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1. Einem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er einer vollziehbaren Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht nachkommt.
2. Rechtliche Voraussetzung für diese Entziehung ist es, dass die Straßenverkehrsbehörde dem Fahranfänger eine datumsmäßig bestimmte Frist setzt, bis zu deren Ablauf er am Aufbauseminar teilgenommen haben muss.
1.Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt aus Heinsberg gewährt.
2.Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage gleichen Rubrums ‑ 3 K 2166/20 - gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. Oktober 2020 (Entziehung der Fahrerlaubnis in der Probezeit und Zwangsgeldandrohung) wird angeordnet.
Der Führerschein ist der Antragstellerin herauszugeben.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
21. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zu entsprechen. Insbesondere besitzt die Rechtsverfolgung der Antragstellerin die nach § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht, wie sich aus den nachstehenden Beschlussgründen ergibt.
32. Der Antrag mit dem sinngemäßen Inhalt,
4die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 3 K 2578/20 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 7. Oktober 2020 (Entziehung der Fahrerlaubnis in der Probezeit und Zwangsgeldandrohung) anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Die aufschiebende Wirkung der Klage ist antragsgemäß anzuordnen. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Abwägung der gegenläufigen Vollziehungsinteressen geht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Ihre Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 7. Oktober 2020 dürfte sich als erfolgreich erweisen.
7Die darin enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis ist als rechtswidrig anzusehen.
8Vorliegend ergeben sich die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis aus § 2 a Abs. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis einer vollziehbaren Anordnung der zuständigen Behörde zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG in der festgesetzten Frist nicht nachgekommen ist. Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde unter anderem dann, wenn gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen einer schwerwiegenden innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die in das Verkehrszentralregister einzutragen ist, seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen.
9Nach diesen Bestimmungen kann die Fahrerlaubnis demnach nicht entzogen werden, wenn dem Fahranfänger keine Frist zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gesetzt worden ist, die er einzuhalten hatte. Im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut und die einschneidende Rechtsfolge setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG eine ausdrückliche Fristsetzung voraus.
10Vgl. auch die Regelung über die Anordnung des Aufbauseminars in § 34 Abs. 2 Satz 1, letzter Halbsatz der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV): „dabei ist eine angemessene Frist zu setzen“.
11Diese Auslegung findet ihre Bestätigung in der Gesetzesbegründung: In der Zusammenschau mit dem Gesetzeswortlaut lässt sich ihr entnehmen, dass der Gesetzgeber eine solche Fristsetzung gerade deshalb verlangt, weil er die nicht fristgerechte Befolgung behördlicher Anordnungen als Weigerung des Betroffenen ansieht, diesen nachzukommen. Hieran anknüpfend soll die Ermächtigung zur Entziehung der Fahrerlaubnis den straßenverkehrsbehördlichen Maßnahmen im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe den erforderlichen Nachdruck verleihen und deutlich machen, dass die Probezeit für den Fahranfänger eine Zeit der Bewährung ist, in der besondere Anforderungen an sein Verkehrsverhalten und auch an seine aktive Teilnahme an behördlich angeordneten Maßnahmen gestellt werden.
12Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Beschluss vom 7. November 2007 – 9 A 4822/05 –, juris Rn. 21 ff. unter Hinweis auf den Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Fahrlehrergesetzes, BT-Drs. 10/4490, S. 20.
13Der so begründeten einschneidenden Rechtsfolge stellt der Gesetzgeber als rechtsstaatliches Korrektiv das Erfordernis der Fristsetzung durch die Behörde gegenüber, das für den Betroffenen Klarheit schafft, unter welchen Voraussetzungen er mit der Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen muss. Das Erfordernis der Fristsetzung hat der Gesetzgeber in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Gesetzesfassung noch deutlicher herausgestellt, indem er es im Gegensatz zur Vorläuferfassung ausdrücklich nicht nur in § 2 a Abs. 3 StVG, sondern zusätzlich in Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 aufgenommen hat.
14Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2007 –9 A 4822/05 –, juris Rn. 21 ff.
15Gemessen daran kann der Antragstellerin vorliegend nicht entgegen gehalten werden, sie sei einer vollziehbaren Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar in der hierfür festgesetzten Frist nicht nachgekommen. Nachdem am 30. Juli 2020 eine ortsansässige Fahrschule per Fax mitteilte, dass sich die Antragstellerin dort am selben Tag zum Aufbauseminar angemeldet hatte, verlängerte das Straßenverkehrsamt des Antragsgegners die zunächst bis zum 30. Juni 2020 und dann bis Ende August 2020 gesetzte Frist, und zwar unter der Voraussetzung der Kursteilnahme „bis Kursende“. Auf dieses Weise sollte der Antragstellerin offenbar eine allerletzte Chance eröffnet werden, wie sie doch noch den Verlust ihrer Fahrerlaubnis hätte vermeiden können. Bei diesem Arrangement kam es aber ausweislich der darüber gefertigten Telefonvermerke (vgl. Blatt 14 der Führerscheinakte) nicht zur Festsetzung eines konkreten Fristablaufdatums, dessen Überschreitung nach § 2 a Abs. 3 StVG die rechtliche Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis bildet.
16Nach alledem wird die Fahrerlaubnisentziehung einer Überprüfung im Klageverfahren voraussichtlich nicht standhalten und darf daher ‑ ebenso wie die Pflicht zu Führerscheinabgabe und die Zwangsgeldandrohung ‑ einstweilen nicht vollzogen werden.
17Der in amtlicher Verwahrung befindliche Führerschein ist der Antragstellerin wieder auszuhändigen, vgl. auch § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
193. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach der Streitwertpraxis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
20vgl. u.a. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2012 - 16 A 2172/12 -, juris, Rn. 17,
21der sich die Kammer anschließt, ist für ein Hauptsacheverfahren wegen Entziehung einer Fahrerlaubnis ungeachtet der erteilten Fahrerlaubnisklassen stets der Regelstreitwert (5.000 Euro) und für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren die Hälfte dieses Betrages (2.500 Euro) als Streitwert anzusetzen. Die (unselbständige) Zwangsgeldandrohung wird bei der Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt.