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Der in einem Buch von einer öffentlichen Bibliothek angebrachte Hinweis „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ stellt einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Autors dar.
Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt, weil er von der Aufgabenzuweisung im Kulturgesetzbuch NRW nicht erfasst ist. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass sich mündige Staatsbürger in öffentlichen Bibliotheken mit Informationen versorgen, um sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – eine eigene Meinung zu bilden.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. April 2025 teilweise geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den in den zwei in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des vom Antragsteller verfassten Buchs „J.“ angebrachten Einordnungshinweis („Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“) zu entfernen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Antragsgegnerin zu drei Vierteln, der Antragsteller zu einem Viertel.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig und teilweise begründet.
2Das Verwaltungsgericht hat die Anträge des Antragstellers,
3die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den in den zwei in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des von ihm verfassten Buchs „J.“ angebrachten Einordnungshinweis („Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“) zu entfernen,
4sowie die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zukünftig zu unterlassen, in den in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des von ihm verfassten Buchs „J.“ einen Einordnungshinweis mit dem Text „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ anzubringen,
5abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der (mittelbar-faktische) Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie etwaige Eingriffe in andere Grundrechte seien gerechtfertigt. Der streitgegenständliche Einordnungshinweis sei von der Aufgabenzuweisung für öffentliche Bibliotheken in §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW gedeckt. Die Stadtbücherei O. dürfe als öffentliche Bibliothek zu den von ihr zur Ausleihe bereitgestellten Werken inhaltlich Stellung nehmen. Dies gelte sowohl in positiver wie auch in negativer Hinsicht, wie hier in Form von kritischen Hinweisen. Mit dem gesetzlichen Auftrag sei es nicht vereinbar, eine öffentliche Bibliothek darauf zu beschränken, Medien allein passiv zur Ausleihe bereit zu stellen. Dies ergebe sich daraus, dass öffentliche Bibliotheken nicht auf einen reinen Informationsauftrag beschränkt, sondern ihnen über die Ausleihe von Medien hinausgehende Funktionen durch den Gesetzgeber ausdrücklich zugewiesen seien. Öffentliche Bibliotheken seien danach Bildungseinrichtungen, die durch den Zugang zu Informationen wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung beitrügen. Sie sollten die demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration ermöglichen und unterstützen. Über die Aufgabenzuweisungsnorm hinaus bedürfe es keiner besonderen gesetzlichen Grundlage, weil der Einordnungshinweis weder als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinn noch als funktionales Äquivalent zu einem solchen Eingriff anzusehen sei. Der Einordnungshinweis, der sich insgesamt als Werturteil erweise, wahre die Anforderungen an das Sachlichkeitsgebot. Er sei zurückhaltend und nicht reißerisch formuliert. Er sei nicht dahingehend zu verstehen, dass die Stadtbücherei dazu aufrufe, das Buch nicht zu lesen und beruhe auf einem im Wesentlichen zutreffend und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Dies ergebe sich bereits daraus, dass in dem Buch mehrere gesicherte historische Ereignisse, wie z. B. die Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 oder die bemannten Mondlandungen in Abrede gestellt worden seien. Darüber hinaus sei der Inhalt des Buches Gegenstand von deutlicher öffentlicher Kritik durch Literaturkritiker gewesen. Es gebe keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Einordnungshinweis auf sachfremden Erwägungen beruhe, obwohl neben dem Buch des Antragstellers bislang nur ein weiteres Buch einen entsprechenden Hinweis erhalten habe. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liege nicht vor. Die Stadtbücherei habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht über die Ressourcen verfüge, systematisch ihren gesamten Bestand zu untersuchen. Es sei nicht zu beanstanden, eine anlassbezogene Prüfung vorzunehmen, insbesondere wenn sich Nutzerinnen oder Nutzer der Bücherei beschwerten. Eine öffentliche Bibliothek sei auch nicht verpflichtet, alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln. Die Stadtbücherei treffe keine strikte Neutralitätspflicht. Der Einordnungshinweis erweise sich auch nicht als unverhältnismäßig. Er sei äußerlich so gestaltet, dass eine weitergehende Zurückhaltung nicht mehr möglich erscheine, sofern der Hinweis überhaupt noch wahrgenommen werden solle. Der Eingriff weise eine geringe Intensität auf. Mit Blick auf den Antrag auf Unterlassung fehle es an einem rechtswidrigen Eingriff, weil alle in Betracht kommenden Grundrechtseingriffe gerechtfertigt seien.
6Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe führen im tenorierten Umfang zu einer Änderung des angefochtenen Beschlusses. Der Antragsteller kann die Entfernung des Einordnungshinweises im Wege der begehrten einstweiligen Anordnung beanspruchen. Er hat insoweit einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei sind sowohl die tatsächlichen Voraussetzungen des zu Grunde liegenden materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) als auch die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
71. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er kann sein Begehren auf den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch stützen. Dieser verpflichtet zur Herstellung des früheren Zustands und setzt voraus, dass durch hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht aus einfachgesetzlichen Vorschriften oder Grundrechten ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der fortdauert.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2022 – 15 B 893/22 –, NVwZ-RR 2023, 197, juris, Rn. 27.
9Der Einordnungshinweis stellt einen Eingriff in Art. 5 Abs. 1 GG dar.
10Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Über den Inhalt einer Äußerung hinaus erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch auf ihre Form, so dass auch polemische oder verletzend formulierte Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts fallen. Insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung vermittelt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern. Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie deshalb nicht dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
11Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2009 – 2 BvR 2179/09 –, NJW 2009, 3503, juris, Rn. 3; BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 – 6 C 8.21 –, BVerwGE 178, 246, juris, Rn. 27, OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 24.
12Der Begriff der Presse in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist weit und formal und kann nicht von einer Bewertung des Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Unter verfassungsrechtlichem Schutz stehen neben der klassischen Presse („Druck“) vergleichbare Massenmedien, die deren Aufgabe erfüllen, umfassende Informationen zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Jedenfalls journalistisch-redaktionell aufbereitete Beiträge in Wort und Bild, die an der für das demokratische Gemeinwesen unentbehrlichen Aufgabe der Wiedergabe der Meinungsvielfalt und der Meinungsbildung teilhaben, sind dem verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit nach den dafür maßgeblichen Kriterien zuzuordnen.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 – 1 BvR 272/81 –, BVerfGE 66, 116, juris, Rn. 47; BVerwG, Urteil vom 7. November 2024 – 10 A 5.23 –, NVwZ 2025, 516, juris, Rn. 12.
14Die gedruckte Meinungsäußerung ist bereits von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Bei der besonderen Garantie der Pressefreiheit geht es demgegenüber um die Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung. Das Grundrecht schützt vor allem die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozess erfüllen kann. Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist daher berührt, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse geht. Handelt es sich dagegen um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung, so ist ungeachtet ihres Verbreitungsmediums Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG maßgeblich.
15BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 126/85 –, BVerfGE 86, 122, juris, Rn. 19.
16Gemessen hieran liegt ein jedenfalls mittelbar-faktischer Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung vor. Das mit dem Hinweis versehene Buch des Antragstellers enthält – neben teilweise offensichtlich falschen Tatsachenbehauptungen – zumindest auch Meinungen und wirft ausweislich des im Verwaltungsvorgang abgedruckten Inhaltsverzeichnisses vom Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ebenfalls geschützte Fragen auf („Türkei: Erdbeben als Waffe?“, „WHO-Pandemievertrag: ein Pakt mit dem Teufel?“, „Landtagswahlen: Stockholm-Syndrom bei den Wählern?“). Durch den Einordnungshinweis werden aufgrund der Kategorisierung als „umstritten“ im Buch enthaltene Meinungen negativ konnotiert und könnte ein potentieller Leser von der Lektüre abgehalten werden. Die Zulässigkeit der Meinungsäußerungen des Antragstellers wird durch den Einordnungshinweis in Frage gestellt. Die Tatsache, dass lediglich zwei von ca. 350.000 Werken der Stadtbücherei diesen Hinweis enthalten, verstärkt das abwertende und anprangernde Vorgehen der Antragsgegnerin.
17Vgl. zum Eingriff in Art. 10 EMRK (Meinungsäußerungsfreiheit) durch einen Warnhinweis EGMR, Urteil vom 23. Januar 2023 – 61435/19 (Macaté/Litauen) –, NJW 2024, 739, 741.
18Die zurückhaltende und äußerlich wie sprachlich sachlich gehaltene Gestaltung des Einordnungshinweises ändert an der dargestellten Eingriffsqualität des Einordnungshinweises nichts. Ein derartiger Hinweis ist – auch bei wie hier vorsichtig gewählter Formulierung – geeignet und auch dazu bestimmt, auf die Aufnahme des Buchs und der darin geäußerten Meinung negativ, nämlich abschreckend oder anprangernd einzuwirken.
19Darüber hinaus dürfte auch ein Eingriff in die Pressefreiheit vorliegen, weil neben dem Aspekt der Zulässigkeit der Meinung des Antragstellers wegen der Einschränkung der Verbreitung seines Buches, welches an eine breite Öffentlichkeit gerichtet ist, in einer öffentlichen Bibliothek auch der Kommunikationsprozess betroffen ist. Dies kann letztlich – wie auch die Frage, ob in einem derartigen Fall ein Eingriff in die Pressefreiheit von demjenigen in die Meinungsfreiheit konsumiert wird – aufgrund der für beide Grundrechte geltenden Schranken in Art. 5 Abs. 2 GG offen bleiben.
20Der Einordnungshinweis greift darüber hinaus auch – wovon auch das Verwaltungsgerichts ausgeht – in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt, ohne seinem Träger einen Anspruch darauf zu vermitteln, nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist, nicht nur die Ehre, sondern auch weitere Aspekte des sozialen Geltungsanspruchs. Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die – ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken. Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht darüber hinaus aber auch, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren. Dabei ist nicht jedes amtliche Informationshandeln und nicht jede Teilhabe des Staates am Prozess öffentlicher Meinungsbildung als Grundrechtseingriff zu bewerten. Maßgebend ist, ob der Schutzbereich eines Grundrechts berührt wird und ob die Beeinträchtigung einen Eingriff darstellt. Dafür kann auch eine mittelbar-faktische Wirkung ausreichen.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 – 15 A 2293/15 –, NVwZ 2017, 131, juris, Rn. 50 ff. m. w. N.
22Gemessen hieran ist ein wenigstens mittelbar-faktischer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers gegeben. Der Einordnungshinweis ist geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Antragstellers in der Öffentlichkeit auszuwirken. Wie bereits oben dargelegt ist der Einordnungshinweis mit einer negativen Konnotation verbunden.
23Dieser Eingriff in Grundrechte des Antragstellers ist nicht gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung liegt vor, wenn sich die Äußerung im Rahmen der zugewiesenen Aufgaben bewegt und die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in Form des Sachlichkeitsgebots gewahrt sind.
24Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016, a. a. O., Rn. 101 ff. m. w. N.
25Die Äußerung der Antragsgegnerin in Form des Einordnungshinweises ist nicht von der Aufgabenzuweisung in den §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW gedeckt. Das Verwaltungsgericht geht zwar zunächst zu Recht davon aus, dass öffentlichen Bibliotheken über die Ausleihe von Medien hinausgehende kulturelle Funktionen durch den Gesetzgeber ausdrücklich zugewiesen sind.
26Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2023 – 4 D 94/20.NE –, NWVBl. 2023, 410, juris, Rn. 105 ff.
27Diese gesetzlich vorgesehenen Funktionen umfassen aber keine negative inhaltliche Bewertung der zur Verfügung gestellten Medien in Form eines Einordnungshinweises. Vielmehr liegt der Fokus der Regelungen darauf, den Nutzerinnern und Nutzern der Bibliothek eine „selbstbestimmte“ (vgl. § 47 Abs. 2 Kulturgesetzbuch NRW) und „ungehinderte“ (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 2, § 48 Abs. 5 Satz 2 Kulturgesetzbuch NRW, insoweit unter Wiedergabe und Betonung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) Information zu ermöglichen und sich dadurch – auch im Austausch mit Anderen – eine eigene Meinung zu bilden. Diese Grundhaltung lässt sich auch der Gesetzesbegründung entnehmen, die die „mündige Teilhabe am politischen […] Leben“ hervorhebt.
28Vgl. Entwurf eines Gesetzes zum Erlass eines Kulturgesetzbuches sowie zur Änderung und Aufhebung weiterer Vorschriften (Kulturrechtsneuordnungsgesetz), LT-Drs. 17/13800, S. 125.
29Weder die Aufgabe der Unterstützung des selbstbestimmten lebensbegleitenden Lernens noch diejenige der Leseförderung oder der Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz (§ 47 Abs. 2 Kulturgesetzbuch NRW) lassen eine negative Bewertung von Medien im Bestand zu. § 47 Abs. 3 und 4 Kulturgesetzbuch NRW, die sich auf die Zurverfügungstellung von Räumen, eines kulturellen Programms sowie die Pflege wertvoller Altbestände und Sammlungen beziehen, betreffen andere Sachverhalte.
30Der Einordnungshinweis ist auch nicht von der Aufgabenzuweisung in § 48 Abs. 4 Kulturgesetzbuch NRW gedeckt. Danach leisten öffentliche Bibliotheken durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Informationsfreiheit und sind bei der Auswahl der Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden. Nach der Gesetzesbegründung sind Bibliotheken zentrale Orte für die Realisierung des Grundrechts auf Informationsfreiheit. Dazu müssen sie einen politisch, weltanschaulich, kulturell und religiös ausgewogenen Medienbestand zur Verfügung stellen. Die Medienauswahl hat durch das Fachpersonal der Bibliothek nach bibliothekarischen Grundsätzen und sachlichen Gesichtspunkten frei von weltanschaulichen und politischen Begrenzungen in eigener Verantwortung zu erfolgen.
31Vgl. LT-Drs. 17/13800, S. 126.
32Aus diesen Bestimmungen lässt sich jedenfalls nicht schließen, dass Bibliotheken die Kompetenz zukommen soll, einmal in den Medienbestand aufgenommene Werke inhaltlich negativ zu bewerten. Soweit der Gesetzeswortlaut von einem „fachlich kuratierten Informationsangebot“ spricht, führt dies nicht auf ein anderes Auslegungsergebnis. Kuratieren meint nach allgemeiner Wortbedeutung ein künstlerisches wie wissenschaftliches Betreuen, sich Kümmern oder Begleiten, insbesondere im Bereich von Ausstellungen oder Veranstaltungen. Die Befugnis, einzelne Medien, die zur Ausleihe angeboten werden, mit einer (negativen) inhaltlichen Bewertung zu versehen, folgt daraus nicht, auch wenn es Bibliotheken freistehen mag, aufgrund sachlicher Kriterien eine Anschaffung bestimmter Werke – z. B. solcher, die wie hier geschichtliche Fakten negieren – zu unterlassen.
33Schließlich lässt sich auch aus § 48 Abs. 5 und 6 Kulturgesetzbuch NRW nicht entnehmen, dass die abwertende Einordnung eines Mediums im Aufgabenbereich einer öffentlichen Bibliothek liegt. Hiernach ermöglichen die Bibliotheken den Nutzerinnen und Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung bei. Sie ermöglichen und unterstützen die demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration. Nach § 48 Abs. 6 Kulturgesetzbuch NRW können sie als Orte der Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und der gesellschaftlichen Integration zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region zu bündeln und zugänglich zu machen. Danach kommt den Bibliotheken unzweifelhaft ein Bildungsauftrag zu. Dem Gesetz lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass dieser Auftrag dazu berechtigt, durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungen zu bewerten und kritisch einzuordnen. Vielmehr ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass sich mündige Staatsbürger in öffentlichen Bibliotheken mit Informationen versorgen, um sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – eine eigene Meinung zu bilden.
34Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob die in der E-Mail der Leiterin der Stadtbücherei vom 17. Januar 2025 (Bl. 62 des Verwaltungsvorgangs) aufgelisteten Kriterien zur Auswahl entsprechend „einzuordnender“ Medien, die (ausschließlich) den „rechten Rand“ im politischen Spektrum in den Blick nehmen, sachfremde oder willkürliche Erwägungen enthalten oder auf diesen beruhen.
352. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht; es liegt keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vor. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erscheint vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig. Der Antragsteller wird – wie oben dargelegt – durch den Einordnungshinweis erheblich, über Randbereiche hinausgehend in seinen Rechten verletzt; es stehen Grundrechtspositionen von Gewicht in Rede, die ihm für die Dauer eines etwaigen Hauptsachverfahrens nicht zugemutet werden können. Ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe stehen der Anordnung nicht entgegen,
36vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 –, BVerfGE 93, 1, juris, Rn. 28; VerfGH NRW, Beschluss vom 26. Januar 2021 – VerfGH 5/21.VB-2 –, juris, Rn. 19.
373. Der Antrag des Antragstellers auf Unterlassen der künftigen Anbringung eines gleichlautenden Hinweises in Büchern des Antragstellers ist jedenfalls unbegründet. Er fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Antragsgegnerin die Entscheidung des Senats missachten und keine Konsequenzen für ihre künftige Praxis jedenfalls bis zu einer etwaigen Entscheidung in der Hauptsache ziehen würde. Die vom Antragsteller in Bezug genommene Äußerung der Leiterin der Stadtbücherei, man behalte sich als öffentliche Bibliothek vor, Medien in einen Kontext zu setzen, lässt nicht darauf schließen, dass die Antragsgegnerin eine rechtskräftige Entscheidung des Senats nicht befolgen wird.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
39Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
40Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).