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1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
2. Der Streitwert wird auf 4.000,- € festgesetzt.
G r ü n d e:
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums (6 K 447/21) gegen den Widerrufsbescheid des Antragsgegners vom 28. Januar 2021 hinsichtlich Ziff. I. des Widerrufsbescheids anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber nicht begründet.
5Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, weil die Verfügung des Antragsgegners mit Blick darauf, dass die waffenrechtlichen Erlaubnisse in Gestalt der Waffenbesitzkarte Nr. xx und des Europäischen Feuerwaffenpasses Nr. xx des Antragstellers wegen Entfallens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 des Waffengesetzes (WaffG) widerrufen worden sind, gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 5 WaffG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.
6Der Antrag ist jedoch unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziff. I. des Widerrufsbescheids vom 28. Januar 2021 überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
7Entfaltet wie hier die Klage gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse. Stellt der Verwaltungsakt sich dagegen als offensichtlich rechtmäßig dar, überwiegt in der Regel das Vollziehungsinteresse. Lässt sich hingegen bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Hat der Gesetzgeber durch eine gesetzliche Regelung, wie in § 45 Abs. 5 WaffG, einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet, ist eine Aussetzung nur gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder andere gleichermaßen gewichtige besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise für den Vorrang des privaten Aussetzungsinteresses sprechen. "Ernstliche Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung sind anzunehmen, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.
8Vgl. VG Aachen, Beschluss vom 9. Dezember 2003 ‑ 6 L 1161/03 ‑, juris Rn. 22 f. m.w.N.
9Davon ausgehend lässt sich bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht feststellen, dass die Rechtmäßigkeit der Ziff. I des angefochtenen Widerrufsbescheids ernstlichen Zweifeln begegnet. Vielmehr erweist sich Ziff. I. des Bescheids bei summarischer Bewertung als rechtmäßig.
10Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
11Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG ist Voraussetzung für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden.
12Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose der (Un)Zuverlässigkeit ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen.
13Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 6 B 79/18 -, juris Rn. 6; OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 20 B 1624/17 -, juris Rn. 11.
14Das setzt voraus, dass sich ein Waffenbesitzer selbstständig über die gesetzlichen Vorgaben zur sicheren Aufbewahrung seiner Waffen informiert und die entsprechenden Vorkehrungen trifft.
15Vgl. Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Auflage 2020, Rn. 1061 f.
16Der Mangel der Zuverlässigkeit setzt nicht den Nachweis voraus, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht sorgsam (verantwortungsbewusst) umgehen wird. Vielmehr genügt, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht. Wird im Rahmen der anzustellenden Prognose von einem gezeigten Verhalten als Tatsache auf das in Zukunft zu erwartende Verhalten des Betroffenen geschlossen, muss im Bereich des Waffenrechts kein Restrisiko hingenommen werden.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2018 - 20 B 1624/17 -, juris Rn. 13-16 m.w.N.
18Schon ein einmaliger Verstoß gegen die in § 36 Abs. 1 und 2 WaffG normierten Aufbewahrungspflichten kann die Feststellung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen. Bei der auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellenden Prognose ist der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG), nämlich zum Schutz der Allgemeinheit diese vor den schweren Folgen eines nicht ordnungsgemäßen Umgangs mit Waffen zu bewahren.
19Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Neuregelung des Waffenrechts, BT-Drs. 14/7758, S. 51; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 3 M 127/21 -, juris Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 24 ZB 20.1648 -, juris Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2013 - 16 A 2255/12 -, juris 2. Orientierungssatz, Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. August 2011 - 1 S 1391/11 -, juris Rn. 4 f.; Urteil vom 21. Oktober 2019 - 1 S 542/18 -, juris Rn. 45; VG Aachen, Urteil vom 27. Mai 2013 - 6 K 1008/11 -, juris Rn. 37; Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 15, § 36 Rn. 19; N. Heinrich, in: Steindorf, WaffG, 10. Aufl. 2015, § 5 Rn. 11.
20Aufgrund des hohen Gefahrenpotenzials, das einer unberechtigten Verwendung von Waffen und Munition innewohnt, dürfen diese auch nicht einmalig und/oder kurzzeitig unsicher aufbewahrt werden.
21Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. August 2011 - 1 S 1391/11 -, juris Rn. 6.
22§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG umschreibt im Hinblick auf die erforderliche Prognose Formen des Umgangs mit Waffen und Munition, die von vornherein im Hinblick auf den Gesetzeszweck so bedenklich, nämlich in hohem Maße gefährlich für die Allgemeinheit sind, dass, anders als in den Fällen des § 5 Abs. 2 WaffG, eine Widerlegung im Einzelfall nicht zugelassen wird (sogenannte absolute Unzuverlässigkeit).
23Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Neuregelung des Waffenrechts, BT-Drs. 14/7758, S. 54; Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 2.
24Nach diesem Maßstab hat der Antragsgegner den Antragsteller zu Recht als waffenrechtlich unzuverlässig eingestuft. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG liegen in seiner Person aufgrund der unsorgfältigen Verwahrung seiner Pistole vor.
25Die ordnungsgemäße Verwahrung von Waffen und Munition richtet sich nach § 36 WaffG i.V.m. § 13 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV). Wer Waffen oder Munition besitzt, hat nach § 36 Abs. 1 Satz 1 WaffG die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen.
26Der Antragsteller hat – wie seine per E-Mail vom 21. Dezember 2018 an den Antragsgegner übersandten Fotos zeigen und wie er selbst einräumt – seine Kurzwaffe (Pistole) nicht ordnungsgemäß verwahrt. Denn er verwahrte die am 14. April 2015 erworbene Pistole in einem Stahlschrank der Sicherheitsstufe A nach VDMA 24992 zusammen mit seinen sieben Langwaffen. Dieser Stahlschrank entsprach für die Aufbewahrung einer Kurzwaffe jedoch weder der aktuell gültigen Norm DIN/EN 1143-1 i.S.d. § 13 AWaffV noch der nach der Bestandsschutzregelung des § 36 Abs. 4 WaffG für Kurzwaffen teilweise weiterhin zulässigen Sicherheitsstufe B.
27Vgl. Heller/Soschinka/Rabe, Waffenrecht, 4. Auflage 2020, Rn. 1077a f.
28Durch die Verwahrung der Kurzwaffe im Stahlschrank der (unzureichenden) Sicherheitsstufe A war die Pistole zwar nicht vollkommen ungesichert einem Zugriff durch beliebige Dritte ausgesetzt. Gleichwohl ist von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers auszugehen. Denn er bewahrte die Pistole über einen Zeitraum von über fünf Jahren (14. April 2015 bis 5. Oktober 2020) nicht ordnungsgemäß auf. Selbst die Aufforderung des Polizeipräsidium Aachen mit Schreiben vom 26. November 2018, die sichere Aufbewahrung seiner Waffen bis zum 20. Dezember 2018 nachzuweisen, veranlasste ihn offenbar nicht dazu, sich über die gesetzlichen Vorgaben zur Verwahrung seiner Kurzwaffe zu informieren. Erst unter dem Eindruck des Anhörungsschreibens des Polizeipräsidiums Aachen zum beabsichtigten Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse vom 27. September 2020 erwarb der Antragsteller am 5. Oktober 2020 einen (ordnungsgemäßen) Kurzwaffenschrank der Norm EN 1143-1, Widerstandsgrad 1. Damit gehört der Antragsteller nicht zu den Personen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen.
29Der Antragsteller ist als Waffenbesitzer insofern verpflichtet, sich selbstständig über die gesetzlichen Vorgaben zur sicheren Aufbewahrung der Kurzwaffe zu informieren und die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen. Dass er dies über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren – trotz einer Kontrolle durch die Polizei – nicht tat, zeigt, dass er entweder nicht willens oder nicht in der Lage war, sich über die gesetzlichen Vorschriften zur Aufbewahrung von Kurzwaffen zu informieren oder aber die gesetzlichen Vorgaben – möglicherweise zur Vermeidung von Kosten – bewusst nicht einhielt. Sein gezeigtes Verhalten rechtfertigt jedenfalls die nach den eingangs dargestellten Grundsätzen für die Annahme der Unzuverlässigkeit erforderliche, aber auch ausreichende "gewisse Wahrscheinlichkeit“, dass er sich auch zukünftig – etwa beim Erwerb neuer Waffen – nicht an die gesetzlichen Aufbewahrungsvorschriften halten und Waffen daher nicht sorgfältig verwahren wird.
30Dieser Prognose steht nicht entgegen, dass der Antragsteller seine Kurzwaffe mittlerweile ordnungsgemäß verwahrt und der Verstoß nur die Sicherheitsstufe des Schranks betraf, mithin nicht so schwer wiegt wie eine völlig offene Aufbewahrung.
31a.A.: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Dezember 2019 - 17 L 1515/19 -, juris Rn. 18 f.
32Denn die Anschaffung des richtigen Sicherungsbehältnisses erfolgte erst, nachdem das Polizeipräsidium Aachen den Antragsteller mit Anhörungsschreiben vom 27. September 2020 darauf hingewiesen hatte, welches Sicherungsbehältnis er für seine Kurzwaffe zu verwenden habe und den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse angekündigt hatte. Der Antragsteller hätte sich jedoch bereits beim Erwerb der Kurzwaffe im April 2015 selbstständig über die gesetzlichen Aufbewahrungsvorschriften informieren und eine durchgehende ordnungsgemäße Verwahrung sicherstellen müssen. Dies hat er nicht getan. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass Waffenbesitzer sich zunächst überhaupt nicht mit den gesetzlichen Aufbewahrungsvorgaben vertraut machen müssten oder aus Kostengründen die Anschaffung eines neuen Sicherheitsbehältnisses zunächst unterlassen könnten, bis sie von der Polizei zum Erwerb des ordnungsgemäßen Sicherheitsbehältnisses aufgefordert würden. Die dadurch entstehende Schutzlücke einer möglicherweise jahrelangen gesetzeswidrigen Aufbewahrung von Schusswaffen ist vor dem Hintergrund des Schutzes der Allgemeinheit vor dem missbräuchlichen Einsatz von Schusswaffen nicht zu verantworten.
33Der Antragsteller dringt auch nicht mit dem Argument durch, dass die Polizei seine Aufbewahrungssituation seit 2015 – und insbesondere nach der Kontrolle im Jahr 2018 – gekannt und geduldet habe und er deshalb darauf habe vertrauen dürfen, dass seine Waffen ordnungsgemäß aufbewahrt seien. Zwar trifft es zu, dass der Antragsteller auf seinem für die Pistole gestellten Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis nach dem Waffengesetz vom 2. April 2015 angekreuzt hatte, dass er die Schusswaffe in einem Behältnis der Sicherheitsstufe A aufbewahren will (Bl. 53 der Beiakte II). Obwohl in dem Antragsformular außerdem der Hinweis enthalten ist, dass jeder Antragsteller „in jedem Fall Nachweise über die sichere Aufbewahrung (Rechnungen, Bilder etc.)“ beifügen solle, hatte der Antragsteller seinem Antrag keine entsprechenden Nachweise beigefügt. Warum der Antragsgegner dem Antragsteller seinerzeit trotz dieser unzureichenden und unvollständigen Angaben die Erlaubnis zum Erwerb der Pistole erteilte, kann der Antragsgegner heute aufgrund der Personalwechsel seit 2015 selbst nicht mehr nachvollziehen. Auch ist es unverständlich, warum das Polizeipräsidium Aachen nach der Kontrolle im November/Dezember 2018 fast zwei Jahre verstreichen ließ bis es den Antragsteller zum beabsichtigten Widerrufsbescheid anhörte. Allerdings entbinden etwaige Fehler oder Verzögerungen der Polizei im Rahmen der Erlaubniserteilung bzw. Kontrolle den Antragsteller nicht von seinen Pflichten als Waffenbesitzer zur sicheren, gesetzeskonformen Aufbewahrung seiner Waffen.
34Die Ausführungen des Antragstellers, wonach die länger andauernde Untätigkeit der Polizei eine Genehmigungsfiktion nach § 42a VwVfG ausgelöst habe, sind neben der Sache und führen zu keinem anderen Ergebnis. Dem Antragsteller waren waffenrechtlichen Erlaubnisse erteilt worden, sodass eine Genehmigungsfiktion schon nicht in Betracht kommt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum eine (hier nicht vorliegende) Genehmigungsfiktion einem Widerruf eines Verwaltungsakts entgegenstehen sollte.
35Nachdem der Antragsteller somit unzuverlässig geworden ist, war der Antragsgegner nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zum Widerruf der Erlaubnisse verpflichtet. Die dagegen erhobene Einwendung des Antragstellers, der Antragsgegner habe ermessensfehlerhaft bzw. unverhältnismäßig gehandelt, weil er dem Antragsteller zunächst eine angemessene Frist zur Behebung des rechtswidrigen Zustandes hätte setzen müssen, ist unerheblich. Ist der Widerruf einer Erlaubnis zwingend vorgeschrieben, steht der handelnden Behörde – hier dem Antragsgegner – kein Ermessensspielraum zu, ob sie widerruft oder nicht; sie ist zum Widerruf verpflichtet. Auch darf der vom Gesetz zum Schutz der Allgemeinheit zwingend vorgeschriebene Widerruf nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes – hier etwa wegen der vom Antragsteller ins Feld geführten Erlaubnis zum Erwerb der Pistole im Jahr 2015 – unterbleiben.
36Vgl. VG Aachen, Beschluss vom 12. Februar 2010 - 6 L 471/09 -, juris Rn. 77.
37So sieht es auch der Erlass des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. März 2019 vor. Dort heißt es:
38„Folgen unzureichender Aufbewahrung
39Entspricht die Art und Weise der Aufbewahrung der Waffen und Munition nicht den Anforderungen des § 36 WaffG i. V. m. § 13 AWaffV, ist ein Widerrufsverfahren einzuleiten, da von fehlender Zuverlässigkeit auszugehen ist. Eine „Nachbesserung" oder „Nachrüstung" z. B. durch den Kauf eines neuen Tresors ist nicht möglich.“
40Eine Pflicht zur vorherigen Fristsetzung zur Behebung der fehlerhaften Aufbewahrung ergibt sich – entgegen der Auffassung des Antragstellers – auch nicht aus Nr. 36.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz (WaffVwV). Dort heißt es:
41„Zu § 36: Aufbewahrung von Waffen und Munition
42[… ]
4336.2 Der Verpflichtete hat die notwendigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Sofern sie nicht ausreichen, sind die notwendigen Änderungen oder Ergänzungen von der zuständigen Waffenbehörde unter angemessener Fristsetzung anzuordnen.“
44Dem Wortlaut lässt sich bereits entnehmen, dass hiermit kein Fall der gesetzeswidrigen Waffenaufbewahrung gemeint ist.
45a.A.: VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Dezember 2019 - 17 L 1515/19 -, juris Rn. 20.
46Denn nach Nr. 36.2 Satz 1 WaffVwV hat der Verpflichtete die notwendigen – also die gesetzlich vorgeschriebenen – Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Wie der Antragsgegner zu Recht anmerkt, erfasst der Satz 2 der Nr. 36.2 WaffVwV lediglich Fälle des § 36 Abs. 6 WaffG, bei denen die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherungsvorkehrungen im Einzelfall nicht ausreichen und die zuständige Behörde deshalb die notwendigen Ergänzungen anzuordnen und zu deren Umsetzung eine angemessene Frist zu setzen hat. Von Nr. 36.2 WaffVwV werden hingegen keine Fälle erfasst, in denen bereits die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherungsvorkehrungen nicht eingehalten wurden.
47Da der Antragsteller nach alledem als waffenrechtlich unzuverlässig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG anzusehen ist, ist die waffenrechtliche Erlaubnis gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, ohne dass ein behördliches Ermessen bestünde. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Jagd für den Antragsteller ein wesentlicher Lebensinhalt und seine Freizeitgestaltung gewesen ist.
48Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 3 M 127/21-, juris 2. Leitsatz, Rn. 6.
49Anhaltspunkte dafür, dass hier ein Sonderfall vorliegen könnte, der es gebieten würde, den Pflichtverstoß des Antragstellers in einem milden Licht zu sehen und deshalb im Einzelfall ausnahmsweise nicht von einem die Unzuverlässigkeit begründenden Verstoß gegen die Aufbewahrungspflichten auszugehen, liegen über die bereits berücksichtigten Gesichtspunkte hinaus nicht vor. Die – leichtsinnig oder fahrlässig – unsorgfältige Aufbewahrung von Waffen oder Munition rechtfertigt vielmehr, sofern es sich nicht um einen Bagatellverstoß handelt, eo ipso die Annahme der Unzuverlässigkeit.
50Vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 2. Mai 2011 - 3 B 128/10 -, juris Rn. 6; VG Aachen, Beschluss vom 17. März 2016 - 6 L 140/16 -, juris Rn. 33 f.
51Auch eine von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste Interessenabwägung lässt das private Interesse des Antragstellers hinter das öffentliche Interesse zurücktreten. Zweck des Waffengesetzes ist es, den Umgang mit Schusswaffen und Munition zu begrenzen und den zuverlässigen und sachkundigen Umgang mit Waffen zu gewährleisten, um die naturgemäß aus dem Besitz und Gebrauch von Waffen resultierenden erheblichen Gefahren einzugrenzen und überwachen zu können. Der Widerrufsbescheid dient damit dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter, nämlich von Leben und Gesundheit der Bevölkerung.
52Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Verhinderung erheblicher Gefahren durch unzuverlässige Personen hat das private Interesse des Antragstellers, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache weiterhin den Jagdbetrieb ausüben zu können, zurückzutreten. Soweit der Antragsteller ein Überwiegen seines privaten Interesses schließlich damit zu begründen versucht, dass er sich andernfalls der in seinem Eigentum stehenden Waffen entledigen müsste, vermag dies schon deshalb nicht zu überzeugen, weil der Antragsteller seine Waffen ausweislich Ziff. 2 des streitgegenständlichen Widerrufsbescheids erst bei Bestandskraft des Bescheides zu übergeben hat.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG. Bei waffenrechtlichen Streitigkeiten betreffend die Erteilung bzw. den Widerruf von Waffenbesitzkarten oder die Eintragung von Waffen bis zu einer Anzahl von vier Waffen oder Waffenteilen ist das Interesse des Waffenbesitzers – abweichend von den Empfehlungen in Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (Streitwertkatalog 2013),
55abzurufen unter https://www.bverwg.de/user/data/media/streitwertkatalog.pdf,
56– mit dem Auffangwert als abgedeckt anzusehen; wird um eine größere Zahl gestritten, so kann der Auffangwert angemessen erhöht werden, wobei seine Verdoppelung in der Regel den äußeren Rahmen abgeben dürfte.
57Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2002 - 20 E 269/02 -, juris Leitsatz, Rn. 5 f.
58Der Widerruf des Europäischen Feuerwaffenpasses erhöht den Streitwert nicht.
59Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 1 S 2212/19 -, juris Rn. 5.
60Der Auffangwert beträgt gemäß § 52 Abs. 2 GKG 5.000,- €. Da auf der Waffenbesitzkarte des Klägers acht Waffen eingetragen sind, war der Auffangwert hinsichtlich vier Waffen entsprechend Nr. 50.2 des Streitwertkatalogs 2013 um jeweils 750,- € zu erhöhen (4 x 750 € = 3.000,- €), sodass sich in der Hauptsache hinsichtlich der im vorliegenden Eilverfahren allein streitgegenständlichen Ziff. I. des angefochtenen Widerrufsbescheids ein Streitwert i.H.v. 8.000,- € ergibt. Da es sich vorliegend um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, war der Streitwert nach Nr. 1.5 Satz 1 Alt. 1 des Streitwertkatalogs 2013 lediglich zur Hälfte anzusetzen.