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Die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. - einschließlich sämtlicher Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderem befriedeten Besitztum - unter der Anschrift L. Str. 00, 52078 Aachen, am 9. August 2021 in der Zeit ab 7:00 Uhr bis 11:00 Uhr zur Ergreifung des Antragsgegners zu 1. zum Zweck der Vollziehung seiner Abschiebung wird angeordnet.
G r ü n d e :
2I. Der Verwaltungsrechtsweg ist - mangels abdrängender Sonderzuweisung - gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
3Vgl. (wegen § 17a Abs. 5 GVG aber ohne Begründung) OVG NRW, Beschlüsse vom 18. März 2021 - 18 B 221/21 - juris, Rn. 3, und vom 24. Februar 2021 - 18 E 920/20 - (n.v.); OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - I-2 Wx 178/20, 2 Wx 178/20 -, juris, Rn. 9 ff.; VG Düsseldorf: Beschluss vom 16. November 2020 - 7 I 32/20 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 22. Februar 2021 - 8 I 6/21 -, juris, Rn. 5 ff.; a.A.: VG Arnsberg, Beschluss vom 11. November 2019 - 3 I 24/19 -, juris, Rn. 5 ff.; für Niedersachsen: OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. März 2021 - 13 OB 102/21 -, juris, Rn. 4 ff.; für Schleswig-Holstein: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22. Juli 2020 - 4 O 25/20 -, juris, Rn. 2 ff.
4Rechtsgrundlage und damit streitentscheidende Norm für den Erlass der begehrten Durchsuchungsanordnung ist § 58 Abs. 6 und 8 AufenthG. Es handelt sich dabei um eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, so dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt.
5Eine abdrängende - bundesrechtliche (§ 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. VwGO) oder landesrechtliche (§ 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO) - Sonderzuweisung besteht nicht.
6§ 58 Abs. 10 AufenthG enthält - für Nordrhein-Westfalen - keine bundesrechtliche abdrängende Sonderzuweisung an die ordentlichen Gerichte. Nach dieser Vorschrift bleiben weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG betreffen, unberührt. Damit wollte der Gesetzgeber in Form einer Öffnungsklausel die Fortgeltung bereits bestehender landesrechtlicher Regelungen, die weitergehende Befugnisse als die Regelungen des § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG, mit denen ein bundeseinheitlicher Mindeststandard für Betretens- und Durchsuchungsrechte bei Abschiebungen vorgegeben werden sollte, gewährleisten, ohne dass dafür ein Rechtsakt der Länder notwendig wäre (vgl. BT-Drs. 19/10706, S. 14). Ungeachtet der Frage, ob mit dieser Regelung dem Ausdrücklichkeitsgebot des § 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. VwGO Rechnung getragen würde, beinhaltet § 58 Abs. 10 AufenthG schon deswegen keine abdrängende Sonderzuweisung, weil die insofern allein in Betracht kommenden landesrechtlichen Vorschriften der §§ 41, 42 PolG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW keine weitergehenden, d.h. über die in § 58 Abs. 5 bis 7 AufenthG (materielle Voraussetzungen der Durchsuchung), § 58 Abs. 8 AufenthG (Richtervorbehalt) und § 58 Abs. 9 AufenthG (Verfahrensvorschriften für die Durchführung der Durchsuchung) vorgesehenen Befugnisse hinausgehenden Befugnisse enthalten, mit der Folge, dass auch die Rechtswegzuweisung des § 42 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW an die Amtsgerichte nicht eingreift.
7Vgl. ebenso: OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - I-2 Wx 178/20, 2 Wx 178/20 -, juris, Rn. 11 ff.; Schnell, Zur Zuständigkeit des Gerichts für Durchsuchungsanordnungen nach § 58 Abs. 6 AufenthG, NWVBl. 2020, 150.
8Eine abdrängende landesrechtliche Sonderzuweisung i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Denn es handelt sich hier nicht um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des Landesrechts, weil eine richterliche Durchsuchungsanordnung zur Durchführung der Abschiebung - wie dargelegt - ihre Rechtsgrundlage in § 58 Abs. 6 und Abs. 8 AufenthG und damit im Bundesrecht hat. Da die Durchsuchungsanordnung zu diesem Zweck in den vorgenannten Bestimmungen eine spezielle bundesrechtliche Regelung erfahren hat, ist zu diesem Zweck ein Rückgriff auf die ‑ anders als die bundesrechtliche Regelung nicht speziell für Fälle der Abschiebung getroffene - landesrechtliche Regelung der §§ 41, 42 PolG NRW i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW einschließlich der gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung in § 42 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW nicht veranlasst.
9Vgl. OLG Köln, Beschluss vom 7. August 2020 - I-2 Wx 178/20, 2 Wx 178/20 -, juris, Rn. 10.
10II. Das Verwaltungsgericht Aachen ist gemäß § 52 Nr. 1 VwGO örtlich zuständig, weil die zu durchsuchende Wohnung in Aachen im Gebiet der Städteregion Aachen und damit im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Aachen liegt (§ 17 Nr. 1 JustG NRW).
11Vgl. zur Anwendung des § 52 Nr. 1 VwGO: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 22. Februar 2021 - 8 I 6/21 -, juris, Rn. 12; VG Darmstadt, Beschluss vom 18. September 2020 - 6 O 1493/20.DA -, juris, Rn. 6.
12§ 52 Nr. 2 VwGO ist nicht einschlägig, da es sich hier nicht um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz handelt. Zwar soll der Antragsgegner zu 1. auf der Grundlage der Abschiebungsandrohung in den Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 20. Januar 2020 und vom 13. März 2020 abgeschoben werden. Die begehrte Durchsuchungsanordnung soll aber nicht im Rahmen des Asylverfahrens, sondern im ausländerrechtlichen Vollstreckungsverfahren ergehen.
13Vgl. zur Trennung zwischen Asylverfahren und Vollzug: BVerwG, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 6.97 -, juris, Rn. 14 ff., insb. 16.
14III. Die Kammer ist für die Entscheidung gemäß § 5 Abs. 3 VwGO zuständig, weil es sich nicht um eine Vollstreckung aus einem Titel gemäß § 169 Abs. 2, 1. Halbs. VwGO handelt, für die der Vorsitzende zuständig wäre.
15IV. Der zulässige Antrag ist begründet.
161. Der sinngemäße Antrag,
17die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. - einschließlich sämtlicher Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderem befriedeten Besitztum - unter der Anschrift L. Str. 29, 52078 Aachen, 2. OG, 3. Wohnung links, am 9. August 2021 in der Zeit ab 7:00 Uhr bis 11:00 Uhr zur Ergreifung des Antragsgegners zu 1. zum Zweck der Vollziehung seiner Abschiebung anzuordnen,
18ist zulässig. Er genügt insbesondere den förmlichen Anforderungen an einen Antrag auf eine richterliche Durchsuchungsanordnung.
19§ 58 Abs. 8 AufenthG sieht im Einklang mit Art. 13 Abs. 2 GG vor, dass Durchsuchungen einer Wohnung nach § 58 Abs. 6 AufenthG grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden dürfen. Durch eine solche vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz wird dem Gewicht des Eingriffs sowie der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre durch Art. 13 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung davon überzeugt hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchsuchung vorliegen und die Maßnahme darüber hinaus den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 2474/14 -, juris, Rn. 18.
21Damit der Richter die ihm übertragene grundrechtswahrende Prüfung erfüllen kann, ist es erforderlich, dass die beantragende Behörde ihm alle für diese Prüfung erforderlichen Tatsachen unterbreitet. Auch aus Art. 19 Abs. 4 GG ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der grundrechtssichernden Funktion des Verfahrensrechts für die beantragende Behörde Dokumentations- und Begründungspflichten, die den wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz erst möglich machen.
22Vgl. zur gerichtlichen Nachprüfung einer Wohnungsdurchsuchung bei Gefahr im Verzug: BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 1 BvR 1444/00 -, juris, Rn. 61.
23Die beantragende Behörde ist daher von Verfassungs wegen verpflichtet, das Gericht grundsätzlich in der Antragsschrift umfassend über alle entscheidungsrelevanten Tatsachen zu informieren (u.a. konkrete Bezeichnung der zu durchsuchenden Wohnung, der darin wohnenden Personen, des Zeitpunkts der geplanten Maßnahme sowie sämtlicher Tatsachen, die die Voraussetzungen des § 58 Abs. 6 und 7 AufenthG sowie die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begründen). Dabei können diese Tatsachen bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden (vgl. ähnlich Rechtsgedanke der § 417 Abs. 3 FamFG und § 45 Abs. 2 VwVfG NRW).
24Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 2021 - 27 I 11/21 -, juris, Rn. 46 ff.
25Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift vom 30. Juli 2021.
262. Der Antrag ist auch begründet.
27Rechtsgrundlage der beantragten Anordnung für die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. ist § 58 Abs. 6 Sätze 1, 2 und 3, Abs. 5 Satz 2 sowie Abs. 8 Satz 1 AufenthG.
28Gemäß § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet (Satz 2). Die Wohnung umfasst dabei die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (Satz 3 i. V. m. Abs. 5 Satz 2). Nach § 58 Abs. 7 AufenthG darf die Wohnung zur Nachtzeit nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird (Satz 1). Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1 (Satz 2). Dabei dürfen Durchsuchungen nach Absatz 6 - sei es zur Tag- oder Nachtzeit - nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde, angeordnet werden (§ 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG).
29a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen für eine Wohnungsdurchsuchung liegen vor.
30aa) Der Antragsteller ist als die die Abschiebung durchführende Behörde i.S.v. § 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG antragsberechtigt. Dass er sich zur Durchführung der Wohnungsdurchsuchung und der anschließenden Abschiebung des Antragsgegners zu 1. im Wege der Amtshilfe der örtlichen Ausländerbehörde bedient, die für das Gebiet zuständig ist, in dem die zu durchsuchenden Wohnung liegt, sowie der ZAB Essen, ist unerheblich. Der Antragsteller ist auch für die Abschiebung des Antragsgegners zu 1. zuständig (vgl. § 71 Abs. 1 AufenthG i.V.m. §§ 1 Nr. 3, 15 Abs. 3 der Verordnung über Zuständigkeiten im Ausländerwesen - ZustAVO NRW - vom 10. September 2019. Seine Zuständigkeit ist durch die gesetzliche Wohnsitzauflage nach § 47 Abs. 1b AsylG i.V.m. § 1 des Ausführungsgesetzes zu § 47 Abs. 1b AsylG begründet worden und ist bis heute nicht entfallen, insbesondere auch nicht durch den tatsächlichen Aufenthalt des Antragsgegners zu 1. im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde der Städteregion Aachen. Die Wohnsitzauflage ist auch bis heute nicht geändert worden.
31bb) Der Antragsgegner zu 1. ist auch vollziehbar ausreisepflichtig (§§ 50 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Die Abschiebung wurde ihm in dem Bescheid des Bundesamts vom 20. Januar 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13. März 2020, mit dem die Ausreisefrist entsprechend der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 36 Abs. 1 AsylG auf eine Woche festgesetzt wurde, angedroht. Die Frist zur freiwilligen Ausreise ist damit eine Woche nach Bekanntgabe des Bescheides vom 13. März 2020 (20. März 2020) am 27. März 2020 abgelaufen. Die gegen den Bescheid vom 13. März 2020 beim Verwaltungsgericht Arnsberg erhobene Anfechtungsklage hindert die Vollziehung des Bescheides nicht, da diese nach § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung hat. Einen Eilantrag gegen den Bescheid vom 13. März 2020 hat der Antragsgegner zu 1. nicht gestellt, zudem wäre dieser nunmehr nach Ablauf der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch unzulässig.
32Es ist auch nicht festzustellen, dass von Amts wegen zu berücksichtigende Abschiebungshindernisse nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die Abschiebung des Antragsgegners zu 1. erweist sich nach Aktenlage weder mit Blick auf die im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Erkrankungen wegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (1.) noch mit Blick auf die dort behauptete Beziehung zu seiner Ehefrau und seinen Kindern wegen Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK (2.) als rechtlich unmöglich.
33(1.) In Bezug auf die geltend gemachten Gesundheitsgefahren ist zu beachten, dass diese wegen der Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG im vorliegenden Verfahren, welches der ausländerrechtlichen Durchführung der Abschiebung dient, allein hinsichtlich des Vollzugs der Abschiebung als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form der Reiseunfähigkeit berücksichtigt werden können. Nach dieser Vorschrift ist die Ausländerbehörde - und in der Folge auch das Verwaltungsgericht - an die negative Entscheidung des Bundesamts oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gebunden. Der Antragsgegner zu 1. kann eine ggf. veränderte Sachlage hinsichtlich der Feststellung eines solchen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots daher allein gegenüber dem Bundesamt im Wege eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne (§ 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG) geltend machen.
34Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit kann gegeben sein, wenn und solange der Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des Reisens wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch entsprechende Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie - außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet. Dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass sich unmittelbar durch die Abschiebung als solche - unabhängig vom Zielstaat - der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Von einer Reiseunfähigkeit in diesem Sinne kann bei psychischen Erkrankungen insbesondere dann ausgegangen werden, wenn im Rahmen der Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise - etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW) - begegnet werden kann,
35vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2010 - 18 B 910/10 -, juris, Rn. 7 ff., vom 27. Juli 2006 - 18 B 586/06 ‑, juris, Rn 5 ff., vom 24. Februar 2006 - 18 A 916/05 ‑, juris, Rn. 12 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Juni 2016 ‑ 2 M 16/16 - juris, Rn. 4,
36oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings - in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG - nicht erst durch die Konfrontation des Betroffenen mit den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat bewirkt werden darf.
37Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Januar 2009 - 18 B 126/09 - (n.v.) und vom 15. August 2008 - 18 B 538/08 ‑, juris, Rn. 8 ff.
38Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird allerdings vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese gesetzliche Vermutung kann der Ausländer jedoch durch Vorlage einer sog. qualifizierten ärztlichen Bescheinigung widerlegen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG).
39In Anwendung dieser Maßstäbe lässt sich auf der Grundlage der im Verfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht feststellen, dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Antragsgegners zu 1. durch eine Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.
40Die anlässlich der letzten Abschiebung im Jahr 2016 vorgelegte Bescheinigung der Medizinischen Klinik III der RWTH Aachen vom 23. Mai 2012 im Anschluss an eine Behandlung wegen einer chronischen Pouchitis bei Colitis ulcerosa, Eisenmangelanämie, chronische Hepatitis C und rezidivierender Depression ist schon in zeitlicher Hinsicht nicht mehr hinreichend aussagekräftig, um über das gegenwärtige Krankheitsbild des Antragsgegners zu 1. verlässlich Aufschluss zu geben. Darüber hinaus entspricht der Bericht auch nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Insbesondere enthält er keine Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, die sich aus der krankheitsbedingten Situation des Antragsgegners zu 1. im Fall einer Abschiebung voraussichtlich ergeben würden.
41(2.) Die Abschiebung erweist sich auch nicht mit Blick auf die familiären Bindungen des Antragsgegners zu 1. zu den Antragsgegnern zu 2. bis 6. im Lichte von Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK als rechtlich unmöglich.
42Die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände.
43Vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 -, juris, Rn. 12.
44Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK gewährt jedoch keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen.
45Vgl. nur m.w.N.: BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 15/12 -, juris, Rn. 15.
46Für die Beantwortung der Frage, ob eine im Licht von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG aufenthaltsrechtlich schützenswerte familiäre Gemeinschaft vorliegt, kommt es dabei nicht allein auf die formal-rechtlichen familiären Bindungen, also das abstrakte Bestehen eines Sorge- oder Umgangsrechts als solches an. Entscheidend sind vielmehr die tatsächliche Ausübung des Sorge- bzw. Umgangsrechts und die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Einzelfall. Dies erfordert eine Bewertung der familiären Beziehungen zwischen dem Elternteil und seinem Kind, bei der sich allerdings jede schematische Einordnung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen verbietet. Auch ist zu berücksichtigen, dass durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I, S. 2942) das Kindeswohl in den Mittelpunkt gestellt und die Beziehung eines jeden Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig anerkannt worden ist. Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen (vgl. § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB). Das Kind hat gemäß § 1684 Abs. 1 BGB Recht auf Umgang mit jedem Elternteil, während jeder Elternteil seinerseits zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt ist (vgl. § 1626 Abs. 3 BGB). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist deshalb maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 16 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - 18 B 1592/05 -, juris, Rn. 4 ff.
48Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein. Auch Unterhaltsleistungen sind in diesem Zusammenhang ein Zeichen für die Wahrnehmung elterlicher Verantwortung.
49Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 28.
50Die danach aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben erforderliche Betrachtung des Einzelfalls kann in klar gelagerten Fällen ohne weiteres bei Entscheidungen im Vorfeld des Hauptsacheverfahrens erfolgen. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn bei objektiver Betrachtung ernstzunehmende Anhaltspunkte vorliegen, dass Art. 6 Abs. 1 GG die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebieten könnte. Dann muss solchen Anhaltspunkten in einem Hauptsacheverfahren weiter nachgegangen werden.
51Vgl. so jedenfalls zum Antrag auf Prozesskostenhilfe: BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2016 - 2 BvR 748/13 -, juris, Rn. 14.
52Vorliegend fehlt es aber an solchen ernstzunehmenden Anhaltspunkten.
53Es ist bereits nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht worden, dass zwischen dem Antragsgegner zu 1. und seinen Kindern (den Antragsgegnern zu 3. und 4.) eine von einer tatsächlichen Anteilnahme des Antragsgegners zu 1. am Aufwachsen der Kinder sowie einer emotionalen Bindung auf beiden Seiten getragene familiäre Verbundenheit besteht.
54Der Antragsgegner zu 1. hat nicht substantiiert vorgetragen und insbesondere auch nicht durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht,
55vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 ‑, juris, Rn. 37,
56dass er sein Sorgerecht im Sinne einer von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten tatsächlich gelebten familiären Gemeinschaft ausübt.
57Der Antragsgegner zu 1. hat zunächst schon nicht vorgetragen, dass er finanzielle Unterstützung leiste.
58Vgl. zum Aspekt der finanziellen Unterstützung auch: BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 37.
59Zudem hat der Antragsgegner zu 1. neben seinen pauschalen Absichtsbekundungen, sich um seine Kinder kümmern und sein Sorgerecht ausüben zu wollen, zur Frage der Ausübung des Umgangsrechts einzig und allein eine kurze Erklärung der Antragsgegnerin zu 2. vom 18. Februar 2021 vorgelegt. Hieraus ergibt sich aber lediglich, dass der Antragsgegner zu 1. zu diesem Zeitpunkt „die Kinder in die Schule, den Kindergarten und auf den Spielplatz“ bringe. Diese Angabe rechtfertigt jedoch (noch) nicht die Annahme, dass die Kinder auf die Lebenshilfe ihres Vaters dringend angewiesen wären. Denn es fehlt an weitergehenden Angaben dazu, wie konkret und in welcher Intensität sich der Kontakt gestaltet. Es bestehen daher keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Vater-Kind-Beziehung über lose Besuchskontakte hinausgeht und von einer tatsächlichen Anteilnahme des Antragstellers am Aufwachsen seiner Kinder sowie einer emotionalen Bindung auf beiden Seiten getragen wird.
60Vgl. insoweit: BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 ‑, juris, Rn. 37.
61Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die im August 2017 geborene ältere Tochter des Antragsgegners zu 1. einen überwiegenden Teil ihres Lebens ohne den (stetigen) Beistand und die Lebenshilfe durch ihren Vater allein mit ihrer Mutter gelebt hat. Es ist weder vorgetragen noch sonst nach dem Akteninhalt ersichtlich, dass sich der Antragsgegner zu 1., nach seiner Abschiebung aus dem Bundesgebiet im April 2016 bis zu seiner Rückkehr Ende 2019 im Bundesgebiet aufgehalten hat oder sonst engen Kontakt zu seiner Familie gehabt hat. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass der Antragsgegner zu 1. verpflichtet ist, sich in der ZUE in P. aufzuhalten und dies auch - jedenfalls vorrübergehend - getan hat. Ob und inwieweit er sich darüber hinaus rechtswidrig in Aachen aufgehalten hat oder aufhält ist - abgesehen von einem Antreffen des Klägers am 18. Mai 2021 anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung bei den Antragsgegnern zu 2. bis 6. - weder vorgetragen noch aus dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge ersichtlich.
62Unabhängig davon ist davon auszugehen, dass eine Trennung des Antragsgegners zu 1. von seiner Familie infolge einer Abschiebung nicht unzumutbar ist. Zwar handelt es sich nicht nur um eine vorrübergehende Trennung, da aufgrund der dem Einreise- und Aufenthaltsverbot entgegenstehenden Einreise des Antragsgegners zu 1. am 31. Oktober 2019 gemäß § 11 Abs. 9 Satz 1 AufenthG die Befristung gehemmt wurde und im Falle einer Ausreise wieder zu laufen beginnt. Derzeit dauert das Verbot noch ca. 1 Jahr und 9 Monate an. Jedoch ist die Trennung bis zum Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbotes trotz des jungen Lebensalters der beiden Kinder des Antragsgegners zu 1. zumutbar. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft zu einem Zeitpunkt begründet wurde, als gegenüber dem Antragsgegner zu 1. noch das aufgrund seiner Ausweisung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot bestand. Daher konnte die Familie nicht darauf vertrauen, dass die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet geführt werden kann. Zudem ist zu berücksichtigten, dass Ehefrau und gemeinsame Kinder ebenfalls die russische Staatsbürgerschaft besitzen, so dass die familiäre Lebensgemeinschaft grundsätzlich auch in der Russischen Föderation geführt werden könnte. Dass dem weiteren Kind der Antragsgegnerin zu 2., das die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, eine vorrübergehende Ausreise in die Russische Föderation bis zum Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufgrund seiner Beziehung zu seinem deutschen Vater unzumutbar sein könnte, ist nach Aktenlage nicht erkennbar. Aus den Verwaltungsvorgängen ergibt sich nicht, ob überhaupt und ggf. in welchem Umfang dieses Kind Umgang mit seinem Vater hat.
63Hinzu kommt, dass nach der von gerichtlicher Seite eingeholten Auskunft der Deutschen Botschaft in Moskau vom 3. August 2021 das Visumverfahren nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbotes längstens 2-3 Monate dauern wird. Dieser Zeitraum wird momentan vonseiten der Botschaft für die Bearbeitung eines Visums zum Familiennachzug benötigt, solange keine Vorabzustimmung vorliegt. Bei Vorliegen dringender Gründe für eine zeitnähere Einreise bzw. bei Vorliegen einer Vorabzustimmung könne auch binnen weniger Tage entschieden werden. Es ist vorliegend nicht erkennbar, dass der Antragsteller - bzw. die dann für den Antragsgegner zu 1. (wieder) zuständige Ausländerbehörde der Städteregion Aachen - hier dem Antragsgegner zu 1. nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbotes noch weiterhin den seiner Ausweisung zugrunde liegenden Sachverhalt entgegenhalten will. Zum einen ist der Antragsgegner zu 1. inzwischen nicht mehr als sog. Gefährder eingestuft, zum anderen wurde auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht nach § 11 Abs. 9 Satz 2 AufenthG - weiter - verlängert.
64b) Die besonderen Voraussetzungen für eine Durchsuchung nach § 58 Abs. 6 Satz 1 und 2 AufenthG liegen ebenfalls vor.
65aa) Der Zweck der Durchführung der Abschiebung des Antragsgegners zu 1. erfordert die Durchsuchung der Wohnung zum Zweck seiner Ergreifung (§ 58 Abs. 6 Satz 1 AufenthG). Für die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung ist es regelmäßig erforderlich, dass die Vollstreckungsmaßnahme bereits einmal daran gescheitert ist, dass der Betroffene sich in seiner Wohnung verborgen gehalten hat, oder dass aufgrund sonstiger Umstände konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die geplante Maßnahme hieran scheitern könnte.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2021 - 18 E 221/21 -, juris, Rn. 9 f.
67Nach diesen Maßstäben ist die Durchsuchung hier erforderlich. Der Antragsgegner zu 1. ist seit dem 27. März 2020 und damit seit mehr als einem Jahr vollziehbar ausreisepflichtig, kommt dieser Pflicht aber beharrlich nicht nach.
68So hat er weder - entgegen seiner Verpflichtung aus § 3 Abs. 1 AufenthG - einen gültigen Reisepass vorgelegt, noch für den Fall des Verlustes desselben entsprechende Bemühungen entfaltet, diesen wiederzuerlangen. Aus diesem Grund ist bereits einmal eine von dem Antragsteller geplante Abschiebung des Antragsgegners zu 1. gescheitert.
69Zudem ist das Verhalten des Antragsgegners zu 1. von einer Missachtung seiner aus § 47 Abs. 1a AsylG folgenden, aufenthaltsrechtlichen Verpflichtung gekennzeichnet, in der für ihn zuständigen Aufnahmeeinrichtung in P. zu wohnen. In dieser hat er sich jeweils nur vorrübergehend bzw. tageweise (im Juli 2021 am 1. Juli, 12. Juli, 19. Juli und 25. Juli) aufgehalten.
70Nach dem gesamten Verhalten des Antragsgegners zu 1., namentlich der beharrlichen Missachtung ausländerrechtlicher Anordnungen und Bestimmungen, ist demnach ernsthaft damit zu rechnen, dass er versuchen wird, sich - auch durch Verbergen in der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. - einer Abschiebung zu entziehen.
71bb) Ferner ist auch die für den Fall, dass die Durchsuchung - wie hier - bei anderen Personen als dem abzuschiebenden Ausländer erfolgen soll, in § 58 Abs. 6 Satz 2 AufenthG vorgesehene weitere Voraussetzung erfüllt. Es liegen Tatsachen vor, aus denen zu schließen ist, dass der Antragsgegner zu 1. sich in den zu durchsuchenden Räumen der Antragsgegner zu 2. bis 6. befindet.
72Der Antragsgegner zu 1. hat bereits im Rahmen des Asylverfahrens am 28. Mai 2020 (erfolglos) einen Antrag auf Umverteilung in den Raum Aachen gestellt.
73Obwohl der Antragsgegner zu 1. der ZUE P. zugewiesen wurde, hielt er sich dort nur tageweise (im Juli 2021 am 1. Juli, 12. Juli, 19. Juli und 25. Juli) auf und übernachtete auch zu keinem Zeitpunkt (außer an zwei Tagen im Januar und Februar 2021) dort. Auch wurde der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit dem Wunsch des Antragsgegners zu 1. begründet, das Sorgerecht für seine beiden in Aachen lebenden Kinder wahrzunehmen. Ferner wurde der Antragsgegner zu 1. bereits einmal bei einer Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6 zwecks Auffinden seines Reisepasses in der Wohnung persönlich angetroffen. Es sprechen insoweit jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Antragsgegner zu 1. - jedenfalls gelegentlich - bei seiner Frau und seinen Kindern, den Antragsgegnern zu 2. bis 4., in Aachen aufhält.
74cc) Die besonderen Voraussetzungen für eine Durchsuchung zur Nachtzeit sind im vorliegenden Fall nicht zu beachten. Die Nachtzeit ist nicht betroffen, da die Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. für 7.00 Uhr angesetzt ist. Die Kammer geht dabei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 104 Abs. 3 StPO,
75vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. März 2019 - 2 BvR 675/14 -, juris, Rn. 58, 63 ff.,
76sowie der über § 173 Satz 1 VwGO im Verwaltungsprozess Anwendung findenden Bestimmung des § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO davon aus, dass die Tageszeit ganzjährig die Zeit von 6 Uhr bis 21 Uhr - und damit korrespondierend die Nachtzeit die Zeit von 21:01 Uhr bis 5:59 Uhr - umfasst.
77Vgl. ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2021 - 18 E 221/21 -, juris, Rn. 13 ff.
78c) Die Durchsuchungsanordnung wird auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht.
79Dem Gewicht des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG die Anordnung einer Durchsuchung grundsätzlich dem Richter vorbehält und damit eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz vorsieht. Die Einschaltung des Richters soll insbesondere dafür sorgen, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu, weil nur so im Einzelfall die Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs sichergestellt werden kann. Der Richter darf die Wohnungsdurchsuchung nur anordnen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist.
80Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 2474/14 -, juris, Rn. 18.
81Gemessen daran ist die Wohnungsdurchsuchung zur Tagzeit verhältnismäßig. Die Maßnahme ist geeignet und auch erforderlich. Eine Maßnahme ist nur dann erforderlich, wenn aus den zur Erreichung des Zwecks gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, also das die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel gewählt wird.
82Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. September 2014 - 1 BvR 2108/14 -, juris, Rn. 19.
83Das ist hier der Fall. Insbesondere kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, zunächst erfolglos eine Abschiebung gestützt auf die Betretenserlaubnis des § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, für die der Richtervorbehalt des § 58 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nicht gilt, zu versuchen. Dabei kann offenbleiben, ob in dem Betreten der Wohnung zum Zweck des Ergreifens eines abzuschiebenden Ausländers - aus der gebotenen ex-ante-Sicht, die regelmäßig auch ein zielgerichtetes Suchen nach dem Ausländer in der Wohnung beinhalten wird - nicht typischerweise auch eine Durchsuchung zu sehen ist, für die jedenfalls der verfassungsunmittelbare Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG gilt.
84Vgl. hierzu: Hamburgisches OVG, Urteil vom 18. August 2020 - 4 Bf 160/19 -, juris, Rn. 34.
85Denn das Betretensrecht des § 58 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Wohnung des abzuschiebenden Ausländers“) und einem systematischen Vergleich mit § 58 Abs. 6 Satz 2 AufenthG nicht für Wohnungen von anderen Personen, sondern nur für die des abzuschiebenden Ausländers. Letztere ist im vorliegenden Fall aber nicht betroffen. Darüber hinaus wäre dieses Mittel zur Erreichung des Zwecks auch nicht gleich gut geeignet. Der Antragsteller müsste nämlich für den Fall, dass der Antragsgegner zu 1. in der Wohnung der Antragsgegner zu 2. bis 6. nicht angetroffen wird bzw. sich verborgen hält, die Abschiebemaßnahme abbrechen (vgl. § 58 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, wonach die Annahme von Gefahr im Verzug nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden kann, dass der Ausländern nicht angetroffen wurde).
86Als milderes Mittel kommt hier auch nicht die persönliche Vorladung des Antragsgegners zu 1. in die Räumlichkeiten des Antragstellers zum Zweck seiner anschließenden Ergreifung zur Durchführung einer Sofortabschiebung in Betracht. Denn der Antragsgegner zu 1. ist - wie dargelegt - wiederholt seinen ausländerrechtlichen Melde- und Aufenthaltspflichten nicht nachgekommen. Daher ist zu erwarten, dass er einen von dem Antragsteller verfügten Termin nicht wahrnimmt, um sich einer möglichen Abschiebung zu entziehen.
87Schließlich stellt auch eine Abschiebung auf dem Landweg, anlässlich derer es mangels zeitlicher Bindungen im Rahmen einer Flug-Abschiebungsmaßnahme ggf. keiner Durchsuchung bedürfte, kein milderes Mittel dar. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass für die Strecke Aachen bis Moskau eine reine Fahrtzeit von etwa 26 Stunden einzustellen ist und der gesamte Abschiebevorgang in einem solchen Fall mithin mehr als doppelt so viel Zeit in Anspruch nehmen würde als die von dem Antragsteller geplante Durchführungsvariante per Flug.
88Die Wohnungsdurchsuchung ist auch angemessen. Das Recht der Antragsgegner auf Wahrung ihrer räumlich-gegenständlichen Privatsphäre vermag sich auch bei Berücksichtigung des gebotenen strengen Maßstabs im Fall der Betroffenheit Dritter nicht gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einer zeitnahen Abschiebung des Antragsgegners zu 1. durchzusetzen.
89Im Rahmen der Abwägung der betroffenen Schutzgüter ist zu berücksichtigen, dass es der Ausreisepflichtige grundsätzlich selbst in der Hand hat, die Anwendung von Zwangsmitteln abzuwenden, indem er seiner gesetzlichen Ausreisepflicht freiwillig nachkommt.
90Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2021 - 18 E 221/21 -, juris, Rn. 29; OVG Bremen, Beschluss vom 30. September 2019 - 2 S 262/19 -, juris, Rn. 22.
91Sein Interesse, von einer Wohnungsdurchsuchung verschont zu bleiben, ist mit Blick auf das von ihm ggf. verfolgte Ziel, eine Abschiebung zu vereiteln, grundsätzlich auch nicht schutzwürdig.
92Ferner ist hier auch die beharrliche Weigerung des Antragsgegners zu 1., seiner Ausreisepflicht und auch seinen sonstigen ausländerrechtlichen Pflichten (Beachtung der Wohnsitzauflage) nachzukommen, als ein das Gewicht seiner Rechtsposition erheblich mindernder Umstand in den Blick zu nehmen.
93Was die von der Durchsuchung betroffenen Grundrechtspositionen der Antragsgegner zu 2. bis 6. angeht, ist in Rechnung zu stellen, dass diese im vorliegenden Fall gerade nicht als unbeteiligte Dritte angesehen werden können. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ihnen als Familienangehörigen des Antragsgegners zu 1. (Ehefrau und Kinder) bekannt ist, dass dieser seiner vollziehbaren Ausreisepflicht und auch seinen sonstigen ausländerrechtlichen Pflichten beharrlich nicht nachkommt. Insbesondere die Antragsgegnerin zu 2. muss Kenntnis von der ausländerrechtlichen Situation ihres Mannes gehabt haben, da sie selbst eine Stellungnahme zum Verhältnis des Antragsgegners zu 1. zu seinen Kindern abgegeben hat und um Legalisierung seines langjährigen Aufenthalts gebeten hat. Unter diesen Umständen kommt dem Interesse der Antragsgegner zu 2. bis 6., die den Antragsgegner zu 1. entgegen der bestehenden Wohnsitzauflage in ihren Haushalt aufgenommen haben, von einer Wohnungsdurchsuchung verschont zu bleiben, ebenfalls kein erhebliches Gewicht zu. Dies gilt umso mehr als hier lediglich eine Durchsuchung der Wohnung zur Tageszeit in Rede steht.
94Die Durchsuchung stellt sich insbesondere auch nicht angesichts des Gesundheitszustands des Antragsgegners zu 1. im Lichte von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Schutz der körperlichen Unversehrtheit) als unverhältnismäßig dar. Denn der Antragsteller hat dadurch, dass die Abschiebungsmaßnahme ab dem Zeitpunkt des Zugriffs von einem Arzt begleitet wird, ausreichend Vorsorge getroffen, um etwaigen Gesundheitsgefahren für den Antragsgegner zu 1. im Zusammenhang mit der Durchsuchung verlässlich zu begegnen. Greifbare Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Gesundheit des Antragsgegners zu 1. im Rahmen der Abschiebung bestehen - wie dargelegt - nicht.
95Auf der anderen Seite ist in die Abwägung einzustellen, dass der Antragsteller ein erhebliches Interesse an der zeitnahen Aufenthaltsbeendigung des illegal eingereisten und seit langem vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsgegners zu 1. hat. Auch ist das Interesse des Antragstellers, den Antragsgegner zu 1. zur Durchführung der Abschiebung sicher ergreifen zu können, was angesichts der Verletzung seiner ausländerrechtlichen Pflichten in der Vergangenheit ohne Wohnungsdurchsuchung gerade nicht gewährleistet erscheint, als hoch zu veranschlagen. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller die Abschiebung - zu Recht - in Form einer Flug-Maßnahme organisiert hat. Wegen des damit verbundenen Organisationsaufwands und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zur Einhaltung eines engen Zeitplans ist sein Interesse an einem sicheren Zugriff auf den Antragsgegner zu 1. ebenfalls als gewichtig zu bewerten.
96Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hat die Kammer die von dem Antragsteller für den 9. August 2021 um 7.00 Uhr beantragte Durchsuchung in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitraum bis 11.00 Uhr begrenzt. Da der Antragsteller den Antragsgegner zu 1. mit einem Flug vom Frankfurter Flughafen aus um 14.05 Uhr abschieben möchte, war es geboten, das Ende der Durchsuchung in zeitlicher Hinsicht auf 11.00 Uhr zu begrenzen, da danach kein rechtzeitiger Transport des Antragsgegners zu 1. nach Frankfurt mehr möglich wäre.
97V. Von einer Anhörung der Antragsgegner sowie der (vorherigen) Bekanntgabe der Durchsuchungsanordnung an diese wird abgesehen, um den Erfolg der Durchsuchung nicht zu gefährden.
98Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2021 - 18 E 221/21 -, juris, Rn. 35 m.w.N.
99Die Durchsuchungsanordnung ist nach dem Rechtsgedanken von § 14 Abs. 4 Satz 5 VwVG NRW und § 91 Abs. 4 FamFG bei der Vollstreckung vorzulegen.
100Der von dem Antragsteller beantragten Erklärung des Beschlusses für sofort wirksam i.S.v. § 422 Abs. 2 FamFG bedarf es vorliegend nicht, da die insoweit auf das FamFG verweisende Regelung des § 42 Abs. 1 PolG NRW nach den obigen Ausführungen unter I. keine Anwendung findet. Im Übrigen betrifft die Vorschrift Beschlüsse, durch die - anders als hier - eine Freiheitsentziehung angeordnet wird.
101Ebenso wenig bedarf es einer Kostenentscheidung und damit auch keiner Streitwertfestsetzung, da nach der Anlage zum Gerichtskostengesetz für Verfahren nach § 58 Abs. 6 AufenthG keine Gebühren anfallen. Außergerichtliche Kosten sind angesichts der fehlenden Beteiligung der Antragsgegner an dem Verfahren und dem deshalb fehlenden kontradiktorischen Charakter des Verfahrens nicht zu erstatten.
102Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2021 - 18 E 221/21 -, juris, Rn. 35 m.w.N.