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Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 3.6.2024 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 844/24 (VG Münster) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 28.3.2024 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 844/24 (VG Münster) gegen die Anordnung einer nachträglichen Auflage vom 28.3.2024 zur Erlaubnis zum Betrieb der Prostitutionsstätte am Standort X.-straße 00, 00000 Z., wiederherzustellen,
5im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt: Die vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Antragstellers aus. Die auf § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ProstSchG beruhende nachträgliche Auflage für den Betrieb der Prostitutionsstätte des Antragstellers, wonach während der Öffnungszeiten der Prostitutionsstätte der Betreiber oder eine zuverlässige Person im Sinne des § 25 Abs. 2 ProstSchG anwesend sein müsse, erweise sich als offensichtlich rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die nachträgliche Aufnahme der Auflage lägen mit Blick auf die vom Antragsteller betriebene Prostitutionsstätte vor. Diese erfülle nicht die in § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG niedergelegte Mindestanforderung an Prostitutionsstätten, wonach die einzelnen für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume über ein „sachgerechtes Notrufsystem“ verfügen müssten. Sachgerecht seien danach allein solche Notrufsysteme, welche nach den Gegebenheiten des jeweiligen Betriebs im Fall eines Übergriffs effektiven Schutz böten. Dies sei nur der Fall, wenn ausnahmslos gewährleistet sei, dass das Absetzen eines Notrufs automatisch Folgemaßnahmen auslöse, die dazu führten, dass der Prostituierten – bei Zugrundelegung eines strengen Maßstabs – schnell und erfolgversprechend geholfen werde. In der Regel verlange dies die jederzeitige Anwesenheit des Betreibers oder einer zuverlässigen Person im Sinne des § 25 Abs. 2 ProstSchG. Nicht unerhebliche Verzögerungen, wie sie durch weitere erforderliche Schritte wie das Alarmieren und Ausrücken der Polizei, ggf. längere Anfahrtswege oder Ähnliches entstehen könnten, seien angesichts der überragenden Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter der Prostituierten nicht hinnehmbar. Das Notrufsystem des Antragstellers werde dem nicht gerecht, weil es nur dazu führe, dass ein Signal im Betrieb ertöne und eine Sicherheitsfirma sowie der Betreiber über den Notruf informiert würden, die wiederum die Polizei alarmierten. Unter diesen Umständen sei damit zu rechnen, dass es unangemessen lange dauere, bis eine helfende und nicht gleichzeitig schutzbedürftige Person im Betrieb sei und auf die Situation einwirken könne – zumal es bei einer Kontrolle schon drei Minuten gedauert habe, bis der durch den Notruf ausgelöste Anruf zum Sicherheitsdienst durchgestellt worden sei. Die nachträgliche Aufnahme der Auflage in die Betriebserlaubnis sei ermessensfehlerfrei. Es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Auflage.
6Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahmen fällt auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens zu Lasten des Antragsgegners aus.
7Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass die in der Ordnungsverfügung vom 28.3.2024 als nachträgliche Auflage auferlegte Verpflichtung der Anwesenheit des Betreibers oder einer nach § 25 Abs. 2 ProstSchG zuverlässigen Person der Prostitutionsstätte während der Öffnungszeiten rechtswidrig ist (dazu unter I.). Die ergänzend vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragsgegners aus (dazu unter II.).
8I. Den rechtlichen Maßstäben zur Erteilung einer nachträglichen Auflage zur Sicherung eines sachgerechten Notrufsystems (dazu unter 1.) folgend durfte der Antragsgegner voraussichtlich nicht die verpflichtende Anwesenheit des Betreibers oder einer anderen Person während der Öffnungszeiten der Prostitutionsstätte anordnen (dazu unter 2.).
91. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ProstSchG kann die Erlaubnis ‒ auch nachträglich ‒ u. a. mit Auflagen verbunden werden, soweit dies zum Schutz der Sicherheit, der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Prostituierten, der Beschäftigten sowie der Kundinnen und Kunden erforderlich ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers darf damit die Erlaubnis jederzeit mit den zum Schutz der genannten Rechtsgüter erforderlichen Auflagen verknüpft werden.
10Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen vom 25.5.2016, BT-Drs. 18/8556, S. 82.
11Eines besonderen Anlasses bedarf es hierfür nicht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Nachträgliche Auflagen kommen u. a. dann in Betracht, wenn die in dem vom Betreiber einer Prostitutionsstätte vorzulegenden Betriebskonzept getroffenen Vorkehrungen zum Schutz der Sicherheit, der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Prostituierten nicht ausreichen bzw. tatsächlich nicht angewandt werden.
12Das vom Betreiber vorzulegende Betriebskonzept für den Betrieb einer Prostitutionsstätte nach § 16 ProstSchG ist gemäß § 12 Abs. 2 ProstSchG Gegenstand der Erlaubnis. Gemäß § 16 Abs. 1 ProstSchG sind im Betriebskonzept die wesentlichen Merkmale des Betriebs und die Vorkehrungen zur Einhaltung der Verpflichtungen nach diesem Gesetz zu beschreiben. Hierzu sollen u. a. die typischen organisatorischen Abläufe sowie die Rahmenbedingungen dargelegt werden, die die antragstellende Person für die Erbringung sexueller Dienstleistungen schafft, § 16 Abs. 2 Nr. 1 ProstSchG. Das Betriebskonzept dient der Schaffung von Transparenz bezogen auf die wesentlichen Merkmale des Betriebs, unter anderem im Hinblick auf die zu erwartenden Arbeitsbedingungen, die nach den Vorstellungen der antragstellenden Person in ihrem Betrieb für die Prostituierten gewährleistet sein sollen. Damit bildet das Betriebskonzept eine wichtige Grundlage zur Beurteilung, ob die Ausgestaltung des Prostitutionsgewerbes den gesetzlichen Anforderungen genügt.
13Vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 81.
14Absatz 2 konkretisiert den Inhalt des Betriebskonzepts. Es soll erkennen lassen, dass der Betreiber sich der betriebsartspezifischen Risiken seines Gewerbes für Prostituierte, für Kunden und Kundinnen sowie für die Allgemeinheit bewusst ist. Durch das Betriebskonzept erhält der Betreiber die Gelegenheit darzulegen, welche Vorkehrungen er trifft, um spezifischen Risiken, die besonders in Prostitutionsgewerben auftreten, zu begegnen, und kann im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung übernehmen. Mit der Fassung des Absatzes 2 als Soll-Vorschrift hat der Gesetzgeber dem Interesse des Betreibers, ausreichenden Spielraum zur Gestaltung einer auf die Verhältnisse seines Betriebs zugeschnittenen und entsprechend dimensionierten Fassung des Betriebskonzepts zu erhalten, Rechnung getragen.
15Vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 81.
16§ 18 ProstSchG legt Mindestvoraussetzungen an zum Prostitutionsgewerbe genutzte Anlagen fest. Nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG muss in Prostitutionsstätten mindestens gewährleistet sein, dass die einzelnen für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume über ein sachgerechtes Notrufsystem verfügen. Die Ausrüstung der für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume mit einer Notruffunktion soll zum Schutz vor Übergriffen durch Kunden und Kundinnen sowie zum schnellen Zugang zu Hilfe beitragen; neben der technischen Funktionalität kommt es auch darauf an, ob im Fall der Betätigung des Notrufs geeignete Maßnahmen ausgelöst werden, die dem Schutz der Prostituierten dienen. Die Eignung der Vorrichtung ist daher im Kontext des jeweiligen Betriebskonzepts zu beurteilen. Bei der jeweiligen technischen Lösung sind die konkreten Rahmenbedingungen des Betriebs zu berücksichtigen.
17Vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 83.
18Nach der gesetzlichen Regelung und dem Regelungszweck dürfte danach ohne Einzelfallbetrachtung des jeweiligen Betriebskonzepts mit konkreter Risikoabschätzung nicht ohne Weiteres davon auszugehen sein, dass eine effektive Hilfe grundsätzlich nur durch im Betrieb anwesende und jederzeit verfügbare Personen geleistet werden könne, welche unmittelbar durch Auslösen des Notrufs alarmiert würden und jederzeit unverzüglich Zutritt zur Räumlichkeit der sexuellen Dienstleistung hätten.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.3.2025 – 4 B 847/23 –, juris, Rn. 17 f., m. w. N.
20Die grundsätzliche Gewichtung zwischen der Berufsfreiheit der Betreiber von Prostitutionsstätten und den Schutzgütern Leib und Leben, die Beschränkungen rechtfertigen können, ist aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers. Für einen Regelungswillen, an ein sachgerechtes Notrufsystem höhere Anforderungen zu stellen als die Sicherstellung eines nach Betätigung eines leicht erreichbaren Notknopfs unverzüglich veranlassten Notrufs an die Polizei oder einen privaten Wachdienst, finden sich keine Anhaltspunkte im Gesetz sowie in den Gesetzesmaterialien. Ohne eine über derartige übliche Anforderungen an sachgerechte Notrufsysteme hinausgehende gesetzliche Regelung und einen entsprechenden Regelungswillen des Gesetzgebers können normativ nicht verbindliche Bestimmungen der Richtlinie zum Vollzug des Prostituiertenschutzgesetzes gegenüber dem Prostitutionsgewerbe (RL ProstSchG-Gewerbe), Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen – Az. 81.02.08.01-01.01 – vom 25.3.2020, insoweit nicht zur Konkretisierung von weitergehenden Anforderungen herangezogen werden, die für die Grundrechtsausübung wesentlich sind.
21Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.4.2015 – 2 BvR 1322/12 –, BVerfGE 139, 19 = juris, Rn. 52 ff.
22Das kann etwa der Fall sein, wenn im Erlassweg im Vergleich zu allgemein als sachgerecht angesehenen Notrufsystemen bestimmte strengere Anforderungen vorgesehen sind, die zusätzliche Kosten auslösen würden, durch die die Frage aufgeworfen würde, ob aus Gründen der Wirtschaftlichkeit des Betriebs das Betriebskonzept wesentlich anzupassen ist.
232. Gemessen daran ist die dem Antragsteller mit Ordnungsverfügung vom 28.3.2024 auferlegte Auflage voraussichtlich rechtswidrig, wonach er oder eine andere zuverlässige Person im Sinne des § 25 Abs. 2 ProstSchG während der Öffnungszeiten der Prostitutionsstätte anwesend sein muss. Die Auflage ist nicht im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ProstSchG zum Schutz der Sicherheit, der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Prostituierten, der Beschäftigten sowie der Kundinnen und Kunden erforderlich. An der Sachgerechtigkeit des Notrufsystems, das der Antragsteller in seinem Betriebskonzept, das Gegenstand der Erlaubnis vom 19.12.2019 geworden ist [dazu unter a)], vorgesehen hat und das er in der Folgezeit eingerichtet sowie erweitert hat, fehlt es nicht deshalb, weil er davon abgesehen hat, die ihm nun auferlegte Anwesenheit des Betreibers selbst oder einer zuverlässigen Person während der Öffnungszeiten vorzusehen. Hierzu ist er weder verpflichtet noch rechtfertigten die festgestellten Abläufe im Prostitutionsbetrieb, das Betriebskonzept durch eine Anwesenheitspflicht zu ergänzen [dazu unter b)].
24a) In dem zur Erlaubniserteilung vorgelegten Betriebskonzept vom 24.10.2019 hat der Antragsteller unter Punkt II. 3. (Beschreibung zum Notrufsystem der einzelnen für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume) ausgeführt:
25„In jedem der sechs Prostitutionsräume befindet sich eine Notrufsystem „HELP Button“ der ein Tonsignal die anderen anwesenden Prostituierten und den Betreiber alarmiert. Die umgehend einen entsprechenden Notruf (Polizei, Feuerwehr) absetzen können und gleichzeitig in der Situation Nothilfe leisten.“
26Dieses Notrufsystem ist als Teil des Betriebskonzepts gemäß § 12 Abs. 2 ProstSchG Gegenstand der dem Antragsteller am 19.12.2019 erteilten Erlaubnis geworden.
27b) Bei Kontrollen des Prostitutionsbetriebes des Antragstellers am 28.7.2022 und 10.8.2022 gaben die im Betrieb anwesenden Prostituierten den Mitarbeiterinnen des Antragsgegners gegenüber jeweils an, dass die „Hausdame“ täglich nur ca. 1 ½ Stunden im Betrieb sei. Der Antragsteller wurde bei den Kontrollen nicht angetroffen. Bei der Kontrolle am 28.7.2022 wurde das Notrufsystem getestet: Es ertönte ein akustisches Signal im Gebäude; eine Hilfsperson erschien innerhalb einer von den Mitarbeiterinnen des Antragsgegners als angemessen bezeichneten Wartezeit nicht. Unter dem 22.9.2022 teilte der Antragsteller mit, dass durch den Notruf nicht nur ein lautes Signal im Betrieb abgegeben worden sei, sondern auch eine Meldung auf sein und das Mobiltelefon seiner Vertretung geschickt worden sei. Nunmehr habe er sein Notrufsystem durch Installation der Anlage „Picoguard“ erweitert. Bei Aktivierung des Notrufsystems werde sofort die Notruf-Service-Leitstelle kontaktiert, die an 365 Tagen rund um die Uhr erreichbar sei. Ein Mitarbeiter der Leitstelle könne mit der den Notruf auslösenden Person kommunizieren und über ein Mikrofon die Geräusche in dem Raum hören. Der Mitarbeiter sei vom Antragsteller angewiesen worden, bei jedem Notruf neben der Polizei auch ihn und seine Stellvertretung auf dem Mobiltelefon anzurufen. Außerdem könnten sich die im Betrieb anwesenden Prostituierten zum Zimmer begeben und Hilfe leisten. Bei einer Kontrolle des Notrufsystems am 1.3.2023 durch Mitarbeiter des Antragstellers ertönte nach Betätigung des Notschalters ein kurzes lautes Signal im Flur. Nach ca. 3 Minuten wurde ein Anruf zur Sicherheitsfirma durchgestellt und ein Mitarbeiter der Firma meldete sich über den Lautsprecher im Flur. Unter dem 9.5.2023 teilte der Antragsteller mit, er habe den Prostituierten aus Sicherheitsgründen aufgegeben, nur dann Kunden in den Betrieb zu lassen, wenn mindestens eine weitere Prostituierte anwesend sei, die bei Aktivierung eines Notrufs vor Ort Hilfe leisten könne. Außerdem sei bei den Kontrollen eine Meldung des Notrufsystems auf sein und das Mobiltelefon seiner Stellvertretung geschickt worden. Bei einer Kontrolle am 6.11.2023 hielten die Mitarbeiter des Antragsgegners fest, dass der Alarm nicht getestet worden sei, weil dieser an eine Sicherheitsfirma gekoppelt sei und an die Polizei weitergeleitet werde, wenn man kein Passwort nenne. Von den anwesenden Prostituierten habe keine das Passwort gekannt.
28Auf der Grundlage des bei der Kontrolle am 1.3.2023 überprüften, funktionsfähigen Notrufsystems und der ergänzenden Vorkehrungen und Anweisungen des Antragstellers für Notfälle war die streitgegenständliche nachträgliche Auflage zur Erfüllung der Anforderungen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG nicht erforderlich. Der Antragsteller hat unter Berücksichtigung der Verhältnisse in seinem Betrieb ein geeignetes Notrufkonzept für seinen Betrieb in Kraft gesetzt, behördlich genehmigen lassen und nachträglich noch erweitert. Dieses Notrufsystem entspricht den üblicherweise an ein solches System gestellten Anforderungen und trägt sachgerecht bestimmungsgemäß dazu bei, dass die Prostituierten schnellen Zugang zu Hilfe erhalten. Mit der Betätigung des in jedem Zimmer vorhandenen Notknopfs wird nicht nur ein akustisch vernehmbares Signal im Haus selbst, sondern auch der Antragsteller und dessen Stellvertretung sowie ein Sicherheitsdienst kontaktiert. Der Sicherheitsdienst setzt sodann – nach unwidersprochenen Angaben des Antragstellers bei einer garantierten Bearbeitungszeit von maximal 1 bis 3 Minuten – den Antragsteller oder dessen Vertreter über den Notruf in Kenntnis. Diese entscheiden nach Nennung eines Passworts über das weitere Vorgehen. Kann keine Kontaktperson erreicht werden, wird umgehend die örtliche Polizei alarmiert. Dabei trägt die vorgesehene Einschaltung eines Sicherheitsdienstes dem Umstand Rechnung, dass eine automatische Alarmübertragung an die Polizei nur für besondere Gefahrenlagen aufgrund polizeilicher Lagebeurteilungen und nach ausdrücklicher polizeilicher Genehmigung zulässig ist, eine solche aber nicht vorliegt.
29Vgl. Nr. 1.5 der Bundeseinheitlichen Richtlinie für Überfall-/Einbruchmeldeanlagen bzw. Anlagen für Notfälle/Gefahren mit Anschluss an die Polizei (ÜEA), Stand: Oktober 2021.
30Mit dem derart vom Antragsteller beschriebenen und ausweislich der aktenkundigen Feststellungen der Mitarbeiter des Antragstellers auch umgesetzten Notrufkonzept besteht eine im Voraus festgelegte Interaktionskette, an deren Ende in jedem Fall schnelle und adäquate Hilfe geleistet werden kann. Der Prostitutionsbetrieb des Antragstellers ist ausweislich seines Betriebskonzepts als gewerbliche Vermietung von insgesamt sechs Zimmern an maximal sechs Prostituierte ausgestaltet. Der Antragsteller erwartet die Anwesenheit von maximal vier Kunden gleichzeitig im Betrieb. Die Werbung, Kontaktaufnahme und die Preisgestaltung ist den jeweiligen Prostituierten überlassen, wobei der Zutritt von Kunden über Kameras aufgenommen und für eine Woche gespeichert wird. Angesichts dieser geringen Größe des Betriebs sowie des beschränkten und durch Videoüberwachung dokumentierten Zugangs bedarf es über die technische und organisatorische Sicherstellung der Weiterleitung von Notrufen aus jedem Zimmer unmittelbar an den Betreiber und seine Stellvertretung bzw. über einen Sicherheitsdienst an die Polizei hinaus zum Schutz der tätigen Prostituierten nicht der ständigen Anwesenheit des Betreibers oder einer anderen zuverlässigen Person, um den Mindestanforderungen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG zu genügen. Die jederzeitige Sicherstellung praktisch sofortiger Hilfe, die der Antragsgegner auf der Grundlage einer rechtlich unverbindlichen Erlasslage durch die ständige Verfügbarkeit einer im Betriebskonzept nicht vorgesehenen stets anwesenden Hilfsperson erreichen möchte, ist nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht gefordert, um eine Notrufvorrichtung im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG als sachgerecht ansehen zu können. Sie kann auch nicht im Einzelfall aus der besonderen Ausgestaltung des Betriebs des Antragstellers als geboten angesehen werden. Insbesondere bestehen keine konkreten Anzeichen dafür, dass der Zeitraum bis zum Eintreffen am Notfallort für die Polizei bei Anfahrt unter Alarmbedingungen für eine rechtzeitige Hilfeleistung bei einer Entfernung von knapp 5 km zwischen Wache und Prostitutionsbetrieb zu lang bemessen sein könnte. An der erforderlichen Eintreffzeit änderte auch die Anwesenheit des Antragstellers oder einer anderen zuverlässigen Person im Betrieb nichts. Diese Gegebenheiten gelten für alle Notrufszenarien, die den Einsatz der Polizei erfordern. Allenfalls könnte eine während der Betriebszeiten anwesende Person den Einsatzkräften den Zutritt zum Betrieb erleichtern, wobei die Polizei sich im hier anzunehmenden Gefahrenfall auch selbst den Zutritt zu dem Betrieb und dem ihr mitgeteilten Zimmer schnellstmöglich verschaffen kann. Ein für einen deutlichen Zeitgewinn etwa erforderlicher leichterer Zutritt der Polizei zum Gebäude lässt sich im Übrigen wegen der Einbindung des Sicherheitsdienstes und der sofortigen Information des Antragstellers als Betreiber und seiner Vertretung über einen Notfall ohne Weiteres organisatorisch ermöglichen, ohne dass hierfür ständig eine Aufsichtsperson anwesend sein muss. Vor diesem Hintergrund rechtfertigt auch die weitere Zeit, die Polizeikräfte im Notfall nach ihrem Eintreffen zur Orientierung am Einsatzort und zur ggf. erforderlichen gewaltsamen Öffnung der Türen benötigen, die streitgegenständliche Auflage nicht – zumal sich nach den Angaben des Antragstellers bei Anwesenheit von Kunden immer mindestens zwei Prostituierte in dem Betrieb aufhalten sollen, von denen eine den Polizeikräften die Türen öffnen und Orientierung geben kann. Die sich aus der vom Antragsteller dargestellten Ablauf des Notrufsystems ergebende Verzögerung über eine Passwortabfrage bzw. die Bearbeitungszeit von maximal drei Minuten durch den Sicherheitsdienst stellen die Eignung des Notrufsystems im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG ebenfalls nicht generell in Frage. Sie dienen erkennbar dem Zweck, Fehlalarme bei der Polizei zu vermeiden und können allenfalls Anlass für eine häufigere Überprüfung der Einhaltung und Funktionsfähigkeit des vorgesehenen Notrufsystems durch den Antragsteller und für regelmäßige Kontrollen seitens des Antragsgegners bieten.
31II. Nach alldem fällt die vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses am sofortigen Vollzug der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung mit dem privaten Interesse des Antragstellers, den Prostitutionsbetrieb nicht nur bei ständiger Anwesenheit des Betreibers oder einer anderen zuverlässigen Person während der Betriebszeiten einstweilen bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren führen zu dürfen, zugunsten des Antragstellers aus.
32Aus den oben genannten Gründen besteht schon eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die streitgegenständliche Ordnungsverfügung im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird. Zudem greift sie erheblich in die Berufsfreiheit des Antragstellers nach Art. 12 Abs. 1 GG ein. Er hat vor dem Hintergrund, dass er die Prostitutionsstätte im Nebenerwerb führt, plausibel geltend gemacht, die Umsetzung der streitgegenständlichen Auflage mache einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb für ihn unmöglich. Der mit der Vermietung von 6 Zimmern realistisch erzielbare Umsatz, von dem nach Aktenlage neben der an den Eigentümer zu leistenden Miete in Höhe von monatlich 1.250,00 Euro auch andere Unkosten (Strom, Wasser, Heizung, Abgaben) zu begleichen sind und von dem ein angemessener Unternehmerlohn verbleiben muss, ermöglicht es nicht ohne Weiteres, während der täglich 11 Stunden dauernden Betriebszeit für den im Nebenerwerb tätigen Antragsteller dauerhaft anwesend zu sein oder über lange Zeiträume vor Ort arbeitendes Sicherheitspersonal zu finanzieren.
33Vor diesem Hintergrund kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden, die voraussichtlich rechtswidrige Ordnungsverfügung einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu befolgen.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
35Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Wird – wie hier – geltend gemacht, eine nachträgliche Auflage habe existenzbedrohende Folgen, ist das wirtschaftliche Interesse in Anlehnung an Nr. 54.1 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens aber mit 15.000,00 Euro, zu bemessen. Dieser Betrag ist wegen der Vorläufigkeit des Eilverfahrens zu halbieren (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013).
36Vgl. bei einer Betriebszeitverkürzung OVG NRW, Beschluss vom 4.2.2022 – 4 B 1642/20 –, juris, Rn. 42 f., m. w. N.
37Der Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.