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Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 30. Mai 2016 verpflichtet, der Klägerin einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen, der die im Antrag vom 28. Juli 2015 vorrangig gestellte Frage 1 bejaht, ob die Erweiterung des auf dem Grundstück G1 bestehenden Lidl-Lebensmitteldiscounters auf eine Gesamtverkaufsfläche von 1.250,76 m² planungsrechtlich zulässig ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheides zur Erweiterung eines bestehenden Lebensmitteldiscounters.
3Die Klägerin betreibt auf dem Vorhabengrundstück G1 , einen baurechtlich genehmigten Lebensmitteldiscounter. Die Baugenehmigung vom 11. August 1998 enthält die Auflage, dass die maximale Verkaufsfläche von 800 m² nicht überschritten werden dürfe. Die faktische Verkaufsfläche des Bestandsdiscounters beträgt nach aktueller Berechnungsmethode ca. 817 m². Die Klägerin plant eine bauliche Erweiterung und Nutzungsänderung, die zu einer Verkaufsfläche von 1.250,76 m² führt.
4Am 28. Juli 2015 stellte die Klägerin für dieses Vorhaben einen Antrag auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheides zu einer Hauptfrage bzw. zu zwei hilfsweise gestellten Fragen:
5„1. Ist die geplante Erweiterung des Lidl-Lebensmitteldiscountmarktes auf eine Gesamtverkaufsfläche von 1.250,76 qm planungsrechtlich zulässig?
62. Sollte die Frage zu 1. nicht vollumfänglich positiv beantwortet werden können, bitten wir die Frage unter Ausklammerung der Frage der gesicherten Erschließung positiv zu beantworten.
73. Sollten die Fragen zu 1. und/oder 2. nicht vollumfänglich positiv beantwortet werden können, bitten wir um Beantwortung der Frage, ob das zuvor bezeichnete Vorhaben seiner Art nach planungsrechtlich zulässig ist. Bei dieser Frage sollen Gesichtspunkte des Rücksichtnahmegebotes durch etwaige Lärm- und Luftschadstoffemissionen ausgeklammert werden. (…)“
8Am 28. April 2016 beschloss der Umwelt- und Stadtentwicklungsausschuss der Beklagten, den Bebauungsplan Nr. 216 aufzustellen, dessen Geltungsbereich gewerblich genutzte Flächen entlang der Straße „ O-Straße “ – u.a. auch das Vorhabengrundstück der Klägerin – umfassen sollte. Die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses erfolgte am 06. Mai 2016 im Amtsblatt der Beklagten.
9Die Klägerin hat am 06. Mai 2016 (Untätigkeits-)Klage auf Erteilung des beantragten Bauvorbescheides erhoben.
10Am 10. Mai 2016 beschloss der Rat der Beklagten eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in der Aufstellung befindlichen Bebauungsplanes Nr. 216. Die Bekanntmachung erfolgte am 27. Mai 2016 im Amtsblatt der Beklagten.
11Mit dem hier streitbefangenen Ablehnungsbescheid vom 30. Mai 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheides unter Hinweis auf die zwischenzeitlich erlassene Veränderungssperre ab.
12Am 22. Februar 2019 erfolgte die Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Planentwurfes des Bebauungsplanes Nr. 216 im Amtsblatt der Beklagten. Im Bekanntmachungstext hieß es u.a.:
13„Während der Auslegungsfrist können Stellungnahmen zu dem Bebauungsplan schriftlich oder zur Niederschrift vorgebracht werden.“
14Am 08. Oktober 2019 beschloss der Rat der Beklagten den Bebauungsplan Nr. 216 als Satzung. Der Bebauungsplan setzte für das Plangebiet ein Mischgebiet und ein Gewerbegebiet fest. Das Vorhabengrundstück der Klägerin lag im festgesetzten Gewerbegebiet. Am 18. Oktober 2019 erfolgte die Bekanntmachung im Amtsblatt der Beklagten.
15In der Folge rügte die Klägerseite die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 216 aufgrund eines beachtlichen Verfahrensfehlers. So habe der Bekanntmachung zur Offenlage der Hinweis gefehlt, dass Stellungnahmen auch per E-Mail eingereicht werden könnten.
16Die Beklagte machte sich diese Argumentation zu Eigen und nahm zum Zwecke der Fehlerheilung folgende Schritte vor:
17Am 18. Februar 2021 erfolgte die Bekanntmachung der erneuten öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanes Nr. 216 im Amtsblatt der Beklagten. Im Bekanntmachungstext hieß es u.a.:
18„Der Entwurf des Bebauungsplanes einschließlich der textlichen Festsetzungen und Begründung mit dem Umweltbericht sowie die wesentlichen bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen liegen in der Zeit vom 26.02.2021 bis 26.03.21 einschließlich zu jedermanns Einsicht öffentlich aus. (…). Während der Auslegungsfrist können Stellungnahmen zu dem oben genannten Bebauungsplan abgegeben werden.“
19Der Planentwurf lag entsprechend der Bekanntmachung vom 26. Februar 2021 bis zum 26. März 2021 aus.
20In der Sitzung des Rates der Beklagten vom 18. Mai 2021 fasste dieser folgenden Beschluss:
21„Der Rat beschließt:
221. den Beschluss des Rates vom 08. Oktober 2019 mit den Punkten 2. und 3. neu zu fassen,
232. die Behandlung der Stellungnahme aus der erneuten Offenlage (Anlage 2 zur Sitzungsvorlage)
243. den Bebauungsplan Nr. 216 einschließlich der textlichen Festsetzungen erneut als Satzung.“
25In der Beschlussvorlage hieß es im Wesentlichen: Im [vorliegenden] Klageverfahren sei geltend gemacht worden, der Bebauungsplan Nr. 216 sei nichtig, weil in der Bekanntmachung zur Offenlage der Hinweis gefehlt habe, dass Stellungnahmen auch per E-Mail eingereicht werden könnten. Um diesen Fehler zu heilen, sei der Plan erneut ausgelegt worden. Dabei seien die redaktionellen Änderungen auf dem Plan und in der Begründung gemäß Ratsbeschluss vom 08. Oktober 2019 eingearbeitet worden.
26Ferner enthielt die Beschlussvorlage die im Zuge der erneuten Offenlage abgegebenen Stellungnahmen der Klägerin und der Firma ALDI (Trägerin eines gleichgelagerten Errichtungsvorhabens) sowie Stellungnahmen der Verwaltung. Ebenfalls waren sämtliche Unterlagen, die bereits in der Sitzung am 08. Oktober 2019 behandelt worden waren, Gegenstand des neuen Beschlusses. Die Bekanntmachung erfolgte am 04. Juni 2021 im Amtsblatt der Beklagten.
27Die Klägerin hat den Ablehnungsbescheid vom 30. Mai 2016 in ihre Klage einbezogen und macht zu deren Begründung geltend:
28Die Beklagte sei nach wie vor verpflichtet, ihr für die geplante Erweiterung des bestehenden Lebensmitteldiscounters einen positiven Bauvorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit zu erteilen. Der erlassene Bebauungsplan Nr. 216 sei auch nach der versuchten Fehlerheilung unwirksam. Die Gebietsfestsetzungen seien nicht städtebaulich erforderlich. Sie seien vom planerischen Willen der Beklagten nicht gedeckt und nur vorgeschoben, um die Erweiterung der im Plangebiet ansässigen Lebensmitteldiscounter zu verhindern. Die Planung sei auch abwägungsfehlerhaft. Die Beklagte habe insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Betrieb auf passiven Bestandsschutz gesetzt werde und ferner keine Fremdkörperfestsetzung nach § 1 Abs. 10 der Baunutzungsverordnung erwogen. Als Folge der Planunwirksamkeit sei ihr Erweiterungsvorhaben nach § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuchs zu beurteilen. Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Das Nebeneinander aus Wohnbebauung und deutlich überwiegender gewerblicher Nutzung stelle eine Gemengelage dar. Ihr Bestandsbetrieb habe eine faktische Verkaufsfläche von ca. 817 m² und sei damit ein auf dem Vorhabengrundstück gegebenes Vorbild für die geplante Großflächigkeit des Lebensmitteldiscounters. Im Übrigen befinde sich in der näheren Umgebung ein baurechtlich genehmigter ALDI-Lebensmitteldiscounter, der ebenfalls faktisch mehr als 800 m² Verkaufsfläche besitze und damit ein weiteres Vorbild für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb sei.
29Die Klägerin beantragt sinngemäß,
30die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 30. Mai 2016 zu verpflichten, ihr einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen, der die im Antrag vom 28. Juli 2015 gestellte Frage 1 bejaht, ob die Erweiterung des auf dem Grundstück G1 bestehenden Lidl-Lebensmitteldiscounters auf eine Gesamtverkaufsfläche von 1.250,76 m² planungsrechtlich zulässig ist, hilfsweise die Frage 2, weiter hilfsweise die Frage 3 bejaht,
31dazu hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 30. Mai 2016 zu verpflichten, der Klägerin einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen, der die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Erweiterung des streitbefangenen Lebensmitteldiscountmarktes auf eine Verkaufsfläche von 1.100 m2 bejaht,
32weiter hilfsweise, festzustellen, dass die Beklagte bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplanes Nr. 216 verpflichtet war, ihr den mit Antrag vom 28. Juli 2015 nachgesuchten Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Vorhabens nach Maßgabe der Hauptfrage 1 und der hilfsweise gestellten Fragen 2 und 3 zu erteilen.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage insgesamt abzuweisen.
35Sie macht im Wesentlichen geltend: Das Erweiterungsvorhaben der Klägerin führe zu einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb von weit über 800 m². Solche Vorhaben seien nur in Sondergebieten und in Kerngebieten zulässig. Der einschlägige Bebauungsplan Nr. 216 setze hingegen für das Vorhabengrundstück ein Gewerbegebiet fest. Damit sei das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig. Der Bebauungsplan Nr. 216 sei nicht unwirksam. Eine unzulässige Negativplanung liege nicht vor. Die Planung habe sich sachgerecht an den Zielen der Raumordnung orientiert. Abwägungsfehler lägen ebenfalls nicht vor. Eine Fremdkörperfestsetzung sei nicht erforderlich gewesen, weil der auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Lebensmitteldiscounter zulässig sei. Er habe zwar faktisch eine Verkaufsfläche von 817 m², jedoch nur 1.169,99 m² Geschossfläche, sodass die Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 der Baunutzungsverordnung nicht greife. Selbst bei Unwirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 216, sei das Vorhaben unzulässig. Die dann nach § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuchs maßgebliche nähere Umgebung sei ein faktisches Gewerbegebiet. Der vorhandene LIDL-Lebensmitteldiscounter stehe der Einordnung als faktisches Gewerbegebiet aufgrund der Geschossfläche von 1.169,99 m² nicht entgegen. Auch der ALDI-Lebensmitteldiscounter stehe einer Einordnung als faktisches Gewerbegebiet nicht entgegen. Er werde abweichend von der erteilten Baugenehmigung genutzt. Genehmigt sei eine Verkaufsfläche von 799 m²; tatsächlich liege die Verkaufsfläche über 800 m². Die Beklagte werde ordnungsrechtlich dagegen einschreiten.
36Der frühere und der jetzige Berichterstatter der Kammer haben Lage und Umgebung des Vorhabengrundstückes jeweils in Augenschein genommen und Lichtbilder gefertigt. Auf die Protokollniederschriften der Ortstermine vom 16. Juli 2019 und 03. November 2020 wird Bezug genommen.
37Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Bauakten und der Aufstellungsvorgänge zum Bebauungsplan Nr. 216 verwiesen.
38E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
39Die Klage hat mit ihrem Hauptantrag Erfolg.
40Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin einen positiven Bauvorbescheid zu erteilen und darin – entsprechend der Frage 1 ihres Antrags – die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Erweiterung des auf dem Vorhabengrundstück bestehenden Lebensmitteldiscounters zu bejahen, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
41Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem hier noch anwendbaren § 71 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung für Land Nordrhein-Westfalen a.F. (BauO NRW a.F.).
42Die Klägerin hat ihren Antrag mit bescheidungsfähigen Bauvorlagen bis zum 31. Dezember 2018 bei der Beklagten eingereicht. In diesem Fall ordnet die Übergangsvorschrift in § 90 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW 2018 an, dass Anträge entsprechend den Anforderungen der BauO NRW a.F. zu bescheiden sind. Der allgemeine Grundsatz, wonach es für die Beurteilung von streitigen Ansprüchen auf Erteilung von Zulassungsentscheidungen regelmäßig auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, wird hier durch die speziellere Zeitpunktregelung in § 90 Abs. 4 BauO NRW 2018 verdrängt.
43Vgl. VG Aachen, Urteil vom 05. November 2020 – 3 K 716/17 –, juris, Rn. 19.
44Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a.F. kann vor Einreichung des Bauantrages zu Fragen des Bauvorhabens ein Bescheid (Vorbescheid) beantragt werden. Dieser ist gemäß § 71 Abs. 2 i. V. m. § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a.F. zu erteilen, wenn dem Vorhaben nach Maßgabe des durch die Bauvoranfrage bestimmten Prüfungsumfangs keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
45So liegt der Fall hier. Die geplante Erweiterung auf eine Gesamtverkaufsfläche von 1.250,76 m² führt zu einem "großflächigen Einzelhandel" (dazu 1.). Die Festsetzung als Gewerbegebiet kann dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Der Bebauungsplan Nr. 216 („ O-Straße “) ist unwirksam (dazu 2.). Das Vorhaben der Klägerin ist daher gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen und danach auch zulässig (dazu 3.). Es lässt keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche im Sinne des § 34 Abs. 3 des Baugesetzbuchs (BauGB) erwarten (dazu 4.).
461. Die geplante Erweiterung führt zu einem "großflächigen Einzelhandel".
47Das von der Klägerin beabsichtigte Erweiterungsvorhaben führt zu einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb im Sinne des Bauplanungsrechts. Die geplante Verkaufsfläche von ca. 1.250 m² wird die insoweit maßgebliche Verkaufsflächenschwelle von 800 m² deutlich überschreiten.
48Vgl. zum Merkmal der Großflächigkeit: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10/04 –, juris, Rn. 12.
49Ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb stellt aufgrund seiner besonderen städtebaulichen Auswirkungen eine eigene Nutzungsart dar. Diese ist außer in Kerngebieten (§ 7 der Baunutzungsverordnung –BauNVO–) nur in dafür festgesetzten Sondergebieten (§ 11 BauNVO) zulässig, nicht aber im Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO).
502. Die Festsetzung als Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) kann dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Der Bebauungsplan Nr. 216 („ O-Straße “) ist unwirksam.
51Die Beklagte hat im Verfahren zur (vermeintlichen) Verfahrensfehlerheilung einen Verfahrensfehler begangen, der zur Planunwirksamkeit führt. So hat sie gegen die 30-Tage-Mindestfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB verstoßen. Nach dieser Vorschrift sind die Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats, mindestens jedoch für die Dauer von 30 Tagen, oder bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Dauer einer angemessenen längeren Frist öffentlich auszulegen. Der erneut bekannt gemachte Bebauungsplan lag bei der erneuten Offenlegung nur 29 Tage, nämlich vom 26. Februar 2021 bis zum 26. März 2021, öffentlich aus.
52Der Fehler ist nach § 214 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB beachtlich und nicht aufgrund Zeitablaufs nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Bezüglich der wiederholten Verfahrensschritte läuft jeweils eine neue Rügefrist.
53Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB Kommentar, 143. EL August 2021, BauGB § 215 Rn. 38b-39a.
54Die Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB ist vorliegend noch nicht abgelaufen, da der Bebauungsplan am 04. Juni 2021 bekannt gemacht worden ist. Dass dieser Fehler bisher – soweit ersichtlich – noch nicht gerügt worden ist, ist unerheblich. Rechtsfehler sind bis zum Fristablauf beachtlich und die Kontrollbefugnis der Gerichte ist insoweit nicht eingeschränkt.
55Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB Kommentar, 143. EL August 2021, BauGB § 215 Rn. 48; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 15. Aufl. 2022, BauGB § 215 Rn. 7.
56Des Weiteren kann sich die Beklagte zur Verteidigung ihres Rechtsstandpunktes nicht auf die Gewerbegebietsfestsetzung berufen, die sie mit ihrem ersten Satzungsbeschluss vom 08. Oktober 2019 im ursprünglichen Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 216 bestimmt hat.
57Ein „erster“ Satzungsbeschluss wird nämlich konkludent aufgehoben, wenn die Gemeinde im Rahmen des ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB nicht allein die Verfahrensschritte wiederholt, um den Bebauungsplan erneut zu erlassen, sondern auch einen neuen („zweiten“) Satzungsbeschlusses fasst.
58Vgl. BayVGH, Urteil vom 18. Dezember 2020 – 15 N 20.391 –, juris, Rn. 37.
59Der vom Rat der Beklagten am 18. Mai 2021 gefasste Beschluss ist ein zweiter Satzungsbeschluss in diesem Sinne und hebt den ersten Satzungsbeschluss vom 08. Oktober 2019 auf. Hätte sich die Beklagte mit ihrer Beschlussfassung lediglich auf das Fehlerheilungsverfahren beschränken wollen, hätte es genügt, mit den Ziffern 1. und 2. des Beschlusses vom 18. Mai 2021 den als fehlerhaft erachteten Ratsbeschluss vom 08. Oktober 2019 neu zu fassen. Ausweislich der Ziffer 3. des Beschlusses vom 18. Mai 2021 hat die Beklagte aber darüber hinausgehend, den Bebauungsplan explizit erneut als Satzung beschlossen. Daraus lässt sich schließen, dass die Beklagte nur noch den nach Abschluss des Heilungsverfahrens beschlossenen Bebauungsplan als maßgeblich ansehen wollte, sodass sie mit dem Beschluss vom 18. Mai 2021 zugleich den ersten Satzungsbeschluss aufgehoben hat. Dafür spricht auch, dass sämtliche Unterlagen, die bereits Gegenstand des Ratsbeschlusses vom 08. Oktober 2019 waren, erneut Gegenstand des Beschlusses vom 18. Mai 2021 gewesen sind. Ferner hat die Beklagte die redaktionellen Änderungen, die sich nach der öffentlichen Auslegung im ursprünglichen Planungsverfahren ergeben haben, nunmehr zum Teil der öffentlichen Auslegung gemacht und insofern von Anfang an in die Planung eingearbeitet. Auch anhand dieser Umstände wird die Absicht deutlich, über das bloße Heilungsverfahren hinaus, den Bebauungsplan Nr. 216 auf die Grundlage eines neuen Satzungsbeschlusses zu stellen.
603. Das Erweiterungsvorhaben der Klägerin ist daher gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen und danach auch zulässig. Die nähere Umgebung des Vorhabens entspricht, wie unten auszuführen ist, einer Gemengelage und keinem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Gebiete, insbesondere keinem Gewerbegebiet.
61Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile u.a. dann planungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
62Die Kammer bejaht die – hier allein problematische – Frage, ob sich das (großflächige) Einzelhandelsvorhaben der Klägerin nach der Art seiner baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
63Für die Bestimmung der maßgeblichen näheren Umgebung kommt es zum einen darauf an, wie sich die Ausführung des geplanten Vorhabens auf die Umgebung auswirken kann, und zum anderen darauf, wieweit die Umgebung ihrerseits das Baugrundstück prägt.
64Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 – 4 C 15.84 –, juris, Rn. 28.
65Bei der Rahmenbildung sind die tatsächlich vorhandenen baulichen Anlagen – auch die auf dem jeweiligen Baugrundstück vorhandene Bebauung – einzubeziehen. Sodann muss alles außer Betracht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt und in ihr als Fremdkörper erscheint.
66Vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB Kommentar, 143. EL August 2021, BauGB § 34 Rn. 34 ff m.w.N.
67Gemessen daran reicht die nähere Umgebung im Westen des Vorhabengrundstückes bis zum Grundstück O-Straße 16 und im Osten bis einschließlich zum Grundstück O-Straße 8. Zur näheren Umgebung gehört zudem die südlich der Straße O-Straße befindliche Bebauung von den Grundstücken O-Straße 5 (hierzu gehört auch die Bebauung auf dem Grundstück G2 ) bis einschließlich zum Grundstück O-Straße 1b. Maßgeblich für die Bestimmung der näheren Umgebung in dieser Weise sind die Sichtbeziehungen und die durch die Betriebsabläufe prägenden Einwirkungen. Nicht zur näheren Umgebung gehört hingegen die westlich und nördlich des Vorhabengrundstückes befindliche Wohnbebauung. Es handelt sich hier um Gebiete mit einheitlicher Wohnbebauung. Insofern grenzen westlich und nördlich des Vorhabens einheitliche Wohngebiete an die nähere Umgebung des Vorhabens an, die im Wesentlichen durch gewerbliche Bebauung geprägt ist. Die Grenze zwischen diesen Gebieten stellt eine städtebauliche Zäsur dar, die es rechtfertigt, die Wohnbebauung trotz bestehender Sichtbeziehungen und Betriebseinwirkungen nicht zur näheren Umgebung des Vorhabens zu zählen.
68In der so bestimmten näheren Umgebung sind folgende Arten der baulichen Nutzung festzustellen: Zwei Lebensmitteldiscounter mit einer faktischen Verkaufsfläche von jeweils mehr als 800 m², ein Elektrogroßhandel, zwei Lagerhallen, eine Kfz-Reparaturwerkstatt mit Waschanlage, ein Büro- und Wohnhaus, ein Tierbedarfshandel, ein Getränkemarkt sowie mehrere Einfamilienwohnhäuser.
69Eine Einordnung als (faktisches) Gewerbegebiet scheidet wegen der vorhandenen Wohnbebauung aus, vgl. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO. Insbesondere ist das Wohn- und Geschäftshaus unter der Anschrift O-Straße 12, angesichts der übrigen in der Umgebung vorhandenen Wohnbebauung, nicht als Fremdkörper anzusehen.
70Ebenso wenig kommt eine Einordnung als (faktisches) Mischgebiet in Betracht, vgl. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO. Im Mischgebiet stehen das Wohnen und die gewerbliche Nutzung gleichberechtigt nebeneinander. Das Wohnen und das Gewerbe müssen nicht nur qualitativ gleichwertig, sondern auch quantitativ erkennbar vorhanden sein. Eine der Hauptnutzungsarten darf optisch nicht eindeutig dominieren.
71Vgl. Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 12. Aufl. 2014, § 6 BauNVO, Rn. 1.3 f.
72Vorliegend dominieren großflächige Gewerbebetriebe die nähere Umgebung. Die wohngenutzten Hausgrundstücke sind von geringer Anzahl und im Verhältnis zu den gewerblich genutzten Grundstücken als kleinflächig anzusehen.
73Des Weiteren liegt auch kein "faktisches Sondergebiet für den großflächigen Einzelhandel" vor. Es ist schon fraglich, ob das Baugesetzbuch bzw. die Baunutzungsverordnung einen solchen Gebietstypus überhaupt vorsieht.
74Vgl. dazu VG Aachen, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 3 K 1833/12 - juris, Rn. 72; die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 BauGB verneint Bischopink, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Auflage 2018, § 11, Rn. 13; kritisch dazu: Berkemann: Die Gebietsverträglichkeit im Bauplanungsrecht, ZfBR 2021, 374 (381).
75Jedenfalls ist die Eigenart der näheren Umgebung hier erkennbar nicht allein durch den großflächigen Einzelhandel (zwei Lebensmitteldiscounter), sondern eben auch durch sonstige Gewerbebetriebe geprägt. Es ist von einer Gemengelage auszugehen, die sich durch ein Nebeneinander von Gewerbe, Wohnen und (schon) großflächigem Einzelhandel auszeichnet.
76Für die damit nach § 34 Abs.1 BauGB aufgeworfene Frage, ob sich das Vorhaben in diese Gemengelage der näheren Umgebung einfügt, gilt Folgendes:
77Ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb ist unter dem Blickwinkel der Nutzungsart dann unbedenklich, wenn – wie hier – in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb vorhanden ist. Eine Differenzierung nach angebotenen Waren, oder danach, ob der bereits vorhandene großflächige Einzelhandelsbetrieb die gleiche oder eine zumindest in etwa gleiche Verkaufsfläche hat wie der neu hinzukommende Einzelhandelsbetrieb, ist nicht angezeigt.
78Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2000 – 4 B 25/00 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 17. März 2021 – 7 A 4950/18 –, juris, Rn. 74; VGH Mannheim, Urteil vom 27. März 2019 – 3 S 201/17 –, juris, Rn. 30 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 30. Oktober 2015 – 9 K 1284/15 –, juris, Rn. 77 ff. m.w.N.
79Die geplante Erweiterung findet ihre Vorbilder danach in den zwei bereits großflächigen Einzelhandelsbetrieben. Hierzu zählen der auf dem Vorhabengrundstück vorhandene großflächige LIDL-Lebensmitteldiscounter und der auf dem Grundstück G2 befindliche großflächige ALDI-Lebensmitteldiscounter.
80Die faktische Großflächigkeit resultiert hinsichtlich des klägerischen LIDL-Lebensmitteldiscounters auf dem Vorhabengrundstück daraus, dass die ursprünglich bei Genehmigungserteilung und Berechnung der Verkaufsfläche unberücksichtigt gebliebenen Windfänge, die Kassenzone und der Pfandvorraum zur Verkaufsfläche gehören,
81vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10/04 –, BVerwGE 124, 364-376, Rn. 27; VGH Mannheim, Urteil vom 11. Februar 2016 – 5 S 1389/14 –, juris, Rn. 77 m.w.N.,
82sodass die Verkaufsfläche tatsächlich ca. 817 m² beträgt.
83Hinsichtlich des ALDI-Lebensmitteldiscounters resultiert die faktische Großflächigkeit daraus, dass die in den Bauvorlagen zu den erteilten Baugenehmigungen angegebenen Maße der zur Verkaufsfläche gehörenden Flächen mit dem Faktor 0,97 (sog. Putzabschlag von 3% – Berechnung der bebauten Fläche, des Bruttorauminhalts und der Nutzfläche nach DIN 277) multipliziert wurden. Eine derartige Reduktion ist indes unangemessen hoch und spiegelt die tatsächliche Nutzung des Raumes nicht angemessen wider. Angemessen ist allenfalls ein Putzabzug von 1 bis 1,5 cm.
84Vgl. VGH Mannheim, Urteile vom 10. Juli 2006 – 3 S 2309/05 –, juris, Rn. 32 und vom 13. Juli 2004 – 5 S 1205/03 –, juris, Rn. 36.
85Dies zugrunde gelegt beträgt die Verkaufsfläche, ausgehend von den in den Bauvorlagen angegebenen Flächenmaßen, ca. 822 m².
86Da es auf das tatsächlich Vorhandene ankommt, ist die Genehmigungslage insoweit nicht maßgeblich. Tatsächlich vorhandene ungenehmigte bauliche Anlagen bleiben nur dann bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung außer Betracht, wenn das Verhalten der Bauaufsichtsbehörde – namentlich der Erlass von Beseitigungsverfügungen – hinreichend klar ergibt, dass ihre Beseitigung absehbar ist.
87Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2019 – 10 A 2625/18 –, juris, Rn. 9.
88Dies ist hier nicht der Fall. Hinsichtlich des LIDL-Lebensmitteldiscounters hat die Beklagte bislang lediglich ausgeführt, dass sie wird prüfen müssen, ob sie bauordnungsrechtlich vorgehen werde. Im Übrigen hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren selbst vorgetragen, dass dieser Betrieb in seinem jetzigen Bestand zulässig sei. Hinsichtlich des ALDI-Lebensmitteldiscounters hat sie mit Schriftsatz vom 04. November 2020 angekündigt, sie werde gegen die nicht genehmigte Nutzung einschreiten. Hinreichende Klarheit, was in Zukunft zu erwarten, insbesondere ob eine Beseitigung absehbar ist, ergibt sich daraus nicht. Die Beklagte hat trotz der anhängigen Verfahren zu den beantragten Bauvorbescheiden der Klägerin und der Firma ALDI seit inzwischen fast sechs Jahren und auch mehr als ein Jahr nach ihrer Ankündigung vom 04. November 2020 nichts Konkretes veranlasst, um die aus ihrer Sicht baurechtskonformen Zustände herzustellen. Dass sich daran etwas ändern wird, ist vor diesem Hintergrund nicht konkret zu erwarten.
894. Das Vorhaben lässt keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB erwarten.
90Schädliche Auswirkungen eines Vorhabens im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB sind zu erwarten, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs durch das Vorhaben in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird. Eine solche Funktionsstörung liegt vor, wenn der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr in substantieller Weise wahrnehmen kann. Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind nicht erst dann schädlich, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten. Vorzunehmen ist eine Prognose, die alle Umstände des Einzelfalls in den Blick nimmt. Dazu zählen insbesondere der voraussichtliche Kaufkraftabfluss, ein Verkaufsflächenvergleich, die Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem jeweiligen zentralen Versorgungsbereich, eine etwaige „Vorschädigung“ des zentralen Versorgungsbereichs oder die Gefährdung eines vorhandenen „Magnetbetriebs“, der maßgebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs hat. Sind im Einzugsbereich des zentralen Versorgungsbereichs in räumlicher Nähe an anderer Stelle bereits Einzelhandelsbetriebe vorhanden, dürfen auch diese bei der Gesamtbetrachtung nicht unberücksichtigt bleiben. Schädliche Auswirkungen können sich nämlich auch daraus ergeben, dass das geplante Vorhaben zusammen mit bereits vorhandenen Betrieben eine Beeinträchtigung des geschützten zentralen Versorgungsbereichs bewirkt. Soll ein bestehender Einzelhandelsbetrieb erweitert werden, ist die Zulässigkeit des Gesamtvorhabens zu prüfen; dabei ist zu berücksichtigen, dass der zu erweiternde Betrieb mit seiner bisherigen (genehmigten) Größe am Erweiterungsstandort bereits vorhanden ist. Ein schon geschädigter zentraler Versorgungsbereich wird insofern geschützt, als ihm eine "Erholung" nicht durch die Zulassung von Vorhaben erschwert oder unmöglich gemacht werden soll, welche die Schädigung verstärken.
91Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2009 – 4 C 2/08 –, juris, Rn. 13; vom 11. Oktober 2007 – 4 C 7/07 –, juris, Rn. 15; Beschluss vom 17. Februar 2009 – 4 B 4/09 –, juris, Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 17. März 2021 – 7 A 4950/18 –, juris, Rn. 86; vom 07. Juni 2019 – 2 A 670/17 –, juris, Rn. 102 - 119; vom 16. März 2012 – 2 A 1518/10 –, juris, Rn. 139.
92Gemessen daran sind von dem Vorhaben der Klägerin keine schädlichen Auswirkungen zu erwarten. Das gilt insbesondere auch für den Einzelhandelsstandort im ca. 3 Kilometer entfernten Stadtteil D . Dort befinden sich an der W-Straße 20-29 eine Filiale des Lebensmitteldiscounters Penny mit 820 m2 Verkaufsfläche und an der W-Straße 49 ein Rewe-Supermarkt mit 1.400 m2 Verkaufsfläche. Die städtebaulich relevante Nahversorgungsfunktion dieses Einzelhandelsstandorts wird durch das streitbefangene Erweiterungsvorhaben nicht gefährdet. Zwar heißt es in der Auswirkungsanalyse im Zentrenkonzept der Beklagten vom 22. Dezember 2016, dass der Standort D von einem Umsatzrückgang von 14 bis 15% betroffen sein könnte und betriebsgefährdende Auswirkungen möglich seien, wenn alle geplanten Erweiterungsvorhaben O-Straße , insbesondere auch die Erweiterung des bestehenden Lebensmitteldiscounters der Klägerin und der Firma ALDI realisiert werden. Es liegt für die Kammer aber auf der Hand, dass dieser nicht unerhebliche Umsatzrückgang den strukturgleichen Lebensmitteldiscounter Penny deutlich stärker treffen wird als den Rewe-Supermarkt. Daher ist die weitere Annahme gerechtfertigt, dass am Standort D , selbst wenn der Penny-Markt schließen müsste, mit dem Rewe-Supermarkt ein Vollsortimenter als sogenannter Frequenzbringer erhalten bleibt, der die aus städtebaulicher Sicht relevante Funktion der Nahversorgung für die Bevölkerung erfüllen kann.
93Vgl. zur Bedeutung des Erhalts eines Frequenzbringers: OVG NRW, Urteil vom 15. Februar 2012 – 10 A 1770/09 –, juris, Rn. 71 f.
94Abgesehen davon erscheint es der Kammer mit Blick auf die Entfernung zwischen dem Standort des klägerischen Betriebs und dem Standort D nicht naheliegend, dass sich die Kundschaft zulasten des Penny-Lebensmitteldiscounters nennenswert umorientiert. So dürften die Kunden des Nahversorgungszentrums D ihr Einkaufsverhalten nicht grundlegend in der Weise ändern, dass sie Einkäufe, die unter Ausnutzung der vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten bislang im fußläufigen Bereich erledigt wurden, nunmehr unter Benutzung von Kraftfahrzeugen oder Inkaufnahme erheblich längerer Fußwege am Standort der Klägerin durchführen, nur weil dieser (seit Jahren bestehende Markt) nunmehr eine erhöhte Verkaufsfläche aufweist.
95Ferner ist die Aussagekraft der vorzitierten Auswirkungsanalyse im vorliegenden Zusammenhang eingeschränkt. In konsequenter Umsetzung des von der Beklagten erteilten Gutachtenauftrages verfolgt sie einen kumulativen Ansatz. Dazu betrachtet sie die Folgen, die bei einer Umsetzung aller geplanten Vorhaben im Standortbereich eintreten. Einbezogen sind die Erweiterung der Lebensmitteldiscounter der Klägerin und der Firma ALDI sowie die Ansiedlung weiterer vier Fachmärkte auf dem Grundstück der Firma ALDI. Zur Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Einzelvorhaben nach § 34 Abs. 3 BauGB darf aber keine Gesamtbetrachtung angestellt werden, sondern allein eine solche, die vorhabenbezogen ist.
96Auch sonstige Umstände lassen keine schädlichen Auswirkungen erwarten. Eine Erweiterung des Sortimentes oder eine Neuausrichtung des Discounters ist nicht beabsichtigt. Dies entspricht dem bereits an anderen Standorten erkennbaren Konzept der Klägerin, in allen Filialen ein identisches Sortiment anzubieten, jedoch die Präsentation der angebotenen Waren durch eine Verkaufsflächenvergrößerung zu verbessern.
97Vgl. OVG NRW, Urteil vom 06. November 2008 – 10 A 1417/07 –, juris, Rn. 84 ff.
98Der Standort der Klägerin liegt etwa 3 km vom Nahversorgungszentrum D entfernt und befindet sich damit außerhalb dessen fußläufigen Einzugsbereichs. Die nicht autoorientierten Kunden werden daher auch weiterhin in den in diesem Zentrum gelegenen Betrieben der Firmen Penny und REWE einkaufen (s.o.). Der Einzelhandelsbesatz in dem Nahversorgungszentrum D ist nach den Feststellungen im Einzelhandelskonzept 2017 insgesamt gut aufgestellt. Dass der vorhandene Lebensmitteldiscounter das Nahversorgungszentrum schon gefährdet oder geschädigt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Nach der Auswirkungsanalyse ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Markt auf die Betriebe am Standort „ O-Straße “ eingestellt hat und gerade keine Gefährdung vorliegt, denn sonst könnte eine auch nach der vorzitierten Auswirkungsanalyse mögliche Erweiterung der Verkaufsfläche „ O-Straße “ nicht unschädlich sein. Für die autoorientierten Kunden bestehen im Übrigen bereits jetzt weitere Einkaufsmöglichkeiten, welche die von der Klägerin geplante Erweiterung als marginal erscheinen lassen. Ebenfalls in einer Entfernung von ca. 2 km befinden sich im Gewerbegebiet „ H “ ein Kaufland SB-Markt und zahlreiche weitere, teilweise großflächige Fachmärkte.
99Schädliche Auswirkungen auf die anderen zentralen Versorgungsbereiche der Beklagten oder anderer Kommunen sind nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch aus der vorzitierten Auswirkungsanalyse nicht.
100In der rund 2,5 Kilometer vom Vorhabenstandort entfernten Innenstadt der Beklagten ist auf dem Grundstück L-Straße 12 ein Edeka-Supermarkt mit einer Verkaufsfläche von 2.850 m2 ansässig; auf dem Grundstück R-Straße 10 befindet sich eine Filiale des Discounters Netto mit einer Verkaufsfläche von 850 m2. Diese Betriebe befinden sich im sogenannten „ K “, der nicht Bestandteil des zentralen Versorgungsbereiches der Innenstadt der Beklagten ist. Außerdem befindet sich auf der N-Straße ein REWE-Markt mit 900 m² Verkaufsfläche, der ebenfalls nicht im zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt liegt.
101Für den zentralen Versorgungsbereich in der Innenstadt der Beklagten sind keine schädlichen Auswirkungen zu erwarten. Diese Annahme lässt sich darauf stützen, dass es dort an (System-) Wettbewerbern für den Lebensmitteldiscounter der Klägerin fehlt. Schließlich fehlt auch ein Anhalt dafür, dass eine etwaige "Erholung" für den zentralen Versorgungsbereich in der Innenstadt durch Zulassung des klägerischen Vorhabens erschwert oder gar unmöglich gemacht werden wird.
102Nach alledem war der Klage mit dem Hauptantrag stattzugeben; über die Hilfsanträge ist nicht mehr zu entscheiden.
103Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.