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1. Die Coronabetreuungsverordnung NRW sieht keineVerpflichtung zur Durchführung von Selbsttests für Schülerinnenund Schüler vor.
2. Die Qualifikationsstufe 1 der gymnasialen Oberstufe istnicht Abschlussklasse im Sinne des Infektionsschutzgesetzes.
3. Die Übermittlung der Inzidenzzahlen an das Robert-Koch-Institut hat für die kreisfreie Stadt Aachen und die StädteregionAachen getrennt voneinander zu erfolgen.
4. Die Schaffung von Testobliegenheiten alsZugangsvoraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht istrechtmäßig.
5. Die in den Pufferlösungen von Selbsttests zu findendeSubstanz Natriumazid ist jedenfalls von vornherein unbedenklich,wenn ihre Konzentration nicht mehr als 0,1 % beträgt.
6. Schülerinnen und Schülern, die ihrer Testobliegenheit nichtnachkommen, kann nicht jede Form des Distanzunterrichtsverwehrt werden.
7. Die Durchführung der Selbsttests in den Schulen begegnetkeinen durchgreifenden datenschutzrechtlichen Bedenken.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
21. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
32. Der sinngemäß gestellte Antrag,
4den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin ohne Teilnahme an einer Corona-Testung zur Teilnahme am Präsenzunterricht und an Klausuren zuzulassen,
5ist zwar zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
6Das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Antrag ist auch nicht durch den Umstand entfallen, dass ab dem 29. April 2021 in der Städteregion Aachen (einschließlich der Stadt Aachen) die Durchführung von Präsenzunterricht gemäß § 28b Abs. 3 Satz 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) – in der ab dem 23. April 2021 gültigen Fassung – untersagt ist.
7vgl. Ziff. 3 lit. f) der Allgemeinverfügung „Feststellung der Voraussetzungen des § 28b des Infektionsschutzgesetzes" vom 27. April 2021 des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen.
8Zwar ist entgegen der Auffassung des Schulministeriums,
9vgl. Schulmail vom 22. April 2021, abrufbar unter https://www.schulministerium.nrw/22042021-informationen-zum-schulbetrieb-ab-26-april-2021 (letzter Abruf: 27. April 2021),
10der Jahrgang der Qualifikationsstufe 1 (Q1), den die Antragstellerin besucht, anders als der Jahrgang der Qualifikationsstufe 2 (Q2) nicht als Abschlussklasse im Sinne des § 28b Abs. 3 Satz 4 IfSG einzuordnen, sodass eine Ausnahme von der Untersagung nach § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG - anders als derzeit von § 1 Abs. 13 Satz 3 Nr. 2 der Coronabetreuungsverordnung (CoronaBetrVO) in der ab dem 12. April 2021 gültigen Fassung vorgesehen - nach dem vorgehenden Bundesrecht nicht zulässig ist. Denn unter diesen Begriff fallen nach dem Wortlaut nur Jahrgänge bzw. Klassen, die mit einer Abschlussprüfung enden,
11vgl. insofern auch die Begründung zum ursprünglichen Gesetzentwurf, BT-Drs. 19/28444 vom 13. April 2021, S. 15,
12oder zumindest eine Schulstufe abschließen,
13vgl. Bericht des Ausschusses für Gesundheit, nach dem die genannten Abschlussklassen auch Übertrittsklassen an Grundschulen erfassen, BT-Drs. 19/28732 vom 20. April 2021, S. 20,
14und nicht die ganze Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe. Im Übrigen ist die CoronaBetrVO selbst dahingehend auszulegen, dass die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe nicht in vollem Umfang als Abschlussklasse anzusehen ist, weil ansonsten die Regelung in § 1 Abs. 13 Satz 3 Nr. 2 CoronaBetrVO mangels eigenständigem Anwendungsbereich von vornherein überflüssig wäre.
15Die Schaffung einer weiteren Ausnahmegruppe ist auch nicht durch § 28b Abs. 5 IfSG gerechtfertigt, da diese Länderöffnungsklausel allein weitergehende Schutzmaßnahmen zulässt; also solche, die die Schutzwirkung der bundesrechtlichen Regelung noch übertreffen. Dies ist bei der Schaffung einer weiteren Gruppe, die vom Verbot des Präsenzunterrichts ausgenommen werden soll, ersichtlich nicht der Fall.
16Auch wenn somit seit dem 29. April 2021 eine Zugangsmöglichkeit zum Präsenzunterricht vorerst nicht besteht, war vorliegend allein über die Frage einer zugangsbeschränkungsfreien Teilnahme am Präsenzunterricht unter der Voraussetzung, dass dieser angeboten wird, zu entscheiden.
17Im vorliegenden Eilverfahren wirkt sich die nur gebündelte und nicht getrennte Darstellung der Zahlen der Stadt Aachen und der Städteregion Aachen auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts,
18vgl. Gesamtübersicht der pro Tag ans RKI übermittelten Fälle, Todesfälle und 7-Tage-Inzidenzen nach Bundesland und Landkreis sowie Archiv Fallzahlen und 7-Tage-Inzidenzen nach Landkreis seit 18.11.2020 (29.4.2021), LK_7-Tage-Inzidenz, Zeile "StadtRegion Aachen", abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Kum_Tab.xlsx?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 29. April 2021),
19nicht aus. Nach Auffassung der Kammer entspricht diese Darstellung jedoch nicht den rechtlichen Vorgaben, wonach für alle Landkreise und kreisfreien Städte die maßgeblichen Zahlen zu veröffentlichen sind. Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 und Abs. 3 des Städteregion-Aachen-Gesetzes vom 26. Februar 2008 (SAG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 28 der Öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen dem Kreis Aachen und der Stadt Aachen vom 17. Dezember 2007 (GV. NW. 2008, 177) für die Aufgaben der unteren Gesundheitsbehörden im Bereich des Infektionsschutzes nach § 6 Abs. 3 SAG zwar nicht die Stadt Aachen, sondern nur die Städteregion Aachen zuständig ist. Dies deshalb, weil allein die Städteregion für die Erfüllung von Aufgaben zuständig ist, die nach Inkrafttreten des SAG ausschließlich der Kreisebene zugewiesen werden. § 4 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes NRW vom 14. April 2020 (IfSBG-NRW), zuletzt geändert am 25. März 2021, weist Aufgaben nach dem Infektionsschutzgesetz des Bundes grundsätzlich den Kreisen und kreisfreien Städten als unteren Gesundheitsbehörden zu. Die abweichenden Sonderzuständigkeiten nach diesem Gesetz betreffen nicht die Meldepflicht nach § 11 Abs. 3 IfSG, so dass insofern allein die Kreisebene zuständig ist. Soweit man in § 4 IfSBG-NRW keine Neuübertragung einer Aufgabe sieht, da die Zuständigkeit zuvor bereits durch Rechtsverordnung der Kreisebene zugewiesen worden ist, ist die Zuständigkeit durch § 1 Abs. 1 Nr. 28 der Öffentlich-rechtlichen Vereinbarung vom 17. Dezember 2007 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Satz 2 SAG von der Stadt Aachen auf die Städteregion übergegangen. Regelungen darüber, welche Behörde für die Erfüllung bestimmter Aufgaben zuständig ist, und auch die Schaffung gemeinsamer Behörden für die Städteregion und die Stadt Aachen berühren jedoch die Rechtsstellung Aachens als kreisfreie Stadt nicht. § 4 Abs. 1 Satz 1 SAG legt fest, dass die Stadt Aachen die Rechtsstellung als kreisfreie Stadt nach Maßgabe dieses Gesetzes behält. Eine solche Maßgabe findet sich in § 4 Abs. 3 SAG, der mit Blick auf bestimmte Vorschriften fingiert, dass die Stadt Aachen keine kreisfreie Stadt sei. § 4 Abs. 1 Satz 3 SAG ist trotz seines Verweises auf § 5 Satz 2 SAG nicht dahingehend auszulegen, dass die Stadt Aachen generell nicht mehr die Rechtsstellung einer kreisfreien Stadt hat bzw. auf sie die Regeln für kreisfreie Städte pauschal nicht mehr anzuwenden sind. Eine solche Auslegung ließe sich mit § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SAG nicht vereinbaren.
20Dieses Verständnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers: „Intention des Gesetzes ist, die Zusammenarbeit der Mitgliedskommunen in dem neuen Gemeindeverband Städteregion Aachen so weitgehend wie möglich zu fördern und dabei den
21Status der Stadt Aachen als kreisfreie Stadt so wenig wie möglich zu tangieren“,
22vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, Landtags-Drucksache 14/5556 vom 26. November 2007, S. 35, zu § 4.
23Demnach ist das Gesundheitsamt der Städteregion Aachen umfassend zuständig, aber inhaltlich gehalten, Zahlen differenziert nach der Städteregion einerseits und der Stadt Aachen andererseits zu melden.
24Allerdings knüpfen die rechtlichen Auswirkungen der Überschreitung bestimmter Schwellenwerte an die diesbezüglichen Allgemeinverfügungen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales an, die als sofort vollziehbare Verwaltungsakte eigenständige Wirksamkeit entfalten und die dahingehend auszulegen sind, dass die dort aufgeführte Städteregion Aachen das Gebiet der Stadt Aachen mit umfasst.
25Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
26Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu muss die Antragstellerin grundsätzlich glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch), § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Besondere Anforderungen gelten für den Fall, dass die begehrte Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Da die einstweilige Anordnung grundsätzlich nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ausgesprochen werden darf, ist sie in diesen Fällen nur möglich, wenn sonst das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt würde. So darf die Entscheidung in der Hauptsache ausnahmsweise vorweggenommen werden, wenn ein Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben würde und wenn es der Antragstellerin darüber hinaus schlechthin unzumutbar wäre, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2012 - 10 C 9.13 -, juris, Rn. 22.
28Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
29Einen Anordnungsanspruch hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht.
30Die Teilnahme am Präsenzunterricht ist der Antragstellerin trotz der durch § 1 Abs. 2a Satz 1 CoronaBetrVO – in der ab dem 12. April 2021 gültigen Fassung – bzw. § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG – in der ab dem 23. April 2021 gültigen Fassung – geregelten Zugangsvoraussetzung möglich. Es ist ihr zumutbar, sich den Zugang zum Präsenzunterricht entweder durch freiwillige Teilnahme an den in ihrer Schule gemäß § 1 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 CoronaBetrVO durchgeführten Selbsttests oder durch den Nachweis über eine negative, höchstens 48 Stunden zurückliegende Testung außerhalb der Schule gemäß § 1 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 CoronaBetrVO zu eröffnen.
31Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Regelung in § 1 Abs. 2b Satz 2 CoronaBetrVO ungeachtet ihres unklaren Wortlauts nicht dahingehend zu verstehen ist, dass Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit des Nachweises nach § 1 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 CoronaBetrVO versperrt werden soll. Die Vorschrift legt vielmehr nur fest, dass die Selbsttests von Schülerinnen und Schülern in den Schulen ausschließlich unter der Aufsicht schulischen Personals stattfinden dürfen. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Testung in der Schule sei für sie sehr belastend, ist insofern auf die daneben bestehende alternative Möglichkeit der Testung außerhalb der Schule hinzuweisen, die auch etwa in Anwesenheit der Mutter erfolgen kann.
32Es ist nicht feststellbar, dass die Durchführung der Selbsttests für die Antragstellerin mit wesentlichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Für den an ihrer Schule eingesetzten Selbsttest „Clinitest Rapid COVID 19 Antigen Self-Test“ der Siemens Healthcare Diagnostics Products GmbH ist mit Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 24. Februar 2021 die erforderliche Sonderzulassung nach § 11 Absatz 1 Medizinproduktegesetz erteilt worden. Das Bundesinstitut hat in diesem Zusammenhang genehmigt, dass der Test auch von Minderjährigen selbst durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang wird in der ebenfalls vom BfArM genehmigten Gebrauchsanweisung ausgeführt, dass Minderjährige unter 12 Jahren den Test nur unter Aufsicht eines Erwachsenen durchführen sollen. Insoweit ist zwar zunächst festzustellen, dass der vom BfArM geforderte Nachweis des Erfüllens der speziell für die Laienanwendung spezifizierten grundlegenden Anforderungen aus Anhang I Nr. 7 der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika nicht gesundheitliche Aspekte, sondern die Gewährleistung der Ergebniszuverlässigkeit betrifft. Zusätzlich lag dem BfArM aber auch eine aktuelle Risikoanalyse des den Antrag stellenden Unternehmens vor, in der die Risiken, die sich aus der Eigenanwendung ergeben, dargestellt werden müssen. Hinweise, dass sich daraus eine Gesundheitsgefährlichkeit ergibt, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
33Weiter lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür feststellen, dass der in der Pufferlösung zu 0,05 % enthaltene Stoff Natriumazid wesentliche gesundheitliche Risiken für die Selbstanwender begründet.
34Natriumazid wird unter der Index-Nummer 011-004-00-7 im Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (CLP-VO) aufgeführt. Die akute Toxizität dieser Substanz (insbesondere durch orale Aufnahme) wird der Gefahrenklasse Kategorie 2 zugeordnet.
35Gemäß Art. 11 der Verordnung und deren Anhang I Abschnitt 1.1.2.2.1 ist ein grundsätzlich als gefährlich eingestufter Stoff überhaupt nur dann bei der Einstufung eines Gemischs (hier der Pufferlösung) zu berücksichtigen, wenn die Konzentration dieses Stoffes im Gemisch den maßgeblichen Berücksichtigungsgrenzwert erreicht oder übersteigt. Hieran wird die Einschätzung des Verordnungsgebers ersichtlich, dass unterhalb dieses Berücksichtigungsgrenzwerts liegende Konzentrationen von vornherein nicht als gesundheitsschädigend anzusehen sind – unabhängig davon, um welchen Stoff es sich handelt. Wie hoch der anwendbare Berücksichtigungsgrenzwert ist, hängt dabei von der Art des betrachteten Stoffs ab und ist nach Anhang I Abschnitt 1.1.2.2 zu bestimmen (siehe Art. 11 Abs. 3 der Verordnung). Gemäß Anhang I Abschnitt 1.1.2.2.2. richtet sich der Berücksichtigungsgrenzwert primär nach dem spezifischen Konzentrationsgrenzwert, wenn ein solcher für den Stoff in der Verordnung festgelegt ist. Für Natriumazid ist kein spezifischer Konzentrationsgrenzwert festgelegt.
36In einem solchen Fall ist gemäß Anhang I Abschnitt 1.1.2.2.2. iii) der Verordnung der in der dortigen Tabelle 1.1 angegebene allgemeine Berücksichtigungsgrenzwert heranzuziehen, wenn die Gefahrenklasse des Stoffs in der Tabelle 1.1 angegeben ist. Als Gefahrenklasse ist für Natriumazid in Anhang IV in Tabelle 3.1 der Verordnung hinsichtlich Gesundheitsgefahren die Klasse „Akute Toxizität 2“ angegeben. Gemäß Tabelle 1.1 des Anhangs I gilt für Stoffe mit einer Klassifizierung Akute Toxizität der Kategorien 1-3 ein allgemeiner Berücksichtigungsgrenzwert von 0,1 %.
37Mit Blick auf Gefahren für Haut oder Augen liegt der Berücksichtigungsgrenzwert für Natriumazid bei 1 %. Die Konzentration von Natriumazid in der Pufferlösung liegt damit bei einem Zwanzigstel des Grenzwertes, der sich auf Gefahren im Bereich von denjenigen Formen unsachgemäßen Gebrauchs bezieht, die bei realistischer Betrachtung auftreten können. Im Übrigen ist auch die absolute Menge des in der Pufferlösung enthaltenen Natriumazids so gering, dass eine akute Toxizität nicht feststellbar ist.
38Die Gebrauchsanweisung oder sonstige Packungsbeilage anderer Hersteller, die in der Schule der Antragstellerin nicht verwendet werden, ist für das vorliegende Verfahren ohne Belang.
39Abgesehen davon, dass sich die Antragstellerin in zumutbarer Weise den Zugang zum Präsenzunterricht eröffnen kann, wird durch die Regelung in § 1 Abs. 2a Satz 1 und 2 CoronaBetrVO keine Testpflicht im Rechtssinne statuiert. Dies folgt zunächst aus dem vom Verordnungsgeber konkret gewählten Wortlaut,
40vgl. im Gegensatz hierzu die Maskenpflicht in § 1 Abs. 3 CoronaBetrVO,
41sowie aus dem Umstand, dass die Erfüllung der Testung vom Antragsgegner nach der Ausgestaltung der Verordnung nicht erzwungen werden kann. Vielmehr trifft die Schülerinnen und Schüler nur die Obliegenheit, ein negatives Testergebnis vorzuweisen, um an der schulischen Nutzung, insbesondere dem Präsenzunterricht, teilnehmen zu können. Der Schüler bzw. die Schülerin, die sich nicht testen lässt, verhält sich nicht rechtswidrig. Angesichts dieser Ausgestaltung als bloße Testobliegenheit, die zu einer Zugangsbeschränkung der schulischen Nutzung führt, darf deren Nichterfüllung jedoch nicht in der Weise gleichsam sanktioniert werden, dass den betreffenden Schülerinnen und Schülern keinerlei Lernangebote gemacht werden. Dies würde gegen ihren Bildungsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 LVerf NRW verstoßen.
42Die Schulleitungen sind vielmehr verpflichtet, ihnen angemessenen Distanzunterricht anzubieten, der dafür sorgt, dass sie an das Unterrichtsgeschehen angebunden und im Klassenverband verwurzelt bleiben. Die konkrete Ausgestaltung liegt im schulorganisatorischen Ermessen der jeweiligen Schulleitung. Dass dieser Distanzunterricht nicht den gleichen Wert haben kann und muss wie der Präsenzunterricht, liegt auf der Hand und folgt bereits aus den pandemiebedingten Einschränkungen, die sich in sachlicher und personeller Hinsicht für den Schulbetrieb und das häusliche Lernen ergeben. Im Übrigen wird es auch an zahlreichen Tagen Distanzunterricht für die gesamte Klasse geben, wenn der Unterricht im Wechselmodell stattfindet.
43Vgl. zur Ausgestaltung in anderen Bundesländern mit Lernangeboten im Distanzunterricht für Schülerinnen und Schüler, die sich nicht testen lassen wollen: BayVGH, Beschluss vom 13. April 2021 - 20 NE 21.1032 -, a.a.O., Rn. 13 ff.; OVG Bremen, Beschluss vom 20. April 2021 - 1 B 180/21 -, juris, Rn. 45; OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. April 2021 - 13 MN 192/21 -, juris, Rn. 64.
44Zudem muss dieser Distanzunterricht nicht den gleichen Umfang haben wie der, der nach § 3 Abs. 5 der Zweiten Verordnung zur befristeten Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gemäß § 52 SchulG vom 2. Oktober 2020 einzelnen Schülerinnen und Schülern aus Gründen des Infektionsschutzes erteilt werden kann. Dies gilt insbesondere bei Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die Antragstellerin selbst zumutbar Zugang zum regulären Präsenz-, Wechsel- oder Distanzunterricht der Klasse verschaffen können. Allerdings ist nach Auffassung der Kammer die vorgenannte Regelung nicht so zu verstehen, dass sie die Erteilung von Distanzunterricht für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die sich nicht testen lassen, gleichsam sperren würde. § 3 Abs. 5 dieser Verordnung ist nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung keine Verbotsnorm.
45Vgl. a.A. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2021 - 13 B 559/21.NE -, a.a.O., Rn. 109.
46Jedenfalls muss Schülerinnen und Schülern, die sich keinen Tests unterziehen, kein individuelles Lernangebot unterbreitet werden, das beispielsweise über die bloße Mitteilung der Lerninhalte und Hausaufgaben hinausgeht.
47Die Zugangsbeschränkung mit Testobliegenheit begegnet aus Sicht der Kammer nach summarischer Prüfung auch keinen datenschutzrechtlichen Bedenken.
48Ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung - DS-GVO) ist nicht gegeben.
49Zwar ist nach dieser Vorschrift die Verarbeitung von Gesundheitsdaten grundsätzlich untersagt. Vorliegend ist die Verarbeitung allerdings nach Art. 9 Abs. 2 lit. a) DS-GVO gerechtfertigt.
50Die Antragstellerin willigt im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a) DS-GVO in die Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten durch Teilnahme an den Selbsttests ein. Diese Rechtfertigung besteht aber nur insoweit, wie die Teilnahme an den Testungen freiwilliger Natur ist. Eine Einwilligung (vgl. Art. 4 Nr. 11 DS-GVO) setzt zunächst eine freiwillige Entscheidung voraus. Nach der Datenschutz-Grundverordnung kann eine Willensbekundung nur freiwillig sein, wenn die betroffene Person „eine echte oder freie Wahl hat und somit in der Lage ist, die Einwilligung zu verweigern oder zurückzuziehen, ohne Nachteile zu erleiden“ (Erwägungsgrund 42 DS-GVO). Ein faktischer Zwang, der die Freiwilligkeit der Einwilligung ausschließen würde, wäre nur gegeben, wenn Schülerinnen und Schüler, welche einen Test nicht durchführen wollen oder können, vom Unterrichtsangebot vollständig ausgeschlossen würden, da sie auch keine Form des Distanzunterrichts erhielten. Denn entfiele eine Beschulung insgesamt, könnte nicht mehr von einer freien Wahl der Schülerinnen und Schüler bzw. ihrer Erziehungsberechtigten ausgegangen werden. Es bestünde die Gefahr, dass die Einwilligung gerade nicht aufgrund eines freien Entschlusses erfolgt, sondern nur unter dem „Druck“, ansonsten vom Schulunterricht gänzlich ausgeschlossen zu werden und damit womöglich Bildungsnachteile zu erfahren.
51Vgl. BayVGH Beschluss vom 13. April 2021 - 20 NE 21.1032 -, a.a.O., Rn. 27.
52Eine Rechtfertigung folgt auch aus Art. 9 Abs. 2 lit. g) DS-GVO.
53Vgl. insoweit auch § 122 Abs. 1 Satz 2 SchulG.
54Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Präsenzunterricht so lange wie möglich durchführen zu können, weil allein die Unterrichtung in Form des Präsenzunterrichts im Klassen- bzw. Kursverband geeignet ist, die Erfüllung des aus Art. 7 GG bzw. Art 8 LVerf NRW resultierenden Bildungs- und Erziehungsauftrages der Schule sicherzustellen. Die Testobliegenheit dient dazu, durch einen wirksamen Infektionsschutz in Schulen den Präsenzunterricht im größtmöglichen Umfang zuzulassen.
55Vgl. Allgemeine Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Coronabetreuungsverordnung vom 7. Januar 2021 vom 10. April 2021, S. 1, abrufbar unter https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/210419_begruendung_3._aendvo_coronabetrvo.pdf, letzter Abruf: 27. April 2021.
56Eine Rechtfertigung folgt auch aus Art. 9 Abs. 2 lit. h) DS-GVO.
57Dieser Rechtfertigungsgrund kommt auch bei präventiven Maßnahmen zur Anwendung, die der Gesundheitssicherung Dritter dienen.
58Vgl. Weichert in: Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, 3. Auflage 2020, Ar7. 9, Rz. 99.
59Die Datenverarbeitung ist auch erforderlich, um bei Präsenzunterricht die Gesundheit der weiteren im Klassen- oder Kursraum anwesenden Mitschülerinnen und Mitschüler zu schützen.
60Vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 9. April 2021 - 3 B 114/21 -, juris, Rn. 15.
61Auch der Umstand, dass das Testergebnis Mitschülerinnen und Mitschülern zumindest mittelbar bekannt wird, begegnet nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung keinen durchgreifenden datenschutzrechtlichen Bedenken. Zum einen ist es Schülerinnen und Schülern unbenommen, alternativ zu den in den Schulen angebotenen Selbsttests von der Nachweismöglichkeit nach § 1 Abs. 2a Nr. 2 CoronaBetrVO Gebrauch zu machen, so dass auch diese Datenbekanntgabe von der freiwilligen Einwilligung durch Testteilnahme gedeckt ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellern die Nachweismöglichkeit nach § 1 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 CoronaBetrVO nicht zur Verfügung steht, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
62Zum anderen ist es bei Tests von Mitgliedern einer Gruppe, deren Ergebnisse für die Zulässigkeit des Verbleibs in der Gruppe maßgeblich sind, unvermeidlich, dass die anderen Gruppenmitglieder aus dem Ausscheiden des getesteten Gruppenmitglieds Rückschlüsse auf dessen Testergebnis ziehen können. Unabhängig hiervon erscheint es auch sinnvoll, wenn die Mitschülerinnen und Mitschüler Kenntnis erlangen, da es sich bei ihnen sämtlich um potentielle Kontaktpersonen handeln dürfte. Die Kenntnis von einem positiven Testergebnis einer Kontaktperson dient dazu, eine weitere Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verhindern, und damit der körperlichen Unversehrtheit nicht nur der anwesenden Personen, sondern auch aller weiterer Personen, mit denen die Kontaktpersonen ihrerseits in Kontakt treten.