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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der am 28. April 1962 geborene Kläger stand zuletzt - bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 31. März 2003 als Polizeikommissar im Dienst des beklagten Landes.
3Nachdem er bereits am 16. März 1996 einen nach § 37 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) anerkannten qualifizierten Dienstunfall mit Verletzung der rechten Schulter bzw. des rechten Schultergelenks erlitten hatte, begehrt der Kläger mit seiner Klage nunmehr die Anerkennung eines von ihm am 1. März 1998 erlittenen Unfalls als qualifizierten Dienstunfall.
4An diesem Tag befand sich der Kläger auf dem Weg zu einer genehmigten Sonderkur für Polizeibeamte im Wechselschichtdienst, als sich kurz nach 8:00 Uhr auf der dreispurigen BAB 3 in Richtung Frankfurt bei km 11,491 ein Unfall ereignete. Die Unfallstelle befand sich unmittelbar hinter einer Linkskurve, welche schlecht einsehbar ist. Zum Unfallzeitpunkt war es hell (Fahrbahnrichtung gegen die tiefstehende Sonne) und nur leicht bewölkt. Auf der Fahrbahn, insbesondere auf dem Fahrstreifen und dem Seitenstreifen, herrschte Eisglätte, der Verkehr war relativ stark. Der Kläger fuhr auf der Fahrbahn rechts, als ein ihn überholender Pkw und ein Kastenwagen ins Rutschen kamen, sich mehrfach überschlugen und in die Böschung gerieten. Der Kläger hielt auf dem Seitenstreifen an, um die Unfallstelle abzusichern. Er stieg aus, gab sich als Polizeibeamter zu erkennen und suchte nach seinen Angaben in dem verunfallten Kastenwagen nach dem Warndreieck. Unmittelbar danach verlor der Fahrer eines nachfolgenden Pkw durch die Sonnenblendung und Fahrbahnglätte die Kontrolle über sein Fahrzeug und geriet ins Schleudern. Sein Fahrzeug stieß gegen den zunächst verunfallten Kastenwagen und erfasste dabei dessen Fahrer, der durch die Luft geschleudert und tödlich verletzt wurde. Weiter erfasste er den Beifahrer des Kastenwagens, der neben dem Kläger auf der Beifahrerseite stand. Der Kläger, der sich durch einen Sprung ins Fahrerhaus retten konnte, erlitt Verletzungen am Schienbein, eine Schulterprellung rechts sowie einem Schock mit nachfolgender Depression. Auch eine weitere an der Unfallstelle anwesende Person wurde von dem schleudernden Pkw erfasst und tödlich verletzt.
5Mit Bescheid vom 22. Mai 1998 wurde der Unfall als (normaler) Dienstunfall mit den Folgen Schienbeinprellung, Schulterprellung rechts und reaktive seelische Beeinträchtigung anerkannt. Ausweislich der polizeiärztlichen Feststellungen vom 6. Mai 1998 sind die Körperschäden ausgeheilt. Ein messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist nicht vorhanden.
6Mit Schreiben vom 21. August 2001 beantragte der Kläger die Anerkennung des Unfalls als qualifizierten Dienstunfall. Er habe bei der Suche nach Verkehrssicherungsmaterial in dem verunfallten Kastenwagen das herannahende weitere Unfallfahrzeug wegen dessen lauten Reifenquietschens bemerkt. Daher habe er die besondere Gefährlichkeit seiner weiteren Sicherungshandlungen auch erkannt. Fast gleichzeitig sei der Wagen in die Unfallstelle "eingeschlagen", nur durch einen Sprung in das Fahrerhaus des Kastenwagens habe er sich einigermaßen aus der Gefahrenzone retten können.
7Das Q. B. lehnte den Antrag auf Anerkennung dieses Geschehens als qualifizierten Dienstunfall nach Anhörung mit Bescheid vom 8. November 2002 unter Bezugnahme auf den hierzu ergangenen Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein - Westfalen ab. Es fehle zum Zeitpunkt des Eingreifens des Klägers an der von § 37 Abs. 1 BeamtVG vorausgesetzten besonders lebensgefährlichen Diensthandlung. Der Hinweis, dass es Tote und Schwerverletzte gegeben habe, reiche hierzu nicht aus.
8Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe trotz des miterlebten Todes von zwei Personen noch eine weitere verletzte Person aus dem Gefahrenbereich herausgebracht und danach versucht, den nachfolgenden Verkehr zu warnen, obwohl wegen des Glatteises und der hohen Geschwindigkeit weiterhin eine erhebliche Gefährdung vorgelegen habe. Dieser Einsatz gehe erheblich über das allgemeine Berufsrisiko hinaus. Er bezog sich auf seine (vorherigen) Unfallschilderungen.
9Die C. L. wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2003 als unbegründet zurück. Es bestehe zwar auch für einen Polizeibeamten wie für jede andere Person, die Unfallhilfe leiste, eine mehr als nur abstrakte Gefährdung gerade auf Autobahnen, jedoch konkretisiere sich diese allgemein - potentielle Gefahr nicht in jeder Situation und unmittelbar lebensbedrohend.
10Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Mai 2003 zugestellt
11Der Kläger hat am 17. Juni 2003 Klage erhoben.
12Er bekräftigt die aus der Glatteisbildung resultierende besondere Gefahr, die vom Beklagten bislang nicht ausreichend gewürdigt worden sei, und der er - der Kläger - sich auch bewusst gewesen sei. Als er nach den tödlichen Unfällen versucht habe, den Verkehr herunterzubremsen, habe er auch die Fahrbahn selbst betreten. Die Fahrzeuge seien aber rechts und links an ihm "vorbeigerauscht".
13Er beantragt,
14den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Q1. B. vom 8. November 2002 und des Widerspruchsbescheides der C. L. vom 15. Mai 2003 zu verpflichten, den Unfall des Klägers vom 1. März 1998 als qualifizierten Dienstunfall anzuerkennen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet.
21Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Anerkennung des Dienstunfalls vom 1. März 1998 als qualifizierten Dienstunfall, § 113 Abs 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Voraussetzung für das Vorliegen eines qualifizierten Dienstunfalls ist nach § 37 Abs. 1 BeamtVG in der hier maßgeblichen, zum Zeitpunkt des Unfalles geltenden Fassung, dass der Kläger bei der Ausübung einer Diensthandlung, mit der für ihn eine besondere Lebensgefahr verbunden war, bewusst sein Leben eingesetzt hat und infolge dieser Gefährdung einen Dienstunfall erlitten hat. Qualifizierendes Merkmal ist also das bewusste Eingehen einer besonderen Lebensgefahr um der Vornahme einer - als lebensgefährlich erkannten - Diensthandlung willen,
22vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 8. Oktober 1998 - 2 C 17.98 - , DVBl 1999, 323 ff.
23Nur wenn der Beamte die Gefahr erkennt, ihm die Lebensgefahr bewusst wird und er trotz dieser Lebensgefahr die Diensthandlung fortführt, obwohl ihm ein Entkommen möglich ist, wenn er es also unter Hintanstellung der eigenen Rettung unternommen hat, die Unfallfolgen zu mindern oder andere zu warnen, ist die Bewilligung eines erhöhten Unfallruhegehalts nach § 37 BeamtVG gerechtfertigt.
24Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 1991 - 2 B 48.91 -, in: Schütz, Beamtenrecht, ES/C II 3.5 Nr. 3 (ST).
25Daran fehlt es hier. Zwar durfte sich der Kläger als Polizeibeamter, obwohl er nicht im Dienst war, bei einer akuten Gefahrensituation im Straßenverkehr zum Zwecke der Gefahrenabwehr selbst "in den Dienst versetzen",
26vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11. Januar 1972 - V OVG A 40/69 - ZBR 1972, 120,
27es fehlt aber an der erforderlichen besonderen Lebensgefährlichkeit der Situation, die zu einem Dienstunfall des Klägers geführt hat. Eine besondere Lebensgefahr im Sinne des § 37 Abs. 1 BeamtVG ist mit einer Diensthandlung nur dann verbunden, wenn die Gefährdung weit über das normale Maß hinausgeht, der Verlust des Lebens also wahrscheinlich oder doch sehr naheliegend ist. Dies wird insbesondere angenommen für die Entschärfung von Sprengkörpern durch Feuerwerker und die Verfolgung bewaffneter Verbrecher durch Polizeibeamte. Bei verkehrspolizeilichen Tätigkeiten wie der Absicherung einer Unfallstelle oder der Hilfeleistung am Unfallort müssen besondere Umstände des Einzelfalles hinzukommen, um eine solche besondere Lebensgefährdung zu begründen. Eine derartige Situation ist angenommen worden bei einem Polizeibeamten, der bei einem gerichtlichen Ortstermin trotz des für Fußgänger bestehenden Betretungsverbotes weisungsgemäß die Fahrbahn einer Autobahn betreten hatte und dabei von einem Fahrzeug erfasst und getötet wurde; ebenso bei der Absicherung einer Unfallstelle auf einer stark frequentierten und großzügig ausgebauten Transitstrecke ohne Randstreifen zur Nachtzeit bei regennasser Fahrbahn.
28Vgl. Hess. VGH, Urteil vom 5. November 1986 - I OE 72/82, ZBR 1987, 215., OVG Rheinland - Pfalz, Urteile vom 21. Januar 2005 - 2 A 11761/04 -, IÖD 2005, 130 und vom 16. Januar 1998 - 2 A 10106/97 -, IÖD 1998, 185.
29Hier ist zunächst das Geschehen zu betrachten, das zu der als Dienstunfall anerkannten Verletzung des Klägers am Schienbein, der Schulter und der reaktiven seelischen Beeinträchtigung durch Miterleben der tödlichen Unfälle geführt hat. Insoweit bestand zwar eine nicht zu unterschätzende Gefahrenlage bei der Absicherung des Verkehrsunfalls durch die auf einer Autobahn üblichen hohen Geschwindigkeiten und die zusätzliche Gefährdung durch Glatteis, eventuell auch durch blendendes Sonnenlicht. Dadurch wird jedoch bei einer auf der Randböschung bzw. am Rand des Standstreifens vorgenommenen Absicherung der Unfallstelle - anders als beim Betreten der Fahrbahn selbst - noch keine besonders ausgeprägte Lebensgefahr begründet. Eine solche Absicherung ist vielmehr noch den - wenn auch riskanten - Routinearbeiten zuzuordnen, die im Einzelfall bei unglücklicher Verkettung der Umstände ebenfalls in einen tragischen Unfall münden können. Allein das Entstehen einer tödlichen Unfallsituation lässt noch nicht auf das Vorliegen der besonderen Lebensgefährlichkeit schließen.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. Januar 1991 - 12 A 2008/88 -, zitiert nach juris.
31Darüber hinaus hat der Kläger nicht überzeugend dargelegt, dass er sich den vorhandenen Gefahrenmomenten schon im Zeitpunkt des Suchens nach dem Warndreieck bewusst ausgesetzt hat. Während er in seiner Unfallmeldung im Jahr 1998 noch ausschließlich von einer regennassen Fahrbahn gesprochen hat, erwähnt er die Gefährdung durch Glatteis erstmals in seiner Unfallschilderung vom 16. November 2002. Von einer Blendung durch Sonnenlicht spricht er selbst nicht.
32Hiervon zu unterscheiden ist das anschließende Geschehen. Soweit der Kläger bei dem Versuch, den Verkehr vor der Unfallstelle zu stauen, auch die Fahrbahn betreten hat und sich den mit hoher Geschwindigkeit herannahenden Fahrzeugen nur ausgerüstet mit einer Warnweste und einem Warndreieck "entgegengestellt" hat, handelt es sich nach den oben aufgezeigten Maßstäben unzweifelhaft um eine Diensthandlung, bei der der Kläger bewusst sein Leben eingesetzt hat. Insoweit fehlt es jedoch an der weiteren Voraussetzung des § 37 Abs. 1 BeamtVG, dass er infolge dieser Gefährdung einen Dienstunfall erlitten hat. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar oder vom Kläger dargelegt worden, dass diese gefährliche Situation maßgeblicher Auslöser für eine von ihm erlittene Verletzung - auch seiner seelischen Gesundheit - gewesen ist. Einen weiteren Unfall, an dem der Kläger beteiligt war, hat es nicht gegeben. Die Zerstörung seines eigenen Pkw hat er nicht selbst miterlebt. Die von ihm erlittene reaktive seelische Beeinträchtigung beruht sowohl nach seiner eigenen Schilderung als auch nach den vorgelegten ärztlichen Attesten maßgeblich auf dem Miterleben der vorhergehenden schrecklichen Unfallsituation, die zum tragischen Tod zweier Menschen geführt hat. Aufgrund dieses Geschehens und nicht aufgrund des anschließenden Versuchs, den nachfolgenden Verkehr zu warnen und abzubremsen, ist beim Kläger eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Dabei handelt es sich nach der internationalen Klassifikation der ICD 10 F 43.1 um eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes. Hierzu gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder die Tatsache, Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen gewesen zu sein. Die lebensgefährlichen Absicherungshandlungen des Klägers führten nicht zu einer Situation, die ein Ereignis von solcher Durchschlagskraft beinhaltete.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.