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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
4Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes erforderlich, dass die entsprechende Frage aufgeworfen und substantiiert ausgeführt wird, warum sie für entscheidungserheblich gehalten wird.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A -, juris Rn. 4, m. w. N.
6Danach zeigt der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht auf.
7Dies gilt zunächst, soweit er für grundsätzlich klärungsbedürftig hält,
8„ob bei einem Widerruf des subsidiären Schutzstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgrund begangener Straftaten das Verwaltungsgericht die Klageabweisung ausschließlich auf die fehlende Gefährdungslage im Heimatland stützen kann, obwohl das Bundesamt im Rahmen des subsidiären Schutzstatus hierzu keine Feststellungen getroffen hat und den Widerruf hierauf auch nicht stützt.“
9Diese Frage lässt sich auf der Grundlage bereits vorliegender einschlägiger Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten.
10Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 17.12 -, juris, für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung (nach § 73 Abs. 1 Satz 1 beziehungsweise Satz 2 AsylVfG in der seinerzeit geltenden Fassung, vgl. jetzt § 73 Abs. 1 Satz 1 beziehungsweise Abs. 5 AsylG) entschieden, dass der Widerrufsbescheid umfassend auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen ist und das Gericht auch von dem Kläger nicht geltend gemachte Anfechtungsgründe sowie von der Behörde nicht angeführte Widerrufsgründe einzubeziehen hat. Denn die Aufhebung eines solchen, nicht im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts setzt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unter anderem seine objektive Rechtswidrigkeit voraus. Daran fehlt es auch dann, wenn er aus einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Liegt der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund nicht vor, so ist eine Klage erst dann begründet, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Dies entspricht der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 9, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris Rn. 10, und Beschluss vom 10. Oktober 2011 - 10 B 24.11 -, juris Rn. 4.
12Mit Urteil vom 29. Juni 2015 - 1 C 2.15 -, juris, hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass das Vorstehende gleichermaßen für den ebenfalls als gebundene Entscheidung ergehenden Widerruf der Feststellung von Abschiebungsverboten (nach § 73c Abs. 2 AsylVfG in der seinerzeit geltenden Fassung, vgl. jetzt § 73 Abs. 6 AsylG) gilt. Dabei hat es im Einzelnen ausgeführt, die von dem Berufungsgericht angenommene Beschränkung für ein „Nachschieben von Gründen“, das auch bei gebundenen Verwaltungsakten grundsätzlich zulässig sei, auf solche nachträglich vorgebrachten Gründe, die schon bei Erlass des streitigen Verwaltungsakts vorgelegen hätten, und auf Fälle, in denen die nachgeschobenen Gründe den Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen veränderten und der Betroffene auch nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werde, greife jedenfalls nicht für den Widerruf von Schutzentscheidungen nach dem Asylverfahrensgesetz. Aus der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, dass in Streitigkeiten nach diesem Gesetz das Gericht stets auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen habe (vgl. seinerzeit § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, jetzt § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG), ergebe sich, dass nicht nur solche Tatsachen einen Widerrufsbescheid als rechtmäßig tragen könnten, die schon bei dessen Erlass vorgelegen hätten, sondern gerade auch weitere Tatsachen zu berücksichtigen seien.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 - 1 C 2.15 -, juris Rn. 15.
14Auch für den Widerruf des subsidiären Schutzstatus (nach § 73 Abs. 2 beziehungsweise Abs. 5 AsylG) - gleichermaßen ein Widerruf einer Schutzentscheidung nach dem Asyl(verfahrens)gesetz - ist demnach davon auszugehen, dass das Gericht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen und den Widerrufsbescheid umfassend auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen und daher auch von dem Kläger nicht geltend gemachte Anfechtungsgründe sowie von der Behörde nicht angeführte Widerrufsgründe einzubeziehen hat.
15Vgl. hierzu aus der Literatur Camerer, in: BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, § 73 AsylG Rn. 79, Stand der Bearbeitung: 1. Januar 2025 (zum Widerruf von Asylanerkennung und Zuerkennung von internationalem Schutz); Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, § 73 AsylG Rn. 162, Stand der Bearbeitung: 31. Oktober 2024 (zum Widerruf subsidiären Schutzes); Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 73b AsylG Rn. 60, Stand der Bearbeitung: Oktober 2024 (zum Widerruf von Asylanerkennung und Zuerkennung internationalen Schutzes).
16Nur so lässt sich auch in Fällen des Widerrufs der Zuerkennung subsidiären Schutzes eine nach der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime im gerichtlichen Verfahren anzustrebende umfassende Entscheidung über die in Frage stehenden Schutzgewährungen herbeiführen.
17Vgl. zur Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime nochmals BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 -, juris Rn. 10.
18Ohne Erfolg beruft sich der Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 17 ff., wonach die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, mit der Anfechtungsklage und nicht mit der Verpflichtungsklage anzugreifen ist. Die diesem Urteil zugrunde liegende Fallgestaltung ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Dort geht es um die Frage, ob eine negative Entscheidung des Bundesamts darüber, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist - eine Zulässigkeitsprüfung ohne Prüfung und Entscheidung, ob die materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen - (nur) mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist, um den Weg zur Sachprüfung und -entscheidung (zunächst) durch das Bundesamt freizumachen, oder ob das Gericht auf eine Verpflichtungsklage hin von Amts wegen den entscheidungserheblichen Sachverhalt auch insoweit, als das Bundesamt (noch) keine Entscheidung getroffen hat, nach § 113 VwGO umfassend von Amts wegen aufzuklären und „durchzuentscheiden“ hat.
19Vgl. hierzu die Anmerkung von Berlit zu dem Urteil des BVerwG vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, jurisPR-BVerwG 4/2017 Anm. 2, unter C.
20In der vorliegenden Fallgestaltung geht es demgegenüber um die davon zu unterscheidende Frage nach dem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Prüfung einer - gebundenen - Sachentscheidung des Bundesamts.
21Inwieweit sich aus dem von dem Kläger angeführten Art. 19 Abs. 4 RL 2011/95/EU in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang etwas zu seinen Gunsten ergeben soll, erschließt sich nicht.
22Der Kläger zeigt auch nicht auf, dass der von ihm im weiteren aufgeworfenen Frage,
23„ob das Verwaltungsgericht, wenn es entgegen dem Bescheid des Bundesamts die Widerrufsentscheidung auf den Wegfall einer Gefahrenlage nach § 4 AsylG stützen möchte, den Kläger persönlich anhören muss“,
24nach den vorstehenden Maßstäben grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt insoweit ebenfalls schon an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit.
25In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Prozessordnung auch im Asylrechtsstreit eine persönliche Anhörung eines - wie hier - anwaltlich vertretenen Klägers nicht vorsieht. Das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung kann allerdings je nach den Umständen des Einzelfalls den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzen, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Auffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt.
26Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 2007 - 10 B 74.07 -, juris Rn. 8, und vom 4. Februar 2022 - 1 B 313.01 -, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Mai 2022 - 1 A 3330/20.A -, juris Rn. 3 ff., und vom 24. Oktober 2016 - 4 A 2077/16.A -, juris Rn. 7 ff., jeweils m. w. N.
27Ein anwaltlich vertretener Kläger hat auch im Fall seiner Inhaftierung - wie hier - grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm durch die Anordnung des persönlichen Erscheinens ermöglicht wird, in der mündlichen Verhandlung neben seinem Prozessbevollmächtigten anwesend zu sein. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht auch in diesen Fällen im Ermessen des Gerichts.
28Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juli 1990 - 1 B 112.90 -, juris Rn. 3, und vom 4. Juni 1982 - 7 B 173.81 -, juris Rn. 5, sowie Urteil vom 30. August 1982 - 9 C 1.81 -, juris Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 13. Dezember 2005 - 11 A 3035/05.A -, juris Rn. 4; Bay. VGH, Beschluss vom 15. April 2020 - 4 ZB 20.30838 -, juris Rn. 4 f.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 16. Mai 2019 - OVG 11 N 27.19 -, juris Rn. 3.
29Dass und inwieweit diese verfahrensrechtlichen Grundsätze für die hier in Rede stehende Fallgestaltung weitergehend verallgemeinernd konkretisiert werden müssten, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht müsse, wenn es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Widerrufsbescheids auch von der Behörde nicht angeführte Widerrufsgründe berücksichtige, „die Verfahrensgarantien erfüllen, die ansonsten die Behörde treffen“, zeigt er schon nicht auf, dass das Bundesamt vor dem Widerruf einer Schutzgewährung zur vorherigen persönlichen Anhörung des Ausländers verpflichtet wäre. Dies ist auch nicht der Fall (vgl. zum Widerrufsverfahren allgemein die Regelungen in § 73b AsylG, zur Anhörungspflicht insbesondere § 73b Abs. 6 Satz 1 AsylG).
30Die Berufung ist ferner nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
31Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt, dass der Beteiligte Gelegenheit hat, das aus seiner Sicht für seine Rechtsverfolgung Notwendige in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Das Gericht ist verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
32Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. August 1996 - 2 BvR 2600/95 -, juris Rn. 22; BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 2023 - 1 B 45.23 -, juris Rn. 10, und vom 12. März 2009 - 3 B 2.09 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2022 - 9 A 432/21.A -, juris Rn. 16, jeweils m. w. N.
33Danach zeigt der Kläger eine Gehörsverletzung nicht auf.
34Eine von ihm der Sache nach gerügte Überraschungsentscheidung,
35vgl. hierzu konkret für die vorliegende Fallgestaltung BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2015 - 1 C 2.15 -, juris Rn. 15,
36liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger mit Verfügung vom 11. September 2024 darauf hingewiesen, dass es den vom Bundesamt auf § 73 Abs. 5 AsylG gestützten Widerruf (jedenfalls) auf der Grundlage von § 73 Abs. 2 AsylG für rechtmäßig halte. Der Kläger hatte daher Anlass und Gelegenheit, sich zum Vorliegen der Voraussetzungen der dort normierten Voraussetzungen für einen Widerruf zu äußern.
37Auch aus seinem Vortrag, das Verwaltungsgericht hätte sein persönliches Erscheinen anordnen müssen, um ihm so trotz seiner Inhaftierung zu ermöglichen, sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich zu äußern, ergibt sich ebenfalls keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Ungeachtet dessen, dass der Kläger nur behauptet, dass er, weil er sich in Strafhaft befinde, „ohne die Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht an der Verhandlung [habe] teilnehmen [können]“, legt er schon nicht dar, dass das Verwaltungsgericht ermessensfehlerhaft von einer Anordnung seines persönlichen Erscheinens abgesehen haben könnte. Es fehlt auch in der Zulassungsschrift an der konkreten Benennung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung sprechenden Gründe. Solche sind auch nicht ersichtlich.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
39Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).