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1.Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 871/20 gegen den Genehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2020 zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windenergieanlagen (Az. 00000/0000) wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers jeweils zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
2.Der Streitwert wird auf 30.000,- Euro festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
2Der Antragsteller – ein eingetragener Verein – begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner unter dem Aktenzeichen 6 K 871/20 erhobenen Klage gegen die der Beigeladenen durch den Antragsgegner erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von fünf Windenergieanlagen (WEA) im Hoheitsgebiet des Antragsgegners.
3Die Beigeladene betreibt unter den Projektnamen "E. I-III" bereits mehrere WEA im Hoheitsgebiet des Antragsgegners. Seit mehreren Jahren ist die Errichtung eines weiteren Windparks mit dem Projektnamen "E. IV" mit insgesamt fünf WEA geplant. Im Juli 2016 beantragte die Beigeladene für diese WEA beim Antragsgegner erstmals eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Diese Genehmigung wurde am 29. Dezember 2016 erteilt. Hiergegen wurde durch eine andere Umweltvereinigung Klage erhoben sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt. Die Kammer gab dem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 12. Juli 2017 - 6 L 252/17 - statt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 - 8 B 976/17 - zurück. Mit Urteil vom 28. September 2017 - 6 K 612/17 - gab die Kammer auch der Klage in der Hauptsache statt und hob die Genehmigung vom 29. Dezember 2016 auf. Beide Entscheidungen stützte die Kammer im Wesentlichen auf die Erwägungen, dass die durchgeführte Umweltverträglichkeitsvorprüfung nicht den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) entsprochen habe und ihr Ergebnis, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nicht erforderlich sei, nicht nachvollziehbar sei. Der gegen dieses Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung (OVG NRW - 8 A 4752/18 -) ist zurzeit noch anhängig.
4Am 21. Dezember 2018 beantragte die Beigeladene erneut die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von fünf WEA (nunmehr der Typen Enercon E-126 EP3 (2x, Nabenhöhe 135 m), E-126 EP4 (2x, Nabenhöhe 135 m) und E-115 EP3 (Nabenhöhe 149,8 m)) an demselben Standort. Von Westen aus gesehen besteht der geplante Windpark aus den Anlagen mit den Bezeichnungen WEA 2, 3, 6, 8 (Enercon E-126) und 7 (Enercon E-115). Diese sind – in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Genehmigung – in einem halbkreis- bzw. sichelartigem Layout mit einer Öffnung Richtung Nordwesten angeordnet. Teilweise innerhalb dieses Halbkreises bzw. dieser Sichel liegt das verzweigte Naturschutzgebiet "S.- Bach " (EU-078), welches im Wesentlichen das Gebiet des S.-baches mit seinen verschiedenen Armen umfasst. Der S.- Bach verlässt den Bereich des Windparks Richtung Westen fließend im südlichen Bereich der Öffnung. In diesem Bereich geht das Naturschutzgebiet "S.- Bach" in das Naturschutzgebiet "X. Bachtal und Nebenbäche" (EU-144) über. Südöstlich des Windparks liegt zudem das Naturschutzgebiet "P. Urft" (EU-080), östlich das Naturschutzgebiet "C. im Forst T. " (EU-079) und nordöstlich das Naturschutzgebiet "N. C1. und Q. (LP I. )" (EU-142). Von Nordwest nach Südost (zwischen den WEA 2 und 3) durchschneidet die Trasse einer Hochspannungsleitung den geplanten Windpark.
5Mit dem Genehmigungsantrag wurden seitens der Beigeladenen unter anderem ein "Avifaunistisches Fachgutachten Rotmilan mit artenschutzrechtlicher Bewertung" des Büros für Ökologie & Landschaftsplanung G. (Diplom-Biologe G. ) sowie ein UVP-Bericht der E1. . L. GmbH, Institut für Umweltplanung, eingereicht. Das Fachgutachten wurde im Laufe des Verwaltungsverfahrens durch eine Fortschreibung aktualisiert (Fortschreibung 2019 vom 12. August 2019). Zudem wurde dieses durch mehrfache Stellungnahmen des Gutachters ergänzt und erläutert. Weiterhin wurde unter anderem zu diesem avifaunistischen Gutachten durch das Büro E1. . (E1. . rer. nat. ) am 16. September 2020 eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben.
6Die beantragte Genehmigung wurde der Beigeladenen mit Bescheid vom 10. Februar 2020 erteilt. Mit Blick auf den Rotmilan wird in diesem Bescheid unter Punkt VII., 4.4.1 (S. 33), ausgeführt: Ein Bruterfolg mit tatsächlich ausfliegenden Jungvögeln habe in den Jahren 2015 und 2018 nicht festgestellt werden können. Mit Blick auf die erfolgreiche Brut im Jahr 2019 auf dem nördlichen Plateau oberhalb des S-bachtals habe sich die Raumnutzung demgegenüber nachweislich auf den Bereich des Offenlandraumes südlich und südwestlich von X konzentriert. Eine erhebliche Störung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten werde für den Rotmilan in Verbindung mit der hiesigen WEA-Planung daher nicht gesehen. Nebenbestimmungen zum Schutz des Rotmilans seien nicht erforderlich. Zwar wird in der Folge unter Punkt III., 9.1. (S. 15) dennoch der komplette Landschaftspflegerische Begleitplan vom 19. Dezember 2018 nebst der dort ursprünglich (durch Verweis auf die Artenschutzprüfung vom 17. Dezember 2018 bzw. das zwischenzeitlich überholte Avifaunistische Fachgutachten Rotmilan vom 12. Dezember 2018) enthaltenen Kompensations- und Schutzmaßnahmen zum Bestandteil des Bescheids gemacht (vgl. Punkt 6.3, 16. (S. 36 f.) des Landschaftspflegerischen Begleitplans vom 19. Dezember 2018 in Verbindung mit Punkt 7 der Artenschutzprüfung vom 17. Dezember 2018 (S. 35) bzw. Punkt 4.1, Nr. 1 bis 5 (S. 23) des ursprünglichen Avifaunistischen Fachgutachtens Rotmilan vom 12. Dezember 2018). Mit Blick auf den Rotmilan werden unter Punkt III., 9.3. (S. 15) des Bescheids hiervon jedoch die Maßnahmen Nr. 3 bis 5 wieder ausgenommen. Im Ergebnis verbleiben als Kompensations- und Schutzmaßnahmen für den Rotmilan nur die sofortige Wiederbegrünung der Anlagen- und Montageflächen (Nr. 1) und die Abpflanzung der Waldwiesen im Umkreis von 500 m um die WEA, soweit dies naturschutzfachlich vertretbar ist und es sich nicht um hochwertige Heideflächen handelt (Nr. 2). Im Übrigen wird ausgeführt, es bedürfe keiner zusätzlichen (künstlichen) Schutzmaßnahmen.
7Der Antragsteller hat am 8. April 2020 gegen diese Genehmigung Klage erhoben (Az. 6 K 871/20). Mit Bescheid vom 22. April 2020 hat der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen daraufhin die sofortige Vollziehbarkeit der Genehmigung angeordnet.
8Der Antragsteller hat am 13. Mai 2020 zudem den vorliegenden Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt.
9Er macht vorrangig geltend, dass Vorschriften des Artenschutzes verletzt worden seien. Mit Blick auf den Rotmilan trägt er im Wesentlichen vor, dass bereits die Erfassung des Bestands methodische Mängel aufweise. Die ausgewählten Beobachtungspunkte seien ungeeignet, da von dort aus nicht das gesamte Untersuchungsgebiet einsehbar wäre. Es sei ein Prüfbereich von 4.000 m um die geplanten WEA notwendig gewesen; dieser sei jedoch unterschritten worden. Die nach Beobachtungen einer privaten Arbeitsgruppe vorhandenen Gemeinschaftsschlafplätze im Naturschutzgebiet N. C1. und Q. sowie nahe der Ortschaft L1. seien zu Unrecht nicht in die Beobachtung einbezogen worden. Die Kartierung sei nicht nachvollziehbar, da eine Bezeichnung der Flugbahnen und Flugrichtungen fehle. Für den Horst oberhalb des S-Bachtals sei für das Jahr 2018 durch umfangreiche Beobachtungen einer privaten Arbeitsgruppe zudem ein Brutverdacht belegt. Die gegenläufige Feststellung des Gutachters sei nicht plausibel begründet worden. Dass es 2019 zu keiner Nutzung des Luftraums im Bereich der geplanten WEA mehr gekommen sein soll, werde ebenfalls nicht plausibel dargelegt. Selbst wenn dies darauf zurückzuführen wäre, dass es 2018 keine Brut gegeben habe, würden die Zeiten vor und nach der Aufzucht der Jungen außer Acht gelassen. Zudem widerspreche dieser Befund erneut den umfangreichen Beobachtungen der privaten Arbeitsgruppe. Der Verschnitt der Beobachtungsdaten aus 2015, 2018 und 2019 sei schon deswegen unzulässig, weil 2015 andere Beobachtungspunkte gewählt worden seien als 2018 und 2019. Zudem habe es bei der Positionierung des Rasters eine Verschiebung gegeben. Auch die unbesehene Übertragung des in Rheinland-Pfalz gültigen Schwellenwertes verbiete sich angesichts unterschiedlicher Methodik. Zuletzt sei das Tötungsverbot einer populationsbezogenen Relativierung nicht zugänglich.
10Der Antragsteller beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az. 6 K 871/20 gegen den Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 10. Februar 2020 zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windenergieanlagen (Az. 00000/0000) vom Typ Enercon E-126 mit einer Nabenhöhe von je 135,00 m, einer Nennleistung von je 4.200 kW, einer Gesamthöhe von 198,5 m auf dem Grundstück E. , Gemarkung E. , Flur 21, Flurstück 58 und Flur 10, Flurstück 89, und einer Windenergieanlage vom Typ Enercon E-115 mit einer Nabenhöhe von 149,08 m, einer Nennleistung von 3.000 kW, einer Gesamthöhe von 206,94 m auf dem Grundstück E. , Gemarkung T. , Flur 10, Flurstück 89, entgegen der mit Bescheid vom 22. April 2020 zum selben Aktenzeichen angeordneten sofortigen Vollziehung wiederherzustellen.
12Der Antragsgegner beantragt,
13den Antrag abzulehnen.
14Mit Blick auf den Rotmilan trägt der Antragsgegner im Wesentlichen vor, dass alle nur erdenklichen Untersuchungen zur Ermittlung des artenschutzrechtlichen Gefährdungspotentials ausgeschöpft worden seien. 2018 hätte eigentlich gar keine Raumnutzungsanalyse durchgeführt werden müssen. Die Beobachtungen des Rotmilans seien sowohl methodisch als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichend. Insbesondere sei die Auswahl der Beobachtungspunkte nicht zu beanstanden. Ein Untersuchungsgebiet von 4.000 m um die geplanten WEA sei nicht notwendig gewesen. Der Leitfaden weise insofern einen Radius von 1.000 m aus. Die mutmaßlichen Schlafplätze im Bereich N. C1. bzw. nahe der Ortschaft L1. lägen außerhalb dieses Radius. Die vom Antragsteller herangezogenen Beobachtungen seien durch fachlich nicht ausgebildete Personen vorgenommen worden und nicht aussagekräftig. Im Übrigen sei die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative des Antragsgegners zu beachten.
15Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
16den Antrag abzulehnen.
17Mit Blick auf den Rotmilan führt sie im Wesentlichen aus, dass ausweislich des vorgelegten Fachgutachtens nicht von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen werden könne. Diesem lägen drei vollumfänglich artenschutzleitfadenkonforme Raumnutzungsanalysen aus den Jahren 2015, 2018 und 2019 zugrunde. Gerade die Raumnutzungsanalyse aus dem Jahr 2019 belege für den kritischen Fall einer windparknahen Brut deutlich, dass kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko gegeben sei. Das Gutachten sowie die ergänzenden Stellungnahmen des Gutachters erklärten schlüssig, dass es im Jahr 2018 am Horst oberhalb des S-Bachtals zu keiner Brut gekommen sei. Das unterschiedliche Verhalten der Rotmilane in den Jahren 2018 und 2019 sei mit der unterschiedlichen Raumnutzung brütender und nicht brütender Paare sowie der zeitweiligen Freistellung von Flächen im Zuge der Rodungsarbeiten für den Bau der streitgegenständlichen WEA in der Folge hinreichend erklärt. Auch im Jahr 2020 sei dieser Horst nach zwischenzeitlichen Erkenntnissen nicht bebrütet worden; ohnehin käme es insofern jedoch auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung an. 2018 hätte es gar keiner Raumnutzungsanalyse bedurft. Im Übrigen sei zu beachten, dass es sich beim Rotmilan im Kreis Z um eine häufig vorkommende Art handele, weswegen die Tötung einzelner Individuen nicht populationsrelevant sei. Dies gelte zumindest für nicht-brütende Einzeltiere. Zuletzt sei der naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative des Antragsgegners Rechnung zu tragen.
18Methodisch seien die gewählten Beobachtungspunkte gut geeignet, das Vorhabengebiet zu überblicken. Die angewandte Fluglinienerfassung sei nicht zu beanstanden. Ein Prüfbereich von 4.000 m sei vom maßgeblichen Artenschutzleitfaden für die durchgeführten Raumnutzungsanalysen nicht vorgesehen. Für das Bergland gelte mit Blick auf den Rotmilan vielmehr ein Radius von 1.000 m. Die vom Antragsteller angeführten Schlaf- und Sammelplätze lägen außerhalb dieses Radius. Zudem werde die Existenz solcher Schlafplätze angezweifelt. Im Artenschutzleitfaden sei zuletzt nicht die Rede davon, dass beim Rotmilan bei einer Brut innerhalb dieses Radius grundsätzlich ein Verstoß gegen das Tötungsverbot gegeben sei.
19Die Ausführungen des Antragstellers zu einer 2018 erfolgten Brut oberhalb des S-Bachtals seien spekulativ. Das durch diesen vorgelegte Foto- und Videomaterial einer privaten Arbeitsgruppe sei insgesamt nicht geeignet, belastbare Rückschlüsse auf eine solche Brut oder die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Rotmilane im Gefahrenbereich der WEA zu ziehen. Dieses genüge keinen fachlich-methodischen Standards und habe vor diesem Hintergrund keinen Aussagewert.
20Mit Beschluss vom 4. Juni 2020 hat die Kammer der Beigeladenen aufgegeben, bis zu einer Entscheidung über den hiesigen Eilantrag die mit Bescheid des Antragsgegners vom 10. Februar 2020 genehmigte Inbetriebnahme der zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig bzw. beinahe vollständig errichteten WEA 3, 7 und 8 zu unterlassen. Diese Entscheidung hat die Kammer im Wesentlichen auf die Erwägung gestützt, dass substantiierte Anhaltspunkte bestünden, die im Falle einer Inbetriebnahme ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Rotmilan möglich erscheinen ließen, dessen Realisierung irreversible Folgen hätte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde vom OVG NRW mit Beschluss vom 16. Juli 2020 - 8 B 907/20 - zurückgewiesen. Der Senat hat insofern ausgeführt, ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko komme für den Rotmilan ernsthaft in Betracht. Insbesondere mit Blick auf die erheblich voneinander abweichenden Ergebnisse der Raumnutzungsanalysen in den Jahren 2018 und 2019 erschienen die Ausführungen im vorgelegten Fachgutachten jedenfalls nicht von vornherein als plausibel.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des zugehörigen Hauptsacheverfahrens 6 K 871/20 und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.
22II.
23Der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 6 K 871/20 ist zulässig und begründet.
24Der Antrag ist zulässig.
25Der Antragsteller ist insbesondere antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Ihm steht als anerkanntem Umweltverband,
26vgl. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/23-78/dokumente/anerkannte_umwelt-_und_naturschutzvereini-gungen.pdf (Stand 19. Oktober 2020),
27jedenfalls das Verbandsklagerecht aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG zu. Hiernach kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass diese Entscheidung bzw. ihr Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1), sie weiterhin geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2), und sie zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2 b) UmwRG berechtigt war (Nr. 3).
28Der Anwendungsbereich des UmwRG nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG ist vorliegend eröffnet. Hiernach findet das Gesetz Anwendung auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 6 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Dies ist mit Blick auf das streitgegenständliche Vorhaben bereits deswegen der Fall, weil die Beigeladene die Durchführung einer UVP beantragt und der Antragsgegner im Anschluss hieran auf die für das vorliegende Vorhaben grundsätzlich notwendige,
29vgl. zur vorhergehenden Genehmigung bereits Verwaltungsgericht (VG) Aachen, Urteil vom 28. September 2018 - 6 K 617/17 -, juris, Rn. 32 (noch zum UVPG a.F.),
30UVP-Vorprüfung verzichtet hat, vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 UVPG. In der Folge besteht für das Vorhaben gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 UVPG von Gesetzes wegen eine UVP-Pflicht.
31Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG sind ebenfalls erfüllt. Der Antragsteller macht jedenfalls insofern substantiiert eine Verletzung von Vorschriften geltend, die für die streitgegenständliche Entscheidung von Bedeutung sein können, als er die Verletzung artenschutzrechtlicher Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) rügt (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG)). Die Möglichkeit einer solchen Verletzung erscheint – wie die Kammer in ihrem Hängebeschluss vom 4. Juni 2020 bereits dargelegt hat – jedenfalls nicht von vornherein unter jedem Gesichtspunkt ausgeschlossen. Der Antragsteller kann schließlich auch geltend machen, im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die angegriffene Entscheidung berührt zu sein. Dass er zuletzt im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG auch zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt war, ist angesichts der Durchführung eines Verfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 19 Abs. 3 in Verbindung mit § 10 Abs. 3 BImSchG ebenfalls nicht zweifelhaft.
32Vgl. nur Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt, 92. Ergänzungslieferung Februar 2020, § 2 UmwRG, Rn. 25.
33Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage 6 K 871/20 ist auch nicht offensichtlich unzulässig. Insbesondere bedurfte es gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (JustG NRW) vor Klageerhebung keiner Durchführung eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Ausschlussklausel des § 110 Abs. 3 Satz 1 JustG NRW greift angesichts der Durchführung eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung mit Blick auf den Antragsteller nicht ein.
34Der Antrag ist auch begründet.
35Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO hat bereits dann Erfolg, wenn eine Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO fehlt oder die erfolgte Begründung unzureichend ist. Im Übrigen trifft das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien.
36Die mit Bescheid vom 22. April 2020 erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des in der Hauptsache streitgegenständlichen Genehmigungsbescheides ist zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere entspricht ihre Begründung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die schriftliche Begründung muss hiernach in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Diese ist verpflichtet, abgestellt auf den konkreten Fall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sowie die Ermessenserwägungen, die sie zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben, schlüssig und substantiiert darzulegen. Formelhafte und pauschale Begründungen oder Wendungen, mit denen lediglich der Gesetzestext wiederholt wird, reichen nicht aus.
37Vgl. VG Aachen, Beschlüsse vom 2. September 2016 - 6 L 38/16 -, juris, Rn. 30 und vom 18. Juli 2016 - 6 L 532/16 -, juris, Rn. 16, jeweils m.w.N.
38In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die zur Begründung des Sofortvollzugs angeführten Gründe diesen tatsächlich rechtfertigen und ob die angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Die Abwägung, ob das Aussetzungsinteresse des Antragstellers die gegenläufigen Vollziehungsinteressen der Beigeladenen überwiegt, ist vielmehr Teil der eigenständigen gerichtlichen Ermessensentscheidung.
39Vgl. VG Aachen, Beschlüsse vom 2. September 2016 - 6 L 38/16 -, juris, Rn. 32, und vom 18. Juli 2016 - 6 L 532/16 -, juris, Rn. 18.
40Diesen formellen Begründungsanforderungen hat der Antragsgegner genügt. Er hat mit Blick auf den vorliegenden Einzelfall zur Begründung des Sofortvollzugs ausgeführt, dass für das Vorhaben bereits erhebliche Projektierungs- und Planungskosten entstanden seien und bestehende Zahlungsverpflichtungen nur durch die Einnahmen aus dem Betrieb der WEA gedeckt werden könnten. Zudem seien die Realisierungsfristen nach dem Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (EEG) einzuhalten. Es bestehe in der Folge ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Genehmigung, da eine langfristige Verzögerung zu erheblichen Einbußen und zur Gefährdung der Kostenkalkulation des Projektes führe. Darüber hinaus bestehe angesichts des dramatischen Einbruchs des weiteren Ausbaus der Windenergie auch ein großes öffentliches Interesse an der kurzfristigen Realisierung des Vorhabens. Die Klage des Antragstellers habe zudem sehr geringe Erfolgsaussichten; eine Rechtsverletzung sei nicht erkennbar. Damit hat der Antragsgegner nachvollziehbar zu erkennen gegeben, aufgrund welcher konkreten Überlegungen er gerade im vorliegenden Fall ein überwiegendes privates Interesse bzw. zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung als gegeben ansieht.
41Die im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung fällt allerdings zu Gunsten des Antragstellers aus.
42Maßgebliches Kriterium innerhalb dieser Interessenabwägung sind regelmäßig die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig und wird der Antragsteller hierdurch in eigenen, gerade seinem Schutz dienenden Rechtsnormen verletzt, weshalb er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich einen Aufhebungsanspruch erfolgreich wird durchsetzen können (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse. Stellt der Verwaltungsakt sich demgegenüber als offensichtlich rechtmäßig dar, weshalb der von dem belasteten Beteiligten eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache erfolglos bleiben wird, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Darüber hinausgehende Rechtsverletzungen verschaffen dem anfechtenden Dritten keine im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende Rechtsposition, weil ihm ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch nicht zukommt.
43Bei summarischer Betrachtung bestehen im Ergebnis ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheides vom 10. Februar 2020. Die Kammer hält insofern an den bereits in ihrem Hängebeschluss vom 4. Juni 2020 geäußerten Bedenken hinsichtlich des Verstoßes gegen die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG mit Blick auf den Rotmilan auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fest. In der Folge erweist sich die streitgegenständliche Genehmigung nach summarischer Prüfung jedenfalls als materiell rechtswidrig und der Antragsteller als in seinen satzungsmäßigen Rechten verletzt, weswegen die Klage in der Hauptsache nach derzeitigem Sach- und Streitstand voraussichtlich erfolgreich sein wird.
44Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Genehmigung ist § 6 Abs. 1 BImSchG. Hiernach ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer auf Grund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Verpflichtungen erfüllt werden (Nr. 1) und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes (Nr. 2) der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Zu den in § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG in Bezug genommenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gehört auch § 44 Abs. 1 BNatSchG. Hiernach ist es insbesondere verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören (Nr. 1 – Tötungsverbot).
45Mit Blick auf den Rotmilan ist nach summarischer Prüfung von einem Verstoß gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG auszugehen.
46Das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, welches nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 nur absichtliche Formen der Tötung umfasst, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann verletzt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist.
47Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 30. Januar 2002 - C-103/00 -, juris, Rn. 26, und Urteil vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 -, juris, Rn. 113.
48In der Folge können grundsätzlich auch unbeabsichtigte, aber unausweichliche Tötungen geschützter Tiere durch den Betrieb einer WEA gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstoßen.
49Dieser bundesrechtliche Verbotstatbestand ist nach ständiger ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung zudem individuenbezogen,
50vgl. zuletzt nur OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris, Rn. 63,
51und als solcher einer populationsbezogenen Relativierung grundsätzlich unzugänglich. Dies ergibt sich nunmehr auch aus dem insofern klaren Wortlaut des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNAtSchG, wonach das Tötungsrisiko für Exemplare dieser Arten (nicht: die betroffene Art insgesamt bzw. die lokale Population) nicht signifikant erhöht werden darf. Aus dem Leitfaden "Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in NRW" des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2017 (im Folgenden: Leitfaden 2017) kann sich insofern nichts anderes ergeben. Diesem kommt zwar bei der Ausfüllung der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative im Rahmen des Signifikanzkriteriums eine besondere Bedeutung zu (dazu im Folgenden). Auf den Normgehalt einer bundesrechtlichen Regelung hat er jedoch keinen unmittelbaren Einfluss. Im Übrigen weist auch der Leitfaden 2017 (unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung) explizit darauf hin, dass das immer wieder vorgetragene Argument der Berücksichtigung von „Populationsreserven" ohne Relevanz sei.
52Vgl. Leitfaden 2017, S. 18.
53Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist der Tatbestand des Tötungsverbots mit Blick auf die bei einer WEA nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen geschützter Tiere allerdings nur dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (vgl. nunmehr auch die Normierung dieser Rechtsprechung in § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG). Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen, darüber hinaus gegebenenfalls auch weitere Kriterien im Zusammenhang mit der Biologie der Art. Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb der Anlage deutlich steigert; dafür genügt weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind.
54Vgl. zuletzt nur BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 2020 - 4 B 20/19 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris, Rn. 65 f. m.w.N.; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Loseblatt, 92. Ergänzungslieferung Februar 2020, § 44 BNatSchG, Rn. 9, jeweils m.w.N.
55Ob im Einzelfall eine signifikante Erhöhung des individuenbezogenen Tötungsrisikos durch eine WEA besteht, wird grundsätzlich anhand zweier Faktoren bestimmt: dem allgemeinen artspezifischen Risiko und der individuellen Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Nahbereich einer WEA. Konkret bedeutet dies, dass im Bereich der geplanten WEA erstens eine Tierart nachgewiesen sein muss, die aufgrund ihrer artspezifischen Verhaltensweise generell ungewöhnlich stark von den von WEA ausgehenden Tötungsgefahren betroffen ist (schlaggefährdete Spezies). Zweitens müssen sich die von den WEA bedrohten Individuen dieser Spezies vermehrt im Gefährdungsbereich der streitgegenständlichen WEA aufhalten (individuelle Gefährdungslage durch häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums). Eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos kann bei Vorliegen dieser beiden Faktoren nur noch durch geeignete Schutzmaßnahmen (Vermeidungsmaßnahmen) verhindert werden.
56Vgl. nur VG Kassel, Beschluss vom 20. Mai 2020 - 7 L 200/20.KS -, juris, Rn. 55 m.w.N.
57Bei der Beurteilung dieser Fragen steht der Genehmigungsbehörde jedoch eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative zu. Diese bezieht sich sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich in der Folge darauf zu überprüfen, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen der Einschätzungsprärogative eingehalten und allgemeine Bewertungsgrundsätze beachtet hat und ob sonst keine sachfremden Erwägungen für die Entscheidung bestimmend geworden sind.
58Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris, Rn. 14 ff.; Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 12 ff., jeweils m.w.N.
59Auch wenn die naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative als dogmatische Argumentationsfigur durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
60vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13 -, juris,
61zwischenzeitlich überholt sein dürfte,
62vgl. ausdrücklich nunmehr BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 7 A 1/18 -, juris, Rn. 70; vgl. bereits zuvor nur Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 28. Juni 2019 - 12 ME 57/19 -, juris, Rn. 25,
63dürften sich die Grenzen der gerichtlichen Prüfungsdichte hierdurch in der Sache nicht verschieben.
64Vgl. ebenso ausdrücklich VG Minden, Urteil vom 19. Februar 2020 - 11 K 1015/19 -, juris, Rn. 102 ff.; im Ergebnis wohl auch OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 12 f.; Beschluss vom 15. Juli 2020 - 8 B 1600/19 -, juris, Rn. 12 ff.
65Bei dieser eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung ist in Rechnung zu stellen, dass sich die behördliche Prüfung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände in Nordrhein-Westfalen an den Vorgaben des Leitfadens 2017 zu orientieren hat.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 8 B 840/17 -, juris, Rn. 16; VG Minden, Urteil vom 19. Februar 2020 - 11 K 1015/19 -, juris, Rn. 65 f.
67Dieser von fachkundigen Behörden erstellte Leitfaden ist grundsätzlich als maßgebliche Erkenntnisquelle für die aktuellen naturschutzfachlichen Anforderungen an den Arten- und Habitatschutz bei der Genehmigung von WEA heranzuziehen; Abweichungen hiervon müssen plausibel erklärt werden.
68Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, 1. Leitsatz und Rn. 34; zuletzt auch Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris, Rn. 55 f.; allgemein zur Bedeutung solcher Leitfäden auch BVerwG, Beschluss vom 7. Januar 2020 - 4 B 20/19, juris.
69Dies gilt auch für die dort ausdrücklich in Bezug genommenen naturschutzfachlichen Empfehlungen zur Erfassung von Vögeln.
70Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2020 - 8 B 1600/19 -, juris, Rn. 18; Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 34; VG Minden, Urteil vom 19. Februar 2020 - 11 K 1015/19 -, juris, Rn. 67 f.
71Ausgehend von diesen Maßstäben verstößt die angefochtene Genehmigung mit Blick auf den Rotmilan nach summarischer Prüfung gegen das Tötungsverbot aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
72Beim Rotmilan (Milvus milvus) handelt es um eine streng und damit auch um eine besonders geschützte Art im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 14 a) BNatSchG in Verbindung mit Anhang A zur VO (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996. Weiterhin handelt es sich ausweislich des Leitfadens 2017 nach derzeitigem naturschutzfachlichen Kenntnisstand auch um eine generell schlaggefährdete und windenergieempfindliche Art, bei der durch den Betrieb einer WEA das Tötungsverbot grundsätzlich erfüllt sein kann.
73Vgl. Leitfaden 2017, S. 11 und 18 sowie Anhang 1 zum Leitfaden 2017, Punkt 1.), "Rotmilan"; aus der Rechtsprechung nur OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 22; Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris, Rn. 22.
74Mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist nach dem derzeitigen naturschutzfachlichen Kenntnisstand zudem davon auszugehen, dass jedenfalls für Rotmilane, die im gemäß Anhang 2 zum Leitfaden 2017 einschlägigen Umkreis um eine WEA brüten,
75vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris, Rn. 23,
76oder einen Gemeinschaftsschlafplatz nutzen,
77vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 27,
78aufgrund der artspezifischen Verhaltensweise regelmäßig ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht. Diese obergerichtliche Vermutung entspricht auch den naturschutzfachlichen Annahmen des Leitfadens 2017. Hiernach dienen die Radien des Anhangs 2 zum Leitfaden 2017 zwar zunächst allgemein dazu, bei der Planung von WEA bereits im Vorfeld auf das höhere Konfliktpotential innerhalb der genannten Abstände hinzuweisen, den Planungsfokus bevorzugt auf Bereiche außerhalb der Radien zu richten und für die Artenschutzprüfung den Aufwand entsprechend abzustufen. Bei der Einhaltung dieser Radien werde ein Eintritt der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG im Regelfall vermieden. Umgekehrt liege bei einer Unterschreitung jedenfalls ein Hinweis auf ein möglicherweise signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko vor, das vertieft untersucht werden müsse.
79Vgl. Leitfaden 2017, S. 9 und 18; mit Blick speziell auf Gemeinschaftsschlafplätze S. 18, Fn. 3 und S. 48, Fn. 17; VG Minden, Urteil vom 19. Februar 2020 - 11 K 1015/19 -, juris, Rn. 137.
80Mit Blick auf die artspezifische Verhaltensweise des Rotmilans ist allerdings weiterhin dem Umstand Rechnung zu tragen, dass dieser in den vorgenannten Radien ein Verhalten zeigt, welches regelmäßig ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko mit einer WEA begründet. Grundannahme der mit Blick auf den Rotmilan im Anhang 2 zum Leitfaden 2017 gezogenen Radien ist nämlich, dass bei dieser Art regelmäßig mindestens 50 % aller Flugaktivitäten in diesem Bereich stattfinden.
81Vgl. Anhang 1 zum Leitfaden 2017, Punkt 1.) "Rotmilan".
82Wird innerhalb der vorgenannten Radien eine WEA betrieben, ist das Risiko, mit dieser zu kollidieren, gegenüber dem Risiko, im allgemeinen Naturgeschehen oder an anderen menschlich geschaffenen Vorhaben zu Tode zu kommen, für den Rotmilan in der Folge bereits auf Grund der besonders häufigen Frequentierung dieses Bereichs regelmäßig signifikant erhöht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn diese Annahme im Einzelfall durch weitergehende Erhebungen vor Ort, wie etwa eine Raumnutzungsanalyse, entkräftet wird.
83Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 1. April 2019 - 8 B 1013/18 -, juris, Rn. 24; Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Rn. 27; VG Arnsberg, Urteil vom 19. Mai 2018 - 4 K 3836/17 -, juris, Rn. 138 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 7. März 2018 - 28 K 963/17 -, juris, Rn. 84; ebenso bereits der Hängebeschluss der Kammer vom 4. Juni 2020 - 6 L 327/20 -, juris, Rn. 17 f.; mit Blick auf andere Bundesländer im Ergebnis ebenso Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Mai 2016 - 22 BV 15.1959 -, juris, Rn. 33; VG Kassel, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 7 L 768/18.KS -, juris, Rn. 78; VG Berlin, Urteil vom 9. Februar 2017 - 10 K 84.15 -, juris, Rn. 45.
84Maßgeblich dürfte insofern vorliegend ausweislich des Anhangs 2, Spalte 1 zum Leitfaden 2017 ein Radius von 1.000 m (nordrhein-westfälisches Bergland) sein. Der demgegenüber vom Antragsteller geforderte Radius von 4.000 m findet hiernach nur ausnahmsweise für den Fall ernst zu nehmender Hinweise auf intensiv und häufig genutzte Nahrungshabitate sowie regelmäßig genutzte Flugkorridore zu diesen Anwendung.
85Vgl. Leitfaden 2017, S. 18 und Anhang 2) zum Leitfaden 2017, Spalte 2.
86Die naturschutzfachliche Annahme, dass ein solcher Ausnahmefall nicht vorliege, begegnet zumindest nach summarischer Prüfung keinen Bedenken.
87Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Denn einerseits wird die durch die innerhalb des engeren Radius im Jahr 2019 erfolgte Brut ausgelöste Vermutung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos nicht durch gegenläufige Erkenntnisse hinreichend entkräftet (1.). Andererseits belegen diese Raumnutzungsanalysen für das Jahr 2018 positiv ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko, so dass es auf die vorgenannte Vermutungswirkung nicht streitentscheidend ankommt (2.).
881. Im Jahr 2019 befand sich unstreitig jedenfalls ein bebrüteter Rotmilanhorst innerhalb des engeren Radius von 1.000 m um die geplanten WEA. Es handelt sich hierbei um einen Horst, welcher südlich der Ortschaft P1. , östlich der Trasse der Hochspannungsleitung auf der nördlichen Anhöhe über dem S-Bachtals liegt. Zieht man zwischen den Endpunkten des durch die Anlagen beschriebenen Halbkreises (WEA 3 und 7) eine Linie, ist er (leicht nördlich versetzt) im südwestlichen Bereich, d.h. näher an der WEA 2, zu lokalisieren. Die Entfernung zu den geplanten WEA beträgt ausweislich des Avifaunistischen Fachgutachtens Rotmilan (Fortschreibung 2019) des Herrn G. (im Folgenden: Gutachten G. ) sowie der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn E1. . M. vom 16. September 2020 (im Folgenden: Gutachten M. ) ca. 640 m zur nächstgelegenen WEA 2 und zwischen 880 bis 1.000 m zu den übrigen WEA (vgl. Gutachten G. , S. 14; Gutachten M. , S. 4) bzw. ausweislich der Stellungnahme des Gutachters G. vom 18. Mai 2020 ca. 780 m zur WEA 2 und bis zu 1.010 m zu den übrigen WEA. Damit wird der einschlägige 1.000 m Radius bei summarischer Prüfung durchgängig mit Blick auf alle WEA unterschritten bzw. jedenfalls tangiert.
89Ob an diesem Horst auch im Jahr 2020 eine Brut stattgefunden hat – was zwischen den Beteiligten weiterhin streitig ist –, kann im hiesigen Rahmen demgegenüber schon deswegen dahinstehen, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich jeweils der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung ist.
90Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 2017 - 8 A 870/15 -, juris, Rn. 52 ff.; zuletzt auch Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris, Rn. 10 ff.; VG Aachen, Urteil vom 19. September 2018 - 6 K 612/17 -, juris, Rn. 37 ff.
91Die Genehmigung wurde vorliegend jedoch bereits im Februar und damit vor der Brutperiode 2020 erteilt.
92Bei diesem Horst handelt es sich zwar nicht um den einzigen genutzten Rotmilanhorst im (weiteren) Umkreis der geplanten WEA. So wurde 2015 ein Horst in einem Altbuchenbestand nahe der Ortschaft X in ca. 1.200 m Entfernung zur nächsten geplanten WEA (WEA 7) bebrütet. Dieser Horst wurde mutmaßlich bei einem Sturm aus dem Horstbaum geweht und zerstört; die Brut war in der Folge nicht erfolgreich. Ein Brutversuch im Jahr 2018 in einem Horst nahe der Ortschaft Q. (ca. 2.100 m zur nächstgelegenen WEA 7) war ebenfalls nicht erfolgreich. 2019 wurde demgegenüber – erfolgreich – erneut in dem Altbuchenbestand bei X in einem weiteren Horst (ca. 1.300 m zur nächstgelegenen WEA 7) gebrütet. 2017 wurde weiterhin ein Horst in einem Fichtenforst südlich der Ortschaft L1. in ca. 600 m Entfernung (laut Antragsteller: 450 m) zur nächsten geplanten WEA (WEA 7) bebrütet; die Brut war aufgrund des Verlusts der Jungvögel durch Prädatoren (Habicht) mutmaßlich nicht erfolgreich. Im September 2018 wurde der zugehörige Horstbaum gefällt und der Horst zerstört (vgl. Gutachten G. , S. 11 ff.). Zwischen den Beteiligten ist weiterhin streitig, ob sich nördlich des geplanten Windparks im Naturschutzgebiet "N. C1. und Q. " und nahe Ortschaft L1. zudem Gemeinschaftsschlafplätze des Rotmilans befinden bzw. ob diese innerhalb eines 1.000 m Radius um die geplanten WEA liegen oder nicht.
93Ob diese weiteren Horste bzw. Gemeinschaftsschlafplätze unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten zwingend in die Betrachtung einzubeziehen waren, kann im Rahmen der hiesigen summarischen Prüfung jedoch ebenso dahinstehen wie die streitige Frage, ob der Horst oberhalb des S-Bachtals auch im Jahr 2018 bebrütet war (dazu unter 2.). Denn bereits die mit Blick auf die Brut im Jahr 2019 naturschutzfachlich regelmäßig gebotene Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos wird nicht durch gegenläufige Erkenntnisse – insbesondere die durchgeführten Raumnutzungsanalysen – entkräftet.
94Eine Raumnutzungsanalyse ist eine zeit- und personalaufwändige Erfassungsmethode, bei der von Fixpunkten aus durch Erfassungsteams von mehreren Beobachtern die Dauer von Flugbewegungen im Umkreis einer geplanten WEA und des dabei beobachteten Verhaltens (Balz-/Territorialflug, Kreisen, Streckenflug, Jagd-/Nahrungssuchflug etc.), die relative Raumnutzung im Wirkraum der geplanten WEA und soweit möglich der Anteil der Flugdauer im zukünftigen Bereich der Rotorblätter der WEA beobachtet wird.
95Vgl. Leitfaden 2017, S. 26.
96Raumnutzungsanalysen wurden durch die Beigeladene im Vorhabengebiet in den Jahren 2015, 2018 und 2019 durchgeführt. Im Jahr 2015 wurde die Raumnutzung der Rotmilane erstmals in einem Umkreis von 3.000 m um die geplanten WEA an zehn Tagen im Zeitraum zwischen März und Juli erfasst. Die Hauptaktivität der Rotmilane lag hiernach im Gebiet der Ortschaft X in der Nähe des dort (bis zum Sturmverlust) zunächst bebrüteten Horstes. Es wurde aber auch das in Teilen von Baumbewuchs freigestellte S-Bachtal beflogen, das eine ganzjährige Nutzung erkennen ließ. Bei einer Aufteilung des Untersuchungsraums in ein Raster von 250 m x 250 m ergab sich für den Nahbereich der WEA einschließlich des Bereichs im Zentrum des durch die WEA beschriebenen Halbkreises eine Nutzungshäufigkeit von unter 20 %, am Randbereich vereinzelt von 20-30 %. Eine genaue Aufschlüsselung der Nutzungsstetigkeiten enthält das Gutachten nicht (vgl. Gutachten G. , S. 16).
97Auch im Jahr 2018 wurde die Raumnutzung der Rotmilane in einem Umkreis von 3.000 m um die geplanten WEA an zehn Tagen, nunmehr im Zeitraum zwischen April und Juli erfasst. Während die stärkste Nutzung hiernach erneut im Offenland südlich der Ortschaft I2. lag (dort wurde 2018 unstreitig erneut ein Horst bebrütet), gab es auch im Offenland südlich sowie südwestlich der Ortschaft P1. höhere Aktivitäten (d.h. unmittelbar nördlich des Horstes oberhalb des S-Bachtals). Bei einer Aufteilung des Untersuchungsraums in ein Raster von 250 m x 250 m ergab sich zudem für den Nahbereich der WEA 2 eine Nutzung an drei, der WEA 3 an vier, der WEA 6 an fünf, der WEA 8 an drei und der WEA 7 an drei bzw. vier von zehn Tagen. Eine häufige Nutzung (an sieben bzw. acht von zehn Tagen) wurde auch für den Bereich im Zentrum des durch die WEA beschriebenen Halbkreises beobachtet (vgl. Gutachten G. , S. 18).
98Im Jahr 2019 wurde die Raumnutzung der Rotmilane erneut in einem Umkreis von 3.000 m um die geplanten WEA an zehn Tagen im Zeitraum zwischen April und Juli erfasst. Da der Horst oberhalb des S-Bachtals in diesem Jahr unstreitig bebrütet war, fand zudem eine gezielte Beobachtung dieses Brutpaars an vier weiteren Terminen statt. Während die stärkste Nutzung erneut im Offenland südlich der Ortschaft I2. (der dortige Horst war 2019 erneut bebrütet) sowie südlich bzw. südwestlich der Ortschaft P1. lag, wurden für den Nahbereich der geplanten WEA im Vergleich zum Jahr 2018 stark divergierende Beobachtungen gemacht. Bei einer Aufteilung des Untersuchungsraums in ein Raster von 250 x 250 m ergab sich für den Nahbereich der WEA 2 hiernach eine Nutzung an null, der WEA 3 an null, der WEA 6 an null, der WEA 8 an null und der WEA 7 an einem von vierzehn Tagen. Für den Bereich im Zentrum des durch die WEA beschriebenen Halbkreises wurde ebenfalls nur eine Nutzung an null bis sechs von vierzehn Tagen beobachtet (vgl. Gutachten G. , S. 24).
99Diese eklatante Divergenz der beobachteten Nutzung des Nahbereichs der geplanten WEA in den Jahren 2018 und 2019 erklärt das Gutachten G. im Wesentlichen wie folgt: Zum einen sei der windparknahe Horst oberhalb des S-Bachtals im Jahr 2019 – anders als im Jahr 2018 – bebrütet gewesen. Das Verhalten brütender Tiere sei jedoch deutlich auf das Ziel ausgelegt, die Jungvögel erfolgreich aufzuziehen; sie hätten schlichtweg keine Zeit für nicht auf den Nahrungserwerb ausgerichtete Erkundungsflüge. Dies zeige sich am beobachteten Raumnutzungsmuster, welches klar auf den Nahrungserwerb im Offenland südlich bzw. südwestlich von P1. ausgerichtet gewesen sei. Die freigestellten Flächen im S-Bachtal sowie im Wald seien als Nahrungsflächen aufgrund ihrer Größe, der Vegetation und der Topographie demgegenüber nicht bzw. weitaus weniger attraktiv gewesen. Die Rotmilane seien daher regelmäßig über ihrem Horst in einem Umfeld von einigen hundert Metern gekreist und hätten dann das nördliche Offenland angesteuert. Auch die Erkundungs- und Spielflüge der Jungvögel hätten in diesem Bereich stattgefunden (vgl. Gutachten G. , S. 21 f. und 25). Demgegenüber sei die beobachtete Raumnutzung im Jahr 2018 davon geprägt gewesen, dass sich im Revier oberhalb des S-Bachtals. nicht brütende Einzeltiere aufgehalten hätten. Diese würden ein diffuseres Flugverhalten an den Tag legen als brütende Rotmilane. Zudem hätten das S-Bachtal und dessen südliche Umgebung durch die Freistellung von Waldflächen im Zuge des Windenergieanlagenbaus im Jahr 2018 deutlich an Attraktivität gewonnen. Da der Anlagenbau gestoppt worden sei, hätten sich große, unbewachsene Flächen im Wald befunden, die dem Suchmuster des Rotmilans entsprochen hätten. Da diese Flächen bei einem Betrieb der geplanten WEA wieder bepflanzt würden, ergäbe die Kartierung jedoch kein realistisches Bild der Rotmilanraumnutzung bei einem im Betrieb befindlichen Windpark (vgl. Gutachten G. , S. 18, 21 und 25).
100Diese Erklärungsansätze erachtet die Kammer auch nach summarischer Prüfung nicht mehr als plausibel und naturschutzfachlich vertretbar.
101Sofern das Gutachten G. die nur im Jahr 2018 beobachtete Raumnutzung des Nahbereichs der WEA auf die ausnahmsweise im Wald verfügbaren Nahrungsflächen (Rodungsbereiche unterhalb der WEA/freigestellte Flächen im S-Bachtal) zurückführt, sind die Ausführungen hierzu bereits in sich widersprüchlich. Zunächst stellt das Gutachten G. insofern im allgemeinen Teil fest, dass größere offene Bereiche in Wäldern, wie Windwürfe, Lichtungen oder Wildwiesen ebenfalls zur Nahrungssuche beflogen werden. Dass diese Nutzung nur bei nicht-brütenden Einzeltieren zu beobachten wäre, ergibt sich aus dem Gutachten nicht (vgl. Gutachten G. , S. 3). In Übereinstimmung hiermit ergab schon die Raumnutzungsanalyse im Jahr 2015, dass das in Teilen von Baumbewuchs freigestellte S-Bachtal regelmäßig beflogen und genutzt wurde; es wurden Nutzungshäufigkeiten von 20-30 % bzw. auch über 30 % konstatiert, weswegen die Planung weiterer WEA direkt an den Hängen des S-Bachtals nicht weiter verfolgt wurde (vgl. Gutachten G. , S. 15 f.). Vor diesem Hintergrund erschließt sich bereits nicht, warum das S-Bachtal nur im Jahr 2018 für den Rotmilan attraktiv gewesen sein soll (vgl. Gutachten G. , S. 18); jedenfalls für das Jahr 2015 scheint eine Attraktivität als Nahrungshabitat vielmehr ebenfalls vorgelegen zu haben. Weiterhin erweist sich die im Weiteren getroffene Feststellung, dass das S-Bachtal für den Nahrungserwerb im Jahr 2019 plötzlich keinerlei Bedeutung (mehr) gehabt habe und aufgrund des Bewuchses mit Ginsterfluren als Jagdhabitat immer weniger geeignet gewesen sei (vgl. Gutachten G. , S. 21), vor diesem Hintergrund als nicht mehr plausibel. Selbst wenn die Verbuschung des S-Bachtals erst im Jahr 2019 (und nicht bereits in den Jahren 2015 und 2018) ein Ausmaß erreicht haben sollte, welches zu einer weitgehenden Entwertung dieses Bereichs als Nahrungshabitat geführt hätte – was dem Gutachten G. so nicht entnommen werden kann – entspräche dieser Bewuchs im Übrigen nicht dem naturschutzfachlich angestrebten Zustand. Ausweislich der Fachinformationen zum Naturschutzgebiet "S. " werden das Freistellen der Bachläufe von Fichten und die Förderung typischer bachbegleitender Auenwälder für diesen Bereich als wichtige Schutzmaßnahmen qualifiziert. Außerdem soll die extensive Wiesennutzung beibehalten und auf den brachgefallenen Flächen möglichst wieder aufgenommen werden; zumindest sollen hier in mehrjährigem Turnus Schnitte zur Vermeidung von Verbuschung durchgeführt werden. Letztere wird zudem als besondere Gefährdung herausgestellt und die Beseitigung von Gehölzen und die extensive Grünlandbewirtschaftung sowie Mahd als Schutzmaßnahme avisiert – was diese Bereiche für den Rotmilan (wieder) besonders attraktiv machen würde.
102Vgl. http://nsg.naturschutzinformationen.nrw.de/nsg/de/fachinfo/ gebiete/gesamt/EU_078
103Ebenfalls für nicht plausibel erachtet die Kammer die Feststellung, dass die für den Bau der geplanten WEA von Baumbewuchs freigestellten Flächen im Jahr 2018 dem Suchmuster des Rotmilans entsprochen hätten, aber bereits im Jahr 2019 als Jagdhabitat weitestgehend uninteressant gewesen sein sollen (vgl. Gutachten G. , S. 18 und 25). Dass im Zeitraum zwischen 2018 und 2019 eine maßgebliche Aufforstung der fraglichen Bereiche stattgefunden hätte, ist dem Gutachten G. nicht zu entnehmen und der Kammer auch nicht bekannt. Weiterhin erschließt sich der Kammer auch nicht, warum diese Rodungsflächen durch den Gutachter zumindest im Jahr 2018 als attraktive Nahrungshabitate für den Rotmilan eingestuft wurden (vgl. Gutachten G. , S. 18), während dies mit Blick auf die dauerhaft bestehenden – teils wesentlich größeren – offenen Bereiche im Dahlemer Wald, welche laut allgemeinem Teil des Gutachtens G. grundsätzlich geeignete Nahrungshabitate darstellen könnten (vgl. Gutachten G. , S. 3), flächendeckend nicht der Fall gewesen sein soll. Ein wesentlicher Unterschied des Nahrungsangebots für den Rotmilan im Dahlemer Wald zwischen den Jahren 2018 und 2019 ist aus Sicht der Kammer in der Folge nicht festzustellen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Untere Naturschutzbehörde Zweifel an der generellen Geeignetheit der Rodungsflächen unter den geplanten WEA als Nahrungshabitat für den Rotmilan geäußert hat (vgl. Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 22. Juli 2019, S. 4). Auch das Gutachten M. kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass ein Großteil der Freiflächen im Dahlemer Wald, insbesondere die Rodungsflächen im Bereich der Mastfüße und Kranstellfächen, als Nahrungsfläche schlicht ungeeignet seien (Gutachten M. , S. 18).
104Als einzige im Ansatz tragfähige Erklärung für die mit Blick auf den Nahbereich der geplanten WEA stark divergierenden Raumnutzungsmuster in den Jahren 2018 und 2019 verbleibt aus Sicht der Kammer daher allenfalls der – zwischen den Beteiligten umstrittene – Umstand, dass der Horst oberhalb des S-Bachtals im Jahr 2019 bebrütet war, während dies im Jahr 2018 nicht der Fall gewesen sein soll. Legt man diesen Befund zugrunde und erkennt an, dass es sich hierbei grundsätzlich um einen plausiblen Erklärungsansatz handelt, findet sich im Gutachten G. nach Auffassung der Kammer jedoch immer noch keine hinreichend plausible Erklärung dafür, warum die Elterntiere vor und nach der Brut (Balzflüge etc.) bzw. der Aufzucht der Jungvögel sowie die Jungvögel selbst den Nahbereich der geplanten WEA – anders als 2018 – im Jahr 2019 fast komplett gemieden haben sollen. Denn gerade das Verhalten der Jungvögel ist durch ein verspieltes Flugverhalten mit Erkundungs- und Spielflügen geprägt. Der im Gutachten G. als tragender Erklärungsansatz angeführte Druck der Elterntiere, das Flugverhalten auf die besten Nahrungshabitate auszurichten, kann insofern gerade nicht ausgemacht werden. Zudem dürfte davon auszugehen sein, dass – neben brütenden bzw. mit der Aufzucht von Jungtieren befassten Elterntieren – auch Jungtiere besonders schlaggefährdet sind.
105Vgl. VG Kassel, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 7 L 768/18.KS -, juris, Rn. 77 m.w.N.
106Dies dürfte erst recht gelten, wenn die nächstgelegene WEA sich nicht im Randbereich des vorgenannten Radius zum bebrüteten Horst, sondern wie im vorliegenden Fall nur ca. 650 m entfernt von diesem befindet, der Radius mithin um 35 % unterschritten wird (vgl. insofern auch das Gutachten M. , S. 36, welches neben dem vorgenannten Radius einen besonders sensiblen Kernbereich von 750 m identifiziert und weitere Schutzmaßnahmen vorschlägt).
1072. Die Raumnutzungsanalyse aus dem Jahr 2018 belegt zudem zumindest für ein Nutzungsszenario das Vorliegen einer hohen Nutzungshäufigkeit des Nahbereichs der geplanten WEA durch den Rotmilan. Auch insofern hält die Kammer an ihren Feststellungen im Hängebeschluss vom 4. Juni 2020 fest. Darauf, ob die vorgenannte Vermutung auch für den Fall eines innerhalb des Radius nach Anhang 2 zum Leitfaden 2017 unbebrüteten, aber besetzten Horst zum Tragen kommt,
108so beispielweise VG Arnsberg, Urteil vom 19. Mai 2018 - 4 K 3836/17 -, juris, Rn. 142,
109kommt es in der Folge nicht an.
110Eine Aussage dazu, welcher prozentuale Anteil an Aufenthaltszeiten im Nahbereich der geplanten WEA oder gar in kritischen Flughöhen für den Ausschluss eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG unterschritten werden muss, enthält der Leitfaden 2017 zwar nicht. Auch die Rechtsprechung hat sich hierzu bisher nur vereinzelt geäußert.
111Vgl. VG Minden, Urteil vom 19. Februar 2020 - 11 K 1015/19 -, juris, Rn. 146 ff. m.w.N.
112Legt man allerdings den auch im Gutachten G. herangezogenen und naturschutzfachlich nach summarischer Prüfung zumindest vertretbaren rheinland-pfälzischen Schwellenwert (kritisch insofern die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 22. Juli 2019, S. 3 f.) einer Nutzungshäufigkeit von 30 % für die Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos zugrunde, war dieser ausweislich der durchgeführten Raumnutzungsanalyse im Jahr 2018 mit Blick auf die Rasterbereiche (250 x 250 m), in denen sich die geplanten WEA befinden, durchgängig erreicht bzw. teils sogar deutlich überschritten (WEA 2: 30 %; WEA 3: 40 %; WEA 6: 50 %; WEA 8: 40 %; WEA 7; 30 bzw. 40 %). Mit ihrem Vorbringen, dass diesen Zahlen eine unrealistische "worst-case" Betrachtung zugrunde liege, weil weder die exakte Anzahl der Durchflüge eines bestimmten Rasterbereichs, noch die genauen Flughöhen und -bereiche und damit die Anzahl der Durchflüge im alleine gefahrträchtigen Rotorbereich, noch die Art der Flugbewegung (Thermikkreisen, Nahrungsflug, Streckenflug etc.) dokumentiert worden seien, sondern vielmehr bereits ein einzelner Durchflug des entsprechenden Rasterbereichs – egal an welcher Stelle – eine Eintragung nach sich gezogen habe, vermögen der Antragsgegner und die Beigeladene nicht durchzudringen. Exaktere Untersuchungsergebnisse liegen weder der Kammer noch den Beteiligten vor. Ob das Gutachten in der Folge eine hinreichende Untersuchungstiefe aufweist, kann indes dahinstehen. Denn es wäre jedenfalls an der Beigeladenen gewesen, solche Ergebnisse beizubringen. Auf etwaige Ungenauigkeiten ihres eigenen Gutachtens kann sie sich nicht berufen.
113Bereits diese Untersuchungsergebnisse stehen der naturschutzfachlich vertretbaren Annahme eines nicht signifikant erhöhten Tötungsrisikos entgegen. Denn letztlich belegen sie, dass zumindest im Falle der vom Gutachten zugrunde gelegten Nutzung des Reviers oberhalb des S-Bachtals durch nicht-brütende Einzeltiere von einer intensiven Nutzung und Frequentierung des Nahbereichs der geplanten WEA und mithin von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko auszugehen ist. Insofern ist es zunächst ohne Relevanz, ob die Raumnutzungsanalyse 2018 naturschutzfachlich zwingend durchzuführen war. Jedenfalls wenn solche Daten vorliegen, kann nicht mehr alleine die der Genehmigung unmittelbar vorausgehende Brutperiode in den Blick genommen werden. Dies ergibt sich schon daraus, dass Bestandsaufnahmen vor Ort letztlich immer nur eine unvollständige Momentaufnahme der Situation von Fauna und Flora darstellen. Sie werden den "wahren" Bestand daher nie vollständig abbilden können. Dies gilt erst Recht für den Rotmilan. Denn auch wenn dieser unter Umständen über lange Jahre einen bestimmten Horst zur Brut nutzt, verfügt er doch in der Regel über mehrere Wechselhorste, die jahrweise verschiedentlich genutzt werden. Deshalb sind Erkenntnisse aus langjährigen Beobachtungen und aus früheren Untersuchungen – wenn sie denn vorliegen – eine nicht gering zu schätzende weitere Erkenntnisquelle.
114Vgl. allgemein BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14/07 -, juris, Rn. 62; konkret mit Blick auf Raumnutzungsanalysen beim Rotmilan VG Arnsberg, Urteil vom 29. Mai 2018 - 4 K 3836/17 -, juris, Rn. 146 ff.
115Diese Erkenntnisse können, auch wenn sie sich für das Vorhaben als nachteilig erweisen, nicht mehr nachträglich "ausgeblendet" werden. Im Übrigen dürfte die Einschätzung der Beigeladenen und des Antragsgegners, dass für das Jahr 2018 keine Raumnutzungsanalyse durchzuführen gewesen wäre, ohnehin unzutreffend sein. Denn ausweislich des Leitfadens 2017 sind bei Greif- und Großvögeln besetzte Reviere, in denen keine Brut stattgefunden hat, genauso zu behandeln wie Reviere mit nachgewiesener Brut; Standorte von Wechselhorsten (vgl. zur Einstufung des fraglichen Horstes als Wechselhorst: Gutachten M. , S. 17) sind zudem erst dann nicht mehr zu betrachten, wenn sie nachweislich seit zwei Jahren nicht besetzt wurden.
116Vgl. Leitfaden 2017, S. 25; zur Gleichstellung eines besetzten mit einem bebrüteten Rotmilanhorst auch VG Arnsberg, Urteil vom 29. Mai 2018 - 4 K 3836/17 -, juris, Rn. 142; zu Wechselhorsten ebd., Rn. 155 f.
117Zum einen wurde das Revier oberhalb des S-Bachtals jedoch im Jahr 2018 jedenfalls durch nicht-brütende Einzeltiere genutzt. Zum anderen fehlen Erkenntnisse zu einer etwaigen Rotmilanbrut an diesem Standort für das Jahr 2016, so dass der Horst im Jahr 2018 nicht bereits als nachweislich über zwei Jahre nicht mehr besetzt angesehen werden konnte. Darauf, ob – wie vom Antragsteller geltend gemacht –auch der 2017 bebrütete und 2018 zerstörte, in 600 bzw. 450 m zur WEA 7 gelegene Horst am W eine Raumnutzungsanalyse im Jahr 2018 erforderlich gemacht hätte (vgl. in diese Richtung die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 22. Juli 2019, S. 3), kommt es in der Folge nicht an.
118Die Ergebnisse dieser Raumnutzungsanalyse sind gegenüber denjenigen aus 2019 auch nicht deswegen als irrelevant bzw. als nachrangig anzusehen, weil sie lediglich die Nutzung des Nahbereichs der geplanten WEA durch nicht-brütende Einzeltiere belegen würden. Denn die Annahme, dass nur oder jedenfalls vorrangig brütende Exemplare des Rotmilans vom Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfasst würden (vgl. insofern insbesondere Stellungnahmen des Gutachters G. vom 12. Juni 2020, S. 3 f. und vom 16. September 2020, S. 2) und der 2019 erfasste Fall einer windparknahen Brut daher das einzig relevante bzw. das relevanteste Nutzungsszenario darstelle, geht bereits im Ansatz fehl. Das Tötungsverbot aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist – wie oben bereits dargelegt – individuen- und nicht populationsbezogen. Auf die Funktion der gefährdeten Tiere für den Populationserhalt kommt es in der Folge ebenso wenig an wie auf die Größe der lokalen Population. Dies entspricht im Übrigen auch der Einschätzung der Unteren Naturschutzbehörde in ihrer ersten Stellungnahme vom 22. Juli 2019 (vgl. Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 22. Juli 2019, S. 3: "[Es ist] letztlich unerheblich, welchen Status die Tiere aufweisen. Zu beurteilen ist lediglich, ob durch eine erhöhte Frequentierung ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko zu erwarten ist.").
119Vgl. ebenso im Ergebnis VG Arnsberg, Urteil vom 29. Mai 2018 - 4 K 3836/17 -, juris, Rn. 142, welches sogar die vorgenannte Vermutung auf besetzte, aber nicht bebrütete Horste erweitert.
120Der Befund aus 2018 kann zuletzt auch nicht ohne weiteres durch ein einfaches Verschneiden der Daten aus 2015, 2018 und 2019 (vgl. Gutachten G. , S. 28 ff.) entkräftet werden. Zwar führt ein solches Verschneiden dazu, dass eine Nutzung des Nahbereichs der geplanten WEA nur an drei bis fünf von insgesamt dreißig Beobachtungstagen und mithin lediglich eine Nutzungshäufigkeit von 10 bis 16,7 % festzustellen wäre. Diese Bildung eines Mittelwertes aus den Beobachtungen mehrerer Jahre erweist sich indes bereits vor dem Hintergrund unterschiedlicher tatsächlicher Rahmenbedingungen bei summarischer Prüfung als naturschutzfachlich nicht mehr vertretbar. Auch das Gutachten M. kommt insofern nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die kumulative Betrachtung der Stetigkeiten über mehrere Jahre "nicht glücklich" sei, da Raumnutzungsmuster selbst bei identischer Nutzungsmethodik in Abhängigkeit der Lage von Brutplätzen und der jährlich wechselnden Nutzung einer hohen Variabilität unterlägen (vgl. Gutachten M. , S. 32). Dies gilt aus Sicht der Kammer insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Anteil brütender Tiere an der Gesamtpopulation beim Rotmilan deutlich unter 50 % bzw. sogar nur bei einem Drittel liegt, ein Großteil der Rotmilanpopulation sich mithin gerade aus nicht-brütenden Einzeltieren zusammensetzt und der Rotmilan zudem als standorttreu gilt (vgl. nur Gutachten G. , S. 4 f. und 13; Stellungnahmen des Gutachters G. vom 12. Juni 2020, S. 3 und vom 16. September 2020, S. 4). Beide Szenarien können in der Folge nicht ohne weiteres gleich gesetzt und "verrechnet" werden. Dies zeigt nicht zuletzt auch der Umstand, dass es im Jahr 2020 nach Auffassung des Gutachters G. erneut zu keiner Brut an diesem Standort gekommen ist, aber zur Revierbesetzungszeit ein Bezug von Einzeltieren zu diesem Horst durchaus festzustellen war (vgl. Stellungnahmen des Gutachters G. vom 12. Juni 2020, S. 1 und vom 17. Juni 2020), so dass sich – worauf die Kammer bereits im Hängebeschluss vom 4. Juni 2020 hingewiesen hat – erneut das kritische Raumnutzungsszenario aus dem Jahr 2018 verwirklicht haben dürfte.
121Das Verschneiden der Daten begegnet im konkreten Fall im Übrigen auch methodischen Bedenken. So hat der Antragsteller zurecht darauf hingewiesen, dass es mit Blick auf das Jahr 2015 und die Jahre 2018/2019 zu einer Verschiebung des maßgeblichen Rasters gekommen ist. Warum diese Verschiebung letztlich ohne Auswirkung geblieben sein soll, erschließt sich der Kammer nach summarischer Prüfung nicht. Zudem ist zu beachten, dass auch die Beobachtungszeiträume und ‑standpunkte in den Jahren 2015, 2018 und 2019 jeweils nicht identisch waren. So lagen die Kartierungstermine im Jahr 2015 zwischen dem 5. März und dem 14. Juli, im Jahr 2018 zwischen dem 10. April und dem 25. Juli und im Jahr 2019 zwischen dem 4. April und dem 25. Juli; die Beobachtungsstandpunkte divergieren von Jahr zu Jahr ebenso wie die Zahl der Beobachter (vgl. Gutachten G. , S. 15 ff.).
122Geeignete Schutzmaßnahmen (Vermeidungsmaßnahmen), welche das hiernach vorliegende Tötungsrisiko für den Rotmilan verhindern könnten, sind dem streitgegenständlichen Bescheid nicht zu entnehmen. Dabei kann dahinstehen, ob die entgegen der allgemeinen Feststellung unter Punkt VII., 4.4.1 (S. 33) des Bescheids durch mittelbare Bezugnahme auf ein zwischenzeitlich überholtes Gutachten aufgenommenen Nebenbestimmungen überhaupt wirksamer Bestandteil des Bescheids geworden sind. Denn hierbei handelt es sich nach summarischer Prüfung auch unter Beachtung der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative des Antragsgegners bereits nicht um hinreichend geeignete Schutzmaßnahmen.
123Von den im Leitfaden 2017 – und im Übrigen auch im Gutachten M. –empfohlenen Schutzmaßnahmen hat der Antragsgegner, der ohnehin nicht vom Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos ausgeht, folgerichtig nur zu einem sehr geringen Umfang Gebrauch gemacht. So fehlen die dort empfohlenen Abschaltalgorithmen beispielsweise vollständig.
124Vgl. hierzu Leitfaden 2017, Punkt 8., Punk 2.) a.) sowie Anlage 6 zum Leitfaden 2017, Punkt 2.); Gutachten M. , S. 36 ff. (zu Abschaltalgorithmen S. 38 f.),
125Setzt die Behörde bei der Genehmigung von WEA jedoch Maßnahmen zum Schutz von Vögeln in geringerem Umfang fest als solche, die im Leitfaden 2017 empfohlen werden, muss sie plausibel erläutern, aus welchen Gründen die von ihr vorgesehenen Schutzmaßnahmen nach ihrer Einschätzung ausreichen, damit das Tötungsrisiko durch den Betrieb der WEA nicht signifikant erhöht wird.
126Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2019 - 8 B 409/18 -, juris, Leitsatz 1. sowie Rn. 27 ff.
127Dies ist nach summarischer Prüfung allerdings nicht der Fall.
128Mit Blick auf die sofortige Wiederbegrünung aller Arbeits- und Montageflächen nach Anlagenbau (Nr. 1) ist bereits fraglich, ob eine bloße Wiederbegrünung überhaupt geeignet wäre, diese Flächen für den Rotmilan (erneut) unattraktiv zu machen. Denn wie diese Wiederbegrünung konkret auszugestalten ist (Aufforstung mit Bäumen, Pflanzen von Büschen oder Bodendeckern, Anlage einer Wiesen-/Rasenfläche etc.), sieht der Bescheid im Einzelnen nicht vor. Insofern entspricht die Nebenbestimmung weder der im Leitfaden 2017 vorgesehenen Muster-Nebenbestimmung zur Gestaltung des Mastfußbereichs,
129vgl. Anhang 6 zum Leitfaden 2017, Punkt 3.),
130noch der insofern vorgeschlagenen Nebenbestimmung im Gutachten M. (vgl. Gutachten M. , S. 38: Gestaltung mit Bodendeckern/niedrigen Gehölzen).
131Darüber hinaus steht diese Maßnahme im Widerspruch zum (aktuellen) Gutachten G. , welches davon ausgeht, dass diese Bereiche bereits jetzt für den Rotmilan weitgehend unattraktiv seien (vgl. Gutachten G. , S. 25; ebenso auch die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 22. Juli 2019, S. 4). Sie erklärt sich letztlich vor dem Hintergrund, dass der Bescheid mittelbar auf ein zwischenzeitlich überholtes Gutachten Bezug nimmt und der Gutachter G. 2018 insofern noch eine andere Auffassung vertreten hat (vgl. hierzu bereits oben). Zuletzt ist insofern festzustellen, dass der Leitfaden 2017 ohnehin davon ausgeht, dass alleine die Gestaltung des Mastfußbereichs nicht ausreichend ist, um ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko auszuschließen.
132Vgl. Leitfaden 2017, Punkt 8., 3.) b).
133Mit Blick auf die Abpflanzung der Waldwiesen im Umkreis von 500 m um die geplanten WEA (Nr. 2) ist demgegenüber zunächst festzustellen, dass diese Auflage unter der Bedingung steht, dass dies naturschutzfachlich vertretbar sei und es sich nicht um hochwertige Heideflächen handele ("soweit möglich"). Wie oben für das hier besonders relevante S-Bachtal dargestellt, dürfte dies mit Blick auf die unter Naturschutz stehenden Freiflächen jedoch nicht ohne weiteres der Fall sein. Weiterhin ist auch insofern unklar, wie eine solche Abpflanzung konkret auszugestalten wäre und ob diese überhaupt geeignet wäre, diese Nahrungshabitate für den Rotmilan (erneut) unattraktiv zu machen.
134Zuletzt würde mit den beiden vorgenannten Maßnahmen ohnehin nicht dem Umstand Rechnung getragen, dass ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko gerade auch mit Blick auf das nicht strikt auf die Nahrungssuche ausgerichtete, diffuse Flugverhalten nicht-brütender Einzeltiere (Balzflüge, Erkundungsflüge etc.) und das verspielte Flugverhalten der Jungtiere (Spiel- und Erkundungsflüge etc.) besteht. Die Maßnahmen zielen jedoch alleine darauf ab, potentielle Nahrungshabitate im Nahbereich der WEA weiter zu entwerten und damit Nahrungssuchflüge in diesem Bereich zu minimieren.
135Die Verletzung von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG berührt mit dem Arten- und Umweltschutz zuletzt auch Belange, die zu den Zielen gehören, die der Antragsteller nach seiner Satzung fördert (§ 2 Abs. 4 Satz 1 a.E. UmwRG).
136In der Folge können die weiterhin aufgeworfenen Fragen, insbesondere zur Methodik und Untersuchungstiefe der durchgeführten Raumnutzungsanalysen und zur Verletzung artenschutzrechtlicher Zugriffsverbote mit Blick auf den Schwarzstorch und weitere Arten, dahinstehen. Dies gilt auch für die Frage, ob der geplante Windpark als Teil einer Windfarm im Sinne des § 2 Abs. 5 UVPG anzusehen ist.
137Vgl. diese Frage ebenfalls offen lassend bereits VG Aachen, Urteil vom 28. September 2018 - 6 K 612/17 -, juris, Rn. 51; hierzu allgemein zuletzt auch OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 - 8 A 4256/19 -, juris.
138Die Kostenentscheidung folgt aus den § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Der Beigeladenen konnten Kosten auferlegt werden, da diese einen eigenen Antrag gestellt hat.
139Der Streitwertentscheidung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) unter Anlehnung an Nr. 19.2 in Verbindung mit Nr. 2.2.2 sowie Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013, wobei die Kammer mit dem OVG NRW eine – mit Blick auf die Vorläufigkeit des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz vorliegend zu halbierende –Streitwertobergrenze von 60.000,- Euro in der Hauptsache zugrunde legt.
140Vgl. insofern bereits VG Aachen, Beschluss vom 12. Juli 2017 - 6 L 252/17 -, juris, Rn. 90 f.