs. 2 Satz 1 ZFdG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 BPolG); Nds. OVG, Beschluss vom 22. November 2012 - 11 LA 281/12 -, juris, Rn. 6 (zu § 29 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG a.F.); Schenke, in: ders./Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, BPolG, § 50 Rn. 2 und 4; ebenso wohl auch Graulich, in: Lisken/Denninger, 7. Auflage 2021, E Rn. 658; offenlassend hingegen: VG Hamburg, Beschluss vom 9. Februar 2017 - 17 E 7585/16 -, juris, Rn. 47 (zu § 14 Abs. 3 Satz 1 SOG HH).
63Der Einwand des Klägers, er könne auch ohne vorherige Aufhebung der Sicherstellungsverfügung die Herausgabe der Fahrzeuge verlangen, greift nach alledem nicht durch.
64Fehl geht auch sein weiteres Vorbringen, wonach die Fahrzeuge herauszugeben seien, weil sowohl das Amtsgericht in seinem Urteil als auch die zuständige Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 22. November 2021 ausgeführt hätten, dass die Fahrzeuge nicht (mehr) der strafprozessualen Einziehung unterlägen. Es verkennt, dass insoweit strikt zwischen präventiv-polizeilicher Sicherstellung auf der einen und repressiv-strafrechtlicher Einziehung auf der anderen Seite zu unterscheiden ist. Eine Korrelation zwischen beiden Maßnahmen besteht hierbei ebenso wenig wie ein Vorrangverhältnis in dem Sinne, dass die einen die andere ausschließen würde. Strafprozessualen Freigabeentscheidungen – sei es durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft – kommt deshalb keinerlei Bindungswirkung für außerhalb eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens erfolgende polizeirechtliche Sicherstellungen zu. Zutreffend führt denn auch die Staatsanwaltschaft in dem vom Kläger in Bezug genommenen Schreiben ausdrücklich aus, dass „etwaige Herausgabeentscheidungen in eigener [polizeilicher] Zuständigkeit zu treffen“ seien.
65Vgl. Graulich, in: Lisken/Denninger, 7. Auflage 2021, E Rn. 625 ff.
66Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
67Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2 und § 711 ZPO.
68Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Der in der Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärten Frage, ob § 46 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW unmittelbar oder analog auf die Konstellationen anzuwenden ist, in der die Voraussetzungen der Sicherstellung nicht nachträglich weggefallen sind, sondern von Anfang an nicht vorlagen, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.