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Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine grenzständige Erweiterung eines Einfamilienhauses.
3Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung D., Flur 21, Flurstück 106 mit der Anschrift F.-straße 9 in L.. Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung D., Flur 21, Flurstück 105 mit der Anschrift F.-straße 7. Beide Grundstücke sind mit Einfamilienhäusern bebaut, die Teil der Häuserzeile F.-straße 1 bis 13a sind. Die Häuser 1, 3 und 5 sind im Verhältnis zu den Häusern 7, 9 und 11 um etwa 2 m nach Westen versetzt. Die Häuser 1 bis 13 haben eine Tiefe von etwa 10 m. Das Gebäude F.-straße 13 hat einen rückwärtigen Anbau, der sich über etwas mehr als die Hälfte der Breite des Gebäudes und in eine Tiefe bis zu ca. 5 m erstreckt. Das Gebäude F.-straße 13a weist eine deutlich größere Grundfläche als die Gebäude 1 bis 13 und eine Tiefe von etwa 25 m von der östlich gelegenen F.-straße aus auf.
4Die Beklagte erteilte der Beigeladenen am 29.7.2020 eine Baugenehmigung für das Vorhaben „Wohnhauserweiterung, Dachterrasse mit Sichtschutzwand“. Ausweislich der Bauvorlagen soll das Erdgeschoss des bestehenden Gebäudes über dessen gesamte Breite um 4,50 m in den rückwärtigen Gartenbereich erweitert werden. Auf dem Anbau soll über eine Tiefe von 2,00 m eine Terrasse errichtet werden, die durch eine Sichtschutzwand von 1,80 m Höhe zum Grundstück der Kläger hin abgetrennt werden soll. In dem zur Baugenehmigung gehörenden Lageplan sind in den rückwärtigen Grundstücksbereichen der Häuser 1 bis 13 im Abstand von 4,50 m zu den Gebäuden zwei Linien mit der Bezeichnung „Linie genehmigungsfreie Terrassenüberdachung“ eingezeichnet. Die Baugenehmigung wurde den Klägern am 14.11.2020 zugestellt.
5Die Kläger haben am 3.12.2020 Klage erhoben.
6Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt: Die Orientierung der Baugenehmigung an einem Maß für genehmigungsfreie Terrassenüberdachungen gehe möglicherweise auf das Verfahren 2 K 3929/18 zurück, in dem eine gerichtliche Einschätzung dahingehend protokolliert worden sei, dass das dort streitige Vorhaben auf dem Grundstück F.-straße 5 als Vorbild für das Vorhaben der Beigeladenen gelten könne. Allerdings sei auf dem Grundstück F.-straße 5 eine transparente Terrasseneinhausung errichtet worden, während die Beigeladene einen umbauten Raum von deutlich größeren Ausmaßen errichten wolle. Die Ausführung des Vorhabens werde zu erheblichen Beeinträchtigungen und Verschattungen ihrer Liegenschaft und ihrer Wohnbereiche sowie zu direkten Einsichtnahmemöglichkeiten in ihren Garten, auf ihre Terrasse und in ihr Wohnzimmer führen. Dies erweise sich als rücksichtslos. Zudem stünden dem Vorhaben Erklärungen des ehemaligen Bauherrn in Form von wechselseitigen Baulasten entgegen. Danach sei das Objekt der Beigeladenen derart geplant, dass es mit ihrem Haus eine gemeinsam belastete Brandwand und außerhalb des Gebäudes eine gemeinsame Grenzwand erhalte, die äußerliche Gestaltung, Form und Farbe beider Häuser solle gleich sein. Die Beklagte verkenne, dass ihr Haus und das der Beigeladenen Teil einer Reihenhauszeile seien, die zwischen den Hausnummern 5 und 7 verspringe, demnach seien die Gebäude einer unterschiedlichen Beurteilung im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche zuzuführen.
7Die Kläger haben beantragt,
8die den Klägern mit dem 14.11.2020 zugestellte Baugenehmigung vom 29.07.2020 zu Aktenzeichen 63-23867-B1-2020-0432-VE aufzuheben.
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Die Baugenehmigung verletze die Kläger nicht in ihren Rechten. Das genehmigte Vorhaben füge sich im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche in die gemäß § 34 BauGB maßgebende Umgebung ein. Dort befänden sich eine Vielzahl von Terrassenüberdachungen und Anbauten, durch die eine faktische rückwärtige Baugrenze gebildet werde, die das Vorhaben der Beigeladenen einhalte. Auch im Hinblick auf die Bauweise könnten die Kläger keine Verletzung ihrer Rechte geltend machen. Die Zulässigkeit der Bebauung als Hausgruppe setze den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände voraus, der Rahmen der wechselseitigen Grenzbebauung werde durch den maßvollen Anbau nicht überschritten. Die Erweiterung stelle auch den Charakter als Hausgruppe nicht in Frage, die Häuser der Beigeladenen und der Kläger seien weiterhin auf einer Tiefe von 9,99 m miteinander verbunden, eine vollständige Deckungsgleichheit sei nicht erforderlich. Die von den Klägern angesprochene Baulast sei bisher nicht in das Baulastenregister eingetragen worden und beziehe sich nicht auf die streitgegenständliche Wohnhauserweiterung. Eine nachträgliche Eintragung sei nicht möglich, da die Baulasterklärungen auf der Grundlage einer seit Jahrzehnten nicht mehr einschlägigen Landesbauordnung abgegeben worden seien, zudem fehle es an der erforderlichen Zustimmung der derzeitigen Grundstückseigentümer. Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Von dem Vorhaben der Beigeladenen gehe keine erdrückende Wirkung aus, eine Beeinträchtigung der Besonnung, Belichtung und Belüftung sei allenfalls in geringem Maß zu erwarten. Auch die Dachterrasse führe nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Kläger.
12Die Beigeladene hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: In einem Erörterungstermin im Verfahren 2 K 3929/18 habe die dort zuständige Kammer darauf hingewiesen, dass das Vorhaben der dortigen Beigeladenen mit Blick auf die rückwärtige Baugrenze als Vorbild für ihr Vorhaben gelte. Die rückwärtige Bebauungssituation habe sich durch das Bauvorhaben F.-straße 7 weiter verfestigt. Der im genannten Verfahren von der Kammer geforderte Abstand der Dachterrasse werde eingehalten. Zudem sei § 6 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b) BauO NRW 2018 zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Ferner gelte die Regelvermutung, dass bei einer Einhaltung der Abstandsflächen auch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt sei, mit Blick auf die Zielvorgabe des Bundesgesetzgebers, Nachverdichtungen im Innenbereich der Inanspruchnahme unbebauter Flächen vorzuziehen, umso mehr.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Baugenehmigung verstoße nicht gegen Rechtsvorschriften, die auch dem Schutz der Rechte der Kläger als Nachbarn zu dienen bestimmt seien. Ein Verstoß gegen § 6 BauO NRW liege nicht vor. Die Reihenhauszeile F.-straße 1 bis 13a stelle eine in offener Bauweise errichtete Hausgruppe dar, Abstände seien daher nur durch die südliche Außenwand des Hauses F.-straße 1 und die nördliche Wand des Hauses F.-straße 13a einzuhalten. Das Haus der Beigeladenen werde auch nach dem genehmigten Anbau den Charakter als Teil der Hausgruppe nicht verlieren und sich in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise in diese einfügen. Der Anbau sei nur eingeschossig, die Tiefe der hinzukommenden Bebauung betrage lediglich 4,50 m, überwiegend würden die Häuser F.-straße 7 und 9 weiter deckungsgleich aneinandergebaut sein. Auf eine Baulast zu ihren Gunsten könnten sich die Kläger schon deshalb nicht berufen, weil sich die vorgelegten Baulasterklärungen nur auf die vorhandene gemeinsame Grenzwand und den Vorgartenbereich bezögen, nicht aber auf den rückwärtigen Bereich. Die angefochtene Baugenehmigung verletze zu Lasten des Grundstücks der Kläger keine nachbarschützenden Bestimmungen des Bauplanungsrechts. Die Kläger könnten sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Vorhaben der Beigeladenen die faktische rückwärtige Baugrenze überschreite und sich deshalb hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einfüge. Ein Verstoß gegen das insofern allein maßgebliche Rücksichtnahmegebot liege nicht vor. Die Vorschriften des landesrechtlich geregelten Abstandsflächenrechts seien eingehalten, ein atypischer Sonderfall liege nicht vor. Die Belichtungssituation für die Kläger verschlechtere sich, dies sei aber zumutbar. Die Einsichtnahmemöglichkeiten von der genehmigten Dachterrasse auf das Grundstück und in den Wohnbereich der Kläger seien durch die blickdichte seitliche Abschlusswand begrenzt und im Übrigen hinzunehmen.
16Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung führen die Kläger im Wesentlichen aus: Das Vorhaben der Beigeladenen verstoße gegen § 6 BauO NRW. Es habe seitliche Abstandsflächen einzuhalten, die auf ihr Grundstück fielen. Es gelte das Primat des Planungsrechts. Abstandsflächen seien nur dann nicht erforderlich, wenn und soweit nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden müsse, also nur, wenn das Vorhaben innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen liege. Erst wenn dies feststehe, könne die Tiefe der Abstandsflächen ermittelt werden. Darauf sei das Verwaltungsgericht nicht eingegangen. Das Vorhaben sei planungsrechtlich unzulässig. Es überschreite die in der maßgeblichen Umgebung bestehende faktische rückwärtige Baugrenze deutlich. Zu dem Vorhaben im Verfahren 2 K 3929/18 bestünden deutliche Unterschiede. Zudem ermögliche der geplante Anbau rücksichtslose Einsichtnahmemöglichkeiten und führe zu erheblichen Verschattungen. Auch die abgegebenen Baulasten stünden der vorgesehenen Ausführung entgegen. Das Objekt der Beigeladenen sei laut Baulasterklärung als Teil eines Reihenhauses derart geplant, dass es mit ihrem Haus eine gemeinsam belastete Brandwand und außerhalb des Gebäudes eine gemeinsame Grenzwand erhalte, zudem seien die äußerliche Gestalt, Form und Farbe bei beiden Häusern gleich. Was nun vorgesehen und genehmigt sei, widerspreche dem, denn die äußere Gestaltung des Gebäudes werde der Kubatur nach verändert. Die benachbarten Vorhaben seien Teil einer Reihenhauszeile, die zwischen den Hausnummern 5 und 7 verspringe. Das Gebäude F.-straße 13 stelle einen Ausreißer dar. Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen handele es sich nicht um eine in offener Bauweise errichtete Hausgruppe, da die straßenseitige Außenlänge aller Gebäude mehr als 50,0 m aufweise.
17Die Kläger beantragen,
18das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zu Aktenzeichen 2 K 6602/20 vom 16.11.2022, zugestellt am 22.11.2022, aufzuheben und die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 29.7.2020 aufzuheben.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Die Beigeladene beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die Reihenhauszeile F.-straße 1 bis 13a stelle in ihrer Gesamtheit eine in offener Bauweise errichtete Hausgruppe dar. Ihr Vorhaben löse innerhalb der Hausgruppe keine Abstandsflächen nach § 6 BauO NRW aus. Durch den Anbau gehe der Charakter als Hausgruppe nicht verloren. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor, die Grundstückssituation der Kläger verschlechtere sich nur marginal.
24Die Berichterstatterin des Senats hat die Örtlichkeit am 18.2.2025 in Augenschein genommen.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Köln im Verfahren 2 K 3929/18 Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
28Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist als (Dritt-)Anfechtungsklage zulässig, aber nicht begründet.
29Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 29.7.2020 verstößt nicht gegen die Kläger schützende Bestimmungen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
30I. Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht zum Nachteil der Kläger gegen Bauplanungsrecht.
31Es verletzt insbesondere nicht zu Lasten der Kläger § 34 Abs. 1 BauGB. Die Norm ist nicht stets und generell drittschützend, sondern nur dann, wenn das in der Norm verankerte Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist.
32Vgl. Söfker/Hellriegel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: September 2024, § 34 Rn. 141, m. zahlr. w. N.
33Eine solche Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme kommt auch nicht hinsichtlich der Vorgaben zur Bauweise im Sinne des § 34 BauGB in Betracht. Soweit das Vorhaben der Beigeladenen als Bestandteil einer Hausgruppe im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO zu betrachten sein sollte, was der Senat offen lässt, hielte es sich im Rahmen der wechselseitigen Grenzbebauung als Voraussetzung einer Qualifizierung als Hausgruppe.
34Vgl. dazu allg. Johlen, in: Gädtke, BauO NRW, 15. Aufl. 2024, § 6 Rn. 287, m. w. N.
35Der planungsrechtliche Begriff des Doppelhauses im Sinne des § 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO erfordert eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. Für den Begriff der Hausgruppe im Sinne von § 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO gelten diese Grundsätze entsprechend. Aus ihnen folgt, dass es für die Frage, ob grenzständige Gebäude eine Hausgruppe bilden, allein auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude ankommt.
36Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.3.2015 - 4 B 65.14 -, juris, Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 24.2.2000 - 4 C 12.98 -, juris, Rn. 22.
37Das Vorhaben der Beigeladenen stellt die wechselseitige Verträglichkeit der Gebäude in der Häuserzeile F.-straße 1 bis 13 nicht in Frage. Ebenso wie der bestehende Versprung des Anbaus an das Haus F.-straße 13 hält es mit Blick auf die vergleichsweise geringe Grundfläche und das beschränkte Ausmaß des Anbaus den vorhandenen Rahmen noch hinreichend ein.
38Anhaltspunkte für eine Rücksichtslosigkeit durch eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Kläger scheiden schon in Anbetracht der vergleichsweise geringen Ausmaße und insbesondere der nur eingeschossigen Höhe des Vorhabens der Beigeladenen aus.
39Sie ergeben sich auch nicht aus der geltend gemachten Verschattung des klägerischen Grundstücks. Auch ohne das Vorhaben der Beigeladenen ist das Grundstück der Kläger bereits durch den Versprung zwischen den Häusern F.-straße 5 und 7 und die bestehende gemauerte Trennwand zwischen den Grundstücken der Kläger und der Beigeladenen im Bereich der Terrasse und der zum Garten ausgerichteten Räume im Erdgeschoss Verschattungen ausgesetzt. Nach dem Eindruck der Berichterstatterin im Ortstermin, den sie dem Senat in der Beratung vermittelt hat, wird das Vorhaben der Beigeladenen zwar weitere Verschattungen nach sich ziehen, diese werden aber - wiederum mit Blick auf die vergleichsweise geringen Ausmaße - die Grenze des im innerstädtischen bebauten Bereich Zumutbaren nicht überschreiten.
40Auch mit Blick auf die von den Klägern befürchteten zusätzlichen Einsichtnahmemöglichkeiten stellt sich das Vorhaben der Beigeladenen nicht als rücksichtslos dar. Für den Anbau sind im Erdgeschoss keine Fenster hin zum Grundstück der Kläger vorgesehen, die Einsichtnahmemöglichkeiten von der Dachterrasse sind durch deren Tiefe von nur 2,0 m sowie die Abtrennung in Form einer Sichtschutzwand hin zum Grundstück der Kläger auf ein zumutbares Maß begrenzt.
41II. Die Baugenehmigung vom 29.7.2020 verstößt nicht gegen die Kläger schützende Vorschriften des Bauordnungsrechts. Insbesondere ist sie mit § 6 BauO NRW vereinbar.
42Maßgeblich ist § 6 BauO NRW in der Fassung zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung am 29.7.2020 (im Folgenden BauO NRW a. F.).
43Für die Prüfung eines nachbarrechtlichen Aufhebungsanspruchs ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgeblich. Nachträgliche Änderungen sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie für den Bauherrn günstig sind.
44Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 23.4.1998- 4 B 40.98 -, BauR 1998, 995 = juris Rn. 3, und vom 22.4.1996 - 4 B 54.96 -, BRS 58 Nr. 157 = juris, Rn. 4, OVG NRW, Urteil vom 15.7.2013- 2 A 969/12 -, juris, Rn. 47 f.
45Das Vorhaben der Beigeladenen hält die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW a. F. grundsätzlich erforderlichen Abstandsflächen auf dem Flurstück 105 in einer Tiefe von 3,00 m zwar nicht ein. Es liegt aber ein Fall vor, in dem ausnahmsweise keine Abstandsfläche erforderlich ist.
46Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW a. F. ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss (Nr. 1) oder wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf und gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird (Nr. 2).
47Danach ist vorliegend eine Abstandsfläche zum Grundstück der Kläger nicht erforderlich, wobei offen bleiben kann, ob sich die maßgebliche Umgebung als geschlossene oder offene Bauweise darstellt.
48Wird die maßgebliche Umgebung des Vorhabens - unter Einbeziehung des Gebäudes F.-straße 13a - als geschlossene Bebauung („Reihenhauszeile“) betrachtet, ergibt sich die Entbehrlichkeit von Abstandsflächen aus § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BauO NRW a. F.
49Handelte es sich bei dem Vorhaben hingegen um den Bestandteil einer Hausgruppe im Sinne von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO, so dass eine offene Bauweise gegeben wäre, wäre die grenzständige Ausführung durch § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BauO NRW a. F. gerechtfertigt.
50Die vorhandene Grenzbebauung auf dem Grundstück der Kläger erfüllt die Anforderungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BauO NRW a. F. Ausreichend für eine solche faktische Anbausicherung ist das Vorhandensein eines legalen Gebäudes ohne Grenzabstand, das geeignet ist, die Funktion der Grenzbebauungsverpflichtung zu übernehmen. Das bestehende Gebäude und der Neubau müssen sich auf einer nennenswerten Länge überdecken, sodass von einer gemeinsamen Grenzbebauung gesprochen werden kann und es muss vom Fortbestand des Gebäudes ausgegangen werden können; zahlenmäßige Ober- oder Untergrenzen für das Vorliegen einer „nennenswerten“ Überdeckung sind weder der gesetzlichen Regelung noch der Senatsrechtsprechung zu entnehmen.
51Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21.7.2022- 7 B 666/22 -, BauR 2022, 1487 = juris, Rn. 5 ff., m. w. N.
52Die hier bestehende Überdeckung der Gebäude der Kläger und der Beigeladenen genügt diesen Anforderungen. Die Häuser grenzen auf der gesamten Länge der Bestandsbebauung (ca. 10 m) aneinander. Die Länge des geplanten Anbaus beträgt weniger als die Hälfte dieser gemeinsamen Bebauung, angesichts der verbleibenden Identität insbesondere auch hinsichtlich der Gebäudehöhe und Dachgestaltung handelt es sich um eine gemeinsame Grenzbebauung.
53Ob § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO NRW a. F. zudem voraussetzt, dass die in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht zu prüfende Anlage nach den planungsrechtlichen Vorschriften innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen liegt,
54Vgl. etwa ablehnend Kockler, in Saurenhaus/ Spannowsky, BauO NRW, Stand: Januar 2025, § 6 Rn. 26 ff.; sowie befürwortend Kamp/Henkel, in Schönenbroicher/Kamp/Henkel, BauO NRW, 2. Aufl. 2022, § 6 Rn. 70; Vietmaier, NWVBl. 2018, 489, 491,
55kann vorliegend offen bleiben.
56Denn das Vorhaben der Beigeladenen liegt nach den planungsrechtlichen Vorschriften innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen.
57Maßgeblich ist insoweit § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ein Bauvorhaben planungsrechtlich zulässig, wenn es sich u. a. nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
58In die Eigenart der näheren Umgebung fügt sich ein Vorhaben ein, das sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, es sei denn, es lässt die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung fehlen. Allerdings kann sich im Ausnahmefall auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, noch in seine nähere Umgebung einfügen; Voraussetzung hierfür ist, dass es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 8.12.2016 - 4 C 7.15 -, BVerwGE 157, 1 = BauR 2017, 709 = juris, Rn. 17, m. w. N.
60Das Vorhaben der Beigeladenen fügt sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung ein.
61Die hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche maßgebliche nähere Umgebung besteht aus den Gebäuden F.-straße 1 bis 13.
62Maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen. Denn die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart dieser näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. Bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks ist der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung in der Regel enger zu begrenzen als bei der Ermittlung des Gebietscharakters.
63Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.5.2014 - 4 B 38.13 -, ZfBR 2014, 574 = juris, Rn. 7 f., m. zahlr. w. N.
64Danach wird der bodenrechtliche Charakter des Vorhabengrundstücks im Wesentlichen durch die Häuserzeile, zu der es gehört, geprägt. Sie unterscheidet sich durch ihre Länge und den Versprung zwischen den Häusern F.-straße 5 und 7 von den kleinteiligeren Häuserzeilen östlich und nördlich einerseits und den kürzeren und stärker zueinander versetzten Hausgruppen im Westen. Die südlich der trennend wirkenden Borngasse gelegene Bebauung weist hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche eine wesentlich andere Struktur auf und zählt daher ebenfalls nicht zur maßgeblichen näheren Umgebung.
65Das Gebäudegrundstück F.-straße 13a gehört dagegen nicht mehr zu der für das Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche maßgeblichen näheren Umgebung.
66Bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB sind singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden. Grundsätzlich sprechen große Qualitätsunterschiede zwischen einer einzelnen Anlage und ihrer im Wesentlichen homogenen Umgebung dafür, dass die Anlage als ein für die Eigenart der Umgebung unbeachtlicher Fremdkörper zu werten ist.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.2006 - 4 C 11.05 -, BVerwGE 127, 231 = juris, Rn. 9.
68Das Gebäude F.-straße 13a ist danach ein außer Betracht zu lassender „Ausreißer“. Es weicht schon im Hinblick auf seine Ausmaße von den Gebäuden der südlich gelegenen Häuser F.-straße 1 bis 13 deutlich ab. Es nimmt eine Grundfläche von etwa 11x21 m ein, während die übrigen Häuser eine Grundfläche von etwa 7x10 m aufweisen. Zudem erstreckt es sich - ebenfalls anders als die übrigen Häuser - über erhebliche Teile des westlichen Grundstücksbereichs.
69In die so bestimmte nähere Umgebung fügt sich das Vorhaben der Beigeladenen nach dem Inhalt der Akten und den Eindrücken der Berichterstatterin, die sie bei der Besichtigung der Örtlichkeit gewonnen und dem Senat in der Beratung vermittelt hat, hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche ein.
70Mit dem in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint. Es geht also um den Standort im Sinne des § 23 BauNVO.
71Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.5.2014 - 4 B 38.13 -, ZfBR 2014, 574 = juris, Rn. 7 f., m. zahlr. w. N.
72Die planungsrechtlichen Instrumente Baugrenze, Baulinie und Bebauungstiefe (§ 23 Abs. 1 bis 4 BauNVO), mit denen die überbaubare Grundstücksfläche in einem Bebauungsplan festgesetzt werden kann, werden auch im Rahmen von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur näheren Bestimmung dieses Zulässigkeitskriteriums herangezogen.
73Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.9.1988 - 4 B 175.88 -, ZfBR 1989, 23 = juris, Rn. 4.
74Nach diesem Maßstab hält sich das Vorhaben der Beigeladenen im Rahmen des Vorhandenen.
75Eine faktische Baugrenze entlang der rückwärtigen Hausfassaden der Gebäude F.-straße 1 bis 13 - die das Vorhaben der Beigeladenen nicht einhielte - ist nicht vorhanden. Die Häuser F.-straße 1 bis 13 sind - anders als etwa die unmittelbar östlich und nördlich gelegenen Hausgruppen - durch Versprünge im hinteren Bereich gekennzeichnet, die Häuser 1, 3 und 5 reichen etwa 2 m weiter in die Gartenbereiche hinein als die Häuser 7 bis 13, zudem weist das Haus F.-straße 13 einen Anbau im rückwärtigen Bereich auf, der in der Örtlichkeit deutlich hervortritt.
76Ein Vorbild für das Vorhaben der Beigeladenen findet sich im vorgenannten rückwärtigen Anbau an das Gebäude F.-straße 13. Es handelt sich - wie das Vorhaben der Beigeladenen - um einen eingeschossigen Anbau mit einer Dachterrasse. Er erstreckt sich zwar nicht über die gesamte Grundstücksbreite, aufgrund seiner Abmessungen von etwa 4,5 m Tiefe und Breite ist er aber dem Vorhaben der Beigeladenen hinreichend vergleichbar. Dafür spricht ferner, dass das Gebäude F.-straße 13 von der östlich verlaufenden F.-straße mit dem Anbau eine Tiefe von etwa 19 m aufweist. Das Haus der Beigeladenen würde sich mit dem streitgegenständlichen Anbau in eine ähnliche Tiefe erstrecken.
77Fügt sich das Vorhaben der Beigeladenen danach hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die dargestellte maßgebliche Umgebung ein, kommt es auf eine Vorbildwirkung der Terrassenüberdachung auf dem Grundstück F.-straße 5 ebenso wenig an wie auf die Bedeutung der „Linie genehmigungsfreier Terrassenüberdachung“ in dem zur Baugenehmigung vom 29.7.2020 gehörenden Lageplan.
78III. Die Kläger können sich schließlich - wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen - nicht auf eine Baulasterklärung berufen. Die in Bezug genommenen Erklärungen aus April 1964 lassen - unabhängig davon, ob eine wirksame Eintragung vorliegt - nicht erkennen, dass die rückwärtigen Grundstücksbereiche freigehalten werden sollten.
79Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen, denn die Beigeladene hat in beiden Instanzen einen Sachantrag gestellt und sich damit selbst einem prozessualen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).]
80Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision ergibt sich aus § 132 Abs. 2 VwGO; Zulassungsgründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.