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Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Klägerinnen die Klage zurückgenommen haben.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
2Die am 20. September 1981 in U. /Iran geborene Klägerin ist die Mutter der am 30. Dezember 2014 in U. /Iran geborenen Klägerin zu 2. Die Klägerinnen sind iranische Staatsangehörige persischer Volkszugehörigkeit. Sie verließen ihr Herkunftsland eigenen Angaben zufolge am 18. Juni 2018 und reisten über die Türkei und Serbien am 26. Juni 2018 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 2. Juli 2018 bei der Beklagten einen Asylantrag stellten.
3Im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 3. Juli 2018 gab die Klägerin zu 1. zur Begründung ihres Asylantrags im Wesentlichen an: Sie habe in Iran das Abitur gemacht und anschließend an der Freien Universität in Teheran Rechnungswesen studiert und das Studium mit dem Bachelorgrad abgeschlossen. Danach habe sie in der Buchhaltung gearbeitet. Sie habe mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen Tochter in Teheran in einer Wohnung gelebt. Seit 2005 seien sie standesamtlich verheiratet, sie würden sich aber bereits seit 1999 kennen. Ihr Mann habe den Derwisch angehört. Deshalb seien ihr Leben und das Leben ihrer Tochter in Gefahr gewesen und sie hätten das Land verlassen müssen. Die Mitglieder der Derwisch seien in den letzten Jahren sehr belästigt und verfolgt worden. Dies sei besonders im letzten Jahr so gewesen. Ein Derwisch-Mitglied namens N.T. sei vor kurzem sogar hingerichtet worden. Ihr Mann habe sich oft an Demonstrationen beteiligt, die teilweise auch von der Polizei gewaltsam beendet worden seien. Das erste Mal sei zwischen dem 21. Januar 2018 und dem 19. Februar 2018 gewesen. Die Proteste hätten 20 Tage angedauert. Ihr Mann sei häufiger von der Polizei abgeholt worden. Das habe im Jahr 2003 angefangen. Ihr Mann sei seit 1997 aktives Mitglied der Derwisch-Gruppierung. Im Jahr 2003 sei einer der Anführer aus der zweiten Ebene aus Iran geflohen. Ihr Mann sei einer seiner Vertrauten gewesen. Seit diesem Ereignis seien sie immer wieder von der Polizei aufgesucht worden. Ihr Mann sei immer wieder für eine Woche festgenommen worden und habe kein gutes Leben gehabt. Ihm sei vorgeworfen worden, dass er und andere Mitglieder Sitzungen und Riten abgehalten hätten. Seit 2003 sei er mindestens dreimal festgenommen worden. Zuhause habe er nicht über die Festnahmen gesprochen und auch nicht viel über seine Aktivitäten. Einmal, als die Polizei ihren Mann habe abholen wollen, habe sie dagegen protestiert. Dabei sei sie von der Polizei so zu Boden gestoßen worden, dass es zu einer Fehlgeburt gekommen sei. Das sei im Jahr 2012 gewesen. Danach habe sie Depressionen bekommen. Im Jahr 2012 oder 2013 sei ihr Mann einmal an seinem Arbeitsplatz verhaftet worden. Er habe sich auch einmal 21 Tage in Untersuchungshaft befunden. Verurteilt worden sei er aber nicht. Das sei nach der Geburt ihrer Tochter gewesen, sie sei noch kein Jahr alt gewesen. Die letzte Festnahme habe sie nicht miterlebt. Sie selbst sei nicht festgenommen worden. Sie habe aber auch einmal an einer Demonstration teilgenommen. Dies sei ein paar Arbeitskollegen bekannt gewesen. Probleme mit der Polizei habe sie deswegen aber nicht bekommen. Bei den letzten Protesten der Derwisch seien mehrere Mitglieder festgenommen worden und ihr Mann habe deswegen die Stadt verlassen. Es habe die Gefahr bestanden, dass er festgenommen werde. Außerdem sei sie an ihrem Arbeitsplatz sehr belästigt worden. Da ihr Name E. laute, habe man sie für eine Anhängerin der Derwisch gehalten. Sie sei deswegen in den letzten Monaten immer wieder von der Security der Firma gestört worden wegen irgendwelcher Vorwände, z. B. wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes. Es sei auch behauptet worden, dass sie mit einer Kollegin hinter dem Rücken der Chefs über sie gesprochen habe. Das sei alles Lüge gewesen. Sie habe deswegen aber vor mehr als einem Monat aufgehört zu arbeiten. Außerdem sei sie von Kunden, die zu den Sicherheitskräften gehörten, nach ihrem Mann gefragt worden. Sie hätten gesagt, ihr Mann solle sich bei den Sicherheitsbehörden melden, er hätte ja auch eine Tochter. Das sei im April 2018 gewesen. Sie seien zweimal gekommen. Nach einiger Zeit, es sei über einen Monat später gewesen, sei ihr Mann dann nach Hause gekommen. Verhaftet worden sei er nicht. Er habe ihr nie gesagt, wo er gewesen sei. Er habe ihr nur gesagt, dass er Angst gehabt habe, von den Sicherheitskräften festgenommen zu werden, weil viele Mitglieder der Gruppierung im 11. Monat festgenommen worden seien. Ihr Mann habe dann nicht mehr gearbeitet, sondern sei zu Hause geblieben. Am 31. Mai 2018 habe sie ihren Mann zum letzten Mal gesehen. An diesem Tag sei sie zu ihrer früheren Arbeitsstelle gegangen, um bei der Personalabteilung einige Dinge wegen der Sozialversicherung abzuklären. Danach sei sie nach Hause gekommen und ihr Mann sei nicht mehr da gewesen. Sie habe ihn nicht erreichen können. Sie habe einen seiner Freunde (B. ) gefragt, der ihr gesagt habe, sie solle die Lage einfach ernst nehmen und die Stadt verlassen. Einige Tage später sei sie dann nach Nordiran gefahren. Dort habe sie noch einmal mit B. telefoniert. Er habe ihr gesagt, die Lage sei sehr gefährlich und sie könne ihr Kind nicht in den Kindergarten schicken. Ihr Kind habe den Kindergarten ohnehin nur eine Woche lang besucht. Dann habe ihr der Direktor gesagt, dass ihr Kind nicht mehr kommen dürfe, weil der Kindergarten sonst seine Genehmigung verlieren würde. Sie habe seit April 2018 unter Druck gestanden. Der Freund habe zwar nichts Näheres zu den Gefahren gesagt, sie habe ihm aber vertraut. Schweren Herzens habe sie sich dann entschieden, ins Ausland zu gehen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Anhörung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen (Bl. 118-134 der Bundesamtsakte).
4Mit Bescheid vom 13. August 2018, den Klägerinnen zugestellt am 28. August 2018, lehnte das Bundesamt die Anträge der Klägerinnen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) als unbegründet ab. Zudem wurde ihnen der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3.) und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.). Überdies wurden die Klägerinnen aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung beziehungsweise unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall, dass sie die Ausreisefrist nicht einhielten, wurde die Abschiebung nach Iran oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei (Ziffer 5.). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.).
5Die Klägerinnen haben am 31. August 2018 Klage erhoben, zu deren Begründung sie Bezug nehmen auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend tragen sie vor, die Richtigkeit des Anhörungsprotokolls beim Bundesamt werde bestritten. Der Dolmetscher habe nur unzureichende Kenntnisse über die Derwisch-Religion gehabt. Dies habe zu unrichtigen Übersetzungen geführt. Die Klägerin zu 1. habe insbesondere nicht vorgetragen, sie sei nicht Mitglied der Derwisch. Sie sei vielmehr in eine Derwisch-Familie hineingeboren. Sie würde nie behaupten, nicht zu den Derwisch zu gehören. Der Dolmetscher habe sie auch ständig gedrängt, sich kürzer zu fassen und die Fragen nur mit ja oder nein zu beantworten. Ihre Worte seien manipuliert worden. So habe sie auch nicht etwa vorgetragen, dass ihre Demonstrationsteilnahme nur ein paar Arbeitskollegen bekannt gewesen sei und die Polizei hiervon nichts gewusst habe. Sie habe vielmehr gemeinsam mit ihrem Ehemann an Demonstrationen ihrer Glaubensgemeinschaft teilgenommen, weil diese Glaubensgemeinschaft ständig für ihre Existenz gekämpft habe. Die Derwisch würden in Iran verfolgt. Sie erlitten schwere Diskriminierungen wie z. B. Kündigung des Arbeitsplatzes, Diskriminierung in den Medien, Verweigerung der Aufnahme an Universitäten, Angriffe, Festnahmen und Zerstörung von Gotteshäusern. Sie könnten öffentliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen und würden systematisch verfolgt und regelmäßig verhaftet. Die Demonstration, an der sie teilgenommen habe, sei daher nicht nur ihren Arbeitskollegen bekannt gewesen, sondern auch dem iranischen Staat. Zahlreiche Demonstrationen dieser Glaubensgemeinschaft seien niedergeschlagen, Menschen festgenommen und in Haft genommen worden. Sie sei nur deshalb nicht festgenommen worden, weil sie Mutter eines kleinen Kindes sei. Sie stamme ebenso wie ihr Ehemann aus einer Derwisch-Familie. Sie sei vom Orden Gonabadi, ihr Ehemann vom Orden Malamatieh. Die Familie ihres Ehemanns gehöre zu den führenden Familien des Derwisch-Ordens, sie hätten zahlreiche Anhänger. Ihr Ehemann sei seit Jahren aktiv und habe Aktionen und Gebetsveranstaltungen in führender Art und Weise organisiert und die Gläubigen geführt. Er sei überdies auch Herausgeber einer Zeitung namens "K + L" gewesen, die bereits vor 15 Jahren in Iran verboten worden sei. Er sei als Verantwortlicher der Zeitung registriert worden. Seit 2003 sei er mehrere Male festgenommen, verhaftet, angehört und sogar gefoltert worden. Die Sicherheitskräfte hätten deswegen mehrere Male die Wohnung der Familie durchsucht. Auch sie selbst sei bei den Durchsuchungen beschimpft, beleidigt und angehört worden. Im Jahr 2012 sei sie einmal so gestoßen worden, dass sie eine Fehlgeburt erlitten habe. Im Rahmen der Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft sei sie in das Blickfeld des islamischen Regimes geraten. Als ihr Ehemann sich einen Monat lang versteckt gehalten habe, sei ihre Wohnung mehrere Male durchsucht worden. Überdies sei sie am Arbeitsplatz belästigt und nach dem Verbleib des Ehemanns gefragt worden. Auch der Arbeitgeber sei nicht damit einverstanden gewesen, dass sie dort ständig von der Polizei aufgesucht worden sei. Ihr sei sodann gekündigt worden. Von Freunden habe sie erfahren, dass die Kündigung mit den Sicherheitsbehörden zu tun gehabt habe. In Deutschland sei sie überdies im Internet präsent und besitze eine Facebookseite, die mehrere Tausend Leser habe. Diese Seite sei unter ihrem Namen veröffentlicht und ihr Name in Iran daher bekannt.
6Soweit die Klägerinnen mit der Klage ursprünglich auch ihre Asylanerkennung begehrt haben, haben sie die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
7Sie beantragen nunmehr noch,
8die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. August 2018 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen,
9hilfsweise,
10ihnen subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
11weiter hilfsweise
12festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
16In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin zu 1. informatorisch zu ihren Fluchtgründen angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Klägerinnen die Klage hinsichtlich der ursprünglich ebenfalls begehrten Asylanerkennung zurückgenommen haben (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
20Die aufrechterhaltene Klage, über die der Einzelrichter trotz Nichterscheinens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil sie auf diese Möglichkeit mit der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
21Der Bescheid des Bundesamts vom 13. August 2018 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) im angefochtenen Umfang als rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben weder einen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch auf die mit den Hilfsanträgen verfolgte Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie das befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22I. Der Hauptantrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor. Ziffer 1. des Bescheids des Bundesamts erweist sich daher als rechtmäßig.
231. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
24Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u. a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden.
25Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG der Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatliche Akteure, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
26Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen, wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse, oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 ‑ 10 C 52.07 -, juris, Rn. 22 und 24.
28Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer - bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr - die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32.
30Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt. Hierfür ist erforderlich, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine individuelle Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Würdigung ist auf der Grundlage einer „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Hierbei sind gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) neben den Angaben des Antragstellers und seiner individuellen Lage auch alle mit dem Herkunftsland verbundenen flüchtlingsrelevanten Tatsachen zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob in Anbetracht der Gesamtumstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Vorverfolgte werden jedoch durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie privilegiert. Danach besteht bei ihnen die tatsächliche Vermutung, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 -, juris, Rn. 16 f., m. w. N.
32Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (sog. objektive Nachfluchtgründe) oder auf einem Verhalten bzw. Aktivitäten des Ausländers nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsland (sog. subjektive Nachfluchtgründe). Ein Indiz für die Glaubhaftigkeit subjektiver Nachfluchtgründe liegt vor, wenn die Aktivitäten, auf die sich der Antragsteller stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
33Vgl. Marx, AsylG, Kommentar, 10. Auflage 2019, § 28 Rn. 28.
34Es ist Sache des Schutzsuchenden, von sich aus unter Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).
35Einem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftsstaates keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2), sog. inländische Fluchtalternative.
362. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht den Klägerinnen in Iran keine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Zur Überzeugung des Gerichts steht vielmehr fest, dass sie weder in Iran verfolgt worden sind, noch dass ihnen Verfolgung bei einer Rückkehr nach Iran droht, vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
37a. Nach den dem Gericht vorliegenden und - soweit nicht allgemein zugänglich - ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen zu der Situation der Derwisch-Gemeinden in Iran ist von Folgendem auszugehen:
38Nach dem Gutachten von Dr. Dr. Jörn Thielemann des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa vom 9. August 2013 sind alle Angehörigen von nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, wie den Baha´i, Sufi-Gruppen, der Sunniten oder auch von evangelischen Kirchen ständiger staatlicher Verfolgung ausgesetzt und müssen mit Verhaftungen und Prozessen rechnen. Dabei würden meist hohe Haftstrafen verhängt. Ihren Glauben könnten sie nicht offen praktizieren. Neben staatlicher Verfolgung sei dadurch, dass der Revolutionsführer mehrfach zum Kampf gegen „Unglauben“, also auch gegen nicht anerkannte Religionsgemeinschaften, aufgerufen habe, davon auszugehen, dass sich diverse regimenahe Personen und Kreise (darunter auch die Basidji-Milizen) ermutigt fühlten, selbständig gegen Angehörige nicht anerkannter Religionsgemeinschaften vorzugehen, wodurch auch eine nichtstaatliche Verfolgung wahrscheinlich erscheine.
39Vgl. das Gutachten des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vom 9. August 2013, von Dr. Jörn Thielemann verfasst an das Verwaltungsgericht Hannover, S. 3 f.; vgl. zu Sufis in Iran auch das Gutachten des Deutschen Orient-Instituts an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 6. Februar 2007, sowie zu den Derwisch: Helmut Gabel, Artikel vom 4. März 2021, Sie geben nicht auf, im Internet abrufbar unter: https://mehriran.de/artikel/sie-geben-nicht-auf.html, und die ecoi.net-Zusammenfassung vom 26. April 2011, Information zu den Begriffen „Erfan“ und „Derwisch“, im Internet abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/1238992.html (beide abgerufen am 30. August 2021).
40Das Auswärtige Amt führt hinsichtlich der Verfolgungsgefahr für Sufi-Derwische im Allgemeinen aus, diese würden vereinzelt Opfer gewaltsamer Übergriffe. In iranischen Medien würden Sufis gelegentlich als Teufelsanbeterinnen und -anbeter und Satanistinnen und Satanisten stigmatisiert. Obwohl der Gonabadi-Orden (als größter Sufi-Orden in Iran) zur Schia zähle, würden seine Mitglieder regelmäßig verfolgt und verhaftet, da sie jede Form des politischen Islams ablehnten und somit das Prinzip, auf dem die Islamische Republik Iran beruhe, nicht anerkennten. Seit Mai 2018 seien mindestens 208 Mitglieder durch Revolutionsgerichte verurteilt worden, was von Human Rights Watch als „one of the largest crackdowns against a religious minority in Iran in a decade“ bezeichnet werde.
41Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 5. Februar 2021 (Stand: Dezember 2020), S. 14; vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage u. a. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 19/7143: Politische Situation und Menschenrechte im Iran, S. 7 (BT-Drs. 19/7879), sowie den Zweiten Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religionsfreiheit, Berichtszeitraum 2018 bis 2019, S. 107 (BT-Drs. 19/23820).
42Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BfA) berichtet von „schweren Repressionen“ gegen Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft. Ihre Gemeinden sähen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u. a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt. Auch komme es immer wieder zur Zerstörung ihrer Gotteshäuser. Der Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund willkürlicher Kündigungen sei ebenfalls ein Problem und manche dürften sich nicht an Universitäten einschreiben. In iranischen Medien würden Sufis gelegentlich als Teufelsanbeter stigmatisiert. Nach gewalttätigen Protesten von Gonabadi-Derwischen im Februar 2018, bei denen fünf Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien, seien allein im ersten Halbjahr 2018 über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt worden, ein Derwisch sei nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Zahlreiche Gonabadi-Derwische säßen aufgrund der Proteste 2018 weiterhin in Haft und seien unter anderem wegen „Zusammenkunft und Konspiration zur Planung von Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ angeklagt worden. Verschiedene Quellen berichteten von Gewalt und Verhaftungen von Derwischen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Derwisch-Gemeinden und Basidji-Einheiten. Infolgedessen werde unter anderem von langen Wartezeiten auf Prozesse, Verurteilungen, Gefängnisstrafen sowie auch von mangelnder Strafverfolgung im Zusammenhang mit Tötungen von Derwischen berichtet. Unter anderem komme es auch zu Verhaftungen von Strafverteidigern, die Derwische verträten. Als Gründe für Inhaftierungen würden u. a. Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in Gruppierungen und Beleidigung des Obersten Führers genannt.
43Vgl. BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran, Gesamtaktualisierung am 29. Januar 2021, S. 56; vgl. zu den Vorkommnissen im Frühjahr 2018 neben den bereits zitierten Quellen auch: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse: Iran, April 2019, S. 8; taz vom 31. August 2018, Repression gegen Sufis im Iran: Tränengas gegen die Derwische, im Internet abrufbar unter: https://taz.de /Repression-gegen-Sufis-im-Iran/!5532540/ (abgerufen am 30. August 2021).
44Amnesty International berichtet, dass das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt werde. Die Behörden zwängen Menschen aller Glaubensrichtungen sowie Atheisten weiterhin einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strengen Auslegung des schiitischen Islams gründete. Wichtige politische Ämter stünden ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Angehörige religiöser Minderheiten, wie Baha'i, Christen, Gonabadi-Derwische und Yaresan (Ahl-e Haq), sowie schiitische Muslime, die zum sunnitischen Islam oder zum Christentum konvertiert seien, würden im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt systematisch diskriminiert und wegen Ausübung ihres Glaubens willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt.
45Vgl. amnesty international, Report vom 7. April 2021, Iran 2020, S. 7 f.; vgl. auch Heinrich-Böll-Stiftung, Iran -Report 3/21, S. 9 f., im Internet abrufbar unter: https://www.boell.de/de/2021/03/05/iran-report-0221 (abgerufen am 30. August 2021).
46b. Das Gericht geht vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse zwar von einer allgemeinen Gefahrenlage für Sufi-Derwische aus, die sich im Einzelfall zu einer flüchtlingsschutzrechtlich erheblichen Verfolgungsgefahr verdichten kann. Eine solche kann insbesondere für Gonabadi-Derwische bestehen, die ihre Glaubensüberzeugung nach außen erkennbar praktizieren und sich hierdurch vom schiitischen Islam staatlich-iranischer Prägung abgrenzen. Die Kammer geht dem gegenüber nicht davon aus, dass generell für alle Anhänger des Sufismus in Iran eine Verfolgungsgefahr besteht. Dafür, dass allein die Zugehörigkeit zu einem Sufi-Orden ohne nach außen tretende individuelle oder gemeinschaftliche Glaubensbetätigung den Betroffenen schon für sich genommen der Gefahr aussetzt, flüchtlingsschutzrelevante Diskriminierungen oder Willkürmaßnahmen zu erleiden, fehlen hinreichende Anhaltspunkte. Offizielle Zahlen zur Anzahl von Sufis liegen zwar nicht vor, da diese nicht offiziell anerkannt und von der iranischen Regierung als schiitische Muslime gezählt werden. Nach Schätzungen ist jedoch davon auszugehen, dass mehrere Millionen Menschen in Iran einen sufistischen Islam praktizieren. Dem Gonabadi-Orden als größtem in Iran vertretenen Sufi-Orden gehören nach Schätzungen ca. 2 bis 5 Millionen Anhänger an.
47Vgl. Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT): Country Information Report Iran, 14. April 2021, S. 35, im Internet abrufbar unter: https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/count ry-information-report-iran.pdf; US Department of State (USDOS): 2020 - Report on International Religious Freedom: Iran, 12. Mai 2021, im Internet abrufbar unter: https://www.ecoi.net/en/document/2051587.html; vgl. auch Helmut Gabel, Verfolgt, verfemt, vernichtet - warum das Regime in Iran Sufis bedroht, Artikel vom 31. Juli 2020, im Internet abrufbar unter: https://mehriran.de/artikel/verfolgt-verfemt-vernichtet-warum-das-regime-in-iran-sufis-bedroht.html; Christian Röther, Säkularisierung im Iran - Islamische Republik ohne islamische Mehrheit, in: Deutschlandfunk vom 1. März 2021, im Internet abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/saekularisierung-im-iran-islamische-republik-ohne.886.de.html?dram:artic le_id=493262 (alle abgerufen am 30. August 2021).
48Die Zahl der veröffentlichten Verfolgungshandlungen gegen Sufis erweisen sich gegenüber der anzunehmenden Gesamtzahl der Sufis als vergleichsweise gering. Nach der Erkenntnislage ist es in der Vergangenheit eher dann gehäuft zu Verfolgungshandlungen gekommen, wenn bestimmte äußere Anlässe die Regierung hierzu gereizt haben, vor allem etwa im Februar 2018, als Proteste der Gonabadi-Derwische blutig niedergeschlagen wurden und es zu Toten auf beiden Seiten gekommen war und im Anschluss eine Verhaftungs- und Verurteilungswelle einsetzte. Von einem mit derartigen Ereignissen vergleichbaren, gleichbleibend hohen Verfolgungsdruck für alle Sufis im Land wird jedoch nicht berichtet.
49Vgl. Helmut Gabel, Bericht vom 4. März 2021, Sie geben nicht auf, im Internet abrufbar unter: https:// mehriran.de/artikel/sie-geben-nicht-auf.html; taz vom 31. August 2018, Repression gegen Sufis im Iran: Tränengas gegen die Derwische, im Internet abrufbar unter: https://taz.de/Repression-gegen-Sufis-im- Iran/!5532540/ (beide abgerufen am 30. August 2021); Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Erkenntnisse: Iran, April 2019, S. 8.
50Da der Sufismus zudem tief in der iranischen Gesellschaft verwurzelt ist und sich zunehmender Beliebtheit erfreut,
51vgl. Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2019, Sufismus: Islamische Mystiker sind in allen Geschichten der iranischen Gesellschaft anzutreffen, im Internet abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/ sufismus-religion-sufi-tradition-iran-1.4507973-2; Elisabeth Kiderlen, Sufismus im Iran - Weisheiten für die Zeit des Kummers, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. Juli 2019, im Internet abrufbar unter: https://de.qan tara.de/inhalt/sufismus-im-iran-weisheiten-fuer-die-ze it-des-kummers (beide abgerufen am 30. August 2021),
52kann nach alledem nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Anhänger von Sufi-Orden in Iran mit Restriktionen und Verfolgung rechnen müssen.
53Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 30. Juni 2021 - 10 A 1788/19 -, juris, Rn. 27 f.; VG Aachen, Urteil vom 11. Mai 2021 - 2 K 3418/17.A -, S. 14 ff., 17 des Urteilsabdrucks (nicht veröffentlicht); VG Gießen, Urteil vom 16. Juli 2014 - 3 K 1854/13.GI.A -, juris, S. 6 f. des dort veröffentlichten Urteilsabdrucks; VG Bayreuth, Urteil vom 24. Juli 2013 - B 3 K 12.30117 -, juris, Rn. 44 ff., 50; VG Würzburg, Urteil vom 19. Dezember 2012 - W 6 K 12.30108 -, juris, Rn. 27 ff., 29 f., jeweils m. w. N.
54c. Ausgehend hiervon geht das Gericht unter Würdigung des Akteninhalts sowie nach der persönlichen Anhörung der Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung zwar davon aus, dass die Klägerinnen in eine Derwisch-Familie hineingeboren wurden und sich in ihrer Familie führende Derwische befanden und befinden. Das hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht und dies ergibt sich im Übrigen zusätzlich auch aus ihrem Namen, der einen entsprechenden Hinweis auf ihre Derwisch-Zugehörigkeit enthält. Die Kammer ist hingegen nicht davon überzeugt, dass eine Verfolgungsgefahr der Klägerinnen allein aufgrund ihrer (Gruppen-)Zugehörigkeit zu einem Sufi-Orden bestand oder besteht. Bestätigt wird diese Annahme durch den Umstand, dass die Klägerin zu 1. in Iran sogar das Abitur machen, ihr anschließendes Bachelorstudium abschließen und eine Anstellung finden konnte. Von etwaigen persönlichen Drangsalierungen wegen ihrer formalen Zugehörigkeit zu einer Derwisch-Familie, die die flüchtlingsschutzrelevante Erheblichkeitsschwelle erreicht oder überschritten haben, hat die Klägerin zu 1. nicht berichtet. Die Kammer ist auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerinnen individuell einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt waren bzw. sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es liegen keine Umstände vor, die für ein relevant erhöhtes Verfolgungsrisiko bei einer Rückkehr nach Iran sprechen und eine Furcht vor Verfolgung begründet erscheinen lassen.
55Die Klägerinnen gehören insbesondere nicht zu den Gonabadi-Derwischen, die ihre Glaubensüberzeugung nach außen erkennbar praktizieren und sich hierdurch vom schiitischen Islam staatlich-iranischer Prägung abgrenzen. Das hat sich sowohl in der Anhörung der Klägerin zu 1. beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung gezeigt. Dabei kann der Klägerin zu 1. geglaubt werden, dass ihr Ehemann ein aktiver Derwisch war und dies nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung offenbar nach wie vor ist. Auch dies hat die Klägerin glaubhaft gemacht. Gleichwohl ist dies nicht in gleicher Weise für die Klägerin zu 1. selbst anzunehmen und wegen ihres jungen Alters naturgemäß auch nicht für die Klägerin zu 2. Beim Bundesamt hat die Klägerin zu 1. insoweit vielmehr regelmäßig auf ihren Mann verwiesen. Dieser sei aktives Mitglied der Derwisch-Gruppierung, er sei es gewesen, der sich oft an Demonstrationen beteiligt, Geld gesammelt, Berichte über die Derwische verfasst und Sitzungen abgehalten habe und deswegen öfters von der Polizei abgeholt worden sei. Von einer eigenen und nach außen zu Tage tretenden Glaubensbetätigung hat die Klägerin zu 1. mit keinem Wort berichtet. Sie habe lediglich einmal an einer Demonstration teilgenommen. Sie sei einmal dort vorbeigefahren, ausgestiegen und hingegangen. Konsequenzen habe diese Demonstrationsteilnahme jedoch keine gehabt, weder seitens der Polizei noch der Sicherheitskräfte. Die Klägerin zu 1. hat beim Bundesamt vielmehr angegeben, sie selbst gehöre nicht zu einer Derwisch-Gruppierung, sie habe sich zwar damit beschäftigt, sei aber kein Mitglied und habe außer durch ihren Ehemann keine Berührung damit gehabt. Die Richtigkeit dieser ihr nach dem Ende der Anhörung rückübersetzten Angaben hat die Klägerin zu 1. mit ihrer Unterschrift unter die Anhörungsniederschrift ausdrücklich bestätigt. Wenn die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung auch glaubhaft machen konnte, dass sie zu einer Derwisch-Familie gehört, ist auch ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht zu entnehmen, dass sie ihren Glauben aktiv nach außen gelebt hat. Ihre Familie habe sich zwar versammelt und die Gebetshäuser besucht. Sie selbst sei auch als Kind mit ihren Eltern zu den Gebetshäusern der Sufis gegangen. Ihr Ehemann habe aber seine Aufgabe darin gesehen, im Sufismus aktiv zu sein. Dass sie eine aktive Glaubensarbeit ebenfalls als eigene Aufgabe verstanden habe, hat die Klägerin zu 1. gerade nicht vorgetragen. Sie habe die Aktivitäten ihres Mannes bejaht, es sei aber nicht so gewesen, dass sie selbst etwas gemacht habe. Ihre eigenen „Aktivitäten“, also (eine) nicht näher beschriebene Demonstrationsteilnahme(n) (einmal sei sie „beinahe von einem Polizeistock getroffen worden“), seien vielmehr mit denen ihres Ehemanns nicht vergleichbar. Dass die Klägerinnen zu den Sufis gehören, für die wegen ihrer nach außen gezeigten und vom iranischen Regime als islamkritisch und deshalb gefährlich eingestuften Glaubensüberzeugung eine relevante Gefahr besteht, Opfer von verfolgungsrelevanten Diskriminierungshandlungen zu werden, ergibt sich nach alledem zur Überzeugung der Kammer nicht (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Diese Annahme wird überdies bestätigt durch die Angaben der Klägerin zu 1., dass sie Probleme nur wegen ihres Mannes gehabt habe, wegen ihrer eigenen Aktivitäten sei sie nicht unter Druck gesetzt worden. Das deckt sich mit ihren Angaben beim Bundesamt.
56Die Kammer ist auch nicht überzeugt davon, dass die Klägerinnen wegen des Ehemanns bzw. Vaters in flüchtlingsschutzrechtlich relevanter Weise Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren oder dies im Zeitpunkt ihrer Ausreise zu befürchten hatten. Es mag zwar sein, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. über Jahre hinweg immer wieder kurze Zeit verschwunden war. Es mag auch sein, dass dies überwiegend nicht im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gestanden hat, die nach den Angaben der Klägerin zu 1. beim Bundesamt allerdings auch Reisen in verschiedene Städte umfasste. Der Klägerin zu 1. waren für den Zeitraum zwischen 2003 und 2018 mindestens drei Festnahmen erinnerlich, er sei aber darüber hinaus mehrfach festgenommen worden. Teilweise habe er sich aus Angst vor Verhaftung auch mehrere Tage lang versteckt. Über die Hintergründe habe er nicht gesprochen. Selbst wenn diese Abwesenheitszeiten Inhaftierungen oder einer begründeten Angst hiervor geschuldet gewesen sein sollten, haben sich diese für die Klägerinnen nicht verfolgungsrelevant ausgewirkt. Die Klägerin zu 1. hat davon berichtet, die Polizei bzw. die Sicherheitskräfte hätten öfters die Wohnung aufgesucht und nach ihrem Mann gefragt. In der mündlichen Verhandlung hat sie insoweit zusätzlich - ohne dies näher darzulegen - ausgeführt, die Wohnung sei „durcheinandergebracht“ worden. Einmal habe sie die Festnahme ihres Mannes verhindern wollen und sei von zivilen Sicherheitskräften weggeschubst worden. Dabei habe sie ihr Kind verloren. Dies sei im Jahr 2012 gewesen. Dass es sich aber um eine gezielte Misshandlung der Klägerin zu 1. und nicht nur um einen in seiner Konsequenz zwar schrecklichen, aber eher unglücklichen Umstand im Rahmen der Festnahme ihres Mannes gehandelt hatte, ist aus den Ausführungen der Klägerin zu 1. nicht deutlich geworden. Sie hat vielmehr auch für die Folgezeit nicht davon berichtet, dass sie selbst in den Fokus von Polizei und Sicherheitskräften geraten sein könnte. Außerdem sei sie zweimal im April 2018 von zivil gekleideten Sicherheitskräften, mutmaßlich Geheimdienstleuten, nach ihrem Ehemann befragt und bedroht worden. Diese beiden Vorfälle weisen in der Tat eine neue Qualität auf, weil die Klägerin zu 1. für den Fall, dass sie den Aufenthaltsort des Ehemanns nicht preisgebe bzw. ihn nicht dazu bringe, sich zu stellen, damit bedroht worden ist, dass sonst ihr oder ihrer Tochter etwas passieren könne. Allerdings ist nach den Angaben der Klägerin zu 1. davon auszugehen, dass der Ehemann danach tatsächlich noch einmal nach Hause gekommen und gerade nicht festgenommen worden ist. Er dürfte sich nach ihren Angaben beim Bundesamt vielmehr noch einige Zeit unbehelligt zuhause aufgehalten haben, bevor er erneut verschwunden ist (Rückkehr „zwischen dem 2. und 7. Mai“, erneutes Verschwinden am 31. Mai). In der mündlichen Verhandlung sind die Angaben der Klägerin zu 1. insoweit zwar durcheinandergeraten. Sie hat aber auf Vorhalt klargestellt, dass ihr Ehemann noch einmal zurückgekehrt sei. Dass der Ehemann tatsächlich nicht festgenommen worden ist, spricht gegen ein starkes Verfolgungsinteresse des Staats, zumal die Demonstrationen, an denen der Ehemann teilgenommen und wegen derer er zunächst gesucht worden sein soll, nach den Angaben der Klägerin zu 1. beim Bundesamt zwischen dem 21. Januar und dem 19. Februar stattgefunden haben sollen (nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung zwischen dem 21. Januar und dem 21. März), also schon geraume Zeit vor dem (erneuten) Verschwinden des Ehemanns am 31. Mai 2018. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Demonstrationsteilnahmen liegt daher jedenfalls nicht auf der Hand. Nach April 2018 ist die Klägerin zu 1. auch nicht mehr behelligt worden, weder zuhause noch an ihrer Arbeitsstelle. Im gesamten Monat Mai 2018 ist sie daher in keiner Weise bedrängt, bedroht oder in anderer Weise unter Druck gesetzt worden. Dass dies nach dem erneuten Verschwinden ihres Ehemanns zu erwarten gewesen wäre, ist spekulativ und durch nichts belegt. Die Vergangenheit hat gerade gezeigt, dass der iranische Staat über Jahre hinweg keinerlei Interesse an der Klägerin zu 1. hatte, obwohl ihr Ehemann ihren Angaben zufolge immer wieder verschwunden sei. Die Klägerin zu 1. hatte im Übrigen selbst auch nicht diese Befürchtung. Sie hat insoweit vorgetragen, sie habe Iran nicht verlassen wollen, ein Freund ihres Mannes habe sie vielmehr hierzu überredet. Er habe ihr ohne nähere Erläuterungen gesagt, die Situation sei sehr gefährlich, und überdies darauf hingewiesen, ihre Tochter habe ja auch keinen Kindergartenplatz bekommen. Sie habe deswegen Angst davor gehabt, dass sie weiter bedroht werde und ihr Kind keinen Kindergartenplatz bekomme und später vielleicht auch nicht zur Schule gehen könne. So nachvollziehbar die Sorge der Klägerin zu 1., ihre Tochter werde keinen Kindergartenplatz bekommen oder keine Schule besuchen dürfen, grundsätzlich auch sein mag, ist doch mit dem Bundesamt zu konstatieren, dass sie nicht einmal bei einem weiteren Kindergarten auch nur den Versuch gestartet hat, für ihre Tochter einen Platz zu bekommen. Von einer tatsächlich begründeten Sorge kann angesichts dessen nicht gesprochen werden. Dass die Klägerin zu 1. ihre Arbeitsstelle verloren hat, weil die Sicherheitskräfte ihren Arbeitgeber mit Blick auf ihre Derwisch-Zugehörigkeit dazu veranlasst hätten, weiß die Klägerin lediglich vom Hörensagen. Der Verlust der Arbeitsstelle kann jedoch ihrem Vortrag folgend ebenfalls betriebsinterne Gründe gehabt haben, immerhin waren der Klägerin zu 1. wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes und angeblichen Lästerns über Führungskräfte der Firma wiederholt - aus ihrer Sicht haltlose - Vorwürfe gemacht worden. Insgesamt beschreibt die Klägerin zu 1. keine Maßnahmen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen und flüchtlingsschutzrechtlich relevant sind. Relevante Verfolgungshandlungen waren und sind daher zur Überzeugung der Kammer nicht zu befürchten.
57d. Das Gericht ist ebenfalls nicht davon überzeugt, dass den Klägerinnen aufgrund objektiver oder subjektiver Nachfluchtgründe Verfolgung bei einer Rückkehr nach Iran droht, vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
58Ob eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit im Fall exilpolitischer Aktivitäten vorliegt, ist nach den konkret-individuellen Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen. Ab welcher Intensität der politischen Aktivitäten es zu Verfolgungshandlungen kommt, lässt sich dabei nicht allgemeingültig beantworten. Die passive Mitgliedschaft in einer exilpolitischen Organisation oder die vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen allein genügen in der Regel jedoch nicht. Insoweit erscheint es lebensfremd, dass jede Person, die an Veranstaltungen der Exilopposition teilnimmt, als möglicher Regimekritiker erkannt und verfolgt wird. Auch sind bloße untergeordnete exilpolitische Betätigungen, auch wenn sie im Internet dokumentiert sind, für sich genommen nicht ausreichend, um erhebliche Repressalien bei der Rückkehr befürchten zu lassen. Nach der Erkenntnislage ist iranischen Stellen bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylsuchender aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland dauernden Aufenthalt zu finden, und hierzu Asylverfahren mit entsprechendem Vortrag betreibt. Bekannt ist weiter, dass deshalb auch entsprechende Aktivitäten stattfinden, etwa eine oppositionelle Betätigung in Exilgruppen, die häufig, wenn nicht vorwiegend dazu dienen, Nachfluchtgründe zu belegen. Auch insoweit ist davon auszugehen, dass die iranischen Behörden diese Nachfluchtaktivitäten realistisch einschätzen. Vielmehr können exilpolitische Betätigungen eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr nur begründen, wenn nach den konkret-individuellen Umständen des Einzelfalls damit zu rechnen ist, dass der Betroffene für iranische Stellen erkennbar und identifizierbar in die Öffentlichkeit getreten ist und als ein Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den islamischen Staat ausgeht. Entscheidend ist, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben.
59Vgl. Schl.-H. OVG, Urteil vom 24. März 2020 - 2 LB 18/19 -, juris, Rn. 35 ff., 39; Bay. VGH, Beschluss vom 9. August 2012 - 14 ZB 12.30263 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. August 2010 - 13 A 829/09.A -, juris, Rn. 5 f., und vom 16. Januar 2017 - 13 A 1793/16.A -, juris, Rn. 10 f., m. w. N.
60Dies zu Grunde gelegt ist die Klägerin zur Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) durch ihre politischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland nicht in einem Maße nach außen in Erscheinung getreten, dass sie dem iranischen Geheimdienst bekannt und dieser über ihr politisches Engagement informiert ist und die Klägerin als eine Bedrohung empfindet.
61Die von der Klägerin zu 1. vorgetragenen exilpolitischen Aktivitäten beschränken sich auf ihre Facebook-Aktivitäten. Diese hat sie durch die Vorlage einiger Screenshots ihrer Seite belegt. Aber allein der Umstand, dass sie damit in sozialen Medien aktiv ist und sie anhand ihres dort verwendeten Klarnamens und der veröffentlichten Fotos grundsätzlich auch identifizierbar ist, führt nach den eingangs dargestellten Maßstäben nach der Erkenntnislage nicht dazu, dass sie als ein Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den islamischen Staat ausgeht. Die Klägerin zu 1. hat insoweit vorgetragen, sie habe etwa 900 Facebook-Freunde. Sie teile auf ihrer Seite Artikel zu wichtigen Themen wie Hinrichtungen oder den Dingen, wie mit den Derwisch umgegangen werde. Sie schreibe auch selbst Artikel zur Situation der Derwisch in Iran. Screenshots eines solchen, längeren Artikels vom 27. November 2020 hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung zur Akte gereicht. Hieraus ergibt sich, dass dieser Artikel insgesamt 3 „Gefällt-mir“-Angaben („Likes“) hatte. Auch die weiteren Screenshots, die belegen, dass die Klägerin zu 1. insbesondere Beiträge der Facebook-Seite von B1. TV geteilt hat, zeigen eine geringe Resonanz, aus ihnen ergibt sich teilweise kein „Like“, teilweise nur eines. Insgesamt sind die Aktivitäten der Klägerin zu 1. auf Facebook als niedrigprofiliert zu bezeichnen und begründen nicht die Annahme, der iranische Staat könne die Klägerin zu 1. wegen dieser Auslandsaktivitäten als ernstzunehmende Regimegegnerin in den Blick genommen haben.
62Auch die Stellung des Asylantrags löst im Übrigen bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus.
63Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 5. Februar 2021 (Stand: Dezember 2020), S. 25; BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Iran, Gesamtaktualisierung am 29. Januar 2021, S. 83 ff.; OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2021 - 6 A 2115/19.A -, juris, Rn. 55 ff.
64II. Die Klägerinnen haben auch nicht den mit den Hilfsanträgen geltend gemachten Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass ihnen in ihrer Heimat ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG ‑ insbesondere die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1) bzw. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (Nr. 2) ‑ drohen könnte, sind aus den vorgenannten Gründen ebenso wenig gegeben wie Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die Klägerin zu 1. ist - auch unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten, aber keine Diagnose ausweisenden, sondern allein eine psychische Belastungssituation beschreibenden ärztlichen Attestes von Dr. med. U. vom 10. Februar 2020 - voll erwerbsfähig und hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Ausbildung in der Lage ist, eine Arbeitsstelle zu finden, mittels der es ihr möglich sein wird, den Lebensunterhalt für sich und die Klägerin zu 2. zu verdienen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird ergänzend auf die Begründung zu den Ziffern 3. und 4. des angefochtenen Bescheids Bezug genommen, die das Gericht für zutreffend hält (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
65III. Schließlich bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der in den Ziffern 5. und 6. des angefochtenen Bescheids verfügten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
66Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist zutreffend auf §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AufenthG gestützt und rechtlich nicht zu beanstanden. Das sich unmittelbar aus § 11 Abs. 1 AufenthG ergebende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot dürfte zwar unionsrechtswidrig und daher unanwendbar sein.
67Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 (1 A 4.17) ‑, juris, Rn. 70 f., und vom 22. August 2017 - 1 A 10.17 (1 A 3.17) -, juris, Rn. 5; VGH Bad.‑Württ., Beschluss vom 22. März 2018 ‑ 11 S 2776/17 -, juris, Rn. 11.
68Die unionsrechtlich geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer wird in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes regelmäßig aber in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gesehen werden können. Die Befristung des ‑ vermeintlich bestehenden ‑ gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt ist dementsprechend umzudeuten.
69Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 -, juris, Rn. 20 f., und vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 -, juris, Rn. 42, sowie Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 -, juris, Rn. 71 f.; kritisch: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22. März 2018 - 11 S 2776/17 -, juris, Rn. 15 ff., 21.
70Ausgehend hiervon sind nach Maßgabe des sich aus § 114 Satz 1 VwGO ergebenden (eingeschränkten) Prüfungsumfangs Ermessensfehler hinsichtlich der Befristungsentscheidung vorliegend nicht zu erkennen. Das Bundesamt hat sich mit der Fristbestimmung am Mittelwert der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AsylG genannten Frist von bis zu 5 Jahren orientiert. Besondere Umstände, die eine abweichende Befristungsentscheidung nahelegen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
71Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.