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Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides der OFD Köln vom 00.00.0000 und Aufhebung von deren Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000verpflichtet, dem Kläger eine Beihilfe zu den mit Beihilfeantrag vom 00.00.0000 geltend gemachten Aufwendungen für das Arzneimittel NaCl Kapseln zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der am 13. November 1923 geborene Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Dienst der Beklagten.
3Mit Beihilfeantrag vom 23. September 2005 begehrte er die Gewährung einer Beihilfe unter anderem zu ihm verordneten Natriumchlorid (NaCl) - Kapseln zum Preis von 84,98 EUR. Er machte geltend, dass er nach der Erkrankung an einem Magenkarzinom und der Entfernung seines Magens seit dem Jahr 2003 an einer sog. Hyponatriämie erkrankt sei, d.h. einer behandlungsbedürftigen Unterversorgung des Körpers mit Natrium. Eine Unterschreitung des Referenzwertes von 135 - 150 mmol/l könne zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Daher müsse er dauerhaft Natriumchloridkapseln einnehmen. Er verwies auf einen Befundbericht des Universitätsklinikums Würzburg vom 17. August 2005.
4Mit Beihilfebescheid vom 28. September 2005 lehnte die P. L. , Service-Center Beihilfe (kurz P1. ) die Gewährung einer Beihilfe zu den NaCl-Kapseln ab. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handele, die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) nicht beihilfefähig seien. Es handele sich auch nicht um solche Arzneimittel, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b Satz 2 BhV in Verbindung mit den Richtlinien gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V - Arzneimittelrichtlinien - (AMR) ausnahmsweise verordnet werden dürften.
5Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, zu dessen Begründung er sich auf einen Befundbericht des Prof. Dr. med. G. , Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Aachen vom 14. September 2003 bezog. Danach ist er vom 13. 2003 bis zum 23. September 2003 wegen einer hyperintensiven Krise unter Natriumsubstitution bei Hyponatriämie von 125 mmol/l stationär behandelt worden. Therapeutisch sollten weiter NaCl-Kapseln eingenommen werden. Der Kläger führte aus, dass die Hyponatriämie zwar in den Arzneimittelrichtlinien nicht ausdrücklich als eine Erkrankung aufgeführt sei, bei der nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erstattet werden könnten. Sie erfülle aber die Voraussetzungen einer schweren chronischen Erkrankung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Verbindung mit Nrn. 16.2. und 16.3. der AMR. Die Einnahme der NaCl-Kapseln sei bei seiner Erkrankung ebenso zwingend erforderlich wie die in Abschnitt F Nr. 16.4.21 AMR als erstattungsfähig angesehene Therapie der Hypokaliämie. Beide Salze regulierten den Elektrolythaushalt, eine ausreichende Versorgung sei dauerhaft notwendig, um lebensbedrohlichen gesundheitlichen Entwicklungen vorzubeugen.
6Die P1. setzte das Widerspruchsverfahren zunächst einvernehmlich aus, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sein Anliegen dem für die Aktualisierung der Arzneimittelrichtlinien zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss vorzutragen. Auf die entsprechende Anfrage erhielt der Kläger allerdings lediglich die Antwort, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss aufgrund seines gesetzlichen Auftrags für die vertragsärztliche Versorgung nur mit Belangen der Gesetzlichen Krankenversicherung beschäftige. Stellungnahmen für die Leistungsgewährung der Beihilfestellen oder der privaten Krankenkassen könne er nicht abgeben.
7Die P1. wies den Widerspruch schließlich mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 als unbegründet zurück. Der Anspruch des Klägers auf die Fürsorge seines Dienstherrn gemäß § 79 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) sei im Bereich der Beihilfe durch die Beihilfevorschriften des Bundes abschließend konkretisiert worden. Die Festsetzung der Beihilfe sei im Einklang mit diesen Vorschriften erfolgt. In Abschnitt F der Arzneimittelrichtlinien seien die Ausnahmen, unter denen ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel ausnahmsweise erstattungsfähig sei, abschließend aufgelistet. Härten und Nachteile die sich daraus ergäben, dass die Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften in typisierender und pauschalierender Weise bestimmt werde, müssten wegen des nur ergänzenden Charakters der Beihilfe hingenommen werden.
8Der Kläger hat am 6. Februar 2007 Klage erhoben. Er macht ergänzend geltend, dass die Einnahme der NaCl-Kapseln für ihn - neben einer intravenösen Zufuhr - die einzig mögliche Therapie seiner Erkrankung darstelle. Hierzu verweist er auf eine Bescheinigung seines Hausarztes Dr. med. J. vom 17. Juli 2006, wonach der Versuch einer diätetischen NaCl - Substitution ohne Erfolg geblieben sei, sowie auf weitere Bescheinigungen vom 8. Mai 2006 und 5. Februar 2007. Es bestünden zudem erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluss von Leistungen durch Bezugnahme auf Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses, die keine Gesetzesqualität hätten und durch ein nicht demokratisch legitimiertes Gremium getroffen würden. Zumindest müsse für Härtefälle, zu denen der Kläger als chronisch Kranker gehöre, eine Ausnahmevorschrift vorgesehen sein.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte unter Abänderung des Bescheides der P1. vom 28. September 2005 und Aufhebung von deren Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 zu verpflichten, ihm eine Beihilfe zu den mit Beihilfeantrag vom 00.00.0000 geltend gemachten Aufwendungen für das Arzneimittel NaCl Kapseln zu gewähren.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend führt sie aus, dass angesichts der vom Vorschriftengeber der Beihilfevorschriften beabsichtigten Gleichbehandlung von gesetzlich Krankenversicherten und Beamten kein Raum für eine Ausnahme aufgrund der Fürsorgepflicht verbleibe.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
15Entscheidungsgründe:
16Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung der Beihilfefähigkeit der ihm verordneten NaCl - Kapseln, § 113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der ablehnende Bescheid der P1. vom 00.00.0000 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
17Als Rechtsgrundlage für den Beihilfeanspruch des Klägers kommt § 6 Abs. 1 Nr. 2 der aufgrund des § 79 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) ergangenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV -) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918) mit ihren späteren Änderungen nicht in Betracht. Offen bleiben kann, ob dies schon deshalb gilt, weil diese Vorschriften nach einem bereits am 17. Juni 2004 verkündeten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG),
18- 2 C 50.02 -, NVwZ 2005, 713,
19dessen Ausführungen sich die Kammer anschließt, verfassungswidrig sind, weil sie lediglich Verwaltungsvorschriften ohne Gesetzescharakter sind und als solche nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügen. Die wesentlichen Entscheidungen über die Leistungen an Beamte, Richter und Versorgungsempfänger im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit hat der Gesetzgeber zu treffen. Zwar ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts für eine Übergangszeit noch von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften auszugehen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Leistungen im Fall der Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Geburt nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden. Eine andere Beurteilung ist allerdings dann angezeigt, wenn der Gesetzgeber in einem überschaubaren Zeitraum seiner Normierungspflicht nicht nachkommt.
20Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004, a.a.O.
21Nach mittlerweile annähernd drei Jahren seit Verkündung des Urteils dürfte ein solcher Übergangszeitraum mittlerweile abgelaufen sein.
22Dies kann jedoch dahinstehen. Die Beihilfevorschriften sind hier jedenfalls deshalb als Rechtsgrundlage für einen Ausschluss des Beihilfeanspruchs ungeeignet, weil sie - unabhängig von ihrer Rechtsform - inhaltlich - materiell keine hinreichend an den Anforderungen der Fürsorgepflicht orientierte eigene Entscheidung über die Beihilfefähigkeit der Arzneimittel treffen. Zum einen ist der in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b BhV enthaltene grundsätzliche Ausschluss der Beihilfefähigkeit von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln schon deshalb nicht mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar, weil mit der Anknüpfung an die Verschreibungspflicht eines Arzneimittels keine Entscheidung über das nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
23vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2004, a.a. O. sowie vom 30. Oktober 2003 - 2 C 26.02 -, ZBR 2004, 172,
24erforderliche Handlungsprogramm des Dienstherrn getroffen wird. Vielmehr stellt die Anordnung einer Verschreibungspflicht unabhängig von der Gewichtung der Notwendigkeit und Angemessenheit eines Arzneimittels unter Fürsorgegesichtspunkten allein auf die Gefährlichkeit des Arzneimittels ab, die aus Gründen der Arzneimittelsicherheit eine Beschränkung des Zugangs erfordert.
25Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) Satz 3 BhV geregelte ausnahmsweise Beihilfefähigkeit von in den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erstattungsfähig aufgelisteten, nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der diese Arzneimittelrichtlinien erlässt, ist ein Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern ohne Beteiligung des Dienstherrn. Er entscheidet unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Versicherungsverhältnisses in der gesetzlichen Krankenversicherung über die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln für gesetzlich Krankenversicherte. Dabei orientiert er sich an völlig anderen Maßstäben als sie die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus § 79 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) für die Entscheidung über die Beihilfefähigkeit eines Arzneimittels vorgeben. Darüber hinaus ist - wie gerade der Fall des Klägers zeigt - wegen der fehlenden Beteiligung des Dienstherrn an der Zusammensetzung des Gemeinsamen Bundesausschusses und der fehlenden Möglichkeit der Einflussnahme des Dienstherrn auf dessen Entscheidungsprozesse schon verfahrensrechtlich nicht sichergestellt, dass auch die Belange der Beamten in die Entscheidung über die nach den Arzneimittelrichtlinien erstattungspflichtigen Medikamente einfließen. Ein solches Gremium kann nicht bestimmen, ob der Beamte unter Fürsorgegesichtspunkten Anspruch auf Beihilfe für ein bestimmtes Präparat hat.
26Vgl. so schon für den Verweis auf die Arzneimittelrichtlinien für verschreibungspflichtige Arzneimittel: Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 3. Mai 2007 - 1 K 562/07 -.
27Unabhängig hiervon ergibt sich ein Beihilfeanspruch des Klägers jedenfalls unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach § 79 BBG. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Beihilfevorschriften die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in Krankheit-, Pflege - und Geburtsfällen grundsätzlich abschließend konkretisieren. Nur ausnahmsweise kann ein Beihilfeanspruch unmittelbar auf die Fürsorgepflicht gestützt werden, wenn sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt würde. Die Fürsorgepflicht verpflichtet den Dienstherrn nicht, zu jeglichen Aufwendungen, die aus Anlass einer Krankheit oder Behinderung entstehen, eine Beihilfe zu gewähren. Eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht kann nur dann angenommen werden, wenn durch die Nichtgewährung der Leistung eine unerträgliche Belastung der amtsangemessenen Lebensführung einträte und sich deshalb atypischerweise die Versagung der Beihilfeleistung aufgrund ganz besonderer Fallumstände schlechterdings als grob fürsorgepflichtwidrig darstellte. Dazu muss insbesondere die Schwere einer erkrankungsbedingten Beeinträchtigung berücksichtigt werden sowie die Frage, ob es medizinisch gesehen sinnvolle und zumutbare Alternativen zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung gäbe.
28Vgl. zu den Anforderungen an einen Anspruch auf Beihilfeleistungen unmittelbar aus der Fürsorgepflicht: BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2002 - 2 C 1.01 -, NJW 2002, 2045; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 24. Mai 2006 - 1 A 3633/04-.
29Die Voraussetzungen für die Ableitung eines Beihilfeanspruchs unmittelbar aus der Fürsorgepflicht sind hier erfüllt. Dazu ist zu berücksichtigen, dass die Erkrankung des Klägers nicht nur eine leichte Beeinträchtigung seiner Lebensführung zur Folge hat, sondern ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Anlass zu zweifeln hat, bei nicht hinreichender Behandlung zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen kann. Weiter sind andere Möglichkeiten der Behandlung als die medikamentöse oder die noch teurere intravenöse Zufuhr des von seinem Körper aus der Nahrung nicht hinreichend verwertbaren Natriums nicht gegeben. Der Kläger ist daher voraussichtlich lebenslang auf die Einnahme der verordneten Kapseln angewiesen. Angesichts der chronischen Erkrankung und der fortdauernden Notwendigkeit der Einnahme lassen sich die Kosten auch nicht im Hinblick auf ihren geringen Umfang dem Bereich eines aus der Besoldung zu erbringenden Eigenanteils des Klägers zur Gesundheitsversorgung zuordnen. Diese Besonderheiten des Einzelfalls lassen es daher als gerechtfertigt erscheinen, mit Blick auf ein ansonsten der Fürsorgepflicht grob widersprechendes Ergebnis den vom Kläger geltend gemachten Anspruch unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn herzuleiten.
30Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.