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1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
G r ü n d e
2Der – sinngemäß gestellte – Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der am 14. Januar 2021 erhobenen Klage (8 K 84/21) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 11. Dezember 2020 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
6I. Soweit der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung enthaltenen Versagung eines Aufenthaltstitels gerichtet ist, ist er zulässig. Die in der Hauptsache erhobene Klage hat nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist auch im Übrigen statthaft, da die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin zum Verlust einer bestehenden Rechtsposition des Antragstellers geführt hat. Denn der mit Email seines Prozessbevollmächtigten vom 27. Mai 2020 und damit rechtzeitig vor Ablauf der bis zum 4. Juni 2020 gültigen Aufenthaltserlaubnis gestellte Verlängerungsantrags hat die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst, die mit der ablehnenden Entscheidung der Antragsgegnerin entfallen ist. Insbesondere unterliegt ein Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 1 AufenthG keinen besonderen Formerfordernissen, so dass er grundsätzlich auch per Email gestellt werden kann, wenn die Ausländerbehörde – wie hier – dafür den Zugang eröffnet hat (vgl. § 3a Abs. 1 VwVfG NRW).
7Vgl. Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. (2020), § 81 AufenthG, Rn. 8.
8Offen bleiben kann daher, ob eine Fiktionswirkung mit Blick auf die Standstill-Klauseln des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II, S. 385, Assoziationsabkommen-Zusatzprotokoll – ZP –) oder des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung einer Assoziation – ARB 1/80 – auch nach § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG vom 28. April 1965 (BGBl. I 1965, Seite 353) – AuslG 1965 – eingetreten war, weil diese Vorschrift im vorliegenden Fall hinsichtlich des Eintritts der Fiktionswirkung keine günstigere Regelung als § 81 Abs. 4 AufenthG trifft.
9Der Antrag ist jedoch unbegründet.
10Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, die sich maßgeblich an den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs orientiert.
11Die Interessenabwägung fällt vorliegend zulasten des Antragstellers aus, weil die Versagung der Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich rechtmäßig ist. Dem Antragsteller steht weder ein Anspruch auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, noch kann er die Neubescheidung seines Antrags vom 27. Mai 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beanspruchen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).
121. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG.
13Denn die nach § 27 Abs. 1 AufenthG erforderliche eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner (vierten) Ehefrau, der türkischen Staatsangehörigen S. K. , besteht zwischen den Beteiligten unstreitig nicht mehr. Nach Angaben der Ehefrau gegenüber der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin leben die Ehegatten bereits seit August/September 2019 bzw. nach Angaben des Antragstellers seit Februar 2020 getrennt.
142. Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu.
15Nach dieser Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen.
16Die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner (vierten) Ehefrau hat nicht die erforderliche Dauer von mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden. Der Antragsteller ist am 3. April 2019 mit einem nationalen Visum zur Familienzusammenführung (erneut) in das Bundesgebiet eingereist und hat am 5. Juni 2019 eine bis zum 4. Juni 2020 befristete Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu seiner Ehefrau erhalten, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Die Ehegatten haben sich aber – wie dargelegt – laut Ehefrau des Antragstellers bereits im August/September 2019 bzw. laut Antragsteller im Februar 2020 getrennt. Damit hat die eheliche Lebensgemeinschaft lediglich vier bis fünf Monate bzw. zehn Monate rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden.
17Auch wenn man mit Blick auf die Standstill-Klauseln des Art. 41 Abs. 1 ZP oder des Art. 13 ARB Nr. 1/80 zugunsten des Antragstellers die kürzere Ehebestandszeit von nur zwei Jahren gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in der bis zum 30. Juni 2011 geltenden Fassung als günstigere Regelung zugrunde legte, wären die zeitlichen Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ebenfalls nicht erfüllt.
18Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch die Ehebestandszeit im Bundesgebiet vor seiner Auslieferung an die Türkei am 14. Juli 2015 – die Ehegatten sind bereits seit dem 30. November 2011 verheiratet – nicht berücksichtigungsfähig. Die Vorschrift setzt für eine Verlängerung der ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis nach ihrem eindeutigen Wortlaut („seit“) voraus, dass sowohl die eheliche Lebensgemeinschaft als auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet ununterbrochen für die Dauer von drei Jahren – bzw. zwei Jahren – vorgelegen haben. Eine (endgültige) Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bzw. des rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet führen daher zum Erlöschen der von dem ausländischen Ehegatten bis dahin erworbenen Anwartschaft auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, und zwar auch dann, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft später wieder begründet wird.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 18 A 1151/06 -, juris, Rn. 6.
20Vorliegend hat die eheliche Lebensgemeinschaft im maßgeblichen Zeitpunkt der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft schon nicht ununterbrochen drei Jahre – bzw. zwei Jahre – im Bundesgebiet bestanden, da sich der Antragsteller nach der Auslieferung an die Türkei am 14. Juli 2015 und bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 3. April 2019 in der Türkei aufgehalten hat.
21Darüber hinaus war der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet nach der Eheschließung am 00.00.0000 2011 und vor der Auslieferung auch nicht rechtmäßig. Ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Vorschrift setzt voraus, dass der sich auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG berufende Ausländer während der Ehebestandszeit tatsächlich im Besitz einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis war. Es genügt nicht, wenn er lediglich für zurückliegende Zeiträume möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis gehabt hat.
22Vgl. zur Vorgängervorschrift § 19 Abs. 1 AuslG: Hess. VGH, Beschluss vom 9. Mai 2003 - 12 ZU 34/03 -; juris, Rn. 5; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2020, § 31 AufenthG, Rn. 8a.
23Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 31 Abs. 1 AufenthG, der ausdrücklich von der Verlängerung und nicht von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis spricht und eine zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs in Bezug nimmt.
24Nach Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der bis zum 16. August 2006 gültigen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 AufenthG – nach Auflösung der zweiten Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen – vom 1. August 2006 mit Ordnungsverfügung vom 15. Dezember 2007, unanfechtbar seit dem 7. Oktober 2011, war der Antragsteller nach der Eheschließung mit seiner jetzigen Ehefrau am 30. November 2011 und bis zur Auslieferung am 14. Juli 2015 jedoch nicht im Besitz einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis, sondern wurde lediglich geduldet.
25Unabhängig davon, dass nach den vorgenannten Maßstäben ein Anspruch auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis nicht ausreicht, stand dem Antragsteller ein solcher – entgegen seiner Auffassung – auch nicht zu, da er ohne das hierfür erforderliche Visum zum Familiennachzug zu seiner jetzigen Ehefrau eingereist war (§§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 6 Abs. 3 AufenthG) und er das Visum auch nicht im Bundesgebiet einholen konnte. Ihm stand seinerzeit wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung aufgrund der Verurteilung des 1. Schwurgerichts in Adana/Türkei vom 13. Dezember 2010 wegen vorsätzlicher Urkundenfälschung zu drei Jahren und neun Monaten weder ein strikter Rechtsanspruch i.S.v. § 39 Nr. 5 AufenthV oder § 5 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt AufenthG zu, noch lagen besondere Umstände vor, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar gemacht hätten (§ 5 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. AufenthG). Dies galt auch angesichts der drohenden Strafverfolgung in der Türkei, weil eine Trennung der Ehegatten angesichts des Gewichts des staatlichen Strafanspruchs und der Eingehung der Ehe in Kenntnis der Verurteilung im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG zumutbar war.
26Von der Voraussetzung des dreijährigen – bzw. zweijährigen – rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist auch nicht zur Vermeidung einer besonderen Härte gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abzusehen. Für das Vorliegen einer besonderen ehebezogenen Härte ist vom Antragsteller weder etwas vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
273. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur unselbständigen Beschäftigung nach § 19c Abs. 1 AufenthG wegen seiner Teilzeittätigkeit bei der Firma AIPa GmbH.
28Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Beschäftigungsverordnung oder eine zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt, dass der Ausländer zur Ausübung dieser Beschäftigung zugelassen werden kann.
29Für die Teilzeittätigkeit als Bürokaufmann (laut Arbeitsvertrag vom 19. Dezember 2019) bzw. als Bauhelfer (laut Arbeitgeberbescheinigung vom 24. September 2020), bei der es sich mangels Nachweises einer hierfür erforderlichen Berufs- bzw. akademischen Ausbildung nicht um eine Beschäftigung als Fachkraft i.S.v. § 18 Abs. 3 AufenthG handelt, besteht weder eine zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei noch kann diese nach der Beschäftigungsverordnung zugelassen werden.
30Die Beschäftigung des Antragstellers ist insbesondere auch nicht nach § 9 Abs. 1 BeschV zustimmungsfrei. Hiernach bedarf keiner Zustimmung die Ausübung einer Beschäftigung bei Ausländerinnen und Ausländern, die eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt haben (Nr. 1) oder sich seit drei Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhalten (Nr. 2).
31Der Antragsteller erfüllt schon nicht die erforderliche Vorbeschäftigungszeit bzw. Voraufenthaltszeit. Er hat noch keine zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Bundesgebiet ausgeübt (§ 9 Abs. 1 Nr.1 BeschV). Er ist erst seit dem 19. Dezember 2019 bei der Firma B. GmbH als Arbeitnehmer beschäftigt – zuvor war er dort seit dem 5. September 2019 als selbständiger Geschäftsführer tätig – und die Beschäftigungszeiten vor seiner Auslieferung am 14. Juli 2015, die mit einer Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet einherging, sind nicht anrechenbar (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BeschV). Es liegt auch noch kein dreijähriger erlaubter, geduldeter oder gestatteter Aufenthalt im Bundesgebiet vor (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschV), da der Antragsteller erst am 3. April 2019 (erneut) mit einem Visum in das Bundesgebiet eingereist ist.
32Darüber hinaus handelt es sich bei der dem Antragsteller erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, die zur Erwerbstätigkeit kraft Gesetzes berechtigte (§ 27 Abs. 5 AufenthG a.F. bzw. § 4a Abs. 1 AufenthG n.F.), auch nicht um eine Aufenthaltserlaubnis i.S.v. § 9 Abs. 1 BeschV.
33Vgl. hierzu grundlegend: BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 22.17 -, juris, Rn. 19 ff.
34Die höchstgerichtliche Rechtsprechung ist auch nach der Änderung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit in § 4a AufenthG mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I, Seite 1307) weiterhin anwendbar. Denn die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts für eine einschränkende Auslegung des § 9 Abs. 1 BeschV – Entstehungsgeschichte, Systematik, Sinn und Zweck der Beschäftigungsverordnung und der Vorschrift selbst, namentlich die Ermöglichung einer Verfestigung des Arbeitsmarktzugangs nach einer behördlichen Zulassung – beanspruchen nach wie vor Geltung. Für die Anwendbarkeit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach der Gesetzesänderung spricht insbesondere auch, dass der Verordnungsgeber die Vorschrift in Kenntnis der höchstgerichtlichen Rechtsprechung insoweit nicht geändert hat, obwohl er gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes § 9 Abs. 3 BeschV redaktionell angepasst hat. Insbesondere verbleibt nach der Änderung des Zugangs zur Beschäftigung dahin, dass grundsätzlich jeder Aufenthaltstitel eine Beschäftigung erlaubt, es sei denn das Gesetz sieht ein Verbot oder eine Beschränkung bezüglich der Beschäftigung vor, auch ein eigenständiger Anwendungsbereich für das Merkmal „Aufenthaltserlaubnis“. Hierunter fallen nach seiner einschränkenden Auslegung alle Aufenthaltserlaubnisse, die nicht kraft Gesetzes, sondern aufgrund einer behördlichen Zulassung zum Arbeitsmarkt eine Beschäftigung erlauben, d.h. Aufenthaltserlaubnisse zur Beschäftigung nach dem 4. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes.
354. Ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur unselbständigen Beschäftigung nach § 19c Abs. 3 AufenthG besteht ebenfalls nicht, da ein öffentliches Interesse, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Tätigkeit bei der Firma B. GmbH weder vorgetragen oder sonst ersichtlich ist.
365. Der Antragsteller kann auch eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung nicht gemäß § 21 Abs. 1 AufenthG beanspruchen.
37Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erteilt werden, wenn ein wirtschaftliches Interesse oder regionales Bedürfnis besteht (Nr. 1), die Tätigkeit positive Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lässt (Nr. 2) und die Finanzierung der Umsetzung durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage gesichert ist (Nr. 3). Nach Satz 2 der Vorschrift richtet sich die Beurteilung der Voraussetzungen nach Satz 1 insbesondere nach der Tragfähigkeit der zu Grunde liegenden Geschäftsidee, den unternehmerischen Erfahrungen des Ausländers, der Höhe des Kapitaleinsatzes, den Auswirkungen auf die Beschäftigungs- und Ausbildungssituation und dem Beitrag für Innovation und Forschung. Gemäß § 21 Abs. 3 AufenthG soll Ausländern, die älter als 45 Jahre sind, die Aufenthaltserlaubnis zudem nur erteilt werden, wenn sie über eine angemessene Altersversorgung verfügen.
38a) Unabhängig von der Frage, ob diese Vorschrift mit Blick auf die Standstill-Klausel des Art. 41 Abs. 1 ZP überhaupt anwendbar ist (vgl. hierzu im Folgenden unter 8.), fehlt es jedenfalls an den tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift.
39Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung. Der Antragsteller hat auch im gerichtlichen Verfahren nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass die Finanzierung der beiden von ihm seit dem 1. September 2019 geführten Gewerbebetrieben – Reisebüro J1. D.. und Kiosk D1. –, d.h. seiner selbständigen Erwerbstätigkeit durch Eigenkapital oder durch eine Kreditzusage gesichert ist (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Er hat dies lediglich behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Durchgreifende Zweifel hieran bestehen jedoch aufgrund der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA). Diese weisen für den Zeitraum Januar bis August 2020 ein vorläufiges Ergebnis für das Reisebüro J1. D. in Höhe von + 5.813,82 € und für den Kiosk D1. in Höhe von - 18.225,45 € aus. Danach wurden im genannten Zeitraum im Rahmen des Gesamtergebnisses aus den beiden Gewerbebetrieben keine positiven Erträge erwirtschaftet. Weitere Unterlagen, die eine verlässliche Beurteilung der Ertragsfähigkeit der beiden Gewerbebetriebe zuließen, wurden vom Antragsteller nicht vorgelegt. Es ist daher nicht festzustellen, dass die selbständige Tätigkeit des Antragstellers tragfähig ist. In der Folge ist auch nicht festzustellen, dass die selbständige Tätigkeit des Antragstellers positive Auswirkungen auf die Wirtschaft erwarten lässt (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Auch ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass ein wirtschaftliches Interesse oder regionales Bedürfnis an der selbständigen Tätigkeit besteht (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).
40b) Darüber hinaus liegt auch die besondere Regelerteilungsvoraussetzung des § 21 Abs. 3 AufenthG nicht vor. Der 1964 geborene Antragsteller, der das 45. Lebensjahr bereits vollendet hat, hat nicht dargetan, dass er über eine angemessene Altersversorgung verfügt.
41c) Schließlich erfüllt der Antragsteller – wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat – auch die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) nicht, die im Rahmen des § 21 Abs. 1 AufenthG ebenfalls Anwendung findet.
42Gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Erforderlich ist eine positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 -, juris, Rn. 25.
44Aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen ist nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt künftig aus den beiden Gewerbebetrieben sicherstellen können wird. Angesichts des negativen Gesamtergebnisses der beiden Betriebe, das sich den vorgelegten BWA für den Zeitraum Januar bis August 2020 entnehmen lässt, ist nicht festzustellen, dass die selbständige Tätigkeit des Antragstellers tragfähig ist und eine dauerhafte und nachhaltige Sicherung seines Lebensunterhalts erwarten lässt.
45Der Lebensunterhalt des Antragstellers ist auch nicht durch die Einkünfte aus der unselbständigen Teilzeittätigkeit bei der Firma B. GmbH im Umfang von 25 Stunden/Woche gesichert. Dem sozialrechtlichen Bedarf des Antragstellers in Höhe von 1.096,00 € (Regelsatz in Höhe von 446,00 € und Unterkunftskosten in Höhe von 650,00 €) stehen Einkünfte in Höhe von 649,21 € (1.200,00 € brutto; 949,21 € netto abzüglich Pauschbetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II in Höhe von 100,00 € und Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II in Höhe von 200,00 €) entgegen, so dass sich ein monatlicher Fehlbedarf in Höhe von 446,79 € ergibt.
46Von einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts ist auch nicht mit Blick auf die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte „Verpflichtungserklärung“ des Herrn Hüseyin Üstündag vom 31. März 2021 auszugehen. Diese Erklärung ist nicht berücksichtigungsfähig. Sie erfüllt schon nicht die nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG erforderlichen Form- und Verfahrensvoraussetzungen. Danach muss eine Verpflichtungserklärung schriftlich gegenüber der Ausländerbehörde abgegeben werden, wobei das bundeseinheitliche Formular zu verwenden ist und die Ausländerbehörde den Erklärenden vor der Abgabe über Umfang und Dauer der eingegangenen Verpflichtung hinzuweisen und über die Strafbarkeit falscher oder unvollständiger Angaben zu belehren hat (vgl. Nr. 68.2.1.1.1 der AVwV-AufenthG). Darüber hinaus sind keinerlei Nachweise vorgelegt worden, aufgrund derer die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verpflichtungsgebers gerade auch in Bezug auf den vom Antragsteller beabsichtigten langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet verlässlich geprüft werden könnte (vgl. Nr. 68.1.2.2 der AVwV-AufenthG). Schließlich fehlt es auch an den erforderlichen Angaben zum (gesicherten) Aufenthaltsstatus des Verpflichtungsgebers (vgl. Nr. 68.1.2.6 der AVwV-AufenthG), der ebenfalls Voraussetzung für dessen langfristige finanzielle Leistungsfähigkeit ist.
476. Der Antragsteller kann einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für eine selbständige Erwerbstätigkeit auch nicht aus § 21 Abs. 2 AufenthG ableiten.
48Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Tätigkeit auch erteilt werden, wenn völkerrechtliche Vergünstigungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bestehen. Völkerrechtliche Vergünstigungen im Sinne dieser Vorschrift sind Bestimmungen, die im Hinblick auf die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen der Vertragsparteien günstigere Vorgaben enthalten als das jeweilige nationale Recht und für beide Vertragsparteien gleichermaßen gelten. Liegt diese Voraussetzung des § 21 Abs. 2 AufenthG vor, ist ein Rückgriff auf die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen und über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis allein nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
49Vgl. ebenso: Nr. 21.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu AufenthG vom 26. Oktober 2009 – AVwV-AufenthG –; Fehrenbacher, HTK-AuslR, Stand: 19. April 2020, § 21 AufenthG, Rn. 4.
50Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, mit der der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen hat, eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen zu können, wenn diese aufenthaltsrechtliche Vergünstigungen vorsehen.
51Bei türkischen Staatsangehörigen, die – wie der Antragsteller – eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der selbständigen Beschäftigung beantragen, kommt als völkerrechtliche Regelung das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76/BGBl 1952 II S. 608) – NAK – in Betracht. Dieses Abkommen beinhaltet aber keine völkerrechtlichen Vergünstigungen, so dass bereits die tatbestandliche Voraussetzung des § 21 Abs. 2 AufenthG nicht erfüllt und der Ausländerbehörde kein Ermessen eröffnet ist.
52Vgl. ebenso: VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. September 2020 - 24 L 792/20 -, juris, Rn. 36 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 11 L 1052/09 -, juris, Rn. 26 ff.; a.A.: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 26. November 2007, BT-Drs. 16/7268, Seite 2 f.
53a) Nach Art. 2 Satz 3 NAK haben die Staatsangehörigen des einen vertragschließenden Teils – hier die türkischen Staatsangehörigen – auf dem Gebiet des anderen Teils – hier Deutschland – die Freiheit zur Einreise und Niederlassung, jedoch nur vorbehaltlich der nationalen Einwanderungsbestimmungen. Aufgrund dieses Vorbehalts ist über Einwanderungen allein nach dem nationalen Recht zu entscheiden. Die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes über die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen gehören zu den vorbehaltenen Einwanderungsbestimmungen. Eine Einwanderung liegt schon dann vor, wenn die Niederlassung in dem anderen Staat eine gewisse Dauerhaftigkeit hat.
54Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Januar 1995 - 1 C 2.94 -, juris, Rn. 42, und vom 29. April 1983 - 1 C 51.81 -, juris, Rn. 21 ff.
55Vorliegend erstrebt der Antragsteller eine Einwanderung, da er sich bereits seit dem Jahr 2019 in Deutschland aufhält und auch weiterhin nicht nur kurzfristig hier aufhalten will, sondern eine langfristige Verlängerung seines Aufenthaltstitels begehrt.
56Ein den Vorbehalt des Art. 2 Satz 3 NAK einschränkendes Gebot, Einwanderungen wohlwollend zu fördern, lässt sich dem Niederlassungsabkommen nicht entnehmen. Insbesondere enthält auch Art. 2 Satz 2 NAK keine Wohlwollensklausel oder sonstige Einengung des behördlichen Ermessens in Bezug auf Einwanderungen. Der mit dieser Bestimmung zugesagte Schutz bezieht sich lediglich auf Gefahren, denen Ausländer wie Inländer auf dem Gebiet des Vertragsstaats ausgesetzt sein können. Er bezieht sich aber nicht auf die Ermessensausübung bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1983 - 1 C 51.81 -, juris, Rn. 23, und Beschluss vom 17. November 1980 - 1 B 818.80 -, juris, Rn. 5.
58b) Auch Art. 4 NAK begründet keine völkerrechtliche Vergünstigung in Bezug auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung. Nach dieser Vorschrift sind die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten im Gebiet des jeweils anderen Staates berechtigt, unter Beachtung der Landesgesetze und Verordnungen jede Art von Industrie und Handel zu betreiben und jede Erwerbstätigkeit und jeden Beruf auszuüben, soweit diese nicht den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten ist. Diese Bestimmung ist berufsrechtlicher Art und setzt voraus, dass sich der Ausländer zu der von ihm beabsichtigten Tätigkeit im Bundesgebiet aufhalten darf. Sie wirkt als Ausdruck eines der Vertragszwecke lediglich dahin, dass türkische Staatsangehörige nicht generell von selbständigen Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet aufenthaltsrechtlich ausgeschlossen werden dürfen.
59Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Januar 1995 - 1 C 2.94 -, juris, Rn. 43, und vom 29. April 1993 - 1 C 51.81 -, juris, Rn. 24,
60Dies ist im deutschen Aufenthaltsrecht mit Blick auf § 21 Abs. 1 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen erteilt werden kann, jedoch nicht der Fall. Art. 4 NAK vermittelt demnach weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung noch sieht sie bestimmte erleichterte Bedingungen für den Erhalt einer solchen Aufenthaltserlaubnis vor.
61Vgl. ebenso: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Mai 2021, § 21 AufenthG, Rn. 17a.
627. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur unselbständigen Beschäftigung ergibt sich – entgegen der Ansicht des Antragstellers – auch nicht aus § 21 Abs. 6 AufenthG.
63Danach kann einem Ausländer, dem eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck erteilt wird oder erteilt worden ist, unter Beibehaltung dieses Aufenthaltszwecks die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erlaubt werden, wenn die nach sonstigen Vorschriften erforderlichen Erlaubnisse erteilt wurden oder ihre Erteilung zugesagt ist.
64Die Vorschrift sieht lediglich die Erteilung einer Erlaubnis für eine selbständige Beschäftigung vor und setzt hierfür voraus, dass dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck erteilt wird oder erteilt worden ist. Dies ist bei dem Antragsteller, wie sich aus den vorstehenden und den nachfolgenden Ausführungen ergibt, jedoch nicht der Fall. Er begehrt gerade die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung.
658. Der Antragsteller kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur selbständigen Beschäftigung auch nicht auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 i.V.m. Art. 41 Abs. 1 ZP beanspruchen.
66Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 durfte die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigte. Danach musste die Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigte (sog. Negativschranke). Andernfalls war nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980 - 1 C 18.78 -, juris. Rn. 12.
68a) Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller sich aufgrund der Standstill-Klausel des Art. 41 Abs. 1 ZP auf diese Vorschrift berufen kann.
69In Art. 41 Abs. 1 ZP verpflichten sich die Vertragsparteien untereinander, keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist die in dieser Bestimmung enthaltene Stillhalteklausel zwar nicht geeignet, türkischen Staatsangehörigen ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen, und kann ihnen auch weder ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr noch ein Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verschaffen. Die Bestimmung verbietet jedoch allgemein die Einführung neuer Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls, also am 1. Januar 1973, in dem betreffenden Mitgliedstaat galten. Die dynamisch zu verstehende Stillhalteklausel verfestigt denjenigen Rechtszustand, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens am 1. Januar 1973 bestand, bzw. später eingeführte Vergünstigungen. Die Mitgliedstaaten dürfen sich nicht von dem mit Art. 41 Abs. 1 ZP verfolgten Ziel entfernen, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu schaffen, indem sie Bestimmungen ändern, die sie in ihrem Gebiet nach Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zugunsten türkischer Staatsangehöriger erlassen haben.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 9.14 -, juris, Rn. 16, m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH.
71Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot des Art. 41 Abs. 1 ZP ist darauf abzustellen, ob die von den zuständigen Behörden angewandte innerstaatliche Regelung die rechtliche Situation des türkischen Staatsangehörigen im Verhältnis zu den Vorschriften, die beim Inkrafttreten des Zusatzprotokolls galten oder zu späteren Vergünstigungen, erschwert, für ihn also ungünstiger ist. Hierbei sind die Rechtsprechung zu den damaligen Vorschriften und eine mit dieser in Einklang stehende Verwaltungspraxis zu berücksichtigen.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 1 C 9.14 -, juris, Rn. 17.
73Ausgehend von diesen Maßstäben spricht Überwiegendes dafür, dass die Regelungen in § 21 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG „neue Beschränkungen“ i.S.v. Art. 41 Abs. 1 ZP im Bereich der Niederlassungsfreiheit darstellen.
74Vgl. ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2012 - 17 B 779/12 -, juris, Rn. 5 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. September 2020 - 24 L 792/20 -, juris, Rn 46; VG Gelsenkirchen, Beschuss vom 22. Januar 2010 - 11 L 1052/09 -, juris, Rn. 38; Breidenbach, in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 29. Edition, Stand: 1. Juli 2020, § 21 AufenthG, Rn. 7; Sußmann/J. Nusser, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl., § 21 AufenthG, Rn. 17; a.A. OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - 11 ME 342/06 -, juris, Rn. 16 ff.
75Ein Vergleich der beiden Vorschriften ergibt, dass unter der Geltung des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 i.V.m. § 7 Abs. 3 AuslG 1965, wonach die Aufenthaltserlaubnis auch mit Bedingungen und Auflagen – wie insbesondere „selbständige Erwerbstätigkeit nicht erlaubt“ – versehen werden konnte, im Rahmen der Ermessensentscheidung zwar auch die Kriterien „übergeordnetes wirtschaftliches Interesses“ und „besonderes örtliches Bedürfnis“ berücksichtigt werden durften (vgl. Nr. 15 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz – AVwV-AuslG – zu § 7 AuslG 1965 i.d.F. vom 29. März 1977 (GMBl., S. 121). Das mit der Verwaltungsvorschrift verfolgte ausländer- und wirtschaftspolitische Ziel, die nicht unbegrenzte Möglichkeit selbständiger Erwerbstätigkeit weitgehend solchen Ausländern vorzubehalten, denen gegenüber die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit zu gestatten oder zu erleichtern, konnte danach zurückgestellt werden, wenn an der beabsichtigten selbständigen Erwerbstätigkeit „ein übergeordnetes wirtschaftliches Interesse“ oder „ein besonderes örtliches Bedürfnis“ bestand.
76Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1986 - 1C 39.83 -, juris, Rn. 29, nach ausdrücklicher Feststellung, dass Deutschland in Bezug auf den Aufenthalt zur selbständigen Erwerbstätigkeit keine neuen Beschränkungen i.S.v. Art. 41 Abs.1 ZP erlassen hat, Rn. 17.
77Dass Nr. 15 der AVwV-AuslG zu § 7 AuslG 1965 die Beachtung dieser Kriterien erst i.d.F. vom 29. März 1977, d.h. nach Inkrafttreten des Zusatzprotokolls (1. Januar 1973) vorsah, dürfte unschädlich sein,
78vgl. insoweit zweifelnd: OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2012 - 17 B 779.12 -, juris. Rn. 11 ff.,
79da die Verwaltungsvorschriften das behördliche Ermessen ab diesem Zeitpunkt zwar einheitlich gelenkt haben, die Berücksichtigung dieser für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit allgemein bedeutsamen Kriterien – ebenso wie die Erwartung positiver Auswirkungen der Tätigkeit auf die Wirtschaft und eine gesicherte Finanzierung der Umsetzung – jedoch im Einzelfall auch vorher schon zulässig war.
80Allerdings erfolgte die Entscheidung der Behörde im Ermessenswege, so dass andere Erwägungen die Nichterfüllung dieser Kriterien im konkreten Fall auch überspielen konnten. Eine Einschränkung der Erlaubniserteilung ergab sich lediglich aus der Negativschranke „Beeinträchtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland“, die bei Nichterfüllung der in § 21 Abs. 1 AufenthG genannten Voraussetzungen mangels beachtlichen Gewichts aber nicht erfüllt gewesen sein dürfte. Im Rahmen des § 21 Abs. 1 AufenthG sind die Kriterien „wirtschaftliches Interesse“, „regionales Bedürfnis“, „Erwartung positiver Auswirkungen der Tätigkeit auf die Wirtschaft“ und „gesicherte Finanzierung der Umsetzung“ hingegen bereits auf der Tatbestandsebene zu beachten, mit der Folge, dass bei deren Nichtvorliegen ein Anspruch nicht besteht und der Behörde auch kein Ermessen eröffnet ist. Auch das Erfordernis der angemessenen Altersversorgung in § 21 Abs. 3 AufenthG stellt als Regelerteilungsvoraussetzung eine strengere Regelung dar, da bei deren Nichtvorliegen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, grundsätzlich abzulehnen ist, sofern kein atypischer Fall vorliegt.
81b) Einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht jedoch bereits die Negativschranke des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 entgegen.
82Der Begriff „Belange der Bundesrepublik Deutschland“ war weit zu verstehen. Zu seiner Konkretisierung konnte u.a. auf die Maßstäbe des die Ausweisung regelnden § 10 Abs. 1 AuslG 1965 zurückgegriffen werden.
83Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Mai 1982 - 1 C 86.78 -, juris, Rn. 16, und vom 21. Oktober 1980 - 1 C 19.78 -, juris, Rn. 14; ebenso Nr. 4 zu § 2 AVwV-AuslG vom 7. Juli 1967 (GMBl., S. 231 ff.), wonach Belange der Bundesrepublik Deutschland in der Regel beeinträchtigt werden, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der nach § 10 Abs. 1 AuslG 1965 die Ausweisung rechtfertigen würde, wobei sich eine solche Beeinträchtigung auch aus anderen Tatsachen ergeben kann.
84Belange der Bundesrepublik Deutschland konnten daher durch die Anwesenheit eines Ausländers beeinträchtigt sein, wenn dieser seinen Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe bestritten hat oder bestreiten konnte (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG 1965). Da die Anwendung der Negativschranke eine zukunftsbezogene Beurteilung verlangte, war eine Prognose dahin erforderlich, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt künftig nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe bestreiten können wird.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1984 - 1 C 136.80 -, juris, Rn. 10.
86Die Negativschranke setzte weiter voraus, dass die Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik Deutschland von beachtlichem Gewicht war. Dies war der Fall, wenn so erhebliche Gründe vorlagen, dass der Aufenthalt des Ausländers zu dem beabsichtigten Zweck nicht tragbar erschien und deswegen für ein seine privaten Belange berücksichtigendes und nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auszuübendes Ermessen kein Raum blieb. Die Negativschranke erforderte ferner eine Güter- und Interessenabwägung unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes sowie der Grundrechte des Betroffenen, wenn ein anderer öffentlicher Belang für den Aufenthalt des Ausländers sprach. Daher war auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 10 AuslG 1965 nicht notwendig ein zwingender Versagungsgrund gegeben. Ein solcher konnte z.B. zu verneinen sein, wenn der Ausländer nur in geringem Maße, insbesondere nur vorübergehend auf Sozialhilfe angewiesen war oder wenn ihm ein grundrechtliches Schutzgebot (etwa Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 EMRK) zur Seite stand.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1984 - 1 C 136.80 -, juris, Rn. 11.
88Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben beeinträchtigt der weitere Aufenthalt des Antragstellers Belange der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nach bisherigem Sach- und Streitstand davon auszugehen, dass der Antragsteller zur Bestreitung seines Lebensunterhalts künftig auf nicht absehbare Zeit auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen angewiesen sein wird.
89Wie bereits unter 5. zur allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) ausgeführt, ist den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen ist nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt künftig aus den beiden von ihm geführten Gewerbebetrieben, d.h. aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit sicherstellen können wird. Die BWA lassen nicht erkennen, dass die selbständige Tätigkeit des Antragstellers tragfähig ist und eine dauerhafte und nachhaltige Sicherung seines Lebensunterhalts erwarten lässt.
90Auch ist – wie dargelegt – nicht festzustellen, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers durch die Einkünfte aus der unselbständigen Teilzeittätigkeit bei der Firma B. GmbH gesichert ist. Eine mögliche Erhöhung der Einkünfte aus dieser Beschäftigung durch eine eventuelle Aufstockung der Wochenstundenzahl ist unabhängig davon, dass der Antragsteller hierfür nichts vorgetragen hat, schon deswegen unbeachtlich, weil in diesem Fall bei lebensnaher Betrachtung kein Raum mehr für die selbständige Erwerbstätigkeit des Antragstellers verbliebe, für deren Ausübung er gerade die in Rede stehende Aufenthaltserlaubnis begehrt.
91Von einer dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts ist – wie ebenfalls ausgeführt – auch nicht mit Blick auf die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte „Verpflichtungserklärung“ des Herrn I. V. vom 31. März 2021 auszugehen. Die vorgenannten Anforderungen an eine Verpflichtungserklärung sind insbesondere auch im vorliegenden Zusammenhang berücksichtigungsfähig, weil sie allein die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen – Tragfähigkeit der Verpflichtungserklärung – im Hinblick auf den rechtlichen Maßstab des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 betreffen.
92Die danach zu erwartende nicht nur vorübergehende Belastung der öffentlichen Hand mit Sozialleistungen stellt auch eine Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik Deutschland von erheblichem Gewicht dar.
93Vgl. ebenso: BVerwG, Urteile vom 5. Mai 1982 - 1 C 86.78 -, juris, Rn. 17, und vom Urteil vom 24. Juni 1984 - 1 C 136.80 -, juris, Rn. 15.
94Anlass zu einer abweichenden Bewertung ergibt sich nicht allein aus dem Umstand, dass der Antragsteller bislang noch keine Sozialleistungen in Anspruch genommen hat, da die Prognose – wie dargelegt – zukunftsgerichtet ist.
95Ferner fehlt es an einem für den weiteren Aufenthalt des Antragstellers sprechenden öffentlichen Belang, dem gegenüber der festgestellten Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik Deutschland Vorrang einzuräumen sein könnte. Ein solcher wird auch von dem Antragsteller weder vorgetragen noch ist sonst etwas dafür ersichtlich. Auch ist ein gewichtiges persönliches Interesse des Antragstellers am weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht zu erkennen. Der Antragsteller befindet sich erst seit April 2019 (wieder) im Bundesgebiet. Der Aufenthalt ist ihm seinerzeit lediglich befristet zur Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner (vierten) Ehefrau, Frau S. J. , erlaubt worden. Nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ist dieser Aufenthaltszweck entfallen, so dass keine Grundlage für einen Vertrauensschutz darauf besteht, dass dem Antragsteller der Aufenthalt zu einem anderen Zweck weiter erlaubt werden würde. Familiäre Bindungen im Bundesgebiet, die einer Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstünden (Art. 6 Abs.1 GG), bestehen nach der Trennung der Ehegatten ebenfalls nicht. Auch währte der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet – selbst unter Berücksichtigung der Voraufenthaltszeiten von Dezember 1999 bis zu seiner Auslieferung an die Türkei im Juli 2015 – nicht so lange, dass ihm eine Rückkehr in die Türkei, wo er bis zu seinem 35. Lebensjahr und in der Zeit von Juli 2015 bis April 2019 gelebt hat, unzumutbar wäre (Art. 8 EMRK). Hinzu kommt, dass er in der Türkei weiterhin Kontakt zu seiner geschiedenen – ersten und dritten – Ehefrau, der türkischen Staatsangehörigen J2. Z. , und den beiden aus dieser Ehe hervorgegangenen, 1991 und 1995 geborenen Kindern pflegt.
96c) Auch wenn man die Negativschranke – entgegen den vorstehenden Ausführungen – nicht als erfüllt ansehen wollte, hätte die Antragsgegnerin das ihr dann nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 eröffnete Ermessen in rechtfehlerfreier Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).
97Zwar hat die Antragsgegnerin die Negativschranke des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 als gegeben angesehen und deswegen im Rahmen dieser Vorschrift keine Ermessensentscheidung getroffen. Allerdings hat sie im Rahmen des § 21 Abs. 2 AufenthG, dessen Voraussetzungen sie – nach Ansicht der Kammer zu Unrecht – als gegeben angesehen hat, eine Ermessensentscheidung getroffen, die auch gemessen an den Maßstäben des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 rechtlich Bestand hat.
98Eine Ermessensentscheidung nach dieser Vorschrift erforderte eine angemessene Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Interessen des Ausländers an einem weiteren Aufenthalt.
99Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1980 - 1 C 19.78 -, juris, Rn. 18.
100Gemäß Nr. 6 der AVwV-AuslG zu § 2 AuslG 1965 vom 7. Juli 1967 (GMBl. 1967, Seite 231 ff.) stand der Behörde ein weites Ermessen zu, bei dem sie alle einschlägigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen hatte. Außer Gründen, die in der Person des Ausländers lagen, waren danach auch Gründe politischer und wirtschaftlicher Art sowie Belange des Arbeitsmarktes zu beachten. Insbesondere übte die Ausländerbehörde das Ermessen rechtsfehlerfrei aus, wenn sie sich bei ihrer Entscheidung davon leiten ließ, ob von dem Ausländer nach seinem bisherigen Aufenthalt zu erwarten war, dass er sich als Selbständiger in das Wirtschaftsleben eingliedern kann und nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Sie durfte deswegen voraus-setzen, dass der Ausländer mit den deutschen Lebensverhältnissen und der deutschen Sprache ausreichend vertraut ist.
101Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1986 - 1 C 39.83 -, juris, Rn. 24.
102Gemessen daran begegnet die Ermessensausübung zu Lasten des Antragstellers im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die Antragsgegnerin hat ihre negative Entscheidung auf mehrere, der Sache nach ein öffentliches Interesse an der Versagung des weiteren Aufenthalts begründende Erwägungen gestützt, und zwar auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, auf nicht nachgewiesene kaufmännische Vorerfahrungen, auf unzureichende deutsche Sprachkenntnisse und auf durchgreifende Zweifel an der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers wegen strafrechtlicher Verfehlungen in der Vergangenheit.
103aa) Nicht zu beanstanden ist zunächst, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Ermessensausübung geprüft hat, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, wie sie heute in § 5 AufenthG niedergelegt sind, – hier die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG – vorliegen.
104Vgl. ebenso: Fehrenbacher, HTK-AuslR, Stand: 19. April 2020, § 21 Abs. 2 AufenthG.
105Denn – wie unter b) dargelegt – begründete die Prognose, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt künftig auf nicht absehbare Zeit nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen bestreiten können wird, eine erhebliche Beeinträchtigung der Belange der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1965) und damit einen berücksichtigungsfähigen öffentlichen Belang.
106Es ist auch nicht festzustellen, dass die negative Prognose der Antragsgegnerin bezüglich der Lebensunterhaltssicherung fehlerhaft ist. Auf die vorstehenden Ausführungen unter b) und 5. wird Bezug genommen. Insbesondere ist auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte „Verpflichtungserklärung“ nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen.
107bb) Ferner durfte die Antragsgegnerin nach den vorstehenden Maßstäben im Rahmen der Ermessensausübung als weitere Gesichtspunkte berücksichtigen, inwieweit der Antragsteller über kaufmännische Erfahrungen und für die Tätigkeit ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt, um sich mit der beabsichtigten Tätigkeit in das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland einfügen zu können.
108Die Antragsgegnerin hat auch zutreffend ausgeführt, dass der Antragsteller keinen Nachweis darüber erbracht hat, dass er über kaufmännische Vorerfahrungen für die gewerbliche Tätigkeit verfügt, und dass sich solche nach Aktenlage auch nicht aus den von ihm bisher in der Türkei oder im Bundesgebiet ausgeübten unselbständigen Beschäftigungen ergeben. Der Antragsteller ist dem nicht substantiiert entgegengetreten und hat auch im gerichtlichen Verfahren keine entsprechenden Nachweise vorgelegt.
109Des Weiteren ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller keine für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen hat. Zwar hat sie in der Ordnungsverfügung zugrunde gelegt, dass der Antragsteller lediglich über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 verfügt. Der Antragsteller hat mit dem im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Zertifikat „Deutsch-Test für Zuwanderer“ vom 14. Oktober 2020 jedoch nachgewiesen, dass er über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 verfügt. Dies macht die Ermessenserwägung der Antragsgegnerin jedoch nicht fehlerhaft. Sie ist nämlich zu Recht davon ausgegangen, dass für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit grundsätzlich Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 zu fordern sind (vgl. auch § 19d Abs. 1 Nr. 3 AufenthG), da der Ausländer die im geschäftlichen und bürokratischen Umfeld des Betriebs übliche Amtssprache in einem Maß beherrschen muss, wie es den betrieblichen Erfordernissen und der gesellschaftlichen Rechtsmacht entspricht und es die wirtschaftliche Gesamtverantwortung für den Betrieb und dessen ökonomische und rechtliche Repräsentanz nach außen erfordern. Dass in Bezug auf die vom Antragsteller konkret ausgeübten selbständigen Tätigkeiten – Reisebüro und Kiosk – aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls herabgestufte Anforderungen zu stellen wären, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch im Rahmen dieser Tätigkeiten erfordern der regelmäßig erforderliche Umgang mit Behörden im Rahmen der Gewerbeausübung und die wirtschaftliche Gesamtverantwortung für die Betriebe grundsätzliche ausreichende Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, die der Antragsteller jedoch nicht nachgewiesen hat. Entgegen der Ansicht des Antragstellers reicht es auch nicht aus, dass er zwei in Deutschland aufgewachsene Angestellte beschäftigt, die über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Abgesehen davon, dass diese Beschäftigungsverhältnisse nicht nachgewiesen sind – auch die BWA weisen keine Personalkosten aus –, muss das Spracherfordernis von dem Antragsteller selbst erfüllt werden, da er als Betriebsinhaber die alleinige rechtliche Verantwortung für die Betriebsführung trägt.
110cc) Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus auch auf die fehlende gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers wegen seiner früheren Straffälligkeit abgehoben hat, vermag dieser Gesichtspunkt die Ermessensentscheidung allerdings nicht zu tragen. Dabei kann offen bleiben, ob die gewerberechtliche Zuverlässigkeit von der Ausländerbehörde im Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbständigen Beschäftigung überhaupt eigenständig geprüft werden kann, zumal wenn – wie hier – die für die Durchführung des Gewerberechts zuständige Behörde keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Ausländers hat. Denn die Antragsgegnerin durfte dem Antragsteller dessen strafrechtliche Verfehlungen in der Vergangenheit jedenfalls nicht mehr entgegenhalten.
111Die Verurteilungen des Antragstellers aus den Jahren 2001 und 2002 wegen mehrerer Betrugsdelikte sind bereits getilgt (vgl. §§ 46 Abs. 1 Nr. 1 a) und Nr. 2 a), 47 Abs. 1 und 3 Satz 1 BZRG) und dürfen ihm daher nicht mehr im Rechtsverkehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden (vgl. § 51 Abs. 1 BZRG).
112Auch die Verurteilung durch das 1. Schwurgericht in Adana/Türkei vom 13. Dezember 2010 kann dem Antragsteller nicht mehr entgegengehalten werden, da diese „verbraucht“ ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Ausweisungsinteressen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und solange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch „aktuell" und nicht „verbraucht" sind bzw. die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent „verzichtet".
113Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 -, juris, Rn. 21.
114Ein solcher „Verbrauch“ kann etwa dann eintreten, wenn die Ausländerbehörde in voller Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung den weiteren Aufenthalt im Wege der vorbehaltlosen Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels ermöglicht. Der dem Ausländer durch das Verhalten der Ausländerbehörde vermittelte Schutz steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass sich die für das behördliche Verhalten maßgeblichen Umstände nicht ändern.
115Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. August 2009 - 2 M 132/09 -, juris, Rn. 7.
116Da die Antragsgegnerin in Kenntnis der ausländischen Verurteilung aus dem Jahr 2010 der Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug an den Antragsteller im Jahr 2019 zugestimmt und ihm nach der Einreise in das Bundesgebiet auch eine ehebezogene Aufenthaltserlaubnis erteilt hat, ist das durch diese Verurteilung begründete Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG „verbraucht“ und damit nicht mehr aktuell. Insbesondere haben sich seitdem auch die für das Verhalten der Ausländerbehörde maßgeblichen Umstände nicht geändert. Aus der Ausländerakte ergeben sich keine Anhaltspunkte für weitere Verurteilungen des Antragstellers, insbesondere nicht im Bereich von Vermögensdelikten.
117Die demnach unzulässige Berücksichtigung der früheren Verurteilungen des Antragstellers und einer daraus vermeintlich folgenden gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit macht die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin jedoch nicht insgesamt rechtswidrig. Aus der Begründung der Ordnungsverfügung geht nämlich nicht hervor, dass nur alle Ermessenserwägungen zusammen die Entscheidung der Antragsgegnerin tragen sollen. Vielmehr ist erkennbar, dass die Ermessensentscheidung, jedenfalls was die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit angeht, eine selbständig tragende Erwägung darstellt.
118Vgl. zu selbständig tragenden Ermessenserwägungen etwa: BVerwG, Urteile vom 9. Mai 1986 - 1 C 39.83 -, juris, Rn. 34, und vom 29. April 1983 - 1 C 51/81 -, juris, Rn. 26.
119Hierfür spricht, dass die Antragsgegnerin nach Darstellung des rechtlichen Maßstabs für die Ermessensausübung, wonach die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen und die Eingliederung in das Wirtschaftsleben anhand von kaufmännischen Erfahrungen und deutschen Sprachkenntnissen zu prüfen seien, zunächst darunter subsumiert und sodann selbständig tragend, wie die Formulierung „darüber hinaus“ zeigt, Ausführungen zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers gemacht hat. Daher sind die Erwägungen der Antragsgegnerin zur fehlenden Lebensunterhaltssicherung und nicht zu erwartenden Eingliederung in das Wirtschaftsleben für sich allein geeignet, die negative Ermessensentscheidung zu rechtfertigen.
120dd) Schließlich hat die Antragsgegnerin im Rahmen der abschließenden Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Interesse des Antragstellers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Versagung des weiteren Aufenthalts in nicht zu beanstandender Weise unter Verweis auf das Fehlen von Vertrauensschutz sowie familiären Bindungen im Bundesgebiet und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in die Türkei kein überwiegendes Gewicht beigemessen.
1219. Ein Erlaubnisanspruch folgt des Weiteren nicht aus § 25b Abs. 1 AufenthG.
122a) Ein Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis ist schon nicht Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens und kann mangels vorheriger Antragstellung auch nicht nachträglich in das Verfahren einbezogen werden. Der Antragsteller hat im Verwaltungsverfahren (Formblattantrag vom 5. August 2020 und Schriftsatz vom 13. September 2020) nämlich ausdrücklich nur eine Aufenthaltserlaubnis zur selbstständigen und unselbstständigen Beschäftigung bzw. nach dem ARB Nr. 1/80 beantragt. Auch die Antragsgegnerin hat in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung einen Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nicht geprüft und abgelehnt, so dass diese auch nicht unabhängig von einem Antrag des Antragstellers Streitgegenstand geworden ist. Allein die Tatsache, dass die Antragsgegnerin sich im Klageverfahren zu einem Anspruch nach dieser Vorschrift eingelassen hat, führt nicht dazu, dass dieser als Streitgegenstand im Klageverfahren angewachsen ist, da es insoweit an einer behördlichen Entscheidung mit Regelungscharakter fehlt.
123b) Unabhängig davon erfüllt der Antragsteller auch die zeitlichen Voraussetzungen für eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht. Nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG setzt eine solche u.a. regelmäßig voraus, dass ein Ausländer, der – wie der Antragsteller – nicht in häuslicher Gemeinschaft mit einem minderjährigen Kind lebt, sich seit mindestens acht Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat.
124Vgl. zu den ununterbrochenen Voraufenthaltszeiten auch: BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 1 C 34.18 -, juris, Rn. 41 mit Verweis auf BT-Drs. 18/4097, S. 3.
125Der Antragsteller ist zuletzt am 3. April 2019 (erneut) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hält sich seitdem noch nicht acht Jahre unterbrochen rechtmäßig oder geduldet im Bundesgebiet auf.
126Von dem Regelerfordernis eines ununterbrochenen achtjährigen Voraufenthalts kann hier auch nicht ausnahmsweise deswegen abgesehen werden, weil der Antragsteller sich bereits in der Zeit vom 7. Dezember 1999 bis zu seiner Auslieferung an die Türkei am 14. Juli 2015 gestattet, geduldet und erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat. Denn während eines Aufenthalts außerhalb des Bundesgebietes kann eine Integration in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet typischerweise – und so auch hier – nicht eintreten. Die Unterbrechung des Aufenthalts im Bundesgebiet von knapp vier Jahren ist insbesondere auch erheblich, da sie nahezu die Hälfte der von der Vorschrift im Regelfall vorausgesetzten Integrationszeit in Deutschland ausmacht.
12710. Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Ausstellung einer – deklaratorischen – Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG wegen Bestehens eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 zu.
128Nach dieser Vorschrift hat – vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung – der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Die Bestimmung vermittelt gleichzeitig ein Recht auf Aufenthalt, weil sonst das Recht auf Ausübung der Beschäftigung wirkungslos wäre.
129Vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 1997 - C-98/96, Ertanir -, Rn. 26.
130Der Antragsteller erfüllt diese Voraussetzungen nicht, weil er noch nicht ein Jahr lang bei dem gleichen Arbeitgeber ordnungsgemäß im Bundesgebiet beschäftigt gewesen ist. Eine ordnungsgemäße Beschäftigung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus. Außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates stehen. Eine nur vorläufige Position kann sich insbesondere aus verfahrensrechtlichen Vorschriften ergeben, etwa der Fiktionswirkung eines Antrags oder der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels. Beschäftigungszeiten können folglich solange nicht als ordnungsgemäß angesehen werden, wie nicht endgültig feststeht, dass dem Betroffenen während des fraglichen Zeitraums das Aufenthaltsrecht von Rechts wegen aus materiellen Gründen zustand.
131Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 17.10 -, juris, Rn. 16, m.w.N.
132Der Antragsteller ist – nach seiner anfänglichen Beschäftigung als Geschäftsführer ab dem 5. September 2019 – erst seit dem 19. Dezember 2019 als Bürokaufmann bzw. als Bauhelfer bei der Firma B. GmbH angestellt. Diese unselbständige Beschäftigung ist lediglich bis zum 4. Juni 2020, dem Tag des Ablaufs seiner ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis, rechtmäßig (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und damit ordnungsgemäß im vorgenannten Sinne gewesen, so dass es an der erforderlichen einjährigen ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags vom 27. Mai 2020 ist zwar bis zur Ablehnung des Antrags die Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 AufenthG eingetreten, aufgrund derer der Antragsteller ebenso weiter arbeiten durfte wie während des gerichtlichen Eilverfahrens (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Diese Verfahrensrechte haben dem Antragsteller jedoch lediglich eine vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt vermittelt. Nach den vorstehenden Ausführungen steht jedoch fest, dass er aus materiell-rechtlichen Gründen keinen Anspruch auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat.
13311. Schließlich kann der Antragsteller ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht auch nicht aus Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 ableiten.
134Nach dieser Vorschrift haben Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt haben (1. Spiegelstrich), und freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben (2. Spiegelstrich).
135Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller nicht. Zwar dürfte er „Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers“, da seine getrennt lebende (vierte) Ehefrau, Frau S. J. , jedenfalls bis zu der Wiedereinreise des Antragstellers im Bundesgebiet einer unselbständigen Beschäftigung nachgegangen ist. Es fehlt jedoch an der zeitlichen Voraussetzung, dass der Antragsteller im Bundesgebiet seit mindestens drei Jahren (1. Spiegelstrich) bzw. fünf Jahren (2. Spiegelstrich) seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Bundesgebiet hat. Die in Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 genannten ordnungsgemäßen Wohnsitzzeiten von bestimmter Dauer setzen voraus, dass die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, im Aufnahmemitgliedstaat zu ihm ziehen, während dieser Zeiten ein Aufenthaltsrecht haben.
136Vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 1997 - C-351/95, Kadiman -, Rn. 37 ff (44).
137Daran fehlt es hier, weil der Aufenthalt des Antragstellers – wie dargelegt – nach Ablauf der Geltungsdauer seiner ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis am 4. Juni 2020 und mangels materiell-rechtlichen Anspruchs auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr rechtmäßig war.
138Darüber hinaus setzt Art. 7 Satz 1, 1. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 nach seinem Regelungszweck voraus, dass der Familienangehörige während der ersten drei Jahre grundsätzlich seinen Wohnsitz ununterbrochen bei dem türkischen Arbeitnehmer haben, d.h. mit diesem zusammenleben muss. Unschädlich sind dabei lediglich Zeiten, in denen der Familienangehörige sich aus berechtigten Gründen für einen angemessenen Zeitraum vom gemeinsamen Wohnsitz entfernt, z.B. um Urlaub zu machen oder seine Familie im Heimatland zu besuchen. Denn solche kurzzeitigen Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen, müssen den Zeiten gleichgestellt werden, während derer der Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt hat.
139Vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 1997 - C-351/95, Kadiman -, Rn. 46 ff.
140Auch diese Voraussetzung erfüllt der Antragsteller nicht, weil er nach Angaben seiner Ehefrau seit August/September 2019 bzw. nach eigenen Angaben jedenfalls seit Februar 2020 und damit noch vor Erreichen des Drei-Jahres-Zeitraums dauerhaft von seiner Ehefrau getrennt lebt.
141II. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in der Ordnungsverfügung vom 11. Dezember 2020 enthaltene Abschiebungsandrohung in die Türkei begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
142Bei der im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes das private Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung. Die Abschiebungsandrohung ist als offensichtlich rechtmäßig ergangen.
143Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 50 Abs. 1, 59 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist ausreisepflichtig, weil er – wie dargelegt – einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht (mehr) besitzt (vgl. § 50 Abs. 1 AufenthG). Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ist für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nicht erforderlich.
144Vgl. hierzu grundlegend: OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 ‑ 18 A 2620/08 -, juris, Rn. 30 ff.
145Die seitens der Antragsgegnerin gewährte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat nach Zustellung der Verfügung ist ausreichend zur Regelung der persönlichen Angelegenheiten des Antragstellers. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht dem Erlass der Abschiebungsandrohung das Vorliegen von etwaigen Abschiebungsverboten ebenso wenig entgegen wie das Vorliegen von Duldungsgründen nach § 60a Abs. 2 AufenthG.
146III. Soweit der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das in der Ordnungsverfügung vom 11. Dezember 2020 für den Fall der Abschiebung verfügte, auf zwei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt, ist der Antrag gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG analog – die Vorschrift erfasst über ihren Wortlaut hinaus nach ihrem Sinn und Zweck auch die nunmehr in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch Verwaltungsakt – zulässig, aber unbegründet.
147Die im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil sich das für den Fall der Abschiebung verfügte, auf zwei Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot als offensichtlich rechtmäßig erweist.
148Das Einreise- und Aufenthaltsverbot findet seine Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden (§ 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Die Frist beginnt mit der Ausreise (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).
149Diese tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragsgegnerin hat die Sperrwirkung einer eventuellen Abschiebung zeitgleich mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung befristet. Auch die Länge der auf zwei Jahre ab einer eventuellen Abschiebung festgesetzten Frist ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Insbesondere hat sie die hier einschlägige Fristobergrenze von fünf Jahren (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) beachtet und die im Einzelfall für und gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Argumente zutreffend benannt und in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gegeneinander abgewogen.
150Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
151Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an den Ziffern 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Antragsinteresse erscheint mit Rücksicht auf den vorläufigen Charakters des vorliegenden Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts (5.000,- €) ausreichend bemessen.