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Führt eine ohne Mitwirkung des Anwalts erfolgte Aufhebung oder Änderung eines angegriffenen Verwaltungsakts noch nicht zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits, ist eine anwaltliche Mitwirkung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG weiterhin möglich.
Im Fall eines materiell-rechtlich nur teilweise erledigten Verfahrens kann die anwaltliche Mitwirkung insbesondere in der eingehenden Beratung und der Einwirkung auf den Mandanten liegen, sich mit einem Teilerfolg zufrieden zu geben und das nur teilweise erledigte Verfahren in Übereinstimmung mit der Behörde insgesamt für erledigt zu erklären.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3.4.2024 wird aufgehoben.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 9.2.2024 wird dahingehend geändert, dass die von dem beklagten Land an den Kläger zu erstattenden Kosten um 2.500,19 Euro erhöht werden.
Der Kläger trägt die Kosten Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde, über die der Senat in der Besetzung von drei Richterinnen entscheidet,
3vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 24.3.2023 ‑ 6 E 997/21 ‑, juris, Rn. 1 ff., und vom 2.5.2022 ‑ 9 E 181/21 ‑, juris Rn. 1 f., jeweils m. w. N.,
4ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 9.2.2024, mit dem die von dem beklagten Land an den Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 1.950,19 Euro festgesetzt worden sind, zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger kann über die bereits festgesetzten Kosten hinaus die Erstattung auch der angemeldeten Gebühr nach Nr. 1003 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis - VV RVG) nebst Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) beanspruchen. Zwar ist - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat - keine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG entstanden (dazu 1.), allerdings eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 (dazu 2.). Entstanden ist außerdem eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG nebst Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG (dazu 3.).
51. Eine auf den 1,0-fachen Gebührensatz herabgesetzte Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Nr. 1 i. V. m. Nr. 1003 VV RVG ist nicht entstanden.
6Nach Nr. 1000 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts ‑ wie hier ‑ entsteht die Einigungsgebühr aber nur, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann (Nr. 1000 Abs. 4 Satz 1 VV RVG). Danach ist eine Einigungsgebühr nicht entstanden. Der Kläger und das beklagte Land haben keinen Vertrag abgeschlossen. Abgesehen davon dürfte der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Einstellung als Beamter auf Probe auch nicht der Dispositionsbefugnis der Beteiligten unterliegen.
72. Entstanden ist allerdings eine 1,0-fache Erledigungsgebühr nach Nr. 1003, 1002 VV RVG, die (ebenfalls) als Erfolgsgebühr speziell für den verwaltungsgerichtlichen Bereich in den Fällen, in denen eine Einigungsgebühr wegen fehlender Dispositionsbefugnis nicht entstehen kann, das Bemühen des Anwalts um außergerichtliche Beendigung der Sache honorieren soll.
8Vgl. Sefrin, in: v. Seltmann, BeckOK RVG, Stand: 1.3.2025, RVG VV 1002 Rn. 2 ff., 6; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Auflage 2023, RVG VV 1002 Rn. 3.
9Nach Nr. 1002 Satz 1 VV RVG entsteht eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Dabei setzt die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung im Sinne von Nr. 1002 VV RVG eine besondere, über die bereits mit der Verfahrensgebühr abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgehende, auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus, die zur Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat.
10Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9.5.2018 ‑ 9 KSt 2.18 ‑, juris Rn. 2, und vom 28.11.2011 ‑ 6 B 34.11 ‑, juris Rn. 4.
11Nicht ausreichend ist die Abgabe einer Erledigungserklärung, nachdem die Behörde von sich aus oder auf gerichtlichen Hinweis einen angegriffenen Verwaltungsakt aufgehoben hat. Die Mitwirkung des Anwalts muss sich auf die materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsstreits beziehen; die Mitwirkung an der bloß formellen Beendigung des materiell bereits vollständig erledigten Rechtsstreits - durch Abgabe einer Erledigungserklärung - genügt nicht.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.7.2020 ‑ 4 E 1063/19 ‑, juris Rn. 4.
13Führt eine ohne Mitwirkung des Anwalts erfolgte Aufhebung oder Änderung eines angegriffenen Verwaltungsakts allerdings noch nicht zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits, ist eine anwaltliche Mitwirkung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG weiterhin möglich; sie muss sich mithin nicht zwingend auf die Aufhebung bzw. Änderung des Verwaltungsakts beziehen. Im Fall eines materiell-rechtlich nur teilweise erledigten Verfahrens kann die anwaltliche Mitwirkung insbesondere in der eingehenden Beratung und der Einwirkung auf den Mandanten liegen, sich mit einem Teilerfolg zufrieden zu geben und das nur teilweise erledigte Verfahren in Übereinstimmung mit der Behörde insgesamt für erledigt zu erklären.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.6.2022 ‑ 1 E 372/22 ‑, IÖD 2022, 177 = juris Rn. 14; Nds. OVG, Beschluss vom 8.7.2013 - 5 OA 137/13 -, DÖD 2013, 242 = juris Rn. 4; Sächs. OVG, Beschluss vom 13.2.2013 - 3 E 118/12 -, juris Rn. 3; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Auflage 2023, RVG VV 1002 Rn. 52.
15Ausgehend davon liegt die für das Entstehen der Erledigungsgebühr erforderliche anwaltliche Mitwirkung vor. Zwar ist eine besondere Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die über die Einlegung und Begründung der Klage hinausgegangen wäre und die zur Aufhebung des ‑ die Übernahme des Klägers in ein Beamtenverhältnis auf Probe mangels gesundheitlicher Eignung ablehnenden ‑ Bescheids der Bezirksregierung Düsseldorf vom 24.10.2022 geführt hätte, nicht zu erkennen, zumal das beklagte Land dem Kläger bereits am Tag der Klageerhebung mitgeteilt hatte, eine ergänzende fachärztliche Untersuchung in Auftrag gegeben zu haben. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat jedoch - allerdings erstmals im Beschwerdeverfahren - nachgewiesen, dass er zeitlich nach der Aufhebung des angegriffenen Bescheids durch die Bezirksregierung Düsseldorf dahingehend erledigungsorientiert auf den Kläger eingewirkt hat, sich mit einem Teilerfolg zufrieden zu geben. Denn die Klage war mit dem Hauptantrag (sinngemäß) auf die Verpflichtung des beklagten Landes gerichtet, den Kläger unter Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe in den Schuldienst einzustellen. Hilfsweise begehrte der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Mit der auf eine entsprechende Anfrage des Verwaltungsgerichts hin erfolgten (ausdrücklichen) Aufhebung des Bescheids vom 24.10.2022 und der Erklärung, eine zusätzliche fachärztliche Begutachtung bereits in Auftrag gegeben zu haben, hat die Bezirksregierung Düsseldorf bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände eine erneute Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Berücksichtigung der fachärztlichen Begutachtung in Aussicht gestellt. Damit war der Rechtsstreit indes nur teilweise materiell-rechtlich erledigt, weil jedenfalls eine Übernahme des Klägers in ein Beamtenverhältnis auf Probe nicht erfolgt ist. Gleichwohl hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen per E-Mail vom 16.1.2024 dahingehend beraten, den Rechtsstreit, wie vom Verwaltungsgericht vorgeschlagen, insgesamt ‑ also auch hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens ‑ für erledigt zu erklären, obwohl er, der Kläger, "noch nicht verbeamtet", sondern lediglich das Verfahren "wieder offen" sei. Der Kläger hat sich mit diesem, von ihm als "Etappenerfolg" bezeichneten Ergebnis zufriedengegeben und der Abgabe einer Hauptsacheerledigungserklärung zugestimmt (Antwort-E-Mail vom 17.1.2024). In dieser erfolgreichen Einwirkung auf den Kläger ist die anwaltliche Mitwirkung im Sinne der Nr. 1002 VV RVG zu sehen.
16Zu einer ähnlichen Konstellation vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.8.2011 ‑ 6 E 775/11 ‑, NJW 2012, 329 = juris Rn. 6.
17Denn (erst) daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insgesamt übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und ist eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts entbehrlich geworden.
183. Die angemeldete Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG ist ebenfalls entstanden.
19Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 letzte Alternative VV RVG entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das ‑ wie hier ‑ mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist. Das war hier, wie unter 2. ausgeführt, der Fall.
20Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren nach § 155 Abs. 4 VwGO dem Kläger aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Ein Verschulden eines Beteiligten im Sinne des § 155 Abs. 4 VwGO liegt vor, wenn dieser unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein Verhalten einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu kostenrelevanten Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst hat. Es kann etwa dann anzunehmen sein, wenn ein Beteiligter es unterlässt, auf einen Umstand hinzuweisen, der in seiner Sphäre liegt und der für das Verfahren von Bedeutung ist.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.5.2023 - 5 C 2.22 ‑, juris Rn. 7.
22Das ist hier der Fall. Der Kläger hat erstmals im Beschwerdeverfahren die E-Mails zwischen ihm und seinem Prozessbevollmächtigten aus Januar 2024 erwähnt und wiedergegeben, aus denen sich die anwaltliche Mitwirkung ergibt, die für das Entstehen der angemeldeten Gebühren nach Nr. 1003 (i. V. m. Nr. 1002) und Nr. 3104 VV RVG notwendig ist. Auf die Aufklärungsverfügung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 23.1.2024, in der explizit nach einem Mehraufwand gefragt wurde, der nicht schon durch die Verfahrensgebühr abgegolten ist, hat der Kläger die E-Mails indes nicht erwähnt. Er hat im Schriftsatz vom 24.1.2024 nur mitgeteilt, das beklagte Land habe den angefochtenen Verwaltungsakt aufgrund der Ausführungen in der Klageschrift, denen das Gericht beigetreten sei, zurückgenommen. Für eine über die Erhebung und Begründung der Klage hinausgehende anwaltliche Tätigkeit ist auf der Grundlage dieses Vorbringens nichts ersichtlich. Auch zur Begründung der eingelegten Erinnerung hat sich der Kläger weiter nur auf diese Angabe berufen.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).