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Unter dem Gesichtspunkt der Vorfeldwirkung des Art. 8 Abs. 1 GG kann für die Bejahung der Klagebefugnis einer Fortsetzungsfeststellungsklage ausreichen, wenn sich der Versammlungsveranstalter darauf beruft, es sei potentiellen Versammlungsteilnehmern faktisch erschwert oder sogar unmöglich gemacht worden, auf dem aus seiner Sicht einzig realistisch verfügbaren Anreiseweg zu einer von ihm angemeldeten Versammlung zu gelangen.
Nicht jeder Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit begründet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Das berechtigte Interesse an einer Rechtswidrigkeitsfeststellung ist in der Fallgruppe sich kurzfristig erledigender Verwaltungsakte nur gegeben, wenn der Verwaltungsakt – den Vortrag des Klägers als richtig unterstellt – zu einem qualifizierten Grundrechtseingriff geführt hat.
Behindernde Vorfeldmaßnahmen der Polizei können als faktisches Verwaltungshandeln einen gewichtigen Eingriff darstellen, wenn sie hinreichend versammlungsbezogen sind. Maßgeblich ist, inwieweit sich die angegriffene Maßnahme nach Ausmaß und Intensität auf den grundrechtlich geschützten Bereich nach Art. 8 GG ausgewirkt haben kann. Dies bemisst sich nach einer Würdigung des Einzelfalls und entzieht sich einer abstrakt-generellen Festlegung.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Im Zeitraum vom 19. bis 24. Juni 2019 fanden im I. Braunkohlerevier Protestaktionen des Aktionsbündnisses „J.“ u. a. gegen den Braunkohletagebau T. statt. Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer im Rahmen dieser Aktionen erfolgten Sperrung des Zugverkehrs am Bahnhof O. durch die Polizei.
3Durch Teilnehmer des Aktionsbündnisses „J.“ wurde seit Donnerstag, 20. Juni 2019 in den sozialen Medien dazu aufgerufen, am Folgetag, dem 21. Juni, durch Personengruppen – genannt „Finger“ – in den Tagebau T. einzudringen. Dies betraf insbesondere einen sog. „Rosa Finger“. Diese Pläne wurden durch Medienvertreter und eigene Aufklärungsarbeit der Polizei bestätigt. Am frühen Morgen des besagten 21. Juni 2019 befanden sich im sog. Camp O. beim Stadion S.-straße in O., welches rund 22 km vom Tagebau T. entfernt liegt, rund 3.000 bis 4.000 Personen. Der Kläger war Versammlungsleiter des angemeldeten Camps O.. Außerdem hatte er mehrere Mahnwachen in räumlicher Nähe zu den drei Tagebauen G., L. und T. jeweils für die Zeit vom 21. bis 23. Juni 2019 und zum Teil jeweils von 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr (konkret für den 21. Juni 2019 im Zeitrahmen von 14:00 Uhr bis 20:00 Uhr, 12:00 Uhr bis 21:00 Uhr und 13:30 Uhr bis 18:00 Uhr) für jeweils 10 bzw. 10 bis 100 Teilnehmer angemeldet. Anmelder und Veranstalter war jeweils „J.“, vertreten durch den Kläger. Gegen 9:00 Uhr befanden sich in den Mahnwachen höchstens drei Personen.
4Am Camp O. sammelten und formierten sich zwei „Finger“ zu jeweils 1.500 (d. i. der „Rosa Finger“) bzw. 200 Personen. Bei Aufstellung der „Finger“ wurde Pyrotechnik gezündet. Nach Aufstellung verließen die „Finger“ das Camp O. in Richtung des Bahnhofs O.. Der Kläger gab gegenüber der Polizei an, keinen Einfluss auf die „Finger“ zu haben, er sei mit seinen Versammlungsteilnehmern im Camp O. geblieben. Die „Finger“ reagierten weder auf Ansprachen noch Kooperationsversuche der Polizei.
5Mit streitgegenständlicher Verfügung vom 21. Juni 2019, erlassen gegen 11:21 Uhr, ordnete das Polizeipräsidium V. sodann unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gegenüber der M. AG auf der Grundlage von § 8 Abs. 1 PolG NRW an, den Eisenbahnverkehr im Bahnhof O. „bis zur Beseitigung einer konkreten Gefahrenlage einzustellen, da eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr“ vorliege „und Maßnahmen gegen den Gefahrenverursacher nicht möglich“ seien. Zur Begründung wurde in dem Bescheid ausgeführt, dass damit zu rechnen sei, dass die „Finger“ den ca. 22 km langen Weg vom Camp O. zum Tagebaugelände T. nicht zu Fuß, sondern ab dem Bahnhof O. mit der Bahn zurücklegen würden. Aus Sicht der Polizeikräfte seien damit zwei nicht angemeldete und nicht kooperationsfähige Versammlungen, in denen es bereits zu Straftaten in Form von Zünden von Pyrotechnik gekommen sei, zum Bahnhof O. unterwegs, um von dort mit der Bahn zum Tagebau weiterzufahren, dessen Besetzung Ziel des Aktionsbündnisses J. sei. Das Verhindern der Zuganreise der „Finger“ könne angesichts der zur Verfügung stehenden Einsatzkräfte und der Gewaltbereitschaft der Anhänger des Aktionsbündnisses nicht anders als durch eine Untersagung des Bahnverkehrs gegenüber der M. AG erfolgen. Nach den bereits verübten Straftaten sei insbesondere durch den „Rosa Finger“ mit weiteren Straftaten zu rechnen. Dies betreffe auch Maßnahmen zivilen Ungehorsams mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Blockadeaktionen der Braunkohleabbauanlagen. Das Eindringen in den Tagebau sei aufgrund der unsicheren Abbruchkanten darüber hinaus für die Aktivisten selbst lebensgefährlich. Die kurzfristige Einstellung des Zugverkehrs am Bahnhof O. sei das einzig geeignete Mittel, die „Finger“ zu stoppen und letztlich das Eindringen in den Tagebau und die Begehung von Straftaten zu verhindern. Die vorübergehende Untersagung sei schließlich angemessen, auch wenn hiervon Dritte faktisch betroffen seien. Vor dem Hintergrund der erheblichen Gefahren im Fall des weiteren, durch den Bahnverkehr unterstützten Vordringens des „Rosa Fingers“ in den Tagebau stelle die Betroffenheit von unbeteiligten Bahnnutzern das geringere Übel dar.
6Der Bahnverkehr fuhr sodann den Bahnhof O. bis ca. 15:30 Uhr nicht mehr an. Die Polizei veröffentlichte mehrere Kurznachrichten über den Kurznachrichtendienst Twitter zur Sperrung des Bahnhofs O.. Kurz vor 12 Uhr bewegte sich ein „Finger“ weiter Richtung Bahnhof O.. Eine sich friedlich verhaltende Gruppe von ca. 1.000 Personen traf gegen 11:50 Uhr im Bahnhof O. ein. Kurz vor 13 Uhr traf ein weiterer „Finger“ am Bahnhof O. ein, der sich mit der bereits anwesenden Gruppe vereinigte. Ab ca. 14 Uhr bis zum späten Nachmittag fuhren vom Bahnhof O. mehrere Busse ab, jedenfalls die meisten davon zu Mahnwachen.
7Der Kläger hat am 22. Juni 2020, einem Montag, Klage erhoben. Zur Begründung seiner als Feststellungsklage erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht: Er habe damit rechnen dürfen, dass sich mehrere hundert Personen an seinen angemeldeten Versammlungen beteiligen würden, deren Anreise logistisch über die Bahn hätte erfolgen sollen. Die Versammlungsteilnehmer hätten sich zu Fuß zum Bahnhof O. begeben und von dort zu unterschiedlichen – angemeldeten – Mahnwachen reisen wollen. Allein mit der Bahn vom Bahnhof O. aus wäre die Anreise der Versammlungsteilnehmer zu den Mahnwachen möglich gewesen, was durch die seitens der Polizei verfügte Untersagung des Bahnverkehrs jedoch unterbunden worden sei. Andere Anreisemöglichkeiten hätten nicht bestanden, auch später nicht nach Kenntnisnahme von der Bahnhofsschließung. Die vom Kläger zum Teil organisierten Busse seien durch die Polizei gezielt behindert und verzögert worden, ein Erfolg der alternativen Anreise zu den Mahnwachen sei von daher nicht festzustellen. In diesem Zusammenhang sei dem Beklagten auch das Recht abzusprechen, eigenmächtig anderweitige Standorte für die Mahnwachen – einseitig – zu „kooperieren“. Dem Kläger sei so die Ausübung des Versammlungsrechts absolut unmöglich gemacht worden, was genau die Absicht des Beklagten gewesen sei. Bei der Bahnhofssperrung habe es sich um ein Puzzleteil einer gezielten Versammlungssabotage gehandelt.
8Der Kläger hält die Untersagung des Bahnverkehrs im Bahnhof O. für rechtswidrig und macht geltend, dies und die darin liegende Behinderung der Anfahrt verletze ihn in seinen eigenen Rechten aus Art. 8 GG, aus dem sein subjektives Recht folge, dass Teilnehmer zu seiner Versammlung anreisen könnten. Eine hoheitliche Maßnahme, die direkt oder indirekt die ungestörte Anreise von Teilnehmern zu einer angemeldeten Demonstration verhindere, greife nicht nur in den grundrechtlichen Schutzbereich der Anreisenden, sondern auch in die Versammlungsfreiheit des Anmelders selbst ein. Ihm selbst den Rechtsschutz gegen derartige Anreiseerschwernisse zu verwehren hätte zur Folge, dass sein Versammlungsrecht als Anmelder entwertet würde. Er könne nicht darauf verwiesen werden, dass die Teilnehmer selbst individuell um Rechtsschutz nachsuchten. Da der Polizei bekannt gewesen sei, dass zahlreiche Versammlungsteilnehmer am Bahnhof O. in Züge einsteigen wollten, sei der Eingriff auch zielgerichtet gegen sein Versammlungsrecht erfolgt. Die Untersagungsverfügung habe gerade zielgerichtet die Anreise von ausgewiesenen Versammlungsteilnehmern insgesamt unterbinden wollen, was der Kläger als Versammlungsveranstalter angreifen dürfe.
9Dieser Eingriff könne nicht gerechtfertigt werden. Es fehle schon an einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Der herangezogene § 8 PolG NRW trage keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Darüber hinaus sei der Eingriff in das Versammlungsrecht unverhältnismäßig. Die Polizei sei gehalten gewesen, die Versammlung soweit wie möglich zu schützen und zu unterstützen. Sie dürfe eine Versammlung nicht allein deswegen auflösen, weil aus ihr heraus Straftaten begangen werden. Hier hätten die seitens der Polizei befürchteten Straftaten nichts mit der Versammlung zu tun, diese hätten möglicherweise an einem anderen Ort von völlig anderen Personen und gerade nicht von Versammlungsteilnehmern begangen werden sollen. Hinzu komme, dass die von der Polizei vermuteten Straftaten, so es sich bei den demonstrativen Aktionen zivilen Ungehorsams überhaupt um Straftaten handele, minimal seien. So könne auch nicht von Hausfriedensbruch zulasten der N. AG gesprochen werden, denn der Tagebau sei nicht umfriedet. Dies und die – unterstellte – Rechtsgutbeeinträchtigung am untersten Rand hätten in eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter einfließen müssen, was nicht erfolgt sei.
10Der Kläger hat beantragt,
11festzustellen, dass die Sperrung des Bahnhofs O. am 21. Juni 2019 rechtswidrig gewesen ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat.
12Der Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er hat ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig. Der Kläger sei schon nicht klagebefugt. Er habe nicht geltend gemacht, selbst durch die Sperrung des Bahnhofs betroffen, mithin daran gehindert worden zu sein, zu einer der von ihm für den jeweiligen Veranstalter angemeldeten Versammlungen zu gelangen, dies habe er tatsächlich auch nicht gewollt. Der Kläger habe vielmehr am Morgen des 21. Juni 2019 dem Kontaktbeamten am Camp O. mitgeteilt, dass die das Camp verlassenden Personengruppen („Finger“) nicht Teil einer seiner Versammlungen seien und er keinen Einfluss auf diese habe; er sei mit „seinen Versammlungsteilnehmern“ im Camp verblieben. Der Kläger habe eine Vielzahl von weiteren Versammlungen (Mahnwachen) im I. Braunkohlerevier u. a. für den 21. Juni 2019 für verschiedene Veranstalter angemeldet. Selbst wenn er dadurch Veranstalter dieser Versammlungen geworden sei, begründe dies doch kein Recht darauf, jegliche polizeiliche Maßnahmen zu unterlassen, die irgendeinen Einfluss auf das Anreiseverhalten angeblicher Versammlungsteilnehmer hätten. Die Versammlungsteilnehmer seien auf ihrer Anreise zur Versammlung selbst verantwortlich, ein subjektives Recht des Klägers, dass diese über den Bahnhof O. zu seiner Versammlung anreisen könnten, bestehe nicht. Der Versammlungsleiter müsse die Anreise nicht in eigener Verantwortung gewährleisten. Die versammlungsrechtlichen Rechte des Veranstalters beinhalteten jedenfalls kein Organisations- und Gestaltungsrecht hinsichtlich der Bahnhofssperrung.
15Die Klage sei auch unbegründet, die Sperrung des Bahnhofs sei rechtmäßig gewesen. Der Beklagte hat insoweit auf die Begründung der Untersagungsverfügung Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Die Ankündigung von Blockadeaktionen für den 21. Juni 2019 ausgehend vom Camp O. und die tatsächlichen Erkenntnisse am Morgen dieses Tages hätten die Annahme gerechtfertigt, dass die vom Camp O. aufgebrochenen Personen Straftaten begehen wollten. Zum Teil seien diese mit Rucksäcken und Isomatten ausgestattet gewesen. Das Eindringen in den Tagebau begründete darüber hinaus eine akute Lebensgefahr für alle Beteiligten. Zur Verhinderung dieses, den Tatbestand des Hausfriedensbruchs verwirklichenden Eindringens sei die Sperrung des Bahnhofs erforderlich gewesen. Es sei nicht anzunehmen gewesen, dass die am Bahnhof befindlichen Personen überhaupt zu einer angemeldeten Mahnwache unterwegs gewesen seien. Sie hätten auch auf Ansprachen der Polizisten nicht reagiert und keine Angaben zu ihrem Ziel gemacht. Aus der Kommunikation der „Finger“ untereinander habe man aber auf den Tagebau T. als Zielpunkt geschlossen. Auch seien auf dem Weg zum Bahnhof Straftaten nach dem Sprengstoffgesetz begangen worden. Darüber hinaus hätte selbst dann die Sperrung des Bahnhofs O. nicht zu einer Verhinderung der Teilnahme an einer Mahnwache geführt, wenn eine solche Teilnahme tatsächlich seitens einzelner Personen beabsichtigt gewesen sein sollte. Alternative Anreisemöglichkeiten seien nicht beeinträchtigt gewesen. Soweit es bei der Abfahrt mit Bussen zu Verzögerungen gekommen sein mag, sei dies auf die notwendige kooperative Absprache geeigneter neuer Flächen für die Mahnwachen zurückzuführen gewesen.
16Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. März 2022 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt: Der Kläger sei mangels schutzfähiger Rechtsposition schon nicht klagebefugt. Eine Verletzung in eigenen Rechten gemäß Art. 8 Abs. 1 GG scheide aus, bereits dessen Schutzbereich sei nicht eröffnet. Er könne sich zunächst nicht darauf berufen, die Bahnverkehrseinstellung habe ihm selbst das Erreichen einer der Mahnwachen unmöglich gemacht. Gegenüber dem Beklagten habe er vor Ort erklärt, mit seinen Versammlungsteilnehmern im Camp O. bleiben zu wollen, wohingegen die auf den Bahnhof zusteuernden Personengruppen („Finger“) nicht Teil einer seiner Versammlungen seien. Auch eine etwaige Vereitelung der Anreise von potentiellen Versammlungsteilnehmern zu den Mahnwachen könne keine Verletzung in eigenen Rechten des Klägers begründen. Auch insoweit sei er an seiner Erklärung gegenüber der Polizei festzuhalten, bei den auf den Bahnhof zusteuernden Personengruppen handele es sich nicht um Teilnehmer seiner Versammlungen. Der anderslautende Vortrag im Klageverfahren sei demgegenüber gänzlich pauschal. Der Kläger könne sich als Anmelder oder Veranstalter der Mahnwachen nicht auf die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung (potentieller) Teilnehmer bei ihrer Anreise zu den von ihm veranstalteten Versammlungen berufen. Konkreten Vortrag, inwieweit und hinsichtlich welcher Personengruppen zu welchem Zeitpunkt und welcher Mahnwache er in seinem Recht auf Durchführung der Mahnwachen beeinträchtigt worden sei, sei er schuldig geblieben. Auch aufgrund der insgesamt schon zu den frühen Morgenstunden des 21. Juni 2019 sehr geringen Anzahl von tatsächlich bei den Mahnwachen anwesenden Personen bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, dass tatsächlich potentielle Teilnehmer durch die Sperrung des Bahnhofs an der Teilnahme gehindert worden seien.
17Am 8. November 2022 hat der Kläger die vom Senat gegen das Urteil zugelassene Berufung begründet. Er verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter und wiederholt und vertieft zur Begründung sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend führt er aus: Die vorsätzliche Behinderung der Anreise zu einer Versammlung greife in seine Versammlungsfreiheit ein. Hier gehe es nicht um unbeabsichtigte Folgen der Bahnhofssperrung, sondern um die zielgerichtete Verhinderung der Anreise von Teilnehmern gerade zu der Versammlung des Klägers. Es sei auch nicht erforderlich, dass der Kläger selbst versucht haben müsse, zu einer Mahnwache anzureisen, denn aufgrund der ihm frühzeitig bekannt gewordenen Maßnahme sei eine solche Anreise objektiv unmöglich gewesen. Soweit der Beklagte auf seine Erklärung gegenüber der Polizei abstelle, die „Finger“ seien nicht „seine Versammlungsteilnehmer“, beziehe sich dies darauf, dass er aufgefordert worden sei, im Rahmen einer anderen Versammlung, deren Leiter er gewesen sei, auf Personen einzuwirken, die nicht Teil seiner Versammlung gewesen seien. Im Übrigen habe die anderweitige Versammlung, auf die das Verwaltungsgericht wohl abstelle, noch gar nicht begonnen, weil die Anreise unmöglich gemacht worden sei. Auch verkenne das Verwaltungsgericht die den Kläger treffende Darlegungslast, indem es von ihm konkrete Angaben verlange zu den beabsichtigten Teilnehmern seiner Mahnwachen. Anders als pauschal könne er insoweit nicht vortragen. Der Kläger habe als Versammlungsanmelder ein Recht auf Durchführung der Versammlung, das er hier gerichtlich geltend machen könne. Es sei dem Beklagten verwehrt, durch gezielte Eingriffe in die öffentliche Infrastruktur und Verkehrsmittel eine Versammlung zu verhindern; dies gelte umso mehr, als hier gerade eine klimaschonende Anreiseart zunächst beabsichtigt und schließlich unmöglich gewesen sei. Letztlich sei der Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Klägers nicht zu rechtfertigen. Ein gefahrenabwehrender Zugriff der Polizei sei aufgrund der Polizeifestigkeit der Versammlung nicht zulässig und jedenfalls unverhältnismäßig.
18Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
19das angefochtene Urteil zu ändern und festzustellen, dass die Sperrung des Bahnhofs O. am 21. Juni 2019 rechtswidrig gewesen ist und ihn in seinen Rechten verletzt hat.
20Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Er verteidigt das angegriffene Urteil.
23Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1 VwGO).
27Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
28Die nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog als Fortsetzungsfeststellungsklage statthafte Klage ist bereits unzulässig. Der Kläger ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil klagebefugt (dazu 1.). Er hat jedoch kein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung (dazu 2.).
291. Der Kläger ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt.
30Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nach dieser Vorschrift nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Erforderlich aber auch hinreichend ist, dass unter Zugrundelegung der Darlegungen des Klägers die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts möglich erscheint; umgekehrt ist die Klagebefugnis nur dann zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können.
31St. Rspr., etwa BVerwG, Urteile vom 5. April 2016 – 1 C 3.15 –, BVerwGE 154, 328, juris, Rn. 16, und vom 30. Oktober 1963 – V C 219.62 –, DVBl 1964, 191, Leitsatz 1 (nach juris).
32Die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten ist jedenfalls zu bejahen, wenn der Kläger Adressat des angegriffenen (belastenden) Verwaltungsakts ist.
33St. Rspr., etwa BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 3 C 15.03 –, NJW 2004, 698, juris, Rn. 13, 18, und vom 15. März 1988 – 1 A 23.85 –, BVerwGE 79, 110, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2023 – 8 A 2916/21 –, juris, Rn. 7.
34Der Kläger ist selbst nicht Adressat der die vorübergehende Sperrung des Bahnhofs O. anordnenden Verfügung des Polizeipräsidiums V. vom 21. Juni 2019. Eine Klagebefugnis für die Anfechtung eines unmittelbar nur einen Dritten belastenden Verwaltungsakts besteht nur dann, wenn der Kläger sich insoweit auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen kann, die ihm eine eigene schutzfähige Rechtsposition einräumt. Es muss dazu geprüft werden, ob subjektive eigene Rechte oder zumindest anderweitig rechtlich geschützte Interessen durch den Verwaltungsakt verletzt sein könnten.
35Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 6. Juni 2024 – 3 C 5.23 –, juris, Rn. 40, und vom 3. August 2000 – 3 C 30.99 –, BVerwGE 111, 354, juris, Rn. 18; Beschluss vom 21. Januar 1993 – 4 B 206.92 –, NVwZ 1993, 884, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 17. Mai 2011 – 2 A 1202/10 –, BauR 2011, 1793, juris, Rn. 10; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 31. März 2006 – 1 S 2115/05 –, VBlBW 2006, 386, juris, Rn. 42.
36Danach scheidet eine Verletzung des Klägers in seinem Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG jedenfalls – was für die Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO im Rahmen der Zulässigkeit der erhobenen Klage allein maßgeblich ist – nicht offensichtlich und von vornherein aus. Er macht im Wesentlichen geltend, dass die hoheitliche Maßnahme der Bahnhofssperrung die ungestörte Anreise von Teilnehmern zu den von ihm angemeldeten Demonstrationen verhindert habe, und die Polizei nicht nur in die Versammlungsfreiheit der anreisenden Demonstranten, sondern auch in seine eigene Versammlungsfreiheit als Anmelder eingegriffen habe.
37Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht festzuhalten, dass die eigentliche Durchführung der am 21. Juni 2019 stattfindenden Versammlungen selbst nicht unmittelbar örtlich durch die Bahnhofssperrung betroffen war. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Camps O., dessen Versammlungsleiter der Kläger war, als auch hinsichtlich der drei Mahnwachen in der Nähe der Tagebauen G., L. und T., deren Anmelder und Veranstalter jeweils „J.“ war, vertreten durch den Kläger. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indes nicht auf den Zeitraum der Durchführung einer Versammlung begrenzt, sondern entfaltet seine Wirkung bereits in deren Vorfeld; denn andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG entfaltet daher Vorwirkungen und umfasst den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns, wozu auch der Zugang und die Anreise zu einer bevorstehenden bzw. sich bildenden Versammlung gehören. Mit anderen Worten, neben der Teilnahme an sich zählen zu den geschützten Handlungen auch Vorbereitung, Anmeldung und Organisation einer Versammlung sowie der tatsächliche Zugang zu dieser.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 6 C 46.16 –, BVerwGE 160, 169, juris, Rn. 27 f.; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Mai 2022 – 5 B 1289/21 –, juris, Rn. 205, und vom 30. Dezember 2016 – 15 B 1526/16 –, juris, Rn. 14, jeweils m. w. N. aus der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts.
39In den Schutzbereich fallen damit, neben den Teilnehmern selbst, in subjektiver Hinsicht auch Versammlungsveranstalter. Veranstalter ist, wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt (§ 2 Abs. 1 VersG). Dessen durch Art. 8 GG gewährleistetes Recht zur Selbstbestimmung über die äußeren Umstände der Versammlung spiegelt sich in seiner darauf bezogenen Organisationsgewalt wider und umreißt insoweit den ihm grundrechtlich zustehenden Rechtskreis als Veranstalter und Anmelder.
40Vgl. Hamb. OVG, Urteil vom 1. März 2023 – 4 Bf 221/20 –, NordÖR 2023, 595, juris, Rn. 74; Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, Einleitung/Grundrechte Rn. 41; Enders, in: a. a. O., § 2 Rn. 2.
41Soweit der Kläger ausführt, es sei potentiellen Versammlungsteilnehmern faktisch erschwert oder sogar unmöglich gemacht worden, auf dem aus seiner Sicht einzig realistisch verfügbaren Anreiseweg vom Camp O. zu den von ihm für „J.“ angemeldeten Mahnwachen zu gelangen, beruft er sich der Sache nach auf diesen Vorfeldschutz des Art. 8 Abs. 1 GG. Dessen Annahme liegt auch nicht völlig fern, denn die Schwierigkeiten, mittels kurzfristig beschafften Bussen eine größere Menge von Menschen vom gesperrten Bahnhof zu anderen Orten zu bringen, sind nachvollziehbar geschildert. Aus den Lageberichten der Polizei ergibt sich ebenfalls, dass ab der späten Mittagszeit des 21. Juni 2019 mehrere Busse vom gesperrten Bahnhof O. „zu einer Mahnwache“ fahren wollten und auch tatsächlich gefahren sind, was den klägerischen Vortrag einer kurzfristigen Umdisposition der Anreisemodalitäten zu den Mahnwachen immerhin mittelbar stützt. Jedenfalls die Möglichkeit ist daher zu bejahen, dass die Sperrung in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit den angemeldeten Mahnwachen stand und sich auf diese auswirkte.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017, a. a. O., Rn. 29.
43Demgegenüber vermag die Argumentation des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe nicht darlegen können, inwieweit er selbst in seinem Recht auf Durchführung der Mahnwachen beeinträchtigt worden sei, auf der Prüfungsebene der Klagebefugnis nicht zu überzeugen. Eine konkrete Darlegung, welche Personen(-gruppen) zu welchem Zeitpunkt über den Bahnhof O. zu welcher der von ihm veranstalteten Mahnwachen anreisen wollten und daran durch die polizeiliche Maßnahme gehindert worden sind (S. 7 des Urteils), kann für die Bewertung des Ausmaßes der Betroffenheit in seiner Versammlungsfreiheit verlangt werden und hier womöglich Aussagekraft entfalten. Die bloße Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten ist jedoch auch ohne derartige Ausführungen dargetan. Insofern kann der Kläger im Rahmen der Klagebefugnis schließlich nicht darauf verwiesen werden, er mache lediglich fremde Rechte Dritter, nämlich der potentiellen Versammlungsteilnehmer, gleichsam im Sinn einer unzulässigen Prozessstandschaft geltend. Der Versammlungsleiter kann sich grundsätzlich auf seine eigene Versammlungsfreiheit berufen, wenn die Möglichkeit der Teilnahme Dritter in Frage steht. Sein Recht, die Versammlung zu leiten, manifestiert sich überhaupt erst durch die gemeinschaftliche Anwesenheit Dritter, zumal das „sich versammeln“ in Art. 8 Abs. 1 GG eine Personenmehrheit zwingend voraussetzt.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 – 6 C 23.06 –, BVerwGE 129, 42, juris, Rn. 15.
45Wäre die Teilnahme Dritter nicht hiervon umfasst, liefe sein von Art. 8 Abs. 1 GG geschütztes Recht, die Versammlung auch durchführen zu können, ansonsten leer.
462. Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegenüber der M. AG ausgesprochenen Sperrungsverfügung vom 21. Juni 2019, die sich bereits vor Klageerhebung erledigt hatte.
47a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, kann das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO – in direkter und analoger Anwendung – Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist, rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses, der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses sowie in bestimmten Fällen bei sich kurzfristig erledigenden Maßnahmen gegeben.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 – 6 C 2.22 –, NVwZ 2024, 1027, juris, Rn. 16; vorausgehend OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 5 A 2000/20 –, juris, Rn. 27.
49Die letztgenannte Fallgruppe hat ihren Ursprung im grundrechtlich verbürgten Justizgewährleistungsanspruch. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann; hingegen gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann.
50BVerwG, Urteil vom 24. April 2024, a. a. O., Rn. 29 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
51Das berechtigte Interesse an der Feststellung ist in der Fallgruppe sich kurzfristig erledigender Verwaltungsakte mithin nur gegeben, wenn der Verwaltungsakt – den Vortrag des Klägers als richtig unterstellt – zu einem qualifizierten Grundrechtseingriff geführt hat.
52BVerwG, Urteile vom 24. April 2024, a. a. O., Rn. 23 ff., und vom 27. März 2024 – 6 C 1.22 –, NVwZ 2024, 1008, juris, Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2021, a. a. O., Rn. 43 ff.
53Wann ein solcher qualifizierter Grundrechtseingriff anzunehmen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich anlässlich eines zeitlich auf wenige Stunden befristeten und räumlich auf einen (innerstädtischen) Bereich einer Stadt beschränkten Aufenthalts- und Betretungsverbots unter Bezugnahme auf verfassungsgerichtliche Rechtsprechung näher ausgeführt, was sich der Senat ausdrücklich zu eigen macht.
54Danach muss ein Rechtsschutzbegehren zur nachträglichen gerichtlichen Überprüfung jedenfalls immer dann zulässig sein, wenn eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) in Frage steht. Als schwerwiegend sind darüber hinaus solche Grundrechtseingriffe anzusehen, die das Grundgesetz selbst – wie in den Fällen der Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 GG – unter Richtervorbehalt gestellt hat. Auch dem von der Telekommunikationsüberwachung – als erheblicher Eingriff in die durch Art. 10 GG geschützte Rechtsposition – Betroffenen muss eine nachträgliche Kontrolle des bereits beendeten und nach der Strafprozessordnung unter einem gesetzlichen Richtervorbehalt stehenden Eingriffs möglich sein. Ebenso muss die Möglichkeit der nachträglichen Kontrolle eines bereits beendeten Eingriffs bestehen, wenn der Betroffene ein am Maßstab einfachen Rechts so eklatant fehlerhaftes Vorgehen eines Hoheitsträgers geltend machen kann, dass objektive Willkür naheliegt. Hinsichtlich anderer Grundrechte ist bei der Beurteilung der Eingriffsintensität nach der Art des Eingriffs zu differenzieren. Im Rahmen der Einzelfallwürdigung ist – der Ermittlung des durch Art. 19 Abs. 2 GG garantierten Wesensgehalts des jeweiligen Grundrechts vergleichbar – zum einen dessen besondere Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte zu berücksichtigen und zum anderen zu bewerten, inwieweit die fragliche Maßnahme die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung in dem durch das Grundrecht erfassten Lebensbereich beschränkt.
55BVerwG, Urteil vom 24. April 2024, a. a. O., Rn. 33 f. m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. vertiefend Huber, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 19 Rn. 153 ff.; ferner allgemein Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 122 f.
56Soweit Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Rede stehen, sind diese nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur ausnahmsweise als so gewichtig anzusehen, dass sie in dem Fall ihrer Erledigung die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses rechtfertigen.
57BVerwG, Urteile vom 24. April 2024, a. a. O., Rn. 35, und vom 27. März 2024, a. a. O., Rn. 23.
58Ein für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses hinreichend gewichtiger Grundrechtseingriff wird letztlich regelmäßig zu bejahen sein, soweit die erledigte Maßnahme in den Kernbereich eines Grundrechts eingreift, was – auch nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats – nicht zuletzt beim Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Betracht kommen kann.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2021, a. a. O., Rn. 45.
60Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet.
61Vgl. allgemein BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, BVerfGE 110, 77, juris, Rn. 36 ff., und Kammerbeschluss vom 8. Februar 2011 – 1 BvR 1946/06 –, NVwZ-RR 2011, 405, juris, Rn. 22.
62Anknüpfend an die im Rahmen einer Einzelfallwürdigung anzustellende Bewertung des betroffenen Grundrechts in abstrakter Hinsicht einerseits und die konkret beschränkenden Auswirkungen der angegriffenen Maßnahme andererseits, gebietet die Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer Demokratie stets die – etwa über die Fortsetzungsfeststellungsklage eröffnete – Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist, mithin die schwerstmögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit in Rede steht. Ebenso wurde in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse angenommen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen (oder sonstigen) Auflagen nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber soll ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet sein, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben.
63Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, a. a. O., Rn. 37 f.; vgl. auch BVerwG, Urteile vom 27. März 2024, a. a. O., Rn. 23 (bei der Möglichkeit einer schwerwiegenden Verletzung von Art. 8 GG), vom 23. März 1999 – 1 C 12.97 –, NVwZ 1999, 991, juris, Rn. 14 (bei einem Versammlungsverbot), und vom 25. Oktober 2017, a. a. O., Rn. 21 (bei einer Beeinträchtigung durch einen Tornado-Überflug zur Fertigung von Bildaufnahmen); VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6. November 2013 – 1 S 1640/12 –, VBlBW 2014, 147, juris, Rn. 37; Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 3. Aufl. 2022, Kap. 7 Rn. 287.
64b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für die Bejahung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht vor. Der Kläger hat kein berechtigtes (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse unter dem – hier allein in Betracht kommenden – Gesichtspunkt der kurzfristigen Erledigung der Sperrungsverfügung. Zwar hat sich die vorübergehend angeordnete Einstellung des Bahnverkehrs im Bahnhof O. so kurzfristig erledigt, dass sie – vor der Erledigung – keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden konnte. Jedoch handelte es sich hierbei bezogen auf den Kläger nicht um einen entsprechend gewichtigen Grundrechtseingriff. Dabei ist die Bedeutung des betroffenen Grundrechts genauso berücksichtigt (dazu aa) wie Ausmaß und Intensität der geltend gemachten Einschränkung des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs (dazu bb).
65aa) Mit dem hier in Rede stehenden Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist eine im Gesamtsystem der Grundrechte besonders wichtige Freiheitsverbürgung betroffen. Die grundlegende Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat entfaltet sich in erster Linie in ihrer freiheitsrechtlichen Dimension, ist aber als verfassungsrechtliche Grundentscheidung nicht darauf beschränkt.
66Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet Art. 8 GG als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinn gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht.
67BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81 u. a. –, BVerfGE 69, 315, juris, Rn. 61; vgl. Gusy, in: Huber/Voßkuhle, GG, 8. Aufl. 2024, Art. 8 Rn. 11 ff.
68Ausgehend hiervon ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach der – bereits weiter oben ausgeführten – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht auf den Zeitraum der Durchführung einer Versammlung begrenzt, sondern entfaltet seine Wirkung bereits in deren Vorfeld; denn andernfalls liefe die Versammlungsfreiheit Gefahr, durch staatliche Maßnahmen im Vorfeld der Grundrechtsausübung ausgehöhlt zu werden. Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG entfaltet daher Vorwirkungen und umfasst den gesamten Vorgang des Sich-Versammelns, wozu auch der Zugang und die Anreise zu einer bevorstehenden bzw. sich bildenden Versammlung gehören. Mit anderen Worten, neben der Teilnahme an sich zählen zu den geschützten Handlungen auch Vorbereitung, Anmeldung und Organisation einer Versammlung sowie der tatsächliche Zugang zu dieser. Auch in subjektiver Hinsicht ist der Schutzbereich für den Kläger als Versammlungsveranstalter eröffnet. Dessen durch Art. 8 GG gewährleistetes Recht zur Selbstbestimmung über die äußeren Umstände der Versammlung spiegelt sich in seiner darauf bezogenen Organisationsgewalt wider.
69bb) Auch vor dem Hintergrund der im demokratischen Rechtsstaat überragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit kommt der seitens des Klägers geltend gemachten Beschränkung seiner Möglichkeit individueller Selbstbestimmung in dem durch das Grundrecht erfassten Lebensbereich keine hinreichend gewichtige Qualität zu. Der Kläger sieht den Eingriff gerade in seine versammlungsrechtliche Freiheit als Veranstalter in der von ihm behaupteten – auch wesentlichen – Erschwerung der Anreise potentieller Versammlungsteilnehmer zu den von ihm für „J.“ angemeldeten Mahnwachen, deren Erreichbarkeit ausschließlich über den gesperrten Bahnhof O. sinnvoll möglich gewesen sein soll. Nach den obigen Ausführungen ist der Schutzbereich von Art. 8 GG eröffnet. Die faktische Erschwerung der Anreise durch potentielle Teilnehmer zu den vom Kläger veranstalteten Mahnwachen stellt jedoch im konkreten Einzelfall keinen hinreichend gewichtigen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Klägers dar.
70Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit kann auch durch faktische Maßnahmen beeinträchtigt werden, wenn diese in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende oder einschüchternde Wirkung entfalten bzw. geeignet sind, die freie Willensbildung und die Entschließungsfreiheit derjenigen Personen zu beeinflussen, die an Versammlungen teilnehmen (wollen). Ob dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabs festgestellt werden.
71OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2022, a. a. O., Rn. 199.
72Die durch staatliche Maßnahmen verursachte faktische Erschwerung der An- und Abreise zu einer Versammlung kann einen Eingriff in das Grundrecht darstellen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Maßnahme nach einfachem Recht rechtmäßig ist.
73Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, a. a. O., Rn. 70; Hartmann, in: Kahl/Waldhoff/Walter, BK-Grundgesetz, 227. Lieferung, 10/2024, Art. 8 Rn. 317 [Stand Juni 2018] m. w. N.
74Behindernde Vorfeldmaßnahmen können als faktisches Verwaltungshandeln danach einen Eingriff darstellen, wenn sie hinreichend versammlungsbezogen sind, was beispielsweise angenommen werden kann bei schleppenden Kontrollen oder informationellen Maßnahmen wie etwa begleitenden Observationen, Abhör- oder Bildaufnahmen.
75Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 1 BvR 142/15 –, BVerfGE 150, 244, juris, Rn. 135 (zu Kennzeichenkontrollen an polizeilichen Kontrollstellen); Schneider, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 8 Rn. 27 [Stand Sept. 2024]; von Coelln, in: Ullrich/von Coelln/Heusch, Handbuch Versammlungsrecht, 2021, Rn. 105.
76Ob ein entsprechend gewichtiger Grundrechtseingriff vorliegt, kann hier unter Berücksichtigung von zeitlichen und qualitativen Kriterien bewertet werden. Maßgeblich ist, inwieweit sich die angegriffene Maßnahme der Polizei nach Ausmaß und Intensität auf den grundrechtlich geschützten Bereich nach Art. 8 GG ausgewirkt haben kann. Dies bemisst sich nach einer Würdigung des Einzelfalls und entzieht sich einer abstrakt-generellen Festlegung. Danach ist schon nicht festzustellen, dass die Schließung des Bahnhofs O. die Durchführung der vom Kläger angemeldeten drei Mahnwachen in räumlicher Nähe zu den drei Tagebauen G., L. und T. wesentlich erschwert hat. Die drei Mahnwachen waren jeweils für die Zeit vom 21. bis 23. Juni 2019 angemeldet und sollten großenteils ganztägig stattfinden. Die Sperrung des Bahnhofs mag für die Überbrückung der Distanz vom Camp O. zu den rund 22 km entfernten Mahnwachen erschwerend gewirkt haben, eine wesentliche Behinderung im Sinn einer de facto Verhinderung lag darin indes nicht. Dies gilt schon in zeitlicher Hinsicht, nachdem die Sperrung laut Medienberichten bereits gegen 15:30 Uhr beendet worden ist. Diese Einschätzung wird gestützt durch die Bewertung der Zielrichtung der streitgegenständlichen Maßnahme. Ein finales Moment bezogen auf die Mahnwachen selbst wird lediglich vom Kläger behauptet, hierfür findet sich jedoch keinerlei objektivierbarer Anhaltspunkt. Nach den insoweit nicht in Frage zu stellenden, auf der Grundlage der Verwaltungsvorgänge getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts reagierten die „Finger“ weder auf Ansprachen noch auf Kooperationsversuche der Polizei. Nach den Erkenntnissen der Polizei war nachvollziehbar damit zu rechnen, dass die „Finger“ versuchen wollten, in das Tagebaugelände selbst einzudringen. Dabei lag für den vom Camp O. ca. 22 km entfernten Tagebau T. auf der Hand, dass die „Finger“ den Weg ab dem Bahnhof O. mit der Bahn zurücklegen würden. Aus Sicht der Polizeikräfte waren damit zwei nicht angemeldete und nicht kooperationsfähige Versammlungen, in denen es bereits zu Straftaten in Form von Zünden von Pyrotechnik gekommen sein dürfte, zum Bahnhof O. unterwegs, um von dort mit der Bahn zum Tagebau weiterzufahren, dessen Besetzung Ziel des Aktionsbündnisses J. gewesen ist. Die Polizei sah sich nach eigener Beschreibung gehalten, schon die Anreise dieser Protestierenden effektiv zu verhindern, um dem konkreten Gefahrenverdacht eines Eindringens in das Tagebaugelände entgegenzuwirken. Angesichts der bei realistischer Betrachtung zu befürchtenden erheblichen Eigen- und Fremdgefährdungen bei einem erfolgreichen Eindringen von Menschenmengen wie den hier in Rede stehenden „Fingern“ in die Tagebaue ist die vorübergehende Sperrung des Bahnhofs als womöglich drastische, aber effektive Maßnahme zur Steuerung der zu den Tagebauen anreisenden Gruppen anzusehen. Dass unter den betroffenen Anreisenden auch Personen waren, die womöglich nur die drei Mahnwachen in räumlicher Nähe der Tagebauen aufsuchen wollten, stellt sich damit als eine unbeabsichtigte Nebenfolge der Maßnahme dar, die sich – ohne erkennbaren Versammlungsbezug – letztlich nur reflexhaft und ohne finales Moment auf die Mahnwachen und den diese umfassenden grundrechtlichen Schutzbereich ausgewirkt hat.
77Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
78Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
79Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.